Arbeit&Wirtschaft: Werden Sie eine sichere Pension bekommen?
Stefan Bartl: Ich glaube schon, dass wir eine Pension haben, von der wir auch leben können. Es gibt derzeit gewisse Defizite am Arbeitsmarkt, die ins Pensionssystem reinspielen. Meiner Ansicht nach ist das Wichtigste, dass wir versuchen, die Beschäftigung zu heben und die prekären Beschäftigungsverhältnisse zu eliminieren. Aber wenn man die steigende Lebenserwartung sieht, glaube ich schon, dass wir faktisch länger arbeiten werden. Ich glaube aber auch, dass unser momentanes Pensionssystem sehr gut ist und dass es nachhaltig finanzierbar ist.
Veronika Kronberger: Man kann die Frage nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten, weil wir gerade in einer Phase sind, in der es relativ viele relativ starke Umbrüche gibt. Würde der Status quo so bleiben, wie er jetzt ist, und würden sich auch die Arbeitsbedingungen nicht maßgeblich verändern, würde ich sagen: Ja. Würden sich gewisse politische Fraktionen wie ÖVP, FPÖ oder Neos, die für Kürzungen eintreten, durchsetzen bzw. würden Tendenzen, die wir jetzt am Arbeitsmarkt haben, wie arbeitsrechtliche Umgehungen und Lohn- und Sozialdumping, weiter zunehmen, dann bin ich eher skeptisch.
Nikolaus Griller: Ich glaube, dass wir selbst dann, wenn wir die Beschäftigung heben, trotzdem ein Problem haben, weil die Lebenserwartung schneller gestiegen ist und noch immer schneller steigt als das Antrittsalter. Und das kann sich einfach nicht ewig ausgehen. Ich sehe die Gefahr, dass das Pensionssystem zumindest teurer wird. Ich sage nicht, dass es deshalb nicht sicher ist, aber dass es für den Staat teurer wird. Dass es öffentlich mitfinanziert wird, ist notwendig und gut. Nur ich habe das Gefühl, dass nicht allen bewusst ist, wie stark es finanziert wird und wie stark es in der Zukunft finanziert werden wird. Das Pensionssystem muss sich in 20, 30 Jahren noch immer ausgehen, und dafür gehört noch mehr gemacht, als bisher schon getan worden ist.
Bartl: Bereits bei der Schaffung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) hat man sich auf das Prinzip der Drittelfinanzierung geeinigt:
Ein Drittel Arbeitnehmer, ein Drittel Arbeitgeber und ein Drittel soll über das öffentliche Steuersystem finanziert werden. Was mir in der Diskussion ein bisschen ungut aufkommt, ist, dass dieser Beschluss immer infrage gestellt wird. Dass die Steuermittel, die vom Bund zugeschossen werden, immer in der Kritik stehen. Das ist politisch gewollt, dass etwas aus dem Steuersystem ins Pensionssystem zugeschossen wird. Und deshalb sehe ich den nominalen Geldbetrag, was das Pensionssystem kostet, nicht so arg, weil man eben darauf schauen muss, ob die ausgewogene Finanzierung eingehalten wird.
Kronberger: Die Pensionskommission hat 2014 festgestellt, dass das Pensionssystem seit den 1980er-Jahren um ganze 1,8 Prozentpunkte des BIP teurer geworden ist. Ich behaupte jetzt einmal, dass das kein wahnsinnig drastischer, schwerwiegender Anstieg ist. Besonders was die Demografie angeht: Der wird aktuell ziemlich stark entgegengewirkt. Es gibt Migration, es gibt Fluchtbewegungen. Das ist in dem Fall äußerst positiv, weil dadurch natürlich die Demografie eine andere wird und viele junge Menschen kommen.
