Die doppelte Pfeilspitze aus Simmering

Im abz*austria liegt die Geschäftsführung schon seit 17 Jahren in den Händen von zwei Frauen. Ein Vorbild für andere Firmen, wie sie finden: Entscheidungen können schneller und nachhaltiger getroffen werden und spätestens die Generation Y fordere andere Arbeitszeit- und Führungsmodelle.

Für Manuela Vollmann und Daniela Schallert besteht kein Zweifel daran, dass es sich lohnt, eine Führungsposition zu zweit auszuüben. Top-Job-Sharing nennt sich das: Arbeitsteilung an der Spitze, im Falle der beiden Geschäftsführerinnen des abz*austria sogar in Teilzeit.

Die NGO setzt sich für die Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft ein, unterstützt Firmen unter anderem beim „Karenzmanagement“ oder bietet Weiterbildungen für Frauen an. Sitz der NGO ist in Simmering, das Büro der beiden Chefinnen liegt im dritten Stock. Die Tür steht offen und wenn man den Raum betritt, hat man die beiden, die vor den Fenstern an der Rückseite des Raums hinter ihren Schreibtischen sitzen, sofort im Blick. Während die eine sich mit Mitarbeiterinnen bespricht, sitzt die andere vor dem Computer und erledigt dort noch ein paar Dinge. Der Besprechungstisch steht an der Längsseite des Büros vor dem Schreibtisch von Manuela Vollmann, gleich hinter der Tür. Das Büro ist hell und freundlich eingerichtet. Manuela Vollmann ist für die Kommunikation nach außen und den Vertrieb zuständig, während Daniela Schallert sich um interne Themen wie Finanzen oder Personal kümmert. Frau Vollmann arbeitet Vollzeit, Frau Schallert zwischen 27 und 35 Stunden, je nach Bedarf. Dabei managen sie eine NGO, für die immerhin fast 100 Angestellte und 30 selbstständige MitarbeiterInnen arbeiten. Die beiden wirken wie ein sehr eingespieltes Team, sie ergänzen sich immer wieder, erzählen Anekdoten und legen dar, warum ihr Modell auch für andere Firmen ein Vorbild sein könnte.

Arbeitsteilung an der Spitze

Der Anfang von Top-Job-Sharing bei abz*austria ist eng damit verbunden, dass der Verein vor 17 Jahren auf einmal deutlich gewachsen ist. Manuela Vollmann war damals bereits Geschäftsführerin und suchte angesichts der vielen neuen Herausforderungen den Austausch – „um entscheidungsfähig zu bleiben“, wie sie rückblickend sagt. „Ich habe mir damals mit einer Kollegin ein Büro geteilt und bin draufgekommen, dass ich mit ihr Entscheidungen vorbespreche.“ Die Kollegin war Schallerts Vorgängerin Helene Schrolmberger, die immer mehr in Entscheidungen involviert war, obwohl das weder in Funktion noch in Bezahlung einen Niederschlag gefunden hatte. „Da habe ich sie gefragt, ob wir das nicht offiziell machen sollen“, berichtet Vollmann. So avancierte Schrolmberger zur zweiten Geschäftsführerin des abz*austria und übte diese Funktion zehn Jahre lang gemeinsam mit Manuela Vollmann aus, bis ihr Daniela Schallert im Jahr 2007 nachfolgte.

Sinn machte diese Arbeitsteilung an der Spitze erst recht, als Vollmann mit 42 Jahren überraschend noch einmal schwanger wurde. Durch die geteilten Führungsaufgaben konnte sie den Wiedereinstieg in ihre Führungsposition schrittweise gestalten, ohne sie ganz aufgeben zu müssen. „Wenn die Stelle nachbesetzt worden wäre, hätte ich nicht nach vier Monaten wieder zurückkommen können“, sagt sie. Manuela Vollmann ist davon überzeugt, dass auch größere Unternehmen gut beraten wären, sich solche Modelle zu überlegen, wenn sie schnell gut qualifizierte Frauen haben wollen, nicht zuletzt in Führungspositionen.

Teilzeitarbeit, aber anders

Nach den Vorteilen des Modells gefragt, zählt Vollman Punkte auf, die sonst oft als Argumente gegen Teilzeitarbeit angeführt werden, wie „Schnelligkeit der Entscheidungen“ oder „Druck rausnehmen“. Es sei nämlich nicht so, wie man landläufig glaube, dass die Koordinierung aufwändiger sei, betont Vollmann. Vielmehr müssten sie sich nur über die großen Linien und Strategien verständigen, an denen sich die Einzelentscheidungen immer orientieren.

