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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1450321202952 AK: Starke Bildungsvererbung in Österreich Nach wie vor schließen hauptsächlich Kinder von AkademikerInnen ein Hochschulstudium ab. Bei den Chancen auf Aufstieg durch Bildung, der sogenannten Aufwärtsmobilität, reiht die OECD Österreich in ihrem kürzlich veröffentlichten Bildungsvergleich ganz weit hinten. „Wir müssen bei der Bildung alle mitnehmen“, fordert AK-Präsident Rudi Kaske.
Zum anscheinend explosionsartigen Anstieg des Anteils der AkademikerInnen an der Bevölkerung in Österreich, der sich auf den ersten Blick ergibt, sagt Kaske: „Wir dürfen uns nicht täuschen lassen.“ Ohne berufsbildende Schulen liegt der Anteil der AbsolventInnen von Hochschul-Studien nach wie vor um mehr als ein Drittel unter dem Schnitt der OECD-Länder.

Kaske fordert zusätzlich zum jüngsten Bildungskompromiss der Bundesregierung eine gesamtnationale Bildungsstrategie: „Alle brauchen ihre Chance auf bestmögliche Bildung. Vor allem muss Schluss sein damit, dass Bildung vererbt wird.“ In der gesamtnationalen Bildungsstrategie müssen weitere Schritte enthalten sein, damit kein Talent auf dem Weg zur bestmöglichen Bildung und Ausbildung verloren geht. Es sei ein Erfolg, dass jetzt das zweite Gratis-Kindergartenjahr kommen soll.
Als nächster Schritt ist dem AK-Präsidenten eine soziale Schulfinanzierung wichtig: Die Schulen sollen umso mehr Mittel bekommen, je mehr SchülerInnen sie haben, denen die Eltern selbst nicht beim Lernen helfen können.

Infos unter: tinyurl.com/powju9e

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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716409093 "Nicht zuletzt" ... Lohnender Kampf für ein gutes Leben Es gibt Ratgeber und Rezepte für alles und jedes – für eine gute Erziehung, eine geglückte Partnerschaft, die optimale Ernährung usw. Trotz dieser vielen Rezepte klappt das mit dem „guten Leben“ nicht so recht.
Obwohl es mehr Wissen über individuelles Lebensglück gibt als je zuvor, leiden auch mehr Menschen als je zuvor unter Zukunfts- und Existenzängsten. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass die meisten dieser „Glücksratgeber“ am Individuum ansetzen und der Blick auf die gesellschaftliche und materielle Basis fehlt. Mich interessiert aber vor allem dieser Blick.

Frei von Angst

Ein Leben, das möglichst frei von Angst ist und in dem ich mich durch sinnvolle Tätigkeit verwirklichen kann, ist wohl die wichtigste Basis für ein gutes Leben. Angst muss man dann nicht haben, wenn Frieden herrscht und es keinen Terror gibt.
Angst muss man dann nicht haben, wenn man selbst und die Menschen, die man liebt, darauf vertrauen können, dass man das Leben nach seinen Vorstellungen gestalten kann. Angst muss man dann nicht haben, wenn man darauf vertrauen darf, dass auch die Kinder und Enkelkinder in einer lebenswerten Welt leben werden. 

Solidarisches Handeln

In Österreich gilt das immer noch für sehr viele Menschen. Dazu trägt auch unser moderner Sozialstaat bei. Dennoch macht sich auch bei uns – und das nicht nur bei den ärmsten und in prekären Verhältnissen Lebenden – eine massive Lebensangst breit. Eine Wurzel dieser Lebensangst war und ist die Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich zunehmend zu einer politischen Systemkrise auswächst. Dazu kommt, dass so viele Menschen wie schon lange nicht mehr vor Krieg und Verfolgung und auch vor den Folgen des Klimawandels flüchten.
Der Anspruch auf ein gutes Leben muss auch für die Menschen, für die Not und Angst ständige Lebensbegleiter sind, gelten.
Die Bedürfnisse und Sehnsüchte nach einem guten Leben stellen heute auch einen der wichtigsten Rohstoffe zur weiteren Profitvermehrung dar. Gerade die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten, in unser Privatleben einzudringen und unsere Lebensgewohnheiten für neue, gewinnbringende Geschäftsmodelle zu nutzen.
Bedürfnisse und Sehnsüchte sind aber auch der Rohstoff für solidarisches politisches Handeln, weil sehr viele Menschen sehr konkrete Vorstellungen von und Sehnsucht nach einer besseren Welt haben.
Die Krisenfolgen und die größer werdende Lebensangst sollten uns daher nicht in Agonie und Hoffnungslosigkeit treiben. Wir müssen unseren Blick auf jene Ungerechtigkeiten und Missstände lenken, auf denen man politisches Handeln aufbauen kann.
Letzten Endes geht es wie immer um Verteilung des im Übermaß vorhandenen Reichtums. Und auch die Arbeitsbelastung und damit die Arbeitszeit sind ein wichtiges Feld für politisches Handeln. Die Bedürfnisse der Menschen nach Selbstverwirklichung, nach Gesundheit und Glück stehen im Widerspruch zu einer unglaublichen Arbeitsverdichtung. Gleichzeitig haben Hunderttausende keine Arbeit. Es geht also auch um die Verteilung bezahlter Arbeit – und daher um Arbeitszeitverkürzung.

Gerechte Verteilung

Letztendlich ist der Kampf um ein gutes Leben immer ein Kampf um die gerechtere Verteilung der Ressourcen und damit Lebenschancen.
Denn eines ist sicher: Mit dem derzeit angehäuften Reichtum wäre ein gutes Leben für sehr viel mehr Menschen als jetzt nicht nur Utopie, sondern eine reale Möglichkeit. Dafür zu kämpfen ist eine lohnende Aufgabe.

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Dwora Stein, Bundesgeschäftsführerin der GPA-djp und Vizepräsidentin der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716409049 Frisch gebloggt blog.arbeit-wirtschaft.at.]]> Webtipps der Woche

Wir legen ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Warum die AkademikerInnen-Quote plötzlich um 10 Prozentpunkte in die Höhe schoss (Iris Schwarzenbacher)
  • Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen doch zulässig? (Walter Gagawczuk)
  • Widerstand der digitalen ArbeiterInnen (Markus Ellmer)

Wunderbare Statistikwelt
Es war ein Zuwachs, der diese Bezeichnung verdient: Die AkademikerInnen-Quote schnellte in Österreich innerhalb eines Jahres von 20 auf 30 Prozent in die Höhe. Zumindest kam die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2015“ zu diesem erstaunlichen Ergebnis. Scheinbar ein beachtlicher Erfolg für die Akademisierung dieses Landes.
Doch wie so oft bei solch dramatischen Veränderungen der Zahlen ist Skepsis angezeigt. Schließlich können wohl kaum plötzlich um die Hälfte mehr Menschen ein Studium abgeschlossen haben als noch vor einem Jahr. Und richtig, nicht eine reale Veränderung steht dahinter, sondern eine neue Definition der Bildungsebenen (ISCED). Damit zählt nun die Matura an einer HTL oder HAK wie ein Hochschulabschluss.
Diese neue Einteilung lässt auch die soziale Durchlässigkeit an Hochschulen in einem besseren Licht erscheinen. Es besteht dabei jedoch die Gefahr, dass ISCED-Umstellungseffekte als tatsächliche Entwicklungen fehlinterpretiert werden.
Denn bei der sozialen Mobilität besteht weiterhin großer Aufholbedarf: So ist die Chance zur Aufnahme eines Universitätsstudiums für Kinder bildungsnaher Schichten (Eltern haben mindestens Matura) dreimal so hoch wie für Kinder mit Eltern ohne Matura.

Lesen Sie mehr: tinyurl.com/gu82vqk

Mindestlohn erlaubt
Löhne und Gehälter sind ein gewerkschaftliches Kernanliegen. Das Einhalten einer Untergrenze, sprich Mindestlohn, ist dabei unverzichtbar. Der Europäische Gerichtshof war bei diesem Anliegen nicht immer hilfreich. Noch im Jahr 2008 hat er in einer Entscheidung befunden, dass bei öffentlichen Bauaufträgen eine Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohnes nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Ein Schlag in die Magengrube der Gewerkschaftsbewegung.
Nun scheint sich der EuGH besonnen zu haben. In einer neuen Entscheidung hat er eine ähnliche Regelung als mit dem Unionsrecht vereinbar beurteilt. Argumentiert wird der Sinneswandel mit den anderen Umständen des neuen Falles, es deutet jedoch einiges auf eine grundsätzliche Kurskorrektur hin. Insofern gibt es einen sozialen Lichtschein am Horizont des EU-Himmels.

Lesen Sie mehr: tinyurl.com/zhnydr2

Digitale Interessenvertretung
Es ist ein Thema, das uns nicht nur auf dem Blog immer öfter beschäftigt: Online-Vermittlungsplattformen für die digitale Arbeit, mittlerweile fast besser bekannt als „Crowdwork“.
Amazon Mechanical Turk (AMT) ist eine der weltweit größten dieser Art. Laut Angaben von Amazon sind derzeit ca. 500.000 ArbeiterInnen – sogenannte „TurkerInnen“ – aus 190 Ländern registriert. Dabei ist AMT so konstruiert, dass sich wesentliche Informations- und Machtungleichgewichte zulasten der dort Beschäftigten ergeben.
Arbeitsrechtlich ist die Problematik äußerst schwer zu fassen, nicht nur wegen der riesigen Zahl der betroffenen Staaten, sondern auch wegen des unklaren Status der Beschäftigten. Aber jetzt setzen die TurkerInnen dazu an, das Ungleichgewicht mit digitalen „Waffen“ zu bekämpfen.
Mittels Turkopticon, einem simplen Web-Tool, nehmen die digitalen ArbeiterInnen kollektiv Einfluss auf die Plattformfunktionen. Durch ein Bewertungssystem setzen sie sich gemeinsam für mehr Fairness und Gerechtigkeit ein. Dieses Beispiel zeigt, dass es auch in der virtuellen Welt Anknüpfungspunkte für Solidarität und das Einstehen für gemeinsame Interessen gibt.

Lesen Sie mehr: tinyurl.com/hpm48ts

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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716408997 Versuchslabor SOZAK Die Hoizhittn GmbH ist ein kleines, aber feines Unternehmen. Im Frühsommer 2015 beschließt es allerdings, seinen Standort in Retz im Waldviertel zu schließen. Die Hoizhittn GmbH gehört eigentlich zum internationalen Konzern Wutpecka AG, und der Standort im Waldviertel schrieb durchwegs schwarze Zahlen. Noch bevor jedoch die schlechten Nachrichten an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kommuniziert werden konnten, platzt die Personalchefin in das Büro des Geschäftsführers Peter Hamlich und konfrontiert ihn mit den Schließungsgerüchten, die bereits im Betrieb kursierten. Hamlich, der das Klischee eines profitorientierten Unternehmers erfüllt – hervorragende Ausbildung an renommierten Universitäten, aber kein Funken Empathie im Leib –, spielt die Situation herunter, schließlich würde ja nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und bittet zu einem Gespräch mit dem Betriebsrat, bei dem die Personalchefin ihn unterstützen soll …

Falls Sie sich gerade wundern, was Sie da lesen, und bevor Sie noch Google nach der Hoizhittn GmbH befragen, weil Sie von dieser noch nie etwas gehört und gelesen haben: Die Hoizhittn GmbH exisitiert ebensowenig wie deren Mutterkonzern Wutpecka AG. Es handelt sich um fiktive Unternehmen und Personen, die diesen Herbst trotzdem eine große Rolle spielten – und zwar an der Sozialakademie Wien.

Zusammenhänge erkennen

Die Aufgabe der Sozialakademie ist es, ihren TeilnehmerInnen jene Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, die für eine kompetente und effiziente Vertretung von den Interessen der ArbeitnehmerInnen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene erforderlich sind. Die Sozialakademie dient als höchste Stufe der gewerkschaftlichen Bildung der Ausbildung von Führungskräften der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen.
Absolventen und Absolventinnen der SOZAK finden sich in der Rolle einer Schnittstelle und eines Übersetzers/einer Übersetzerin wieder. In der Sozialakademie lernen und vertiefen sie ihr Wissen über die verschiedensten Themengebiete, die BelegschaftsvertreterInnen kennen müssen: Arbeitsrecht, Betriebswirtschaftslehre, Kommunikation und der Umgang mit Medien, aber auch Krisenmanagement. Die Herausforderung ist es jedoch, die komplexen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Themengebieten zu verstehen, anzuwenden und vor allem auch kommunizieren zu können.
Um den TeilnehmerInnen einen „Vorgeschmack“ auf ihre künftigen Herausforderungen zu geben und ihre Fertigkeiten zu trainieren, schufen Brigitte Daumen und Georg Sever von der SOZAK-Lehrgangsleitung ein eigenes Modul, den sogenannten SOZAK-Praxisfall. Dieser findet am Ende des Lehrgangs statt, in einer Woche sind die TeilnehmerInnen herausgefordert, ihr erworbenes Wissen laufend und oft spontan abzurufen und im Rahmen der Übung korrekt anzuwenden. „Die Sozialakademie ist quasi ein Versuchslabor, in dem die Teilnehmerinnen Handlungsweisen austesten und trainieren können, damit sie diese dann im echten Leben in den Betrieben auch gut anwenden können“, sagt Georg Sever von der SOZAK-Lehrgangsleitung. Gerald Mjka, Betriebsratsvorsitzender des Wiener Krankenhauses Zum Göttlichen Heiland, erinnert sich gerne an die stressige, aber sehr lehrreiche Zeit zurück. „Die Zeit während des Praxisfalls war sehr intensiv. Wir erhielten die Aufgaben am Ende unserer Ausbildung, in einer Phase, in der wir alle schon recht müde waren. Der Praxisfall war sehr fordernd und verlangte unsere gesamte Konzentration, vor allem, wenn es um Organisation und Kommunikation ging.“

Interviews und Bilanzanalysen

Im Rahmen des Praxisfalles wurden die TeilnehmerInnen in verschiedenste Gruppen eingeteilt, die jeweils Betriebsratskörperschaften des fiktiven Betriebs Hoizhittn GmbH darstellen. In diesem konkreten Fall sollte die Hoizhittn GmbH als Unternehmensstandort in der strukturschwachen Region Retz trotz guter Umsätze und Gewinne geschlossen werden.
Die Belegschaft, dargestellt von Brigitte Daumen, Georg Sever, Brigitte Hons von der GPA-djp-Bundesrechtsabteilung sowie Markus Oberrauter von der Abteilung Betriebswirtschaft der Arbeiterkammer Wien, stellte konkrete Anfragen, auf die die BetriebsrätInnen augenblicklich reagieren mussten. Bei den Anfragen ging es um Entlassungen, Kündigungen, Anfragen von Karenzierten, Bilanzanalysen oder um die korrekte Abhaltung von Betriebsratssitzungen sowie Betriebsversammlungen. Auch mussten die TeilnehmerInnen Interviews simulieren, die sie verschiedensten Medien geben mussten. Hier wurden sie von Barbara Trautendorfer von der PRO-GE-Medienabteilung und Cornelia Breuß von der Abteilung Service und Information der Arbeiterkammer Wien trainiert.
Daneben mussten sie auch mit der Personalchefin, die von Helga Fichtinger aus der GPA-djp dargestellt wurde, sowie mit der Geschäftsführung, gespielt von Heinz Leitsmüller, Leiter der Betriebswirtschafts-Abteilung der AK Wien, Sozialplanverhandlungen führen. Die Geschäftsführung wurde zudem noch von einem Rechtsanwalt (aka Silvia Hruska-Frank von der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien) unterstützt, sodass auch noch das Rechtswissen der SOZAK-TeilnehmerInnen abgeprüft wurde.
Gerald Mjka und seine KollegInnen sahen sich plötzlich mehreren Herausforderungen gegenüber, die sie bewältigen mussten. So mussten sie innerhalb kürzester Zeit eine Team- und Kommunikationsstruktur aufbauen. „Wir wussten nicht, wie lange das dauert und welche Ausmaße der Fall annimmt, daher war es sehr schwer für uns“, sagt Mjka. „Es war die größte Herausforderung, ein Team und eine Struktur aufzubauen, damit alles reibungslos funktioniert. Zudem mussten wir Entscheidungsprozesse festlegen und durchhalten.“
Um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, wurden auch spezielle Situationen mit MitarbeiterInnen simuliert – was passiert mit Mitarbeiterinnen, die in Karenz sind? Eine Herausforderung war der Fall von „Rolli Wiel“, einem Mitarbeiter mit einer Behinderung und verminderten Erwerbsfähigkeit von 80 Prozent. Er hätte nur noch zwei Jahre bis zur Pension und wäre bereit, bei einer eventuellen Weiterbeschäftigung auf Teile seiner Abfertigung zu verzichten … „Es war eine Herausforderung, auch die individuellen Sorgen der Arbeitnehmer genauso ernst zu nehmen und nicht untergehen zu lassen“, sagt Mjka.

Strategien entwickeln

Georg Sever erklärt die Schwierigkeiten der Übung so: „Neben der Beantwortung inhaltlicher Fragestellungen mussten in vielen Bereichen Strategien entwickelt werden. Was kann zum Beispiel von einzelnen Themenverantwortlichen alleine entschieden, aber was in der Gruppe rückbesprochen werden? Welche Vorgangsweise wählt man bei der Beschaffung von Informationen? Wie legt man die Kommunikation mit den Medien an? Welche Strategie verfolgt die Körperschaft bei der Verhandlung mit der Personalchefin? Wie gehe ich strategisch beim Gespräch mit dem Geschäftsführer vor?“
Nach jeder Übungs- bzw. Verhandlungssequenz sowie den jeweiligen Medieninterviews wurde eine Feedbackrunde eingelegt, in denen die FachexpertInnen mit den TeilnehmerInnen deren Vorgangsweisen besprachen. Sie hoben ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen hervor und gaben Ratschläge, wie sie die Schwächen ausgleichen konnten.
Zudem wurden Praxistipps und Tricks für Verhandlungen und Interviews vermittelt. „Außerdem wurde immer darauf hingewiesen, wo BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen in der Praxis mit derartigen Situation konfrontiert sind“, ergänzt Georg Sever. Gerald Mjka ist froh und dankbar, die Möglichkeit gehabt zu haben, ein Worst-Case-Szenario durchspielen zu können. „Der ganze Prozess war hervorragend aufgebaut. Wir wuchsen in unsere Rollen hinein und konnten uns letztendlich mit ihnen sogar voll und ganz identifizieren. Herzlichen Dank an die Organisatoren, die so etwas Großartiges auf die Beine gestellt haben.“ Vielleicht geht Mjkas Wunsch noch in Erfüllung: dass der Praxisfall nicht nur fix in den SOZAK-Lehrplan integriert, sondern auch separat gelehrt wird.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1450321203245 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407696 "Das Arbeitsleben hat sich ebenso sehr verändert!" Angesichts jahrzehntelanger neoliberaler Hegemonie, gekennzeichnet durch die eklatante Zunahme von Einkommensunterschieden, sozialer Unsicherheit und gesellschaftlicher Krisen, stellt sich die Frage nach „gutem Leben“ neu. Wie spiegelt sich „gutes“ oder „besseres Leben“ eigentlich in den Erinnerungen von ArbeitnehmerInnen wider? Werden Veränderungen in den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen autobiografisch reflektiert und wenn ja, wie?

Individuelles Erleben

Für das Buch „Arbeit ist das halbe Leben“ wurden ArbeitnehmerInnen gebeten, über den von ihnen subjektiv erlebten Wandel der Arbeitswelt seit 1945 zu erzählen. In diesen Erinnerungstexten erzählen ArbeiterInnen und Angestellte, Beschäftigte in Dienstleistungs- und Pflegeberufen und LehrerInnen über ihre Berufslaufbahn. Der Zeitraum der Erzählungen erstreckt sich vom Beginn der Lehrzeit über den Beruf bis hin zum Pensionsantritt. Es stehen nicht allein Fakten im Vordergrund, sondern vor allem das individuelle und persönliche Erleben, also auch jener Handlungsspielraum, in dem Hoffnungen/Enttäuschungen, Erfolge/Frustrationen, Glücksmomente/Ängste, Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit, aber oft auch der Zufall einen breiten Raum einnehmen. Die lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen zeigen deutlich, dass die Art der beruflichen Tätigkeit und der damit einhergehende Rhythmus neben familiären, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen die Lebensrealität und die Lebensqualität nachhaltig bestimmen: Arbeitsbeginn, Arbeitszeit, Arbeitsumfeld, Arbeitsgestaltung, Arbeitsende und Arbeitswege sind dabei ebenso entscheidende Faktoren. Dabei wird auch immer direkt oder indirekt auf die durch die Gewerkschaften erkämpften sozialpolitischen Erfolge hingewiesen, die in der retrospektiven Lebensbetrachtung eine deutliche Veränderung im Arbeits- und Alltagsleben der Erzählenden bewirkten.
Konnte noch für die 1950er-Jahre festgestellt werden, dass die Arbeitseinkommen „in diesen Jahren noch in hohem Maße für die Deckung der elementarsten Lebensbedürfnisse“ aufgingen, so schrieb ein Handelsangestellter über die beginnenden 1960er-Jahre: „Die Verhältnisse hatten sich geändert, die ökonomischen Bedingungen waren andere geworden. Urlaubsreisen, meist nach Italien, lösten die sogenannte Sommerfrische ab. Mehr Menschen – das zeigte sich am Abend bei den täglichen Kassenkontrollen – gaben für Lebensmittel mehr Geld aus.“ Der damit verbundene Aufschwung schlug sich in der Lebensrealität des jungen Angestellten nieder: „Auch ich konnte mir mein erstes Moped, ein aus dem Fuhrpark der Firma ausgeschiedenes kaminrotes Moped der Marke Puch leisten.“ Allerdings war damals das Zeitbudget durch längere Arbeitszeiten und noch gering ausgebaute Infrastruktur beschränkt: „Natürlich hatte sich auch meine Freizeit so ziemlich eingeengt, waren doch die Öffnungszeiten der Geschäfte und die Wochenarbeitszeiten in den 1960er-Jahre andere, als wir sie aus der Gegenwart kennen. Noch dazu waren die öffentlichen Verkehrsmittel nicht so ausgebaut, und man musste oft, wie es so schön heißt, ‚mit der Kirche ums Kreuz‘ fahren.“ Dieser Rückblick in die Sechziger relativiert jenes oft nur auf Beatles, Studentenrevolte und Minirock reduzierte Bild der 1960er-Jahre.

Zentrales Thema Arbeitszeit

Die Arbeitszeit bzw. ihre Veränderungen nehmen in den Lebenserinnerungen von ArbeitnehmerInnen einen zentralen Stellenwert ein. Arbeiteten die Menschen in der Anfangszeit der Zweiten Republik oft mehr als 48 Stunden pro Woche, so konnte die Arbeitszeit im Februar 1959 auf 45 Stunden gesenkt werden. Durch den vom ÖGB erkämpften und 1970 vereinbarten Generalkollektivvertrag wurde sie etappenweise auf 40 Stunden reduziert. Später wurde die Arbeitszeit in vielen Branchen durch Kollektivverträge von 40 auf 38 bzw. 38,5 Stunden verkürzt. In einer der Lebensgeschichten heißt es dazu: „Das bedeutete eine enorme Steigerung der Lebensqualität (…) Dies nahm ich so in Anspruch, dass die Freizeit hauptsächlich zur Regeneration benutzt wurde und dazu, die persönlichen Kontakte aufrechtzuerhalten. Im Urlaub unternahmen wir schöne Reisen, zumeist mit Freundinnen und Freunden in einer Gruppe.“

Steigender Druck

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hatten sich jedoch im Laufe der 1980er und 1990er dramatisch verändert: „Der Stellenwechsel war inzwischen erheblich schwerer geworden und der Ton unglaublich ruppig. Dazu kam, dass man ab vierzig eigentlich zum alten Eisen gehörte. Dann kamen die unzähligen Rationalisierungen, Umorganisierungen, Sparmaßnahmen, fast jeden Monat war alles wieder neu umzustellen. Das Klima war total verpestet, der Druck unerträglich.“ Zeiten der Arbeitslosigkeit wurden Teil von Biografien: „Die Situation hatte sich nun aber verändert. Es gab Arbeit nicht mehr in Hülle und Fülle, wie ich es bisher gewohnt war. Ich brauchte etwas über ein halbes Jahr, um Arbeit zu finden. (…) Die Zeit der Arbeitslosigkeit habe ich als sehr unangenehm in Erinnerung. Es kratzte sehr am Selbstbewusstsein, immer wieder Absagen zu bekommen.“
Ein Problem, mit dem sich bis in die Gegenwart GewerkschafterInnen auseinandersetzen, wird von einer Angestellten, die als Direktionsassistentin, Privatsekretärin und als Sachbearbeiterin gearbeitet hat, angesprochen. Nach einem Jobwechsel stellte sie zwar fest, dass an ihrem neuen Arbeitsplatz der Lohn zumindest einigermaßen stimmte, meinte dann aber doch einschränkend: „Einigermaßen wohlgemerkt, denn Männer in der gleichen Position bekamen automatisch um ein Drittel mehr – ohne die diversen Nebenaufgaben! So ist das heute noch.“
Der technologische Fortschritt in der Arbeitswelt, verbunden mit einer steten Produktivitätssteigerung, forderte von den ArbeitnehmerInnen einen hohen Preis, wie in einem Beitrag resümiert wird: „Das Arbeitsleben hat sich ebenso sehr verändert. Die Maschinen brachten zwar einiges an Erleichterung für mühsame Arbeitsvorgänge, allerdings muss nun alles viel schneller gehen, um Personal einzusparen, und Zeit für ein Gespräch mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen bleibt kaum noch“.

Zuversicht stärken

Die hier nur kursorisch erwähnten kleinen Einblicke in erzählte Lebensgeschichten verdeutlichen, dass die individuelle Lebensrealität abseits von persönlichen Schicksalsschlägen in einem großen Maß von der Gestaltung gesellschaftspolitischer und ökonomischer Rahmenbedingungen und eng verbunden damit von Arbeitswelt, Gesundheit, Einkommen, sozialer Sicherheit und Freizeit abhängig ist. Wenn etwa das Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2009 eine Umfrage der IG Metall mit den Worten kritisierte, dass ihr Fragenkatalog nach dem „guten Leben“ „stets im mittel- und unmittelbaren Zusammenhang allein mit der Arbeit stünde“ und „ebenfalls relevante Faktoren wie soziale Kontakte oder eine sinnvolle Freizeitgestaltung“ außen vor blieben, so wird damit das politische Ziel verfolgt, die gewerkschaftliche Forderung nach einem „Kurswechsel für gutes Leben“ zu diskreditieren.
Die biografischen Erinnerungen von ArbeitnehmerInnen unterstreichen jedoch die Relevanz des von den Vertretungen von ArbeitnehmerInnen geforderten Ausbruchs aus dem neoliberal geschaffenen Dilemma in eine bessere, gerechtere und sicherere Zukunft.

Hoffnungen stärken

Was Bruno Kreisky 1970 in Salzburg vor Gewerkschaften sagte, gilt heute mehr denn je: „Jetzt müssen wir die Zuversicht und die Hoffnungen der Menschen auf eine neue, gerechtere Politik stärken! Wir selbst haben es in der Hand, dass sich die Herzen der Menschen öffnen, wie bei einem Sonnenaufgang! Aber der Sonnenaufgang allein ist uns zu wenig, wir wollen den klaren Sonnenschein!“

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor klaus.mulley@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Klaus-Dieter Mulley, Institut für Geschichte der Gewerkschaften und AK Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407707 Die Arbeitszeit bzw. ihre Veränderungen nehmen in den Lebenserinnerungen von ArbeitnehmerInnen einen zentralen Stellenwert ein. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407712 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407681 Wohlstand geht nur grün Gesellschaftlicher Wohlstand wird oft auf enge wirtschaftliche Indikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt reduziert. Als oberstes wirtschaftspolitisches Ziel zur Erhöhung des Wohlstands gilt es demnach, im ersten Schritt einen möglichst großen ökonomischen Kuchen zu backen, der dann stückweise verteilt werden kann. Dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass das Backen des immer größeren Kuchens steigende soziale und ökologische Kosten verursacht. Noch dazu sind diese Kosten höchst ungleich verteilt.

Enorme Kosten bei Untätigkeit

In den letzten Jahrzehnten war Wirtschaftswachstum eng an steigenden Ressourcenverbrauch gekoppelt – und damit einhergehend mit Umweltzerstörung. Innovative, umweltfreundliche Technologien konnten dieser Entwicklung zwar entgegenwirken, aber Wachstum nicht absolut von Umweltzerstörung entkoppeln.
Manchen Ländern oder Sektoren gelang eine absolute Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung, die Hauptursache dafür ist allerdings, dass die umweltschädlichsten Teile des Produktionsprozesses in Länder des Südens verlagert wurden. Ordnet man die daraus resultierenden Emissionen den Ländern zu, in denen die Endprodukte konsumiert werden, gehen Wachstum und Umweltzerstörung in den Industrieländern weiterhin Hand in Hand.
Weltweit führende Umwelt- und KlimawissenschafterInnen warnen davor, dass das Ausmaß und die Intensität aktueller wirtschaftlicher Aktivität bereits zu irreversiblen ökologischen Schäden geführt haben. Dabei wurden einige sogenannte „planetarische Grenzen“ bereits überschritten, andere planetarische Grenzen werden ohne eine grundlegende ökonomische und soziale Transformation in naher Zukunft erreicht. Die wohl bekannteste der neun diskutierten planetarischen Grenzen ist die steigende Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, die zu Klimawandel führt.
In den Umwelt- und Klimawissenschaften steht außer Frage, dass schon eine moderate globale Erwärmung, wie sie gegenwärtig bereits stattfindet, ohne dass man noch gegensteuern könnte, zu einer Zunahme von Unwettern und Naturkatastrophen führen wird – mit drastischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen.

Umweltschäden verlagert

Ein stärkerer Anstieg, der ohne substanzielle Klimapolitik als wahrscheinlich gilt, könnte mit noch viel größeren Risiken und irreversiblen Umweltschäden verbunden sein. Aufgrund gravierender sozialer Folgen des Klimawandels insbesondere in bevölkerungsstarken Küstenregionen in Ländern des Südens sind zudem Klimaflüchtlinge und verstärkte politische Konflikte zu erwarten.
Eine weitere Untätigkeit würde enorme ökonomische, soziale, und ökologische Kosten nach sich ziehen. Von daher braucht es sowohl einen Wandel der wirtschaftlichen Aktivität und als auch eine Abkehr vom fortschreitenden Verbrauch fossiler Energieträger.

Umweltungleichheit

Ein weiteres Umwelt- und Gesundheitsproblem, das unmittelbare und lokale negative Auswirkungen hat, ist Luftverschmutzung, die weiterhin im Anstieg begriffen ist. Einer Studie der Weltgesundheitsorganisation zufolge wurden die gesundheitlichen Gefahren von Luftverschmutzung in der Vergangenheit grob unterschätzt. Inzwischen wird sie für einen von acht Todesfällen weltweit verantwortlich gemacht. Die Folgen sind allerdings nicht nur auf globaler Ebene, sondern auch innerhalb der Industrieländer sehr ungleich verteilt. Diese Tatsache wird zunehmend unter dem Begriff Umweltungleichheit thematisiert. In Österreich ist es auf Basis der bisherigen Datenlage schwer möglich, das Ausmaß von Umweltungleichheit in Zahlen zu fassen. Für viele andere Länder hingegen belegen wissenschaftliche Ergebnisse klar, dass insbesondere arme und sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen Umweltgefahren überproportional ausgesetzt sind. Auch auf europäischer Ebene zeigen Ergebnisse des Europäischen Umweltbundesamts, dass Umweltgefahren räumlich sehr ungleich verteilt und in manchen Gegenden stark konzentriert vorkommen. So wird die Hälfte der ökologischen und gesundheitlichen Kosten industrieller Luftverschmutzung in der EU von nur einem Prozent aller industriellen Produktionsstandorte verursacht.
Dazu kommt, dass Umweltungleichheit und Einkommensungleichheit bzw. soziale Ungleichheit eng miteinander zusammenhängen: Vor allem reichere Bevölkerungsgruppen können sich individuell vor Umweltgefahren schützen, indem sie in Gegenden mit hoher Umweltqualität ziehen. Ärmere Bevölkerungsgruppen sind von dieser Möglichkeit ausgeschlossen.
Die steigende Einkommensungleichheit sorgt dafür, dass die Gruppe jener immer kleiner wird, die sich ein Leben in gesunder Umgebung leisten können. Es gibt aber auch zahlreiche Hinweise, dass Umweltungleichheit (zukünftige) Einkommens- und soziale Ungleichheit verschärft. So wird zum Beispiel der Lernerfolg von SchülerInnen oder die Arbeitsproduktivität von Beschäftigten stark von lokalen Umweltbelastungen beeinträchtigt, wodurch Chancengleichheit und Jobperspektiven drastisch reduziert werden. Außerdem steigen in Gegenden hoher Umweltqualität die Immobilienpreise und sinken in jenen mit niedriger Umweltqualität, was wiederum ökonomische Ungleichheit verstärkt.

Weitere Dimensionen

Der enge Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen, sozialen, und ökologischen Faktoren, welche die Lebensqualität beeinflussen, verdeutlicht, dass Wohlstand nicht nur auf wirtschaftliche Faktoren reduziert werden kann. Ein breiteres Verständnis von Wohlstand wird auch zunehmend von einflussreichen ÖkonomInnen und internationalen Institutionen eingemahnt, insbesondere seit der großen internationalen „Beyond GDP“-Konferenz in 2007.
Ein wichtiges Ergebnis der Konferenz war, dass Wirtschaftswachstum nicht mehr als der zentrale Erfolgsindikator einer Volkswirtschaft betrachtet werden soll, sondern nur noch als einer von vielen. Ergänzt werden sollte er um weitere Dimensionen: soziale Indikatoren wie Lebenserwartung, Armut, Arbeitslosigkeit, verfügbares Einkommen, und Bildungsstandards; ökologische Indikatoren wie Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung und deren gesundheitliche Folgen; Indikatoren für Lebensqualität wie Lebenszufriedenheit, Jobzufriedenheit, Familienleben, Gesundheit und Lebensstandards.

Innovative Politikempfehlungen

Ein breiteres Verständnis von Wohlstand führt zu innovativen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Politikempfehlungen. Dabei werden soziale und ökologische Ziele nicht mehr als Gegensätze betrachtet. Und auch bei schwachem Wirtschaftswachstum kann hohe Beschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit erreicht werden. So könnte etwa eine gleichere Verteilung von Arbeitsstunden durch Arbeitszeitverkürzungen neben positiven Beschäftigungseffekten auch die Lebensqualität durch mehr Zeit für Familie und Freizeitaktivitäten erhöhen und geschlechtsspezifische Arbeitsmarktunterschiede verringern. Ein Ausbau öffentlicher Infrastruktur für Mobilität, nachhaltiger Energieversorgung, Wohnraum, Bildung und Gesundheit würde neben positiven Beschäftigungseffekten und einer Reduktion sozialer Ungleichheit auch zu einer Verringerung von individuellem Ressourcenverbrauch und einer höheren Umwelt- und Lebensqualität führen. Die ökologischen und sozialen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte erfordern eine verstärkte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Maßnahmen und eine Abkehr vom Bruttoinlandsprodukt als Hauptindikator für Wohlstand.
 
Nachlese:
EEA, 2014. Costs of air pollution from European industrial facilities 2008–2012 – an updated assessment, Copenhagen, DK:
tinyurl.com/j48yteq
Jackson, Tim. 2009. Prosperity Without Growth. Economics for a Finite Planet. London: Earthscan:
tinyurl.com/zetjytn
Rockström, J. et al., 2009. Planetary Boundaries. Exploring the safe operating space for humanity. Nature, 461, pp.472–475:
tinyurl.com/hynqhpo
WHO, 2014. 7 million premature deaths annually linked to air pollution:
tinyurl.com/pqgdd5q

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin klara.zwickl@wu.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Klara Zwickl, Forscherin am Institute for Ecological Economics und dem Institute for the Economics of Inequality an der Wirtschaftsuniversität Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407689 Umweltungleichheit und Einkommensungleichheit bzw. soziale Ungleichheit verstärken einander. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407669 Gute Allianzen Spätestens die Finanz- und Wirtschaftskrise legte die zunehmende Verteilungsschieflage in Europa offen. Hohe Arbeitslosigkeit, Demokratiedefizite im europäischen Krisenmanagement und nicht zuletzt die Folgen des Klimawandels veranlassten eine wachsende Zahl an politischen KommentatorInnen zur Diagnose einer multiplen Krise, deren Komponenten kaum noch isoliert bearbeitet werden können.

Wohlstandsinsel Europa

Stellt schon das Management der internen Probleme für Europa heute eine massive Herausforderung dar, so schärfen die interkontinentalen Fluchtbewegungen der letzten Zeit zunehmend das Bewusstsein dafür, dass die Wohlstandsinsel Europa neue und stärker international vernetzte Lösungen zur Krisenbearbeitung suchen muss. Unterschiedliche inter- und supranationale Organisationen wie die OECD, die Vereinten Nationen oder die Europäische Kommission versuchen auch angesichts dieser Herausforderungen, Strategien für ein neues Wirtschafts- und Wachstumsmodell zu entwerfen. Schlagworte wie Green Growth, Green Economy oder Circular Economy prägen in den letzten Jahren die öffentliche Diskussion über zukunftsfähige Wirtschaftssysteme. „Better life Indices“ oder Überlegungen zu „GDP and beyond“ sollen die Wohlstandsmessung auf eine umfassendere und aussagekräftigere Basis stellen (siehe auch „Die Glücksmessung“).
Die Diskussionen des politischen Mainstreams gehen vielen nicht weit genug. Die ökologische Ökonomie warnt schon lange davor, dass die hochentwickelten Gesellschaften ihren Ressourcen- und Energieverbrauch längst reduzieren müssten, wenn die Klimakatastrophe verhindert werden und der globale Süden weiter Wachstumschancen haben soll. Diese Mahnungen nimmt man nun anscheinend auf breiter Front ernst. Vielerorts bestehen Zweifel, dass die angestrebten Wege der Steigerung von Ressourcen- und Energieeffizienz und der Reduktion von Treibhausgasemissionen (im Inland) ausreichen, um die westlichen Gesellschaften auf langfristig tragfähige Entwicklungspfade zu bringen.
Nicht nur zeigen Untersuchungen, dass sogenannte Rebound-Effekte oftmals dazu führen, dass Effizienzgewinne durch den Erwerb größerer Geräte oder intensiveres Nutzungsverhalten kompensiert werden. Berechnungen zum Export von Umweltbelastungen bzw. zum ökologischen Fußabdruck verdeutlichen auch, dass ein Teil der vermeintlich eingesparten CO2-Emissionen der europäischen Gesellschaften lediglich gemeinsam mit der Güterproduktion ins Ausland verlagert wurden und eigentlich weiterhin dem europäischen Konsum zugerechnet werden müssten. Und dank der „Deregulierungserfolge“ wächst in Europa kein Verkehrssektor so stark wie der Luftverkehr – im Zeitraum 1995 bis 2011 immerhin um mehr als 66 Prozent.
Vor diesem Hintergrund möchte sich eine wachsende Gruppe von VertreterInnen aus Wissenschaft, NGOs, sozialen Bewegungen und Gewerkschaften nicht mehr mit dem Status quo abfinden. Sie fordern einen fundamentalen Kurswechsel in Europa. Mit dem Ziel, gemeinsam neue Lösungen zur Bearbeitung der multiplen Krise zu finden, bilden sie neue Allianzen, in denen sie auch bereit sind, die Grenzen der eingespielten institutionellen Handlungs- und Themenfelder zumindest punktuell zu überschreiten. Unter dem Motto „Gutes Leben für alle“ werden in diesem Sinne nicht nur Fragen der Verteilung von Arbeit, Einkommen, Vermögen bzw. Selbstverwirklichungschancen und Teilhabemöglichkeiten an Gesellschaft und Demokratie, sondern auch der Ernährungssouveränität, der internationalen Solidarität und des Lebens in Einklang mit Natur und Umwelt gemeinsam problematisiert.
Kleinräumige bzw. regional verankerte Initiativen und Projekte einer solidarischen Ökonomie und Gesellschaft – wie Food Coops oder alternative Wohnprojekte – sind damit genauso angesprochen wie politische Bewegungen für eine Re-Regulierung der Finanzmärkte oder des internationalen Handels. Zentral ist die Bekämpfung der politischen und ökonomischen Machtungleichgewichte, nicht zuletzt im Sinne der Interessen von armen und benachteiligten sozialen Gruppen im globalen Süden gleichermaßen wie im hochentwickelten Norden.

Kurswechsel

Dabei ergreifen durchaus unterschiedliche AkteurInnen die Initiative. Schon im Dezember 2012 organisierte die IG Metall in Berlin einen großen Kongress mit dem Titel „Kurswechsel für ein gutes Leben“, auf dem man sich auf die Suche nach einem neuen Fortschrittsbegriff für Industriegesellschaften und alternative Entwicklungspfade machte. 2014 verwendete eine Kooperation aus AK Wien, Attac Österreich, Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM), Grüner Bildungswerkstatt u. a. den gleichen Titel für eine Veranstaltungsreihe und eine Ausgabe der Zeitschrift „Kurswechsel“. Im Februar 2015 fand an der Wirtschaftsuniversität der erste große österreichische Kongress mit dem Titel „Gutes Leben für alle“ statt, auf Initiative der Allianz „Wege aus der Krise“ und des Obmanns der Grünen Bildungswerkstatt Österreich. „Wege aus der Krise“ ist dabei bereits selbst eine themenübergreifende zivilgesellschaftliche Allianz, an der österreichische Fachgewerkschaften und Umweltorganisationen ebenso beteiligt sind wie die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, das Netzwerk Armutskonferenz, die österreichische HochschülerInnenschaft und Attac Österreich. Schon in diesem Netzwerk wurden in den letzten Jahren themenübergreifende politische Allianzen erprobt und das Ergebnis der internen Abstimmung in Form eines jährlich erscheinenden Zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudgets als Forderungen an die Politik herangetragen. Der Kongress wurde von der AK, Entwicklungsorganisationen, Forschungsinstitutionen und politischen Bildungseinrichtungen mitgetragen. Zusätzlich haben sich zahlreiche Initiativen an einer Messe beteiligt, die im Rahmen des Kongresses stattgefunden hat.
Der Vorteil der Utopie des guten Lebens für alle ist, dass sich im Unterschied zum „verwandten“ Postwachstumskonzept – in dem sehr viel Gewicht auf Verzicht und individuelle Verantwortung gelegt wird – auch gesellschaftliche AkteurInnen darauf einigen können, die stärker mit der bestehenden Wachstumslogik verbunden sind. Schließlich bleiben die konkreten Schritte und Zwischenziele zur Transformation unserer Gesellschaften vorerst relativ offen.
In der akademischen Diskussion wurde die Idee des guten Lebens vor allem unter Berufung auf Aristoteles ausformuliert, am prominentesten von der US-amerikanischen Sozialphilosophin Martha Nussbaum. Ihr geht es im Sinne der Entwicklung menschlicher Grundfähigkeiten nicht nur um die Sicherung von grundlegenden Daseinsvoraussetzungen, sondern auch um die Schaffung von gesellschaftlichen Bedingungen, die allen gleichermaßen die Entdeckung und Nutzung des eigenen schöpferischen Potenzials und den Aufbau von bedeutenden Beziehungen zu Mitmenschen und der Natur ermöglichen. In ähnlicher Weise entwerfen der Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky und sein Sohn Edward eine Ökonomie des guten Lebens, die im Unterschied zum wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream konkrete menschliche Bedürfnisse wie Gesundheit, Sicherheit, Persönlichkeit und Harmonie mit der Natur in den Fokus nimmt sowie die politisch-ökonomischen Möglichkeiten für deren Erfüllung.

Mehr Schlagkraft als Allianz

Offensichtlich ist, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem guten Leben für alle und gewerkschaftlichen Forderungen nach belastungsarmen und entwicklungsförderlichen Arbeitsplätzen, geregelten Arbeitszeiten, gerechter Einkommens- und Vermögensverteilung, umfassender demokratischer Mitbestimmung und guten Bildungschancen besteht. In diesem Sinne werden die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen auch weiterhin wichtige Bündnispartnerinnen im Kampf für ein gutes Leben für alle sein. Durch neue Allianzen erhalten zentrale Anliegen im besten Fall noch mehr Schlagkraft.

Linktipp:
Dialogreihe „Gutes Leben für alle“:
www.guteslebenfueralle.org


Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor florian.wukovitsch@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Florian Wukovitsch, Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407619 Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem guten Leben für alle und gewerkschaftlichen Forderungen nach guter Arbeit. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407657 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407612 Werbung mit schlechtem Leben Jenny Busch ist Alleinerzieherin und betrieb bisher ein Blumenfachgeschäft. Dieses musste sie nun aufgeben. Doch verzagen wollte sie nicht, sondern sie setzte auf „Eigeninitiative“. Mit Erfolg. „Ich habe einen Job!“, berichtet sie freudestrahlend einem Freund. Der fragt: „Bei dieser Zeitarbeitsfirma?“ –  „Nicht nur einen Job!“, antwortet Jenny. „Eine richtig feste Anstellung, Schwerpunkt Verkauf und Akquise! Und das Beste ist: völlig flexible Arbeitszeiten, und wenn ich mal nicht kann, wegen der Kinder oder so, dann schicken sie einfach einen Kollegen und die Kernarbeitszeit kann ich auch bestimmen!“ Da freuen wir uns doch für Jenny! Vielleicht finden wir sogar, dass diese Arbeit bei so viel Flexibilität eine tolle Sache sein muss. Zumindest hätte dann die von deutschen Arbeitgeberverbänden finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ihr Geld gut angelegt.

Werbung für Zeitarbeit

Die geschilderte Szene stammt aus der deutschen Seifenoper „Marienhof“, die immerhin fünf Jahre über deutsche Fernsehbildschirme flimmerte. Die von Jenny begeistert als „feste Anstellung“ gepriesene Stelle ist in Wahrheit nichts anderes als Zeitarbeit, und es gibt einen guten Grund, warum diese in der Soap so positiv dargestellt wird: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hatte eigene Dialoge in die Serie einfließen lassen. Sie ließ sich diesen „Spaß“ 58.670 Euro kosten. In den von INSM ergänzten Dialogen wurde für die angeblichen Vorzüge von Zeitarbeit geworben sowie für die Notwendigkeit zur Eigeninitiative. Und es wurden Klagelieder auf angeblich zu hohe Steuerbelastungen und Lohnnebenkosten für UnternehmerInnen gesungen. Auch der oben angeführte Dialog war gekauft.

Neue Dimension

Auch wenn die Serie im Jahr 2011 eingestellt wurde, so ist das dahinterliegende Problem weiterhin brennend aktuell. Versprechungen über das gute Leben, das man eben nur dann führe, wenn man ein bestimmtes Produkt sein Eigen nennt oder konsumiert, sind aus der Werbung altbekannt. Dass aber dafür bezahlt wird, in einer TV-Serie ganz bestimmte Vorstellungen des guten Lebens oder Arbeitens zu propagieren, ist immerhin eine neue Dimension.
Man muss den „Marienhof“ in den Kontext der damaligen politischen Situation setzen: Im Jahr 2002 wurde die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland von der rot-grünen Regierung neu ausgerichtet. Die INSM war an vorderster Front dabei. In einer Einschätzung der NGO „Lobby Control“ heißt es: „Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft drängte 2002 massiv auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.“
Der Kauf von Dialogtexten in einer Seifenoper des deutschen Fernsehens war also Teil einer politischen Strategie, marktradikale und neoliberale Positionen innerhalb der Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen. Selbst vor der Beschönigung von Schwarzarbeit wurde nicht zurückgeschreckt. So legte die INSM in Folge 1.962 vom 29. Juli 2002 der Verkäuferin Toni diese an ihren Chef gerichteten Worte in den Mund: „Ich könnte auch schwarz für Sie arbeiten! Sie würden eine Menge Geld sparen! Wie z. B. die ganzen Sozialabgaben und das Urlaubsgeld und ich weiß nicht was noch alles!“
Die INSM hatte sich in insgesamt sieben Folgen der Serie eingekauft, ohne dass dies von den Sendeverantwortlichen jemals offengelegt worden wäre. Dass wir davon heute überhaupt wissen, haben wir dem Investigativjournalisten Volker Lilienthal zu verdanken, der sich auch durch Strafandrohungen von 250.000 Euro nicht von seinen Recherchen abhalten ließ.

Herausforderung Social Media

Seitdem hat sich vieles geändert. Steckten soziale Netzwerke 2005 noch in den Kinderschuhen, sind sie heute ein wesentliches Kommunikationsinstrument. Für die PR-Branche sind sie vor allem deshalb interessant, weil sich damit völlig neue Möglichkeiten zur Verbreitung unterschwelliger Botschaften ergeben haben.
Diese Möglichkeiten wurden etwa von der Wiener PR-Agentur mhoch3 genutzt. Die Agentur hat sich ganz auf das Internet und soziale Netzwerke in allen Ausprägungen spezialisiert. Neben „Social Media Marketing“ und „Blog Marketing“ ist auch „Online Reputation Management“ im Angebot: „Machen Sie sich nicht erst Gedanken, wenn ein Shitstorm aufkommt“, heißt es in einem Werbetext der Firma.
Im „Online Reputation Management“-Paket von mhoch3 enthaltene Dienstleistungen sind unter anderem „aktives und reaktives Agieren“, „gezieltes Auslösen von Kommunikation“ und die „Ansprache von Multiplikatoren“. Neben Konzernen und Banken haben auch Parteien dieses Angebot genutzt.
Vor allem die ÖVP Wien war eine gute Kundin der Agentur, wie die JournalistInnen Stefan Apfl und Sarah Kleiner im November 2014 im Magazin „Datum“ aufdeckten. Hier schließt sich der Kreis zu „Marienhof“. Denn ähnlich wie in der Fernsehserie versuchte mhoch3 über Beiträge in sozialen Medien und Onlinekanälen politische Meinungen zu gestalten und zu beeinflussen. So wurde beispielsweise der ehemalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn in gefälschten Postings vor protestierenden Studierenden in Schutz genommen und den Studierendenprotesten so die Legitimation entzogen.

Planmäßige Täuschung

Der PR-Ethikrat, ein freiwilliges Selbstregulierungsorgan der österreichischen PR-Branche, hat im September einen Bericht über die Aktivitäten von mhoch3 vorgelegt und die Firma sowie sieben ihrer KundInnen öffentlich „wegen planmäßiger Täuschung von Userinnen und Usern in großem Stil“ gerügt. Die Verwendung von falschen Identitäten zu Zwecken der PR auf Onlineforen hält der Ethikrat für „ethisch nicht vertretbar“. Ein anderes Medium, das sich die Agentur zunutze machte, sind Blogs – und auch hier wurden unlautere Mittel eingesetzt. Denn anders als bei den BloggerInnen handelt es sich auch nicht – wie von mhoch3 argumentiert – um „Online-JournalistInnen“. Vielmehr wurden die Beiträge von bezahlten AuftragnehmerInnen der Agentur erstellt. Diese stehen „damit in einem Abhängigkeitsverhältnis zu mhoch3 (und in weiterer Folge zu den Kunden der Agentur)“, wie der Ethikrat festhielt. Für die AuftragnehmerInnen war dieses Abhängigkeitsverhältnis ein prekäres, wie Brigitte Mühlbauer vom PR-Ethikrat erzählt: „Diese MitarbeiterInnen waren freie DienstnehmerInnen. Eine einzelne Mitarbeiterin hat rund 40 verschiedene Online-Identitäten gehabt. Die sind pro Posting bezahlt worden.“
Für solche schwindligen Methoden gibt es durchaus wirtschaftliche Gründe, wie Mühlbauer erläutert: „Alle Unternehmen stehen unter dem Druck, möglichst große Wirkung mit möglichst wenig Geld zu erzielen. Bei vielen Unternehmen sind die Werbebudgets drastisch gekürzt worden. Dadurch werden neue, günstigere Werbeformen wie etwa Blogs interessant. Diese Digitalkommunikation wird von vielen als rechtsfreier Raum wahrgenommen. Da gibt es oft kein Unrechtsbewusstsein.“ Von Praktiken wie denen von mhoch3 oder beim „Marienhof“ hält sie nichts. „Durch so etwas wird das Vertrauen in die Medien zunehmend ausgehöhlt. Und wenn so etwas wie beim ‚Marienhof‘ oder mhoch3 passiert, reagiert die Öffentlichkeit immer negativ. Es bringt also nichts für die Werbung.“
Man könnte hinzufügen, es bringt auch nichts bei der Meinungsbildung. Denn auch die Verbreitung gefälschter politischer Meinungen schlägt letztendlich auf die Verursacherin zurück. Für das öffentlich-rechtliche Fernsehen bedeutete der „Marienhof“-Skandal einen Vertrauensverlust.

Nie kritisch genug
Menschen lassen sich nicht gerne manipulieren, schon gar nicht von hinten herum. Das sollten auch Parteien und Lobbygruppen wissen, die sich durch solche Methoden einen politischen Marktgewinn versprechen. Andererseits können solche Methoden nur funktionieren, weil es Menschen gibt, die bereit sind, diese umzusetzen. Das hat auch etwas mit den bei Agenturen wie mhoch3 vorherrschenden und von Lobbygruppen wie der INSM geforderten prekären Arbeitsbedingungen zu tun. Und die Moral der Geschichte für KonsumentInnen? Man kann nie kritisch genug sein, wenn es darum geht, was ein gutes Leben ausmacht – oder eben nicht.

Linktipp:
Zehn Jahre „Marienhof“-Skandal: Neoliberalismus in deutschen Fernsehserien
www.nachdenkseiten.de/?p=27588

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407603 Neoliberale nutzen viele Kanäle, um ihre Ideologie voranzutreiben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407575 Das Glück ist (k)ein Vogerl Glück ist zunächst ein zutiefst subjektives Empfinden. In der Glücksforschung werden die Bedingungen untersucht, die dazu führen, dass sich Menschen als glücklich empfinden. Verschiedene Wissenschaftsbereiche – wie Philosophie, Psychologie, Medizin und Ökonomie – beschäftigen sich mit diesen Fragen und dementsprechend unterschiedlich und vernetzt sind die Antworten dazu.

