2021: Alle zwei Wochen eine tote Frau

Inhalt

  1. Seite 1 - Femizide als strukturelles Problem
  2. Seite 2 - Unzureichender Gewaltschutz in Österreich
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Das Ausmaß der Gewalt an Frauen in Österreich ist gravierend und im internationalen Vergleich auffallend hoch. Auch Behördenversagen trägt dazu bei. Frauenorganisationen fordern mehr Budget – und sie bezweifeln, dass die neue Regelung über Nacht aus gewalttätigen Gefährdern neue Menschen zaubert.

Sechs Stunden – und dann?

Seit September ist das neue Gewaltschutz-Paket in Kraft. Nun müssen sich Männer, die eine Wegweisung erhalten haben, einem verpflichtenden, sechsstündigen Beratungsgespräch stellen. Allein in den ersten acht Wochen habe das 1.700 Fälle betroffen, so der Verein Neustart, dem in sechs von neun österreichischen Bundesländern die Zuständigkeit obliegt. Frieben ist skeptisch: „Da hat ja die Tat bereits stattgefunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der zu Hause seine Frau misshandelt, schlägt oder vergewaltigt nach sechs Stunden plötzlich sein Verhalten ändert.“ Was gänzlich fehle: Gefährdungseinschätzungen. Die wurden unter FPÖ-Innenminister Kickl abgeschafft.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der zu Hause seine Frau misshandelt, schlägt oder vergewaltigt nach sechs Stunden plötzlich sein Verhalten ändert.

Klaudia Frieben, PRO-GE-Frauenvorsitzende und Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings

Für diese Täterbetreuung wurden knapp 25 Millionen Euro bereitgestellt – Geld, das bei den Opfern fehlt. Die Frauenvereine fordern geschlossen die Einhaltung der Istanbul-Konvention, das entspräche 228 Millionen Euro und 3.000 Arbeitsplätzen in der Gewaltprävention. „Man muss sich das vorstellen: Auf eine Beraterin kommen in Wien derzeit 300 gewaltbetroffene Frauen. Und auch pro Frauenhaus bräuchte es vier zusätzliche Arbeitskräfte.“ An Frauenhäusern und ähnlichen Zufluchtsstätten fehle es generell. Und auch die Corona-Lockdowns haben die Lage verschärft. „Viele Frauen konnten währenddessen nicht ins Frauenhaus flüchten, weil die Männer immer daheim waren. Allerdings: Die Frauen-Helpline hatte um 40 Prozent mehr Anfragen.“

26 Frauen. Seit Jänner. Was kann man selbst tun, wenn man beispielsweise Anzeichen von Gewalt bei einer Arbeitskollegin entdeckt? Frieben: „Beratung und Hilfe aufzeigen. Die Frauen-Helpline ist eine erste Anlaufstelle. Und wenn einer nicht nach Telefonieren ist, gibt es Helpchats. Diese Nummern muss man einfach immer wieder nennen.“ Daher an dieser Stelle zum Mitnotieren: 0800-222 555. „Worte des Bedauerns bringen uns nicht weiter“, meint Klaudia Frieben. Und sie fügt noch einen Satz an: „Wo ist eigentlich die Frauenministerin?“

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Über den/die Autor:in

Anja Melzer

Anja Melzer hat Kunstgeschichte, Publizistik und Kriminologie in Wien und Regensburg studiert. Seit 2014 arbeitet sie als Journalistin und Reporterin für österreichische und internationale Zeitungen und Magazine. Seit März 2020 ist sie Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft.

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