Gefangen in der Armutsspirale

In Österreich gehören ca. sechs Prozent der Erwerbstätigen – über 200.000 Menschen – zur Gruppe der sogenannten “working poor”, also zu jenen Personen, die nicht oder kaum von ihrem Einkommen leben können, obwohl sie regelmäßig arbeiten. Fast 90.000 von ihnen sind ganzjährig vollzeitbeschäftigt; überproportional betroffen sind Frauen, denn jede fünfte alleinerziehende Frau ist gemeinsam mit ihrer Familie trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet.

Frauen in 80 Prozent der Teilzeitjobs

Dass es dazu kommt, dass so viele scheinbar durch die Erwerbstätigkeit abgesicherte ArbeitnehmerInnen so wenig bzw. zu wenig verdienen, hat mehrere Ursachen. Gerade bei unselbstständig beschäftigten Frauen ist eine differenzierte Betrachtung nötig: Zwar gab es hier einen Beschäftigungszuwachs von 2008 bis 2010, dieser wurde aber nur durch den Anstieg von Teilzeitbeschäftigungen erreicht. Im gleichen Zeitraum sind rund 19.000 Vollzeitarbeitsplätze von Frauen gestrichen oder an männliche Kollegen vergeben worden.
De facto hat nur mehr rund die Hälfte der unselbstständig beschäftigten Frauen ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis – die andere Hälfte arbeitet (oft ungewollt) Teilzeit, Tendenz steigend. Über 80 Prozent der Teilzeitjobs werden von Frauen erledigt, ein deutliches Zeichen dafür, dass die österreichische Gesellschaft in Sachen Gleichstellung nach wie vor einen enormen Aufholbedarf hat. Dazu kommen noch ca. 33.000 Frauen in freien Dienstverträgen: Zwei Drittel von ihnen arbeiten unter der Geringfügigkeitsgrenze sowie viele in Umgehungsverträgen und damit im arbeitsrechtlich nicht geschützten Raum. Zahlreiche ArbeitgeberInnen beschäftigen ArbeitnehmerInnen im freien Dienstvertrag, da dieser durch den Wegfall aller arbeitsrechtlichen Bestimmungen deutlich billiger ausfällt. Jedoch sind diese Verträge häufig Umgehungen, das heißt, die ArbeitnehmerInnen müssten aufgrund ihrer Tätigkeit in einem regulären Arbeitsverhältnis stehen. Dass viele ArbeitnehmerInnen ihre Ansprüche oft jahrelang nicht geltend machen, hat einerseits mit der angespannten Arbeitsmarktlage zu tun, andererseits oft auch mit der “Branchenüblichkeit” und der damit einhergehenden Gefahr, in einer bestimmten Branche keinen Job mehr zu bekommen, wenn einmal auf die eigentlich zustehenden Rechte gepocht wurde. Junge ArbeitnehmerInnen wiederum kennen es oft gar nicht mehr anders, für sie sind Umgehungsverträge und/oder unbezahlte Praktika zur Normalität geworden, aus der hinaus der Blick auf bestehende Arbeitsrechte verstellt ist.
So zeichnet sich ein vielfältiges Bild von Gründen und Zuständen, infolge derer sich Menschen trotz Erwerbsarbeit selbst in einer Armutsspirale wiederfinden, aus der sie oft nicht herauskommen. Worum es also geht, ist ein Zusammenspiel von Niedriglohnsektor und Umgehungsvertrag, von Teilzeitarbeit und flexibler Arbeitskraft, mit Ausstrahlung auf den gesamten, eventuell noch gut geregelten Arbeitsmarkt. Kurz: um das Abwälzen des unternehmerischen Risikos auf die ArbeitnehmerInnen.