Glückliche RaunzerInnen

Österreich belegt laut dem World Happiness Report 2015 einen Top-Platz, wenn es um das Glück geht. Von 158 Ländern schafft es Österreich auf Rang 13 auf die von der UNO in Auftrag gegebene Studie der Columbia-Universität (USA). Klingt lustig, so eine Happiness-Studie, die Ziele sind aber durchaus ernsthaft und ambitioniert. Die Erkenntnisse sollen zu einer Verbesserung nachhaltiger Entwicklung beitragen und die Grundlage schaffen, um Menschen glücklicher zu machen. Denn „wenn Länder BIP-Ziele auf Kosten von sozialen und ökologischen Zielen zu stark gewichten, beeinträchtigt dies häufig das menschliche Wohlbefinden“, so die AutorInnen der Studie. Für den Glücks-Index wurden die Länder auf Faktoren wie Einkommen, Lebenserwartung, soziales Netz und gefühlte Freiheit untersucht. Laut der Studie hängt das gesellschaftliche Wohlbefinden auch stark vom prosozialen Verhalten der Gesellschaftsmitglieder ab. Damit gehen Aufrichtigkeit, Wohlwollen, Kooperation und Vertrauenswürdigkeit einher. Im Grunde bedeutet prosozial zu handeln, Entscheidungen für das Allgemeinwohl zu treffen und egoistischen Anreizen zu widerstehen. Förderliche Voraussetzung hierfür ist das soziale Kapital einer Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ist damit generalisiertes Vertrauen, Good Governance und Solidarität gemeint. Die dringende politische Frage ist laut den AutorInnen daher, wie in gespaltene Gesellschaften mit niedrigem sozialem Kapital in diesen Bereich investiert werden kann. Die internationale Happiness-Studie macht deutlich, dass sich diese besonders mit gesellschaftspolitischen Zusammenhängen beschäftigt. Dazu drängt sich die Frage auf, was Glück auf der individuellen Ebene bedeutet?

Vice-versa-Effekt

Interessante Effekte stellte das ForscherInnenteam um die US-amerikanische Psychologin Lara B. Aknin fest: Wenn Menschen für andere Geld ausgeben, löst das mehr positive Gefühle bei ihnen aus, als wenn sie es für sich selbst verwenden. Bei der Studie wurde das Spendeverhalten (prosoziales Verhalten) in 136 Ländern von 200.000 Menschen untersucht. 88 Prozent erlebten im Folgemonant mehr Lebenszufriedenheit. Die positiven Gefühle waren in armen wie reichen Ländern gleichermaßen vorhanden. Dies wird damit erklärt, dass in der Evolution zwischenmenschliche Kooperation indirekt das Überleben sicherte. Es ist daher in uns tief verankert und wird folglich mit positiven Gefühlen belohnt. So zeigten wissenschaftliche Beobachtungen, dass dieses Phänomen bereits bei 2-jährigen Kleinkindern vorhanden ist: Sie zeigten freudige Reaktionen, wenn sie Süßigkeiten bekamen – noch mehr freuten sie sich, wenn sie diese teilen konnten.
Trotz internationaler Studien scheint der Glücksbegriff nicht so leicht zu fassen zu sein. „Da hast du aber Glück gehabt“ – damit sind in der Regel Ereignisse gemeint, die auch als „Zufallsglück“ bezeichnet werden können. Im Zentrum der Glücksforschung steht aber weniger dieses „Zufallsglück“ sondern mehr das, was man unter „glücklich sein“ versteht. Obwohl das „Zufallsglück“ darauf natürlich Einfluss haben kann. Historisch gibt es auch noch ein Glückskonzept, wo Glück mit Freiheit von Leid und Mangel (Epikur, Schopenhauer) verbunden wird. Gemeinhin wird heute aber etwas anderes darunter verstanden. Mit „froher Zufriedenheit“ erklärt der Duden Glück und beschreibt vermutlich gut, was meist alltagssprachlich darunter verstanden wird.
Rein körperlich sind die sogenannten Glückshormone für das Glücksempfinden verantwortlich. Damit sind meist Endorphine (körpereigene Opiate, die schmerzstillend wirken), Oxytocin (auch „Bindungs- oder Kuschelhormon“ genannt) und die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin gemeint. In einem komplexen Zusammenspiel setzt das Gehirn diese und weitere Botenstoffe frei, wenn Glücksgefühle entstehen. Bei den meisten Menschen passiert das bei Aktivitäten wie Sport, Nahrungsaufnahme oder Sex.

Reich und schön = glücklich?

Der Körper spielt noch in anderer Hinsicht eine Rolle betreffend Glück. Die Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky interpretiert verschiedene Studien so, dass körperliche Schönheit keinen Einfluss auf das Glücksempfinden hat. So etwa zeigt sich nach Schönheitsoperationen meist nur ein kurzer positiver Effekt auf das Wohlbefinden. Sich selbst jedoch für schöner zu halten bzw. ein positives Selbstbild zu haben dürfte jedoch sehr wohl ein Glücksfaktor sein. Das bedeutet, entscheidend ist weniger ein „objektiv“ gutes Aussehen, sondern vielmehr der subjektive positive Blick für die eigene Schönheit. Unterstützt wird das auch durch Psychotherapie-Studien, die zeigen, dass viele psychische Störungen – wo sich Betroffene unglücklich erleben – mit einem niedrigen Selbstwert einhergehen.
Reichtum ist ebenfalls nur ein relativer Glücksfaktor: Bis zum Erreichen eines bestimmten Lebensstandards wirkt sich ein niedriges Einkommen laut dem Nobelpreisträger Angus Deaton stark auf das Befinden aus. Durch belastende Lebensumstände (z. B. Scheidung, Krankheit) hervorgerufener Stress vervielfältigt sich dabei. Allerdings fand das Forscherteam der US-Universität Princeton auch heraus: Ab umgerechnet etwa 5.000 Euro Haushaltseinkommen empfinden zwar viele Menschen jede weitere Einkommenssteigerung positiv, es hat jedoch keinen Einfluss mehr auf ihr Stress- oder Glücksempfinden. Ein bisschen macht Geld also schon glücklich und selbst empfundene Schönheit auch.

Abseits äußerer Faktoren gibt es viele Ideen dazu, wie das Glück quasi wie ein Muskel trainiert werden kann. Neurobiologische Basis ist, dass das Gehirn durch Nervenzellenverbindungen strukturiert ist. Stark vereinfacht erklärt: Man geht davon aus, dass, je öfter ein Impuls verschickt wird, umso robuster auch die Schnittstelle für diesen Impuls wird. Vergleichbar mit dem Bild, dass wenn eine Nervenbahn für das Glücksempfinden ganz schmal ist, die Freude-Impulse dort nicht besonders bequem durchmarschieren können. Beim Training wird ein Impuls „Freude“ bzw. „Glück“ durch den schmalen Pfad geschickt. Anfangs muss man ihn vielleicht mit viel Aufwand auf den Weg schicken und sozusagen durchpressen. Durch viele Impulse wird mit der Zeit die enge Nervenbahn immer breiter. Die Impulse „Freude“ kommen besser durch. Schließlich wird daraus ein breiter Weg, und so können die Freudeimpulse wie auf einer Nervenzellen-Autobahn mit Leichtigkeit hin und her flitzen. Es reichen dann bereits kleine Impulse für die Anfeuerung dieser Empfindung. Dabei scheint es effizienter zu sein, sich häufiger an kleinen Dingen zu erfreuen als selten an Großen.
In der vom US-Psychologen Martin Seligman geprägten „positiven Psychologie“ wurden verschiedene Übungen entwickelt und erforscht, die diesem Prinzip folgen. Beispiel: Täglich sollen drei positive Ereignisse mit einer Begründung notiert werden, also z. B.: „Heute morgen hat mich mein Lebensgefährte mit einem Kaffee ans Bett serviert überrascht. Der herrliche Geruch und die liebevolle Geste haben mir den Tag versüßt.“ Diese Übung zeigte nach sechs Wochen eine deutliche Steigerung des Wohlbefindens bei den StudienteilnehmerInnen.

Die schönen Dinge

In der Glücksforschung gibt es also Hinweise darauf, dass zwar äußere Rahmenbedingungen einen Einfluss auf unser Erleben haben. Darüber hinaus gibt es aber auch individuelle Möglichkeiten, das eigene Glücksgefühl zu steigern: sei es durch das Ankurbeln von sogenannten Glückshormonen durch Sport, Sex, gutes Essen – oder auch gedankliche Auseinandersetzung mit den schönen Dingen des Lebens.

Linktipps:
World Happiness Report 2015:
worldhappiness.report
Studie „Spending Money on Others Promotes Happiness“:
tinyurl.com/oqw2hpj

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin kontakt@elkeradhuber.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Elke Radhuber, Kommunikationswissenschafterin, Coach, Trainerin Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407558 Ein bisschen macht Geld also schon glücklich und selbst empfundene Schönheit auch. Aber eben nur ein bisschen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407548 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407480 Besser gut leben als besser Gibt man den Begriff „Besser leben“ in eine Suchmaschine ein, so finden sich unter den Ergebnissen vorrangig Wohlfühlpakete von Versicherungen, Anzeigen von Wellnesseinrichtungen und Lifestyle-Magazinen. Die Thematik des „guten Lebens“ hingegen ist wesentlich komplizierter, ist sie doch „ein philosophisches Grundthema, mit dem nicht das individuelle Glück, sondern die Reflexion über die richtige Lebensweise“ gemeint ist, „die sich an einem höchsten Ziel orientiert“, wie etwa die Wirtschafts- und Sozialwissenschafterin Elisabeth Schmid meint. In diesem Zusammenhang ist Aristoteles nicht weit.

Aristoteles

„Wir haben viele ethisch-moralische Argumente, Ideen der Gerechtigkeit, Tugend, des rechten Maßes, des guten Lebens, des Glücks, die alle Zentralbegriffe einer nicht christlichen Philosophie sind, nicht zuletzt der Begriff der ‚Ethik‘ selbst“, verweist der Philosoph Konrad Paul Liessmann auf eine Denktradition, die in der Antike, vorwiegend der aristotelischen Philosophie, wurzelt.
Ein gutes Leben, so bestimmte es der im 4. Jahrhundert vor Christus geborene Aristoteles, ist ein aktives, für das der Mensch selbst die Verantwortung trägt. Sein Handeln orientiert er an einer bestimmten Zielhierarchie: Niedere, aber dennoch legitime Ziele sind etwa das Streben nach Reichtum und Besitz, die nur als Mittel zu einem höheren Zweck gelten. Ehre, Lust und Vernunft stehen darüber, wobei das höchste Ziel, die Glückseligkeit (Eudaimonia), ein von einem guten Geist beseeltes Leben ist. Das oberste Ziel erreicht jener (niemals jene), der die ihm eigenen Fähigkeiten voll entfaltet. Dazu gehört nicht nur die Übung des Geistes, sondern auch die Teilnahme am politischen Geschehen. Die politische Gemeinschaft wiederum zeichnet sich durch ihr gemeinsames Interesse an Recht und Gerechtigkeit aus, die wesentlich zu einem guten Leben gehören.

Privileg weniger

Diese Lehre war sozusagen ganzheitlich, blieb allerdings das Privileg weniger. Die angestrebte „vollkommene Gemeinschaft“ basierte auf strenger Hierarchisierung, die dem freien Mann und Bürger mehr Rechte einräumte als Frauen, Kindern, SklavInnen und allen Nicht-GriechInnen.
Ende des 20. Jahrhunderts verzeichneten die einschlägigen Überlegungen eine Art Renaissance. In enger Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Moralphilosophin Martha C. Nussbaum entwickelte der indische Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen Konzepte zum guten Leben jenseits von westlicher Fixierung auf materiellen Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Zwar mündete die philosophische Kooperation der beiden zunächst in dem (1993) gemeinsam herausgegebenen Buch „The Quality of Life“, doch trennten sich die intellektuellen Wege anschließend in zwei Ansätze, die gerne verwechselt werden. Schließlich haben beide die gleiche sperrige Bezeichnung, nämlich „capability approach“ (Befähigungsansatz oder auch Fähigkeiten-Ansatz). Der westlich gebildete Inder Sen geht von der Vorstellung eines autonomen Individuums aus, das seine Chancen wahrnimmt und so ein selbstgewähltes, freies Leben verwirklicht. Ein (finanzielles) Einkommen ist zwar kein hinreichendes, aber notwendiges Mittel, um die eigenen Wahlmöglichkeiten zu erweitern. Wirtschaftswachstum ist in seinem Fähigkeiten-Ansatz nur ein Mittel, um das höhere Ziel, die Erweiterung der Freiheit zu erreichen.

Eigenständige Theorie

Martha Nussbaum entwickelte eine eigenständige Theorie, die universelle Aussagen über ein gutes und gerechtes Leben ermöglichen soll. „Man fange mit dem Menschen an“, heißt es in ihrem Buch „Gerechtigkeit oder das gute Leben“, „mit den Fähigkeiten und Bedürfnissen, die allen jenseits der Schranken von Geschlecht und Klasse, Rasse und Nation gemeinsam sind.“ Sie erstellte eine Art Kriterienkatalog auf zwei Ebenen, der von der Grundstruktur des Menschen zu seinen Grundfähigkeiten führt. So legen es unsere kognitiven Fähigkeiten („erste Schwelle“) nahe, diese auch zu verwenden. Etwa dazu, Sinne und Fantasie zu gebrauchen, zu urteilen oder eine angemessene Erziehung zu erfahren („zweite Schwelle“).
Unsere Grundstruktur der praktischen Vernunft ermöglicht es uns, eine Vorstellung des Guten zu entwickeln und kritische Überlegungen zur eigenen Lebensplanung anzustellen. Diese beinhaltet laut Nussbaum die politische Teilhabe und die berufliche Tätigkeit außer Haus. Das stellt die Philosophin Martina Schmidhuber in ihrem Aufsatz „Ist Nussbaums Konzeption des guten Lebens interkulturell brauchbar?“ infrage: „Ist nicht davon auszugehen, dass gutes Leben für jeden Menschen anders aussieht?“ Eine Kritik, die für Nussbaum nicht neu ist. Sie konstatiert, dass viele Benachteiligte sich mit ihrer Situation abfinden würden. Deshalb gehe es auch darum, den Menschen zu vermitteln, was zu einem guten Leben gehört bzw. sei es Aufgabe des Staates, die erforderlichen Mittel dafür bereitzustellen.

Buen vivir

Auch in den indianischen Traditionen Lateinamerikas gibt es Konzepte des guten Lebens, die in der aktuellen Auseinandersetzung mit den Folgen von Neokolonialismus und Neoliberalismus neu aufgegriffen wurden. 2008 wurde der indigene Begriff „sumak kawsay“ (Leben in Fülle) als Staatsziel in der ecuadorianischen Verfassung verankert. 2009 fand das „suma qamaña“ (gut leben) Eingang in die Magna Carta von Bolivien. Indigene Intellektuelle verweisen darauf, dass ihre Weltanschauung zunächst eine Lebenspraxis ist, ein Konzept, das ständig an neue Lebenszusammenhänge angepasst wird.
Das gute Leben, so Fernando Huanacuni, Philosoph der bolivianischen Aymara, definiere sich durch das Wissen um ein Leben in Harmonie im Gleichklang mit der Natur, wo alles mit allem verbunden und alles Teil des Ganzen ist. Trotz einiger Kritik – schließlich sind die Bodenschätze der beiden südamerikanischen Staaten wichtige Devisenbringer – gilt die Hinwendung zu indigener Kosmovision vielen doch als radikale Alternative zum herrschenden Verständnis von Entwicklung und als Antwort auf die Krise des Westens mit seinem Glauben an Wachstum und Fortschritt.

Gutes Leben für alle

„Als politischen Slogan finden wir das ‚gute Leben‘ bei so unterschiedlichen Gruppen wie Attac, der Grünen Bildungswerkstatt, der IG Metall oder feministischen Gruppen“, schreibt der Ökonom Andreas Novy in seinem Aufsatz „Ein gutes Leben für alle – ein europäisches Entwicklungsmodell“. Des Weiteren: „Ist er bloß Mode oder eröffnet dieses Konzept Raum für eine Suchbewegung, die nicht nur Alternativen zum Neoliberalismus, sondern langfristig den Weg in eine andere Gesellschaft weist?“ Die Idee, so beantwortet er die Frage selbst, „kann handlungsanleitend für ein europäisches Wohlfahrtsmodell im 21. Jahrhundert sein, wenn es um eine ökologisch sensible Transformation des europäischen Wohlfahrtskapitalismus geht“.

Unbeeindruckter Mainstream

Die Bewegung der Weltsozialforen, die 2001 in Brasilien ihren Ausgang nahm, hat sich zur größten globalen zivilgesellschaftlichen Initiative für ein gutes Leben für alle entwickelt. Mit dem Slogan „Wir wollen nicht besser leben, wir wollen gut leben“ wurde beim Treffen in Belém 2009 der Ideologie des Wachstums erneut eine Absage erteilt.
„Seit Jahren gibt es eine blühende Avantgarde, die Wirtschaft und Gesellschaft neu denkt und lebt“, heißt es auf der Website des Kongresses 2015 und der Dialogreihe „Gutes Leben für alle“. Trotz Klimawandel und besorgniserregenden Sozialberichten blieben der politische und gesellschaftliche Mainstream davon weitgehend unbeeindruckt. „Es geht um die Politisierung der Frage nach dem gelungenen Leben und seinen Voraussetzungen.“
 
Linktipp:
Dialogreihe „Gutes Leben für alle“:
www.guteslebenfueralle.org

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407501 Ein gutes Leben laut Aristoteles ist ein aktives, für das der Mensch selbst die Verantwortung trägt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407487 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407450 Harte Zahlen, bitte! Vor wenigen Wochen wurden LeserInnen eines österreichischen Wochenmagazins überrascht. Statt der üblichen Beilagen von Autofirmen oder anderen Konsumartikeln war dem Magazin ein „Nachhaltigkeitsmagazin“ der Post AG beigelegt. In der Präambel ist zu lesen, dass es Ziel des Magazins ist, „mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen, mit den Kunden, den Mitarbeitern und anderen Stakeholdern zu reden und zu zeigen, welche Maßnahmen ergriffen werden, um auch in Zukunft wertvolle Beiträge für die Gesellschaft leisten zu können“.

Offengelegt

Den LeserInnen präsentierte sich ein buntes Magazin mit vielen plakativen Storys wie: „Die an ihre Grenzen gingen: MitarbeiterInnen stellen bei einem Staffellauf einen Weltrekord auf“. Unter dem Titel „So grün ist die gelbe Post“ beschäftigte sich ein Artikel mit Postprojekten für die Umwelt. Handfeste Zahlen, Vergleiche, Entwicklungen über relevante Indikatoren wie Aus- und Weiterbildung, Arbeitsunfälle, Diversität, Einkommensverteilung oder Umwelt hingegen suchten die LeserInnen vergeblich. So weit, so oberflächlich. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, würde man der Post AG unterstellen, mit Informationen zu ihren Aktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit hinterm Berg zu halten. Auf ihrer Homepage veröffentlicht sie – im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen – einen echten Nachhaltigkeitsbericht mit zahlreichen Indikatoren, mehr oder minder exakt dargestellt.

Marketingthema

Nachhaltigkeit ist für die meisten Unternehmen mittlerweile ein unverzichtbares Marketingthema geworden. Das zeigt auch die Strategie der Post deutlich. Ernsthafte Berichterstattung setzt jedenfalls voraus, dass nicht bunte Bilder und gute Storys, sondern harte Zahlen, Daten und Fakten über soziale oder ökologische Belange dargestellt werden. Diesen Anspruch wiederum erfüllen nur wenige Unternehmen. Einer Studie von Ernst&Young zufolge veröffentlicht nur etwa jedes vierte der 100 umsatzstärksten Unternehmen in Österreich einen Nachhaltigkeitsbericht. Damit hinkt Österreich weit hinter anderen Ländern nach. In Frankreich, Dänemark und Großbritannien beispielsweise publizieren die größten Unternehmen mittlerweile fast lückenlos entsprechende Berichte.
Die EU hat nun eine Richtlinie erlassen, die bis Ende 2016 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Diese schreibt für große börsennotierte Unternehmen und Finanzinstitute eine Sozial- und Umweltberichterstattung („nichtfinanzielle Leistungsindikatoren“) vor. Dabei gibt es jedoch einen Wermutstropfen: Anders als bei der übrigen Finanzberichterstattung üblich, hat die EU keine exakten Vorgaben gemacht, wie eine derartige Umweltberichterstattung inhaltlich gestaltet sein muss. Festgelegt wurden lediglich sehr allgemein gehaltene Themengebiete wie etwa Umwelt-, Sozial-, und ArbeitnehmerInnenbelange, Menschenrechte oder die Bekämpfung von Korruption. Was darunter jeweils zu verstehen ist, ist der Interpretation der Mitgliedstaaten überlassen. Nicht festgelegt wurde auch, ob die Berichterstattung von externen PrüferInnen geprüft werden muss, um die Zuverlässigkeit der Zahlen und Daten zu gewährleisten. Damit ist auch zu befürchten, dass diese Berichte nicht auf gleicher Augenhöhe mit den Finanzberichten im Aufsichtsrat und der Hauptversammlung behandelt werden und damit wirkungslos bleiben.

Freiwilligkeit

Seit dem EU-Grünbuch 2001 war eine gesellschaftlich verantwortliche Unternehmensführung (Corporate Social Responsibility – CSR) untrennbar mit dem Prinzip der Freiwilligkeit verbunden. Die Unternehmen sollten aus freien Stücken mehr für die Gesellschaft leisten, als ihnen von Gesetzes wegen vorgeschrieben war. Der Markt, so die Annahme, würde diese gute Unternehmensführung auch entsprechend belohnen. Dem war allerdings nicht so. ArbeitnehmervertreterInnen waren seit jeher äußerst skeptisch und ordneten das eher als PR-Gag ein denn als fundamentale Neuausrichtung der Unternehmensführung. Immerhin konnten sie täglich eher eine Verschärfung denn eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erleben. Und auch die EU glaubt mittlerweile nicht mehr so recht an die Selbstheilung durch den Markt: Wenn gerade einmal zehn Prozent der großen Unternehmen in der EU Informationen zu Umwelt und Sozialem offenlegen, dann ist die Zeit für verpflichtende Regeln gekommen. Die neue EU-Richtlinie schafft dafür die Voraussetzungen.
Der Teufel steckt im Detail: Erst der nationale Gesetzgeber legt fest, in welcher Form diese Verpflichtung umzusetzen ist. Genügt es, dass die Unternehmen prinzipiell zum Beispiel über die Arbeitsbedingungen berichten? Nach bisherigen Erfahrungen wird dann immer das herausgegriffen, was besonders imagefördernd ist: die Lehrlingsausbildung; Teilzeitarbeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie; Investitionen in Aus- und Weiterbildung und Ähnliches. Vorangestellt sind diesen Informationen meist jene Standardangaben, die ohnedies schon im Lagebericht offengelegt werden müssen. Diese Beliebigkeit muss allerdings nicht sein, wie das Beispiel Frankreich zeigt. Dort müssen Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeiterinnen anhand von über 100 Leistungsindikatoren Auskunft über die ArbeitnehmerInnenbelange geben.

Fakten statt blumiger Berichte

Unbeeindruckt von der bisherigen Wirkungslosigkeit beharrt die Arbeitgeberseite nach wie vor auf dem Prinzip der Freiwilligkeit: Jede und jeder soll schreiben dürfen, was er oder sie will – ohne klare Vorgaben und ohne externe Überprüfung. Eine interessante Position beziehen die WirtschaftsprüferInnen, die einen derartigen „prinzipienbasierten“ Ansatz als offensichtlich unzureichend klassifizieren. Nur wenn die Kriterien zur Sozial- und Umweltberichterstattung konkretisiert werden, ist eine einheitliche Interpretation und inhaltliche Prüffähigkeit gewährleistet. Auch NGOs, AK und Gewerkschaften plädieren für harte Daten und Fakten statt blumiger Berichte. Daher verwundert es auch nicht, dass in den vom Justizministerium in einer öffentlichen Konsultation eingeholten Stellungnahmen nur noch der harte Kern der Unternehmensvertreter dem Prinzip „Freiwilligkeit“ nachhängt. Demgegenüber wollen 16 von 22 Organisationen handfeste Berichte.
Auf welcher Basis sollen diese Berichte erstellt werden? Weltweit hat sich die Global Reporting Initiative (GRI) durchgesetzt, ein Rahmenwerk, nach dem bereits jetzt weltweit 8.500 Unternehmen berichten. Auch bei den ATX-Unternehmen ist GRI der mit Abstand am häufigsten angewendete Standard. Es ist daher naheliegend, bei einer Spezifizierung der Nachhaltigkeitskriterien von den bereits vorliegenden GRI-Indikatoren auszugehen. Will man ein halbwegs umfassendes Bild über die Situation der ArbeitnehmerInnen im Betrieb erhalten, so braucht es allerdings noch zusätzliche Maßzahlen. In einer von der AK Wien durchgeführte Online-Umfrage bei BetriebsrätInnen börsennotierter Unternehmen wurden folgende Indikatoren von den allermeisten BetriebsrätInnen als besonders wichtig eingestuft: durchschnittliche Mehr- und Überstunden, Zeitaufwand für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Verbreitung von All-in-Verträgen im Unternehmen, die innerbetriebliche Vergütungsspanne zwischen Vorständen und Belegschaft sowie Informationen zu den verschiedenen Arbeitsvertragsformen. Weiters wünschen sich die befragten BetriebsrätInnen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung neu: harte eindeutige Maßzahlen, eine Behandlung der Berichte im Aufsichtsrat und in der Hauptversammlung und eine externe Testierung durch die WirtschafsprüferInnen.

Aufholprozess

Österreich hat in der Nachhaltigkeitsberichterstattung einen gewaltigen Aufholprozess vor sich. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert, dem Nachzüglerdasein durch klare Normen ein Ende zu setzen. Nur vergleichbare, geprüfte und relevante Zahlen, Daten und Fakten bilden eine wirkungsvolle Grundlage für Veränderungen der betrieblichen Realität. Die Arbeitswelt wird damit sichtbar gemacht, sodass über Bewegungen in der „Sozialbilanz“ diskutiert werden kann. Eine externe Überprüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von einer unabhängigen dritten Partei ist unerlässlich und sollte in Bezug auf Form und Inhalt auf Augenhöhe mit der Finanzberichterstattung erfolgen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren heinz.leitsmueller@akwien.at  ulrich.schoenbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Heinz Leitsmüller, Abteilung Betriebswirtschaft AK Wien, Ulrich Schönbauer, Abteilung Betriebswirtschaft AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407433 Österreich hat in der Nachhaltigkeitsberichterstattung einen gewaltigen Aufholprozess vor sich. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407426 Menschenrecht gute Arbeit Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Sogenannte traditionelle Arbeitsverhältnisse, in der Gestalt dauerhafter Vollzeitstellen mit beständiger sozial- und arbeitsrechtlicher Absicherung, geregelter Normalarbeitszeit sowie guter und regelmäßiger Entlohnung scheinen der Vergangenheit anzugehören. Zumindest aber weisen sie kaum Zuwachsraten auf.

Prekarisierung

Bergauf ging es im letzten Jahrzehnt fast ausschließlich bei der Teilzeitbeschäftigung, der Leiharbeit, der geringfügigen Beschäftigung, der neuen Selbstständigkeit – kurzum bei atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen, deren Einkommen vielfach nicht zum Leben ausreichen, sodass eine immer größere Gruppe an ArbeitnehmerInnen in Unsicherheit lebt. Viele dieser Menschen haben in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation keine andere Wahl mehr, als sich den „neuen“ Bedingungen zu beugen. Ein Rekordwert an arbeitslosen Menschen jagt den anderen, da scheint etwa das schlecht bezahlte Praktikum noch die beste Alternative zu sein, um nicht ganz den Anschluss zu verlieren. Aber auch in den traditionellen Arbeitsverhältnissen ist es bei Weitem nicht zum Besten bestellt: Unbezahlte Überstunden, steigender Arbeitsdruck und Arbeitsverdichtung stehen in den Betrieben auf der Tagesordnung.
Die Frage nach „GUTER Arbeit“ hat die ArbeitnehmerInnenbewegung immer schon begleitet, heute erscheint sie aktueller denn je. Dabei wurde bereits mit der Verankerung von arbeitsbezogenen Rechten in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UN-Menschenrechtscharta) im Jahr 1948 ein wesentlicher Baustein gelegt. Darin heißt es, dass jeder „das Recht auf Arbeit, freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit“ hat. Zudem steht allen, die arbeiten, „das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung“ zu, die ihnen und ihrer Familie „eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert“. Auch haben sie „das Recht, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten“.

Auch im wohlhabenden Europa sind wir von der Erfüllung dieses Anspruchs zum Teil immer noch weit entfernt. Und die aktuellen Entwicklungen weisen in eine falsche Richtung. Längst steht nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt allen Wirtschaftens. Die Wirtschaft ist nicht primär zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet. Vielmehr ist Profitmaximierung Selbstzweck und Leitmotiv allen Wirtschaftens. Der Mensch wird auf einen Produktionsfaktor reduziert, menschenwürdige Arbeitsbedingungen erscheinen nur mehr als Kostenfaktor, den immer häufiger die Beschäftigten mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.
Einziges Argument im einschlägigen Diskurs ist die vielumworbene internationale Wettbewerbsfähigkeit. Doch es ist ein Wettbewerb nach unten, für die meisten zumindest. Gänzlich übersehen wird, dass es vor allem auch die sozialen Errungenschaften sind, die Europa in den vergangenen 60 Jahren zu einem vergleichsweise friedlichen Zusammenleben geführt haben und zum stärksten Wirtschaftsraum haben werden lassen. Heute ist sozialer Fortschritt wieder nötiger denn je. Marktgerechtigkeit ist nicht gleich soziale Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit relativiert das Urteil des Marktes. Doch was ist unter „GUTER Arbeit“ eigentlich zu verstehen?

Verteilung der Arbeit

„GUTE Arbeit“ bedeutet eine faire, geschlechter- und generationengerechte Verteilung der Erwerbsarbeit auf Basis sicherer Arbeitsplätze. Es darf nicht sein, dass die einen viel zu viel und andere zu wenig oder keine Arbeit haben. Das Paradoxe an der Sache ist, dass neben dem stetig steigenden Druck und den im internationalen Vergleich langen Arbeitszeiten immer mehr Menschen in Österreich keinen Arbeitsplatz finden. Eine faire Verteilung der Erwerbsarbeit würde nicht nur Teilhabe für die einen und Entlastungen für die anderen bringen. Sie wäre auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Arbeitslosigkeit ist eine Vergeudung der wertvollsten aller „Ressourcen“. Weniger Menschen ohne Arbeit bedeuten für den Staat weniger Ausgaben (etwa durch die Arbeitslosenversicherung) bei gleichzeitig höheren Einnahmen (etwa durch steigende Lohnsteuereinnahmen). Es entsteht neue Kaufkraft, die einen – gerade aktuell so wichtigen – Konjunkturanstoß bringen würde. Aber auch die Nicht-Erwerbsarbeit muss mehr in den Fokus rücken und nach neuen Kriterien verteilt werden.
„GUTE Arbeit“ muss eine angemessene Entlohnung und damit einen gerechten Anteil am geschaffenen Wohlstand bereitstellen. Es kann nicht sein, dass die Gewinne der Unternehmen ständig steigen und die durchschnittlichen Löhne und Gehälter kaum wachsen bzw. Niedrigeinkommen real sogar sinken.

„GUTE Arbeit“ bedeutet ein menschengerechtes Maß in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsausmaß und garantiert Arbeitsbedingungen, die physische wie psychische Gesundheit erhalten und die Vereinbarkeit von Beruf, Familien- und Privatleben gewährleisten. Gerade unter dem Deckmantel der Flexibilisierung werden viele ArbeitnehmerInnen an die Grenzen der Belastbarkeit gedrängt. Viele arbeiten nahezu rund um die Uhr, flexibel einsetzbar, jederzeit abrufbar. Ständig präsent ist die Angst all jener, die – noch – Arbeit haben, im Konkurrenzkampf um Arbeit (mit dem Rest der Welt, wie uns suggeriert wird) zu bestehen. Reine Profitabilität ist keine Garantie für den Bestand von Arbeitsplätzen mehr. Es gibt einen Konkurrenzkampf um die Gunst der Shareholder. Der Druck der Finanzmärke, mit denen man in unmittelbare Konkurrenz gesetzt wird, gelangt in alle Ebenen der Betriebe und wird bis zum/zur einzelnen MitarbeiterIn weitergereicht. Das Resultat: Menschen klappen zusammen, werden krank, körperlich und seelisch. Burn-out-Raten erreichen neue Höchststände, die AktionärInnen freuen sich über höhere Profite.
„GUTE Arbeit“ achtet die Würde der menschlichen Person, respektiert und ermöglicht das Einbringen persönlicher Fähigkeiten und sieht die Menschen als UrheberInnen, Mittelpunkt und Ziel allen Wirtschaftens. Menschen sind soziale Wesen, und daher sollte die Würde jeder Leistung im ökomischen Sinn vorausgehen. Maßnahmen wie das Behinderteneinstellungsgesetz, Pflegefreistellungen, die Kultur eines wertschätzenden Umgangs miteinander sind Möglichkeiten, die Würde des Menschen ernst zu nehmen. Das sind soziale Errungenschaften, die nicht als Bremsfaktoren verstanden werden sollten.
„GUTE Arbeit“ ist sozial-ökologisch nachhaltig, stellt Produkte und Dienstleistungen her, die der positiven Gestaltung und Entwicklung der Welt nützen, und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe. Wenn Arbeit als sinnstiftend erachtet wird, sind Menschen bereit, ihre Fähigkeiten einzubringen und Gutes zu leisten. Menschen wollen auch Arbeit, die dem Grundsatz der Nachhaltigkeit Genüge tut. Gemeinsam haben wir eine Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen.
„GUTE Arbeit“ umfasst das Recht, Arbeitsinhalte, Entscheidungen und Abläufe mitzugestalten, Fehlentwicklungen im Job aufzuzeigen, sich zu organisieren und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Jeder Schritt auf dem Weg zur „GUTEN Arbeit“ – sei es bei der Entlohnung, den Arbeitsbedingungen oder der Verteilung von Arbeit und Einkommen – ist leider ein hart erkämpfter Schritt. Daher ist eine starke Stimme der ArbeitnehmerInnen von besonderer Bedeutung. Das gilt auf gesamtwirtschaftlicher und überbetrieblicher Ebene, wo sich Gewerkschaften und Arbeiterkammern für die Anliegen und Interessen der ArbeitnehmerInnen einsetzen. Aber auch auf betrieblicher Ebene dürfen die Mitbestimmungsmöglichkeiten für die ArbeitnehmerInnen nicht aufgeweicht werden, sondern müssen weiter ausgebaut werden. Die Rechte der ArbeitnehmerInnen, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden, dürfen nicht in Zeiten der Krise auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit geopfert werden. Solidarität, ein Ausbau des Sozialstaats und der ArbeitnehmerInnenrechte sind das Gebot der Stunde.

Initiative
Unterzeichnen Sie die Deklaration für „GUTE Arbeit“!
Die vonseiten der AK mitinitiierte Deklaration für „GUTE Arbeit“ bietet die Möglichkeit, ein klares Bekenntnis auf www.gute-arbeit.at abzugeben.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren gerhartinger.p@akooe.at
haider.r@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Philipp Gerhartinger, Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich | Reinhard Haider, Abteilung für Arbeitsbedingungen der AK Oberösterreich Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407411 Die Frage nach "GUTER Arbeit" hat die ArbeitnehmerInnenbewegung immer schon begleitet, heute erscheint sie aktueller denn je. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407355 Gute Budgetpolitik für alle Lange konnte Österreich stolz darauf sein, die „Krise“ relativ gut gemeistert zu haben, doch dies scheint nun vorbei. Während andernorts die Zeiger langsam wieder auf Erholung stehen, bleibt die österreichische Konjunktur auf Krisenniveau und die Arbeitslosigkeit schwingt sich zu neuen Rekordhöhen auf. Österreich braucht einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, der die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verteilungsfrage ins Zentrum rückt.

Gefährliche Entwicklung

Beobachten können wir jedoch die gegenteilige – gefährliche – Entwicklung: Austeritätspolitik auf dem Rücken der Erwerbstätigen und sozial Schwachen anstelle von Konjunkturbelebung und Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Pflege. Der Standort Österreich wird systematisch als „abgesandelt“ heruntergeredet, wodurch wiederum der politische Boden für von der Wirtschaft lang ersehnte „Reformen“ bereitet wird. Damit befindet sich Österreich in einer Abwärtsspirale, deren gegenteilige Effekte auf Konjunktur, Arbeitslosigkeit, soziale Absicherung und Staatsverschuldung in den sogenannten Krisenländern deutlich sichtbar wurden.
Hinter derartigen Antworten stehen klare Interessen – Interessen, die nicht das Wohl der Gesellschaft zum Ziel haben, sondern die Profitmaximierung einzelner. Tatkräftige Unterstützung bekommt diese Politik von der EU-Kommission. In ihren „länderspezifischen Empfehlungen“ etwa kommentiert sie die Budgetpolitik der Mitgliedstaaten und sie verfolgt – zumindest nominell – das Ziel, das Wachstum in Europa zu fördern. Regelmäßig fordert die Kommission die Deregulierung von – aus gutem Grund – geschützten Bereichen wie etwa dem Mietrecht, sie tritt für Privatisierungen ein, die Absenkung der Mindestlöhne sowie die Zurückdrängung von Gewerkschaftsrechten zum Beispiel bei der Lohnfindung. Diese Entwicklung setzt auch Gewerkschaften zunehmend unter Druck. Als AkteurInnen im politischen Verteilungskampf werden sie als „wachstumsschädigend“ etikettiert, wodurch letztlich ihr Einfluss zurückgedrängt werden soll.

Tatsächliche Strukturreformen sehen anders aus. In Österreich macht die Allianz „Wege aus der Krise“ – ein Bündnis aus Gewerkschaften und NGOs – vor, wie es gehen kann: Sie zeigt auf, welche Bedeutung öffentliche Investitionen und eine gerechte Vermögensbesteuerung haben, um sich den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu stellen. Im jährlich von der Allianz veröffentlichten „Zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudget“ wird der Reformbedarf anhand jederzeit umsetzbarer und finanzierbarer „Zukunftsinvestitionen“ beschrieben, die eine nachhaltige Wirkung auf die gesamte Gesellschaft haben. „Gute Budgetpolitik für alle“ erfordert sozial gerechte und ökologisch nachhaltige öffentliche Investitionen, die einerseits auf aktuelle Herausforderungen wie die demografische Entwicklung oder die drohende Klimakatastrophe eingehen und gleichzeitig unmittelbar Arbeitsplätze schaffen. Die geforderten Investitionen in den Ausbau von Kinderbetreuung, Bildung, Pflege, nachhaltige Energie, sozialen und nachhaltigen Wohnbau, eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft oder den öffentlichen Nahverkehr sind dringend notwendig, um gesellschaftlichen Wohlstand für alle zu sichern.
Auf der tagespolitischen Agenda werden solche Investitionen auf ihren kurzfristigen Kostenfaktor reduziert und damit als nicht realisierbar eingestuft. Diese Sichtweise verkennt, dass Investitionen in soziale Dienstleistungen und Infrastruktur einen besonders nachhaltigen Effekt haben. Insbesondere der damit verbundene Ausbau von Beschäftigung und der Rückgang an Ausgaben in der Arbeitslosenversicherung führen dazu, dass sie sich bereits nach wenigen Jahren rechnen. Zögerliche Schritte hat die Regierung nun im Zuge des Arbeitsmarktgipfels gesetzt, der endlich den Startschuss für die bereits im Regierungsprogramm anvisierte Wohnbau- und Infrastrukturoffensive gibt.

Gerechte Verteilung von Arbeit

Eine der Hauptprioritäten für ein gutes Leben für alle muss der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sein. Dieser wird aber nicht allein durch die genannten Investitionen und den Ausbau sozialer Dienstleistungen und Infrastruktur gelingen. Auch das bisherige „Allheilmittel“ BIP-Wachstum kann nicht mehr ausreichend zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen. Nicht nur, dass entsprechende Wachstumsraten – auch in Zukunft – nicht mehr realistisch sind: stetig steigender Ressourcenverbrauch und ein Konsumverhalten, das mit Bedürfnisabdeckung nur noch wenig gemein hat, treiben unseren Planeten immer tiefer in die Klimakatastrophe. Auch bei technologischen Entwicklungen, die apokalyptisch bereits im Ruf stehen, 45 Prozent der Arbeitsplätze „einzusparen“, gilt es, neue Konzepte der Verteilung von Arbeit entgegenzusetzen.
Auch ein anderes Phänomen gibt Grund zur Beunruhigung: Zwar steigt trotz wachsender Arbeitslosigkeit und stagnierendem Arbeitsvolumen die Erwerbsquote, dieses Wachstum findet jedoch hauptsächlich in prekären und Teilzeitdienstverhältnissen statt. Somit gibt es faktisch eine Arbeitszeitverkürzung, die Betroffenen zahlen dafür aber einen hohen Preis: nicht existenzsichernde Einkommen und fehlende Zukunftssicherung. Für andere steigt gleichzeitig der Druck – durch Überstunden und Arbeitsverdichtung –, was dadurch bedingte Erkrankungen ansteigen lässt. Um diese scheinbaren Widersprüche zu lösen, muss Arbeit neu verteilt werden – dies muss jedoch kontrolliert durch ein schlaues Modell der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung geschehen.

Lebensqualität weniger Arbeit

Arbeitszeitverkürzung schafft Lebensqualität und Zeit für Familie, FreundInnen, Weiterbildung, zivilgesellschaftliches Engagement oder persönliche Hobbys. Sie eröffnete die Chance auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, eine fairere Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit und sie fördert gesellschaftliche Teilhabe und Demokratie. Gleichzeitig sichert und schafft eine Umverteilung von Arbeit Arbeitsplätze, was wiederum die Teilhabe jener ermöglicht, die andernfalls aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit Gefahr laufen, aus gewissen Bereichen der Gesellschaft gedrängt zu werden.
Die Formen einer solchen Arbeitszeitverkürzung können vielfältig sein und von individuellen Maßnahmen auf betrieblicher Ebene bis hin zu einer allgemeinen Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit reichen. Als ersten Schritt gilt es allerdings, die in Österreich jährlich geleisteten 270 Millionen Überstunden einzudämmen.

Die Verteilungsfrage

Die anhaltende Krise hat europaweit gezeigt, dass der Graben zwischen Arm und Reich wächst. Gerade jene, die ohnehin bereits im Überfluss leben, profitieren noch einmal mehr von der Austeritätspolitik. Sozialer Fortschritt ist nur dann möglich, wenn es gelingt, diese Kluft ein Stück weit zu schließen. Die geforderten „Zukunftsinvestitionen“ sind zum Nutzen der gesamten Gesellschaft, daher ist es nur gerecht, auch die Kosten in der Gesellschaft fair zu verteilen – ein Thema, das die österreichische Politik sorgsam vermeidet.
Arbeit und Konsum werden in Österreich überproportional hoch besteuert, während Vermögen – leistungslose Einkommen – nahezu ungeschoren davonkommen. Mit der Lohnsteuerreform wurde nun ein Meilenstein angegangen, doch bleibt die untrennbar damit verbundene Einführung von vermögensbezogenen Steuern ein Tabu. Die streckenweise äußerst vage gehaltene Gegenfinanzierung ist zu Recht Gegenstand von Skepsis und Kritik. Denn mit der Lohnsteuersenkung wird zwar eine dringend notwendige Maßnahme gesetzt, diese ist aber nicht in ein größeres Konzept nachhaltiger Reformen eingebettet.
Gesellschafts- und wirtschaftspolitisch führt jedoch kein Weg an einer fairen Besteuerung großer Erbschaften, Schenkungen und Vermögen vorbei. Ebenso wird der Finanzsektor – als Auslöser der europaweiten Krise – seinen Beitrag leisten müssen, sei es auf EU-Ebene oder vorübergehend auf nationaler Ebene. Auch die Verkürzung der Arbeitszeit und ihre Aufteilung auf mehr Köpfe ist eine Verteilungsfrage, deren Finanzierbarkeit letztlich auch im Rahmen der aktuellen Umverteilungsdebatte mitgedacht werden muss. Wer über Arbeitszeitverkürzung spricht, muss auch über Lohnausgleich sprechen und damit die Frage stellen, wer diese Kosten einer Arbeitszeitverkürzung (in welchem Verhältnis) tragen soll.

Linktipps:
Allianz „Wege aus der Krise“ und das „Zivilgesellschaftliche Zukunftsbudget“:
www.wege-aus-der-krise.at
E-Book des A&W-Blogs: „How to Make It Work:
tinyurl.com/qep8mz8
Crises, Austerity, Alternatives:
tinyurl.com/p7dtlec

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Susanne Haslinger, Juristin in der Rechtsabteilung sowie in der sozialpolitischen Grundlagenarbeit der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) tätig Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407291 Investitionen in soziale Dienste und Infrastruktur haben einen besonders nachhaltigen Effekt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716407243 Die Glücksmessung Glück, gutes Leben, Wohlstand: All das sind Begriffe, die wir alle gut kennen. Und doch versteht jedes Individuum etwas anderes darunter, weshalb sie sich nicht so einfach messen lassen. Dennoch gibt es seit geraumer Zeit Bemühungen, sogenannte Wohlfahrtsindikatoren zu berechnen – genauer gesagt seit Erscheinen des sogenannten Stiglitz-Sen-Fitoussi-Reports (SSFR; 2009). Bei diesem Report handelt es sich um eine Empfehlung – gerichtet vordringlich an die nationalen Statistikproduzenten –, Schlüsselindikatoren zu entwickeln, die so etwas wie Wohlstand, Gerechtigkeit oder gutes Leben zum Inhalt haben. Österreich nimmt diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein, denn schon im Jahr 2012 wurde mit dem Projekt „Wie geht’s Österreich?“ der SSFR in die Praxis umgesetzt.

How’s life?

Ziel ist es, den Blick über den Tellerrand der gängigen Maßzahl Bruttoinlandsprodukt hinaus zu lenken und die subjektiv fassbare Lebenswirklichkeit zu betrachten. Damit steht Österreich in einer Reihe anderer prominenter internationaler und supranationaler Statistikanbieter: „How’s Life?“ etwa stammt aus der Feder der OECD, Eurostat gibt die EU-weite Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen sowie die Europa-2020-Indikatoren heraus und die UNO den „Human Development Index“. Welche Daten bei den jeweiligen Messungen zur Basis genommen werden, dafür gibt es keine verbindlichen Vorgaben.

Messungen

Vergleicht man die unterschiedlichen nationalen und internationalen Konzepte miteinander, so lassen sich starke Parallelen erkennen. Als zentrale Messgröße werden meist das Bruttoinlandsprodukt (BIP, engl.: GDP) und seine Teilaggregate bevorzugt.
Hintergrund dafür ist die leichte Verfügbarkeit dieser Basisdaten. Darüber hinaus gibt es Primärdaten, die aus Befragungen gewonnen werden. Prominente Beispiele dafür sind die europaweite Haushaltsbefragung zur finanziellen Situation und des Konsums (HFCS), die EU-Erhebung zu den Lebensbedingungen in Privathaushalten (EU-SILC) und die in vielen Ländern durchgeführten Konsumerhebungen (die Ergebnisse der nächsten österreichischen Konsumerhebung 2014/2015 werden 2016 erwartet).

Die Statistik Austria veröffentlicht jährlich ca. 30 Schlüsselindikatoren, unter anderem zu folgenden Themen: 

  • Materieller Wohlstand: Konsum der privaten Haushalte, Verteilungsaspekte, Einkommen der privaten Haushalte, oder unbezahlte Produktion
  • Lebensqualität: Gesundheit, Freizeit, soziale Teilhabe, physische Unsicherheit, natürliche Wohnumgebung, subjektives Wohlbefinden oder Bildung
  • Umwelt und Nachhaltigkeit: Ressourcen, Klimawandel, Energie oder Verkehr

Vielfach stößt man jedoch an die Grenzen der Messbarkeit, auch lässt die aktuelle Datenlage oftmals keine weiteren Analysen zu. Besonders gravierend tritt dieses Problem beim Themenkomplex Einkommens- und Vermögenverteilung zutage, denn hierzu gibt es derzeit vielfach nur unzureichende Basisdaten.

Neoliberaler Widerstand

Diese Mängel werden aber hoffentlich nach und nach gemäß den Empfehlungen des SSFR behoben. Anstrengungen dafür gibt es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Und eines soll nicht unerwähnt bleiben: Die Erhebung/Offenlegung von Daten zur Einkommens- bzw. Vermögensverteilung stößt immer noch auf vehementen Widerstand bei wirtschaftsliberalen Kreisen.
Die unberechtigte Angst vor Besitzstandsverlust erschwert daher eine vollständige Abbildung der Einkommens- und Vermögenssituation. Allerdings brauchen AkteurInnen in Wirtschaft und Politik eine vollständige und gesicherte Datenbasis als Grundlage für ihre Entscheidungen. Letztlich geht es auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Eine umfassende Datenbasis schafft die Grundlage für Entscheidungen, die im Idealfall wohlstandserhöhend wirken.
Zur Schaffung von intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum setzt die EU-Kommission im Rahmen der Strategie Europa 2020 in vielen Bereichen wohlfahrtsteigernde Maßnahmen. Dies betrifft vor allem zielgerichtete Investitionen in Bildung und Forschung. Dazu ausgearbeitete Leitindikatoren sollen zur Quantifizierung des Gegenwartszustandes beitragen und Handlungsanweisungen für EntscheidungsträgerInnen geben. Die Indikatoren beziehen sich etwa auf die Beschäftigung, Klimawechsel, Bildung, Armut, Forschung und Entwicklung usw. Im Allgemeinen kann man festhalten, dass das Engagement bei der Schaffung von Wohlfahrtsmaßen sehr stark zugenommen hat. Fast könnte man schon von einem institutionellen Wettkampf um die „besten“ Indikatoren sprechen.

Glück als Nationalprodukt

Für das Jahr 2010 wurde erstmals von Bhutan – einem asiatischen Kleinstaat – ein Index veröffentlicht, der im Westen als „Glücksindex“ (Gross National Happiness Index; Abk.: GHI) bekannt wurde. Nun, man kann sich wohl darauf einigen, dass Glück im weitesten Sinne zum „guten Leben“ gehört.
Das etwas skurril anmutende Unterfangen Bhutans basiert allerdings auf äußerst seriösen und methodisch anerkannten Grundlagen. Der bhutanische Index resultiert aus einer Befragung von 7.142 Menschen. Kurz umrissen beinhaltete der Fragenkatalog neun Bereiche: psychisches Wohlbefinden, Gesundheit, Zeitverwendung, Ausbildung, Belastbarkeit, gute Staatsführung, Gesellschaftsleben, Ökologie und Lebensstandard. Die Befragungsergebnisse wurden dann gewichtet und zu einem Index verdichtet.
Schon im Jahr 1729 stand im Übrigen im Rechtskodex von Bhutan folgender Satz: „If the Government cannot create happiness for its people, there is no purpose for the Government to exist.“ Frei übersetzt: Wenn die Regierung das Volk nicht glücklich machen kann, dann hat diese Regierung auch keine Existenzberechtigung. Diese Erkenntnis und auch eine damit verbundene Konsequenz würde man sich in der Jetztzeit wünschen.
Lebensqualität, gutes Leben oder Glück können wohl nur subjektiv bewertet werden. Dennoch ist es sinnvoll, neue Messkonzepte in den Gesellschaftsdiskurs einzubringen. Aber auch schon Gemessenes muss Gegenstand einer öffentlichen Diskussion sein. Wie wichtig dies ist, zeigt ein Beispiel: Derzeit wird der Anstieg der privaten Konsumausgaben pro Kopf als wohlstandsvermehrend betrachtet. Nun, das mag für große Teile der Bevölkerung durchaus zutreffen, aber eben nicht für alle.
Aus diesem Grund müssen die Basisdaten z. B. nach Einkommensschichten gegliedert werden. Auch die Qualität des Konsums – die derzeit in keiner Statistik ihren Niederschlag findet – muss thematisiert werden. Schlagwörter dazu sind etwa geplante Obsoleszenz, Klimabelastung und viele mehr.
Ebenso weiß man aus Studien, dass Verteilungsgerechtigkeit zu stärkerer individueller Zufriedenheit führt: Wenn es allen gut geht, fühlt sich auch der Einzelne besser. Und ganz besonders wichtig: Das aktuelle und kontroversiell diskutierte wirtschafts- und sozialpolitische Thema Arbeitszeitverkürzung und -verteilung muss noch viel stärker unter dem Gesichtspunkt „gutes Leben“ thematisiert werden. Denn auch da wird gesellschaftlicher Zusammenhalt manifest, und der tut allen gut.

Fortschritt

In diesem Sinne zum Abschluss ein Zitat von Ludwig Erhard aus dem Jahr 1957: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtsleistung auf diesen ‚Fortschritt‘ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“

Linktipps:
Eurostat und das „Gute Leben“
tinyurl.com/q7fk22t
HFCS:
www.hfcs.at/ueber.htm
www.grossnationalhappiness.com
EU-SILC:
tinyurl.com/oqrtomd
„How’s Life?“ – OECD: 
tinyurl.com/otwq6yf

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor reinhold.russinger@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Reinhold Russinger, Abteilung Wirtschaftswissenschaften und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407258 Rechtskodex von Bhutan, 1729: "Wenn die Regierung das Volk nicht glücklich machen kann, dann hat diese Regierung auch keine Existenzberechtigung." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406333 Wohlstand statt Wachstum Materieller Wohlstand und eine hohe Lebensqualität: Dies für die Menschen zu verwirklichen sollte eigentliches Ziel des Wirtschaftens sein. In den öffentlichen Diskursen allerdings dominieren nicht die Ziele, sondern vielmehr ein potenzielles Mittel zum Zweck: ein möglichst hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) bzw. dessen jährlicher Zuwachs, besser bekannt unter dem Schlagwort Wirtschaftswachstum. Weltweit gibt es deshalb nun Initiativen, die Wohlstand und Lebensqualität in den Fokus rücken – und dies auch messen wollen.

Am Anfang für diese Bemühungen stand die stark verbreitete Wahrnehmung, dass Wirtschaftswachstum die Lebenssituation vieler Menschen nicht mehr verbessert. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man die konzeptionellen Grundlagen des BIP betrachtet. Diese Zahl gibt nämlich lediglich Auskunft über den im Inland geschaffenen Mehrwert an Waren und Dienstleistungen. Ein realer BIP-Zuwachs muss aber nicht zwangsläufig zu einer materiellen Wohlstandssteigerung führen. Das ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn die Zahl der EinwohnerInnen schneller steigt oder der Anteil, über den die Menschen im Inland verfügen, schrumpft oder auch, wenn ein größerer Teil der entstandenen Einkommen zur Budgetkonsolidierung verwendet wird. Ein Indikator, der diese Einflussfaktoren berücksichtigt, ist das real verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der privaten Haushalte. Zusätzlich zum BIP werden darin etwa Einkommen eingerechnet, die im Ausland entstehen (vor allem Vermögenseinkommen wie Gewinnausschüttungen und Zinsen). Vergleicht man seine Entwicklung mit dem BIP, so ist klar zu erkennen, dass die Einkommen deutlich langsamer wachsen, insbesondere aufgrund der restriktiveren Budgetpolitik in den letzten 20 Jahren.

