Entlastung gefällig? In Zeiten schwachen Einkommenswachstums freuen sich alle BürgerInnen über Steuersenkungen. So wurden die Einkommensteuern im Jahr 2016 um fünf Milliarden Euro gesenkt, dies brachte den Beschäftigten mit mittlerem Einkommen monatlich zwischen 70 und 100 Euro an zusätzlichem Nettoeinkommen.
Belastung statt Entlastung
Der Wahlkampf bringt nun weitere Vorschläge für Steuerentlastungen mit sich. Bei genauerem Hinsehen können sich diese jedoch als Belastungen für die BürgerInnen entpuppen. Den radikalsten Vorschlag hat ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz vorgelegt: Er will die Abgabenquote – also den Anteil der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge am Bruttoinlandsprodukt – auf unter vierzig Prozent senken. Dies würde eine Reduktion im Ausmaß von zehn bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Doch bei jeder Steuersenkung stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit.
Bei der Lohnsteuersenkung 2016 haben AK und ÖGB darauf gedrängt, das nicht über einen ungedeckten Scheck zu machen, sondern über konkrete Maßnahmen: unter anderem durch die Einführung einer Registrierkassen- und Belegerteilungspflicht, die Anhebung der Kapitalertragssteuer für Dividenden auf 27,5 Prozent und die Erhöhung des Spitzensatzes der Einkommensteuer auf 55 Prozent. Dazu kamen Reformen bei der Grunderwerbssteuer, und es wurden verschiedene steuerliche Ausnahmen abgeschafft.
Schmerzhafte Kürzungen wären nötig
Woher also soll das Geld für eine Steuersenkung kommen, die mehr als doppelt so groß ist wie jene aus dem Jahr 2016? Eine beliebte Antwort lautet: Bei der Verwaltung und bei Förderungen gibt es ein milliardenschweres Einsparungspotenzial. In der Tat wären Länder und Gemeinden von einem Einnahmenentfall in der Höhe von zehn Milliarden Euro merklich betroffen: Wien mit einem Ausfall von 400 Millionen Euro pro Jahr, Niederösterreich mit 300 Millionen und sogar das kleine Vorarlberg mit knapp 80 Millionen.
Nun ist eine bessere Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, was Zuständigkeiten, Verwaltungsabläufe und Förderungen betrifft, dringend notwendig. Doch die Kürzung von Förderungen bedeutet bei Krankenhäusern, Schieneninfrastruktur oder auch Bauerneinkommen erhebliche Leistungseinschränkungen. Alles kann effizienter werden und man kann da und dort Millionen sparen – doch Milliardenbeträge sind hier auf absehbare Zeit nicht zu holen.
Schwere Einschnitte unvermeidbar
Gottfried Haber, Budgetberater von Sebastian Kurz, und Franz Schellhorn, Leiter des neoliberalen Thinktanks Agenda Austria, schlagen eine andere Strategie vor: Die Staatsausgaben sollen nicht mehr mit der Wirtschaftsleistung wachsen, sondern real stagnieren. Um dieses Ziel erreichen zu können, wären schmerzhafte Einschnitte unvermeidbar. Das betrifft vor allem die Bereiche Soziales, Gesundheit und Bildung, die fast zwei Drittel der Staatsausgaben ausmachen.
- Pensionen: Die langfristigen Prognosen gehen davon aus, dass die Ausgaben für die Alterssicherung bis 2060 real etwa gleich stark wie die Wirtschaftsleistung wachsen und sich so bei 15 Prozent des BIP stabilisieren.
Dies ist angesichts des Anstiegs des Anteils der über 65-Jährigen von 18 auf 28 Prozent der Bevölkerung nur aufgrund von zwei bereits getroffenen Maßnahmen möglich: Weil das effektive Pensionsantrittsalter dank der Pensionsreformen steigt und die individuellen Pensionen nur noch mit der Inflationsrate erhöht werden, also sich real nicht erhöhen. Sollen nun zur Finanzierung der Abgabensenkung die staatlichen Pensionsausgaben insgesamt stagnieren, dann müssten die einzelnen Pensionen merklich gekürzt werden. - Gesundheit: Hier wurde politisch ein Kostendämpfungspfad vereinbart, der den Anstieg der realen Gesundheitsausgaben auf etwa ein Prozent pro Jahr begrenzt. Angesichts des Kostenanstiegs in der Medizintechnik und der Alterung der Gesellschaft ist das ambitioniert, kann aber durch Effizienzverbesserungen bislang eingehalten werden. Eine weitere Ausgabenkürzung zugunsten einer Abgabensenkung bedeutet Verschlechterungen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung.