Griller: Ich sehe das in Milliarden Euro, die jedes Jahr beigetragen werden und die laut einer Studie der Jungen Industrie weit mehr als ein Drittel sein werden und die bei gewissen Pensionen auch viel mehr sind, weit mehr als 50 Prozent. Wenn du dir ausrechnen würdest, wie viel du im Laufe deines Arbeitslebens beigetragen hast, zu dem, was du ausgezahlt bekommst, siehst du, dass das Drittel, Drittel, Drittel einfach nicht immer funktioniert. Wenn das stimmt, dass wir Zuwanderung dazu nutzen können, dass wir mehr Beschäftigte haben, die auch Beiträge zahlen, und mehr Arbeitgeber für die Beschäftigten, dann bin ich vollständig einverstanden. Nur das ist eine ziemlich optimistische Aussicht, wenn du davon ausgehst, dass Flüchtlingsbewegungen zu einem so starken Beschäftigungszuwachs führen, dass die Babyboomer, die jetzt in Pension gehen, alle damit abgedeckt sind.
Bartl: Wir kriegen ein Problem, wenn wir das Pensionssystem nur auf der Finanzierungsfrage aufhängen. Weil was heißt das, wenn sich die Finanzierung nicht ausgeht? Dann müssen wir die Pensionen noch weiter kürzen. Das würde Altersarmut bedeuten. Altersarmut kann nicht das Ziel des Pensionssystems sein.
Griller: Ich glaube auch, dass Kürzung in Bausch und Bogen keine gute Lösung ist. Die Dauer des Anspruchs wird wahrscheinlich irgendwann einmal zu lang sein. Wenn wir davon ausgehen, dass das Antrittsalter in den letzten Jahren kaum gestiegen ist, gleichzeitig aber die Lebenserwartung in einem überschaubaren Zeitraum um über zehn Jahre gestiegen ist, dann hat man eine wesentlich längere Bezugsdauer. Und das ist der Punkt, wo man ansetzen muss.
Bartl: Aber das ist ja in den letzten Pensionsreformen reingerechnet worden.
Griller: Meiner Meinung nach müssen manche Dinge schneller umgesetzt werden.
Was genau?
Griller: Wenn ich sage, ein System muss irgendwo tragbar sein, dann gibt es einen gewissen Geldbetrag, den ich beischießen kann. Wenn ich den zusätzlich zur Umlage umrechne, dann habe ich eine Dauer von sagen wir 15 Jahren, die ich eine Pension im Durchschnitt beziehen kann. Das heißt, das Pensionsantrittsalter muss mindestens bei 65 Jahren liegen. Ich glaube, das Schlaueste wäre immer noch, wenn man in einem regelmäßigen Abstand schauen würde, wie weit die Lebenserwartung gestiegen ist und wie weit das Antrittsalter angehoben werden muss.
Also eine Automatik?
Griller: Ja, man muss es ja nicht jedes Jahr machen. Dass aber das Antrittsalter an der tatsächlichen demografischen Entwicklung aufgehängt ist, wäre schon wichtig.
Bartl: Aber das Pensionsantrittsalter anzuheben bringt sehr wenig, wenn die begleitenden Maßnahmen nicht passieren. Zum Beispiel steht im Regierungsprogramm ein Bonus-Malus-System für Unternehmen drin, weil ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einfach das Problem haben, dass sie aus der Firma rausgehaut werden, wenn sie älter werden. Das faktische Pensionsantrittsalter kann man zum Beispiel mit dem Bonus-Malus-System steigern. Da wehrt sich die Wirtschaft dagegen.
Warum tut sie das?
Griller: Ich glaube, dass das ein bisschen eine falsche Perspektive ist, dass es immer die Unternehmer sind, die Leute raushauen. Es gibt extrem viele Leute in Österreich, die in Wahrheit ab ihrem 25. Geburtstag schauen, wie lange sie noch brauchen, bis sie in Pension gehen können. Und die sehr wohl kalkulieren: Gehe ich in Frühpension oder warte ich bis zu meinem tatsächlichen Regelpensionsantrittsalter?