Verteilungsfragen ausgeblendet

Der Haushaltseinkommen-Indikator kann den wahrscheinlich wichtigsten Effekt der Diskrepanz zwischen subjektiver und objektiver Wohlstandsentwicklung trotzdem nicht einfangen: die zunehmende – und in den letzten Jahren immer besser dokumentierte – Verteilungsschieflage, egal ob sie nun Einkommen, Konsum oder Vermögen betrifft. Mit den Arbeiten von Thomas Piketty und anderen ist der theoretische und methodische Fortschritt in den letzten Jahren nicht zu übersehen, der zum Verständnis des Zusammenhangs zwischen Wirtschaftswachstum und der Konzentration des Wohlstandes in Form von Vermögen einiges beigetragen hat. Trotz sichtbarer Bemühungen von Statistik Austria, Verteilungsfragen zur Messung von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt systematisch zu integrieren, bleibt dieser Bereich weiter ausbaufähig.
Die zweite große Dimension der weltweiten Initiativen zur Wohlstands- und Fortschrittsmessung bilden großteils subjektive Indikatoren unter der Überschrift „Lebensqualität“. Selbst wenn der materielle Wohlstand wächst und alle gleichermaßen davon profitieren, kann es zu einer Lücke zwischen erwartetem und tatsächlich wahrgenommenem Zuwachs kommen. Untersuchungen zeigen, dass die Lebenszufriedenheit bei einem bereits hohen Niveau materiellen Wohlstands durch weitere Zuwächse kaum mehr steigt. Freizeit, Gesundheit oder soziale Beziehungen rücken dann in den Mittelpunkt. Diese Faktoren bleiben allerdings an materiellen Wohlstand und seine Verteilung gekoppelt. Ungleiche Gesellschaften sind insgesamt tendenziell unglücklicher, ungesünder, sozial immobiler usw. Für Individuen gilt das erst recht: Niedrige Einkommen vermindern Lebenszufriedenheit, gesellschaftliche Teilhabe, Lebenserwartung, verschlechtern den Gesundheitszustand und gehen mit einer subjektiv höheren Umweltbelastung einher.

Wohlstandsorientierte Politik

Die Politik sollte sich nicht nur am „Mehr“ an produzierten Waren und Dienstleistungen ausrichten – mit allen damit einhergehenden negativen ökologischen Auswirkungen. Vielmehr sollte sie sich auf Wohlstand und sozialen Fortschritt konzentrieren, anders gesagt: auf ein gutes Leben für alle. Mit der besseren Datenbasis wurde die Grundlage bereits weitgehend geschaffen – zumindest in Österreich. In der wirtschaftspolitischen Debatte spielen sie trotzdem keine Rolle.
Die Gründe dafür sind natürlich vielfältig, aber ganz allgemein dürften Macht- und Kräfteverhältnisse eine besondere Rolle spielen. Nur wer die Definitionsmacht über „die Probleme“ hat, die es zu lösen gilt, ist in der Lage, Änderungen durchzusetzen. Wenn die Produktionsausweitung als wichtigstes Problem gilt, so wird sich über kurz oder lang eine Politik durchsetzen, die dieses Ziel zu erreichen vorgibt. Ausgangsbasis für eine alternative Politik muss es daher sein, die Auseinandersetzung mit alternativen Indikatoren sowohl diskursiv als auch institutionell zu verankern.

Magisches Viereck

In dieser Hinsicht kann man von der Europäischen Kommission gut lernen: Zur Verankerung des Wirtschaftswachstums als Hauptziel gibt es einen Jahreswachstumsbericht, der die wirtschaftlichen Prioritäten vorgeben soll, an denen sich die Regierungen der Mitgliedstaaten orientieren sollen. Zur Durchsetzung ihrer einseitigen Budgetregeln hat sie in allen Mitgliedstaaten Fiskalräte eingeführt, die ständig auf eine kurz- wie mittelfristige restriktive Budgetpolitik im Sinne der EU drängen. Aktuell versucht sie mittels sogenannter nationaler Wettbewerbsräte sogar, den globalen Konkurrenzkampf um Marktanteile zu institutionalisieren. Das würde eine auf Wohlstand und Lebensqualität ausgerichtete gesamtheitliche Wirtschaftspolitik auf nationaler Ebene massiv erschweren. Will man einen möglichst hohen nachhaltigen, materiellen Wohlstand und eine hohe Lebensqualität für möglichst viele Menschen schaffen, braucht es ebenfalls Institutionen, die sich ständig mit den Verbesserungsmöglichkeiten auseinandersetzen und regelmäßig wiederkehrende Empfehlungen in die Politik bzw. in die breite Öffentlichkeit tragen.
Anstelle von wenigen ExpertInnen sollten diese neuen Institutionen unter breiter zivilgesellschaftlicher Beteiligung agieren. So wie die Wachstumsorientierung derzeit von regelmäßigen Wirtschaftsprognosen implizit verstärkt wird, so müsste es auch Wohlstandsprognosen und -berichte geben. Aufgabe der Politik müsste es sein, mittelfristige Ziele zu formulieren, die eine Wohlstandsorientierung konkretisieren. Als Rahmen kann ein reformiertes „magisches Vieleck der Wirtschaftspolitik“ dienen, das vor knapp 50 Jahren etabliert wurde und längere Zeit einen fixen Orientierungspunkt für ein ausgewogenes wirtschaftspolitisches Zielsystem darstellte.
Gemessen an einem solchen Umbau der wirtschaftspolitischen Steuerung stehen wir in der Debatte über gesellschaftlichen Wohlstand – unter Berücksichtigung der ökologischen Grenzen – erst am Anfang. Dieser ist noch dazu von einer Suche nach den richtigen Messindikatoren bzw. den Definitionen und Dimensionen geprägt. Eine enge Verknüpfung zwischen den fachlich-statistischen Arbeiten und der politischen Ebene ist gefragt. So kam der Auftrag zur Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission vom damaligen französischen Staatspräsidenten Sarkozy. Ihre Ergebnisse waren die Grundlage für eine groß angelegte Enquete-Kommission des deutschen Bundestags. In Österreich hat die Statistik Austria mit ihrem Projekt „Wie geht’s Österreich“ bereits eine statistische Grundlage geschaffen, die in einem jährlichen Bericht mündet. Woran es nun noch fehlt, sind politische AkteurInnen, die politische Initiativen darauf bauen.

Kein Selbstzweck

Wirtschaftswachstum ist also bestenfalls Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck. Diese Feststellung schwächt bereits tendenziell die Wirtschaftsseite und eröffnet Spielräume für eine progressive sozial-ökologische Politik. Ein vorrangiges Ziel progressiver Wirtschaftspolitik ist es, das bestehende Ungleichgewicht bei der institutionellen Verankerung wirtschaftspolitischer Grundzüge zu überwinden. Die internationale Debatte zur Messung von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt sowie die Arbeiten zu ihrer statistischen Umsetzung bieten dafür einen guten Anknüpfungspunkt.

Blogtipp:
Wohlstands- und Fortschrittsmessung für Österreich:
tinyurl.com/hv687ma

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.feigl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Georg Feigl, Referent für Öffentliche Haushalte und europäische Wirtschaftspolitik in der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407187 Die Politik sollte sich nicht nur am "Mehr" an produzierten Waren ausrichten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716407203 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406327 Missbrauch des schlechten Lebens Wer rechtspopulistische Parteien wählt oder mit Pegida spaziert, ist rechtsextrem, rassistisch, ewiggestrig und/oder homophob, verführt durch Sprücheklopfer und plumpe Schwarz-Weiß-Malerei, irgendwie einfach gestrickt eben – so weit der allgemeine Tenor. Wenn man verhindern will, dass auf dem nächsten Denkzettel „Bundeskanzler Strache“ steht, dann lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Langsam scheint ein Umdenken einzusetzen, PublizistInnen fragen sich, welche Partei außer der FPÖ sich für unzufriedene ProtestwählerInnen überhaupt anbietet. Für Robert Misik ist der Aufstieg des Populismus „primär ein Symptom für die geistige Obdachlosigkeit vieler Bürger“, die sich von der Politik schon lange nicht mehr repräsentiert fühlen, wie er in seinem Beitrag „Rechtspopulismus in Europa – Gefahr für die Demokratie?“ schreibt.

Staatsfeind Nummer eins?

Das Göttinger Institut für Demokratieforschung befragte und beobachtete Pegida-„SpaziergängerInnen“, führte Gruppendiskussionen mit ihnen durch sowie eine Online-Umfrage. Die Ergebnisse wurden im Buch „Pegida - Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft“ zusammengefasst. Im Ergebnis zeigt sich ein differenziertes Bild: Viele DemonstrantInnen hatten sich trotz latenter Unzufriedenheit mit den aktuellen sozialen und politischen Entwicklungen lange Zeit kaum engagiert. „Erst ein außerhalb des Parteiensystem stehendes, nach vielen Seiten hin offenes Protestbündnis, eine Konfliktzuspitzung im Nahen Osten und auf der Krim, aber vor allem die lokalen Auswirkungen der weltweiten Krisen und menschlichen Notlagen, die Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften durch die Städte und Kommunen mobilisierten einige Tausend Menschen“, heißt es im Buch. Die AutorInnen vermerken mit Erstaunen, dass die befragten Pegida-AnhängerInnen zum Teil über fundiertes politisches Hintergrundwissen verfügen und nicht selten ganz konkrete Verbesserungs- und Änderungsvorschläge parat hatten.
Der niederländische Publizist René Cuperus wiederum schreibt in seinem Buch „Rechtspopulismus in Europa“: „Sparmaßnahmen, nicht enden wollende Reformen am Sozialstaat des Nachkriegseuropa, die den sozialen Schutz und die kollektive Sicherheit aushöhlen, Ungleichbehandlung der Interessen von Konzernen einerseits und derjenigen des Durchschnittsbürgers andererseits, andauernde Intensivierung und Zentralisierung der europäischen Integration inmitten eines euroskeptischen Tsunami, die Ungerührtheit des Establishments angesichts der folgenreichen Massenmigration – all das schürt den sozialen Neid und Unzufriedenheit mit der etablierten Politik.“
Zahlreiche Studien und Publikationen beschäftig(t)en sich mit der Frage, warum die Neuen Rechten derart an Attraktivität gewonnen haben. Der Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Wandel und Umbrüchen in der Arbeitswelt lag nahe, wurde aber selten empirisch untersucht. Vor mehr als zehn Jahren startete die EU-Kommission das Forschungsprojekt SIREN (Socioeconomic Change, Individual Reactions and the Appeal of the Extreme Right), an dem acht europäische Länder beteiligt waren. In Österreich untersuchte FORBA die Zusammenhänge zwischen politischen Orientierungen und den subjektiven Wahrnehmungen und Verarbeitungsformen der Umbrüche in der Arbeitswelt. Die Ergebnisse aus 32 qualitativen Interviews mit Angestellten, ArbeiterInnen, PensionistInnen und Arbeitslosen wurden unter anderem 2007 im Buch „Die populistische Lücke“ veröffentlicht.

Aufgestautes Arbeitsleid

Unsicherheit und Unzufriedenheit mit der Politik, die keine Sicherheit bieten kann, waren schon damals die Kernthemen. Auch die weiteren Ergebnisse der FORBA-Studie sind hochaktuell: Umstrukturierungen, Rationalisierungen, steigende Arbeitsintensität sind allgegenwärtig im Berufsalltag („Man kommt heim wie ein ausgepresster Fetzen“). Aus Sparmaßnahmen resultierender Personalmangel führt zu häufigeren Verzögerungen und Kundenbeschwerden, Stress und Frust bei den Beschäftigten steigen. Veränderungsprozesse in Unternehmen sind kaum durchschaubar, Vorschläge von Beschäftigten werden ignoriert. Fast alle Befragten berichten, dass sich im Laufe der Jahre die Distanz zum Management vergrößert hat, was als Demokratiedefizit empfunden wird.

Erlebtes Arbeitsleid

Das erlebte Arbeitsleid – „also die körperlichen, psychischen und sozialen Folgen der Unterwerfung unter die Zumutungen des Erwerbslebens, denen keine adäquate oder eine unsicher werdende Belohnung in Form von Einkommen, Sicherheit, Anerkennung und damit gesellschaftlicher Integration gegenübersteht“ – spielt eine wichtige Rolle. Leistungs- und Verfügbarkeitsgrenzen werden oft zu spät oder gar nicht bewusst wahrgenommen und kommuniziert. „Erst diese Blockaden, erfahrenes Arbeitsleid direkt zum Ausdruck zu bringen, ermöglichen es, das damit verbundene Unrechtsempfinden oder die aufgestaute Wut für Angriffe auf angebliche Sozialschmarotzer oder ‚Ausländer, die uns ausnützen‘, zu mobilisieren“, schreiben die Studien-AutorInnen.  Außerdem: Nicht nur die beruflich erfolgreichen AufsteigerInnen haben „Arbeitsorientierung, Arbeit als Pflicht und Selbstzweck bzw. Leistungsprinzip so sehr verinnerlicht, dass andere Einstellungen und Lebensentwürfe kaum akzeptiert werden können“. So werden andere schnell zu „Sozialschmarotzern“. Gleichzeitig wird auch eigene Erfolg- oder Arbeitslosigkeit als dramatisch erlebt.
Die Neuen Rechten sind für mehrere Gruppen attraktiv: für leistungsorientierte Selbstständige und für aufstrebende Angestellte, die um den Platz in der gesellschaftlichen Mitte kämpfen; für ArbeiterInnen und „kleine“ Angestellte, denen verschärfte Bedingungen und physische Belastungen am Arbeitsplatz sowie fehlende Anerkennung zu schaffen machen. Geringverdienende Frauen mit Kindern wiederum leiden besonders unter ihrer Doppelbelastung und sehen sich in Konkurrenz mit billigen ausländischen Arbeitskräften. So gut wie alle haben Angst, „ausgemustert“ oder ausgegrenzt zu werden, trotz hoher Leistungsbereitschaft.
Dass es sich bei den Sorgen der Menschen nicht nur um geschürte Ängste ohne Grundlage handelt, zeigt ein Blick in die Statistik. Ganze 14 Prozent Realeinkommensverlust für ArbeiterInnen verzeichnete die Statistik Austria zwischen 1998 und 2013. Derartige Einbußen sind täglich schmerzlich spürbar und führen, in Kombination mit ausufernden Arbeitszeiten und hohen Flexibilitätsanforderungen, zu sozialer Isolation bzw. Angst vor Isolation. „Betroffene nehmen als besonders schmerzlich wahr, dass sie gesellschaftlich nicht mehr mithalten können und sich ihre Sozialkontakte reduzieren. Es stellen sich Gefühle der Entfremdung von der Gesellschaft ein. Angesichts der Wahrnehmung von Immigrant/inn/en im öffentlichen Raum, zumal ihrer auffälligen Geselligkeit und ihrer oft großen Familien, kann sich diese Entfremdung leicht an den ‚Fremden‘ entzünden. […] Migrant/inn/en und fremde Religionen werden dabei vielfach zum Symbol für die Fremdheit in der Gesellschaft – eine Fremdheit, die auch ohne Immigration gegeben wäre“, fassen die Studien-AutorInnen zusammen.
„Der Druck in der Arbeitswelt und die Angst vor Jobverlust sind seit unserer Untersuchung nicht kleiner geworden“, umreißt Jörg Flecker, einer der AutorInnen sowie Leiter des Instituts für Soziologie an der Uni Wien, die aktuelle Situation. „Der Wohlfahrts-Chauvinismus – wer hat Anspruch auf Sozialleistungen – wird sich noch weiter zuspitzen. Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt oder auch um günstige Wohnungen wird weiter zunehmen.“

Sozioökonomische Spaltung

Die Lebenswelten von ArbeiterInnen und Vermögenden, von Gebildeten und weniger Gebildeten driften immer weiter auseinander. Diese sozioökonomische Spaltung stellt ein gravierendes Problem dar. Aufrufe zur Toleranz, „mit denen die politische Mitte und die intellektuelle Elite auf Manifestationen des Hasses auf Sündenböcke reagierten“, wären eher kontraproduktiv und würden nur zu weiterer Entfremdung beitragen. „Mich und meine Probleme sieht keiner“ ist dann nicht selten die Reaktion von „ModernisierungsverliererInnen“. Flüchtlinge bekämen breite Aufmerksamkeit und alles geschenkt, während die eigene prekäre Situation niemanden zu interessieren scheint. Da kommen die Rechtspopulisten gerade recht.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin office@astrid-fadler.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406499 Nicht alle AnhängerInnen von Rechtspopulisten sind auch AusländerfeindInnen. Sehr wohl aber nehmen sie diese Haltung wissentlich in Kauf. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406510 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406318 Die Grenzen ignoriert Stärker als je zuvor tendiert die Menschheit gegenwärtig zu beschleunigtem Wachstum der Bevölkerung, rascherer Nutzung von Boden, Steigerung von Produktion, Verbrauch und Erzeugung von Schadstoffen. Man nimmt dabei kurzerhand an, dass der natürliche Lebensraum dies zulasse oder dass Wissenschaft und Technik alle etwaigen Hindernisse überwinden könnten.“

Es ist ein Satz, der so klingt, als wäre er erst vor Kurzem geschrieben worden. Dieser Eindruck täuscht aber, denn das Zitat stammt aus dem Jahr 1972. Damals nämlich begann man sich in einer breiten Öffentlichkeit mit den „Grenzen des Wachstums“ zu beschäftigen, wie auch der Titel des Buches lautet, dem dieser Satz entnommen ist. Darin wird eine Studie im Auftrag des Club of Rome über die Zukunft der Weltwirtschaft zusammengefasst.

Vorausschauend

So umstritten der Club of Rome selbst wegen seiner Unternehmernähe ist und so skeptisch man mancher Analyse gegenüberstehen mag, so vorausschauend wirken die Schlussfolgerungen der „Grenzen des Wachstums“: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“
Seither beschäftigen sich viele verschiedene AkteurInnen mit der Zukunftsfähigkeit des vorherrschenden Wachstumsmodells, aktuell vor allem unter dem Stichwort Nachhaltigkeit. Allein, die Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Umweltpolitik sollten bescheiden bleiben. Daran änderte auch das Platzen der Finanzblase im Jahr 2008 wenig: Im Mainstream hält sich das Ankurbeln des Wachstums bis heute als zentrales wirtschaftspolitisches Ziel.

Ungenutzte Chance

Dabei ist diese Krise nur ein weiterer Schuss vor den Bug des aktuellen Wirtschaftssystems und hätte somit einer von vielen Anlässen sein können, dieses grundlegend zu überdenken. „Diese Krise, so die damals einhellige Meinung, böte ein einmaliges Window of Opportunity, um den Ende der 1970er-Jahre eingeschlagenen wirtschaftsliberalen Entwicklungspfad hinter sich zu lassen“, schreibt etwa Berthold Huber, Vorsitzender der IG Metall, in „Kurswechsel für ein gutes Leben“. Diese Hoffnungen allerdings wurden bislang enttäuscht, so Huber. Die nach der Krise ergriffenen Maßnahmen seien „vor allem symbolischer und strukturkonservativer Natur“: keine wirksame Regulierung der Finanzmärkte, keine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik in Richtung Nachhaltigkeit.
Die deutsche Gewerkschaft IG Metall ist nur eine von vielen AkteurInnen, die sich mit Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftssystem beschäftigen. Man muss das Problem bei der Wurzel packen, lautet die Analyse, und diese Wurzel ist das auf Wachstum und Ausbeutung der Natur basierende Wirtschaftsmodell.
Im Jahr 2012 veranstaltete sie einen großen internationalen Kongress mit dem Titel „Kurswechsel für ein gutes Leben“, bereits ein Jahr zuvor hatte sie sich bei ihrem Gewerkschaftstag einen solchen Kurswechsel zum Ziel gesetzt. Wie könnte ein Alternativmodell aussehen? Bertholt Huber erklärt die Vorstellungen der IG Metall: Dieser gehe es „um die Frage einer ‚humanen Ökonomie‘ und darum, wie es gelingen kann, qualitatives Wachstum, gute Arbeit, Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe für alle miteinander zu verbinden“.

Neuer Wohlstandsbegriff

In Deutschland beschäftigte sich außerdem eine Enquete-Kommission mit dem Thema. Die 17 Bundestagsabgeordneten und 17 externen Sachverständigen schlugen einen neuen Begriff von Wohlstand sowie eine neue Wohlstandsmessung vor.
Diese müssten „neben dem materiellen Wohlstand auch soziale und ökologische Dimensionen von Wohlstand abbilden“. Auch sie stellten das Wachstumsdogma infrage, denn dieses führe eben nicht automatisch „zu mehr materiellem Wohlstand für alle, mehr sozialer Gerechtigkeit und der Lösung der ökologischen Herausforderungen“.
Außerdem legte die Kommission eine Definition von Lebensqualität vor, die folgende Dimensionen beinhaltet: „der materielle Lebensstandard, der Zugang zu und die Qualität von Arbeit, die gesellschaftliche Verteilung von Wohlstand, die soziale Inklusion und Kohäsion, eine intakte Umwelt und die Verfügbarkeit begrenzter natürlicher Ressourcen, Bildungschancen und Bildungsniveaus, Gesundheit und Lebenserwartung, die Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge sowie sozialer Sicherung und politischer Teilhabe als auch die subjektiv von den Menschen erfahrene Lebensqualität und Zufriedenheit“.

Mehr als materielle Bedürfnisse

In eine ähnliche Richtung gehen die Vorstellungen des britischen Ökonoms Tim Jackson, der als einer der renommiertesten Kritiker des absoluten Glaubens an Wachstum gilt. In seinem Werk „Wohlstand ohne Wachstum“ schreibt er: „Wohlstand in jeder sinnvollen Verwendung des Wortes handelt von der Qualität unseres Lebens und unserer Beziehungen, von der Belastbarkeit unserer Gemeinschaften und von unserem Gefühl einer gemeinsamen Bestimmung.“
Diese Vorstellung geht also weit über die Befriedigung materieller Bedürfnisse hinaus. Für Jackson ist Wohlstand „tief in der Lebensqualität, der Gesundheit und dem Glück unserer Familien verankert. Er zeigt sich in der Stärke unserer Beziehungen und in unserem Vertrauen in die Gemeinschaft. Wohlstand äußert sich durch Zufriedenheit bei der Arbeit und in dem Bewusstsein, dass wir Werte und Ziele teilen. Er beruht auf unserem Potenzial, voll und ganz am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“
All diese Vorstellungen haben jedoch eine wesentliche Einschränkung: Die Entwicklung muss „innerhalb der ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten“ stattfinden.

Menschen für den Wandel

Diese verschiedenen Vorstellungen bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Sie werden sogar von mehr Menschen geteilt, als man dies für möglich halten könnte. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012 sind den ÖsterreicherInnen folgende fünf Wünsche am wichtigsten: Gesundheit, persönliche Lebenssituation, das Leben weitgehend selbst bestimmen zu können, intakte Familie und Partnerschaft, Schutz der Umwelt.
Auch glauben immer weniger Menschen daran, dass Wirtschaftswachstum ihnen eine bessere Lebensqualität verschafft: 2010 teilten diese Meinung noch 40 Prozent, im Jahr 2012 sank der Wert auf 35 Prozent. 79 Prozent der Befragten waren der Meinung: „Es ist möglich, den Zuwachs an materiellem Wohlstand der Bevölkerung mit der Umwelt und einem sorgsamen Umgang mit Ressourcen in Einklang zu bringen.“

Weiter auf Kosten der Zukunft?

Mehr als 40 Jahre sind seit dem ersten Bericht des Club of Rome vergangen, seinen ersten Berechnungen zufolge hätten wir fast die Hälfte auf dem Weg zur Grenze des Wachstums hinter uns gelegt. Seit damals wurden diese Grenzen wiederholt überprüft und adaptiert.
Die Frage ist allerdings weniger, wann die Endlichkeit des Planeten denn nun tatsächlich erreicht ist. Fakt ist, dass die heutige Wirtschafts- und Lebensweise auf Kosten der Menschen wie der Natur geht. Oder um es mit Tim Jackson zu sagen: „Der Wohlstand von heute ist nichts wert, wenn er die Bedingungen untergräbt, von denen der Wohlstand von morgen abhängt.“

Linktipps:
Bertelsmann-Stiftung:
tinyurl.com/jhou9bn
Das pdf des Berichts als Download:
tinyurl.com/nkoskyz

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406484 Schon im Jahr 1972 wurde die Frage nach den Grenzen des Wachstums gestellt. Sie bleibt aktuell. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406476 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406301 Schlechtes Leben fürchten Sie mussten wissen, dass die Chance gleich null war. Trotzdem verjagten die hungernden kleinen Leute von Paris im Jahr 1871 ihre korrupte Verwaltung und wählten eine sozialistische Stadtregierung, die auch den Achtstundentag einführte. Die Truppen des besiegten Frankreichs und des siegreichen Deutschen Reichs bereiteten dann gemeinsam der „Commune“ ein blutiges Ende. Der Dichter Bert Brecht setzte den Besiegten mit seinem Gedicht „Resolution der Kommunarden“ ein Denkmal. Er nannte ihre Ziele – darunter gerechte Gesetze, kein Hunger mehr, Wohnung, Heizung und guter Lohn – und schloss die Strophen mit dem Refrain:

In Erwägung, dass ihr uns dann eben mit Gewehren und Kanonen droht, haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod.

Ähnlich empfinden wohl die meisten Flüchtlinge, die sich, um Krieg, Hunger und Chancenlosigkeit in den finanziell völlig unterversorgten Auffanglagern in der Nachbarschaft der Kriegsgebiete zu entkommen, auf den gefährlichen Weg nach Europa machen. Unter diesen Bedingungen sei, so der ÖGB-Bundesvorstand in seinem einstimmigen Positionsbeschluss zur Flüchtlingsfrage vom 29. Oktober 2015, die Unterscheidung zwischen Kriegs- und sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ … schwer zu treffen. Sie alle treten den Weg nach Europa an, auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben. … Europa muss deshalb … vertriebenen Menschen ausreichend Schutz gewähren!“

GewerkschafterInnen aus betrieblichen und überbetrieblichen Organisationen standen schon immer in den vorderen Reihen, wenn es darum ging, Menschen auf der Flucht zu helfen – die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist ja ihrerseits auch eine Geschichte von Verfolgungs- und Fluchterfahrungen, angefangen von der Pionierzeit im 19. Jahrhundert bis zur faschistischen Ära von 1934 bis 1945. Bei allen Flüchtlingswellen, die Österreich erreichten, hatte der ÖGB dabei das soziale Ganze im Auge. Flüchtlingen eine Chance statt Almosen zu geben, das heißt aus Gewerkschaftssicht, sie nicht zum Spielball am Arbeitsmarkt werden zu lassen, sie nicht gegen die schon im Land befindlichen Arbeitslosen auszuspielen. Das betonte auch der ÖGB-Bundesvorstand 2015: Keinesfalls darf die Notsituation Arbeit suchender Menschen für Lohn- und Sozialdumping missbraucht werden.

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Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406405 ÖGB-Plakat Ende 1956: Nach der Niederlage des antikommunistischen Aufstands in Ungarn kamen 180.000 Flüchtlinge. 1968 folgten nach der Vernichtung des "Prager Frühlings" 162.000 Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406263 Standpunkt | Die Utopie denken! Es mag frivol erscheinen, angesichts von hoher Arbeitslosigkeit vor allem bei Jugendlichen, steigender Prekarisierung, Sparzwang und damit verbundenen Einschnitten ins Sozialsystem oder gar angesichts von Kriegen und dadurch ausgelösten Flüchtlingsbewegungen über das „gute Leben“ zu philosophieren. Man mag sich auch fragen, wie gerade die Gewerkschaft auf eine solche Idee kommen kann, wo viele Menschen hierzulande darum kämpfen, ein halbwegs würdevolles Leben zu führen, weshalb das Stichwort „gutes Leben“ für sie wie eine Utopie erscheinen mag, deren Erfüllung anderen vorbehalten ist. 

An der Wurzel packen

Die Gewerkschaftsbewegung hat sich in der Geschichte aber nicht nur dafür verantwortlich gefühlt, sich für die Verbesserung der konkreten Situation der Menschen einzusetzen. Immer schon war es auch das Ziel, die Probleme an der Wurzel zu packen und nicht nur Symptome, sondern auch deren Ursachen zu bekämpfen. Dazu gehört auch, sich Gedanken über Alternativen zu machen.
Die Symptome sind vielfältig: Es ist sowohl das für viele schlechte Leben in der Arbeit, das für viele schlechte Leben zu Hause (hohe Lebenshaltungskosten bei geringen Löhnen und Einkommen) oder das für viele schlechte Leben in der Gesellschaft (Schulsystem, ungerechte Aufteilung von Haus- und Erwerbsarbeit, Diskriminierungen am Arbeitsplatz ...).
Vorstellungen vom guten Leben wiederum gibt es viele, eine davon ist etwa, sich etwas leisten zu können. Wer all das haben will, muss sich anstrengen, lautet das Mantra. Umgekehrt lautet eine verbreitete Meinung: Wer sich etwas nicht leisten kann, leistet auch nicht genug. Aber nicht alle, die heute viel leisten, werden dafür auch entsprechend bezahlt. Umgekehrt haben nicht alle, die viel haben, dafür auch viel geleistet. Schon gar nicht leisten alle, die viel haben, den gleichen Beitrag zur Finanzierung des österreichischen Staatshaushalts und damit zu einer gerechten Verteilung des gesellschaftlich erwirtschafteten Wohlstands – Stichwort Vermögenssteuern, die weiterhin auf sich warten lassen.
Aber ist das vielbeschworene Wirtschaftswachstum wirklich der einzige Maßstab für ein gutes Leben für alle oder gar Voraussetzung dafür? Schon seit vielen Jahren beschäftigen sich ForscherInnen, PolitikerInnen und AktivistInnen mit den „Grenzen des Wachstums“, denn es ist schon lange absehbar, dass die Bodenschätze zur Neige gehen werden. Und doch basiert die Weltwirtschaft weiterhin weitgehend auf der Ausbeutung dieser Ressourcen.
Ein gutes Leben kann viele andere Dimensionen haben, die über materiellen Wohlstand hinausgehen. Eine Dimension ist etwa die Zeit, über die Menschen frei verfügen können. Es kann bedeuten, entspannt Zeit mit der Familie oder FreundInnen zu verbringen, mit einem guten Buch oder schöner Musik, in Ausstellungen, im Kino, Theater oder in der Natur. Es kann gutes Essen oder erholsame Urlaube an schönen Orten bedeuten. Oder es kann bedeuten, dass man mitbestimmen kann, wann, wo und wie lange man arbeitet.

Verteilungsproblem

Heute können nur manche Menschen frei darüber entscheiden, welche dieser Möglichkeiten sie in Anspruch nehmen wollen – oder vielleicht auch nicht. Hinter dieser Ungleichheit steckt vor allem ein Verteilungsproblem. Dagegen wiederum wenden manche ein: Man könne nicht allen die gleichen Konsummöglichkeiten geben, Stichwort zur Neige gehende Rohstoffe. Doch wer sagt denn eigentlich, dass Menschen der Sinn nur nach Konsum steht, wenn sie mehr Zeit und Geld haben? Eins ist klar: Die Gesellschaft wird über all das reden müssen, wenn sie nicht auf dem Rücken anderer – ob in Gegenwart oder Zukunft – weiterwirtschaften möchte. Ich hoffe, dass wir mit dem Heft dafür einen kleinen Anstoß geben können, und wünsche gute Lektüre sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406246 GPA-djp: 1.700 Euro: "Das ist wohl das Mindeste!" In Österreich verdienen immer noch knapp zwölf Prozent der Vollzeitbeschäftigten unter 1.500 Euro brutto, das sind rund 270.000 Menschen. Netto entspricht das 1.161 Euro und damit ziemlich genau dem Grenzwert, mit dem Armutsgefährdung definiert wird. „Wir sind überzeugt, dass es höchste Zeit ist, die Mindestlöhne und Gehälter stärker anzuheben“, erklärt Wolfgang Katzian, Vorsitzender der GPA-djp.

1.700 Euro brutto bei Vollzeitbeschäftigung, das sind ab 1. Jänner 2016 mit der von den Gewerkschaften erfolgreich durchgesetzten Steuerreform rund 1.250 Euro netto. „Das ist keine Utopie, sondern eine unabdingbare Voraussetzung, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können“, so Katzian.
Das Meinungsforschungsinstitut IFES hat eine Sonderauswertung des Arbeitsklima Index durchgeführt. Die Daten bestätigen, dass eine Erhöhung für die Lohn und -gehaltsgruppen unter 1.700 Euro massive Auswirkungen auf ihre Lebensgestaltung hat. Die Anhebung ist außerdem ein wirksamer Schritt für mehr Einkommensgerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und zum Schließen der Einkommensschere. Frauen sind in viel höherem Ausmaß von niedrigen Vollzeiteinkommen betroffen als Männer. Auch Teilzeitbeschäftigte, von denen besonders viele weiblich sind, würden von einer Erhöhung profitieren.
„Die Selbstbestimmung von Frauen, nicht nur im Erwerbsleben, sondern darüber hinaus in der Pension, setzt ein Einkommen voraus, von dem man leben kann“, betont Bundesfrauenvorsitzende der GPA-djp Ilse Fetik.
In einer Aktionswoche Anfang Dezember haben KollegInnen der GPA-djp in Betrieben und im öffentlichen Raum Unterstützungsunterschriften für diese Forderung gesammelt. Die GPA-djp wird dieses Ziel zudem bei allen anstehenden Kollektivvertragsrunden konsequent verfolgen.

Infos unter: www.gpa-djp.at/aktionswoche

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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406240 AK/ÖGB: Zu wenig Zeit für Lehrlinge Während die duale Ausbildung zunehmend zum Exportschlager avanciert, streben hierzulande immer weniger Jugendliche eine Lehre an. Um diesem Widerspruch auf den Grund zu gehen, haben Arbeiterkammer und der ÖGB eine umfassende Befragung beauftragt: den ersten österreichweiten Lehrlingsmonitor. Die Ergebnisse sollten den Unternehmen zu denken geben: „Zwei von fünf Lehrlingen sehen ihren Ausbildner, ihre Ausbildnerin nur manchmal oder sie kennen ihn/sie gar nicht. Ein ähnlich hoher Anteil bekommt nur kaum oder gar keine Rückmeldung zum Ausbildungsfortschritt. Jeder dritte Lehrling gibt sogar an, immer oder häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten eingesetzt zu werden“, zitiert Autor Peter Schlögl zentrale Erkenntnisse der Studie.

Weitere Punkte im Sündenregister: „Nicht einmal zwei Drittel der Lehrbetriebe (61 Prozent) interessieren sich dafür, was die Jugendlichen in der Berufsschule lernen – und jeder zweite Lehrling sagt, dass es bei neuen Arbeitsaufgaben nicht genug Zeit zum Ausprobieren gibt.“ Ausgerechnet jene Branchen, die am lautesten nach Lehrlingen schreien, sind im Übrigen auch jene, in denen die Jugendlichen nicht bleiben wollen. „Die Jugendlichen wollen keine unfreiwilligen Überstunden machen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten“, hält Vanessa Radu, Bundesjugendsekretärin der vida, fest. „Die Aufgabe der Betriebe ist es, die Lehrlinge auszubilden und sie auf ihrem Weg zur Lehrabschlussprüfung zu begleiten.“ „Was im schulischen Bereich unvorstellbar wäre, ist in der Lehrlingsausbildung der Normalfall: Es wird nicht kontrolliert, wie gut oder schlecht die Jugendlichen ausgebildet werden“, kritisiert ÖGJ-Vorsitzender Sascha Ernszt. „Das zu ändern muss eine Lehre aus dem ersten Lehrlingsmonitor Österreichs sein.“ Auch AK-Präsident Rudi Kaske hält fest: „Derzeit ist die Lehrabschlussprüfung der einzige Gradmesser für die Qualität der praktischen Ausbildung in den Betrieben. Es gibt in den meisten Betrieben keine weitere Überprüfung, und das soll sich ändern.“ ÖGB-Präsident Erich Foglar wiederum betont: „Da Arbeits- und Ausbildungsbedingungen maßgeblich für die Zukunft der ArbeitnehmerInnen sind, gehört für uns eine umfangreiche Ausbildung für die LehrlingsausbildnerInnen in den Betrieben sowie ständige Weiterbildung der AusbildnerInnen dazu. Die Lehrlinge können nur so gut sein, wie jene, die sie ausbilden.“ Von nun an wollen Gewerkschaften und AK alle zwei Jahre aus Sicht der Lehrlinge Vergleiche und Rückschlüsse ziehen, ob die Lehrausbildung einen Schritt nach vorn oder zurück macht.

Infos unter www.lehrlingsmonitor.at

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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406220 GPA-djp/AK: Mehr Fairness bei All-in-Verträgen Die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) drängt schon viele Jahre auf gesetzliche Initiativen gegen den Missbrauch von All-in-Verträgen – mit Erfolg! Ab dem 1. Jänner 2016 muss das Grundgehalt für die Normalarbeitszeit klar ausgewiesen sein.
Die verpflichtende Transparenz macht es möglich, auszurechnen, wie Mehrarbeitsstunden durch eine Überzahlung gedeckt sind.

„Es geht nicht darum, diese Vertragsform generell in Frage zu stellen“, hält GPA-djp-Chef Wolfgang Katzian fest. „Die Verträge sollen auf jene Tätigkeiten beschränkt bleiben, die echte Führungs- und Managementaufgaben beinhalten, und sie sollen auch kein Instrument sein, um Lohn- und Gehaltsansprüche von Beschäftigten zu senken.“ Weitere Verbesserungen: Teilzeitbeschäftigte müssen in Zukunft darüber informiert werden, wenn in einem Unternehmen eine Stelle mit höherem Arbeitszeitausmaß ausgeschrieben wird. Konkurrenzklauseln sind nur noch bei Einkommen ab 3.240 Euro zulässig. Außerdem sind ArbeitgeberInnen künftig verpflichtet, den ArbeitnehmerInnen eine schriftliche Lohnabrechnung sowie eine Kopie zur Anmeldung zur Sozialversicherung auszuhändigen. „Derzeit erleben die Rechtsberaterinnen und Rechtsberater in Gewerkschaften und Arbeiterkammern allzu oft, dass Beschäftigte gar keine Lohnabrechnungen erhalten oder nur einen Waschzettel, auf dem ein einziger Betrag genannt ist“, kritisiert AK-Präsident Rudi Kaske.

Infos unter tinyurl.com/ox57vao

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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406214 Mehr Geld ab 1. Jänner In wenigen Wochen ist es so weit: Die Steuerreform wird am 1. Jänner 2016 in Kraft treten, Millionen ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen werden dann Monat für Monat mehr Geld auf das Konto bekommen. Geld, das viele Menschen dringend brauchen. Von den Miet- und Heizkosten über Medikamente bis hin zum täglichen Einkauf – alles wird teurer. Insgesamt sollen die ÖsterreicherInnen um bis zu fünf Milliarden Euro entlastet werden – 90 Prozent davon fallen auf kleine und mittlere Einkommen.

„Wichtig war uns vor allem, dass in Zukunft durch diese Tarifänderung den Menschen von den guten Lohn- und Gehaltserhöhungen mehr Geld übrig bleibt“, sagte ÖGB-Präsident Erich Foglar anlässlich einer Informationsveranstaltung in der ÖGB-Zentrale in Wien. „Gemeinsam haben wir die größte Steuerreform seit 40 Jahren erreicht. Ohne die großartige Unterstützung der BelegschaftsvertreterInnen und 882.184 gesammelten Unterschriften wäre das in dieser Größenordnung nicht möglich gewesen“, betonte Willi Mernyi, Kampagnen-Koordinator des ÖGB.
Mehr als 300 TeilnehmerInnen wurden über die spürbare Entlastung im Jahr 2016 informiert.
Die erfolgreiche „Lohnsteuer runter!“-Kampagne des ÖGB und der Arbeiterkammer ist ein weiterer Beweis dafür, dass man gemeinsam mehr erreichen kann und wie wichtig es ist, (mitglieder-)starke Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen zu haben

Mehr Infos unter:
www.oegb.at/mitgliedwerden

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Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406208 Niemand ist eine Insel In der Grippezeit sind die Krankenzimmer voll. Das Vorweisen der E-Card bei der Arztassistentin ermöglicht einen Arztbesuch, ohne zu bezahlen. Für die Medikamente sind nicht die gesamten Kosten, sondern lediglich eine fixe Rezeptgebühr zu entrichten. Kaum jemand denkt daran, dass es auch anders sein könnte. Es ist nicht vorstellbar, dass es wie in den USA mächtige Lobbys gibt, die eine verpflichtende Krankenversicherung abschaffen möchten. Auch viele andere Leistungen des Staates sind für uns selbstverständlich. Der Wohlfahrtsstaat ist ein Eckpfeiler unseres täglichen Lebens.

Weltweites Vorbild

Wir ärgern uns über die Straßenbahn oder den Zug, der morgens zu spät kommt. Über die rumplige Straße. Darüber, dass die Schule schon so früh beginnt und dass man von der Polizei aufgehalten worden ist.
Aber ganz ehrlich! Stellen wir uns einmal ein „gutes Leben“ ohne staatliche Leistungen vor. Ja, vom Bruttogehalt würde definitiv mehr Netto bleiben. Denn wir zahlen dafür, dass wir uns gegen Arbeitslosigkeit, gegen Armut im Alter, gegen Krankheit absichern.
Wir teilen das Risiko mit den anderen. Dadurch erwerben wir aber auch Ansprüche. Wir bekommen eine Ersatzleistung, wenn der Job weg ist – ein Umstand, der in Österreich im Jahr 2014 immerhin 922.387 Menschen betroffen hat. Neben dieser Versicherungsleistung ist die Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistung ein wichtiges Instrument, um die Lebenssituation zu verbessern. Das beginnt mit der Bereitstellung von Wohnbauten mit leistbaren Mieten, von Straßen, Schulen und öffentlicher Sicherheit. Im öffentlichen Verkehr bis hin zum Krankenhaus arbeiten damit auch Menschen für die Allgemeinheit.

Risiko teilen

Klar gibt es eine kleine Gruppe von gut verdienenden Menschen, die sich all diese Leistungen auch privat organisieren kann. Es gibt Privatspitäler, Privatschulen, private Absicherung, private Security. Aber bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von brutto rund 1.900 Euro bzw. bei einem Bruttohaushaltseinkommen von etwa 3.600 Euro würde eine österreichische Durchschnittsfamilie mitunter Schwierigkeiten haben, wenn all diese Leistungen auf privater Basis von gewinnorientierten Unternehmen zugekauft werden müssten.
Uns geht’s gut, weil wir den Sozialstaat geschaffen haben. Ist das Schönfärberei? Nein, sagen auch US-Ökonomen wie Jeffrey Sachs, die den europäischen Wohlfahrtsstaat (auch wenn es davon viele Varianten gibt) weiterhin als weltweites Vorbild bzw. Standortvorteil sehen. Der Wohlfahrtsstaat verteilt zwischen Reich und Arm und zwischen verschiedenen Lebenslagen um. Manche haben lange Ausbildungszeiten, die von der Allgemeinheit finanziert werden, dafür haben sie dann höhere Einkommen mit einem progressiven Steuersatz und zahlen deshalb mehr Steuern.
Andere werden in einem öffentlich zugänglichen, dabei qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem schneller geheilt und tragen dann arbeitend auch wieder zu dessen Finanzierung bei.
Obwohl unser Wohlfahrtsstaatssystem sehr weit entwickelt ist, heißt das nicht, dass sich nicht die Anforderungen ändern, es keine Lücken hat und nicht laufend mit den Bedürfnissen der Bevölkerung mit- und weiterentwickelt werden soll und muss.


Aufstieg möglich

Neben den absichernden Elementen des Staates ist auch zentral, dass die staatlichen Leistungen unterstützen, dass sich Menschen in die Gesellschaft integrieren können, ein gesellschaftlicher Aufstieg ermöglicht und soziale Ausgrenzung vermieden wird. Es geht also auch um Möglichkeiten, teilzuhaben und beizutragen.
Ungleiche Voraussetzungen schaffen auch ungleiche Ergebnisse, wie Forschungen des US-Professors John Roemer zeigen. Wenn jemand in einem 100-Meter-Lauf günstigere Startbedingungen hat, also bei Meter 50 lossprintet, wird er klarerweise viel leichter gewinnen können.
Daher muss mittels Steuerpolitik vermieden werden, dass sich ungleiche Voraussetzungen verfestigen und quasifeudale Strukturen immer fortschreiben. Berühmte Ungleichheitsforscher wie Thomas Piketty, Tony Atkinson oder Joseph Stiglitz treten deshalb für eine Besteuerung von hohen Vermögen in Form von Erbschafts- und Vermögenssteuern ein.

Zentraler Schlüssel Bildung
Öffentliche Dienstleistungen und Investitionen helfen viel stärker mit, diese Integrationsfunktion zu gewährleisten, als reine Geldleistungen.
Als zentraler Schlüssel wird hier Bildung gesehen. Es beginnt mit der frühkindlichen Erziehung, der Elementarbildung, wo eine soziale Durchmischung sich gesamtgesellschaftlich positiv auswirkt, und setzt sich bis zum offenen Zugang für den Besuch von Universitäten fort.
Viele unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen können damit schon früh gesammelt werden. Das ist keine radikale oder ideologische Forderung, sondern wird auch von internationalen Organisationen wie der OECD und auch den österreichischen Sozialpartnern gemeinsam unterstützt.


Überzogene Hoffnung

Eine Geldleistung allein, etwa ein Grundeinkommen, leistet diese Integrationsleistung nicht. Dies ist vielmehr eine überzogene Hoffnung, die mit dem Begriff verbunden wird. Denn eigentlich wird hier eine Geldleistung gefordert, ein Transfer, über dessen Zweck und Verwendung nichts gesagt werden kann.
Auch entpuppen sich oftmals gefeierte Beispiele bei näherem Hinsehen als mickrige Alternativen. Ein aktuelles Beispiel aus Finnland zeigt, dass es sich hier um nichts mehr als um eine Anpassung einer Lohnsubvention handelt – mit Arbeitspflicht.
Gerade die aktuelle Debatte über den Umgang mit flüchtenden Menschen zeigt auch, dass eine Grundversorgung ein wichtiger, aber noch lange kein hinreichender Baustein für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft ist. Hier wird wieder zurückgegriffen auf Institutionen, die erstritten und erkämpft wurden und sich seither bewähren: Schule, Ausbildungssysteme, aktive Arbeitsmarktpolitik, soziale Absicherung. Es ist die Kombination zwischen Unterstützung und Beitrag, Umverteilung und Anerkennung, die wichtige Elemente des sozialen Ausgleichs sind.
Die gute Nachricht ist zudem, dass Menschen sich in Gesellschaften, die nach sozialer Gerechtigkeit streben, besser fühlen als in ungleichen, wie die britischen Forscher Kate Pickett und Richard Wilkinson herausgefunden haben. Nein, es ist nicht alles paletti. Unsere Gesellschaft und damit auch das wohlfahrtsstaatliche System stehen vor vielen Herausforderungen.
Ein gutes Leben kann in der heutigen Zeit für viele Menschen individuell ganz Verschiedenes bedeuten. Auch der Ressourcenverbrauch, die Umwelt, setzt hier Grenzen. Auf der anderen Seite wurde durch die Globalisierung die Welt zum Dorf und viele Grenzziehungen finden neu statt.


Vorzüge

Wenn wir uns der Vorzüge des Wohlfahrtsstaates bewusst sind und an den bestehenden Herausforderungen arbeiten, kann vieles im Sinne eines guten Lebens gelingen. Ein System, das auf gemeinschaftlicher Tragung der Risiken und sozialem Ausgleich fußt, schafft vielfache Voraussetzungen dafür, dass vielen Menschen Möglichkeiten eröffnet werden und sie sich wohlfühlen – und nicht nur einige wenige.

Linktipp:
OECD – In It Together: Why Less Inequality Benefits All:
tinyurl.com/ppovctc

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
christa.schlager@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Christa Schlager, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406432 Wenn wir uns der Vorzüge des Wohlfahrtsstaates bewusst sind und an den bestehenden Herausforderungen arbeiten, kann vieles im Sinne eines guten Lebens gelingen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406447 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716406186 Knallharte Machtfragen Zur Person
Ulrich Brand 
ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er studierte Betriebswirtschaft, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Ravensburg, Frankfurt am Main, Berlin und Buenos Aires. Seine Forschungsschwerpunkte sind Globalisierung, Politische Ökonomie, Umwelt- und Ressourcenpolitik, Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Soziale Bewegungen.

 

Arbeit&Wirtschaft: Kann man die Frage nach dem guten Leben angesichts hoher Arbeitslosigkeit, Armut, stagnierenden Löhnen oder Flüchtlingsbewegungen überhaupt stellen?

Ulrich Brand: Es gibt ja eine dominierende Vorstellung in der Gesellschaft, was das gute Leben ist: Man soll viel verdienen, viel konsumieren, nicht zu viele Fragen stellen, diszipliniert sein. Wenn man sich die Gewerkschaftszeitungen ansieht, etwa die neue Ausgabe (der „Kompetenz“, Anm.): Da geht es um die Kollektivvertragsverhandlungen, zu sehen ist ein junges Pärchen, und über ihnen schwebt eine Wolke mit Auto, Kühlschrank, Reise, Eurozeichen und so weiter.
Doch das hat eine Kehrseite: So wie das gute Leben heute verstanden wird, führt es dazu, dass Menschen arbeitslos werden, dass Ressourcenzuflüsse hier zu Ressourcenkriegen woanders führen, sodass Menschen fliehen. Die heutige Vorstellung vom guten Leben ist individualisiert, erzeugt viel Druck und das führt zu Problemen.
Wir müssen die Frage des guten Lebens anders stellen und beantworten: Ein gutes Leben ist ressourcenleicht, solidarisch, ökologisch nachhaltig, nicht auf Kosten anderer.


Ist es denn so unverständlich, dass man nicht verzichten möchte?

Es gibt zwei Dimensionen bei dieser Diskussion, die erste wäre: Wir wissen vor allem aus der Gesundheitsforschung, dass ab einem bestimmten Einkommen subjektives Glücksempfinden größer ist, wenn die Verteilung gleicher ist. Wilkinson und Pickett haben gezeigt, dass das individuelle Wohlbefinden durchaus etwas mit der Gesellschaft zu tun hat, nämlich mit einem Gefühl, dass es mehr oder weniger gerecht zugeht, dass es auch anderen nicht so schlecht geht. Zweitens: Aus meiner Sicht ist Debatte um gutes Leben keine Debatte um Glück. Glück ist etwas Individuelles, man kann viel Geld haben und unglücklich sein. Die Frage nach dem guten Leben heute ist vielmehr die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Menschen solidarisch, auskömmlich und nachhaltig leben können. Das ist aus meiner Sicht der Kern der Debatte.
Jetzt kommen wir an eine Scheidestelle, denn es gibt eine ökologische Restriktion. Wir können nicht mehr sagen: Die Bedingung für ein gutes Leben ist ein Industriekapitalismus, der nicht so genau schaut, wo die Ingredienzen des Kuchens herkommen, Hauptsache der Kuchen wächst und wir können die Stücke verteilen. Wir müssen genauer fragen: Was hat es mit den Ingredienzen des Kuchens auf sich?

Aber kann man Menschen in den Nicht-Industrieländern wirklich übel nehmen, dass sie die gleichen Konsummöglichkeiten haben wollen?

Ich würde nicht sagen: Die Chinesen sollen unsere Konsummöglichkeiten haben, etwa in der Mobilität. Es braucht in China dringend ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein. Es geht nicht, dass du ein Auto hast, sobald du ein bisschen im Wohlstand lebst, wenn du dann Mittelklasse bist – und zwar nicht als moralische Ansprache, sondern als gesellschaftspolitisches Problem. Jetzt kommen in China die Smogs wieder, das ist ein Desaster. Und die Leute wissen doch, dass es ein Desaster ist.
Die staatlichen Politiken ändern sich jetzt ein bisschen. Nur hat das Zentralkomitee in China 1980 entschieden: Wir erhöhen die Mobilität weitgehend über Automobilität. Nur warum hat der Staat nicht gesagt: Wir machen das über öffentlichen Verkehr? Heute machen sie es, aber das ist total additiv zum großen Drive Automobilität. Ich würde sagen: Die Menschen in China sollen eine befreiende Mobilität haben, die auf einem guten, öffentlichen Verkehr basiert. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will nicht den moralischen Zeigefinger erheben, sondern auf die gesellschaftspolitischen Probleme hinweisen.

Lieber gutes Fleisch und davon weniger als billiges: Das klingt doch nach Verzicht, oder?

Dieser Rahmen – und der ist sehr stark in der Gewerkschaft vertreten – ist aus meiner Sicht falsch. Vielmehr müsste man sagen: Wir brauchen ein anderes Verständnis von Wohlstand. Ich würde den Leuten nicht ihr Schnitzel verbieten. Vielmehr muss gutes Fleisch gesellschaftlich so verstanden werden, dass es ökologisch produziert wird, zwar etwas teurer ist, aber dass ich Freude habe, wenn ich zweimal die Woche Fleisch esse. Das sind kulturelle Veränderungen – und ich glaube, dass da die Gewerkschaften eine zentrale Rolle spielen. Die Verzichtforderung zählt zudem zu den konservativen Vorschlägen. Die halte ich für ziemlich problematisch, weil wenn sie Verzicht oder Gürtel enger schnallen sagen, dann meinen sie: die Ärmeren. Oder den Süden. Da würde ich sagen: Nein, es geht um einen solidarischen Umbauprozess.

Wie viel haben diese Fragen mit Verteilung zu tun?

Wir müssen die Frage des Übergangs oder der sozial-ökologischen Transformation, wie ich es bezeichne, unbedingt mit Verteilungsfragen kurzschließen. Aber nicht nur. Da würde ich die Leute in die Pflicht nehmen. Es muss eben nicht das Menschenrecht auf das tägliche Schnitzel sein. Wir wissen aus allen Gesundheitsstudien, dass wir zu viel Fleisch essen. Es ist also gesünder, es ist solidarischer, und es gibt hier super regionales Essen, das nachhaltig angebaut wird.
Der Umbauprozess hängt aber natürlich mit der Verteilungsfrage zusammen. Man sollte eben nicht bei den einkommensschwachen Hacklern oder sogar bei den Arbeitslosen anfangen. Bisher läuft die Alternativdiskussion – der Hype um Thomas Piketty oder Joseph Stiglitz, die beide in traditionellen Wachstumskategorien denken – unter dem Verteilungsgesichtspunkt. Ich würde den nie aufgeben wollen – auch die Verteilung von Macht, nicht nur von Einkommen und Vermögen. Aber ein Systemimperativ heute lautet: Es gibt drei wirtschaftspolitische Forderungen, nämlich Wachstum, Wachstum, Wachstum. Die Systemlogik ist: Geh nicht an die Macht der Vermögenden, geh nicht an die Macht des Kapitals. Das muss infrage gestellt werden.
Und die Bevölkerung muss an diesem Prozess beteiligt werden. „Nur das Kapital macht“: Das wäre mir zu wenig. Genauso zu sagen: „Nur die Leute, der Konsument macht das, wir kriegen das über den Lifestyle hin.“ Das glaube ich nicht, das sind knallharte Machtfragen.