Pflege: Wenn bei alternder Bevölkerung ein modernes Pflegesystem entwickelt werden soll, das allen Menschen – nicht nur den Reichen – eine qualitativ hochwertige Versorgung zu Hause und bei Bedarf auch im Pflegeheim garantiert, dann bedeutet das steigende Ausgaben für den Sozialstaat. Das wäre gut investiertes Geld für soziale Absicherung und sozialen Zusammenhalt. Es müsste gestrichen werden, um die Abgabensenkung zu finanzieren. - Bildung: Alle Volksschulen in Österreich kosten zusammen etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr. Vor allem „Brennpunktschulen“ mit besonders vielen sozial benachteiligten Kindern brauchen dringend mehr Personal und Geld. Zum Teil kann das mit Einsparungen bei Kleinstschulen und in der Verwaltung kompensiert werden. Doch die Bildungsausgaben müssen angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen langfristig steigen. Ein Ausgabenstopp zugunsten einer Abgabensenkung würde das verhindern.
Viele Krisenländer im Süden haben in den letzten Jahren kräftig bei öffentlichen Investitionsausgaben gekürzt, weil das kurzfristig am einfachsten ist. In Österreich investiert der Staat stabil rund zehn Milliarden Euro in die Modernisierung des Verkehrssystems, sozialen Wohnbau und öffentliche Gebäude – eben jene Summe, die bei einer radikalen Abgabensenkung fehlen würde. Ein Investitionsstopp fiele kurzfristig vielleicht gar nicht auf, doch auf Dauer ist er besonders schädlich: Eine wachsende Bevölkerung in den Ballungszentren braucht ebenso wie der Wirtschaftsstandort eine gute Infrastruktur.
Erfolg mit hoher Sozialquote
Österreich hat mit etwa 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die fünfthöchste Abgabenquote der EU, nach Belgien, Frankreich, Dänemark und Finnland, und es liegt gleichauf mit Schweden. Österreich weist mit rund 30 Prozent des BIP die vierthöchste Sozialquote der EU auf, nach Frankreich, Dänemark und Finnland, erneut liegt es gleichauf mit Schweden. Und Österreich hat mit fast 37.000 Euro die vierthöchste Wirtschaftsleistung pro Kopf zu Kaufkraftstandards, nach Luxemburg, Irland, den Niederlanden und knapp vor Dänemark, Deutschland und Schweden.
Offensichtlich gehen in Österreich – wie in den skandinavischen Ländern – wirtschaftlicher Erfolg und hohe Produktivität mit hoher Abgabenquote und hoher Sozialquote einher. Gesellschaften mit starker Wirtschaftskraft und hohen Einkommen setzen auf öffentliche Dienstleistungen mit hoher Qualität in der Infrastruktur ebenso wie bei sozialer Sicherheit und Bildung. Deshalb ist in reichen Ländern die Sozialquote höher als in armen und, um das zu finanzie-ren, auch die Abgabenquote. Eine radikale Senkung der Abgabenquote bedeutet unweigerlich auch eine radikale Kürzung der Leistungen des Sozialstaates. Sinnvoll wäre hingegen eine Umschichtung der Abgaben: von der Belastung der Arbeitseinkommen zur Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und ökologisch schädlichen Produktionsweisen.
Investieren statt kaputtsparen
Ein moderner Wohlfahrtsstaat funktioniert wie ein Rettungsring für Menschen in schwierigeren Lebenssituationen, etwa bei Krankheit oder im Alter. Gleichzeitig ist er Türöffner für die junge Generation, indem er ein hochwertiges Angebot an Bildung für alle bereitstellt. Dafür muss allerdings laufend in die Modernisierung des Wohlfahrtsstaates investiert werden – die Senkung der Abgabenquote bewirkt das genaue Gegenteil. Für die BürgerInnen wäre sie im Endeffekt keine Entlastung: Kürzt der Staat Leistungen bei Gesundheit, Bildung oder Pensionen, dann müssen diese privat und oft auf teurerem Weg bezahlt werden.
Blogtipp:
„Was jetzt wirtschaftspolitisch zu tun ist“:
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Von Romana Brait, Markus Marterbauer | Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.
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