Bartl: Wenn, dann gehen sie mit hohen Abschlägen.
Griller: Ja, aber wenn du ein Malus-System hast, dann hat der Arbeitgeber auch noch eine Belastung dadurch, dass jemand ohnehin in Pension gehen möchte. Die Frage ist: Muss man die Unternehmer dafür bestrafen, dass offensichtlich Beschäftigung nicht immer bis zum Regelpensionsantrittsalter funktioniert?
Bartl: Ich würde die Gewichtung schon sehr stark auf die Arbeitgeber legen. Es gibt einen sehr starken Anreiz über das normale Regelpensionsalter drüber zu kommen, aber es geht de facto einfach nicht, weil die Beschäftigung nicht da ist und weil es der Gesundheitszustand in manchen Branchen nicht zulässt.
Kronberger: Was man bei dieser Debatte immer vergisst: Was ist mit den Leuten im Alter zwischen 20 und 30, die früher regulär zu arbeiten begonnen haben? Sprich sie haben eine Ausbildung gemacht und sie haben gearbeitet. Jetzt machen sie ein, zwei unbezahlte Praktika, dann ein Volontariat, dann haben sie einen freien Dienstvertrag für ein halbes oder Dreivierteljahr. Dann wird ihnen ein Werkvertrag in Aussicht gestellt, und wenn sie Glück haben, kriegen sie nach zwei, drei Jahren eine Anstellung. Eine Studie vom Wissenschaftsministerium zeigt, dass es bei 25 Prozent der Studierenden fünf Jahre dauert, bis sie in einem unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis sind, beim Durchschnitt dauert es drei Jahre. Gleichzeitig wissen wir von der Studierendensozialerhebung, dass die Leute durchschnittlich bis zum Alter von 27, 28 Jahren studieren. Wenn man jetzt drei bis fünf Jahre Praktika dazurechnet, dann sind die Leute Anfang, Mitte 30, bis sie beginnen können, ordentlich ins System einzuzahlen. Warum redet niemand davon, dass die Jungen am Anfang ihrer Erwerbskarriere so viele Jahre verlieren?
Griller: Das ist ein Problem, das vor allem in Dienstleistungsunternehmen auftaucht. In Industriebetrieben ist das normalerweise nicht so.
Kronberger: Eben nicht. Und was ist mit den Frauen, die Kinder bekommen, die weniger verdienen und zusätzlich auch die gesamte soziale Last des Staates tragen, wenn es um die Versorgung und Pflegearbeit von Familienangehörigen geht? Warum sollen die jetzt später in Pension gehen?
Griller: Das sind zwei verschiedene Sachen. Das eine ist, dass die Pension für die geleistete Arbeit ausreichend und fair sein sollte, auch für die Arbeit, die nicht so leicht quantifizierbar ist. Das andere ist die Frage, ob man deswegen forcieren sollte, dass Frauen früher in Pension gehen. Wo kommt der Grundgedanke dafür her?
Kronberger: Das ist der kleinste Ausgleich, der mir als Frau noch zusteht. Es sind die Frauen, die großteils die Kinder erziehen, die die Alten pflegen und die Nachbarschaftshilfe leisten. Gleichzeitig müssen sie arbeiten gehen, werden dafür diskriminiert, dass sie Teilzeit arbeiten, weil sie Betreuungspflichten haben, und dann sollen sie zusätzlich noch länger arbeiten?
Griller: Wie wäre es, wenn man den Ausgleich auf einer halbwegs gleichen Ebene führen würde, vor allem im Verhältnis der Gehälter miteinander?
Kronberger: Großartig. Sagt ihr bitte Ja zu verpflichtenden, nicht freiwilligen und transparenten Einkommensberichten.
Macht es sich die Industrie nicht zu leicht, wenn sie Verschärfungen fordert, aber keinen Beitrag leistet?