Über Werbung werden Bedürfnisse bei den Menschen geweckt, die eigentlich der Profitlogik von Unternehmen dienen. Kann man sich dem überhaupt entziehen?

Ich denke schon. Es gibt natürlich Produktivitätssteigerungen – hoffentlich gibt es die, ein sozial verantwortlicher Unternehmer hat allein schon einen Expansionszwang, wenn er keine Leute entlassen will. Aber wir könnten ja auch die alte Idee von Keynes aufnehmen, der 1930 in seinem „Text an die Enkel“ geschrieben hat: Wenn wir Produktivitätswachstum haben, könnte das ja auch über Arbeitszeitverkürzung laufen. Was wäre das für ein kultureller Wandel!
Und jetzt nehmen wir noch die Flüchtlingsfrage dazu und verbinden sie mit einem Wunsch, der sich in allen Umfragen zeigt: Die Menschen wollen 30 Stunden arbeiten. Die Debatte um andere Wohlstandsmodelle und Machtfragen mit der 30-Stunden-Frage zusammenzubringen: Das wäre die Aufgabe von Gewerkschaften und Arbeiterkammern. Die Leute haben doch bewiesen, dass sie bereit sind, ihre Klamotten herzugeben, und ich würde das nicht als Wohlstandsmüll denunzieren. Da haben Menschen geteilt, weil andere Menschen in Not waren. Wenn wir das umstellen und sagen: Ja, ich bin glücklicher mit 30 Stunden, ich habe eine gute öffentliche Infrastruktur, ich werde nicht über den Tisch gezogen und ich kann mich für etwas anderes einbringen – ich kann zum Beispiel fünf Stunden die Woche Unterricht für Flüchtlinge geben. Das ist doch irre! Da würde die Gesellschaft anfangen umzudenken.

„Raus aus der Beschleunigung“ versus „Rein in den Konsum“. Wie lässt sich dieser Widerspruch entkoppeln?

Ein kleiner gedanklicher Umweg: Ich sage, es muss aus meiner Sicht ein bedingungsvolles Grundeinkommen geben, und zwar nicht als Zwang, sondern dass man mit seiner Zeit auch Sinnvolles machen kann. Der kulturelle Wandel wäre: Ich habe mehr Zeit für anderes, für mich, für die Familie, für mein Grätzl, für die Politik, wie auch immer. Dann würde es eben nicht bedeuten „Mehr Zeit ist mehr Konsum“. Das wird uns aber nahegelegt: Du bist völlig entfremdet in der Arbeit, du hältst die Klappe von Montag bis Freitag und am Samstag gehst du zu Saturn oder kaufst dir ein T-Shirt für 1,99 aus Bangladesch und fragst nicht genau, unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde.
Diese Veränderung hin zu einer solidarischen Lebensweise ist eine, die natürlich Vorbilder braucht, die Orientierung braucht. Da würde ich die Gewerkschaften und Arbeiterkammern in die Pflicht nehmen. Sie sollten nicht sagen „Mehr im Geldbörsel!“ oder „Billig konsumieren!“, sondern vielmehr: „Solidarisch und gut konsumieren!“.
Die Gewerkschaften in Österreich gerade in den 1920ern haben ja gesagt: Wir sind gesellschaftspolitische Akteure und wir gestalten mit. Dann sind sie in die Defensive gedrängt worden als Partikularinteressenvertreter, während das Kapital das Allgemeininteresse vertritt. Genau das ist ja der Erfolg des Neoliberalismus. Und jetzt zu sagen: Die Gewerkschaften vertreten weiter die Interessen ihrer Mitglieder, aber sie vertreten auch das Interesse an einer guten Umwelt, an Zukunftsfähigkeit ... Dazu gehört aber auch, dass man sagt: Ihr, liebe Mitglieder, seid nicht entlassen, das machen nicht nur wir Vertreter, sondern engagiert euch! Die Menschen selber sollen sich als politisches Subjekt fühlen. Klar, wir benötigen Formen der Repräsentation, aber es gibt so viele Interessenbildungsprozesse, die völlig abgeschnitten von den Mitgliedern ablaufen, weil die Gewerkschaften oder die Funktionäre – und ich meine das nicht böse – ja eh wissen, was die Mitglieder wollen. Es geht also um eine Re-Politisierung – und damit meine ich keine Überpolitisierung, sondern eine kluge Re-Politisierung. Das war ja so spannend am Flüchtlingsthema im Sommer.
Da wäre Arbeitszeit ein spannendes Thema, auch Vermögenssteuern. Oder das Klimathema: Wir wissen, wir leben materiell über unsere Verhältnisse, wir zerstören da etwas. Da gibt es einen großen Unmut. Diesen könnte man in eine andere Lebensweise umbauen, etwa indem man sagt: Wien wird im Jahr 2030 autofrei sein. Überlegen Sie mal: Die Stadt wäre fast ohne Autos, außer Notwägen und so weiter. Das ist noch eine Größe, das ist doch Lebensqualität! Das ist aber auch eine Frage des Angebots, dass Menschen außerhalb des Gürtels und im Umland mitmachen können, und da wird es halt nicht so einfach.

Inwieweit hängen gutes Leben und Chancengleichheit zusammen?

Diese Transformationsdebatte kommt ganz stark aus der Ökologie und es gibt diesen Spruch: Gutes Leben für alle, nicht Dolce Vita für wenige! Das halte ich für ganz zentral. Weltweit ist es Dolce Vita für wenige, aber auch innergesellschaftlich.
Das gute Leben für alle ist eine Frage der Gerechtigkeit und der starke Gewerkschaftsbegriff ist die „Just Transition“. Der war ja teilweise in den Klimaverhandlungen präsent, ist aber wieder rausgefallen. Darauf würde ich aber bestehen: Das gute Leben muss ein gerechtes und solidarisches Leben sein. Und die Umweltdebatte zieht es sozusagen auf den ökologischen Imperativ: Wir müssen jetzt die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent reduzieren. Ich glaube auch, dass wir das müssen, aber wenn wir das nicht gerecht hinkriegen, machen die Leute nicht mit.
Die Aufgabe in den nächsten Jahren wird sein, das nicht den Rechten zu überlassen. Die bedienen das mit Wohlstandschauvinismus, mit Rassismus, mit Abwertung, Hierarchisierung.
Vielmehr braucht es ein Wohlstandsmodell – dass wir uns bereit machen, um diese solidarische Lebenspraxis zu erreichen. Von daher kommen wir um die Gerechtigkeitsfrage nicht herum und auch nicht um die Machtfrage. Man muss sich mit den Vermögenden anlegen, man muss sich mit denen anlegen, die die Investitionsentscheidungen treffen, und das sind in der Regel private Unternehmen, und die muss man gegebenenfalls blockieren.


Der Ausbau öffentlicher Infrastruktur wird derzeit gerne mit dem Sparzwang vom Tisch gewischt. Ist da eine Wende überhaupt möglich?

Man kommt nur heraus, wenn wir die Austerität überwinden. Die große Blockade – neben dem Mentalen und Machtfragen, die wir gerade diskutiert haben – ist zurzeit die Austeritätspolitik. Die erzeugt wahnsinnig viel Angst, und zwar auch bei jenen, die heute noch gut leben – machen wir uns nichts vor!
Die Überwindung der Austeritätspolitik kann aber nicht nur traditions-keynesianisch sein, also nicht: Wir machen Wachstum, Wachstum, Wachstum, und verteilen besser. Das ist nicht unbedingt gerechtigkeitsfördernd. Die traditionelle keynesianische Lehre legt sich auch nicht unbedingt mit herrschenden Interessen an. Wir sind in einer Situation, in der wir einen kampfmutigen Keynesianismus brauchen und auch die Ökologiefrage stellen müssen.


Gibt es da noch Raum für das „normale“ Leben, in dem es eben auch Krisen gibt?

Es wird weiterhin Jobs geben, die nicht angenehm sind. Da sollte man nicht naiv sein. Nur: Wie ist die Arbeit verteilt? Wie wird das bezahlt? Welche Arbeit wird abgewertet? Warum gibt es Eliten, die die tollen Jobs machen, und viele andere haben nicht so tolle Jobs? Der Philosoph (Theodor W., Anm.) Adorno hat einmal gesagt, in einer emanzipierten Gesellschaft würde er auch am Tag drei Stunden Fahrstuhlführer sein, wenn er damit zu einer besseren Gesellschaft beiträgt. Das aber eher als Bonmot.
Ich bestehe eben deshalb auf den Bedingungen: Man muss die Bedingungen schaffen, dass man mit Mühsal oder einer Krisensituation gut umgehen kann und nicht alleingelassen wird. Hartz IV heißt ja, ich habe eine Krisensituation und diese wird verlängert. Ich werde auch noch gesellschaftlich stigmatisiert. Eine gute Gesellschaft würde sagen: Natürlich wird mal jemand arbeitslos, hat ein Burn-out oder es stirbt ein Mitmensch – und diese Krise wird gut aufgefangen.
Die Frage, die mich vor allem umtreibt: Wie können wir in einem demokratischen Prozess ein besseres Leben für alle schaffen? Gerade im Gewerkschafts- und Beschäftigtenspektrum lautet die Frage: Wie kommen wir aus dieser fossilen Demokratie raus? Diese Frage haben wir noch nicht richtig verstanden. Also wie schaffen wir eine ressourcenleichte, solidarische, emanzipatorische Demokratie?

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716406194 "Die Leute haben doch bewiesen, dass sie bereit sind, ihre Klamotten herzugeben", weist Politikwissenschafter Ulrich Brand auf Potenziale einer neuen Wirtschaft hin. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 16 Dec 2015 00:00:00 +0100 1449716404079 Das gute Leben

Um das gute Leben zu messen, ist das Wirtschaftswachstum wenig aussagekräftig. Tatsächlich verfügbare Einkommen und Konsum der Haushalte, (gute) Beschäftigung für alle und Verteilungsindikatoren geben hier eher Aufschluss.
Zudem muss berücksichtigt werden, ob unsere natürliche Umwelt unseren Wohlstand langfristig verkraftet. Ein Job ist eine Bedingung für die materielle Absicherung, er hat für viele Menschen auch sinnstiftende Funktion.
Zufrieden ist, wer mehr hat.
 

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Sonja Fercher, Arbeit&Wirtschaft, und Georg Feigl, Arbeiterkammer. Arbeit&Wirtschaft 10/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1449716404073 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447902904537 "Nicht zuletzt" ... Die Patientin Schule heilen! Ein erklecklicher Teil der Jugendlichen hat mit Ende der Pflichtschule nicht einmal die grundlegenden Grundkompetenzen in Lesen und Rechnen erlangt.

Niemand so richtig zuständig

Schon bevor die Patientin Schule ins Krankenhaus kam, waren etliche Anzeichen der Erkrankungen sichtbar. Diese Symptome wurden dem Krankenhaus aber nicht mitgeteilt und mehrere behandelnde praktische ÄrztInnen haben auf den teilweise bereits bedenklichen Zustand ungeordnet – nach Bundesländerlaune – reagiert. Im Krankenhaus sind irgendwie alle und niemand so richtig für die Patientin zuständig.
Der Primararzt – namens Bundesministerium – weiß wenig darüber, was im Krankenzimmer wirklich los ist. Welche Behandlungen und Medikamente die Patientin bekommt, weiß er nur oberflächlich. Somit meint er zwar festzulegen, welche Behandlungsschritte zu tun sind, kann sich aber nie sicher sein, ob sein Einsatz – vor allem der finanzielle – überhaupt in die gewünschte Richtung geht.
Die ÄrztInnen – die Bundesländer – tragen unter sich einen großen Machtkampf aus. Die meisten sind vor allem am eigenen Image orientiert und weniger am Wohlergehen der Patientin. Wer von ihnen welche Heilmethode anwendet, soll möglichst geheim bleiben. Sie treffen immer wieder auf eine Patientin in höchst unterschiedlichen Zuständen, was mehr Behandlung und mehr Medikamente in manchen Situationen erfordern würde. Gibt’s nicht, weil weder Solidarität noch die Heilung der Patientin gemeinsames Anliegen ist.

Kampf gegen das System

Zwei Krankenschwestern – im anderen System nennen sie sich LehrerInnen –, die sich abwechseln, wissen um den tagtäglichen Zustand der Patientin bestens Bescheid. Die eine ist älter und wird weder ermuntert noch angehalten, sich um bessere und neuere Pflege zu kümmern. Sie macht alles so, wie es immer war, und erwartet sich keine Besserung des Zustands mehr. Die zweite, jüngere, ist sehr bemüht, aber sie kämpft sich allein durchs System – für jedes neue Hilfsmittel muss sie harte bürokratische Hürden überwinden.
Zusätzlich wird die Patientin täglich mittags nach Hause entlassen. Meist ist leider gerade dann, wenn der Zustand der Patientin schlecht ist, niemand Unterstützender da. Dies verschlimmert die Hauptkrankheit – Chancenungerechtigkeit – naturgemäß regelmäßig.

Behandlungsplan

Wie kann die Patientin denn nun geheilt werden? Der Primararzt muss endlich die Oberhoheit über das Geschehen erlangen. Die behandelnden ÄrztInnen müssen sich am Zustand der Patientin orientieren. Ihre eigentümliche Eigenbrötlerei ist scharf zu beschneiden. Ganz wichtig ist die Stärkung der Krankenschwestern.
Übersetzt bedeutet das: Die Frühförderung im Kindergarten muss einen qualitativen Sprung machen – über ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr und Standards bei der Frühförderung. Auf die Transparenz der Verwendung der Mittel muss ein deutlich gezielterer Einsatz folgen. Die Gelder und LehrerInnen müssen dorthin, wo die größten Probleme sind. Jene Schulen, die viele sozial benachteiligte SchülerInnen betreuen, brauchen sozial ausgleichende Unterstützung. Der Ausbau von Ganztagesbetreuung in der Schule muss in höchster Qualität erfolgen. Und: Kein Schulabschluss mehr ohne Erreichung der Grundkompetenzen.
Denn bei den Diskussionen um Bildungsreform bleibt allzu oft auf der Strecke, worum es hier eigentlich geht: um die Kinder und Jugendlichen! Um ihre Bedürfnisse, ihre Fähigkeiten und ihre Freude am Lernen.

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Gabriele Schmid, Leiterin der Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447902904532 Frisch gebloggt blog.arbeit-wirtschaft.at.]]> Webtipps der Woche

Wir legen Ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Wien: Eine reiche Stadt wächst (Markus Marterbauer)
  • VW-Skandal zeigt die Macht der Lobby-Konzerne (Alice Wagner)
  • Faire Verteilung von Arbeitszeit (Wolfgang Katzian)

Wien: Eine reiche Stadt wächst

Das Gerede von der Überschuldung der Stadt Wien entbehrt jeder Grundlage. Denn die Pro-Kopf-Verschuldung der Hauptstadt liegt deutlich unter dem österreichischen Durchschnitt und ist viel niedriger als jene des Spitzenreiters Niederösterreich. Zudem stehen ihr hohes privates und öffentliches Vermögen gegenüber. Das Problem ist also nicht die Verschuldung, sondern es sind die ökonomisch unsinnigen Fiskalregeln, die die Stadt daran hindern, in den Ausbau der Infrastruktur zu investieren.
Gerade weil Wien eine rasch wachsende Stadt ist – zuletzt kamen rund 25.000 EinwohnerInnen pro Jahr dazu – wäre das dringend notwendig. Denn damit steigt der Bedarf an öffentlicher Verkehrsinfrastruktur, sozialem Wohnbau sowie Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Dieser kann nur durch öffentliche Investitionen gedeckt werden.
Doch die EU-Fiskalregeln und der innerösterreichische Stabilitätspakt hindern die Stadt daran. Nicht einmal die bei einer so rasch wachsenden Bevölkerung unverzichtbaren Investitionen in die kommunale Infrastruktur werden vom Nulldefizitwahn verschont. Wenn nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Wohlstand in der Stadt wächst und alle davon profitieren sollen, müssen diese unsinnigen Regeln geändert werden.

Lesen Sie mehr:
tinyurl.com/pylvx65

VW-Skandal zeigt die Macht der Lobby-Konzerne

Der VW-Skandal um die Manipulation von Abgaswerte-Messungen macht einmal mehr die problematische Dominanz des Lobbyings großer Konzerne in Brüssel deutlich. Laut Angaben des VW-Konzerns arbeiten 43 Lobbyisten in EU-Angelegenheiten für das Unternehmen und er gibt jährlich 3,3 Millionen Euro für Lobbying aus. Insgesamt schätzt man die Lobbyingausgaben der Autokonzerne und ihrer Verbände in Brüssel insgesamt auf mehr als 18 Milliarden Euro.
Das zeigt natürlich Wirkung. Die Autoindustrie hat es durch ihr vehementes Lobbying geschafft, strengere Abgaswerte und strengere Kontrollsysteme seit den 1990er-Jahren zu verhindern. Um ihre Forderungen durchzubringen, sitzen Experten der Autoindustrie z. B. in Expertengruppen, die die Europäische Kommission beraten.
Volkswagen etwa sitzt, trotz Skandal, nach wie vor in fünf Expertengruppen, die die Kommission derzeit beraten. Diese Gruppen sind nicht gerecht besetzt. In Schlüsselgeneraldirektionen kamen ArbeitnehmervertreterInnen auf minimale ein Prozent. Es liegt auf der Hand, dass das derzeitige System grundsätzlich überarbeitet gehört.


Lesen Sie mehr: tinyurl.com/nr78z8u

Faire Verteilung von Arbeitszeit

Quer über alle Branchen haben sich die VertreterInnen von Industrie und Wirtschaft ein Patentrezept zurechtgelegt, das lautet: Länger arbeiten, mehr Überstunden machen, später in Pension gehen, noch flexibler werden. Die Konsequenz ist eine absurde Situation. Immer mehr Menschen arbeiten an ihrem absoluten persönlichen Limit und darüber hinaus. Mit immer weniger Personal soll ein immer größeres Arbeitsvolumen bewältigt werden.
Mehr als 270 Millionen Überstunden wurden allein im Vorjahr in Österreich geleistet. Jede fünfte Überstunde bleibt unbezahlt. Diesem Überstundenwildwuchs stehen aktuell fast 320.000 Menschen gegenüber, die gar keine Arbeit haben. Dabei ist Zeit eine der wichtigsten Ressourcen, die wir Menschen zur Verfügung haben. Neben der Bezahlung sind es daher Fragen der Arbeitszeitgestaltung, die uns im gewerkschaftlichen Alltag am intensivsten beschäftigen. Wir brauchen neue und faire Arbeitszeitmodelle, die den ArbeitnehmerInnen mehr Zeit zum Leben lassen: Zeit für Familienleben, Regeneration, Freizeit oder Teilhabe am politischen und kulturellen Leben. Vorbehalte gegenüber Arbeitszeitverkürzung kann man durchaus als „retro“ bezeichnen.


Lesen Sie mehr: tinyurl.com/pp883yj

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Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447902904512 Bauer gegen König Die kollektive Arbeitsniederlegung ist manchmal das einzige Mittel, um auf Verschlechterungen im Betrieb aufmerksam zu machen, seien es Gehaltskürzungen, ungünstige Änderungen des Dienstrechts, unzureichende Entlohnung, keine Lohnauszahlung oder gar Entlassungen. In der Vorweihnachtszeit des Jahres 2013 teilte die im niederösterreichischen Mödling ansässige Maschinenfabrik KBA-Mödling AG mit, dass sie an den österreichischen Standorten Stellen abbauen wolle – trotz laufend guter Umsätze des deutschen Mutterkonzerns. 460 MitarbeiterInnen – fast die Hälfte der gesamten Belegschaft – sollten den Umstrukturierungsmaßnahmen zum Opfer fallen. Um dies zu verhindern, fand der Betriebsrat mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, nur eine Möglichkeit, sich gegen eine ungerechtfertigte Entlassungswelle zu wehren – den Streik.
Dieses besonderen Falles nahmen sich fünf Teilnehmer des 64. Lehrgangs der Sozialakademie an: Werner Fina, Walter Floth, Robert Hofmann, Mehmet Kabakci und Thomas Salway analysierten den Arbeitskampf und dokumentierten diesen im Report „Streik Matt. Bauer schlägt König!“, der vom Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes neben einem Pixie-Buch herausgegeben wurde. In dieser Broschüre fassen sie alle wichtigen Informationen zum Thema Streik zusammen. Zudem führten sie eine Umfrage unter der Belegschaft und der ArbeitnehmerInnenvertretung der KBA durch, um dokumentieren zu können, welche Auswirkungen der Streik mit sich brachte.

Erster Streik im 12. Jh. v. Chr.

Der erste Streik unserer Zivilisation wurde im alten Ägypten dokumentiert, als 1159 v. Chr. der erste Aufstand der Arbeiter stattfand. Diese drängten dabei auf die Auszahlung ihres Lohns, der bereits seit über zwei Wochen fällig war.
Während es scheint, als wäre den Französinnen und Franzosen das revolutionäre Verhalten bereits in die Wiege gelegt worden, ist Österreich nicht gerade als große Streiknation bekannt. Im Jahr 2014 zählte die Gewerkschaft 5.200 ArbeitnehmerInnen, die in einen Streik involviert waren, das sind gerade einmal 27 Sekunden Streikdauer pro ArbeitnehmerIn. Der größte Arbeitskampf der jüngsten Geschichte in Österreich ist jener der MetallerInnen im Jahr 2011. Im Zuge der Herbstlohnrunde forderten 165.000 ArbeitnehmerInnen der Metall- und Bergbauindustrie eine Lohnerhöhung von 5,5 Prozent, die ArbeitgeberInnen waren jedoch nur zu Zugeständnissen bis zu 3,65 Prozent bereit. Nach einem Streik einigten sich beide Seiten auf eine Erhöhung um 4,2 Prozent.
ArbeitnehmerInnen haben ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht auf Streik, wie es sich aus Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention ableiten lässt: „Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.“ Somit ist das Streikrecht durch die Europäische Menschenrechtskonvention in der österreichischen Verfassung quasi „verankert“. Niemand, der an einem solchen Arbeitskampf teilnimmt, darf benachteiligt werden.


Reaktion der Arbeitgeber

Streikdrohungen bzw. Streiks werden jedoch vor allem von der Seite der ArbeitgeberInnen oft infrage gestellt, sie fürchten finanzielle Einbußen und schlechte Publicity. Im Falle des oben beschriebenen KDA-Arbeitskampfes drohte die Geschäftsleitung mit einem Schreiben auf der Startseite im Intranet, dass sie sich „aus rechtlichen Gründen“ zu weitreichenden persönlichen Konsequenzen für die „Noch-Belegschaft“ gezwungen sehen würde: die Aussetzung des Lohnes für die Dauer des Streiks, Entlassungen und Privathaftung. „Jeder Streik wird eine Reaktion der ArbeitgeberInnenseite verursachen. Dies sollte man sich jederzeit vor Augen halten!“, sagen die Autoren der Broschüre. „Umso wichtiger ist ein korrektes Verhalten während der Streiksituation.“ Kündigungen oder Entlassungen aufgrund einer Teilnahme an einem Streik sind jedoch eindeutig rechtswidrig. ArbeitnehmerInnen haften auch nicht für Schadenersatzforderungen wegen Produktionsausfällen, wie sie in diesem Fall die KDA gestellt hätte.

Fair Play

Um möglichst genau, organisiert und korrekt während eines Streiks vorzugehen, haben die Autoren eine Checkliste erstellt, an der sich BelegschaftsvertreterInnen orientieren können. Ist ein Arbeitskampf unvermeidbar und wird ein Streik beschlossen, ist es in erster Linie wichtig, ein Streikkomitee zu bilden und sich mit der zuständigen Gewerkschaft in Verbindung zu setzen, um die weitere Vorgehensweise zu klären. Im Sinne der Fairness müssen die Geschäftsleitung und die nächste Polizeidienstelle informiert werden.
Die Streikverantwortlichen müssen zunächst unbedingt ein Streikprotokoll führen und genaue Listen über die Anzahl der Streikenden sowie eine Timeline erstellen und besondere Vorkommnisse protokollieren. Auch Leiharbeitskräfte müssen informiert werden, denn es ist gemäß des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes unzulässig, diese während eines Streiks zu beschäftigen. Für den Streiktag selbst muss einiges vorbereitet werden, angefangen von Präsentationen bis hin zu Referaten und Diskussionsrunden. Streiken bedeutet nicht, dass man zu Hause bleibt, es besteht nämlich Anwesenheitspflicht im Betrieb, Abwesenheiten wie ArbeitnehmerInnen im Krankenstand oder Urlaub müssen den Streikverantwortlichen gemeldet werden. Obwohl der Grund für einen Streik und der Arbeitskampf selbst eine höchst emotionale Sache für die Betroffenen sind, ist die Anwendung von Gewalt oder Beleidigungen gegenüber Führungskräften, der Geschäftsleitung, aber auch KollegInnen – gleich ob sie den Streik unterstützen oder auch nicht – keinesfalls empfehlenswert. Findet der Streik in einem Krankenhaus oder im Pflegedienst statt, muss ein Notdienst aufrechterhalten werden.

Gelebte Solidarität

Ein Streik kann jedoch noch so hervorragend organisiert sein – er lebt vor allem von der Solidarität der Belegschaft. Denn nur ein fester und möglichst lückenloser Zusammenhalt kann Druck auf den/die ArbeitgeberIn ausüben. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass auch die Solidarität an ihre Grenzen stoßen kann. Oft sind MitarbeiterInnen jahrelang im Unternehmen beschäftigt und emotional mit dem Betrieb verbunden, es fällt dann sehr schwer, diesen Schritt zu setzen. Bei der KBA war der Zusammenhalt sehr groß. Ob der Streik ein Erfolg war, darüber teilen sich jedoch die Meinungen. Für viele war das Ziel des Streiks, den Abbau der Arbeitsplätze völlig abzuwenden. Nach Ende des Arbeitskampfes einigte man sich auf 385 Stellen, die innerhalb von fünf Jahren abgebaut werden sollten. Aufgrund vieler Personalwechsel im Vorstand und der Geschäftsführung wurde das Ergebnis des Streiks von ArbeitgeberInnenseite nicht akzeptiert. Bis heute wurden 400 Beschäftigte abgebaut, die betroffenen ArbeitnehmerInnen wurden durch einen großzügigen Sozialplan und Umschulungen aufgefangen. Das ist nicht der Erfolg, den sich die Streikenden erhofft haben. Jedoch hätte es ohne Streik, ohne die Solidarität der Belegschaft und den dadurch entstandenen Druck keinen Sozialplan und keine Umschulungsmöglichkeiten gegeben. Die betroffenen MitarbeiterInnen wären mit einer sofortigen Kündigung konfrontiert gewesen, ohne ein Sicherheitsnetz, das sie aufgefangen hätte. Insofern konnte die Solidarität der Belegschaft zumindest einen kleinen Erfolg verbuchen.

Nachlese

Arbeit&Wirtschaft 02/2015:
„Streik: Ja, dürfen die das denn?“

Blogtipp

„Lohndrückerei und Arbeitskampf“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905567 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902904517 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447902904506 Lohndünger Weiterbildung Die TeilnehmerInnen der BetriebsrätInnenakademie von ÖGB und AK sind zurzeit schwer beschäftigt: Täglich von 8 bis 17 Uhr heißt es „back to school“. Viel Neues wird hier täglich vermittelt – seien es betriebswirtschaftliche und arbeitsrechtliche Grundlagen, Gesundheits- oder Arbeitsmarktpolitik.

Ende Oktober stand einer dieser Tage ganz im Zeichen der Bildungspolitik. Nach einem Vormittag, der den Bogen von der Elementarpädagogik bis zur Hochschule spannte, stand der Nachmittag ganz im Zeichen der betrieblichen Praxis. Die TeilnehmerInnen stellten szenisch dar, wie und ob Bildung im jeweiligen Betrieb vorkommt. In längstens drei Minuten wurden vielfältigste Aspekte der betrieblichen Weiterbildungsrealität zutage gefördert.

Win-win-Situation

Hier wurde die Bildungsbarriere verkörpert, dort darüber diskutiert, ob eine verpflichtende Weiterbildung in der Freizeit rechtens ist. E-Learning und die dadurch verursachte „Vereinzelung“ von Lernerfahrungen wurden genauso thematisiert, wie die Tatsache, dass auch bei einem vielfältigen betrieblichen Kursangebot noch lange nicht gesagt ist, wer was bekommt.
All diese Themen sind nicht nur für BetriebsrätInnen relevant, sondern auch für AK, Gewerkschaften und ÖGB insgesamt. Vieles davon findet sich auch in ihren bildungspolitischen Programmen und Forderungen wieder.
Mit der sogenannten Digitalisierung der Wirtschaft geht auch eine Digitalisierung des Arbeitsplatzes einher – der „Arbeitsplatz 4.0“, wenn man so will. Die Prognosen sind nicht rosig: Viele Jobs sollen verloren gehen, und zwar nicht nur gering qualifizierte, sondern auch massiv im Bereich der mittleren Qualifikationsniveaus. In den anderen Jobs steigen die Ausbildungserfordernisse stark an. Qualifkationen veralten immer schneller, behaupten die ZukunftsforscherInnen. Daher reicht es nicht, allein im Schulsystem auf den digitalen Wandel bedacht zu nehmen.
LLL, also lebensbegleitendes Lernen, gewinnt für die Beschäftigten somit zunehmend an Bedeutung. Dazu kommt, dass es in alternenden Gesellschaften wie der österreichischen auch ein demografisches Erfordernis ist, die Beschäftigten möglichst lang und gut weiterzubilden. Wichtigster Lernort dafür ist der Betrieb. Und hier die gute Nachricht: Die aktuelle AK-Studie „Betriebliche Weiterbildung in österreichischen Unternehmen“ zeigt, dass betriebliche Weiterbildung eine Win-win-Situation ist. Sie zahlt sich für alle Beteiligten aus.


Höhere Produktivität

Studienautor René Böheim von der Uni Linz zeigt in der Studie den positiven Zusammenhang zwischen betrieblicher Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen und der Produktivität von Unternehmen auf. Die Daten stammen von der Europäischen Erhebung über betriebliche Weiterbildung (CVTS4) und der Leistungs- und Strukturerhebung. Im Rahmen des CVTS wurden in Österreich insgesamt 3.553 Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten im Produktions- und Dienstleistungssektor über ihre Weiterbildungsaktivitäten befragt. Unternehmen, die in betriebliche Weiterbildung investieren, sind demnach um rund 16 Prozent produktiver als jene, die das nicht tun. Dieser relativ hohe Wert entspricht Ergebnissen aus internationaler Forschung, die vergleichbar hohe Renditen für andere europäische Länder dokumentieren (z. B. England).

Und die ArbeitnehmerInnen?

Nur was bedeutet eine Steigerung der Rendite um 16 Prozent? Der Fachbegriff lautet Bruttowertschöpfung (BWS). Diese betrug im Jahr 2010 im Durchschnitt 70.110 Euro. Die Steigerung durch betriebliche Weiterbildung beläuft sich auf sage und schreibe 11.217 Euro. Die durchschnittlichen Kosten für Weiterbildungen lagen hingegen bei gerade einmal 2.037 Euro pro TeilnehmerIn. Weiterbildung der MitarbeiterInnen ist also ein gutes Geschäft.
So weit, so gut für die Unternehmen. Aber was haben die ArbeitnehmerInnen davon? „Mehr Lohn bei betrieblicher Weiterbildung“, wie eine gleichnamige Studie aus dem Jahr 2009 herausgefunden hat. Beschäftigte in Unternehmen, die betriebliche Weiterbildung anboten, verdienten demnach rund ein Prozent mehr als Beschäftigte in Betrieben ohne Weiterbildung. Bei den Analysen, die mehrere Jahre mit einschlossen, wurde ein noch stärkerer Zusammenhang zwischen betrieblicher Weiterbildung und Lohnniveau gefunden. Sprich mehr betriebliche Weiterbildung führt zu besserer Qualifizierung, die sich auch in höheren Löhnen niederschlägt. Es gibt also auch ein Plus für die Beschäftigten am Lohnzettel, wenn auch dieses bei Weitem nicht so groß ist wie für die Unternehmen.

KV + Betriebsrat = Bildung

Für die TeilnehmerInnen der BetriebsrätInnenakademie und ihre KollegInnen in den Betriebsratskörperschaften gibt es eine besonders gute Nachricht: Die neue AK-Studie belegt nämlich, dass in Unternehmen, die aufgrund von kollektivvertraglichen Bestimmungen in betriebliche Weiterbildung investierten – und ohne solche Bestimmungen diese Investitionen nicht getätigt hätten – eine noch höhere Rendite möglich ist. Diese Rendite kann 17 bis 37 Prozent betragen – im Vergleich zu Unternehmen, die keine derartigen Bestimmungen vorfinden und deshalb nicht in betriebliche Weiterbildung investierten. Zudem findet mehr betriebliche Weiterbildung statt, wenn es dazu Regelungen im Kollektivvertrag gibt. Insgesamt geben allerdings nur rund 15 Prozent aller Unternehmen im CVTS an, dass der für sie geltende Kollektivvertrag Bestimmungen zur betrieblichen Weiterbildung enthält.
In keinem Sektor haben mehr als 50 Prozent der Unternehmen angegeben, einen Kollektivvertrag mit Bestimmungen zur Weiterbildung zu besitzen – und das obwohl kollektivvertragliche Regeln immer für die ganze Branche gelten. Hier scheint ein gewisses Informationsdefizit seitens der Unternehmen zu bestehen, was wiederum eine gute Möglichkeit für den Betriebsrat der jeweiligen Branchen ist, auf die Rechte der Belegschaft in Sachen Weiterbildung aufmerksam zu machen.
Waren im Jahr 2005 noch 81 Prozent der Unternehmen weiterbildungsaktiv, ist der Anteil im Jahr 2010 auf 87 Prozent gestiegen. Damit sind die österreichischen Unternehmen Spitzenreiter, gemeinsam mit den schwedischen. Studienautor Böheim sieht den Grund für den Anstieg in den sich rasch verändernden Anforderungen an die Fähigkeiten der Beschäftigten. Der Haken daran: Der Anteil der Beschäftigten, die an Kursen teilgenommen haben, beträgt im Durchschnitt nur 33 Prozent und ist somit deutlich geringer als in Schweden (47 Prozent).

Nicht alle Unternehmen bilden weiter

Trotz der positiven Auswirkungen wird in Österreich also gerade mal jede/r dritte ArbeitnehmerIn von Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten weitergebildet. Gerade in Branchen mit einem besonders hohen Anteil von formal Geringqualifizierten – wie etwa im Gastgewerbe oder dem Baubereich – ist die Weiterbildungsbereitschaft ganz besonders gering.
Warum bilden Betriebe nicht mehr Beschäftigte weiter? Von den rund 13 Prozent der Unternehmen, die 2010 keine betriebliche Weiterbildung angeboten haben, begründen dies 82 Prozent damit, die vorhandenen Fähigkeiten der Beschäftigten seien ausreichend. Weitere 45 Prozent der befragten Unternehmen betreiben darüber hinaus eine Hire-and-fire-Politik, wenn die Qualifikationen nicht reichen. Dies wirkt umso schwerer, als weitere 40 Prozent angeben, dass ihre Belegschaft zu ausgelastet für Weiterbildung sei.
Im Sinne einer inklusiven Bildungs- und einer präventiven Arbeitsmarktpolitik ist es besonders wichtig, Beschäftigte vor Ort in den Betrieben zu erreichen, noch bevor sie arbeitslos werden. Es braucht also neue Wege, und einer der wichtigsten Stellhebel könnte der Betriebsrat sein: um die Belegschaft über ihre Rechte (auch im Rahmen kollektivvertraglicher Regelungen) zu informieren, die Geschäftsführung in Bezug auf das Thema betriebliche Weiterbildung für die ganze Belegschaft zu sensibilisieren und beide Seiten bei der Organisation der Teilnahme an einem Bildungsangebot zu motivieren und gegebenenfalls zu unterstützen. Denn, wie aus allen Studien zum Thema hervorgeht: Betriebliche Weiterbildung ist eine Win-win-Situation, für die Unternehmen und für die Beschäftigten.

Linktipp

Böheim-Studie: Betriebliche Weiterbildung in österreichischen Unternehmen

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin petra.voelkerer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Petra Völkerer, Ökonomin, Referentin im Präsidialbüro Rudi Kaske Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905550 Weiterbildung bringt Beschäftigten ein Plus am Lohnzettel und Unternehmen mehr Gewinn. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447902904487 Bildung? Ja, bitte! Seminare, Lehrgänge, Workshops, Veranstaltungen – das gewerkschaftliche Bildungsangebot ist umfangreich und vielfältig. Es ist jedoch mehr als die Summe all dieser Angebote. Doch was macht die gewerkschaftliche Bildungsarbeit aus, was ist das Besondere, was unterscheidet sie von anderen Angeboten der Erwachsenenbildung? Prinzipiell geht es darum, ArbeitnehmerInnen und vor allem ArbeitnehmervertreterInnen in die Lage zu versetzen, bei der Problemlösung kollektiven und nicht individuellen Interessen zu folgen. Zusammenhänge zu erkennen und zu hinterfragen, das Gelernte zu reflektieren, sind dabei wesentliche Elemente. Weder ReferentInnen oder ExpertInnen sollen unhinterfragt „die Welt erklären“ noch „Dr. Google“. Das braucht ausreichend Raum und Zeit und gelingt natürlich in länger dauernden Lehrgängen leichter als in einem zweitägigen Seminar.

Politische Bildung

Gewerkschaftliche Bildungsarbeit unterliegt nicht der Logik des Marktes (Was verkauft sich gut?) und der reinen Verwertbarkeit (Was bringt mir ein Zertifikat?) wie Angebote anderer Erwachsenenbildungseinrichtungen. Es beinhaltet Dauerbrenner z. B. aus dem Bereich der Sozialen Kompetenz oder dem Arbeitsrecht genauso wie klassische „politische“ Themen wie Antirassismus oder die Europäische Union – wobei de facto alle Themen in der gewerkschaftlichen Bildung auch politische Themen sind.
Gewerkschaftliche Bildung ist immer politische Bildung, weil es darum geht, die vermittelten Inhalte und die erworbenen Kompetenzen im gesamtpolitischen Kontext zu sehen, Verbindungen zwischen den Themen zu schaffen und Zusammenhänge herzustellen.
Martin Allespach, Hilbert Meyer und Lothar Wentzel beschreiben das in ihrem Buch „Politische Erwachsenenbildung“ folgendermaßen: „Eine politische Bildung, die ‚nicht Akzeptanzbeschaffung für bestehende gesellschaftliche Verhältnisse‘ ist, sondern ‚kritische Instanz zur Problematisierung gesellschaftlicher Widersprüche. Sie stellt den Anspruch, Politik zu entschlüsseln, Zusammenhänge durchschaubar zu machen und neue Perspektiven aufzuzeigen.‘“

Ziele und Besonderheiten

Die Fähigkeit zu analysieren, strategisch zu denken, zu argumentieren, mitzugestalten und vor allem auch über Grenzen hinweg zu denken und zu handeln ist wesentliches Ziel der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Und dabei sind sowohl die Grenzen im Kopf, die es manchmal zu überwinden gilt, gemeint, als auch ein transnationales Agieren über den eigenen Standort hinaus. Bildung ist nicht nur da, um Menschen fit für den Markt zu machen. Gewerkschaftliche Bildung hat deswegen eine ganz spezielle Rolle, da sie die Prinzipien der Kollegialität, der Solidarität vermittelt – Grundwerte, die die Basis jedes gewerkschaftlichen Handelns sind. Und gerade diese gewerkschaftliche Handlungskompetenz hat viel mit dem Aufbau von Haltungen zu tun und damit, selbstbewusst und auf gleicher Augenhöhe politisch zu argumentieren.
Es ist daher auch eine Besonderheit der gewerkschaftlichen Bildung, dass das Ziel nicht ist, den individuellen Marktwert zu erhöhen. Im Gegenteil, das Ergebnis dieses Lernprozesses ist sehr oft, dass die ArbeitnehmervertreterInnen danach verstärkt mit Konflikten und Auseinandersetzungen auf betrieblicher Ebene konfrontiert sind, wenn sie das Erlernte im Interesse der Beschäftigten umsetzen. Umso wichtiger ist es, die KollegInnen auch für diese Herausforderung mit Empowerment-Angeboten zu unterstützen und zu begleiten.
Das Ziel ist es, eine Aus- und Weiterbildung anzubieten, die aus der Praxis kommt, sich an den Herausforderungen der Arbeitswelt orientiert und GewerkschafterInnen in der Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen bestmöglich unterstützt. Dies gelingt nur durch Entwicklung und Stärkung des gewerkschaftlichen Bewusstseins, aus dem heraus erst Handlungs- und Konfliktfähigkeit entstehen kann.

Vom Wissen zum Handeln

Konkret bedeutet das, Seminare mit dem Schwerpunkt inhaltliche Fachkenntnisse anzubieten und Sachkompetenz zu vermitteln. Die Inhalte allein nützen jedoch nichts, wenn man nicht weiß, wie man z. B. Recht durchsetzen und verhandeln soll. Daher ist auch soziale Kompetenz wesentlich. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit endet hier aber nicht, denn es gehört schließlich dazu, das Erlernte auch im Betrieb anzuwenden, es umzusetzen und Handlungskompetenz zu beweisen. Zudem ist es aus gewerkschaftlicher Sicht wichtig, das Wissen an andere weiterzugeben und als MultiplikatorInnen aufzutreten.
Eine der Besonderheiten in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ist die Heterogenität der TeilnehmerInnen – das spiegelt sich auch in den Angeboten wider. Die TeilnehmerInnen der einzelnen Seminare und Lehrgänge kommen aus unterschiedlichen Branchen, sind unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft usw. Sie haben daher auch unterschiedliche Arbeits- und Lebensrealitäten, die in der Konzeption und Umsetzung berücksichtigt werden müssen.
Dies erfolgt einerseits innerhalb der einzelnen Angebote, andererseits gliedern sich die unterschiedlichen Angebote entlang dieser Zielgruppen. Es gibt Angebote für Gewerkschaftsmitglieder, die keine (oder noch keine) Funktion haben, wie Diskussionsveranstaltungen, Kulturangebote oder die Gewerkschaftsschule. Für ArbeitnehmervertreterInnen gibt es österreichweit eine Vielzahl an Seminaren und Lehrgängen von unterschiedlicher Dauer. Dazu gehören die Grundkurse und Spezialseminare der Gewerkschaften, zentral und regional angebotene Tagesseminare und mehrtägige Seminare ebenso wie die länger dauernden Lehrgänge: Gewerkschaftsschule, BetriebsrätInnenakademie (BRAK) oder Sozialakademie (SOZAK).
Die zweijährige Gewerkschaftsschule stellt dabei eine Besonderheit dar: Sie wird österreichweit regional angeboten, findet abends statt und ist sowohl für Gewerkschaftsmitglieder mit als auch ohne Funktion in der ArbeitnehmerInnenvertretung zugänglich. Für ArbeitnehmervertreterInnen gibt es darüber hinaus noch zusätzliche Spezialangebote je nach ihrer Funktion (Behindertenvertrauenspersonen, BetriebsrätInnen im Aufsichtsrat, Sicherheitsvertrauenspersonen, KonfliktlotsInnen, Europäische BetriebsrätInnen usw.).

Bindeglied

Aber auch ein spezielles Angebot für ReferentInnen und TrainerInnen, die in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig sind, gehört zur Palette dazu – in der ReferentInnenakademie erhalten sie eine Vielzahl an Train-the-Trainer-Angeboten. Das ist besonders wichtig, da die TrainerInnen und ReferentInnen als Bindeglied zwischen Gewerkschaft und TeilnehmerInnen eine Schlüsselfunktion haben. Im Rahmen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit besitzt auch die gewerkschaftliche Kulturarbeit einen wichtigen Stellenwert. Sie verfolgt das Ziel, möglichst vielen ArbeitnehmerInnen den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen.
Die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen wird vielfach als Bereicherung und Ausgleich zum stressigen Arbeitsalltag erlebt. Viele ArbeitnehmerInnen kommen jedoch viel zu selten in den Genuss von Kunst und Kultur. Die gewerkschaftliche Kulturarbeit umfasst dabei den Besuch von Veranstaltungen, Museen und Theateraufführungen genauso wie das aktive Mitwirken in Workshops (z. B. Schreibwerkstätten und Theaterworkshops).

Lernen darf Spaß machen

Bei all den beschriebenen Zielen und Besonderheiten ist eines klar: Das alles kann nur gelingen, wenn auch der Faktor Spaß nicht zu kurz kommt. Nur wenn die Inhalte auch emotional ankommen, ist Lernen wirkungsvoll. Mit anderen Worten: Es darf, nein, es muss auch gelacht werden. Denn auch das ist eine Besonderheit der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung.

Linktipps

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Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sabine.letz@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sabine Letz, Leiterin des ÖGB-Referats für Bildung, Freizeit, Kultur; Geschäftsführerin des VÖGB Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905531 Gewerkschaftliche Bildung will ArbeitnehmerInnen in die Lage versetzen, Zusammenhänge zu erkennen und zu hinterfragen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902904492 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111653 Irinas Weg Irina absolviert momentan den letzten Abschnitt für die Studienberechtigungsprüfung (SBP) Medizin. Gefragt sind Grundlagen der allgemeinen, anorganischen und organischen Chemie. Die Vorbereitung auf diese Teilprüfung umfasste 60 Stunden Kursbesuch sowie ungefähr 60 Stunden Selbstlernzeit. Insgesamt muss Irina fünf solcher Prüfungen absolvieren (Deutschaufsatz, Biologie und Umweltkunde, Physik 1, Chemie 2 und eine Anatomieprüfung).
Die 30-Jährige hat nach der Hauptschule eine Fachschule für soziale Berufe besucht und arbeitet seit einigen Jahren – mit Unterbrechungen – in Pflegejobs. Ärztin zu werden war immer ihr Traum. Obwohl den Eltern gute Noten sehr wichtig waren, konnte ihr niemand so richtig den Weg von der Hauptschule zum Arztberuf erklären. Eine dreijährige Lehre oder Fachschule war demgegenüber greifbar – praktisch alle KollegInnen ihres Schuljahrgangs versuchten, diesen Weg zu gehen. Von der Möglichkeit einer Studienberechtigungsprüfung hat Irina erst viel später und durch Zufall erfahren.

Mehrfache Ausnahmeerscheinung

So der Studienzugang nun tatsächlich gelingt, wäre Irina gleich mehrfach eine Ausnahmeerscheinung. Nur etwas mehr als elf Prozent aller österreichischen Studierenden erreichen den sogenannten tertiären Sektor über einen „nichttraditionellen Hochschulzugang“. Gemeint ist damit ein anderer als der erste, schulische Bildungsweg, der – ganz traditionell – mit der Matura gekrönt werden muss. Besonders niedrig liegt dieser Anteil der „Nichttraditionellen“ bei den Universitäten, etwas höher ist er bei den Fachhochschulen. Letztere sind auch beim Zugang etwas offener und berücksichtigen beispielsweise Berufsausbildungen beim Zulassungsverfahren. Ebenfalls in diesen Wert hineingerechnet werden Personen, die über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zugelassen werden.
Im europäischen Vergleich liegt Österreich damit punkto „Aufwärtsmobilität“ im letzten Drittel. In England/Wales sowie in Schweden sind demgegenüber mehr als 25 Prozent der Studierenden „nicht traditionell“ auf die Uni gekommen. Auch wenn in Britannien Hochschulen durch universitäre Aufnahmeverfahren und Studiengebühren der Durchlässigkeit massiv entgegenwirken, kann vom dortigen Beispiel einiges gelernt bzw. abgeleitet werden.
In Schweden spielt der Formalabschluss bei der Studienzulassung im Grunde keine Rolle mehr. Selbst im auf das Abitur fixierten Deutschland darf seit 2009 mit absolvierter Meisterprüfung studiert werden. In Österreich erspart sich demgegenüber ein/e MeisterIn gerade einmal eine von vier Teilprüfungen der Berufsreifeprüfung.
Österreichische Statistiken zeigen allerdings auch, dass gerade diese atypisch Studierenden unter den besonders ambitionierten Studierenden überdurchschnittlich stark vertreten sind. Im obersten Zehntel, welches am allerschnellsten das Studium abschließt (neun Semester oder weniger), sind Personen mit Studienberechtigungs- bzw. Berufsreifeprüfung gemeinsam mit HAK-AbsolventInnen nämlich besonders zahlreich. Ein – in diesem Sinne – „hohes Maß an Zielstrebigkeit, Motivation und Disziplin“ ist laut Martha Eckl von der AK Wien ebenfalls bei den „First Generation Students“ zu finden. Das sind Studierende, die aus Haushalten kommen, in denen kein Elternteil einen Ausbildungsweg mit der Matura abgeschlossen hat.
In vielen Fällen handelt es sich wie bei Irina um klassische ArbeiterInnenkinder, die durch ihren besonderen Einsatz eine Reihe von strukturellen Benachteiligungen ausgleichen müssen. Wie dramatisch diese wirken, zeigt sich daran, dass nur 6,6 Prozent jener Kinder, deren Eltern maximal eine Pflichtschule abgeschlossen haben, den tertiären Bereich erreichen und weit weniger als die Hälfte der Studierenden (42 Prozent) zur Gruppe der „First Generation Students“ gehören.

Reale Hürden und angebliche Ferne

Irinas Eltern war eine gute Ausbildung ihrer Tochter durchaus wichtig. Die Ressourcen, in der Oberstufe gegebenenfalls selbst Lernunterstützung zu geben oder zu finanzieren, waren aber ebenso wenig vorhanden wie Kenntnisse der Universitätslandschaft und auch die Möglichkeit, später ein Studium zu bezahlen. Fern von den Bedürfnissen und diskriminierend gegenüber der Möglichkeit, an eine Uni zu kommen, war und ist hier vor allem das Bildungssystem. Auch wenn Irina diese entscheidenden Hürden letztlich doch überwinden konnte, ist ihr Hindernislauf noch lange nicht zu Ende. Begriffe wie MedAT (Aufnahmeverfahren Medizin) wirken nicht nur wie elitäre Geheimcodes, sondern stehen vor allem für weitere Selektionsinstrumente.
Bereits die ersten Studien zum MedizinerInnentest haben ergeben, dass der Anteil der Studierenden mit hochschulgebildeten Vätern durch diese Tests von 41 auf 55 Prozent stieg, jener mit Vätern, die über einen mittleren Abschluss verfügen, von 33 auf 27 Prozent sank. Die soziale Diskriminierung, die dieser Test bedeutet, lässt sich übrigens durchaus in konkreten Zahlen beschreiben: Die entsprechenden Vorbereitungskurse kosten inzwischen bis zu 2.000 Euro – Geld, welches Irina schlichtweg nicht hat.

Unzureichende Stipendien

Überhaupt ist aus Sicht von AK und ÖGB die Finanzierung des Studiums ein zentraler Aspekt. Martha Eckl und andere ExpertInnen belegen in Beiträgen auf dem A&W-Blog, wie unzureichend beispielsweise das Stipendiensystem momentan aussieht. Seit Jahren wurden hier Erhöhungen weit unter den Lohnanpassungen vorgenommen, die Stipendienquote sank von über 26 auf 22 Prozent der Studierenden. Selbst Höchststipendien liegen unter der Mindestsicherung, durchschnittlich erhalten StipendienbezieherInnen – nach allen Abzügen – 272 Euro. Für Irina besonders relevant ist zudem die „Altersfalle“: Für die Beantragung eines Stipendiums gilt an sich eine Altersgrenze von 30 Jahren, die bei langer Berufstätigkeit auf bis zu 35 Jahre ausgedehnt werden kann.
Weil das Stipendium nicht ausreicht, muss Irina zudem nebenberuflich arbeiten, was sich negativ auf die Stipendienhöhe und den Studienerfolg auswirken könnte. Doch nicht nur eine Erhöhung der Stipendienrate, der Beihilfenhöhe sowie der Altersgrenze ist notwendig, wenn „Öffnung“ und „Durchlässigkeit“ keine Schlagworte bleiben sollen.

Echte Willkommenskultur gefragt

Entgegen der Kritik von AK und ÖH wurde gerade erst das „Flickwerk“ (AK) der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) bis 2021 verlängert sowie zusätzlich ausgedehnt. Die STEOP, also ein verpflichtender Kanon von Prüfungen, der in einem kurzen Zeitabschnitt zu absolvieren ist, soll nun für fast alle Studien gelten. Eine entsprechende „Willkommenskultur“ für Menschen, die sich – wie beschrieben – zunächst schwerer beim „Studieneingang“ tun und dann vielleicht auch etwas mehr Zeit für die erste „Orientierung“ im Universitätsdschungel brauchen, sieht jedenfalls anders aus.
Neben mehr Geld und weniger Eingangshürden benötigen Studierende aus bildungsbenachteiligten Schichten auch Netzwerke. Vor allem in der ersten Studienphase können entsprechende Unterstützungsangebote dazu beitragen, eventuell fehlende familiäre Ressourcen auszugleichen. Versuche, hier deutsche Initiativen wie „Arbeiterkind.de“ auf Österreich zu übertragen, scheinen aber vorerst ins Stocken geraten zu sein. In Graz existiert allerdings seit 2013 ein spezielles Programm: „Eigens ausgebildete MentorInnen, die selbst aus ‚bildungsfernen‘ Schichten kommen, stehen First Generation Students bei der Auswahl des Studiums zur Seite und beraten sie in den ersten beiden Semestern zu allen Fragen rund ums Studium und mögliche Unterstützungen.“ Bemerkenswert: Laut Uni Graz kommen 52 Prozent ihrer Studierenden aus „bildungsfernen“, also tatsächlich benachteiligten Schichten – deutlich mehr als der österreichweite Schnitt. Eigentlich schade, dass es so etwas nicht an allen österreichischen Universitäten gibt, immerhin könnten alle Studierenden der ersten Generation eine solche Unterstützung gut gebrauchen.

Linktipp

Projekt Uni Graz:
tinyurl.com/o52on74

Literatur

Magazin erwachsenenbildung.at Nr. 21, Februar 2014:
Das Versprechen sozialer Durchlässigkeit. Zweiter Bildungsweg und Abschlussorientierte Erwachsenenbildung:
Abrufbar unter
erwachsenenbildung.at/magazin/archiv.php

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor john.evers@vhs.at 
oder die Redaktion aw@oegb.at

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905518 Klassische ArbeiterInnenkinder müssen durch besonderen Einsatz eine Reihe von strukturellen Benachteiligungen ausgleichen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111633 Von GegnerInnen zu PartnerInnen Wenn Hannah Lintner an ihre Matura zurückdenkt, hat sie gemischte Gefühle. Sie war eine von rund 26.000 SchülerInnen, die an der ersten standardisierten Reife- und Diplomprüfung in Österreich, der Zentralmatura, teilgenommen haben.

