Allein gegen den Klimawandel?

Illustration Natalia Nowakowska / Adobe Stock
Man muss nicht zur Panik neigen, nicht der sogenannten „Angstlust“ frönen, um die Klimakrise als unmittelbare und tatsächliche Bedrohung wahrzunehmen. Ein Gastbeitrag von Barbara Kaufmann.
Es gibt diesen Augenblick, in dem man realisiert, dass die Wirklichkeit die Filmrealität eingeholt hat. In dem Szenen aus dem apokalyptischen Untergangsdrama, das man vor vielen Jahren im Kino gesehen hat, zu Schlagzeilen in den Abendnachrichten werden. Nicht so perfekt inszeniert und fotografiert vielleicht, aber mit demselben Inhalt.

Dieser Augenblick ist längst vorbei.

Wer den Klimawandel noch leugnet, der hat wohl schon lange keinen Blick mehr aufs Zimmerthermometer geworfen, das in einer Juninacht in Wien im Schlafzimmer unbarmherzige 30 Grad anzeigt. Bei offenen Fenstern und Durchzug. Vielleicht hat er auch keine herzschwachen Verwandten im Heim, deren Pflegerinnen zusätzliche Ventilatoren für die Bewohner besorgen mussten. Weil an eine Klimaanlage beim Bau des Heims niemand gedacht hat. Er hat mit Sicherheit auch keine Freunde, die eben erst Eltern geworden sind und verzweifelt erzählen, dass das Neugeborene seit ein paar Nächten durchschreit. Weil es die Hitze so schlecht verträgt.

Sorgen ums Klima

Zwei Drittel der Deutschen sorgen sich laut einer aktuellen Reportage im Nachrichtenmagazin Der Spiegel ums Klima und in Österreich sieht es wohl ähnlich aus.

Die Menschen bekommen am eigenen Leib zu spüren, dass da etwas im Gange ist, das nicht gut enden wird. Und viele geben in Umfragen auch an, etwas tun zu wollen, um das Schlimmste zu verhindern. Aber was?

Die Politik kann sich offenbar international auf nichts einigen.

Die Politik, die sich offenbar international auf nichts einigen kann – im Fall des US-Präsidenten nicht einmal darauf, in welcher Wirklichkeit wir leben –, stößt in dieselbe Kerbe und appelliert mittlerweile ebenfalls vermehrt an die Eigenverantwortung der KonsumentInnen. Die immer gleichen Ratschläge werden gebetsmühlenartig wiederholt. Man kennt sie zu gut aus alten Broschüren von Umweltorganisationen aus den 1990er Jahren, die vergilbt in irgendeiner Kiste am Dachboden liegen. Man sollte Flugreisen tunlichst vermeiden und auf die Bahn umsteigen. Man sollte lieber weniger und regional kaufen, statt massenhaft importierte Ware zu hamstern. Man sollte das Auto öfter stehen lassen und stattdessen öffentlich fahren. Plastik in Form von Flaschen, Einkaufstaschen oder Verpackungsmaterial gehört gemieden, weil es unsere Meere zerstört. Beim Strom wäre es auch besser, den Anbietern von Öko-Strom den Vorzug zu geben. All diese Tipps scheinen auf den ersten Blick doch mit ein bisschen gutem Willen umsetzbar. Aber so einfach ist es nicht. Erst recht nicht, wenn die Politik die Verantwortung abgibt und die WählerInnen im Kleinen nun richten sollen, was die Politik im Großen seit Jahrzehnten weder national noch international hinbekommt. Wenn man mit Schuld und schlechtem Gewissen operiert, anstatt mit Taten zu überzeugen.

Kritischer Konsum vs. richtiges Angebot

Kritischer Konsum ist wichtig. Aber er ist in erster Linie eine Frage des Angebots, der Möglichkeiten und natürlich, das bleibt gerne unbeachtet, des Einkommens.

Selbst der bewusste Konsument stößt an seine Grenzen.

Selbst der bewusste Konsument stößt an seine Grenzen, wenn die Biotomaten in Zellophan verpackt sind, die Shampooflaschen der tierversuchsfreien Naturkosmetiklinie aus Plastik sind und auch die Biobäuerin am Markt den Salat und das Gemüse automatisch ins Plastiksackerl packt. Zumindest letzteres kann man verweigern.

Aber immer geht das nicht.

Wer in der Fußgängerzone von Rom auf der Suche nach Wasser in Glasflaschen ist, wird durstig bleiben müssen. So wie die Schülerin, die sich in der Kantine ein Mineralwasser kaufen möchte, der Pendler, der sich am Bahnhof abends eine Limonade aus dem Getränkeautomaten drücken will oder die Eltern, die am Magistrat auf die Impfung des Kindes warten und sich gegen die Müdigkeit einen schnellen Automatenkaffee genehmigen wollen. Alles Plastik, überall. Ganz ähnlich verhält es sich beim Take-Away-Lokal in der Mittagspause, beim schnellen Salat aus dem Supermarkt oder beim Lieferservice. In der Materialschlacht, die jede Bestellung unweigerlich mit sich bringt, ist der klassische Pizzakarton oft noch ein ökologischer Lichtblick. Ja, es gibt Lokale, die in umweltfreundlichem Papiergeschirr zustellen. Auch das sind eher die hochpreisigen.

Dann eben besser vorsorgen, sagt das schlechte Klima-Gewissen.