Griller: Ich verkaufe 95 Prozent meiner Produkte im Ausland, und alle meine Mitbewerber sitzen in anderen Ländern. Ich bin ein Unternehmer, der relativ viele Arbeitsplätze in Österreich hält und halten möchte. Nur bei jeder weiteren Belastung des Unternehmens, und wir sind im internationalen Vergleich ziemlich stark belastet, gefährden wir irgendwo einen Arbeitsplatz. Von mir aus führen wir weitere Belastungen ein, die die Unternehmen betreffen, aber es wird à la longue nicht vorteilhaft für die österreichische Wirtschaft sein.
Bartl: Du hast in Österreich eine sehr starke Produktivität. Deshalb wirst du dein Unternehmen in Österreich haben.
Verschlechtert ein höheres Pensionsantrittsalter die Jobchancen von Jungen?
Kronberger: Natürlich.
Bartl: In gewissen Bereichen schon, in anderen nicht. Wenn ich die Frühpension abschaffen oder stark einschränken würde, dann wäre es sicher der Fall, dass ein höheres Antrittsalter die Beschäftigung von den Jüngeren eher benachteiligen würde.
Griller: Es gibt schon Fälle, wo Unternehmen davon profitieren, wenn Leute länger im Job bleiben. Wenn jene, die nicht länger arbeiten wollen, länger bleiben und Innovationsprojekte übernehmen, bringen sie dem Unternehmen eigentlich so viel Wert, dass dadurch sogar Stellen entstehen können. Aber ist es nicht eigentlich ein Problem, dass unser System offensichtlich darauf abzielt, dass es den Leuten gut geht, die weit über 50 sind, und gleichzeitig bei Menschen unter 35 Wohlstand reduziert?
Bartl: Das ist jetzt ein bisschen die Neiddiskussion, in der man immer versucht, die Jungen gegen die Alten auszuspielen. Da gibt es ein komplett anderes Rezept. Zum Beispiel, indem man schaut, dass die Jungen mehr verdienen, raus aus dem Prekariat kommen, die Lebensverdienstkurve abgeflacht wird und es starke Lohnerhöhungen in den Klein- und Mittelbetrieben gibt, wo die große Beschäftigungsanzahl ist. Wir brauchen Leute, die Kaufkraft gewinnen, und über die Lohnerhöhungen lässt sich auch das Pensionssystem besser finanzieren.
Kronberger: Ja es stimmt, die Älteren profitieren vom System derzeit anders als die Jungen. Nein, ich führe es nicht auf eine Neiddebatte zurück, sondern auf Kurzsichtigkeit. Es ist aber schon eine Tatsache, dass wir einen Vertrauensschutz in Österreich haben. Das heißt, wenn wir jetzt über Pensionskürzungen diskutieren, wen betreffen die? Meine Mama ist schon in Pension. Wir sind jung und wir reden davon, dass wir uns selber etwas wegnehmen wollen. Und das unter dem Deckmantel „Generationengerechtigkeit“, das ist absurd.
Griller: Erstens geht es nicht nur um Leute wie uns, sondern auch um jene, die inzwischen in Pension gehen. Ziel sollte sein, das faktische Pensionsantrittsalter anzuheben. Das ist eine Kürzung der Pensionsbezugsdauer, aber es ist keine Kürzung im Monat. Es ist keine Gefährdung für Altersarmut, wenn du länger arbeitest, im Gegenteil, die letzten Verdienstjahre sind meist die einkommensstärksten. Zweitens denke ich eine Generation weiter. Ich habe selber kleine Kinder zu Hause, und ich möchte, dass auch die noch ein funktionierendes Pensionssystem haben.
Werden Junge bei dem Thema Pensionen gehört?
Griller: Nein.
Bartl: Die ältere Generation ist deutlich besser repräsentiert.
Kronberger: Ich persönlich bin für Quoten für Frauen, für Menschen mit Migrationshintergrund, für Junge und Alte auf allen Ebenen.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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Von Das Gespräch führte Katja Dämmrich für Arbeit&Wirtschaft.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/16.
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