Lintner, die am Bundesoberstufenrealgymnasium (BORG) in Spittal an der Drau maturiert hat, hat alle Fächer gemeistert und sogar Mathematik, die nie ihr Steckenpferd war, gut geschafft. Doch das Drumherum, die Unklarheit über Termine, die Unsicherheit der LehrerInnen und die teils schlechte Organisation mit kurzfristigen Änderungen haben viel Unruhe reingebracht: „Ich denke, die Zentralmatura hätte viel gechillter ablaufen können, wenn man erst ein paar Klassen später angefangen hätte, sodass die Schüler schon früher darauf vorbereitet worden wären.“ Ihre Erfahrung war unter anderem, dass LehrerInnen verzweifelt waren, weil sie selbst nicht wussten, was sie tun sollten, und ihren Frust an der Klasse ausgelassen haben.

Server überlastet

Wenige Monate nach Runde eins ist vor allem die Panne mit den Vorwissenschaftlichen Arbeiten (VWA) gut in Erinnerung: Der Server, auf den die SchülerInnen ihre Arbeiten hochladen mussten, war überlastet und fiel aus, was dazu führte, dass die Arbeiten nicht fristgerecht abgegeben werden konnten. Davon waren nicht nur eine Handvoll MaturantInnen betroffen: Im Gegensatz zu früher, wo man freiwillig eine Fachbereichsarbeit schreiben konnte, muss jetzt jede/r SchülerIn eine VWA im Umfang von 40.000 bis 60.000 Zeichen schreiben. Natürlich fiel wegen des Serverausfalls niemand durch, aber der angesichts der Matura ohnehin schon erhebliche Stresspegel wurde noch mehr in die Höhe getrieben. Aufreibend war auch, dass Prüfungsfragen in manchen Klassen verspätet ankamen, sodass sich Prüfungen verzögerten, und dass Beurteilungsschlüssel bis kurz vor der Matura geändert wurden.

Stressige VWA

Das Schreiben der VWA hat bei vielen SchülerInnen für Stress gesorgt. Die meisten haben zuvor noch nie eine Arbeit in so großem Umfang verfasst, in der noch dazu zitiert werden muss. Selbst einer Plagiatsprüfung werden die Arbeiten unterzogen. Gerade bei der VWA zeigte sich, dass die Vorbereitung durch LehrerInnen entscheidend ist. Julia Steiner, die vergangenen Sommer im BRG/BORG in Kirchdorf an der Krems maturiert hat, fand die VWA super: „Sie ist der einzige Teil bei der Zentralmatura, wo du individuell über das schreiben kannst, was dich interessiert. Und sie ist eine super Vorbereitung für die Uni.“ Steiner erzählt, dass „relativ viel Stress“ um die VWA gemacht wurde, obwohl diese „eine an sich doch relativ einfache Sache“ sei.
Hannah Lintner hat nicht so positive Erinnerungen: Sie schrieb über Tattoos und Piercings – ein Thema, für das sich kein/e LehrerIn interessierte. Deshalb wurde sie nicht von einem oder einer von ihr gewünschten LehrerIn betreut, sondern der Gitarrenlehrerin zugeordnet. Die Vorbereitung auf die VWA war ebenfalls enttäuschend: „Wir hatten in der sechsten Klasse das Fach VWA und haben ein Buch bekommen – und dann nichts mehr.“ Zudem hätten LehrerInnen einander etwa bei den Zitierregeln widersprochen bzw. waren selbst unsicher. „Ich habe viel dafür tun müssen, aber die VWA ist keine wissenschaftliche Arbeit. Das Einzige, was man dabei lernt, ist, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen und ein paar Seiten darüber zu schreiben.“ Immerhin: Lintner erntete am Ende Lob für ihre VWA.

Diverse Meinungen

Zur Mathematik-Zentralmatura gibt es ebenso diverse Meinungen. Grob gesprochen lautete die Kritik: Die neue Matura kommt jenen entgegen, die in Mathe Schwächen haben, unterfordert aber die anderen. Mit den Vorbereitungsmaterialien des Bifie konnten sich SchülerInnen gut wappnen, allerdings mussten sie nicht unbedingt verstehen, was sie tun, weil es teilweise reichte, sich an das Übungsbeispiel zu erinnern und das richtige Ergebnis anzukreuzen. Dass es mit der Vergleichbarkeit nicht weit her ist, zeigte sich daran, dass an manchen Schulen Taschenrechner verwendet werden durften, die Grafiken wie den Verlauf einer Kurve anzeigen, an anderen aber nicht. Aber immerhin schafften bereits 90 Prozent der SchülerInnen bei der schriftlichen Mathe-Matura eine positive Note.

Vergeudete Chancen

Die Arbeiterkammer zählt zu den BefürworterInnen der Zentralmatura. Der erste Durchgang verlief aus ihrer Sicht mit Ausnahme von wenigen Punkten reibungslos. Laut Martina Laux, Expertin in der Abteilung Bildungspolitik der AK Wien, ist die Zentralmatura „ein guter Schritt, der das österreichische Schulsystem voranbringt“. Es sei fair und gerecht, dass alle SchülerInnen die gleiche Schwierigkeit vorfinden. Positiv sei auch, dass sich die Rolle der LehrerInnen im Unterricht ändere: Waren sie früher „im schlechtesten Fall strafende, prüfende GegnerInnen“ der SchülerInnen, würden sie durch die Zentralmatura zu „PartnerInnen, die wie TrainerInnen im Sport die SchülerInnen bei ihrer Zielerreichung unterstützen“, meint Laux. SchülerInnen würden zur Zielerreichung „mal mehr, mal weniger“ Förderung benötigen. Daher fordert die AK die indizierte Mittelverteilung, also dass „bei der Ressoucenverteilung zwischen den Schulen berücksichtigt wird, welche Voraussetzungen die SchülerInnen mitbringen“, sagt Laux. Viel zu tun sei noch bei der Nachbereitung der Prüfungsergebnisse: „Profi-SkifahrerInnen analysieren ihre Trainingsläufe, um besser zu werden – in der Schule passiert das aktuell nicht.“
Derzeit gebe es keine offizielle Strategie, was passieren soll, wenn die Prüfungsergebnisse an einem Schulstandort unterdurchschnittlich sind. Wie diese Schule unterstützt werden soll, ist für Laux eine sehr wichtige Frage: „Das Ministerium vergeudet eine große Chance, wenn die Ergebnisse quasi in den Aktenschrank gepackt und versperrt werden.“

Bildung als Armutsvermeidung

Rainer Bölling, Bildungsforscher und Autor des Buchs „Kleine Geschichte des Abiturs“, wirft einen kritischen Blick auf den Trend, Reifeprüfungen zu zentralisieren: „Die Erfahrungen mit dem Zentralabitur deuten darauf hin, dass ein mittleres Level angesteuert wird und starke Schüler nicht so sehr gefordert werden.“
In den vergangenen zehn Jahren, seit das Zentralabitur in Deutschland breit angewendet wird, sei das Prüfungsniveau „sehr offensichtlich“ gesunken – und die Noten seien viel besser geworden. Aber ist eine steigende Anzahl an jungen Menschen mit Matura etwas Schlechtes? Schließlich erhöht hohe Bildung die Chancen auf beruflichen Erfolg und verringert die Armutsgefahr. Die EU strebt sogar bis 2020 an, dass mindestens 40 Prozent der Jugendlichen einen Hochschulabschluss haben. „Die europäische Bildungspolitik ist auf dem falschen Weg“, warnt Bölling. In Frankreich etwa produziere man viele MaturantInnen, aber: „Ein großer Teil geht in die Jugendarbeitslosigkeit.“ Schwierig sei auch die Situation in den USA, wo viele das Studium abbrechen. Bewährt hätten sich dagegen Schulsysteme mit Berufsbildung wie in Österreich. Außerdem: „Wenn die Abiturientenquoten erhöht werden, gibt es mehr Konkurrenz an den Universitäten.“ Keinesfalls für sinnvoll hält Bölling es, die Erlaubnis zu studieren allein von der Performance der SchülerInnen während weniger Tage im Frühling abhängig zu machen. Die Bildungsministerin zeigte sich mit dem ersten Durchgang „sehr zufrieden“. Große Änderungen für das kommende Jahr seien nicht notwendig. Dann gilt die Zentralmatura flächendeckend für die berufsbildenden Schulen. Dann heißt es für 43.000 SchülerInnen, den Reifetest zu bestehen. 

Linktipps

Übersicht über die Zentralmatura:
www.bifie.at/srdp
AK: Förderung von Schulen in sozial
benachteiligten Bezirken:
tinyurl.com/powju9e
Gastbeitrag in der FAZ von Rainer Bölling:
tinyurl.com/lac6sur

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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905505 Der erste Durchgang der Zentralmatura war für die SchülerInnen mit viel Stress verbunden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111638 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111627 Die Schule von morgen Veränderungen im (österreichischen) Schulwesen gehen in der Regel eher langsam vonstatten. Reformvorschläge und Ideen geistern meist längere Zeit durch Fachbücher und Medien, bevor mit der Umsetzung begonnen wird. Das führt unter anderem dazu, dass Eltern bei Schulbesuchen immer wieder Déjà-vu-Erlebnisse haben oder noch rückwirkend erstaunt und dankbar sind, wie fortschrittlich und tolerant die eigenen LehrerInnen etwa in den 70er-Jahren waren.

Selbstverständlich sind SchülerInnen keine Versuchskaninchen und im Bildungsbereich sind viele Player an Entscheidungen beteiligt. Doch manchmal schaffen es Veränderungen wirklich derart langsam in die Klassenzimmer, dass das ganze System regelrecht weltfremd anmutet. Immerhin sind sich (fast) alle einig: Bildung bedeutet mehr als Berufsausbildung. Einem modernen Schulwesen sollte es gelingen, sowohl ökonomischen Erfordernissen gerecht zu werden als auch Kreativität und individuelle Förderung zu ermöglichen.

Nah an der Praxis

Einer der ersten Schritte auf dem Weg zur Erneuerung sind Schulversuche oder Projekte. Seit einigen Jahren etwa gibt es den Schulversuch „Zwei-Phasen-Schularbeit“. Dabei werden Mathematik- oder Deutsch-Schularbeiten am Ende der Stunde wie üblich abgegeben, aber von den SchülerInnen selbst in der nächsten Mathematik- oder Deutschstunde noch einmal gecheckt und korrigiert. Erst dann wird benotet. Dieses Vorgehen entspricht nicht nur der üblichen Arbeitsweise im beruflichen Alltag, die SchülerInnen beschäftigen sich dadurch auch intensiver mit dem Lernstoff und können ihre Korrekturfähigkeit schulen. Zwei-Phasen-Schularbeiten werden sowohl in Pflichtschulen als auch in AHS-Unterstufen an einzelnen Schulstandorten praktiziert.
Den Übergang ins Berufsleben erleichtern soll das Projekt Fachmittelschule (FMS), das derzeit an Polytechnischen Schulen in fünf Wiener Bezirken in Kooperation mit Neuen Mittelschulen (NMS) läuft. Nach einer ausführlichen Orientierungsphase können SchülerInnen für je drei Wochen in vier von neun möglichen Fachbereichen „schnuppern“. Erst danach entscheiden sie sich fix für einen Fachbereich.

Umfassendes Wissen

Abseits der üblichen Schulfächer oder (un)verbindlichen Übungen gibt es auch noch die sogenannten Unterrichtsprinzipien: Entwicklungspolitische Bildungsarbeit, Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern, Europapolitische Bildung, Gesundheitserziehung, Interkulturelles Lernen, Leseerziehung, Medienbildung, Sexualpädagogik, Umweltbildung, Verkehrserziehung sowie Wirtschaftserziehung und VerbraucherInnenbildung. Diese sollen sich fächerübergreifend wie ein roter Faden durch den Unterricht ziehen – in welcher Form und wie umfangreich, hängt weitgehend von den Lehrkräften ab.
Politische Bildung ist sowohl Unterrichtsprinzip als auch Schulfach: 1970 als unverbindliche Übung eingeführt, ist sie heute in den einzelnen Schultypen noch unterschiedlich verankert. In der Berufsschule ist sie ein eigenes Unterrichtsfach, in allen anderen Schulformen wird Politische Bildung ab der 8. Schulstufe in Kombination mit (Zeit-)Geschichte, Recht oder Wirtschaftskunde angeboten. Außerdem müssen entsprechende Themen anlassbezogen schon ab der Volksschule in allen Schulstufen fächerübergreifend in den Unterricht eingebaut werden. Laut aktuellem Regierungsprogramm wird Politische Bildung schon ab der 6. Schulstufe im Gegenstand „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ fix verankert. Ein entsprechender Lehrplanentwurf ist bereits ausgearbeite
t.

Blended Learning

Wie unser Alltag und die Arbeitswelt in 25 Jahren aussehen werden, ist weitgehend ungewiss. Ziemlich sicher ist, dass Computer, Internet und Co eine wichtige Rolle spielen werden. Als Blended Learning bezeichnen ExpertInnen den Mix aus konventionellem Unterricht und digitalen Lehr- und Lernmethoden; „efit21 – Digitale Bildung“ heißt die entsprechende Strategie des BMBF. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek: „Kein Kind soll die Schule ohne digitale Kompetenzen verlassen. Es ist wichtig, Schülerinnen und Schüler so früh wie möglich zu einem reflektierten und sinnvollen Umgang mit digitalen Medien hinzuführen und allen Kindern die nötigen Grundkompetenzen zu vermitteln. Nur so können sie als Gestalterinnen und Gestalter in einer zunehmend digitalisierten Welt eine aktive Rolle übernehmen.“ Die Palette reicht von E-Books im Rahmen der Schulbuchaktion (digi4school) über Smart-Boards als Hightech-Version der üblichen Schultafel bis zu Lernplattformen.

Virtueller Lernraum

„In Österreich steht vier von fünf SchülerInnen der Sekundarstufe eine Lernplattform als virtueller und geschützter Lernraum zur Verfügung, das ist in keinem anderen europäischen Land besser“, so Heinisch-Hosek. Auf diesen Plattformen (z. B. Edumoodle) können sich PädagogInnen vernetzen, Erfahrungen teilen und mit SchülerInnen direkt kommunizieren. Es werden nicht nur Unterrichtsmaterialien angeboten und das selbstständige Lernen und Üben gefördert, auch gemeinsames und klassenübergreifendes Arbeiten an Themen und Projekten ist möglich.
Die ersten Notebook-Klassen wurden bereits in den späten 1990ern eingeführt. Mittlerweile gibt es in ganz Österreich rund 600 Laptop-Klassen und es sollen noch mehr werden. Während anfangs die Kosten noch stolz von den Eltern übernommen wurden, trat mit fortschreitender Verbreitung von Blended Learning immer deutlicher zutage, dass weniger begüterte SchülerInnen finanzielle Unterstützung brauchen.
Mit dem Projekt „Mobile Learning“ wollen BMBF und BMVIT Schulen und Eltern bei der Einführung neuer Technologien unterstützen. 94 Schulen aus 31 regionalen Clustern nehmen daran teil und wurden mit insgesamt rund 2.000 (Leih-)Tablets für den Unterricht ausgestattet – zum Teil finanziert aus den Mitteln der Breitbandmilliarde.
Coole Projektnamen können allerdings nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass Österreich im internationalen Vergleich auch in puncto IT-Skills ziemlich weit hinten liegt. Das Bildungsministerium ist zwar stolz darauf, dass Österreich mit nur 2,9 SchülerInnen pro Computer deutlich unter dem OECD-Schnitt von 4,7 liegt, aber erstens finden sich in der OECD auch weniger begüterte Länder, der Durchschnitt sollte also für ein reiches Land wie Österreich nicht unbedingt ein Maßstab sein. Zweitens gab es in der PISA-Studie „Computers and Learning: Making the Connections“ leider auch einige unerfreuliche Ergebnisse. Bei der aufgabenorientierten Internetsuche etwa lag Österreich deutlich unter dem OECD-Schnitt.

Durchlässigkeit erhöhen

Verbesserungswürdig ist bekanntlich auch die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems. Dabei geht es nicht zwangsläufig um die Erhöhung der AkademikerInnenquote, sondern um echte Chancengleichheit. Inwieweit Schule Begabungen erkennen und die persönliche Entwicklung fördern kann, sogar Spaß machen kann, hängt zu einem großen Teil auch von den Fähigkeiten und dem Engagement der Lehrkräfte ab. Schulen müssen keineswegs jeden Trend mitmachen, aber sie sollten doch am Puls der Zeit sein. Teamteaching etwa sollte angesichts von Integrationsklassen, Projektunterricht und Bilingual Schools auch für LehrerInnen, die sich traditionell eher als EinzelkämpferInnen sehen, zur Selbstverständlichkeit werden. Damit wären sie außerdem auch bezüglich Teamfähigkeit ein Vorbild. Über die Jugend von heute zu klagen, die keinem Vortrag folgen kann, ohne sich nebenbei mit dem Smartphone zu beschäftigen, hilft niemandem.
In Zeiten des Infotainments sind auch Erwachsene schneller gelangweilt und greifen zum Handy – das sich ja auch für Notizen und Hintergrund-Recherche eignet. Die Halbwertszeit von Wissen wird immer kürzer und im Laufe einer jahrzehntelangen Lehrtätigkeit sind Flexibilität und Toleranz unverzichtbar. Im Sinne der Kinder und Jugendlichen bleibt nur zu hoffen, dass diese Eigenschaften durch bürokratische Hürden nicht überstrapaziert werden.

Linktipps

Virtuelle Schule:
www.virtuelleschule.at
OECD-Studie im Internet:
tinyurl.com/qfveyu4
Lehrkräfte-Toolkits zu den Themen Sicherheit und Gesundheitsschutz (für 7- bis 11-Jährige):
tinyurl.com/qzct8vt

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905451 In einer schneller und zugleich größer werdenden Welt stellt sich die Frage: Welches Wissen soll oder kann die Schule eigentlich vermitteln? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111617 Liebling zwischen Schein und Sein Etwa 40 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren absolvieren in Österreich eine Lehre und tragen damit wesentlich zur Deckung des Fachkräftebedarfs bei. Das Ausbildungssystem steht jedoch zunehmend strukturellen Herausforderungen gegenüber. Die demografische Entwicklung und die massiven Qualitätsunterschiede der Lehrlingsausbildung auf Branchen- und Betriebsebene machen es immer schwerer, die Lehre als attraktive Ausbildungsform zu vermitteln. Angesichts des schlechten Images der Lehre und der teils mangelhaften Rahmenbedingungen entscheiden sich immer mehr Jugendliche lieber für vollschulische Ausbildungswege.
Doch neben dem Image der Lehre und der Qualitätsdimension spielt auch die quantitative Verfügbarkeit attraktiver Ausbildungsplätze eine wichtige Rolle. So hat sich die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe deutlich verringert. Die Zahl der Lehrstellen in den Betrieben geht trotz Förderungen zurück. Waren es Anfang der 1980er-Jahre noch über 190.000 Lehrlinge, die in den Betrieben ausgebildet wurden, so sind es derzeit nur mehr rund 105.000.

Sinkende Zahlen

Vor allem seit Einsetzen der Krise im Jahr 2008 ist die Zahl der betrieblichen Lehrstellen rückläufig. Allein zwischen den Jahren 2009 und 2014 ging die Anzahl der Lehrlinge in den Betrieben um knapp 20.000 zurück, statt einst 124.256 gab es im Vorjahr nur noch 105.861 betriebliche Ausbildungsplätze. Das erschwert es Jugendlichen zusätzlich, einen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf zu finden.

Die duale Ausbildung – im internationalen Vergleich von der Politik gerne als Vorzeigemodell zur Vermeidung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses gehandelt und als großer gesellschaftlicher Beitrag der Wirtschaft gefeiert – gerät im eigenen Land zunehmend ins Hintertreffen. Das Qualifikationsniveau zukünftiger FacharbeiterInnen wird jedoch mit darüber entscheiden, wie Österreich die Herausforderungen des wirtschaftlichen Strukturwandels und des globalen Wettbewerbs meistern kann. Trotzdem gibt es nach wie vor kein System zur Sicherung der Ausbildungsqualität, wie es für andere Lernorte (z. B. Schulen) bereits existiert.

Hohe Anerkennung

Die duale Ausbildung genießt in Österreich eine hohe gesellschaftliche Anerkennung. Es herrscht ein breiter politischer Konsens darüber, dass das heimische Ausbildungsmodell mit seinem starken Fokus auf die betriebliche Praxis eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt.
Zu den häufigsten Argumenten zählen die Integration in die Arbeitswelt, das praktische Lernen am Arbeitsplatz, der finanzielle Vorteil durch die Lehrlingsentschädigung oder der Erwerb von Beitragszeiten zur Pensionsversicherung. Vor allem von Wirtschaftsseite werden auch gerne die Verdienste der heimischen Betriebe um die FacharbeiterInnen-Ausbildung hervorgehoben. Ein wichtiges Prestigeprojekt bilden dabei etwa die internationalen Berufsweltmeisterschaften für Lehrlinge (World-Skills), die alle zwei Jahre stattfinden. Im Rahmen dieser Wettbewerbe können junge FacharbeiterInnen ihre Fähigkeiten und Talente unter Beweis stellen und sich mit BerufskollegInnen aus aller Welt messen. Auch bei den heurigen WorldSkills erzielte Österreichs Team wieder tolle Ergebnisse.

Internationale Erfolge

Diese internationalen Erfolge sind zweifelsohne bemerkenswert und eine Auszeichnung für die teilnehmenden Lehrbetriebe und FacharbeiterInnen. Sie zeigen, dass engagierte Lehrbetriebe ihre Lehrlinge dank hoher Ausbildungsqualität zu großen Leistungen führen können und wie sehr die Facharbeit von aufgeschlossenen jungen Menschen mit Einsatzfreude und Talenten profitiert.
Dennoch bleibt ein Wermutstropfen: Die WorldSkills geben Auskunft darüber, wie gut einzelne „gute Lehrbetriebe“ sind. Sie können jedoch kein flächendeckendes breites Bild vermitteln, wie es um die österreichische Ausbildungslandschaft insgesamt bestellt ist. Denn auch die Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass rund ein Viertel aller österreichischen Lehrlinge die Lehrausbildung nicht erfolgreich abschließt, sei es, weil sie die Lehrabschlussprüfung nicht erfolgreich absolvieren, sei es, dass sie gar nicht erst antreten. Die Wirtschaft und vor allem die ausbildenden Betriebe müssen sich daher die Frage gefallen lassen, welche Anstrengungen sie unternehmen, um die Qualität der Ausbildung zu verbessern. Wer übernimmt die Verantwortung für jenes Viertel der Lehrlinge, das die Lehrabschlussprüfung nicht positiv ablegt oder trotz absolvierter Lehrzeit gar nicht erst antritt?

Qualität messen, Qualität sichern

Fragt man bei den Lehrlingen selbst nach, ergibt sich ein durchwachsenes Bild. Geht es nämlich nach den Jugendlichen, scheinen wir – trotz des Engagements vieler Betriebe – von einer flächendeckenden Ausbildungsqualität weit entfernt.
Die jüngste Lehrlingsbefragung der AK („Was tut sich bei dir im Job?“, 2014) zeigt: Weniger als die Hälfte der Lehrlinge findet, dass die Ausbildung „Freude macht und sinnvoll“ ist und dass ihre Arbeit „interessant“ ist und „Spaß macht“ (44 Prozent). Nicht einmal jede/r zweite Jugendliche hat das Gefühl, im Betrieb ernst genommen zu werden. Auffallend ist zudem, dass nur ein Viertel der Lehrlinge angibt, dass bei der Arbeit auf ihre Neigungen und Interessen eingegangen wird.
Arbeitszufriedenheit ist jedoch ein wichtiger Indikator für hohe Arbeitsmotivation. Jugendliche, die sich in ihrem Ausbildungsverhältnis wohlfühlen, schließen ihre Ausbildung weitaus erfolgreicher ab und finden sich damit auch am Arbeitsmarkt besser zurecht als LehrabbrecherInnen – und wenig überraschend: sie bringen sich auch weitaus engagierter im Betrieb ein als Jugendliche, die ihre Lehre unter mangelhaften Rahmenbedingungen absolvieren müssen.
Besonders effektiv funktioniert die intrinsische Motivation, also jene Motivationsform, die ein Individuum aus einer Tätigkeit selbst ziehen kann. Sie kann einerseits dem Lehrling zu mehr Ausbildungszufriedenheit verhelfen, andererseits bildet Motivation auch die Basis für wichtige Kompetenzen wie etwa Kreativität, Einsatzbereitschaft, Eigenverantwortung und Zuverlässigkeit.
Das ist umso wichtiger, als es sich bei den meisten Lehrlingen um Jugendliche handelt, die im Rahmen der Lehrausbildung nicht nur ihre berufliche Sozialisation erfahren. Vielmehr erhalten sie auch wichtige Impulse für ihre persönliche Entwicklung bzw. müssen gerade in der Zeit der Ausbildung die unterschiedlichsten Probleme der Adoleszenz bewältigen.

Motivation steigern

Der Einsatz motivationssteigernder Instrumente in der Lehrlingsausbildung kann also maßgeblich dazu beitragen, dass Jugendliche ihre menschlichen und fachlichen Potenziale optimal entfalten können. Motivationsfördernde Aspekte sind vor diesem Hintergrund ein Kernstück der Ausbildungsqualität.
Als Fazit bleibt einmal mehr der Hinweis auf die Notwendigkeit eines gesetzlich verankerten Qualitätsmanagements in der betrieblichen Ausbildung. Nur eine verlässlich hohe Ausbildungsqualität, die sich nach transparenten und bindenden Qualitätsindikatoren ausrichtet, kann den Lehrlingen optimal jene fachlichen und persönlichen Kompetenzen vermitteln, die sie erfolgreich durch die Lehrabschlussprüfung und in eine qualifizierte Berufstätigkeit führen.

Jugendarbeitslosigkeit vorbeugen

Ziel muss es daher sein, die Ausbildungsqualität messbar zu machen und weiter zu steigern, um die Potenziale des hiesigen Ausbildungssystems vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen und zukünftiger Standortsicherung bestmöglich zu nutzen.
Jede Anstrengung für ein Berufsausbildungssystem, das möglichst keine/n Jugendliche/n zurück lässt, ist letztlich weit mehr als eine Maßnahme zur Stabilisierung der Betroffenen. Vielmehr ist es Präventivarbeit, um systemischen Problemen wie der verfestigten Jugendarbeitslosigkeit und all ihren unerwünschten Folgen vorzubeugen
.

Blogtipps

Maßnahmen für mehr Lehrabschlüsse:
tinyurl.com/py2jtrz
Erfolgsmodell überbetriebliche Ausbildung:
tinyurl.com/lpvcc67
Qualitätssicherung in der Lehrausbildung:
tinyurl.com/nez73ny
Mythos Fachkräftemangel:
tinyurl.com/na572us

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin lisa.sinowatz@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Lisa Sinowatz, Abteilung Lehrlings- und Jugendschutz der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905439 Die Lehre gilt als Erfolgsmodell. Fragt man die Lehrlinge selbst, fällt das Urteil eher mäßig aus. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111609 Anderssein als Normalität Klassengesellschaft, Leistungsmaschinerie und Ausschluss von nicht normgetreuen Kindern: Diese Schlagworte scheinen den Schulalltag weiterhin zu bestimmen. Zu Recht? „Bei Kindern verwirklichen Eltern gerne ihre eigenen Ansprüche und Träume. Sie wollen ihr Kind auf eine – vermeintlich klare – Zukunft vorbereiten“, erklärt Maria Beham. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Jasmin Mandler betreibt die Psychologin eine Praxis mit dem Namen „die Entwicklungshelferinnen“. Ihrer Ansicht nach werden die individuellen Bedürfnisse der SchülerInnen „oft aus den Augen verloren“.

Das einzelne Kind sehen

Wie lassen sich die  gestiegenen Ansprüche an die Schule mit der Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen  – ein gesellschaftlicher wie bildungspolitischer Anspruch – miteinander vereinbaren? Notwendig dafür ist eine individuell adäquate Lernumgebung. Das Ziel: Alle Kinder sollen in gleicher Würde leben können, das einzelne Kind soll gesehen werden. Das aktuelle, äußerst strukturierte Regelschulsystem stellt jedoch zumeist die Wissensvermittlung in den Mittelpunkt – und von den SchülerInnen wird erwartet, sich in dieses System einzufügen. „Der Fokus liegt oft nicht auf den individuellen Bedürfnissen des Kindes. Vielmehr geht es darum, wie Kinder es schaffen, die Lernziele zu erreichen“, weiß Beham. „Kinder mit besonderen Bedürfnissen müssen da erst ihren Platz finden. Bisher galt, dass in Sonderschulen oder Integrationsklassen beschult wird“, erklärt Mandler. „Jetzt gibt es den Anspruch, dass sie inklusiv mit allen anderen Kids unterrichtet werden. Das stellt sehr hohe Anforderungen an das Schulsystem.“ Die Vorteile: Schüler, die altersentsprechend entwickelt sind, erleben, dass es auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen gibt, die ebenso ihre Persönlichkeit und einen Platz in unserer Gesellschaft haben.
Von sich aus sind die Jungen unvoreingenommen, aber sie übernehmen oft Vorurteile der Erwachsenen – vor allem die Defizitorientierung. Psychologin Beham: „Es ist aber wichtig, dass Anderssein Teil der Normalität wird. Inklusion ist ein wichtiges Ziel im derzeitigen Schulsystem. Wie gehen Lehrer mit Kindern um, wie fördern sie Anerkennung? Es muss weniger um Lob und Tadel gehen, sondern um einen würdevollen Umgang miteinander.“ Eine Schule, die für alle perfekt ist, gibt es aber eben auch nicht. „Ich glaube an die Individualität und Persönlichkeit. Es sollte unterschiedliche Unterrichtsformen geben, und es wird immer Kinder geben, die einen speziellen Förderbedarf haben“, erklärt Beham.
Grundsätzlich obliegt den Eltern die Entscheidung, ob das Kind in eine Sonderschule oder Integrationsklasse geht. Vielen Eltern aus bildungsfernen Haushalten wird nicht genug erklärt, welche Tragweite ihre Entscheidung für die langfristige Bildungszukunft ihrer Kinder haben kann. Neben Kindern mit Behinderung landen vor allem Mädchen und Burschen mit Migrationshintergrund in Sonderschulen, oder sie werden mit dem Begriff „sonderpädagogischer Förderbedarf“ (SPF) bezeichnet.
Ihre Anzahl steigt: Im Schuljahr 2000/01 besuchten laut Statistik Austria 1,71 Prozent aller PflichtschülerInnen eine Sonderschule, im Schuljahr 2010/11 waren es bundesweit 1,98 Prozent. Dabei sollte ein solches Attest nur mit äußerster Zurückhaltung ausgestellt werden, immerhin verschlechtert es die Chancen am Arbeitsmarkt erheblich.

Eingeschränktes Angebot

Grundsätzlich beruht das Sonderschulsystem darauf, dass Kinder, die dem Unterricht in der Volks-, Haupt- oder Polytechnischen Schule wegen körperlicher oder geistiger Behinderung nicht folgen können, in eine Sonderschule überwiesen werden. Seit 1993 dürfen die Eltern entscheiden, ihre Auswahl wird allerdings vom konkreten schulischen Angebot eingeschränkt. In der Steiermark etwa werden mehr als 80 Prozent aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf integriert, in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg liegt der Anteil bei nur knapp über 30 Prozent.
Im August 2014 forderte der Monitoringausschuss die Abschaffung der Sonderschule bis September 2015, da diese Schulform der UN-Behindertenrechtskonvention widerspreche. Der Ausschuss argumentiert, dass die Sonderschule diskriminierend ist, weil sie einzig auf das Merkmal der Beeinträchtigung abstellt. Sonderschulen waren bereits im Jahr 2008 vom Ausschuss als menschenrechtswidrig kritisiert worden. Das Ziel auch damals: eine inklusiv geführte gemeinsame Schule aller Kinder bis 14 Jahre, die auf individuelle Bedürfnisse eingeht.

Gescheite Rahmenbedingungen

Kurt Kremzar, Bildungsexperte der AK Wien, ist  für die inklusive Schule: „Das Problem ist, dass es nicht alle Eltern so sehen. Gerade bei den Sinnesbehinderungen gibt es Eltern, die Angst haben, dass ihre Kinder nicht gut betreut werden, wenn sie in eine normale Schule gehen. Es ist auch eine Frage der Ressourcen.“ Grundsätzlich müsse das Ziel eine inklusive Schule sein. „Eine allgemeine Sonderschule werden wir nicht mehr brauchen. Wenn man gescheite Rahmenbedingungen hat, könnte die Sonderschule abgeschafft werden“, findet Kremzar.
Dass viele Eltern gegen ein Selektieren von SchülerInnen sind, bei ihrem eigenen Kind aber primär auf Leistung setzen, macht die gemeinsame Schule zu einem schwierigen Vorhaben. Noch dazu fehlt es an geeigneten Lehrkräften, denn ein inklusives Schulsystem verlangt auch LehrerInnen, die entsprechend in Pädagogik geschult sind. Selbst die neue LehrerInnenausbildung leistet dies nicht. Ob für jedes Kind mit besonderen Bedürfnissen Platz in einer Regelschule sein wird, darüber streiten ExpertInnen.
Dabei bereichern gerade Kinder mit besonderen Bedürfnissen eine Klasse und entsprechen damit sogar den heutigen Ansprüchen des Arbeitsmarkts, denn durch sie erwerben MitschülerInnen ganz selbstverständlich soziale Kompetenzen. „Kinder können dann vieles erlernen, was sie sonst vielleicht versäumen – sehr viel an sozialer Kompetenz, Rücksichtnahme und Toleranz. Sie können sich als kompetent erleben, weil sie etwa anderen dabei helfen, im Unterricht mitzukommen“, weiß Kinder- und Jugendpsychologin Mandler.
SchülerInnen können sich in diesen sozialen Gruppen als wertvoll erleben, was eine zusätzliche soziale Kompetenz ist. Manch skeptischen Eltern ist diese Bereicherung durchaus vermittelbar. „Besser sein, jemanden unterstützen, auch einmal auf jemanden Rücksicht nehmen. Und die Möglichkeit, jemanden zu beschützen.“ SchülerInnen entwickeln in Integrationsklassen oft eine schöne Gemeinschaft. „Sie leben gemeinsame Werte, sehen Kinder mit besonderen Bedürfnissen als vollwertige Mitglieder, sind gemeinsam auf ihre Leistungen stolz.“

Extreme Leistungsorientierung

In der Praxis „die Entwicklungshelferinnen“ machen Maria Beham und Jasmin Mandler die Erfahrung: „Eltern glauben, dass Kinder zu wenig in der Schule lernen. Und wenn dann noch ein behindertes Kind in der Klasse ist, dann würde womöglich noch weniger gelernt. Es gibt eine extreme Leistungsorientierung.“ Die Psychologinnen sind überzeugt, dass Anerkennung und würdevolles Miteinander im schulischen Bereich auf allen Ebenen ein Teil der Zukunft sein müssen. Jasmin Mandler äußert noch einen anderen Wunsch: „Neben der Schule, die strukturiert ist, sollte dazu übergegangen werden, in der Freizeit einen Ausgleich für die Kinder zu finden. Einen, der möglichst unstrukturiert ist.“ Im Vordergrund sollten vielmehr Entschleunigung und Entspannung stehen.
All das setzt natürlich voraus, dass man sich vom alleinigen Leistungsanspruch verabschiedet und sich stattdessen Gedanken darüber macht, wie grundlegendere Kompetenzen vermittelt werden können, die junge oder möglicherweise auch ältere Menschen in die Lage versetzen, mit Veränderungen in der Gesellschaft zurechtzukommen. Von daher könnten sowohl LehrerInnen wie SchülerInnen von Sonder- und inklusiven Schulen wichtige Erfahrungen beisteuern. Immerhin vermitteln sie den Umgang mit einer vielfältigen Gesellschaft – eine Kompetenz, die sich als wertvoller herausstellen könnte als das pure Faktenwissen.

Linktipps

www.die-entwicklungshelferinnen.at
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation:
tinyurl.com/ogoymu4
www.oear.or.at
monitoringausschuss.at
www.bmbf.gv.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen sophia.fielhauer@chello.at
resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sophia Fielhauer und Christian Resei, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905411 Neben Kindern mit Behinderung landen vor allem Buben und SchülerInnen mit Migrationshintergrund in Sonderschulen - Anzahl steigend. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111603 Risikofaktor Schule „Ich war jung und brauchte das Geld.“ So werden gerne Stationen in der frühen Job-Biografie augenzwinkernd kommentiert, die nicht zur späteren Karriereplanung passten. Heute gibt es ein ganz anderes Phänomen bei jungen Menschen: große Lücken im Lebenslauf. Sie verweisen auf einen Status, der „Not in Education, Employment or Training“, kurz NEET, genannt wird.

In Österreich sind jährlich laut einer aktuellen AK-OÖ-Studie durchschnittlich 75.100 Jugendliche davon betroffen.1 Somit sind 7,4 Prozent junger Menschen zwischen 15 und 24 Jahren weder in Beschäftigung, im Bildungssystem oder in einer Trainingsmaßnahme integriert. Die detaillierten Zahlen zeigen, dass die Anzahl der Betroffenen konjunkturabhängig ist und in den Krisenjahren ansteigt. Rund 38 Prozent der NEET-Jugendlichen sind länger als ein Jahr im NEET-Status.

NEET hat viele Gesichter

Die klassischen NEETs gibt es nicht. Es sind Jugendliche beiderlei Geschlechts mit verschiedenen Bildungsabschlüssen und unterschiedlichem Gesundheitszustand, die freiwillig oder unfreiwillig aus dem Erwerbs- und Bildungssystem ausgeschlossen sind. Unter ihnen findet man also sowohl solche, die aktiv eine Arbeit oder für sie geeignete Ausbildung suchen, als auch solche, die nicht arbeiten können oder wollen oder sich bewusst eine Auszeit nehmen. Zu finden sind Jugendliche aus bildungsfernen Familien, die Klassen wiederholen mussten und keinen Pflichtschulabschluss vorweisen können. Unter den NEETs sind aber auch MaturantInnen aus gut situiertem Elternhaus, die beispielsweise an der harten Aufnahmeselektion überfüllter Unis scheitern. Oft sind es Jugendliche, die sich bereits weiter vom Arbeitsmarkt entfernt haben und aufgrund der vermeintlichen Aussichtslosigkeit keine Alternativen mehr suchen.

Risiko Nr. 1: Früher Schulabbruch

Allerdings zeigt sich, dass es individuelle und gesellschaftliche Risikofaktoren gibt. Die EU-Agentur Eurofound hat für die Europäische Union errechnet, dass beispielsweise Jugendliche mit Migrationshintergrund ein um 70 Prozent höheres NEET-Risiko haben. Gesundheitliche Einschränkungen erhöhen das NEET-Risiko um 40 Prozent, und Jugendliche, deren Eltern arbeitslos waren, haben ein um 17 Prozent erhöhtes Risiko. Außerdem sind Jugendliche aus bildungsfernem Elternhaus, aus dem urbanen Bereich und (vor allem weibliche) Jugendliche mit Betreuungspflichten häufiger betroffen. Auch problematische familiäre Umstände, traumatische Erfahrungen, emotionale Auffälligkeiten, Drogen, Alkohol und finanzielle Engpässe können erschwerend wirken. Übergeordnet kann als zentralstes Merkmal ein früher Schulabgang („early school leavers“) für eine NEET-Betroffenheit ausgemacht werden.
Aus österreichischen Forschungsinterviews geht zudem hervor, dass bisherige Erfahrungen mit dem System Schule oft prägend waren. Viele NEET-Betroffene erzählen von Mobbing- und Ausgrenzungserfahrungen, Leistungs- und Lernschwierigkeiten, Konflikten mit LehrerInnen sowie Schulängsten, die ihre Schulkarriere gekennzeichnet haben. Hinzu kommen Umbruchphasen (z. B. Schulwechsel, Klassenwiederholung, Wechsel in Ausbildungskontexte etc.), die als schwierig erlebt wurden. Die sehr unterschiedlichen und persönlichen Geschichten der Jugendlichen zeichnen das Bild, dass unzureichende oder falsche Information, ungeeignete oder mangelnde Unterstützung sowie Misserfolgserfahrungen bei vielen zu Frustration oder Resignation führen.

Vorbilder (be)leben

Umgekehrt zeigen die Interviews auch, dass hilfreich erlebte Unterstützung oder positive Vorbilder die Betroffenen auch wieder Mut schöpfen lassen. Allen Hindernissen und Fehlschlägen zum Trotz können so auch positive Kehrtwendungen stattfinden. Studienteilnehmer Christian2 hat offenbar die positive Erfahrung mit einem didaktisch phantasievollen Nachhilfelehrer nachhaltig inspiriert: Er hat nach vielen Umwegen und Hindernissen das Ziel entwickelt, selbst Lehrer zu werden. Durch die Lehre mit Matura konnte er schließlich seinen Traum verwirklichen und Lehramt studieren. So wie Christian gelingt immerhin 32 bis 47 Prozent ein erfolgreicher Ausstieg aus dem NEET-Status.3
Die Studien machen auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam: Bei gefährdeten Jugendlichen kann die Beziehung zu den Lehrpersonen ausschlaggebend für den (Nicht-)Abbruch der Schule sein. Folglich ist es wichtig, dass LehrerInnen diesbezüglich sensibilisiert und geschult werden, um Risiken zu erkennen und handeln zu können. In der Praxis bedeutet das, eine gute Beziehung zu den abbruchgefährdeten Jugendlichen zu pflegen und Unterstützungsangebote verfügbar zu haben.

Nicht (nur) eine Frage des Willens

Wie sich abzeichnet, ist die NEET-Situation kaum eine Frage der individuellen Entscheidung. Die Antwort ist vielmehr in der Chancenverteilung und im Bildungssystem mit den damit verbundenen Möglichkeiten zu suchen. Die Beeinträchtigung des Einzelnen ist jedoch groß, da ein selbstbestimmtes Leben und persönliche Entfaltung im NEET-Status schwierig ist. Hinzu kommt, dass die volkswirtschaftlichen Kosten und negativen sozialpolitischen Folgen gesamtgesellschaftliche Relevanz haben und politische Strategien erfordern. Die bunt zusammengesetzte NEET-Gruppe benötigt ein ebenso vielschichtiges Angebot. Grob können die Maßnahmen in Prävention und Maßnahmen zur Reintegration am Arbeitsmarkt beziehungsweise ins (Aus-)Bildungssystem unterschieden werden.
Die frühzeitige Prävention ist laut ExpertInnen ganz wesentlich. Damit soll ein früher Schulabbruch verhindert werden, um die Chancen am Arbeitsmarkt später zu erhöhen. So wird etwa die Etablierung eines Frühwarnsystems empfohlen. Dieses zielt darauf ab, auf erste Probleme, die sich oft bereits Jahre vorher abzeichnen, reagieren zu können. Damit könnte den Betroffenen zeitgerecht Unterstützung angeboten werden (z. B. psychologische Unterstützung bei Mobbing).

Jugendcoaching

Prävention kann auch standortbezogen erfolgen: Schulen mit schwierigen Ausgangsbedingungen könnten gezielt mit benötigten Ressourcen unterstützt werden (z. B alternative Lehrpläne bei hohem Migrationsanteil). Da sich der Übergang zwischen Schule und Beruf häufig schwierig gestaltet, werden vermehrte Berufsorientierung und Jugendcoaching vor der 9. Schulstufe vorgeschlagen.
Bei der Reintegration von NEET-Jugendlichen werden insbesondere niederschwellige und bedürfnisgerechte Maßnahmen mit einer persönlichen und vertrauensvollen Beziehungsarbeit angeraten. Diese kann beispielsweise im Rahmen von aufsuchender Jugend- und Sozialarbeit oder durch Online-Anlaufstellen geleistet werden. Österreich hat im internationalen Vergleich nicht nur niedrige Jugendarbeitslosigkeits-, sondern auch eine der niedrigsten NEET-Zahlen. Da die Potenzialförderung der Jugend immer auch eine Investition in die Zukunft ist, kann nur für eine weitere Absenkung der NEET-Raten plädiert werden. Wie Versuche in anderen Ländern zeigen, haben die Maßnahmen zudem wünschenswerte Nebeneffekte: So konnten in Griechenland mit neuen Lernmethoden nicht nur positive Effekte gegen frühen Schulabbruch erreicht werden, sondern es kam auch allgemein zu einer Steigerung der schulischen Leistungen.

Linktipps

Online-Anlaufstelle für Jugendliche:
www.unentdeckte-talente.at
AK OÖ und Uni Linz: „Jugendliche weder in Beschäftigung, Ausbildung noch in Training: Ein Bundesländervergleich in Österreich“ (2015):
tinyurl.com/nmeyl9f
AK und Stadt Wien: „Quo Vadis Bildung? Eine qualitative Längsschnittstudie zum Habitus von Early School Leavers“ (2014): 
tinyurl.com/o4v4jk3
Sozialpolitische Studienreihe des BMASK: „Unterstützung der arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe ‚NEET‘“ (2014):
tinyurl.com/qheql4t

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kontakt@elkeradhuber.at oder die Redaktion aw@oegb.at

1 Zahlen variieren je nach Erhebungsinstitut und Beobachtungszeitspanne. Die an dieser Stelle genannten Zahlen kommen aus dem Forschungsbericht 2015 der AK OÖ. Diese betreffen den Forschungszeitraum von 2006 bis 2013. Eine umfangreiche Studie des Sozialministeriums (Sozialpolitische Studienreihe) zieht einen Untersuchungszeitraum von 2006–2011 heran: Da ist von durchschnittlich 78.000 Jugendlichen bzw. 7,8 Prozent der 16- bis 24-jährigen Betroffenen jährlich die Rede. Das IHS spricht wiederum von 12 Prozent bzw. 128.000 BildungsabbrecherInnen bei den 15- bis 24-jährigen Personen. http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2015/PK0588/index.shtml
2 Christian wurde im Rahmen der Studie „Quo vadis Bildung?“ interviewt.
3 innerhalb des Beobachtungszeitraumes von fünf Quartalen

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Elke Radhuber, Kommunikationswissenschafterin, Trainerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447902905397 Für viele SchulabbrecherInnen waren bisherige Erfahrungen mit dem System Schule prägend. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111544 Bildung, Schule und Bildungspolitik

Nicht persönliches Wissen und Können der Kinder, sondern vor allem der höhere Bildungsstand der Eltern ist in Österreich für das Erreichen höherer Schulformen entscheidend. Wer nach der Volksschule in der Hauptschule beginnt, hat nur sehr geringe Chancen, diesen Weg wieder zu verlassen und in eine weiterführende Schule mit Matura zu wechseln. Die Bildungspolitik wird sich verstärkt mit der Frage nach Aufrechterhaltung von kleinen Schulstandorten befassen müssen. Auch nach der Schule sollten künftig Fortbildungen und das Lernen am Arbeitsplatz mehr gefördert werden. 

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Ausgewählt und zusammengestellt von Sonja Fercher, Arbeit&Wirtschaft und Reinhold Russinger, Arbeiterkammer. Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111508 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111125 Eine Frage des Geldes? Im Herbst 2014 starteten erstmals an allen Wiener Volksschulen kostenlose Lernhilfekurse in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Diese Neuerung hat sich bereits in den aktuellen Statistiken niedergeschlagen: Während die Ausgaben für Nachhilfeunterricht im vergangenen Jahr österreichweit leicht gestiegen sind, sind sie in der Bundeshauptstadt gesunken. Für die Nachhilfebranche sind dies aber noch keine schlechten Nachrichten, denn die Ausgaben für Nachhilfe sanken nur geringfügig von 40 auf 39,5 Millionen Euro. ExpertInnen begründen dies damit, dass Nachhilfe bei VolksschülerInnen seltener vorkommt und das Gratisangebot vielfach von jenen genutzt wurde, die ansonsten keine externe Nachhilfe engagieren würden bzw. sich diese nicht leisten konnten.

Mehr als 1.200 Kurse

Seit Februar 2015 wird der kostenlose Nachhilfeunterricht in diesen Fächern auch für die Sekundarstufe 1 (Neue Mittelschule und AHS-Unterstufe) angeboten. SchülerInnen bzw. Eltern können zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Direkt in den Schulen gibt es Semester-Lernhilfekurse mit Anmeldung, in sogenannten Lernstationen (meist an VHS-Standorten) können die SchülerInnen unangemeldet vorbeikommen und etwa vor einer Schularbeit kurzfristig Hilfe bekommen. Wird in der Lernstation der Bedarf nach langfristiger Unterstützung festgestellt, so ist die Einschreibung in einen Lernhilfekurs möglich. Falls nötig, werden auch im Semester neue Kurse eingerichtet.
Die im Mai 2015 auf Basis von Telefoninterviews mit mehr als 3.300 Eltern (mit rund 5.500 Kindern) veröffentlichte IFES-Studie im Auftrag der AK Wien zum Thema Nachhilfe ergab:

  • 36 Prozent der Haushalte mit Schulkindern nehmen externe Nachmittagsbetreuung (schulische Betreuung, Hort, Ganztagsschule) in Anspruch. Mehr als die Hälfte davon hat den Eindruck, dass während dieser Betreuung so gut geübt wird, dass keine Nachhilfe mehr nötig ist. Andererseits sehen 23 Prozent keine nennenswert positiven Effekte der Nachmittagsbetreuung auf den Nachhilfebedarf.
  • 57 Prozent der Eltern lernen täglich oder mehrmals pro Woche mit ihren Kindern oder kontrollieren die Aufgaben.
  • 40 Prozent aller befragten Eltern sind durch das Helfen und Beaufsichtigen beim Lernen und Aufgabenmachen zeitlich sehr belastet. Ein weiteres Drittel spricht von einer gewissen Belastung. Eine österreichweite AK-Studie zeigte 2014 deutlich positive Effekte von Ganztagsschulen: Dort lernen nur 24 Prozent der Eltern täglich mit den Kindern, während im Durchschnitt aller Formen der Nachmittagsbetreuung 40 Prozent zusätzlich selbst mit den Kindern lernen.
  • Nachhilfe wird sowohl regelmäßig während des ganzen Jahres als auch vor Schularbeiten und Prüfungen beansprucht, am häufigsten in Mathematik und Fremdsprachen.
  • Knapp die Hälfte der Eltern, die für externe Nachhilfe zahlen mussten, ist dadurch finanziell sehr stark bzw. spürbar belastet. Wobei die Kosten in der AHS-Oberstufe besonders hoch sind.
  • 42 Prozent der Wiener Eltern haben ein Schulkind, in dessen Schule regelmäßig Förderunterricht abgehalten wird, bei 30 Prozent gibt es diesen nur gelegentlich.

Die Studie bestätigt unter anderem zwei langjährige ÖGB-Forderungen: Ausbau der schulischen Fördermaßnahmen sowie mehr verschränkte Ganztagsschulen mit Unterricht, Üben und Freizeit über den ganzen Tag.

Hilfe im Netz

Digital Natives mit Eigeninitiative und Selbstdisziplin, aber ebenso Eltern mit Auffrischungs- oder Nachhilfebedarf können auch online Unterstützung finden. Auf  YouTube etwa gibt es die Videos der amerikanischen Non-Profit-Organisation Khan Academy auch auf Deutsch. Der Erziehungswissenschafter Salman Kahn nutzte bereits 2006 das Internet, um Kindern und Jugendlichen auf der ganzen Welt kostenlosen Bildungszugang zu ermöglichen. Das Projekt, damals revolutionär, hat inzwischen über 2,3 Millionen AbonnentInnen weltweit und bietet 4.000 YouTube-Nachhilfevideos in 65 verschiedenen Sprachen an.
Die „coolste Nachhilfe Deutschlands“ bietet The simple Club in den Fächern Mathematik, Physik, Biologie, Chemie und seit Kurzem auch Wirtschaft. Keine Nachhilfe im Stil des typischen Bildungsfernsehens, aber den Online-Kommentaren nach zu schließen zumindest jugendgerecht. In jedem Fall haben Lern- und Nachhilfevideos auf YouTube theoretisch den Benefit, dass die sich UserInnen gegenseitig in Form von Postings auf die Sprünge helfen können.

Peer-to-Peer-Lernen

Höchstens zehn Euro pro Stunde soll es kosten, wenn SchülerInnen einander beim Lernen helfen – österreichweit vermittelt über eine Online-Plattform. Der Gedanke von Talentify ist, dass beide Seiten profitieren – die schwachen SchülerInnen, die eine Perspektive bekommen und gestärkt werden, und die NachhilfelehrerInnen, die das eigene Wissen vertiefen und außerdem ihre Sozialkompetenzen erweitern. Außerdem bietet Talentify auch Hilfe bei der „Lebensvorbereitung“ und will junge Menschen auf dem Weg ins Berufsleben begleiten. Es geht um Fragen wie „Wo liegen meine Talente? Was will ich einmal werden und was braucht es dazu?“. Geübt werden Zeitmanagement, Kommunikation, Lebensläufe schreiben etc.
Das geflügelte Wort „Gratis ist nichts wert“ stimmt im Bildungsbereich, wo zum Glück nach wie vor viele Angebote von der öffentlichen Hand finanziert werden, meist ganz und gar nicht. Kostenfreie Maßnahmen bieten manchmal mehr Bürokratie und weniger Flexibilität, aber sie sind weder minderwertig, noch werden sie gering geschätzt. Während Nachhilfeinstitute, Maturaschulen und Co in den Medien allgegenwärtig sind, sind Gratis-Angebote in der Regel auch ganz ohne Werbung ausgebucht – so wie etwa die staatlichen Abendgymnasien mit ihren sieben Standorten in ganz Österreich. Diese Schulen bieten berufsbegleitend erwachsenengerechte Unterrichtsmethoden, funktionieren aber im Wesentlichen ähnlich wie andere Gymnasien – inklusive kostenlosem Förderunterricht. Außerdem werden Fernkurse angeboten.