Dann eben besser vorsorgen, sagt das schlechte Klima-Gewissen. Das Kind und sich selbst rechtzeitig mit Getränken in der wiederbefüllbaren Trinkflasche eindecken, abends etwas vorkochen und im Tupperware-Geschirr zur Arbeit mitnehmen. Das ist zwar auch aus Plastik, aber wenigstens wird es wiederverwertet.

Auf Impulskäufe wie den schnellen Automatenkaffee wenn irgendwie möglich verzichten. Und gegen die Hitze in Rom in eine Kirche flüchten und zur Not das Weihwasser schlürfen.

Die Problematik des öffentlichen Verkehrs

So gut die individuellen Tipps gegen die Klimakrise gemeint sind, so gerne sie aktuell auch ungefragt weitergegeben werden, oft sind sie beim besten Willen nicht umsetzbar, weil es an Alternativen mangelt. Und das schon seit langem. Der öffentliche Verkehr am Land ist so ein Beispiel, das gerne übersehen wird. Der Schulfreundin, die nach der Matura den Bauernhof ihrer Eltern übernommen und in einen Vorzeige-Biobetrieb umgebaut hat, mangelt es nicht an ökologischem Bewusstsein. Im Gegenteil. Sie leistet seit Jahren erfolgreiche Überzeugungsarbeit in den umliegenden Gasthäusern und Betrieben, die erst durch viele Diskussionen und noch mehr Kostproben dazu gebracht werden konnten, einzusehen, dass das Bio-Gemüse, Obst und Fleisch etwas teurer ist als das aus dem Einkauf, aber dafür nicht nur besser schmeckt. Sondern auch der Umwelt gut tut.

Trotzdem haben sie und ihr Mann zwei Autos am Hof, mit dem sie ihre Kinder zur Schule, die kranke Schwiegermutter zum Arzt und die Bioware auf diverse Wochenmärkte führen. Lieber wäre es ihr auch, wenn es nur eines oder gar keines mehr wäre. Aber die nächste Busstation ist im Nachbarort, der 5 km entfernt ist, und auch dort kommt der Postbus nur zweimal am Tag vorbei. Frühmorgens und am Abend. Wenigstens, meint sie trocken, würden sie keine Flugreisen unternehmen. Weil sie ohnehin kaum Urlaub hätten vom Hof.

Immer wieder Doppelstandards bei der Klimadebatte

Immer wieder fallen einem bei der Klimadebatte Doppelstandards auf. Während kaum jemand auf die Idee käme, SpitzenköchInnen vorzuwerfen, dass sie Produkte wie eingeflogene Mangos für ihre Desserts verwenden, kritisiert man umso lieber jene, die billiges Gemüse aus Spanien im Diskonter kaufen. Die machen das aber selten, weil sie knausrig sind, sondern weil sie sich schlicht nichts anderes leisten können. Auch bei der Diskussion um die Notwendigkeit von Flugreisen sind immer wieder snobistische Untertöne durchzuhören. Nicht die Geschäftsleute, die so manchen Flug innerhalb Europas durch eine Videokonferenz ersetzen könnten, sind aktuell im Visier der zugespitzten Debatte. Sondern diejenigen, die im Sommerurlaub günstig in die Türkei oder nach Mallorca fliegen wollen, sollen sich schämen und darauf verzichten. Fliegen muss wieder teurer werden, lautet die an sich vernünftige Forderung. Doch wenn man das zu Ende denkt, dann werden Fernreisen wieder zum Privileg, das sich nur wenige gut verdienende leisten können werden. Reisen bedeutet jedoch weit mehr, als den Spaßfaktor zu bedienen. Es verändert die Perspektive, es macht offener und schafft Verständnis für andere Kulturen. Soll dies in Zukunft nur einer kleinen, wohlhabenden Elite vorbehalten bleiben? Fragen, die man auch stellen dürfen muss angesichts der aktuellen Debatten.

Für die wirklich großen Würfe darf man die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, die aktuell gerne den Ball an die KonsumentInnen weiterspielt.

Kritischer Konsum ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt in Richtung Klimabewusstsein. Aber für die wirklich großen Würfe darf man die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, die aktuell gerne den Ball an die KonsumentInnen weiterspielt, wohlwissend, dass diese zwar Druck aufbauen können, durch Demonstrationen, wie etwa die wichtige Fridays-for-Future-Bewegung vorzeigt, oder durch Wahlentscheidungen. Aber nicht die Konsumentin, der Konsument können das Bahnnetz ausbauen, die dafür notwendigen Milliarden investieren, Zugtickets günstiger machen, Kerosin besteuern, Forschungsgelder für Klimainnovationen zur Verfügung stellen. Das können nur die von ihnen gewählten Politikerinnen und Politiker. Es liegt an der Politik, endlich tatkräftig dafür zu sorgen, dass künftige Generationen ein faires ökologisches Erbe, eine lebenswerte Welt übernehmen können.

Über den/die Autor:in

Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann hat Drehbuch an der Wiener Filmakademie studiert und lebt als freie Autorin und Filmemacherin in Wien. Sie war langjährige freie Mitarbeiterin bei Ö1, leitende Redakteurin bei NZZ.at und Kolumnistin beim Kurier. Aktuell arbeitet sie als Autorin für den SWR2 Radioessay und als Dramaturgin und Drehbuchautorin an div Filmprojekten.

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