Sehr bewusst haben sie auch ihr Büro entsprechend eingerichtet, um die Kommunikation zu erleichtern. Die Tische sind wie die Spitze eines Pfeils angeordnet und das hat auch einen Sinn, wie Daniela Schallert erklärt: „Allein schon über das Mithören eines Telefonats bekomme ich viel mit, oder auch wenn Kolleginnen dastehen und sich mit Manuela Vollmann besprechen.“ Entscheidungen wiederum können deshalb schneller getroffen werden, weil nicht immer beide Chefinnen im Büro sein müssen.

Vertrauen ist dabei ein Schlüsselwort. „Das muss sich natürlich gut einspielen, weil eine Konkurrenzsituation kann man da nicht haben“, hält Vollmann fest. Sie ergänzt: „Deshalb kommen wir immer wieder auf das Thema Macht zu sprechen: Wir wollen wohl Macht, aber wir teilen sie auch.“ Nicht zuletzt sei Top-Job-Sharing auch eine Möglichkeit, „Potenziale zu heben“, wie es Manuela Vollmann nennt. Gemeint ist, dass Personen in Führungsebenen befördert werden, ohne dass sie deshalb gleich allein ins kalte Wasser springen müssen.

Ein Beispiel dafür ist nicht zuletzt Daniela Schallert, da sie so die Chance bekam, in die Führung aufzusteigen: „Ich hatte damals eine zweijährige Tochter und eine Geschäftsführung alleine hätte ich nicht übernommen.“

Doppelter Boden

Es ist ein Vorbehalt, den beide in- und auswendig kennen: Wann sind Sie denn dann gemeinsam im Büro? Wann haben Sie Überschneidungen? Dem halten sie entgegen, dass es mit der Präsenz der Top-Manager oft nicht weit her ist: „Das ist ein altes Faktum, dass die Oberbosse sehr wenig physisch anwesend sind, etwa weil sie noch fünf Aufsichtsratsjobs nebenbei haben und vielleicht noch ein politisches Mandat“, so Schallert. In größeren Unternehmen gebe es außerdem StellvertreterInnen und Stabstellen, die den Chefs zuarbeiten, sodass sie eben nicht immer da sein müssen. Ein Argument gegen eine Doppel-Spitze sehen Schallert und Vollmann daher nicht. Im Zusammenspiel mit der zweiten Führungsebene lasse sich der Laden auch zu zweit schupfen. Auch das Argument der Doppelgleisigkeit lassen sie nicht gelten, vielmehr drehen sie es um: „Das ist ein doppelter Boden“, betont Schallert. „Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied“, ergänzt Vollmann. Denn wenn einer der beiden etwas zustieße, bliebe die Führung des Unternehmens trotzdem weiter gewährleistet.

VorreiterInnen

Es gibt inzwischen mehrere Betriebe, die sich mit Top-Job-Sharing beschäftigen und es auch schon praktizieren. Wenig überraschend sind es vor allem IT-Unternehmen, in denen Fachkräfte rar werden und die sich vor diesem Hintergrund intensiver um weibliche Arbeitskräfte bemühen, wie etwa IBM oder Microsoft. Auch bei der Rechtsanwaltskanzlei Northcote.Recht in Wien wird dieses Modell praktiziert.

Als anderes Beispiel nennt Manuela Vollmann den Konzern Unilever, bei dem sich zwei Mitarbeiterinnen die Leitung der Abteilung „Kapitalanlagen und Finanzen“ geteilt haben – und das schon vor bald zehn Jahren. Auch schon im Jahr 2005 findet man im Harvard Business Review einen Bericht von zwei Bank-Managerinnen, die sich ebenfalls eine Führungsaufgabe geteilt haben.

Die Motive der ManagerInnen für Job-Sharing sind bei Weitem nicht nur die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie auch die beiden abz-Geschäftsführerinnen Vollmann und Schallert betonen. Immerhin sei dies auch bei ihr nicht der Grund gewesen, so Vollmann, sondern vielmehr als zusätzlicher Vorteil hinzugekommen. Bei den beiden Unilever-Managerinnen etwa war die Motivation Altersteilzeit, die, ebenso wie die Übergabe der Aufgaben durch das Job-Sharing, sanft umgesetzt werden konnte.

Die Palette der Pro-Argumente ist breit: Demographische Entwicklung, Burn-out-Prävention, Pflege von Familienangehörigen, Auszeiten zum Zwecke der Weiterbildung, Förderung von Frauen in Führungspositionen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Generation Y, die immer stärker andere Vorstellungen von Arbeit und Freizeit hat. „Da sind innovative Ansätze zu Arbeits- und Führungsmodellen gefragt, um als Unternehmen attraktiv zu bleiben, gerade in jenen Branchen, wo Fachkräfte rar werden“, betont Daniela Schallert noch einmal, warum es auch für andere Unternehmen viel Sinn macht, sich aktiv mit diesem Thema zu beschäftigen.

abz Austria: www.abzaustria.at

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Von Sonja Fercher, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 09/13.

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