Nach der Matura

Erst seit einigen Jahren auf dem Bildungsmarkt sind die Vorbereitungskurse zu den kapazitätsbeschränkten Studienrichtungen (Veterinär-)Medizin, Publizistik und Psychologie. Laut einer Studie des Wissenschaftsministeriums sind die Kosten für diese Kurse aber in dieser relativ kurzen Zeit, konkret seit 2009, merklich gestiegen. Über ein Drittel der Medizin Studierenden investierte mehr als 500 Euro in die Vorbereitung für das Zulassungsverfahren. In den Fächern Architektur, Biologie, Informatik, Wirtschaft, Pharmazie, wo es erst seit 2013 Zugangsbeschränkungen gibt, konnten vielfach mangels Kapazitätsüberschreitung ohnehin alle TestteilnehmerInnen aufgenommen werden. Trotzdem gibt es auch hier kostenpflichtige Vorbereitungskurse.
„Erfreulicherweise wurden bei der Novelle des Universitätsgesetzes im vergangenen Oktober Schritte in die richtige Richtung gesetzt“, so Martha Eckl, Bildungsexpertin der AK Wien. Erstens muss künftig bei Aufnahme- oder Auswahlverfahren seitens der Universitäten sichergestellt werden, dass diese zu keinerlei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie der sozialen Herkunft führen. Zweitens: Der Prüfungsstoff muss ab dem Wintersemester 2019/20 auf der Homepage der Universität kostenlos zur Verfügung stehen. „Das spätere Inkrafttreten hat urheberrechtliche und praktische Gründe. Bis dahin kann der Prüfungsstoff auch auf andere geeignete Weise – aber jedenfalls kostenlos – bereitgestellt werden.“

Linktipps

AK-Studie: Nachhilfe in Wien 2015. Studienbericht:
tinyurl.com/q3nxx7u
AK-Studie: Nachhilfe in Österreich. Bundesweite Elternbefragung 2014:
tinyurl.com/pnhshay
VHS-Gratislernhilfe:
www.vhs.at/gratislernhilfe
Datenbank der Bildungsförderung:
www.kursfoerderung.at
Abendgymnasien in Österreich:
www.abendgymnasium.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111410 Wenn die Schule die Inhalte nicht vermitteln kann, buttern Eltern viel Geld in Nachhilfe. Ganztägige Schulen könnten dem entgegenwirken. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111144 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111105 Aus Rütli lernen Wir sind ratlos“, schrieb 2006 die Schulleitung der Berliner Rütli-Hauptschule in einem offenen Brief. Die Stimmung in einigen Klassen sei geprägt von Aggression, Respektlosigkeit und menschenverachtendem Auftreten, die Gewaltbereitschaft sei gestiegen, die LehrerInnen sprechen nicht die Sprache ihrer SchülerInnen und würden sich nur mehr mit Handys in einige Klassen trauen, um jederzeit Hilfe rufen zu können. Auf einmal wurde aus der Rütli-Schule im Berliner Bezirk Neukölln die berüchtigtste Schule Deutschlands. Sie verkörperte das Versagen des Schulsystems in sozialen Brennpunkten.

Das war vor neun Jahren. Heute ist Rütli ein Vorzeigemodell gelungener Integration und das Lieblingskind der deutschen Bildungspolitik. Doch was hat den Unterschied ausgemacht? Abgesehen vom schlechten Ruf ließ der Brief der Schule potenzielle UnterstützerInnen auf den Plan treten. Vor allem hat die öffentliche Hand Geld in die Hand genommen, in Zahlen: 32 Millionen Euro.
Was hat Rütli mit Österreich gemeinsam? Die Bildungswissenschafterin Gertrud Nagy hat die Entwicklung städtischer Haupt- und Mittelschulen in Österreich erforscht und festgestellt, dass immer mehr Schulen zu sozialen Brennpunktschulen wie einst Rütli werden. Ihr Fazit: „Wir müssen dringend gegensteuern!“
Gertud Nagy sieht einen gemeinsamen Nenner zwischen Haupt- und Mittelschulen in österreichischen Ballungsräumen und der deutschen Rütli-Schule: ein sehr hoher Anteil an SchülerInnen mit Migrationshintergrund – und vor allem mit Herkunft aus einem sozial und ökonomisch schwachen Elternhaus. Der Knackpunkt, meint Nagy, ist die fehlende soziale Durchmischung an diesen Schulen. Ahmed und Kevin, wie sie überspitzt Prototypen dieser SchülerInnen nennt, finden sich in Brennpunktschulen gehäuft mit anderen, die null Bock auf die Schule und wegen ihrer schlechten Leistungen kaum berufliche Perspektiven haben. Sie werden zu Jugendlichen, die durch Aggression und Machtkämpfe Anerkennung suchen.
Ängste bildungsnaher Eltern, die Gesamtschule könnte ein niedrigeres Anforderungsniveau bedeuten, wenn Lehrkräfte nicht konstruktiv mit einer Vielfalt von Kindern umgehen können, kann Nagy nachvollziehen. Langfristig führe an einer besseren sozialen Durchmischung mittels Gesamtschule aber kein Weg vorbei. „Wenn wir weitermachen wie bisher, dann müssen wir alle dafür zahlen. Und ich meine wirklich alle!“, warnt Nagy eindringlich. Denn wenn Ahmed und Kevin nicht mit Lisa und Alexander zusammenkommen, bedeute das Parallelgesellschaften, leicht radikalisierbare Jugendliche, FacharbeiterInnenmangel und hohe Kosten für Eingliederungsmaßnahmen.

Mehr als eine Schule

Im Jahr 2009 wurde die Rütli-Schule mit einer benachbarten Realschule und einer Grundschule zu einer Gemeinschaftsschule, zum „Campus Rütli“, fusioniert. Damit wurde die Hauptschule aufgelöst, seit dem Schuljahr 2011/12 gibt es zudem eine gymnasiale Oberstufe. Im besten Fall können die SchülerInnen heute 13 Jahre lang zusammen lernen. Genial daran findet Nagy die Entwicklung der Schule hin zu einem lokalen Bildungsverband. Auf dem 48.000 Quadratmeter großen Campus sind zahlreiche Beratungs- und Betreuungsangebote zu finden: Kindergärten, eine Sporthalle, eine Volkshochschule, ein Gesundheitsdienst, Jugendklubs, ein Café und Berufsberatungsstellen. Dazwischen gibt es Grün- und Spielflächen. Der Stadtteil wurde durch den Campus aufgewertet. „Rütli ist nicht nur ein Projekt der Schulpolitik, sondern auch der Stadtentwicklung“, so Nagy.
Eine gemeinsame Schule nach ähnlichem Konzept könnte auch in Österreich erfolgreich sein. „Stellungnahmen der Sozialpartner wie im Bad Ischler Dialog 2013 zeigen Konsens, dass die frühe Trennung mit zehn Jahren abgelehnt wird – auch wenn meist der Begriff Gesamtschule gemieden wird“, meint Nagy. Aber die Angst der Mittelschicht vor dieser Schulform sei derzeit zu groß, um sie in den nächsten Jahren zu realisieren. Man müsse Schadensbegrenzung betreiben, indem sozial benachteiligte Kinder mittels bester Lernkultur gefördert werden – und in Form einer gerechten Mittelzuteilung.

Bedarfsorientierte Mittelverteilung

Soziale Brennpunktschulen brauchen mehr finanzielle Ressourcen, fordert Bildungswissenschafterin Nagy und plädiert wie Arbeiterkammer und OECD (2012) für eine bedarfsorientierte Mittelverteilung. Die Idee dahinter: Schulen mit mehr sozial benachteiligten Kindern erhalten mehr Ressourcen, da sie unter schwierigeren Bedingungen arbeiten und mehr Aufwand als gut funktionierende Schulen haben. „Manchmal braucht es Ungleichheit, um Gleichheit zu erzeugen“, sagt Nagy. Derzeit spielt die Zusammensetzung der SchülerInnenschaft einer Schule bei der Verteilung von Personal- und Sachaufwand kaum eine Rolle. In einigen Kantonen der Schweiz, in Teilen Deutschlands und in den Niederlanden ist die bedarfsorientierte Mittelverteilung längst gang und gäbe. „Das Geld, das wir heute in Bildung einsparen, investieren wir morgen in Gefängnisse“, bringt es die Rektorin der Rütli-Schule Cordula Heckmann auf den Punkt. Und das scheint, angesichts der Chronik ihrer Schule, nicht einmal dramatisierend.
„Ich unterstelle jeder Lehrperson, dass sie einen möglichst guten Unterricht halten will. Aber wenn sie mit so vielen Problemen befasst ist, kommt das Lernziel zu kurz“, erklärt die Bildungswissenschafterin. Am Campus Rütli hat man gute Lösungen gefunden. Vor Ort kümmern sich SchulpsychologInnen und SozialpädagogInnen um die Anliegen der SchülerInnen. Damit werden die Probleme aus dem Unterricht genommen, die LehrerInnen können sich auf ihre Lehrziele konzentrieren und werden entlastet. Eine gute Bildungsreform setze auch bei der Ausbildung und Auswahl der Lehrkräfte an, betont Nagy. In Rütli habe die neue Schulleitung gesagt: „Da kommt jetzt Arbeit auf uns zu – schulinterne Fortbildungen, Arbeit an Wochenenden. Wer das nicht mittragen will, soll lieber gehen.“ Ein Drittel des Lehrpersonals hat die Schule verlassen.

Beste Lehrpersonen

Die gemeinsame Unterrichtsentwicklung hat dazu geführt, dass die SchülerInnen nun deutlich bessere Leistungen erbringen. Heute gehören zum Kollegium in Rütli auch türkische und arabische LehrerInnen, die die Sprache der SchülerInnen sprechen. Vor allem aber, meint Nagy, sollten an Schulen in sozialen Brennpunkten nur die besten Lehrpersonen unterrichten, die es schaffen, auch leistungsschwachen Kindern Freude am Lernen zu vermitteln.
Am Campus Rütli setzt man auf neue Lernkultur und Personalisierung, das heißt, Kinder entsprechend ihrer Möglichkeiten zu fördern und zu fordern. Bestenfalls holt man dazu die Eltern mit ins Boot. Die Rütli-Schule hat das mit zum Erfolg geführt. Interkulturelle ModeratorInnen vermitteln den Kontakt zu den meist türkischen und arabischen Eltern, sie begleiten LehrerInnen bei Hausbesuchen und dolmetschen bei Elterncafés.

Eine Wende ist möglich

Im Jahr 2014 haben die ersten SchülerInnen in Rütli das Abitur gemacht. Etwa fünf Prozent der Kinder verließen die Schule ohne Abschluss – vor neun Jahren waren es noch knapp 20 Prozent. Dazu muss gesagt werden, dass die Zusammensetzung der SchülerInnenschaft unverändert ist: 86 Prozent der etwa 900 Jugendlichen haben Migrationshintergrund, rund 80 Prozent der Familien leben von staatlichen Transferleistungen. Die soziale Durchmischung verändert sich aber bereits in den unteren Klassen. Laut Rektorin Cordula Heckmann sei es nur eine Frage der Zeit, bis der Wandel alle Jahrgänge erreicht.
Nach dem Aufschrei der Schulleitung vor neun Jahren hat sich die Gesellschaft, nicht nur die Schule, die Frage gestellt: Wohin führt es, wenn wir soziale Brennpunktschulen verkümmern lassen? Diese Diskussion wünscht sich Gertrud Nagy auch für Österreich. „Wollen wir jahrelang mit unserem Steuergeld für Maßnahmen zur sozialen Eingliederung zahlen, nur weil die Politik verabsäumt, allen Jugendlichen gute Chancen zu bieten?“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin steindlirene@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Steindl, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111429 Immer mehr Schulen in Österreich werden zu sozialen Brennpunktschulen wie einst Rütli. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111114 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298111094 Ständesystem Bildung Alexandra lebt am Land und besucht die örtliche Hauptschule. Sie hat nicht die gleichen Bildungschancen wie andere Kinder!“ Mit diesen Worten steigt eine neue Homepage in die zentrale Herausforderung der österreichischen Bildungspolitik ein: die Vererbung von Bildung.

Unter www.gerechtebildung.jetzt kann man für ein Kind verschiedene Kriterien auswählen und sich ansehen, welchen Bildungsweg es am wahrscheinlichsten einschlagen wird – je nachdem, ob es ein Mädchen oder ein Bub ist, ob es am Land oder in der Stadt wohnt, nicht zu vergessen: welchen Bildungsabschluss die Eltern haben und welche Sprache die Familie im Alltag spricht. Außerdem kann man ein zweites Kind ergänzen und somit Bildungswege vergleichen.

Die andere Herkunft

Nennen wir das zweite Kind Franz. Er lebt ebenfalls am dünn besiedelten Land und hat Eltern, die PflichtschulabsolventInnen sind. Das Ergebnis: Beide werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nach der Volksschule eine Hauptschule besuchen (mehr als 80 Prozent). Fast gar nichts ändert sich, wenn man die Alltagssprache von Alexandra und Franz auf „Nicht Deutsch“ ändert. Beide Kinder werden ebenso wie ihre im Alltag Deutsch sprechenden Schulkolleginnen mit großer Wahrscheinlichkeit ins Poly gehen, an eine Berufsbildende Höhere (BHS) oder Mittlere Schule (BMS).
Völlig anders sieht es hingegen aus, wenn die Eltern ein Studium absolviert haben: In diesem Fall gehen Alexandra und Franz sehr wahrscheinlich auf eine AHS (39 und 31 Prozent) oder eine BHS (12 bzw. 18 Prozent). Die vom Jahoda-Bauer-Institut, dem BIFIE und dem Bildungsministerium geförderte Homepage illustriert damit ein Problem, unter dem das österreichische Bildungssystem leidet: Der Bildungshintergrund und die sozioökonomische Herkunft der Eltern entscheiden darüber, welche Bildungswege die Kinder einschlagen werden – und nicht die ethnische Herkunft, wie es RechtspopulistInnen gerne propagieren. Der Nationale Bildungsbericht aus dem Jahr 2012 formuliert deutlich: „Die soziale Herkunft ist die zentrale Ungleichheitsdimension. Sie wirkt sich durchgehend in der Bildungslaufbahn auf den Kompetenzerwerb und den Schulbesuch aus.“
Auch eine andere Herkunft bestimmt über den Bildungsweg der Kinder: Die schulische Herkunft nämlich, und zwar noch dazu sehr früh. „Die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung in der Bildungskarriere eines Kindes, die Wahl zwischen Hauptschule bzw. Neue Mittelschule und AHS, muss in Österreich bereits mit 10 Jahren getroffen werden – hauptsächlich bestimmen das die Eltern. Ist ein Bildungsweg einmal eingeschlagen, wird dieser, unabhängig von der Schulleistung, meist weiterverfolgt“, heißt es etwa auf www.gerechtebildung.jetzt. Außerdem hat diese frühe Entscheidung Einfluss auf die Leistungen der Kinder selbst. Vergleiche mit anderen Ländern zeigen, so der Nationale Bildungsbericht, dass beispielsweise die Leseleistung der Kinder in jenen Ländern weniger vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängt, wo die „Erstselektion“ erst mit 16 Jahren stattfindet.
Mittlerweile setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass der Grundstein für Ungleichheiten bereits im Kindergarten gelegt wird. Der Ausbau der Kindergartenplätze in den vergangenen Jahren zeigt, dass der Besuch des Kindergartens für die Kinder positive Effekte hat. Allerdings besteht weiter Handlungsbedarf, immerhin stellt der Nationale Bildungsbericht auch fest, dass es der Einrichtung nicht gelingt, Kinder aus sozial benachteiligten Familien stärker zu fördern.

Stärke des Systems

Viel wurde unternommen, um Chancengleichheit im Bildungssystem zu erreichen. Nicht zuletzt die Berufsbildenden Schulen ermöglichten und ermöglichen vielen Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten den Zugang zur Universität. Immerhin bieten sie beides: Die Möglichkeit, ein Studium zu beginnen, sowie den direkten Einstieg in den Beruf nach der Matura. Letzterer kann für sozial schwächere Eltern deshalb von Bedeutung sein, weil sie ihre Kinder nicht mehr mit ihren ohnehin bescheidenen finanziellen Ressourcen weitertragen müssen. Im Nationalen Bildungsbericht ist vor diesem Hintergrund davon die Rede, dass die Berufsbildenden Schulen „die Stärke des österreichischen Schulsystems“ sind, da ihnen „eine Reduktion der Chancenungleichheiten nach sozialer Herkunft“ gelingt. Einzige Einschränkung: An den Berufsschulen bleiben Kinder mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert.

Die gerechtere Gesamtschule

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die gemeinsame Schule bis 14 Jahre Ungleichheiten am besten entgegenwirkt. Deshalb ist die wohl wichtigste Maßnahme der vergangenen Jahre die im Jahr 2012 erfolgte Einführung der sogenannten Neuen Mittelschule (NMS). Die ersten Erfahrungen in Österreich zeigen bereits die positiven Auswirkungen dieser Schulform: Im Vergleich zu den Hauptschulen wechseln mehr Neue MittelschülerInnen in die AHS als HauptschülerInnen. Auch ermöglicht sie mehr Kindern mit Migrationshintergrund den Sprung in eine Schulstufe, die zur Matura führt. Allerdings ist es weiterhin so, dass acht von zehn MaturantInnen die AHS-Unterstufe besucht haben.
Die sozioökonomische Herkunft sowie der Bildungshintergrund der Eltern beeinflussen auch, wie gut SchülerInnen die in der Schule vermittelten Inhalte erlernen. In der vierten Schulstufe zeigen Kinder von bildungsfernen Eltern laut Nationalem Bildungsbericht deutlich schlechtere Leistungen: Ganze zwei Jahre macht der Rückstand aus, den sie im Vergleich zu den Kindern von MaturantInnen haben.
Spielt der Migrationshintergrund also gar keine Rolle? Zumindest nach der Volksschule hat er keinen Einfluss darauf, in welchen Schultyp die Eltern ihr Kind schicken. Dies ändert sich jedoch im Alter von rund 14 Jahren: Kinder mit nicht deutscher Umgangssprache schaffen den Sprung von der Haupt- in eine höhere Schule deutlich seltener als ihre KollegInnen, die nur Deutsch sprechen, in Zahlen: 29 und 42 Prozent. Wie bereits erwähnt zeigt die Neue Mittelschule hier bereits eine kompensierende Wirkung.
Haben Kinder aus sozioökonomisch schwächergestellten Familien es einmal bis zur Matura geschafft, wartet die nächste Hürde auf sie: der Unizugang, der in den vergangenen Jahren deutlich eingeschränkt worden ist. Grundsätzlich haben der freie Hochschulzugang sowie die steigenden Studierendenzahlen viel dazu beigetragen, die soziale Mobilität in der österreichischen Gesellschaft zu erhöhen. Heute kommen drei Viertel der österreichischen Studierenden aus bildungsfernen Schichten, bei der Hälfte haben die Eltern keine Matura.

Soziale Selektion reloaded

Der Bericht zur sozialen Lage der Studierenden kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluss: „Der Hochschulsektor trägt in beträchtlichem Ausmaß zur sozialen Mobilität in der Gesellschaft bei.“ Allerdings: Der Befund relativiert sich, wenn man sich die relativen Zahlen ansieht. Nach diesen müsste der Anteil der Kinder von NichtakademikerInnen unter den Studierenden nämlich deutlich höher sein. Dem ist aber nicht so: Die Studierwahrscheinlichkeit für Kinder, deren Vater Akademiker ist, ist „um den Wahrscheinlichkeitsfaktor 2,5 höher als für Studierende aus bildungsfernen Familien“. Die nun an immer mehr Unis eingeführten Zugangsbeschränkungen reihen sich in das System der sozialen Selektion ein. So kommt eine Studie der Arbeiterkammer zu dem Ergebnis, dass etwa in der Humanmedizin der Anteil der Kinder von AkademikerInnen seit der Einführung der Zugangsbeschränkungen noch einmal angestiegen ist.
„Wer schon hat, bekommt noch mehr.“ Nach diesem Motto wird Bildung also in Österreich verteilt. Es profitieren vor allem jene von höherer Bildung, deren Eltern auch schon eine solche genossen haben. Paradoxerweise setzt sich diese Logik im Berufsleben fort, denn ArbeitnehmerInnen mit höheren Abschlüssen werden eher auf Weiterbildungen geschickt als schlechter Qualifizierte. Es gibt also noch viel zu tun, damit allen Kindern die ganze Bandbreite an Bildungswegen offensteht und sie vom Bildungssystem auch bestmöglich profitieren können.

Linktipps

Nationaler Bildungsbericht: www.bifie.at/nbb
Bildung in Zahlen:
tinyurl.com/oc5xxxg
Blogtipp:„Soziale Selektion im Hochschulsystem“:
tinyurl.com/pwb94pf

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111418 Die Bildungsreform lässt die Köpfe rauchen. Vor allem die Gesamtschule würde für Gerechtigkeit sorgen. Diese aber lässt auf sich warten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110976 Das Programm 1996 feierte die zentrale Bildungsorganisation des ÖGB ihr 50-jähriges Bestehen. Als Schlussfolgerung aus dem Rückblick auf diese 50 Jahre schrieb Wolfgang Greif, damals pädagogischer Mitarbeiter des Bildungsreferats:
Da ist … als Moment zu sehen, dass sich GewerkschaftsfunktionärInnen und BelegschaftsvertreterInnen … zunehmend der Legitimationsdiskussion stellen müssen. … Gewerkschaftliche Bildungsarbeit muss hier gemeinsam mit den Belegschaftsvertretungen Modelle entwickeln, wie auch ArbeitnehmerInnen eines „modernen“ Typs die Notwendigkeit der Organisation ihrer Interessen deutlich gemacht werden kann. Strukturell kann diese Herausforderung wohl nur durch eine Konzentration der Kräfte innerhalb des Organisationsgeflechts arbeitnehmerorientierter Bildungsarbeit bewältigt werden. Denn auch der Kernbereich gewerkschaftlicher Erwachsenenbildung präsentiert sich heute als ein breitgefächertes System unterschiedlicher Bildungsträger und Einrichtungen. Dieses System umfasst die traditionellen Bereiche der Gewerkschaftsbildung als Kern der Organisationsarbeit ebenso wie hochqualifizierte Spezialausbildungen in der Funktionäreschulung. Für die Weiterentwicklung dieses Systems ist es unabdingbar, dass ÖGB, Gewerkschaften und die Kammern für Arbeiter und Angestellte ihre Kooperation aufrecht erhalten und weiter intensivieren.


Von solchen Überlegungen ausgehend, setzten sich 1995 Bildungsverantwortliche und BildungsexpertInnen aus ÖGB und AK in einer Arbeitsgruppe zusammen, um den Koordinationsbedarf festzustellen und die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen. Das Ergebnis der Diskussionen war ein gemeinsames Programm, das im Mai 1996 die Zustimmung des Vorstands der Bundesarbeitskammer und im Juni 1996 die Zustimmung des ÖGB-Präsidiums erhielt. Es handelte sich um ein sehr nüchternes Organisationskonzept, das völlig auf „blumige“ Formulierungen verzichtete, aber vielleicht gerade deshalb den Anstoß zu Veränderungen gab. Als „Kriterien für die Durchführung des Programms“ wurden unter anderem folgende Richtlinien festgelegt:

  • Prinzip der Programmstruktur: Aufsteigende Kursteilnahme – keine Teilnahme an Spitzen- und Spezialkursen, wenn die Grund- und Aufbaustufen nicht absolviert sind. …
  • Berücksichtigung der speziellen Situation der Teilnehmer (wie Freistellung, Verdienstentgang, Betriebsart, Geschlecht, Alter, regionale Besonderheiten, Vorbildung).
  • Mehr Zeitflexibilität bei den Kursformen (Rücksichtnahme auf das Zeitbudget und atypische Arbeitszeiten …).
  • Bessere Verknüpfung zwischen den Bildungsbedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe und den Bildungszielen der „Anbieter“ (mehr Qualifizierungsangebote; ständige Verbindung von Qualifikation und politischer Bildung; …).

Bildungsmanagement ist ein lebendiger Prozess. Manche der Projekte des Programms bestanden den Praxistest nicht oder mussten unter neuen Rahmenbedingungen neu konzipiert werden, andere dagegen wirken bis ins 21. Jahrhundert. So sind zum Beispiel die ÖGB-AK-Bildungsforen in den Bundesländern aus den 1996 angeregten „ÖGB-AK-Ausschüssen für gewerkschaftliche Bildungsarbeit“ hervorgegangen.

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Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111467 Die Bildungskooperation von ÖGB und AK war immer eng, ein Beispiel ist die Informationskampagne zum Arbeitsverfassungsgesetz 1974. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110926 vida: Mehr Fairness im grenzüberschreitenden Verkehr Europäische BürgerInnen, TransportarbeiterInnen und Gewerkschaftsmitglieder haben die europäische BürgerInnen-Initiative „Fair Transport Europe“ gestartet. Sie rufen die Europäische Kommission auf, die in den Verkehrsbranchen Beschäftigten bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen europaweit gleich und somit fair zu behandeln, und zwar ungeachtet des Herkunftslandes. Mindestens eine Million Unterschriften wollen die Verkehrsgewerkschaften für faire Bedingungen im Transportbereich sammeln.
Damit sich die europäischen Behörden mit der BürgerInnen-Initiative auseinandersetzen müssen, ist es nötig, bis zum 14. September 2016 in der gesamten EU zumindest eine Million Unterstützungserklärungen von EU-BürgerInnen zu sammeln. Wer die Anliegen der Verkehrsbeschäftigten unterstützen will, kann das ab sofort online auf http://sign.fairtransporteurope.eu/ tun. Für den Eintrag wird die Nummer des Reisepasses oder des Personalausweises benötigt.

In Österreich wird die BürgerInnen-Initiative und Kampagne von der Gewerkschaft vida unterstützt, europaweit von der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF). Die ETF repräsentiert über 3,5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder aus den Verkehrssektoren von über 40 europäischen Ländern, davon über 200.000 in Österreich in Bahn, Straße, Luft- und Schifffahrt. Der Verkehr ist vitaler Bestandteil der europäischen Volkswirtschaft. Der Transportsektor erzeugt nahezu fünf Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und zählt mehr als 11 Millionen direkt Beschäftigte. Das entspricht fünf Prozent aller ArbeitnehmerInnen in der EU.
„Die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten geraten immer mehr unter Druck“, kritisiert der Vorsitzende des vida-Fachbereichs Eisenbahn, Roman Hebenstreit, der österreichisches Mitglied im Vorstand der Europäischen Transportarbeiter-Föderation ist. „Die Qualität von Verkehrsdienstleistungen sowie die Sicherheit von Passagieren, Beschäftigten und Waren muss unter fairen Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen aufrechterhalten werden. Das wollen wir mit unserer Bürgerinitiative erreichen“, so Hebenstreit.

Mehr Infos unter www.fairtransporteurope.eu

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Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110916 PRO-GE: Her mit der Freifahrt für Lehrlinge! Das Berufsschulinternat ist Hunderte Kilometer von zu Hause entfernt und der Lehrling muss für die An- und Abreise selbst aufkommen? „Kann passieren“, sagt PRO-GE-BundesjugendvorsitzenderSascha Ernszt. „Weil sich heutzutage die Berufsschulen auf bestimmte Berufe spezialisieren, kommt es immer häufiger vor, dass du mehrere Bundesländer durchqueren musst, um zu deiner Schule zu kommen. Wenn zum Beispiel ein junger Mann aus Landeck in Tirol Papiertechniker werden will, muss er dafür pro Lehrjahr nicht nur zehn Wochen Internat und eine Anfahrt von über 300 Kilometern in Kauf nehmen, sondern auch noch für die An- und Abreise selbst aufkommen.“

Damit Lehrlinge nicht mehr auf ihren Fahrtkosten sitzen bleiben, startete die PRO-GE-Jugend die Kampagne „We are looking for a Freifahrt“. Um möglichst viele Lehrlinge zu erreichen, informieren die jungen GewerkschafterInnen vor Berufsschulen und in Betrieben über diesen untragbaren Zustand. „Mithilfe eines Fragebogens erheben wir, wie oft Lehrlinge zwischen Wohnort und Berufsschulinternat hin- und herfahren und was sie das Ganze kostet“, erklärt Bundesjugendsekretär Thomas Klösch. „Mit unserem Fahrtkostenrechner sehen die Lehrlinge sofort, wie viel sie pro Jahr für die Fahrt zur Berufsschule und zurück ausgeben. Dann ist es nicht mehr schwer, sie von unserer Forderung nach voller Erstattung der Fahrtkosten zu überzeugen.“ Für alle, die den Fragebogen ausfüllen, gibt es tolle Preise zu gewinnen.

Mehr Infos unter tinyurl.com/odlxqw

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Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110893 EGB: Wirtschaftswachstum in EU ankurbeln! „Die Europäische Kommission muss Lohnerhöhungen aktiver fördern, um die Nachfrage anzukurbeln und Investitionen zu sichern“, kommentierte Luca Visentini die jüngst präsentierte EU-Herbstprognose, die niedriges Wachstum in Kombination mit hoher Arbeitslosigkeit prognostiziert. Der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB/ETUC) sagte weiter: „Ich bin erstaunt, dass Kommissar Pierre Moscovici den Juncker-Investitionsplan nicht einmal erwähnt hat – offenbar erwartet er sich davon nicht allzu viel.“

Der EGB begrüßt die Zahlen der Kommission, wonach die Flüchtlinge einen zwar geringen, aber positiven Einfluss auf die europäische Wirtschaft haben würden. „Die Notwendigkeit, Flüchtlinge unterzubringen und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist ein weiterer Grund, warum die EU die Nachfrage ankurbeln und Investitionen fördern muss.“ Der EGB ist besorgt, dass die Kommission Arbeitsmarkt- und Strukturreformen verlangt, während sie gleichzeitig hofft, dass höhere Einkommen die Nachfrage erhöhen würden. Ein klarer Widerspruch, da die Reformen das Gegenteil bewirken würden, nämlich die Einkommen der Menschen niedrig zu halten.
Schlechte Nachrichten gab es für Österreich: Es wird bei der Arbeitslosigkeit im EU-Vergleich deutlich zurückfallen. Für 2016 lautet die Prognose der EU-Kommission 6,1 Prozent, das ist nur mehr Rang sieben. Noch vor zwei Jahren hatte Österreich die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU.

Mehr Infos unter www.etuc.org

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Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110828 Donauraum auf Überholspur Die Donau verbindet 14 Länder, 115 Millionen Menschen und einige Herausforderungen. So liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Donauraum deutlich unter dem der EU-28. In Kroatien hat die Jugendarbeitslosigkeit dramatisch zugenommen. Um die gemeinsamen Herausforderungen und Chancen auch gemeinsam zu bewältigen bzw. zu nutzen, fand in Wien eine Sozialpartner-Konferenz für VertreterInnen von Gewerkschaften, Wirtschaftskammern und Arbeitgeberorganisationen in den Ländern entlang der Donau statt.
„Der soziale Dialog ist ein Grundfundament der Sozialpartnerschaft. Wir reden miteinander, und diese Art der Konfliktlösung muss auch auf europäischer Ebene an Bedeutung gewinnen“, sagte Erich Foglar. Wesentlich seien Löhne, von denen die Menschen anständig leben können. Der ÖGB-Präsident betonte, dass es keine „Lohn-und-Sozialdumping-Union“ geben dürfe. Zweites Grundfundament sei die duale Berufsausbildung, die Foglar als „Rückgrat der österreichischen Wirtschaft“ bezeichnete. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass Österreich eine traditionell niedrige Jugendarbeitslosigkeit hat. Auch für Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl ist „das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ein gesamteuropäisches, und auch hier ist es eine sozialpartnerschaftliche Aufgabe, zur Lösung dieses Problems beizutragen.“ Durch verstärkte gewerkschaftliche und sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit auf europäischer Ebene sollen die Rechte der ArbeitnehmerInnen in der gemeinsamen Region verbessert werden.

Mehr Infos unter www.dalmex.at

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Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111478 ÖGB-Präsident Foglar nahm zur aktuellen Lage Stellung: "Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht und haben nur ein Ziel: In Europa einen Ort zu finden, an dem sie in Frieden und Freiheit leben können." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298111483 Angeleitet von AK-Lehrlingsexpertin Lisa Sinowatz beschäftigte sich ein Workshop mit der Rolle der Sozialpartner in der Berufsausbildung in Österreich. Die duale Ausbildung beugt Jugendarbeitslosigkeit vor. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110790 Standpunkt | Zum Haareraufen! Es war im Sommer vor ein paar Jahren, als ich bei einer Feier einer Flüchtlingsberatung einem afrikanischen 13-Jährigen mit den Worten vorgestellt wurde: „Der geht’s gut, die war grad an einem See in Kärnten auf Urlaub.“ Ohne zu zögern fragte er: „Dem mit der Insel?“ Lachend antwortete ich: „Nein, nicht am Wörthersee“, bass erstaunt über die geografischen Kenntnisse des jungen Mannes. Es sollte nicht die einzige Überraschung bleiben, denn als Nächstes stellte er mir die eher rhetorische Frage, ob ich eigentlich wisse, wie Inseln entstehen, um es mir stolz zu erklären. Gut, dass die Insel im Wörthersee wohl anders entstanden ist als jene im Meer, von denen er sprach, darüber sollte man wohlwollend hinwegsehen. Die eigentliche Überraschung nämlich kommt erst: Der aufgeweckte junge Mann war Sonderschüler. Eine Betreuerin erzählte mir später von Lausbubenstreichen, die er sich immer wieder erlaubte. Eines Tages wurde es zu bunt, weshalb sie ein ernstes Gespräch mit ihm führen musste.

Zu viele in falschen Schulen

Auf ihre Frage, warum er das denn tue, antwortete er keck: Weil er in einem anderem Raum an einen Computer gesetzt wird, wo er dann in Ruhe im Internet surfen kann. Es ist vielleicht unnötig, sei aber dennoch angemerkt: Er spricht fast perfekt Deutsch. Diese Begegnung geht mir seit damals nicht mehr aus dem Kopf. Denn im Grunde ist sein Bildungsweg fast schon symbolisch für das, was im österreichischen Bildungssystem falsch läuft: Nicht nur zu viele MigrantInnen landen in Schulen, in denen sie eigentlich nichts verloren haben, vielmehr landen insgesamt zu viele Kinder in falschen Schulen.
Seit einer gefühlten Ewigkeit ist bekannt, was der größte Missstand im österreichischen Bildungssystem ist: die soziale Selektion. Ja, es ist ein Missstand, denn wie anders sollte man es nennen, wenn die Fähigkeiten einer sehr großen Zahl an Kindern und jungen Menschen schlichtweg ignoriert werden? Dass ihnen allein aufgrund des Bildungsstands und des Verdiensts ihrer Eltern nicht die ganze Bandbreite an Bildungswegen offensteht? Ebenfalls seit einer ebenso gefühlten Ewigkeit ist bekannt, was die wichtigsten Maßnahmen sind, um diesem Missstand zu begegnen: die gemeinsame Schule zumindest bis 14 Jahre und Ganztagsschulen.
Ich finde es zum Haareraufen, dass nicht die Fähigkeiten, Begabungen und Interessen der Kinder darüber entscheiden, welchen Bildungsweg sie gehen. Es ist zum Haareraufen, dass die Auswahl der Schule im zarten Alter von zehn Jahren stark vorherbestimmt, welchen weiteren Bildungsweg die Kinder gehen. Ich finde es zum Haareraufen, dass die Neue Mittelschule nicht so umgesetzt wird, wie sie sinnvoll wäre: Als gemeinsame Schule der Zehn- bis Zwölfjährigen, die endlich mit der unsinnigen sozialen Selektion Schluss macht. Ich finde es zum Haareraufen, dass man ausgerechnet in der Bildung mit Labels hantiert: Da wird einer Hauptschule das Label Neue Mittelschule verpasst, um der Form zu entsprechen, dort wird das Label Gymnasium zum Erhalt eines Statussymbols missbraucht, obwohl man damit die Selektivität des österreichischen Bildungssystems manifestiert.

Auf dem Rücken junger Menschen

„Aber es geht doch was weiter“, war in letzter Zeit öfters zu lesen. Vieles davon geht auch durchaus in die richtige Richtung. Allerdings ist es mir absolut unverständlich, weshalb die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen nicht schon längst Standard ist. Auch das kann man nur als Missstand bezeichnen, denn damit werden die eindeutigen wissenschaftlichen Ergebnisse zahlreicher Studien seit Jahren schlichtweg ignoriert – und das auf dem Rücken von jungen Menschen, die dadurch um ihre Chancen gebracht werden und im schlimmsten Fall, wie jenem des junge Afrikaners, versumpern, statt gefördert zu werden. Und das ist und bleibt zum Haareraufen!

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110781 Lernen fürs Arbeitsleben Die unmittelbare Verwertbarkeit von Bildung gehört zum allgemeinen Credo. Die einen argumentieren mit der Bedeutung des Humankapitals für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes, die anderen mit Beschäftigungsfähigkeit und Verdienstmöglichkeit der ArbeitnehmerInnen. Bildung gilt als Produktionsfaktor zur Sicherung des individuellen Humankapitals. Das Konzept geht auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Gary S. Becker zurück, eingebettet in die neoliberale Kaderschule der Chicago School of Economics. Wer solcherart nicht gebildet sein will oder versagt, kommt in die Kategorie „bildungsfern“.

Was soll ich werden?

Knapp vor der Jahrtausendwende galt HTML-Programmieren als aussichtsreicher Job. Wenige Jahre später übernahmen Content-Management-Systeme diese Arbeit. Heute kann dieses Szenario bereits jeden zweiten Beruf betreffen. Wie soll ich heute wissen, was der Arbeitsmarkt von morgen will? Diese Frage bewegt nicht nur Jugendliche. Die Halbwertszeit einer Ausbildung sinkt, Weiterbildung in jeder Lebensphase lautet das Gebot der Stunde. Bereits 1962 forderte ein EU-Memorandum „Lebenslanges Lernen“. „Es setzt unter Druck und legitimiert Ausgrenzung. Wer es nicht schafft oder nicht dazu bereit ist, sich permanent anzupassen, ist selbst schuld“, kritisiert der Bildungsforscher Erich Ribolits. Eine zu Jahresbeginn von WIFO und IHS erstellte Studie zum Qualifikationsbedarf in Österreich untersuchte die beruflichen Bildungsherausforderungen. Die Ergebnisse der im Auftrag der Arbeiterkammer verfassten Studie:

  • Der Qualifikationsbedarf steigt in allen Berufen und Tätigkeiten – am stärksten innerhalb der Berufe.
  • Der strukturelle Wandel forcierte den Bedarf an weiterführenden und hochschulischen Qualifikationen.
  • Der Wettbewerb um die Jungen beginnt bereits vor der Ausbildung.
  • Polarisierung: Beschäftigungszuwächse gibt es sowohl bei den Höherqualifizierten als auch am unteren Ende des Qualifikationsspektrums.
  • Bei vielen Menschen entspricht die Beschäftigung nicht der Qualifikation.
  • Migration und Bildung: Integrationspolitik muss qualifikations- und kompetenzorientiert sein.
  • Der Arbeitsmarkt kann immer weniger auf die Älteren verzichten.
  • Weiterbildung, lebensbegleitendes Lernen und lernfreundliche Arbeitsumgebung sind für alle Beschäftigtengruppen wichtig.

Damit aus einer Qualifikation ein attraktives Jobprofil wird, braucht es das Ineinandergreifen von „formaler Ausbildung, berufsübergreifenden und sozialen Kompetenzen“, so die Koautorin der Studie Julia Bock-Schappelwein. Die Bedeutsamkeit von Soft Skills erklärt sich aus den sich verändernden Anforderungen in der Arbeitsorganisation: Die Zusammenarbeit in wechselnden Teams oder das virtuelle Arbeiten in der Cloud verlangen die Fähigkeit zur Selbstreflexion genauso wie Einfühlungsvermögen und Kommunikationsstärke. Die Studie legt aber auch Widersprüche offen, zeigt, dass Bildung nicht alle Arbeitsprobleme löst.

Mismatch

Im Jahr 2010 war mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen nicht bildungsadäquat beschäftigt. Besonders Frauen (27,4 Prozent) und MigrantInnen (33,4 Prozent) arbeiten unter ihrem Qualifikationsniveau. Die Ingenieurin, die als Reinigungskraft arbeitet, oder die Sozialwissenschafterin, die bei ihrem Studentenjob in der Gastronomie „hängenbleibt“, sind keine Einzelfälle. Deutlich zeigt sich dieses Mismatch in der Berufsgruppe der Hilfskräfte, der Großteil der Beschäftigten ist formal überqualifiziert.
Dieser Befund überschneidet sich mit einer Analyse des Arbeitsmarktforschers Manfred Krenn, der die anhaltende Nachfrage im Bereich der Einfacharbeit behandelt. 700.000 Arbeitsplätze für angelernte Hilfstätigkeiten, für die keine Berufsausbildung nötig ist, stehen 545.000 PflichtschulabsolventInnen gegenüber. Nur 37,3 Prozent der Beschäftigten in Einfacharbeiten verfügen über keine Berufsausbildung, über die Hälfte hat einen Lehrabschluss und zwölf Prozent haben Matura oder einen Universitätsabschluss. Es gibt individuelle Gründe, um eine Qualifikation beruflich nicht nutzen zu können; Kompetenzen, die man nicht nutzt, verbrauchen sich. Zugleich decken die Zahlen einen Verdrängungswettbewerb auf. Da stellt sich die Frage: Rechnet sich Bildung?
Je zusätzliches Ausbildungsjahr erhöht sich der durchschnittliche Bruttostundenlohn um neun Prozent. Allerdings ist die Bildungsrendite von Frauen tendenziell niedriger. OECD-Studien zufolge ist die Lohnprämie für ein Studium im Vergleich zur Sekundärausbildung niedriger. Besonders Frauen bringt ein Jahr Hochschulbildung finanziell am wenigsten, womit Österreich an letzter Stelle von 21 OECD-Ländern liegt. Aber: Ein Studium erweist sich als bester Schutz vor Arbeitslosigkeit. Menschen mit Pflichtschulabschluss haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko arbeitslos zu werden.

Vorteile der Berufsqualifikation

Auch die Lohnprämie für eine Sekundarausbildung (Lehre, BHS, AHS) zahlt sich gegenüber einer Pflichtschulausbildung aus. Wer sich die ausbildungsspezifischen Erwerbschancen ansehen will, nutzt „BibEr“, das von AMS und Statistik Austria betreute „Bildungsbezogene Erwerbskarrierenmonitoring“. Es zeigt die Erwerbsverläufe je nach Ausbildungstyp, die Einkommenshöhe und den Arbeitsstatus.
Abgesehen von Geld lassen sich die Vorteile einer Berufsqualifikation auch anders belegen. So sind Menschen mit höherer Ausbildung zufriedener, gesünder und haben eine längere Lebenserwartung. Liegt das nun an der Qualifikation oder an den Lebensumständen?
„Ich weiß nicht, was kommen wird. Deshalb brauche ich einen guten Rucksack, um den Weg zu meistern“, skizziert Bock-Schappelwein die große Herausforderung für die Bildung der Zukunft. Deshalb brauche es einen Mix an Qualifikationen, praktischen Arbeitserfahrungen und einen Abschluss, der über die Pflichtschule hinausgeht. „Wo fallen Entscheidungen für Bildungskarrieren? In der Volksschule. In der Eingangsphase müssen ausreichend Mittel und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden“, fordert die Ökonomin.
Diese Einschätzung stützen internationale Studien, die zudem das Gesamtschulsystem als eine notwendige, wenn auch nicht ausreichende Bedingung für mehr Chancengleichheit ansehen. In Österreich wird nicht nur Vermögen vererbt, sondern auch Bildungsabschlüsse. Deshalb wäre es dringend geboten, die Durchlässigkeit zu weiterführenden Ausbildungen zu erhöhen.

Lust am Lernen

Trotz aller Bemühungen wird es immer Menschen geben, deren Lieblingslied „Nie mehr Schule“ heißt. Die von der EU angeregte stärkere Zertifizierung informell erworbenen Wissens steckt in Österreich noch in den Anfängen. Projekte zur Anerkennung von Lehrabschlüssen, wie „Du kannst was!“ in Oberösterreich, heben sich positiv ab. Unternehmen sind gefragt, lernfreundliche Arbeitsumgebungen zu schaffen: Arbeit, die Raum bietet für selbstständige Entscheidungen und arbeitsplatznahe Qualifizierung. Wie erhalten wir uns Neugierde und Lust am Lernen? Diese vermittelt ein ungewöhnliches Filmdokument. In „Rosi, Kurt und Koni“ porträtiert Hanne Lassl Lebensläufe von ÖsterreicherInnen mit bruchstückhaften Lese- und Schreibkompetenzen. Das betrifft fast eine Million Menschen. Sie zeigt nicht nur die Hürden und Beschämung, die diese Menschen erleben, sondern ebenso ihren Kampf um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, was Lernen auch bedeutet.

Fähigkeiten für Innovation

„Lernen ist mehr als Lernen, um sich der Welt anzupassen, sondern Lernen heißt auch, sich die Welt anzupassen. Bildung hat mit Freiheit zu tun, heißt Zeit zu haben, nachzudenken, Umwege zu gehen, auf Abwege und eigene Ideen zu kommen, quer zum normalen Denken“, sagte der Bildungsforscher Erich Ribolits in einer Diskussion. Anders ausgedrückt: All das sind Fähigkeiten für Innovation – und die braucht die Arbeitswelt von morgen sicher.

Linktipps

Bildungserträge in Österreich von 1999 bis 2005 (IHS und Statistik Österreich), 7/2007:
www.equi.at/dateien/Bildungsrendite_IHS-STATA-05.pdf
Nationaler Bildungsbericht 2009:
www.bifie.at/buch/936/1/d
Projekt Bildungsbezogenes Erwerbskarrierenmonitoring:
tinyurl.com/qzbjdoa

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Beatrix Bender, Sozialwissenschafterin Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298110983 Wer weiß schon, welche Qualifikationen am Arbeitsmarkt der Zukunft gebraucht werden? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110765 Matura um jeden Preis? Die Matura ist für zahlreiche SchülerInnen ein psychischer Ausnahmezustand. Viele verfolgt die Vorstellung, noch einmal zu dieser Prüfung antreten zu müssen, sogar noch Jahre später in Alpträumen. Doch welche pädagogische oder gesellschaftliche Funktion hat dieser Reifetest eigentlich?
Der in Deutschland übliche Begriff „Abitur“ weist auf einen der Ursprünge dieser Prüfung hin, denn er leitet sich vom neulateinischen Wort abiturire ab, zu Deutsch ab- oder weggehen. Grundsätzlich ist sie ein Abgangszeugnis der höheren Schulen. Der in Österreich übliche Begriff „Matura“ verweist auf eine zweite Funktion: Wer die Prüfung besteht, ist „reif“ fürs Studium. Die Reifeprüfung hat obendrein eine gesellschaftliche Funktion, denn sie zeigt an, welche Wissensinhalte heute als gesellschaftlich legitim angesehen werden. Nicht zu vergessen: Die Matura ist immer auch die Abgrenzung einer „gebildeten Elite“ vom Rest der Gesellschaft.


Erfindung des preußischen Staates

Die Reifeprüfung ist eine Erfindung des preußischen Staates aus dem Jahr 1788. Sie entstand als Kriterium für den Hochschulzugang, der bis dahin kaum geregelt war. Nicht jeder brachte damals die nötigen Voraussetzungen nach wenigen Jahren Schule mit, daher versuchte man, den Zugang einzuschränken. Groß war die Freude mit dieser Prüfung nicht. Wohlhabende Eltern fürchteten um ihren Status, sollten ihre Kinder scheitern. Den Staat wiederum plagten andere Sorgen: Man befürchtete, dass die Beschäftigung mit antiken Sprachen das republikanische Denken gegen das „preußisch-monarchistische Gefühl“ zu sehr fördern könnte. Der damalige deutsche Kaiser Wilhelm II. etwa warnte vor einer „allzu starken Überproduktion der Gebildeten“ und Bismarck vor einem „staatsgefährlichen Proletariat der Gebildeten“.
In der Realität machte nur eine verschwindend kleine Minderheit das Abitur: Gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung schafften diesen Abschluss. Zur Jahrhundertwende stieg die Zahl schließlich an, als endlich auch Mädchen zum Abitur zugelassen wurden. In Österreich gab es ähnliche Diskussionen. Hier verordnete Maria Theresia im Jahr 1776 ein fünfjähriges Gymnasium mit strenger Schlussprüfung. Im Jahr 1849 entstand schließlich das Gymnasium in der heutigen Form mit einer Maturitätsprüfung als Abschluss.

Großer Anstieg

Die anfangs geringe Zahl an Maturanten stärkte die Vorstellung von einer Bildungselite, die sich nach unten abgrenzte. Zumindest quantitativ lässt sich dies nicht mehr bestätigen: Im Jahr 1960 haben 10.832 SchülerInnen maturiert, im Jahr 2013 waren es 43.987 und damit vier Mal so viele. Zugleich machte sich der Ausbau der Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) bemerkbar: Der Anteil der AHS-AbsolventInnen unter den MaturantInnen sank von 68 Prozent im Jahr 1960 auf 42 Prozent im Jahr 2013. In der Altersgruppe der 18 bis 19-Jährigen ist die Anzahl der MaturantInnen deutlich gestiegen: Seit 1987 hat sich ihr Anteil von 24,9 auf 42,4 Prozent erhöht.

Zwischenstation

Damit erfuhr die Matura einen Bedeutungswandel: Lange Zeit war sie ausreichende Einstiegsqualifikation für eine BeamtInnen- oder Bankenlaufbahn, ohne dass auf sie zwingend ein Studium gefolgt wäre. Mittlerweile ist vor allem die AHS-Matura Zwischenstation auf dem Weg zu einem akademischen Abschluss. Demgegenüber bietet die BHS beides: sowohl die berufliche Qualifikation, die zum Teil sehr stark am Arbeitsmarkt nachgefragt wird, als auch die Studienberechtigung.
Die bestandene Matura hat in jedem Fall noch einen großen symbolischen Wert. Auch das Projekt der Lehre mit Matura soll nicht unbedingt mehr Personen mit Lehrabschluss an die Hochschulen führen. Vielmehr soll dadurch die Lehre für Jugendliche wieder attraktiv gemacht werden. Dafür bräuchte es aber wohl mehr Maßnahmen (siehe auch „Liebling zwischen Sein und Schein“). Viele Jugendliche wählen schließlich auch deshalb eine Lehre, weil sie mit ihrer Schulzeit negative Erfahrungen verbinden und für sie das Lernen in der Schule unattraktiv ist. Sie erst recht wieder auf die Schulbank zu zwingen, scheint zumindest diskussionswürdig, zumal ihnen der Weg an die Uni über die Studienberechtigungsprüfung zu einem späteren Zeitpunkt immer noch offen steht. Einen sehr spannenden Weg gehen in diesem Zusammenhang die Fachhochschulen: Sie sind auch für Personen mit Lehrabschluss, BMS oder spezifischen beruflichen Qualifikationen offen. Diese müssen allerdings Zusatzprüfungen ablegen, um ihre „Reife“ zu beweisen.

Ritual

Wozu ist die Matura also eigentlich gut? Im schulischen Bereich ist sie in erster Linie eine Art Ritual, pflichtet Heidi Schrodt, Bildungsexpertin und langjährige AHS-Direktorin, bei. Ein Ritual aber ließe sich auch auf andere Weise durchführen. Die Hauptfunktion besteht also darin, die allgemeine Hochschulreife zu belegen. Mittlerweile hat sich die Schullandschaft allerdings verändert. So haben sich die höheren Schulen in eine Vielzahl an alternativen Zweigen ausdifferenziert. Nicht nur die AHS unterscheidet sich von HTL, von HAK, HLW und anderen Schulformen. Das Portal htl.at des Bildungsministeriums listet allein 57 unterschiedliche Fachrichtungen im HTL-Bereich auf. Daneben bestehen mit der Lehre mit Matura, der Externistenmatura oder Berufsreifeprüfung sowie der Studienberechtigungsprüfung eine Vielzahl an weiteren Möglichkeiten, den Hochschulzugang zu erhalten.
Man mag die Vielfalt an Angeboten begrüßen, sie wirft allerdings auch einige Fragen auf: Wie lässt sich bei einer so großen Zahl an Schulvarianten ein gemeinsamer Standard für eine Reifeprüfung festlegen? Mit der Zentralmatura hat man versucht, diesen zu definieren. Allerdings wirkt dies fast wie der Versuch einer Quadratur des Kreises. Immerhin unterscheiden sich beispielsweise die Lehrpläne in Mathematik bereits zwischen den technischen Fächern so stark, dass es im Grunde nicht möglich ist, gemeinsame Standards auf Maturaniveau zu prüfen.
Die Vielfalt im schulischen Bereich ist allerdings harmlos gegenüber der tertiären Bildungswelt. Die Seite studienwahl.at des Wissenschaftsministeriums listet allein in Österreich 2.332 Studienrichtungen an Bachelor-, Master- und Doktoratsstudien auf. Für diese Breite an Studienrichtungen einen gemeinsamen Nenner festzulegen, welche Kenntnisse eine Reifeprüfung abdecken müsste, ist unmöglich.

Freier Unizugang?

An den Universitäten und Hochschulen wurden Hürden immer beliebter, um die große Zahl der Studierwilligen einzuschränken. So führt mittlerweile eine steigende Anzahl von Studienrichtungen Aufnahmeverfahren durch. Wenn auf diesem Weg der freie Hochschulzugang endgültig ausgehebelt wird, stellt sich tatsächlich die Sinnfrage für die Matura als Reifetest fürs Studium. Stattdessen könnte auch das Abschlusszeugnis der letzten Klasse genügen. Bildungsexpertin Schrodt verweist auf Schweden, wo ein ähnliches System besteht. Dort ist es auch durchaus üblich, dass Fächer, die für ein Studium erforderlich sind, in Kursen der Erwachsenenbildung nachgeholt werden.
Eine andere Variante wäre die Änderung der Prüfungsordnung. Der Slawist und Bildungsforscher Gero Fischer etwa schlägt vor, den Bereich der vorwissenschaftlichen Arbeit in eine Art „individualisierte“ Matura umzubauen. Diese könnte sich explizit an den Anforderungen eines späteren Studiums orientieren. Zudem könnte man Kurse anbieten, in denen sich die SchulabgängerInnen für den späteren Weg vorbereiten können, ob dieser in den Arbeitsmarkt oder an eine Hochschule führt. Damit könnte auch ein weiteres Problem gelöst werden, denn viele Drop-outs an den Universitäten hängen mit der falschen Fächerwahl und einem schwierigen Uni-Einstieg zusammen.
Die ersatzlose Abschaffung der Matura aber beinhaltet vor allem ein großes Risiko: Damit wäre der Weg für Aufnahmeprüfungen in allen Studienrichtungen frei. Zudem eröffnet dies privaten Anbietern einen riesigen Markt für Kurse, um SchülerInnen auf diese Prüfungen vorzubereiten – wie sie an den Medizinunis bereits Realität sind. Somit würde der Hochschulzugang wieder zu einer finanziellen Hürde. Dagegen ist die weitestgehend kostenfreie Matura sicherlich die bessere Alternative. Die Durchlässigkeit zu erhöhen, darin sehen viele ExpertInnen den zentralen Auftrag an die Bildungspolitik – die Diskussion über die Matura ist dabei ein Baustein.
 