Umgehungsverträge häufen sich

Hier finden sich die teilzeitbeschäftigten Handelsangestellten, die fast ausschließlich Frauen sind, ebenso wieder wie der scheinselbstständige Zeitungskolporteur; Call-Center-Agents, die meist ohne ­Zuschläge in der Nacht und an Sonn- und Feiertagen ihren Dienst tun; die selbstständige Trainerin in der Erwachsenenbildung, deren Entscheidungsfreiheit darin besteht, ob sie für zwei oder drei Institute gleichzeitig ­arbeitet; ArbeitnehmerInnen in der ­Behindertenbetreuung oder in der Jugendarbeit; ArchitektInnen auf Werkvertragsbasis, mit Anwesenheitspflichten von 9.00 bis 19.00 Uhr; oder etwa die zuletzt gehörten freien MitarbeiterInnen des ORF, die nicht nur in Um­gehungsverträgen sind, sondern auch noch beschämend niedrig dafür entlohnt werden. Häufungen von Umgehungsverträgen – es kann nicht oft genug betont werden – gibt es nach wie vor in den sogenannten Frauenbranchen, ebenso in neuen Wirtschaftszweigen, in denen (noch) keine gewerkschaftlichen Strukturen vorhanden sind, und in solchen, in denen Selbstausbeutung üblich ist oder wo das zumindest suggeriert wird. Viele ArbeitnehmerInnen, und da geht es nicht nur Berufseinsteigerinnen und -einsteigern so, wissen auch zu wenig über das – zugegebenermaßen komplizierte – Arbeitsrecht Bescheid, um beurteilen zu können, ob ihr Arbeitsvertrag korrekt ist oder nicht. Durch die Umgehung werden ArbeitnehmerInnen meist um ihr Geld, immer aber um ihre Rechte gebracht. Rechte, die ihnen nicht nur zustehen, sondern auch zu ihrem Schutz geschaffen wurden.
Vor allem freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen in Umgehungsverträgen fallen um alle Schutzbestimmungen aus dem Arbeitsrecht ersatzlos um, egal ob es sich dabei um Arbeitszeitgesetz, Arbeitsverfassungsgesetz, Urlaubs- oder Mutterschutzgesetz handelt, um nur ein paar der fehlenden Bestimmungen aufzuzählen.

Mutterschutzgesetz gilt nicht

Gerade aber beim Mutterschutzgesetz wird klar, wie sehr Frauen in Umgehungsverträgen durch das fehlende Arbeitsrecht benachteiligt werden: Das Mutterschutzgesetz ist deswegen eine bedeutende gewerkschaftliche Errungenschaft, weil es schwangere Arbeitnehmerinnen arbeitsrechtlich absichert und die Gesundheit von Mutter und Kind auch im Arbeitsverhältnis gewährleistet. Für ca. 11.000 unselbstständig beschäftigte freie Dienstnehmerinnen, die über der Geringfügigkeitsgrenze verdienen, gilt dieses Gesetz jedoch nicht, und das obwohl die allermeisten von ihnen bei Einklagung des Dienstverhältnisses auf einen sogenannten Normalarbeitsvertrag ihre Klage gewinnen würden.
Daraus ergeben sich eine Vielzahl von direkten Benachteiligungen: Es gelten weder Arbeitszeitgesetz noch Nachtarbeitsverbot, nicht Sonn- und Feiertagsverbot oder Überstundenverbot; zudem besteht weder Kündigungs- noch Entlassungsschutz. Dazu kommen weitere, sich indirekt ergebende Benachteiligungen: Während schwangere Angestellte bzw. Arbeiterinnen das Recht haben, alle relevanten ärztlichen Untersuchungen in ihrer Arbeitszeit zu erledigen sowie nach ihren Bedürfnissen Pausen einzulegen, gilt das für freie Dienstnehmerinnen nicht. Geringere Arbeitszeit aufgrund von Krankenstand, Arztbesuchen, längeren Pausen bedeutet hier eine sofortige Reduktion des Einkommens. Das gilt deshalb auch für Krankenstandstage, weil freie Dienstnehmerinnen erst ab dem vierten Tag Krankengeld von der Gebietskrankenkasse erhalten, und dann auch nur 50 Prozent. All das führt zu vermindertem Gehalt in der Schwangerschaft und in der Folge zu weniger Wochengeld und weniger einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld. Somit ist ein Einkommensverlust auf Monate und Jahre unvermeidlich und vorprogrammiert. Die Situation verschärft sich aber nochmals, wie ein Blick in die Statistiken zeigt: Tatsäch-lich beziehen ca. 30 Prozent der freien DienstnehmerInnen in einem Jahr ­Wochengeld, bei den anderen unselbstständig erwerbstätigen Frauen jedoch nicht einmal ein Prozent. Daher sind freie Dienstnehmerinnen mehr als überproportional vom fehlenden Mutterschutzgesetz und den sich daraus ergebenden Benachteiligungen betroffen.

Jetzt unterschreiben!

Wir, als GPA-djp, fordern daher sehr vehement die Einbeziehung von freien Dienstnehmerinnen in das Mutterschutzgesetz. Dieses Gesetz muss für alle unselbstständig beschäftigten Arbeitnehmerinnen gleichermaßen gelten, unabhängig vom Arbeitsvertrag!
Unterstützen Sie mit Ihrer Unterschrift die längst überfällige Forderung nach arbeitsrechtlicher Gleichstellung für freie Dienstnehmerinnen – eine Unterschriftenpetition finden Sie auf unserer Homepage unter tinyurl.com/79t4236.

Internet:
Die work@flex bietet Information und Beratung zu allen arbeits- und steuerrechtlichen Fragen für freie DienstnehmerInnen und ­WerkvertragsnehmerInnen. Informationen unter:
www.gpa-djp.at/flex 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
andrea.schober@gpa-djp.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Von Andrea Schober (GPA-djp, work@flex)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 03/2012.

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Über den/die Autor:in

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