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Ingolf Erler, Bildungssoziologe Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298110942 Die Matura eröffnet Wahlmöglichkeiten. Aber ist es wirklich sinnvoll, alle Jugendlichen die "Reifeprüfung" absolvieren zu lassen? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110695 Der sanfte Schuleinstieg Freudestrahlend hält ein Kind die prall gefüllte Schultüte in der Hand. Die Schultasche ist bereits auf den Rücken geschnallt und alle halten noch einmal kurz inne – um ein Erinnerungsfoto zu schießen, das wohl in kaum einer Fotosammlung fehlt –, bevor es zum ersten Mal in die Schule geht. Und auch wenn die Schule bei vielen später Horrorgefühle auslöst: In der Regel freuen sich die „SchulanfängerInnen“ auf die Schule. Zudem sind sie sehr lernmotiviert und haben viele Fragen.

Weichenstellung im Kindergarten

Elementarbildung: Mit diesem sperrigen Begriff werden Einrichtungen wie Krippe und Kindergarten bezeichnet. Es geht also um Kinder aller Altersstufen bis zum Schuleintritt. Diese Gruppe hat in der bildungspolitischen Diskussion zuletzt deutlich an Bedeutung gewonnen, immerhin sagen alle Studien, dass gerade in Österreich das (Aus-)Bildungsniveau der Eltern in besonders hohem Ausmaß vererbt wird. Nicht nur das: Entscheidende Weichen für den späteren Bildungsverlauf werden bereits gestellt, bevor die Kinder eine Schule von innen gesehen haben. Von daher haben elementare Bildungseinrichtungen sogar eine Schlüsselfunktion für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem.
Der Übergang von der elementaren Bildungseinrichtung in die Volksschule ist ein einschneidendes Ereignis im Leben eines Kindes und seiner Eltern. Allerdings wird er nicht von allen uneingeschränkt positiv erlebt, sondern ist auch mit Ängsten verbunden. Das Kind erlebt in seiner Rolle und in seinen Beziehungen große Veränderungen, immerhin gehörte es im Kindergarten zuletzt zu den erfahrenen, älteren Kindern, die jüngere Kinder angeleitet haben. In der Volksschule wiederum gehört es zu den Jüngsten an der Schule und erhält keine Orientierung von Älteren. Umso mehr kommt es darauf an, diesen Übergang für alle so sanft wie möglich zu gestalten. Schließlich hängt von seinem Gelingen vielfach die Bewältigung weiterer Übergänge ab.
Die Regierung hat sich vorgenommen, einen Schwerpunkt auf die Elementarpädagogik und die Grundschule zu legen. Im September haben nun die Sozialpartner und die Industriellenvereinigung ein Zehn-Punkte-Forderungsprogramm zur Umgestaltung und Weiterentwicklung der Elementarbildung präsentiert.

Chancengerechtigkeit

Elementarbildung „soll die Fähigkeiten und Talente der Kinder durch altersgerechte Förderung zur Entfaltung bringen − unabhängig von Geschlecht, sozioökonomischer oder regionaler Herkunft“, heißt es in der Einleitung des Papiers. Und: „Im Sinne der Chancengerechtigkeit müssen in Österreich qualitativ hochwertige Kinderbildungseinrichtungen flächendeckend verfügbar sein.“
Grundsätzlich gibt es zwischen den zwei Bildungseinrichtungen wesentliche Gemeinsamkeiten. So ähneln sich allein schon die Curricula, wenn auch die Begrifflichkeiten mitunter unterschiedlich sind. Für elementare Bildungseinrichtungen sind im BildungsRahmenPlan „Prinzipien für Bildungsprozesse“ vorgegeben. Für die Volksschule wiederum gilt ein „Lehrplan“, der „allgemeine didaktische Grundsätze und Bestimmungen“ enthält. Bei beiden steht die Individualität der Kinder im Zentrum, sprich auf ihre Bedürfnisse und Begabungen soll eingegangen werden. Das Verstehen und Lernen der Kinder soll dadurch erleichtert werden, dass der Stoff an die Lebenswelten der Kinder geknüpft und somit anschaulich gemacht wird.
Ein weiterer Grundsatz ist die „Sachrichtigkeit“, wie es bei der Elementarbildung bezeichnet wird, also die „entwicklungsgemäße Aufbereitung von Lernarrangements unter Berücksichtigung inhaltlicher und begrifflicher Sachrichtigkeit“. Im Lehrplan der Volksschule heißt es außerdem: „Gegebenenfalls Vereinfachung aus methodischen und psychologischen Gründen; Zeit und Möglichkeit für das Lernen durch Versuch und Irrtum.“ Ist in der Elementarbildung von „Empowerment“ die Rede, so heißt dies in der Volksschule „Aktivierung und Motivierung“. Auch hier ähneln sich die Beschreibungen, ebenso bei dem Stichwort „Ganzheitlichkeit“, also dem Verständnis von Lernen als Prozess von Geist und Körper, die beide einbezogen werden müssen. Während in der Elementarbildung von „Inklusion“ die Rede ist, wird im Lehrplan der Volksschule von „Integration“ gesprochen: Alle Kinder sollen gemeinsam lernen, unabhängig davon, ob es Kinder mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“ gibt.

Schuleingangsphase

Im Regierungsprogramm 2013–2018 wird als Ziel „Schuleingangsphase und Stärkung der Volksschulen“ angeführt. Mit der Schuleingangsphase soll zwischen Kindergarten und Volksschule ein sanfterer Übergang geschaffen werden. Konkret bedeutet das, dass das letzte Kindergartenjahr und die ersten beiden Volksschuljahre zusammengefasst werden. SchülerInnen unterschiedlicher Altersgruppen können miteinander unterrichtet werden. Auch die PädagogInnen der beiden Einrichtungen sollen sich stärker vernetzen.
Das Bildungsministerium hat daher im Herbst 2014 Volksschulen und Kindergärten ermutigt, standortbezogene Modelle der Zusammenarbeit zu entwickeln. An diesem Projekt, das zwei Schuljahre dauert, nehmen bundesweit je 35 Kindergärten und Volksschulen teil. Bei der Zusammenarbeit geht es unter anderem um umfassende und durchgehende Sprachförderung. Die Sozialpartner treten in ihrem neuen Programm für zwei verpflichtende Kindergartenjahre für alle Kinder ab vier ein – „Basisphase“ genannt. Der Kindergarten ist im ersten Jahr allein für die Kinder zuständig, im zweiten Jahr soll er mit der Schule zusammenarbeiten. „Im zweiten Basisjahr sollen altersgerecht und spielerisch vorschulische Inhalte sowie sprachliche, motorische, emotionale und soziale Vorläuferfähigkeiten mit Fokus auf das Erlangen der Schulfähigkeit vermittelt werden“, heißt es im Papier.
Wichtig für den wirklich sanften Übergang in die Volksschule sind natürlich auch die PädagogInnen selbst. Die Sozialpartner fordern deshalb: „Es braucht gemeinsame Basismodule in der Ausbildung, gemeinsame Fort- und Weiterbildung, wechselseitiges ‚Hospitieren‘ oder institutionenübergreifende Übergangskonzepte.“ Dafür braucht es selbstverständlich auch ausreichende Ressourcen.

Übergang neu

Wenn die Basisphase und die ersten beiden Schuljahre zu einer gemeinsamen Einheit zusammenwachsen, muss natürlich auch der Übergang zwischen den beiden Institutionen neu gestaltet werden. Bisher wurde eine sogenannte Schulreifefeststellung vorgenommen. Diese lässt sich aber nicht mit einem Stichtag verordnen.
Eine Neustrukturierung ist also unerlässlich. An die Stelle einer punktuellen Entscheidung soll eine gemeinsame (Kindergarten, Schule, Eltern) Begleitung und Feststellung der Schulfähigkeit im letzten Kindergartenjahr treten. Dokumentationen über den Entwicklungsstand (z. B. Portfolio) sollen nicht als Selektionsinstrument verwendet werden, sondern der Schule vielmehr Auskunft darüber geben, was das Kind an gezielter Förderung braucht und an Talenten mitbringt.

Eltern einbeziehen

Ganz wichtig ist auch die Einbeziehung der Eltern als Partner. Regelmäßige Gespräche der PädagogInnen und Eltern über den Entwicklungsprozess des Kindes müssen auf Augenhöhe stattfinden, damit der Übergang bestmöglich gelingt. Auf dass die Augen der Kinder weiter in der Schule strahlen mögen, als wären die neuen Inhalte, die sie lernen, ähnlich leckere Naschereien wie jene, die sie in ihrer Schultüte gefunden haben.

Linktipps

Sozialpartnerpapier „Zukunft der Elementarbildung in Österreich“:
tinyurl.com/q4qkgr2
Leitfaden zur sprachlichen Förderung am Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, Charlotte Bühler Institut:
tinyurl.com/o3yvgfv
„Kinderbetreuung und Elementarbildung: Die Entwicklung der letzten zehn Jahre“:
tinyurl.com/pcmtge3

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor kurz.kremzar@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Kurt Kremzar, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298110895 Entscheidende Weichen für den späteren Bildungsverlauf werden schon gestellt, bevor die Kinder eine Schule von Innen gesehen haben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298110742 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Nov 2015 00:00:00 +0100 1447298110603 Chancen für Bildung! Zur Person
Christiane Spiel begann ihre Berufslaufbahn als Gymnasiallehrerin für Mathematik und Geschichte. Danach studierte sie Psychologie an der Universität Wien und war als Wissenschafterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und an der Universität Graz tätig. Sie hat die Bildungspsychologie als wissenschaftliche Disziplin begründet und ein Strukturmodell konzipiert, das die Bildungskarriere und lebenslanges Lernen ins Zentrum stellt. Sie ist unter anderem Mitglied der Zukunftskommission für das Österreichische Schulwesen und des Entwicklungsrats für die PädagogInnenbildung NEU in Österreich.

 

Arbeit&Wirtschaft: Es heißt immer, Bildung ist eine Chance und deshalb müssen wir mehr für unsere Bildung tun. Stimmt das?

Christiane Spiel: Studien zeigen eindeutig über sehr viele Länder hinweg: Je höher die Bildung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein höheres Einkommen hat, dass jemand gesünder ist und länger lebt. Natürlich hängt das auch davon ab, in welche Berufssparten man geht, weil das Einkommen, die Chancen am Arbeitsmarkt und die Aufstiegschancen sehr unterschiedlich sein können. Aber in Summe kann man das sehr wohl so sagen. Krankheiten wie Alzheimer treten zum Beispiel bei Personen mit höherer Bildung im Mittel um bis zu fünf Jahre später auf. Das hat damit zu tun, dass eine höhere Bildung meist auch bedeutet, mehr über einen gesunden Lebensstil zu wissen, mehr Bewegung zu machen, eher zum Arzt zu gehen, den passenden Arzt zu wählen und so weiter.

Bildung wirkt sich also auf das ganze Leben aus?

Ja, und es ist vor allem so, dass die Personen, die von Anfang an gerne und viel gelernt haben, das ihr Leben lang aufrechterhalten. Damit ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es ihnen gut geht, dass sie gesund sind, dass sie sich selbst versorgen können und dass sie mehr Interessen haben. Denn plötzlich zu sagen „So, und jetzt fange ich an zu lernen“, wenn man es in früheren Jahren nicht getan hat – das fällt sehr schwer.

Seit Jahren spricht man vom „lebenslangen Lernen“. Manche sagen, das klingt ein bisschen wie „Lebenslänglich“ beim Gefängnis.

Lebenslanges Lernen als bedrohlich zu empfinden, basiert auf einem Missverständnis. Denn das heißt ja nicht, dass ich ununterbrochen lerne. Es heißt nur, dass ich offen bin für Neues, dass ich es interessant finde, neue Dinge zu lernen und zu erfahren. Es geht darum, dass ich Gelegenheiten zum Lernen aufgreife und es nicht als Bedrohung sehe, wenn ich mich im Beruf weiterbilden soll. Weiterbildung schafft mir ja mehr Optionen, zum Beispiel für einen Aufstieg.
Wenn ich mich während meiner Berufstätigkeit öfter weiterbilde, werde ich das nach der Pensionierung auch eher beibehalten. Wenn wir uns die Alterspyramide anschauen, wird das immer notwendiger werden, weil immer mehr Menschen älter werden, und es immer weniger Junge gibt, die die Älteren erhalten können. Eine höhere Bildung, ein Interesse an Neuem, erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich gut selbst organisieren und selbst erhalten kann. Weiterbildung im hohen Alter hat noch etwas Positives: Sie schafft die Basis für soziale Beziehungen. Je älter ich werde, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, mit denen ich Kontakt hatte, sterben. Das bedeutet, dass ich vereinsame. Wenn ich in die Volkshochschule gehe, einen Sprachkurs mache oder Reisen unternehme, dann lerne ich dort Menschen kennen, die gleiche Interessen haben. Damit habe ich die Möglichkeit, auf Basis dieser gemeinsamen Interessen neue soziale Beziehungen einzugehen.

Viele Menschen haben Angst, dass sie sich mit steigendem Alter nichts mehr merken.

Die gute Nachricht ist, und das belegt die Forschung: Lernen ist in jedem Lebensalter möglich. Natürlich ist es so, dass gewisse Dinge im Alter schwerer gehen, aber nicht alles. Wichtig ist dabei die Basis, das heißt, dass ich bereits in jungen Jahren neugierig auf Neues bin und mir das erhalte. Eigentlich sollte die Schule den Grundstein dafür legen und auch vermitteln, wie man lernt.
Lernen ist ja ein Prozess: Ich überlege mir, was ich lernen möchte und welche Ziele ich mir setze. Ich brauche das Selbstvertrauen, dass ich es schaffen werde. Und ich brauche Lernstrategien: Wie teile ich mir die Zeit ein, brauche ich jemanden als Unterstützung, brauche ich Materialien dazu und so weiter. Und zum Schluss reflektiere ich, wie der Lernprozess gelaufen ist und was ich daraus für das nächste Mal lernen kann.
Es kommt noch etwas dazu in höherem Alter: Wir haben zwei grobe Bereiche der Kognition. Der eine hat zu tun mit dem Arbeitsgedächtnis und der Konzentrationsfähigkeit, wir nennen das die Mechanik. Da haben wir schon relativ früh eine Abnahme, die beginnt schon um das Alter von 20 Jahren. Der zweite Bereich, die Pragmatik, ist das erworbene Wissen, das ich weiter aufbauen und vernetzen kann. Das Schöne ist, da sind die älteren Personen besser, weil die jungen noch nicht so viele Wissensbestände haben. Über etwas drüber schauen, etwas Größeres organisieren und vieles dabei im Blick zu haben, das ist etwas, was wir bis ins hohe Alter relativ gut aufrechterhalten können. Wir sollten deshalb nicht nur auf die Verluste achten, sondern auf das, was wir gut können. Dann macht das Lernen mehr Freude.

Wenn man über Chancen durch Bildung spricht, muss man auch schauen, ob man überhaupt die Chance zur Bildung hat. Da steht ja Österreich nicht so gut da. Wo liegen da die Probleme?

Die Statistiken zeigen, dass in erster Linie niedriger sozioökonomischer Status zu Benachteiligungen führt. Das zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen. Es beginnt schon vor Schuleintritt, weil Kinder aus solchen Haushalten oft weniger gefördert werden, sodass der Start in der Schule schwerfällt. Das heißt, man sollte zu dem einen verpflichtenden Kindergartenjahr und dem Sprachscreening am besten ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einführen und auch ein breiteres Entwicklungsscreening machen. Denn es geht nicht nur um Sprache, sondern auch um Instruktionsverständnis, Empathie, Regelverständnis, Umgang mit Rückmeldungen oder auch Frustrationstoleranz, also ob ein Kind, wenn etwas nicht klappt, gleich verzweifelt.
Eine weitere schwierige Situation ist der Übergang von der Volksschule in die weiterführende Schule. Die Volksschullehrerin bzw. der Volksschullehrer ist die Person, die mit ihrer Benotung die Entscheidung über den Zugang zum Gymnasium trifft. Von höher gebildeten Eltern wird oft Druck ausgeübt, dass ihr Kind unbedingt ins Gymnasium gehen muss. Nicht jede Lehrerin, jeder Lehrer kann diesem Druck standhalten – und gibt dann bessere Noten, als gerechtfertigt wäre. Die Übergangsentscheidung hängt nur zu 30 Prozent mit den Leistungen der Kinder zusammen und zu 70 Prozent mit dem Wunsch der Eltern.
Diese frühe Entscheidung für einen Schultyp bedingt dann spätere Entscheidungen. Nach der 8. Schulstufe besuchen viel mehr Kinder, die schon in der Unterstufe im Gymnasium waren, eine Schule, die zur Matura führt, als Kinder, die aus der Neuen Mittelschule kommen. Auch das Milieu in einer Schule spielt eine große Rolle. Bei den neuesten Analysen der Standarderhebungen – das sind die ersten Erhebungen in Österreich, an denen alle Kinder teilnehmen – zeigt sich ganz stark, dass nicht nur der eigene sozioökonomische Hintergrund oder ein Migrationshintergrund eine Rolle spielt, sondern auch, wie eine Klasse zusammengesetzt ist. Wenn in einer Klasse viele Kinder sind, die ebenfalls keine gute Ausgangssituation haben, steigt das Risiko für das individuelle Kind deutlich an, die geforderten Leistungen nicht zu erbringen.

Wie könnte man das vermeiden?

Im nächsten Nationalen Bildungsbericht, dessen Mitherausgeberin ich bin, gibt es ein eigenes Kapitel dazu. Danach sollten alle Klassen hinsichtlich des sozioökonomischen und des Migrationshintergrundes der Kinder eine Mischung aufweisen. Davon profitieren alle, da dann auch der Konkurrenzdruck nicht so groß ist. Hilfreich wäre ein Sozialindex, das heißt, dass die Schulen nicht pro Kind einen bestimmten Betrag bekommen, sondern auf den sozioökonomischen Status und den Migrationshintergrund Rücksicht genommen wird, und Schulen, die hier höhere Anteile haben, auch mehr Geld bekommen.
Die Schulen bräuchten auch mehr Autonomie, damit sie das Geld je nach Bedarf für zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder mehr Sprachlehrer und Sprachlehrerinnen oder kleinere Gruppen einsetzen können. Wien ist da übrigens am meisten benachteiligt, weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen und deshalb in Wien fast alle Klassen die Höchstzahl an Schülerinnen und Schülern haben und gleichzeitig den höchsten Anteil an Migrantinnen und Migranten.

Hat die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen auch etwas mit dem Bildungssystem zu tun?

Geschlechtsstereotype, also die Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen zu Buben und Männern oder Mädchen und Frauen und die Erwartung, dass sich diese auch so verhalten, sind in unserer Gesellschaft stark verankert. Es wird zum Beispiel angenommen, dass Mädchen eher fleißig sind, aber für gewisse Fächer nicht so begabt, während es heißt, Knaben seien faul, in gewissen Fächern aber begabter. Wenn diese Stereotype immer wieder transportiert werden, führt das dazu, dass sie von den Mädchen und Buben angenommen werden. Das führt dazu, dass die Mädchen meistens bessere Noten haben und „braver“ sind. Auch das gehört zum weiblichen Stereotyp. Als Konsequenz schließen die Mädchen häufiger die Schule positiv ab.
Es gibt viel mehr Knaben, die die Pflichtschule nicht positiv abschließen, dann keinen Lehrplatz finden und arbeitslos sind als junge Frauen. Das hat mit dem männlichen Stereotyp zu tun, denn ein Streber zu sein ist ein Schimpfwort für einen Knaben in der Pubertät. Es ist viel cooler zu sagen, die Schule ist furchtbar, ich lehne sie ab und lerne nichts. Aber dann besteht die Gefahr, arbeitslos zu werden.
Mädchen haben wieder den Nachteil, dass man sie mit gewissen Berufen und Fächern verbindet, die meist weniger anerkannt sind, und das bedeutet meist weniger Einkommen. Nach wie vor wählen Mädchen zu einem hohen Prozentsatz als Lehrberuf Friseurin und Knaben eine technische Lehre. Eine Friseurin verdient viel weniger als jemand in einem technischen Bereich. Eine aktuelle Studie, die wir gemacht haben, hat außerdem gezeigt: Lehrerinnen und Lehrer würden den begabtesten Mädchen empfehlen, Lehrerin zu werden, während sie den begabtesten Knaben empfehlen würden, Techniker zu werden. Techniker verdienen auch mehr als Lehrerinnen.

Machen Lehrerinnen und Lehrer das absichtlich, dass sie Buben und Mädchen anders behandeln?

Nein, überhaupt nicht. Ein großer Teil der Menschen ist sich der Geschlechtsstereotype überhaupt nicht bewusst. Kindern wird auch nach wie vor häufiger ein Spielzeug gekauft, das geschlechtsstereotyp ist: Mädchen bekommen Barbiepuppen, die Knaben Autos. Die Kinder spielen dann natürlich auch eher mit den geschlechtsstereotypen Spielsachen und Eltern spielen mit ihren Kindern auch häufiger mit diesen Spielsachen als mit anderen. Die Kinder freuen sich, wenn die Eltern mit ihnen spielen, daher wird das noch verstärkt. Je älter die Kinder werden, desto mehr verhalten sie sich so, wie die Stereotype es vorhersagen. Damit schließt sich der Kreis.

Was müsste getan werden, um Chancengleichheit zu schaffen?

Das Wichtigste ist der Elementarbereich, denn je früher ich Benachteiligungen ausgleiche, desto weniger Probleme gibt es nachher, und desto weniger Geld muss ich in Relation in die Hand nehmen. Das spart auch Frustrationen, denn wenn man über eine längere Schulkarriere ständig Misserfolgserlebnisse hat, wird man frustriert. Es gibt viele Studien, die klar zeigen, dass der Besuch eines Kindergartens mit hoher Qualität dazu führt, dass die Personen später mehr verdienen, es weniger Delinquenz gibt und so weiter. Der zweite Schritt ist, dass man die Einrichtungen nicht im Gießkannenprinzip mit Finanzen versorgt, sondern in Abhängigkeit von der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft. Das gilt für alle Bildungsinstitutionen.
Wichtig ist auch, dass die Autonomie der Bildungseinrichtungen erhöht wird, damit man schnell und standortspezifisch Maßnahmen setzen kann, um die Kinder bestmöglich zu unterstützen. Man muss auch viel mehr auf Vielfalt achten, auf die Vermeidung von Stereotypen. Das wird mit der neuen Ausbildung für Pädagoginnen und Pädagogen versucht, die jetzt begonnen hat. Aber bis das wirkt, dauert es viele Jahre. Deshalb muss man sofort auch andere Maßnahmen setzen.
Ein ganz kritischer Punkt sind die frühen Schnittstellen im Bildungssystem. Über die muss man sehr gut nachdenken. Ich persönlich bin für die Gesamtschule, aber sie muss gut sein, denn wenn man nur das Schild austauscht und sonst nichts ändert, bringt es nichts. Man muss das sehr gut vorbereiten. Die Schule müsste innen differenziert sein, damit man individuell fördern kann und natürlich auch die fördern kann, die in manchen Bereichen sehr begabt sind. Es geht ja nicht nur darum, Benachteiligungen auszugleichen, sondern darum, jedes einzelne Kind nach seinen Möglichkeiten und Potenzialen zu fördern.
Wir sollten außerdem über ein Bildungsminimum nachdenken, damit jeder Bürger, jede Bürgerin die Möglichkeit hat, sich selbst wirtschaftlich zu erhalten und am kulturellen und politischen Leben teilzunehmen. Die Schulbildung sollte nicht enden, wenn jemand 15 Jahre alt geworden ist, sondern wenn er oder sie das Bildungsminimum erreicht hat. Dafür bräuchte es eine grundlegende Änderung.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Bettel für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 9/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298110830 Vor allem der niedrige sozioökonomische Status führt zu Benachteiligungen in der Schule, hält Bildungspsychologin Christiane Spiel fest. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1447298110632 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874427022 Beschleunigung in der Arbeitswelt

Die Beschleunigung hat die Arbeitswelt voll erfasst. Das subjektive Zeitempfinden der Menschen spiegelt das nicht wider, sehr wohl aber die steigende Anzahl an psychischen Erkrankungen aufgrund von Stress. Im europäischen Vergleich haben österreichische ArbeitnehmerInnen die längsten Wochenarbeitszeiten, dazu kommen Überstunden und All-In-Verträge. Ganze 68,4 Millionen unbezahlte Überstunden haben österreichische ArbeitnehmerInnen im Jahr 2012 geleistet. Auf der anderen Seite arbeiten Teilzeit-Beschäftigte weniger als ihre KollegInnen aus anderen europäischen Ländern. 

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Sonja Fercher, Arbeit&Wirtschaft und Reinhold Russinger, Arbeiterkammer. Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874426979 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426944 "Nicht zuletzt" ... Mehr Zeit zum Leben Quer über alle Branchen haben sich die Vertreter von Industrie und Wirtschaft ein Patentrezept zurechtgelegt, das lautet: Länger arbeiten, mehr Überstunden machen, später in Pension gehen, noch flexibler werden. Damit den ArbeitnehmerInnen dabei nicht die Motivation verloren geht, wird dazu regelmäßig die Keule des Jobverlustes geschwungen. Und wenn trotz allem die versprochene positive Wirkung auf die Unternehmen und die Wirtschaft ausbleibt, dann muss nicht das Rezept überdacht, sondern die Dosis erhöht werden.

Absurde Situation
Die Konsequenz dieser Strategie ist, dass wir uns in einer absurden Situation wiederfinden. Immer mehr Menschen arbeiten an ihrem absoluten persönlichen Limit und darüber hinaus. Mit immer weniger Personal soll ein immer größeres Arbeitsvolumen bewältigt werden. Mehr als 270 Millionen Überstunden wurden allein im Vorjahr in Österreich geleistet. Jede fünfte Überstunde bleibt unbezahlt. Diesem Überstundenwildwuchs stehen aktuell fast 320.000 Menschen gegenüber, die gar keine Arbeit haben. Aber wehe dem, der in dieser Situation auf die Idee kommt, etwas an der Verteilung der Arbeitszeit verändern zu wollen. Der wird von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sofort ins Retro-Eck gestellt und als Bedrohung für die Wirtschaft bezeichnet.

Gefährdung der Wirtschaft
Dabei ist es retro und eine Gefährdung für die Wirtschaft, wenn man sein Rezept auch dann nicht ändert, wenn es nachweislich keinen Erfolg bringt. Weniger arbeiten und mehr Zeit zum Leben zu haben liegt nicht nur im Interesse der Einzelnen. Auch die Unternehmen profitieren davon, wenn die Beschäftigten nicht ausschließlich am Limit arbeiten, sondern ausgeruht zur Arbeit kommen. Permanenter Leistungsdruck und Stress verhindern Kreativität und zerstören Motivation. Ein solches Arbeitsumfeld schadet auch den Unternehmen massiv und verursacht Folgekosten, die im kurzfristigen Profitdenken nicht mitberücksichtigt werden.
Wir brauchen eine neue faire Verteilung der Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle, die den ArbeitnehmerInnen mehr Zeit zum Leben lassen, Zeit für Familienleben, Regeneration, Sport oder Weiterbildung sowie Teilhabe am politischen und kulturellen Leben. Männer wie Frauen brauchen mehr Zeit, wenn sie kleine Kinder zu Hause haben oder eine/n Angehörige/n pflegen, ebenso wollen sie vielleicht gegen Ende des Berufslebens langsam weniger arbeiten. Dazwischen kann es Phasen geben, wo Beruf und Karriere wichtig sind und sie gerne viel arbeiten. Ausmaß und Lage der Arbeitszeit entsprechend der jeweiligen Lebensphase selbst bestimmen zu können kann enorm viel Druck wegnehmen und ganz wesentlich zur psychischen und physischen Gesundheit beitragen.

Beschäftigungswachstum
Notwendig ist eine Reduktion von Überstunden genauso wie die Verlängerung des Urlaubs und eine generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden. Auf Sabbaticals und Auszeiten muss ein Rechtsanspruch bestehen. Und wir sagen All-in-Verträgen den Kampf an. Wenn es gelingt, ein Drittel der Überstunden – nämlich jene, die regelmäßig anfallen – in mehr Arbeitsplätze umzuwandeln, wären das über 50.000 Vollzeitarbeitsplätze. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden, also um 10 Prozent, würde ein Beschäftigungswachstum von rund 100.000 neuen Jobs bringen. Die Augen vor solchen Argumenten zu verschließen und nur an den kurzfristigen Profit zu denken ist nicht nur wirtschafts-, sondern auch zukunftsfeindlich – man könnte auch sagen retro.

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Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426931 Frisch gebloggt blog.arbeit-wirtschaft.at.]]> Webtipps der Woche
Wir legen Ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Radikaler Reformismus in der wissenschaftlichen Verteilungsdebatte (Matthias Schnetzer)
  • Generationengerechtigkeit: Falscher Schauplatz des Verteilungskonflikts (Angelika Gruber)
  • Fortschritt bedeutet Arbeitszeitverkürzung – der Ansicht waren schon Marx und Keynes (Bernhard Schütz)

Verteilung und radikaler Reformismus  
Forderungen, deren Umsetzung als nicht realistisch erachtet werden, gelten als radikal. Demnach ist Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) mit seiner Forderung nach einer globalen Vermögenssteuer utopisch oder radikal. Sir Tony Atkinson („Inequality – What can be done?“) wiederum setzt seine Maßnahmen auf nationaler Ebene an, weshalb er als realistischer oder weniger radikal bezeichnet wird. Radikalität bedeutet, eine Problemstellung an der Wurzel zu packen, also Wurzelbehandlung statt Symptombekämpfung zu betreiben.
Demzufolge gilt wohl weder eine globale noch eine nationale Vermögenssteuer als radikal, solange sie die Besitzverhältnisse nicht substanziell ändert, wie Matthias Schnetzer ausführt. Dass sich die Verteilungssituation immer mehr zuspitzt, ist real. Selbst die OECD warnt vor gesellschaftlicher Polarisierung und sozialen Spannungen, weil die unteren 40 Prozent der Einkommensverteilung sukzessive abgehängt werden. Es gilt, klar zu sagen: Eine Steuer auf sehr große Vermögen, die nur einen Teil der Erträge abschöpft, verändert die Vermögensverhältnisse nicht nachhaltig. Eine Steuersenkungspolitik für Spitzeneinkommen löst keinen „Trickle-down-Effekt“ für die unteren Einkommensschichten aus.
Lesen Sie mehr:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/radikaler-reformismus-in-der-wissenschaftlichen-verteilungsdebatte/

Generationengerechtigkeit 
Die Aufrufe, das Pensionssystem in Österreich zu reformieren, um es künftig auch finanzieren zu können, gibt es seit Jahren. Der Beitrag von Angelika Gruber zeigt auf, dass der Ruf nach mehr „Generationengerechtigkeit“ mittlerweile ein Standardargument der Politik wie auch der Ökonomie ist, dessen Analyse viel zu kurz greife. In Österreich wird das öffentliche Pensionssystem zum größten Teil über Sozialversicherungsbeiträge finanziert.
Da diese Beiträge als fixer Anteil der Löhne und Gehälter berechnet werden, ist ihr Wachstum für die Dynamik des Beitragsaufkommens entscheidend: je höher das Beschäftigungsniveau, umso höher ist die Zahl der BeitragszahlerInnen; je höher die Entlohnung, umso höher ist das Beitragsvolumen.
Da die Lohnquote in Österreich seit Jahren kontinuierlich sinkt, hat dies einen negativen Effekt auf die Finanzierungsbasis der Altersversorgung – sie wird zunehmend kleiner und gleichzeitig steigt die Zahl der PensionistInnen. Daher ist es notwendig, den eigentlichen Verteilungskonflikt zwischen Arbeit und Kapital anzutasten, so Gruber.
Lesen Sie mehr:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/generationengerechtigkeit/

Fortschritt bedeutet Arbeitszeitverkürzung
Der Trend zu mehr Freizeit erscheint in unserer heutigen Gesellschaft als etwas Neues. Aber bereits Karl Marx und John Maynard Keynes haben diese Idee in ihren Wirtschaftstheorien verfolgt, wie Bernhard Schütz, Ökonom an der Uni Linz, in seinem Beitrag ausführt.
Karl Marx war der Ansicht, dass sich jeder Mensch ganzheitlich verwirklichen kann und die „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ so weit wie möglich reduziert werden sollte, damit der Widerspruch zwischen Arbeit und Selbstverwirklichung aufhört.
John Maynard Keynes ging davon aus, dass der technologische Fortschritt es ermöglicht, die Arbeitszeit weitestgehend zu reduzieren, und die Menschen sich in der Freizeit ihrer eigentlichen Bestimmung widmen könnten. So neu erscheint die Debatte um Arbeitszeitverkürzung also nicht.
Allerdings braucht es dafür heute auch eine Verteilungsdebatte, damit die freiwillige Arbeitszeitverkürzung von einem Privileg der wenigen zu einer tatsächlichen Option für alle wird.
Lesen Sie mehr:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/fortschritt-bedeutet-arbeitszeitverkuerzung-der-ansicht-waren-schon-marx-und-keynes/

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Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426512 Wachstumsstörungen Ob Sportvereine, Cliquen am Ausbildungsplatz, Vereine, Organisationen oder politische Parteien, sie alle verbindet eine Herausforderung: Nur die wenigsten Freiwilligen bleiben. Die einen gründen eine Familie, die anderen ziehen fort, oftmals lebt man sich einfach „auseinander“, entwickelt andere Interessen oder kann sich mit der Peergroup nicht mehr identifizieren. Auch die Gewerkschaftsjugend ist vor solchen Entwicklungen nicht gefeit. Es können persönliche Gründe sein, weshalb Jugendliche sich nach der Lehre nicht für eine Kandidatur zum Betriebsrat zur Verfügung stellen wollen. Andere Ursachen sind der Wechsel des Wohnortes oder gar des Betriebes, Familiengründung oder eine andere Ausbildung. Manchmal besteht auch keine realistische Chance, dass ein Betriebsratsmandat frei wird, somit bleibt auch kein Platz für Nachwuchs. Bisweilen scheitert eine Kandidatur auch am Widerstand von BetriebsrätInnen, die verhindern wollen, dass Junge nachkommen – nicht nur, weil sie Veränderungen fürchten, sondern vielleicht auch, weil sie mit JugendvertrauensrätInnen oder jungen Betriebsratsmitgliedern keine guten Erfahrungen gemacht haben.

Zentraler Stellenwert
Das Nachwuchsproblem wird auch bei den Gewerkschaften kaum wahrgenommen oder die Suche einfach den Jugendabteilungen überlassen, bei denen jedoch oft selbst die Motivation und Interesse an der Betriebsratsarbeit fehlen oder – sofern diese überhaupt vorhanden sind – schwinden. Dabei hat die Jugendarbeit bei den Gewerkschaften einen zentralen Stellenwert. Denn die Jugendabteilungen versuchen nicht nur, junge Menschen für die Gewerkschaftsarbeit zu begeistern, zu motivieren und somit junge Mitglieder zu gewinnen, sondern sie bilden auch junge GewerkschafterInnen aus und gründen Jugendvertrauensräte. Wenn jedoch nur wenige ihren Weg als BetriebsrätInnen weitergehen, entsteht eine große Lücke – viel Erfahrung und Talent gehen verloren.
Stefan Bartl (GBH), Michael Dedic (GdG-KMSfB), Michael Oppenberger (PRO-GE), Alexander Sollak (GPF) und Georg Steinbock (vida) haben sich im Jahr 2012/2013 diesem herausfordernden Thema gestellt. Im Rahmen ihrer SOZAK-Abschlussarbeit haben sie sich intensiv mit der Nachwuchsförderung in den ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen beschäftigt, mit dem Ziel, die Gewerkschaften mit diesem Problem zu konfrontieren. Gleichzeitig entwickelten sie einen Ratgeber, der BetriebsrätInnen dabei unterstützen soll, vorhandenes Potenzial weiter zu nutzen und einen reibungslosen Übergang vom Jugendvertrauensrat zum Betriebsrat sicherstellen zu können. Sie präsentieren auch mehrere Lösungsansätze, die bereits von Gewerkschaften in die Tat umgesetzt wurden.

Handbuch Mentoring
Kern ihrer Arbeit ist jedoch ein umfangreicher Leitfaden, „Mentoring für Gewerkschaft, Betriebsrat und Personalvertretung“, der Betriebsratskörpern und Gewerkschaften als Unterstützung dienen kann, um das Mentoring korrekt in der eigenen Organisation zu implementieren und umzusetzen. Als Literaturquelle nennen die Autoren ein Frauenförderprogramm der deutschen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie das „GEW-Handbuch Mentoring“. „In einer geschützten, auf persönlichem Austausch basierenden Beziehung soll individuelles Potenzial erkannt, gefördert und umgesetzt werden“, sagen die Autoren in ihrem Ratgeber.

Mentor und Odysseus
Vielleicht hatten auch Sie einen Mentor oder eine Mentorin, der oder die Ihnen Wissen weitergegeben, Sie gefördert und gefordert hat? Ein/e LehrerIn, ein/e ehemaliger Vorgesetzte/r, ein/e AusbildnerIn oder gar einfach nur ein/e Bekannte/r Ihrer Familie? Eine Person, der Sie bis heute dankbar sind, die teilweise dafür verantwortlich ist, wer Sie heute sind und wo Sie heute stehen? Das Wort „Mentor“ selbst stammt – wie sollte es auch sonst sein – aus der griechischen Mythologie, denn Mentor war ein Freund des Odysseus und Lehrer und Erzieher von dessen Sohn Telemach. Seither gilt Mentor als Bezeichnung für die Rolle eines Beraters oder einer Ratgeberin, der oder die eigene Erfahrungen und Wissen an die sogenannten „Mentees“ weitergibt, um diese zu fördern. Sogar während des Mentoring-Prozesses werden neue Erfahrungen, neues Wissen und neue Erkenntnisse gewonnen.
Mentoring ist jedoch nicht nur ausschließlich im beruflichen Bereich möglich, es kann auch im persönlichen Umfeld stattfinden. Für alle Formen von Mentoring-Beziehungen sollte jedoch eines grundlegend sein: Es handelt sich um eine gleichberechtigte Austauschbeziehung, geschlechtsneutral, freiwillig, vertraulich und trotz eventueller Alters- und Erfahrungsunterschiede nicht hierarchisch geprägt, ohne Weisungsbefugnis.
Gemäß den Autoren ist Mentoring eine hervorragende Maßnahme, um den Generationenkonflikten innerhalb der einzelnen Gewerkschaften und Betriebsratskörperschaften entgegenzuwirken. Denn in diesem Rahmen kann geistiges Kapital von GewerkschafterInnen mit Erfahrung an die noch unerfahrenen BetriebsrätInnen und FunktionärInnen weitergegeben werden. „Das gemeinsame Interesse, zu wachsen, ist stärker als die Befürchtung, sich nicht zu verstehen“, sagen sie. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Arten der Personalentwicklung, sei es im Rahmen von Trainings oder Seminaren, handelt es sich beim Mentoring um eine berufsbegleitende Art von Fortbildung, die für alle MitarbeiterInnen eingesetzt werden kann. Das Grundkonzept kann flexibel je nach Bedürfnis und Zielsetzung an die verschiedensten TeilnehmerInnen angepasst werden. Da der Mentee die Inhalte und Ziele selbst bestimmen kann, bleiben mehrere Möglichkeiten der Weiterentwicklung offen, und die Person lernt während des Mentorings nicht nur, zunehmend Verantwortung zu übernehmen und effizient zu arbeiten, sondern kann auch die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen besser entwickeln und entfalten.

Kein Protektionismus
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Mentoring-Beziehungen entstehen können. Einerseits können sie ganz zufällig entstehen, indem der/die Erfahrenere den „Neuling“ unterstützt und fördert. Es gibt aber auch strukturierte Programme, die Mentoring-Beziehungen systematisch bilden können. Letztere haben den Vorteil, dass Beziehungen entstehen, die sonst nie zustande gekommen wären. Diese Programme sind auf einen Zeitraum, meist ein bis eineinhalb Jahre, festgelegt, können jedoch weitergeführt werden. Um zu verhindern, dass Mentoring innerhalb der Organisation mit Protektionismus verwechselt wird, sind diese Programme offiziell und transparent und werden in interne und externe Programme der Organisation integriert.
Bei Erscheinen des Ratgebers konnten die Autoren auf keine Erfahrungswerte mit strukturierten Mentoring-Programmen innerhalb der österreichischen Gewerkschaften zurückgreifen. In Deutschland hingegen konnten einige Gewerkschaften bereits einige Erfahrungen sammeln. Da Frauen in vielen gewerkschaftlichen Bereichen unterrepräsentiert waren, wurden hauptsächlich Frauen, die in der Gewerkschaft entweder berufstätig oder auf freiwilliger Basis aktiv waren, in verschiedenen Mentoring-Programmen gefördert. So wurden im Mentoring-Programm „VERA“ der Deutschen Postgewerkschaft vor allem junge Gewerkschaftssekretärinnen unterstützt, die innerhalb eines Jahres durch erfahrenere Kolleginnen betreut und gefördert wurden. Nach der Teilnahme übernahmen die ehemaligen Mentees verschiedenste Funktionen, die dem Bundesvorstand von ver.di unterstehen.

Weiterentwicklung
Ein weiteres Programm der deutschen Gewerkschaft Nordbaden wurde bereits im Jahr 2000 umgesetzt. Zielgruppe waren ebenfalls Frauen, die eine Karriere in gewerkschaftlichen Funktionen oder eine berufliche Veränderung anpeilten. Mentorinnen waren Kolleginnen in der Gewerkschaft und Schulleiterinnen, die ganz entsprechend den Zielen der Mentees eingesetzt wurden, sodass diese sich in gewerkschaftlichen und schulischen Funktionen weiterentwickeln konnten.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874426913 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426483 Einfach mal raus Ja, eine Weltreise hätte sie auch gerne gemacht, sagt Sonja Buch. Ihre Reise raus aus dem Berufsalltag führte sie – zumindest vorerst – nicht ganz so weit weg. Seit mehr als einem Jahr hat die Wienerin hauptsächlich in Kärnten ihr „Zuhause“. Der Anlass war ursprünglich ein trauriger. „Meine Taufpatin hat vom Arzt die Diagnose Lungenkrebs bekommen mit dem Hinweis, dass sie nur mehr ein Jahr zu leben hat“, erzählt Buch. Daraufhin wollte sie möglichst viel Zeit mit ihrer Tante erleben, die in einem kleinen Dorf in Kärnten lebt.

Exotisches Land
Buch verabschiedete sich von ihrem LehrerInnenjob in die unbezahlte Karenz: „Ich dachte mir, ich verdiene ohnehin keine Millionen, und ich wollte noch möglichst viel Zeit mit meiner Tante – die zum Glück entgegen der Arztprognose noch lebt – verbringen und auch meine über 95-jährige Oma besser kennenlernen.“ Und auch das österreichische Land kann so manche Überraschung bereithalten. „Das hier ist für mich eine exotischere Erfahrung als mein Auslandsaufenthalt in Barcelona. Hier komme ich mir in gewisser Weise fremder vor: Jeder kennt jeden, und das seit mindestens vier Generationen“, erzählt sie.  Raus aus dem beruflichen Laufrad, durchatmen und Perspektiven zurechtrücken können: Sehnsüchte wie diese haben viele ArbeitnehmerInnen. Im Jahr 1998 wurde mit der Bildungskarenz die Möglichkeit geschaffen, immerhin zum Zwecke der Weiterbildung aus dem viel zitierten Hamsterrad im Job auszusteigen. Die Maßnahme erfreut sich großer Beliebtheit. Andere wiederum sehen sie skeptisch: Die Leute gingen auf Weltreise, statt sich weiterzubilden, wird behauptet. Doch so einfach ist das nicht, denn Studierende in Bildungskarenz müssen dem AMS Nachweise über bestandene Prüfungen vorlegen. Andere kritisieren, dass hauptsächlich jene in Bildungskarenz gehen, die ohnehin schon hohe Bildungsabschlüsse haben. Die Bildungskarenz reihe sich damit in die sozial ungerechte Systematik vieler anderer beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen ein, in denen jene zu kurz kommen, die von vornherein eher niedrige Abschlüsse haben.
Der unterstellte Missbrauch der Bildungskarenz für Weltreisen ist Michael Tölle ein Dorn im Auge. Immerhin lässt sich dies weder be- noch widerlegen. „Dazu gibt es keine Daten“, hält der Bildungsexperte der AK fest. „Es wäre jetzt auch schwieriger mit dem strengeren Leistungsnachweis.“ Richtig sei allerdings, dass „anteilsmäßig mehr AkademikerInnen die Bildungskarenz in Anspruch nehmen, als in der Gesamtbevölkerung vertreten sind“.
Um den Zugang zur Weiterbildung weiter zu öffnen, wurde die Teilzeit-Bildungskarenz eingeführt. Diese sollte es WenigverdienerInnen leichter machen, nur einige Stunden pro Woche bis halbtags aus dem Job auszusteigen und die so gewonnene Zeit der Weiterbildung zu widmen. Außerdem wurde im Juli 2013 das Fachkräfte-Stipendium eingeführt, das es Erwachsenen ermöglichen soll, eine Fachkräfte-Ausbildung in Mangelberufen zu machen. Trotz des großen Erfolges wird es ab 2016 allerdings wieder eingestellt.
Unterm Strich bleibt die altbekannte Ungleichbehandlung: Wer bereits ein Studium hinter sich gebracht hat, kommt öfter in den Genuss von Weiterbildungsmöglichkeiten – „das gilt besonders für die betriebliche Weiterbildung“, betont Tölle – bzw. kann leichter per Bildungskarenz aussteigen.

Burn-out-Prävention
AK-Experte Tölle bringt bei allen Vorbehalten einen wichtigen Aspekt ins Spiel: Die Bildungskarenz kann man auch als wichtige Maßnahme zur Burn-out-Prävention ansehen. Auf der anderen Seite wisse auch die Wirtschaft die Bildungskarenz zu ihren Zwecken einzusetzen. Als Beispiel nennt Tölle die vor dem Hintergrund der Krise beschlossene „Bildungskarenz plus“: Unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen 50 Prozent der Kosten der Weiterbildung übernimmt, zahlte das Land bzw. das AMS die andere Hälfte der Kosten für den oder die ArbeitnehmerIn. „Das war sozusagen eine Alternative zur Kurzarbeit“, erklärt Tölle.  „So haben sie Produktionsrückgänge ausgleichen und am Ende sogar noch weiter gebildete Arbeitskräfte zurücknehmen können.“
Aber warum nehmen hauptsächlich AkademikerInnen diese Möglichkeit in Anspruch? Für Michael Tölle gibt es darauf eine einfache Antwort: „Es gehen eher Leute in Bildungskarenz, die es sich leisten können, eine Zeit lang nur vom Arbeitslosengeld zu leben. Für viele ist Bildungskarenz schlichtweg nicht leistbar.“ Nicht jede/r verfügt über die entsprechenden finanziellen Mittel oder kann einfach einmal so raus aus dem Alltag oder Familienzusammenhang.
Eine Auszeit: Dafür hat sich die freie Journalistin Doris Neubauer nach jahrelanger Vollzeitanstellung in der Kommunikationsabteilung der APA und bei einer NGO entschieden. Finanziert hat sie es durch Erspartes. Zunächst reiste sie nach Australien und in die USA. Nach ihrer Rückkehr hielt es sie nicht lange in Wien, sondern sie fing ein Leben als „digitale Nomadin“ an. „Was ich für meine Arbeit brauche, ist ein Laptop und ein funktionierendes Internet. Ob ich in einem Kaffeehaus in Tansania sitze und per Skype versuche, Interviews zu machen, oder hier, spielt dabei keine Rolle“, sagt sie.

Arbeit und Urlaub auf einmal
In Amerika wurde für dieses Arbeitsmodell der Begriff „Workation“ geprägt, die Verbindung aus Arbeit und Urlaub. „Sogenannte Coworking Camps oder Workation Retreats sprießen anscheinend gerade wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden, und zwar inmitten herrlicher Landschaften in Gran Canaria, in der Türkei oder auch außerhalb von Berlin oder Paris, um nur einige zu nennen“, sagt Christa Langheiter, die regelmäßig an Interessierte Auszeit-Newsletter mit interessanten Neuigkeiten rund um das Thema verschickt. „An inspirierenden Orten steht Infrastruktur zum Arbeiten zur Verfügung, ebenso wie Menschen zum Austauschen. Und Ruhe, um abzuschalten und sich zu entspannen“, schwärmt die ehemalige ORF-Redakteurin.

Entfremdung
Arbeit als Erfüllung, bei der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, weil das Hobby zum Beruf wurde – und das auch noch um einen Lohn oder ein Gehalt, von dem man nicht nur leben, sondern zwischendurch sogar ausspannen kann: Wer träumt nicht davon? Und ist es nicht genau das Gegenkonzept zur Entfremdung in der Arbeit? Immer öfter ist zu hören, dass das Leben zu kostbar sei, um es mit kraftraubendem Alltagstrott und ungelebten Träumen zu verbringen. Wie groß das Interesse an „Sabbaticals und Auszeiten“ ist, merkt man auch an den zahlreichen Büchern, die dazu erscheinen. Umfragen zufolge würden drei Viertel aller ArbeitnehmerInnen in Österreich und Deutschland gerne eine längere Auszeit vom Job nehmen. Diese Vorstellung eines Lebens jenseits der Entfremdung stößt allerdings auf die Realitäten der Beschleunigung am Arbeitsplatz und die Ansprüche der Wirtschaft.
Vor diesem Hintergrund wirkt es fast anachronistisch, wenn man den Ratschlag hört: „Es hilft, einen Schritt zurückzutreten und einmal in Ruhe darüber nachzudenken, was Zeit eigentlich für uns ist.“ Dennoch hat der Philosoph und Ökonom Karlheinz Geißler recht: „Wann immer wir im Alltag über Zeit reden, sprechen wir letztlich über unser Leben. Wenn wir unzufrieden sind und sagen: ‚Ich habe keine Zeit‘, meinen wir oft ‚Ich habe kein Leben‘“, so Geißler. Er beschäftigt sich seit Langem mit der Frage, wieso wir uns so gehetzt fühlen. „In allen Hochkulturen waren Geduld, Gelassenheit und Langsamkeit ein Zeichen von Würde, Klugheit und Selbstachtung“, erinnert er. Bei manchen Arbeitgebern spricht sich inzwischen herum, dass sie nichts davon haben, ihre MitarbeiterInnen wie Zitronen auszupressen.

Zufriedenheit
Wie es weitergeht, steht für Sonja Buch nicht wirklich fest. Ihren Lebensunterhalt verdient sie derweil mit einem geringfügigen Kellnerjob in der Gastwirtschaft der Tante. In Sachen Lebensstandard musste sie Abstriche machen. Auch wenn sie hinter dem Konzept des einfachen Lebens stehe, vermisse sie natürlich manchmal den Luxus, gesteht sie ein. Derweil aber ist sie zufrieden mit dem, was sie hat: „Ganz ehrlich gesagt ist es mir persönlich momentan wichtiger, mit der Tante Schwammerl suchen zu gehen und der Oma bei der kleinen Landwirtschaft zu helfen, wo die Tiere noch alle einen Namen haben.“

Linktipp
Informationen rund um Bildungsförderungen:
tinyurl.com/o428c8f

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen irene_mayer@hotmail.com und sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin für den "Kurier" und Printmagazine | Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427319 Arbeit an frei gewählten Orten, zu selbst bestimmten Zeiten und auch noch gut bezahlt: Wer träumt nicht davon? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426356 Bildung mit schnell Effizienter, vergleichbarer, internationaler und vor allem schneller sollte das Hochschulstudium werden. Das waren die Hauptmotive für 29 europäische Staaten, im Jahr 1999 im italienischen Bologna eine Deklaration zu unterzeichnen, die den Grundstein für einen gemeinsam gestalteten Hochschulraum legte. Die Wirtschaft hatte schon lange gefordert, Schule und Studium zu verkürzen, um möglichst bald jüngere MitarbeiterInnen zu bekommen. Ihre Stimme wurde erhört. Der Beschluss von Bologna sah eine europaweite Vergleichbarkeit von Studiengängen und -abschlüssen vor, um einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu entwickeln.
Ein Abschluss, egal in welchem Fach, sollte fortan in jedem europäischen Land die gleichen Anforderungen und Titel haben. Dazu wurden in Österreich, bis auf wenige Ausnahmen, die Diplom- und Magister-Abschlüsse abgeschafft. Nach einem dreijährigen Studium erhält man nun den „Bachelor“ als Titel, Master nennen sich nunmehr AbsolventInnen, die im Anschluss zusätzlich zumeist zweijährige Spezialisierungen absolviert haben. Mit der sogenannten Bologna-Reform wurde auch das „Credit Point“-System (ECTS – European Credit Transfer System) eingeführt. Demnach muss jeder Student und jede Studentin mindestens 30 Punkte pro Semester sammeln. Ein dreijähriger Bachelor ist bei 180 Punkten erreicht, während das Masterzeugnis vergeben wird, wenn man 300 „Credit Points“ erzielt hat.
Die Folge: straffe Stundenpläne, vermehrte Anwesenheitspflichten, Voraussetzungsketten und ständige Prüfungen. Die Verdichtung des Studiums lässt wenig Zeit für soziales oder politisches Engagement, geschweige denn einfach nur dafür, einmal über den Tellerrand hinauszublicken. KritikerInnen der Bologna-Reform sagen zudem, dass sich Studierende jetzt zu sehr an den Regelstudienplänen orientieren und nicht am Inhalt. ECTS-Punkte werden zum roten Faden ihres Studiums. Wer heute studiert, braucht erheblichen Ehrgeiz und am besten vermögende Eltern, denn die Reformen der letzten Jahre haben auch die finanzielle Situation für viele Familien verschärft.

Soziale Spaltung
In Österreich ist heute wie in kaum einem anderen europäischen Land die soziale Herkunft für den Bildungserfolg entscheidend. Der Wirtschaftsprofessor Wilfried Altzinger und seine KollegInnen von der WU Wien zeigten kürzlich in einer Studie, dass 54 Prozent der Kinder, die in Haushalten aufwachsen, in denen mindestens ein Elternteil einen akademischen Abschluss aufweist, selbst einen akademischen Titel erreichen. Haben die Eltern hingegen maximal einen Pflichtschulabschluss, schließen nur sechs Prozent der Kinder ein Hochschulstudium ab. Für viele junge Erwachsene aus bildungsfernen und finanziell schwächeren Verhältnissen ist der finanzielle Aufwand der Hauptgrund, auf ein Hochschulstudium an der Universität oder der Fachhochschule zu verzichten. Die monatlichen Lebenshaltungskosten für Studierende in Österreich liegen laut Österreichischem Akademischen Austauschdienst bei durchschnittlich 850 Euro pro Monat. Bei sechs Semestern Regelstudienzeit für ein Bachelorstudium kommen da im Durchschnitt über 30.000 Euro zusammen – für viele Studierende und ihre Familien eine schwere Hürde. Entscheiden sich junge Erwachsene aus „kleinen Verhältnissen“ doch für ein Studium, reicht das Familieneinkommen oft nicht aus, um sie zu unterstützen – und sie müssen arbeiten gehen.

Auch für Sonia Lech ist Geld das größte Problem. Die Tochter einer Kindergärtnerin und eines Bauarbeiters ist die erste in ihrer Familie, die die Hochschule besucht. Lech bezieht Studienbeihilfe und hat zwei Jobs, um sich das Studium zu finanzieren. Die staatliche Studienförderung, die weniger begüterten Studierenden wie ihr zur Absicherung während des Studiums dienen soll, reicht nicht aus, um ihr Studium zu finanzieren. Ein Grund ist, dass in Österreich seit 1999 die Berechnungsgrenzen für die Höhe der Stipendien nicht angepasst wurden. So führen kollektivvertragliche Lohnerhöhungen bei den Eltern beispielsweise zu geringeren Stipendien. Gleichzeitig ist die Studienbeihilfe immer weniger wert, weil auch die Lebenshaltungskosten laufend steigen.
Um die Finanzierung des Studiums zu stemmen, gehen – wie Sonia – mehr als die Hälfte aller Studierenden in Österreich nebenbei arbeiten. Dies trifft laut der letzten Studierenden-Sozialerhebung (2011) gerade zu Beginn des Studiums auf Studierende aus einkommensschwachen Schichten häufiger zu. Des Weiteren belegt die Studie, dass sie im Durchschnitt mehr Stunden arbeiten als ihre besser gestellten StudienkollegInnen – dies allerdings häufiger in Jobs, die mit ihrem Studium nichts zu tun haben.

Angesichts des zeitlichen Drucks, in der vorgegebenen Zeit die nötigen ECTS-Punkte zu sammeln, sind also jene klar im Nachteil, die nebenbei noch jobben müssen. Zum Druck im Studium selbst kommt für sie noch der Druck dazu, sich finanziell über Wasser halten zu müssen. „Die Schwierigkeit liegt dabei darin, den Stundenplan, die Uni und die Arbeit unter einen Hut zu bekommen“, schilderte Sonia vor Kurzem ihre Situation in einer Fernsehreportage. Der ständige Druck und die hohen Anforderungen, ihr Studium in der vorgesehenen Zeit zu schaffen und sich nebenbei größtenteils selbst zu finanzieren, werden zur Belastung. „Dann muss man sich schnell überlegen, ob man nicht doch eher ein Semester länger studiert, um Arbeit und Studium unter einen Hut zu bringen“, erklärt sie. Ihr Beispiel ist kein Einzelfall. Fast die Hälfte der befragten Studierenden in der Studierenden-Sozialerhebung Österreichs berichten über Probleme, Studium und ihre Erwerbstätigkeit zu vereinbaren, und viele StudienanfängerInnen rechnen bereits im ersten Jahr damit, ihr Studium nicht in der Regelstudiendauer abzuschließen. Nicht zuletzt kann die erhöhte Berufstätigkeit leicht zu einem Verlust der Studienbeihilfe mangels ausreichenden Studienerfolgs führen.

Steigende Anforderungen
Ein weiteres Ziel der Bologna-Reform war die Förderung des internationalen Austausches von Studierenden. Jede/r sollte nach Möglichkeit im Ausland ein Gastsemester absolvieren, um Erfahrungen zu sammeln und später auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben. Aber für viele junge Erwachsene aus einkommensschwachen Familien bedeutet die Internationalisierung des Studiums eine zusätzliche Belastung, die es vor der Reform nicht gab. Oftmals sind die Lebenshaltungskosten im Ausland höher, und es können in manchen Ländern weitere Studiengebühren dazukommen, die von den Auslandszuschüssen kaum vollständig abgedeckt werden können. Wer also nicht über die ausreichenden finanziellen Mittel verfügt, ist klar benachteiligt. Hinzu kommt, dass für das Auslandssemester der Nebenjob aufgegeben werden muss, der für das Einkommen im Alltag notwendig ist. Neben den Auslandserfahrungen erwarten heute viele Unternehmen von ihren potenziellen MitarbeiterInnen zusätzlich, dass sie während des Studiums auch erfolgreich Praktika absolviert haben. Für Studierende mit der entsprechenden finanziellen Unterstützung der Eltern ist diese Anforderung weniger problematisch. Aber die Zeit zu finden, um nebenbei (oftmals unbezahlte) Praktika zu absolvieren, ist für arbeitende Studierende kaum zu schaffen, ohne ihr Studium zwangsläufig ein Semester zu verlängern.

Reduktion der Doppelbelastungen
Die Mehrheit der Bachelor- und Master Studiengänge sind heute als Vollzeitstudiengänge konzipiert. Eine studienbegleitende Berufstätigkeit ist meist nicht vorgesehen. Die durch den Bologna-Prozess verschärften Studienbedingungen haben die Belastungen für Studierende aus finanziell schwächeren Familien und für Berufstätige massiv erhöht. Der Abschluss in der Regelstudiendauer wird fast unmöglich. Zeit für thematische Vertiefungen, Hobbys oder ehrenamtliches Engagement hat nur, wer es sich leisten kann.

Linktipps
Studierenden-Sozialerhebung 2011:
www.sozialerhebung.at/index.php/de/
Eckl & Kastner (2015). Stipendien im Sinkflug:
tinyurl.com/pc74h44

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor philipp.schnell@akwien.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Philipp Schnell, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427304 Der zeitliche Druck auf die Studierenden ist enorm. Klar im Nachteil sind jene, die nebenbei noch jobben müssen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427224 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426263 Teilzeit - Luxus oder Problem? Teilzeit ist ein Thema, an dem sich die Geister scheiden und die Gemüter erhitzen. Nicht nur die Ansichten der ArbeitnehmerInnen liegen weit auseinander, auch die Politik ist sich uneinig, wie man damit umgehen soll. Auf der einen Seite argumentiert die Wirtschaft, dass Beschäftigte freiwillig weniger Zeit im Büro verbringen möchten, andererseits wird die hohe Teilzeitquote in Österreich sehr kritisch betrachtet und gilt als einer der Gründe für Altersarmut bei Frauen. Denn Teilzeit ist noch immer weiblich. „Fast jede zweite Frau geht einer Teilzeitbeschäftigung nach. Niedriglöhne führen zu Niedrigpensionen und damit zu Altersarmut, von der vor allem Frauen betroffen sind“, warnt Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende. Die Beweggründe der betroffenen Frauen sieht sie auch nicht in der Freiwilligkeit, vielmehr lasse das Angebot an Plätzen in Kinderbildungseinrichtungen und familienfreundlichen Jobs zu wünschen übrig.

Freie Wahl?
Trotz vorhandener Unstimmigkeit zweifelt kaum jemand noch an der Tatsache, dass Teilzeitbeschäftigung hierzulande boomt und immer mehr an Gewicht gewinnt. Insgesamt stieg die Teilzeitquote im Vergleich zum Vorjahr von 28,2 auf 28,6 Prozent, allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, denn bei den Frauen sind es 48 Prozent, bei den Männern lediglich 11,2 Prozent. Frauen, die in Chefetagen sitzen, und Männer, die wegen der Kinder Teilzeit arbeiten und somit die traditionelle Rollenverteilung aufbrechen, gibt es zwar, sie sind jedoch sehr selten.
Wie Statistiken zeigen, verzichtet in der Regel noch immer die Frau auf die Karriere und kümmert sich um die Familie – so wie die Genetikerin Stefanie W. „Aufgrund fehlender Kinderbildungseinrichtungen und Öffnungszeiten, die eine Vollzeitbeschäftigung nicht ermöglichen, ist es mir leider nur möglich, in Teilzeit zu arbeiten. Im Sommer müssen sogar die Großeltern einspringen“, sagt sie und fügt hinzu, dass sich die Teilzeitbeschäftigung negativ auf das Haushaltseinkommen der Familie auswirkt. Kinderbetreuung und Pflegebetreuung von Angehörigen werden als häufigste Gründe dafür genannt, weshalb die Betroffenen nicht Vollzeit arbeiten. Es gibt aber auch Arbeitnehmerinnen, die Teilzeit aus anderen Gründen wählen, etwa weil sie einfach mehr Freizeit haben wollen. Sandra K. ist 38 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. „Mittlerweile sind die Kinder relativ selbstständig, nichtsdestotrotz möchte ich nicht wieder auf Vollzeit umsteigen. Ich genieße meine freie Zeit, wenn ich zu Hause bin“, erzählt die Handelsangestellte.

Luxus oder Problem?
Schaut man sich die Aussagen der beiden Mütter an, ist es schwer, zu beurteilen, ob Teilzeit nun eher Luxus oder Problem ist. In den vergangenen Jahren wurden Tausende Vollzeitjobs durch Teilzeitstellen ersetzt. Auch wenn einerseits der Wunsch bei ArbeitnehmerInnen nach Teilzeit vorhanden ist, ist diese nicht immer gewollt. Viele Teilzeitbeschäftigte können nicht aufstocken, obwohl sie das möchten. In einem sind sich viele ExpertInnen aber einig: Die Arbeitswelt hat sich verändert, Beschäftigte sind immer häufiger Stresssituationen ausgesetzt und vor allem junge Menschen möchten weniger arbeiten. Nicht weil sie faul sind, sondern weil ihnen auch ihre Freizeit wichtig ist. Das zeigt, dass die Zeit definitiv reif ist für neue Ansätze in der Unternehmenskultur.

Halbtagsführung
ÖGB-Frauen und andere Frauenorganisationen kritisieren immer wieder die Tatsache, dass die Wirtschaft nach wie vor fast ausschließlich Vollzeitjobs in Führungspositionen anbietet. Das führt dazu, dass Frauen in der Chefetage total unterrepräsentiert sind, obwohl sie mittlerweile sogar besser ausgebildet sind als Männer. Qualifizierte Teilzeit und geteilte Führungsmodelle, die Frauen wie Männern ein angemessenes Einkommen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen könnten, werden von Unternehmen selten praktiziert. Möglich wäre dies aber, wie die s Bausparkasse zeigt: Schon von Anfang an führte eine weibliche Führungskraft ihr Team in einer der größten Abteilungen in Teilzeit. Ein Hindernis auf dem Weg zu Führungsfunktionen oder Beförderungen ist es nicht. In Zukunft soll die Belegschaft in dieser Hinsicht noch stärker sensibilisiert werden.

Vorteile und Risiken
Auch andere Unternehmen versuchen, Maßnahmen zu setzen, um ArbeitnehmerInnen die richtige Balance zwischen Beruf und Familie zu ermöglichen. Laut eigenen Angaben bietet Microsoft Österreich unterschiedliche Arbeitszeitmodelle an – ganz nach dem Motto: „My office is where I am.“ Durch den Einsatz von innovativen Technologien besteht die Möglichkeit, völlig ortsunabhängig zum Beispiel im Home-Office zu arbeiten. Die Gewerkschaft GPA-djp sieht bei diesem Modell einige Vorteile für die ArbeitnehmerInnen. „Beschäftigte sind freier in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und können daher ihren Arbeitsalltag oft leichter organisieren. Fahrtzeiten und verkehrsbedingte Zeitverluste werden geringer. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann dadurch einfacher werden“, erklärt Eva Angerler aus der Abteilung Arbeit und Technik in der GPA-djp.
Diese Form der Arbeit beinhalte aber Risiken. Um auf der sicheren Seite zu sein, rät die Gewerkschaft, die Rahmenbedingungen für die Telearbeit in einer schriftlichen Vereinbarung zu regeln und nicht zwischen Tür und Angel unverbindlich zu besprechen. Dazu bietet die GPA-djp Musterbetriebsvereinbarungen an. Dort finden sich Bestimmungen darüber, wer welche Arbeitsmittel zur Verfügung stellt bzw. wer die Kosten dafür trägt. Enthalten sind auch Vereinbarungen, wie die betrieblichen Daten einerseits und die Privatsphäre der (Tele-)ArbeitnehmerInnen andererseits geschützt werden und wer für Schäden an den Arbeitsmitteln aufkommt. Wie der IT-Konzern bietet auch der Handelsriese Billa seinen MitarbeiterInnen, von denen knapp 60 Prozent in Teilzeit arbeiten, neben Gleitzeit auch die Möglichkeit von Home-Office. Zusätzlich erfolgt die individuelle Arbeitszeiteinteilung in Absprache mit der Führungskraft, die bei familiären Herausforderungen spontan reagieren kann und soll. Dazu wurde eine eigene Infobroschüre erstellt. 

Armutsgefährdung verhindern
Teilzeitarbeit ist in bestimmten Lebensphasen eine wichtige und sinnvolle Alternative zur Vollzeit. Um echte Chancengleichheit am Arbeitsmarkt vorzufinden, darf sich Teilzeit aber in Zukunft nicht weiter negativ auf die Karriere auswirken – und sie darf nicht dazu führen, dass ArbeitnehmerInnen deshalb armutsgefährdet sind. Unternehmen müssen Teilzeitbeschäftigten auch einen Entwicklungsraum bieten und den Arbeitsalltag so organisieren, dass der Austausch im Team trotz Teilzeitarbeit nicht zu kurz kommt.

Kinderbetreuung ausbauen
Damit Frauen, die vor allem von Teilzeit betroffen sind, die freie Wahl haben, sind Maßnahmen wie flächendeckende und leistbare Kinderbildungseinrichtungen notwendig. Denn auch wenn Teilzeit die gewünschte Arbeitszeit ist, ist sie nicht immer umsetzbar. Die Arbeitswelt ist komplexer geworden und verlangt auch von Teilzeitbeschäftigten Flexibilität. „Es ist höchste Zeit, den flächendeckenden Ausbau der Kinderbildungseinrichtungen voranzutreiben“, fordert Anderl. „Alle Eltern, von Wien, Eisenstadt über Linz bis hin zu Bregenz, müssen die gleichen Voraussetzungen vorfinden, um ihrer Beschäftigung nachgehen zu können, ohne sich ständig Gedanken machen zu müssen, wer die Betreuung der Kinder übernimmt. Dazu gehören auch bedarfsorientierte Öffnungszeiten, auch in den Sommermonaten, die das ermöglichen.“

Nachlese
Arbeit&Wirtschaft 09/2013:
„Die doppelte Pfeilspitze aus Simmering“

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427292 Teilzeitbeschäftigung boomt hierzulande, allerdings aus den falschen Gründen: Weil sie erzwungen wird oder wegen mangelnder Kinderbetreuungseinrichtungen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427219 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426255 Die Zeitspende macht Pause Im Arbeitsrecht sind Pausen klar geregelt. Diese Regelungen gelten für bezahlte Erwerbsarbeit. Aber wer will schon solche Vorschriften für die unbezahlte Arbeit zu Hause? Wenn es weder Chef noch Chefin gibt, kann man doch eh Pause machen, wann immer man will. Oder etwa nicht? Für Menschen, die sich ausschließlich der Hausarbeit widmen, mag das stimmen. Aber die Spezies der Hausfrau ist eine vom Aussterben bedrohte Gattung, während die der Hausmänner noch immer eine vernachlässigbar winzige Nische der sozialen Evolution ist. Trotzdem – oder vielleicht deswegen – sieht die Journalistin Sabine Rückert in der Hausfrau eine „Entschleunigungsfigur von einer fast philosophischen Dimension“. Der Grund: Sie hat Zeit.

Stressfaktoren
Was sie aber in der Regel nicht hat, ist Geld. Zumindest kein eigenes. Es sei denn, sie hat reich geerbt oder den Lotto-Jackpot geknackt. Anderen Menschen bleibt für die Beschaffung von Geld nur, die eigene Arbeitskraft zu Markte zu tragen. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn der Job Spaß macht, anständig bezahlt ist und unter zumutbaren Bedingungen stattfindet. Die Crux daran ist, dass selbst ein solcher Job ganz schön Stress machen kann – wenn zu dieser bezahlten Arbeit auch noch unbezahlte dazukommt. Das ist erst recht dann der Fall, wenn diese nicht in Gestalt vergleichsweise geduldiger Schmutzwäsche oder eines stillen staubigen Bodens daherkommt, sondern als sehr viel nachdrücklichere und aufgeweckte Dreijährige oder als mit den Aufgaben überfordertes Schulkind. Oder aber auf möglicherweise leisere, aber nicht weniger dringliche Art als pflegebedürftige Mutter.

Zauberwort
Dann kommt das Zauberwort der Vereinbarkeit ins Spiel. Und spätestens dann wird es bisweilen richtig schwierig. Denn Pausen sind bei allen Tätigkeiten unerlässlich. Beziehungen machen aber keine Pause. Trotzdem braucht die Beziehungsarbeit sehr wohl Unterbrechungen. Niemand kann 24 Stunden am Tag liebevoll und fürsorglich sein. Wenn diese 24 Stunden außerdem noch gut gefüllt sind mit Erwerbsarbeit, Wegzeiten, Hausarbeit und Alltagsorganisation, kann der Schalter für den Fürsorgemodus auch schon einmal ein wenig klemmen. Vor allem dann, wenn zwischen all diesen Dingen keine Pausen mehr sind, keine Zeit zum Durchschnaufen und auch kein Augenblick, um sich einfach einmal auf sich selbst zu konzentrieren.
Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Marketagent.com ist nur jede oder jeder Siebente der Meinung, dass sich Familie und Beruf (eher) gut miteinander vereinbaren lassen. Andere sehen das noch drastischer. Die beiden Väter und Journalisten Marc Brost und Heinrich Wefing sagen schlicht: „Es ist die Hölle.“ Und der Berliner Soziologe Hans Bertram nennt uns „die überforderte Generation“.
Da ist vielleicht etwas dran, denn in Summe wird ganz schön viel gearbeitet: Erwerbstätige Frauen bringen es insgesamt auf 66 Stunden in der Woche, erwerbstätige Männer liegen mit 64 Stunden nur knapp darunter – Wegzeiten nicht eingerechnet. Die Aufteilung zwischen bezahlt und unbezahlt variiert zwischen den beiden Geschlechtern allerdings beträchtlich. Während Frauen vier von zehn Stunden ohne Bezahlung erbringen, sind es bei Männern nur 2,5. Im Freiwilligenbereich läuft unbezahlte Arbeit für andere oft unter dem Titel „Zeitspende“. Frauen sind in diesem Sinne sogar großzügige Zeitspenderinnen. Zudem zeigen Studien, dass sich Männer im Konfliktfall für die bezahlte Erwerbsarbeit entscheiden, Frauen für die „Familienarbeit“. Der Spagat zwischen den beiden Arbeitswelten ist also noch immer eine weibliche Domäne.

Ausbildung „umsonst“?
Frauen bleiben in der radikalen Variante zwei Möglichkeiten: sich als revolutionäre Hausfrau und Mutter die Zeit für Muße zu verschaffen – allerdings um den Preis, die eigene, oft hervorragende Ausbildung „umsonst“ gemacht zu haben und sich in die wirtschaftliche Abhängigkeit zum Partner zu begeben. Der sollte dabei auch mitspielen, genug verdienen, nicht länger krank oder arbeitslos werden und sich bitte auch nicht trennen. Sonst wird es nämlich auch für diese Frauen ungemütlich. Theoretisch hätten Männer diese Option auch, in der Praxis findet sie aber kaum Anwendung.
Die andere Variante ist, auf Kinder zu verzichten und möglichst auch auf pflegebedürftige Verwandte. Wer sich in keinem der beiden Modelle wiederfindet, dem bleibt nur noch, es – allen Unkenrufen zum Trotz – doch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu versuchen. Dabei ist es kaum hilfreich, dass nicht nur die Zeit mit immer mehr Aktivitäten gefüllt wird und das Einfach-einmal-Nichtstun zunehmend verschwindet. Noch dazu wird das Tun selbst immer schneller. Dabei kann ein einzelner Bereich nicht losgelöst vom sonstigen Umfeld betrachtet werden. Gesellschaften haben ihre eigene Grundgeschwindigkeit – und die ist in einem modernen, hoch technologisierten Umfeld viel schneller als in einem landwirtschaftlich geprägten Land, wie es Österreich vor nicht allzu langer Zeit war.

Steigender Arbeitsdruck
Vor rund 150 Jahren war Österreich ein Agrarland, in dem 75 Prozent der Bevölkerung dem Bauernstand (Bauern) angehörten; heute sind es magere drei Prozent. Stattdessen sind zwei Drittel der Männer und vier Fünftel der Frauen im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Als KundInnen wollen wir dort prompten Service, kurze Reaktionszeiten auf unsere Anfragen und möglichst spontan entscheiden, wann wir einen Service in Anspruch nehmen. Für Beschäftigte bringt das – verknüpft mit immer mehr Aufgaben für immer weniger Personal – steigenden Arbeitsdruck. Das betrifft fast alle Bereiche der bezahlten Arbeit. Unter dem Titel Wettbewerbsfähigkeit sind immer stärkere Rationalisierungen verbunden mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit an der Tagesordnung. Für die Beschäftigten erhöht sich damit die Geschwindigkeit, mit der Tätigkeiten erfüllt werden müssen, immer weiter.

Schnelleres Privatleben
Das beschleunigt auch unser Privatleben, weil es fast unmöglich ist, das Arbeitstempo vor der Wohnungstür abzugeben. Nur wenige beherrschen die Kunst, aus der Taktung, in der sie den ganzen Tag gearbeitet haben, am Abend einfach auszusteigen. Darüber hinaus verändern sich auch die Erwartungen an unbezahlte Arbeit. Die Kriterien der Effizienz, die den Erwerbsalltag beherrschen, sickern so tief ins Bewusstsein, dass sie auch unsere Vorstellungen über unbezahlte Arbeit beeinflussen. Dann gießt auch noch die Technisierung zusätzlich Öl ins Beschleunigungsfeuer, weil zwingende Wartezeiten wegfallen. Stundenlanges Kochen? Fertigprodukte und Mikrowelle machen das nicht mehr notwendig. Warten, bis die Wäsche trocken ist? Der Trockner regelt das zeitlich punktgenau. Dinge, die Entlastung versprochen haben, treiben die Spirale eigentlich noch ein wenig weiter.
Zumeist wollen wir das auch so. Warten ist eine Zumutung. So empfinden wir es jedenfalls. Dass es eine Pause sein kann, können wir kaum noch wahrnehmen. Aber der Stress versickert nicht auf Kommando, wenn es gerade einmal ein paar Sekunden ruhiger wird. Es braucht insgesamt eine Entschleunigung und echte Pausen, aus denen man Erholung schöpfen kann.
Was also tun? Es nützt alles nichts: Die alten Forderungen gelten noch immer. Notwendig ist eine Entlastung von unbezahlter Arbeit – und eine fairere Aufteilung zwischen Frauen und Männern. Also wieder: Ausbau von Elementarbildung und Kinderbetreuung, mobiler und stationärer Pflege und Anreize für partnerschaftliche Teilung von Familienarbeit. Es wird aber auch nicht ohne Entlastung von bezahlter Arbeit gehen, sprich ohne eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit.
Für uns selbst können wir inzwischen über Entschleunigung durch unbezahlte Arbeit nachdenken und uns Dinge ins Leben holen, die einfach Zeit brauchen: Pflanzen im Garten wachsen lassen, richtig kochen ohne Mikrowelle und Fertigprodukte, Wäsche in der Sonne trocknen statt in der Metalltrommel. Zum Greißler spazieren statt mit dem Auto zum Hypermarkt zu stauen. Kleine stille Revolutionen im Alltag. Unter dem Motto: Der Stress hat jetzt Pause.

Blogtipp
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/gesucht-frau-mit-kind-in-vollzeit/

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sybille Pirklbauer, Abteilung Frauen und Familie der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427281 Frauen erbringen vier von zehn Stunden ohne Bezahlung, bei Männern sind es nur 2,5. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426247 Pausen(t)räume Open House im Microsoft-Headquarter: Der Andrang ist groß, Menschen aller Altersgruppen besichtigen die 2011 neu gestalteten Räumlichkeiten in Wien-Meidling. Klassische (Großraum-)Büros gibt es nur wenige, denn die meisten Microsoft-Beschäftigten arbeiten mobil. Ruhe- und Arbeitszonen sind dank Accessoires wie Buddha-Statuen, Sitzsäcken oder bunten Hockern meist nicht eindeutig zu unterscheiden – die perfekte architektonische Umsetzung der entgrenzten Arbeitswelt. Für Staunen sorgt ein in Schwarz gehaltener, kleiner fensterloser Raum, der nur mit Chaiselongue möbliert und mit bunten LED-Leuchten spärlich beleuchtet ist. Hierher können sich all jene vorübergehend zurückziehen, die sich angesichts von durchgehenden Fensterfronten sowie transparenten Türen und Trennwänden in den Loft-ähnlichen Räumen allzu sehr beobachtet fühlen.

Arbeitsstättenverordnung
Abseits der neuen Welt der Arbeit mit Designermöbeln, Desk-sharing und Darkroom gibt es auch einige Unternehmen, die es ganz anders versuchen. Dort machen beispielsweise alle MitarbeiterInnen gleichzeitig Mittagspause und kochen bzw. essen gemeinsam. In manchen Firmen soll das sogenannte Power-napping in speziellen Ruheräumen durchaus möglich sein. Der Bogen in puncto Pausenkultur reicht von Vorzeigeprojekten bis zum spartanischen Sozialraum mit Holzbänken, Neonlicht und Kalenderblättern an der Wand.
Laut Arbeitsstättenverordnung sind Aufenthaltsräume dann zur Verfügung zu stellen, wenn regelmäßig gleichzeitig mehr als zwölf ArbeitnehmerInnen anwesend sind, die nicht den überwiegenden Teil ihrer Arbeitszeit an auswärtigen Arbeitsstellen oder Baustellen verbringen. Unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten sind – sofern kein anderer Raum zur Erholung oder zum Essen vorhanden ist – Aufenthaltsräume zur Verfügung zu stellen:
•  für ArbeitnehmerInnen, die mehr als zwei Stunden pro Tag im Freien beschäftigt werden;
•  für ArbeitnehmerInnen, die in Arbeitsräumen beschäftigt werden, die nicht zur Erholung oder zur Einnahme von Mahlzeiten während der Arbeitspausen geeignet sind (z. B. wegen Lärm, Erschütterungen, üblen Gerüchen, Schmutz, Staub, Hitze, Kälte, Nässe oder gefährlichen Arbeitsstoffen).
Die Verordnung legt außerdem ziemlich genau fest, wie diese Aufenthaltsräume hinsichtlich Größe, Helligkeit, Temperatur oder Luftqualität beschaffen sein sollten. Im Übrigen gelten für Bereitschaftsräume ähnliche Vorschriften.

Verbesserungsbedarf
Während es in größeren Unternehmen und Organisationen zum Teil sowohl eine Kantine als auch eine Teeküche bzw. einen Pausenraum gibt, ist die Situation in manchen Branchen und Betrieben durchaus verbesserungswürdig. In vielen Einkaufszentren gibt es keine Pausen- oder Aufenthaltsräume für die Angestellten. Die Center-Restaurants stellen keinen gleichwertigen Ersatz dar. „Vor allem bei Tätigkeiten mit Kundenkontakt sind Zeiten, wo man sich zurückziehen kann und seine Ruhe hat, der ständigen Musikberieselung entfliehen kann, unentbehrlich“, so Psychotherapeutin Rotraud Perner. „Es mag sein, dass einem die Ruhe ungewohnt vorkommt. Aber das ist ähnlich wie bei Entzugserscheinungen: Nicht alles, was man vermisst, ist auch gesund.“
„Beschäftigte, die viel unterwegs sind, wie AußendienstmitarbeiterInnen oder etwa MitarbeiterInnen bei mobilen Pflegediensten, haben häufig weder die Zeit noch die Gelegenheit, in Ruhe Pause zu machen und sich eine halbe Stunde zu entspannen“, berichtet Isabel Koberwein, Arbeitszeit-Expertin der GPA-djp. „Das führt nicht nur zu erhöhten Stressbelastungen bei diesen Berufsgruppen. Es ist auch deshalb ungesund, weil die Möglichkeit, sich ausgewogen zu ernähren, deutlich eingeschränkt ist.“
Aber selbst wenn ein gut ausgestatteter Pausenraum vorhanden ist, gibt es Gründe, diesen nicht zu nutzen. Denn gar nicht so wenige ArbeitnehmerInnen finden wegen erhöhten Arbeitsanfalls oder starken Kundenandrangs keine Zeit für eine längere Pause. Laut IFES-Umfrage hält rund ein Viertel der Beschäftigten höchstens gelegentlich die Pausenzeiten ein. Oft muss dann ein schneller Snack direkt am Arbeitsplatz reichen. Diese Art der „Pausenabstinenz“ geschieht übrigens meist aus Pflichtbewusstsein und nur selten auf Anordnung von Vorgesetzten.
In größeren Gebäudekomplexen sind manchmal die Wege zu den Pausenräumen relativ lang, sodass die Räumlichkeiten nicht ausreichend genutzt werden. „Da kann der Pausenraum noch so gut gestaltet sein: Wenn man für Hin- und Rückweg insgesamt 10 von 30 Minuten einkalkulieren muss, dann wird die Pause eben anderswo verbracht oder überhaupt verkürzt“, weiß Isabel Koberwein.

Optimal ausgestattet
Besonders in modernen, offenen Bürolandschaften sind Rückzugsmöglichkeiten, die tatsächlich Abstand von Stress und Hektik bieten können, essenziell. Neben Basics wie Sitzgelegenheiten, Kaffeemaschine oder Mikrowelle gibt es viele Möglichkeiten, Sozialräume ansprechend und den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. So kann man Gelegenheiten zur Verfügung stellen, um Smartphones aufzuladen, WLAN anbieten sowie Tageszeitungen und Fachzeitschriften auflegen. Eine gut sichtbare Uhr sorgt dafür, dass trotz ansprechendem Ambiente nicht auf die Zeit vergessen wird. Auch eine angenehme Farbgestaltung kann viel ausmachen: Geschmäcker sind zwar verschieden, aber trotzdem müssen nicht immer Grau, Schwarz und Beige dominieren. Ein Nonplusultra an Entspannung bieten Massagesesseln oder -auflagen. Auch die Ausstattung eines Raums mit Holz hat positive Wirkungen auf die Gesundheit. In einer Pilotstudie des Instituts für Nichtinvasive Diagnostik am Forschungszentrum Joanneum stellte sich heraus, dass durch Holz der Stresslevel sinkt und damit auch der Puls (minus sechs Schläge pro Minute).

Großzügige Begrünung
Pflanzen verbessern nicht nur die Luftqualität, mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass sich Menschen in „grüner“ Umgebung wohler fühlen und produktiver sind. Wo Ficus, Fensterblatt, Grünlilie und Co direkt am Arbeitsplatz nicht möglich sind (etwa in Produktionsbetrieben), wäre die großzügige Begrünung des Pausenraums daher besonders empfehlenswert.
BetriebsrätInnen haben ein Mitspracherecht bei der Gestaltung von Pausen- und Bereitschaftsräumen. Das gilt nicht nur für Neubauten und Adaptierungen. Wer hier für die KollegInnen etwas verbessern möchte, wird durch eine (anonyme) Umfrage nach Wünschen für den optimalen Pausenraum sicher einige Anregungen bekommen. Denn was nützt der teuerste Kaffee-Vollautomat, wenn die meisten Beschäftigten womöglich lieber Tee trinken? Anschaffungen, die an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden vorbeigehen, kommen teuer und sorgen unter Umständen sogar für Unmut, weil sich manche dadurch vielleicht übergangen fühlen.
„Dafür haben wir jetzt nicht die Mittel“ ist ein häufiges Argument gegen Veränderungen. Horst Stöbich, Betriebsrat in Oberösterreich, hat sich gemeinsam mit seinen KollegInnen erfolgreich für den Erhalt des Team-Pausenraums in einem Wohnheim für mehrfach behinderte Menschen eingesetzt. Der liebevoll eingerichtete Raum sollte dem Büro des neuen Wohnheimleiters weichen und in den Keller verlegt werden. „Wie überall im Sozialbereich ist auch bei uns das Geld knapp und größere Investitionen waren im Budget nicht eingeplant. Aber letztendlich haben wir erreicht, dass durch einen Holzanbau über einer ungenützten, renovierungsbedürftigen Terrasse zusätzlich Raum geschaffen wurde und unser Pausenraum erhalten geblieben ist.“ Horst Stöbich (ARCUS Sozialnetzwerk) erhielt 2011 den ersten Preis beim GPA-djp-Fotowettwerb „Mein Pausen(t)raum“.

Linktipps
Arbeitsstättenverordnung:
www.arbeitsinspektion.gv.at/astv/astv.htm
Praxisbeispiel für optimale Pausenraumgestaltung:
tinyurl.com/odobybl

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427263 Pflanzen verbessern nicht nur die Luftqualität, Menschen fühlen sich in grüner Umgebung wohler und sind auch produktiver. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427214 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426210 Zum Davonlaufen Geiz und Gier an oberster Stelle: Diesen Eindruck könnte man zumindest gewinnen, wenn man sich das Verhalten so mancher GastronomInnen ansieht. Ein Promi-Wirt und Hobby-Rennfahrer kündigt einen Mitarbeiter, weil dieser selbst erworbene Erdbeeren mit rund 50 Gramm Betriebs-Zucker bestreut. Ein ebenso unter Prominenten beliebter Gastronom und Unternehmer bezahlt MitarbeiterInnen seiner Bahn-Catering-Firma nach dem ungarischen Lohnsystem – allerdings legt der betreffende Zug den überwiegenden Teil der Fahrstrecke in Österreich und Deutschland zurück.

Schlechter Ruf
„Unsere Branche hat einen schlechten Ruf“, weiß Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida. Er kennt die schwierigen Arbeitsbedingungen, die oftmals dem Anspruch Österreichs als Qualitätstourismusland – und den dafür verlangten Preisen – diametral entgegenstehen. Neben schlechten Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen ist ein Job in der Gastronomiebranche obendrein ein Freizeit- und Familienkiller. Dienste wie freie Tage werden von manchen Chefs willkürlich festgelegt und wieder verschoben – eine Absprache mit den MitarbeiterInnen findet kaum statt.
„Unter den Betrieben gibt es schwarze Schafe, die das schnelle Geld wittern, aber nicht an die Zukunft denken“, kritisiert Gewerkschafter Berend Tusch. Bei manchen Unternehmen ist die Ausbeutung von Personal bereits System. Gerne werden Menschen eingestellt, die von Personalbereitstellungsfirmen an die Unternehmen verwiesen werden. Viele von ihnen sind ArbeitnehmerInnen aus dem osteuropäischen Raum. Sie sind bereit, Extremes zu leisten, nur selten hinterfragen sie, was ihnen tatsächlich zusteht. Besonders trifft es etwa Frauen in der Zimmerreinigung. „Durch die Personaldienstleister trägt das Hotel kein Risiko. Es ist egal, ob jemand krank oder schwanger ist oder sonst etwas nicht passt – die betreffende Mitarbeiterin wird einfach wieder zurückgeschickt“, ärgert sich Tusch. Sehr ähnlich verhält es sich in den Hotelküchen und mit dem Frühstücksservice-Personal. Auch hier werden die ArbeitnehmerInnen von Firmen bereitgestellt.
Ein Viersternehotel nahe der Innenstadt verlangt stolze Preise, lässt aber zugleich Küchen-, Servier- und Reinigungskräfte billig schuften. Bewusstes Hotel hat einige Standorte in Österreich und auch im Ausland. Hotel- und Gastronomiebetriebe können Beschäftigte punktgenau nach ihrer Belegung einsetzen – wer nur im Bereitschaftsdienst ist, hat es auch deshalb schwer. Zu Recht ist die Gastronomie als sogenannte Fluchtbranche bekannt. Ein Großteil der ArbeitnehmerInnen nutzt sie als Übergang und versucht, so schnell wie möglich in anderen Branchen unterzukommen. Derzeit gilt: In der Branche ist ein hoher Anteil an Hilfskräften beschäftigt.
Der Vorsitzende des Fachbereichs Tourismus will jedoch den Ruf der Gastronomie und Hotellerie entscheidend verbessern. „Über kurz oder lang hilft nur eine bessere Ausbildung, ordentliche Bezahlung und Wertschätzung“, ist Tusch überzeugt. Nur durch Loyalität können MitarbeiterInnen länger in dieser Branche gehalten werden. Kein einseitiges Ausnutzen, sondern eine Balance von Geben und Nehmen müsse verankert werden. Das Personal in der Gastronomie und Hotellerie agiert äußert flexibel, dasselbe wäre auch von den jeweiligen Unternehmen zu erwarten, meint Tusch: „Wenn man einen überdurchschnittlichen Einsatz erwartet, dann muss es auch eine entsprechende Abgeltung geben. Es muss nicht unbedingt Geld sein, die Leistung könnte auch in Freizeit abgegolten werden.“

Alternative
Anstelle des Garantielohnsystems, das zu einem großen Teil vom Nettoumsatz abhängig ist, fordert die vida schon lange das Festlohnsystem. Nun ist es endlich in Kraft getreten. „Das Festlohnsystem garantiert den Beschäftigten einen höheren Grundlohn. Sie sind nicht länger vom Umsatz abhängig, der mit dem Verkauf von Speisen und Getränken erzielt wird – und damit auch nicht mehr von Gegebenheiten wie dem Wetter.“ Die grundlegende Veränderung für die MitarbeiterInnen lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Sicherheit. Denn endlich wissen sie zu Beginn des Monats, womit sie am Monatsende rechnen können. Zudem bedeutet das Festlohnsystem ein planbares Urlaubsgeld, finanzielles Überleben während eines Krankenstandes und auch einen Fixbetrag für die Pensionskasse. Ein weiterer Nachteil des bisherigen Garantielohnsystems: Es ist für Firmen mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden – die Einstufung der MitarbeiterInnen war teilweise kaum nachvollziehbar.

Überholte Hierarchien
Auch im Kollektivvertrag wurden die Beschäftigungsgruppen neu definiert. Schließlich hat sich in den vergangenen Jahren auch die Arbeitsaufteilung stark verändert. „Klassische Hierarchien, wo es einen Oberkellner gibt, der nur für das Kassieren zuständig ist, und Zuträger und Abservierer im Dienst sind, gibt es kaum mehr“, so Tusch. Heute gibt es vor allem gleichrangige ServicemitarbeiterInnen. Ebenso haben sich die Rollen in der Hotellerie verändert. Frühstück wird nicht mehr serviert, sondern die Gäste bedienen sich selbst. Berend Tusch: „Dafür werden allerdings weniger qualifizierte Kräfte gebraucht.“ Die Neuerung im Kollektivvertrag sieht vor, dass es nun fünf Beschäftigungsgruppen gibt, die allein durch ihre Tätigkeit und nicht durch ihre Bezeichnung definiert sind. Fachkräfte werden im Kollektivvertrag deutlich von Hilfskräften unterschieden.
Der neue Festlohn gilt immerhin bereits in den Bundesländern Wien, Niederösterreich und seit Kurzem auch wahlweise in der Steiermark. Die anderen Bundesländer, allen voran die Tourismushochburgen wie Salzburg, Kärnten, Tirol und Vorarlberg, fehlen noch. Ein Grund dafür ist die unterschiedliche Bezahlung. Die Kollektivverträge haben bisher auf bundesländerspezifische Eigenheiten Rücksicht genommen. Etwa, dass der Westen sehr von der Sommer- und Winter-Tourismus-Saison abhängig ist. „Die Bundesländer müssen langsam angeglichen werden“, führt Tusch aus. Kurios ist auch die Situation am Semmering. Wer dort auf der steirischen Seite mit dem Kellnern anfängt, verdient 1.400 Euro brutto. Wird der Dienst auf der niederösterreichischen Seite ausgeübt, starten Betroffene hingegen mit einem Gehalt von 1.620 Euro brutto.
Ebenfalls geändert wurde der Durchrechnungszeitraum, für Vollzeitkräfte wurde er von 13 auf 26 Wochen erhöht. Darüber hinausgehende Überstunden müssen finanziell abgegolten werden, auch ist ein Zeitausgleich nur innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes möglich. Es bleibt Unternehmern weiterhin überlassen, ob sie ihre MitarbeiterInnen am Umsatz beteiligen, doch die untersten Lohngruppen sind nunmehr abgesichert. „Das ist uns ganz wichtig“, sagt Tusch. Bis 2018 soll der Mindestlohn von derzeitig 1.400 Euro auf 1.500 Euro erhöht werden.

Alltäglicher Stress
Trotz allem ist es nicht leicht, in dieser Branche zu arbeiten. Stress ist alltäglich, gleichzeitig ist es besonders wichtig, freundlich zu den Gäste zu sein. Das kann auf Dauer schwierig werden. „Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit“, ist sich Tusch sicher und fordert die Betriebe auf, mehr Beschäftigte einzustellen. Die Weltwirtschaftskrise hat die Gastronomie empfindlich getroffen – aus einem Übergangszustand, als zahlreiche Unternehmen in Bedrängnis waren und von ihrem Personal durch finanziellen Verzicht unterstützt wurden, ist eine Dauerlösung geworden.
Einerseits gibt es im Tourismus mittlerweile Nächtigungsrekorde und Österreichs Stellenwert als Tourismusland ist weltweit hoch – die Arbeitsbedingungen aber haben sich dem ganz und gar nicht angepasst. „Was vor der Krise zwei bis drei Menschen erledigt haben, das macht jetzt einer“, erklärt der Vorsitzende des Fachbereichs Tourismus. Vergessen werde gerne, dass Gäste vor allem Aufmerksamkeit benötigen. Gut betreute Menschen, perfekter Gastgeber mit Charme – diese Arbeit ist in Zeiteinheiten schwierig zu definieren.
Unternehmen versuchen allerdings, die aufgewendete Betreuungszeit zu begrenzen – einerlei, ob im Hotel-Check-in oder bei der Kommunikation mit Gästen. „Wir sind aber kein Produktionsgewerbe, wo Maschinen auf- und abgedreht werden. Bei uns im Tourismus zählt die zwischenmenschliche Ebene – und die nimmt nun einmal mehr und einmal weniger Zeit in Anspruch. Das kann nicht einfach durch eine Kalkulation berechnet werden.“

Linktipp
vida-Umfrage:
tinyurl.com/ojn83q2

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen resei@gmx.de und sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Christian Resei/Sophia T. Fielhauer-Resei, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427249 Die Arbeitsbedingungen im Tourismus sind schlecht - paradoxerweise. Denn im Tourismus zählt die zwischenmenschliche Ebene. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426192 Arbeiten nach Maß Im Jahr 1930 prophezeite John Maynard Keynes, dass sich die Wirtschaftsleistung innerhalb von 100 Jahren auf das Vier- bis Achtfache erhöhen würde. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden würde ausreichend sein, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Durch die gewonnene Freizeit hätten alle mehr Zeit für soziale Beziehungen, menschliche Erkenntnis und Muße. Bis heute ist die Weltwirtschaft tatsächlich enorm angewachsen – besonders nach 1946. Von einer so drastischen Verkürzung der Arbeitszeit, wie Keynes sie prognostiziert hatte, sind wir jedoch weit entfernt.
Im Jahr 2014 arbeiteten Vollzeitbeschäftigte in Österreich durchschnittlich 43 Stunden pro Woche – ein Spitzenwert in Europa. Ebenfalls auf Platz zwei ist Österreich mit einer Teilzeitquote von 48 Prozent bei den weiblichen unselbstständig Erwerbstätigen. Die allgemeine Arbeitslosenquote betrug 2014 durchschnittlich fünf Prozent. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten hat nach der Arbeit (fast) keine Energie mehr für private Angelegenheiten. Während also bei so manchen Stress und Überstunden an der Tagesordnung sind, arbeiten viele (unfreiwillig) nur Teilzeit und immer mehr sind auf Jobsuche.

Flexibilisierung für wen?
Die Flexibilisierung hat zwar, etwa in Form der Gleitzeit, auch positive Auswirkungen für ArbeitnehmerInnen, gleichzeitig aber hat sie nicht selten für noch mehr (unbezahlte) Überstunden gesorgt. Zum Teil unterscheidet sich die gelebte Praxis doch ziemlich von der Theorie. Denn selbst bei Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen haben 10 bis 15 Prozent der einfachen und qualifizierten Angestellten nie die Möglichkeit, den Arbeitsbeginn zu variieren, wie sich im Zuge einer Studie der Uni Graz zeigte.
Flexibilisierung führt also nicht automatisch zur Individualisierung der Arbeitszeit. Wie weit Beschäftigte ihre Arbeitszeiten tatsächlich mitgestalten können, scheint sehr von den alltäglichen Erfordernissen bzw. von den Vorgesetzten abzuhängen. Auch bei Unternehmen mit fixen Arbeitszeitmodellen geben mehr als drei Viertel an, dass es zumindest in Ausnahmefällen bzw. nach Absprache für die Beschäftigten möglich ist, den Arbeitsbeginn zu variieren.
Ob Kinderbetreuung, Pflege, Weiterbildung, Fernweh oder einfach das Bedürfnis nach Erholung – viele Beschäftigte wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. (Frei-)Zeit gilt längst als wertvolles Gut. „Kein Geld der Welt kann Freizeit aufwiegen“: Dieser Meinung sind 39 Prozent der ArbeitnehmerInnen laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage von karriere.at. Fast genauso viele (36 Prozent) finden, dass Urlaubstage ein optimaler Benefit sind – wenn die Bezahlung ansonsten in Ordnung ist. Nur 15 Prozent der Befragten tendieren eher zu Geld als Extra-Leistung des Unternehmens, schränken aber ein, dass sich die dafür nötigen Überstunden im Rahmen halten müssen.
Derzeit werden hauptsächlich fünf verschiedene, (eher) an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientierte Modelle zur flexibleren Gestaltung von (Lebens-)Arbeitszeit praktiziert. Eines davon ist die Solidaritätsprämie: Wenn ein/e Beschäftigte/r die Arbeitszeit reduzieren möchte, dann fördert das AMS die Einstellung einer zusätzlichen Arbeitskraft im Ausmaß der Reduktion. Möglich ist eine Reduzierung um bis zu 50 Prozent, wobei sich das Gehalt nur um die halbe Stundendifferenz verringert. Das AMS finanziert die „Überzahlung“ der zeitreduzierten Arbeitskraft inklusive dafür anfallender Lohnnebenkosten. Laufzeit: zwei Jahre, ist die Ersatzarbeitskraft älter als 45, sind es drei Jahre.

Freizeitoption
Eine andere Variante ist die Freizeitoption: Die seit 2013 in einigen Branchen-Kollektivverträgen ausgehandelte Möglichkeit, statt mehr Einkommen mehr Freizeit zu bekommen, ist bei Jung und Alt gut angekommen. Insgesamt hat jede/r zehnte Beschäftigte diese Möglichkeit gewählt. Die meisten haben die neue Freizeit angespart und noch nicht verbraucht. Rund die Hälfte wollen diese für die Pension aufheben. Leider hat die Arbeitgeber-Seite darauf bestanden, dass die Option nur einmal je ArbeitnehmerIn in Anspruch genommen werden kann.
Vor allem MitarbeiterInnen im öffentlichen Dienst können ein Sabbatical in Anspruch nehmen. Sie können eine sechs und zwölf Monate dauernde Auszeit vom Berufsleben in Anspruch nehmen. ArbeitnehmerInnen haben keinen Rechtsanspruch darauf, einige Unternehmen geben ihren MitarbeiterInnen diese Möglichkeit allerdings. Im Gegensatz zum Erholungsurlaub wird das Sabbatical nicht bezahlt, vielmehr werden die Bezüge innerhalb einer bestimmten Zeit gekürzt. Beispielsweise kann man die Bezüge über einen Zeitraum von fünf Jahren auf 80 Prozent des regulären Einkommens reduzieren, verbunden mit einer einjährigen Freistellung vom Dienst. Eine Rückkehr an den ursprünglichen Arbeitsplatz ist nach Ende des Sabbaticals vorgesehen.

Neuer Schwung und neues Wissen
Immer größerer Verbreitung erfreuen sich Bildungskarenz und Bildungsteilzeit. Von dieser Möglichkeit machten etwa 2011 jeden Monat durchschnittlich 4.700 Personen Gebrauch. Die Dauer der Bildungskarenz kann zwischen zwei Monaten und einem Jahr betragen, Bildungsteilzeit dauert mindestens zwei Monate bis maximal zwei Jahre. Das Entgelt während dieser Zeit entspricht der Höhe des fiktiven Arbeitslosengeldes. Längere Auszeiten haben theoretisch den Vorteil, dass die ArbeitnehmerInnen danach mit neuem Schwung bzw. neuem Wissen zurückkehren.
Wenn Sabbatical oder Bildungskarenz allerdings in Wahrheit eine Art Flucht vor einem ungeliebten Job oder vor Burn-out darstellen, dann bleiben die positiven Effekte sowohl für die Betroffenen als auch für die Arbeitgeber mit hoher Wahrscheinlichkeit nur äußerst gering. Gut für die Work-Family-Balance sowie die Arbeitszufriedenheit sind Arbeitszeitkonten, zum Beispiel in Form von Gleitzeit mit Überstundenpauschale – bei bis zu zehn Überstunden pro Monat. Wichtig ist dabei, dass Beschäftigte über die Gestaltung der Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen können sowie zusätzliche Überstunden nur selten nötig sind und entsprechend bezahlt werden. Lebensarbeitszeitkonten, die ähnlich zentral verwaltet werden wie die Abfertigung, sind in Deutschland zum Teil bereits Realität. Seit 2009 werden die Konten nicht mehr in Stunden abgerechnet, sondern in Euro – inklusive Verzinsung.
Viele ArbeitnehmerInnen quer durch alle Branchen und Altersklassen wünschen sich eine flexible Arbeitszeitgestaltung, die sich nicht wie bisher hauptsächlich nach den Vorgaben der Unternehmen orientiert. Die Umfrage „Arbeitszeit 4.0“ von
work@professional, an der mehr als 2.600 Fach- und Führungskräfte teilnahmen, ergab: 60 Prozent der Befragten wünschen sich differenzierte Lebensabschnittsarbeitszeiten, mit denen es möglich ist, die Arbeitszeit individuell an veränderte Lebenssituationen (Kinderbetreuungspflichten, Weiterbildung, soziale Aktivitäten etc.) anzupassen.

Generation Z
Laut Trend- und Jugendforschung können sich die ab 1995 Geborenen besser gegen vermehrten Druck und das Eindringen der Arbeitswelt in das Privatleben abgrenzen. Im Vordergrund stehe die persönliche Einkommens- und Lebenslustmaximierung. Hart gearbeitet wird nur phasenweise und kurzfristig im Falle spannender Projekte. Für Sascha Ernszt klingt das allzu realitätsfremd und abgehoben: „Schön wär’s. Tatsächlich sind etwa Lehrlinge deutlich unter Druck, wenn sie wie beispielsweise bei Siemens schon am Anfang hören, dass nicht alle übernommen werden können.“ Der Druck wird von oben nach unten weitergegeben. Auch der Trend zu befristeten Jobs und Projektarbeiten sorge für Unsicherheit. „Reinhackeln bis zum Umfallen“ lautet dann für manche die Devise. „Sobald eine oder einer damit beginnt, am Freitag länger zu arbeiten, haben die meisten anderen das Gefühl, dass sie mitziehen müssen.“ An die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Stress, der auch nach Arbeitsschluss nicht ganz aufhört, weil berufliche Mails per Handy abgerufen und beantwortet werden, denken junge Menschen noch nicht.

Linktipps
Flexible Arbeitszeitmodelle in österreichischen Industriebetrieben, Diplomarbeit Heidemarie Buchinger, Kurzfassung unter
tinyurl.com/nk64vf6
GPA-djp: Arbeitszeit 4.0
tinyurl.com/ntgdc57
Arbeitszeitgesellschaft:
arbeitszeitgesellschaft.wildapricot.org

Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik (DGfZP):
www.zeitpolitik.de

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427235 "Kein Geld der Welt kann Freizeit aufwiegen": Dieser Meinung sind 39 Prozent der ArbeitnehmerInnen laut einer aktuellen Umfrage. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426184 Die gefährdete Zeitart Am siebten Tage sollst du ruhen“, heißt es in der Genesis. Judentum, Christentum und Islam kennen einen arbeitsfreien Tag. Bis ins 19. Jahrhundert war der „Tag des Herrn“ völlig arbeitsfrei. Mit der Maschinentaktung der Industrialisierung geriet der arbeitsfreie Sonntag immer stärker unter Druck, heute geht dieser Druck von der Liberalisierung und Digitalisierung aus. In manchen osteuropäischen Ländern ist die Sonntagsruhe nahezu völlig abgeschafft, andere wie Südtirol nehmen Öffnungsregelungen wieder zurück. Wie aktuell oder antiquiert ist die absolute Sonntagsruhe? Jedenfalls gehört der Kampf für einen arbeitsfreien Sonntag zu den zentralen gewerkschaftlichen und christlich-sozialen Anliegen

Kulturgut Sonntag
Takt und Rhythmus prägen die Natur (Tages-, Jahreszeiten), aber auch Kultur. „Feier- und Festtage sind schützenswerte Zeitarten, die immer stärker gefährdet sind“, meint Margit Schäfer vom Verein zur Verzögerung der Zeit. Der Sonntag ist ein letzter Rest vormoderner allgemeinen Feierkultur, weitgehend abgelöst durch eine individualisierte Freizeitkultur, vielleicht abgesehen vom Tatort-Krimi, der für viele fast ein Sonntagabendritual ist. Menschen brauchen Rituale. Der Sonntag hat viele hervorgebracht: Sonntagskleidung, -braten oder -spaziergang. Der Sonntagsspaziergang ist ein beliebtes Sujet der bildenden Kunst. Einprägsam karikiert Carl Spitzweg den Sonntagsspaziergang als Inszenierung bürgerlicher Familienidylle, die Kommunikationsarmut und männliche Dominanz zum Vorschein bringt. Der Kern bleibt positiv, nicht umsonst gibt es die Redewendung „dass etwas kein Sonntagsspaziergang gewesen ist“, um eine mühsame Angelegenheit zu beschreiben.

Sonntagsneurose
Doppelgesichtiger Sonntag: ein arbeitsfreier Feiertag, der zugleich andere Zwänge sichtbar macht. Der austro-ungarische Psychoanalytiker Sándor Ferenczi spricht von Sonntagsneurosen. 1919 beschreibt er in einem Aufsatz die sonntäglich wiederkehrenden Kopf- und Bauchschmerzen Jugendlicher, für die es keinen erkennbaren körperlichen Grund gibt. Befreit von den Fesseln, die uns Pflichten und Zwang auferlegen, mobilisiere diese innerliche Befreiung „Selbstbestrafungsfantasien“, die sich mit diesen Symptomen äußern. Der Neurologe Viktor E. Frankl erklärt die Sonntagsneurosen als mangelnde Sinnerfahrung, die Menschen an arbeitsfreien Tagen erfahren, indem sie in eine Art existenzielles Vakuum kippen.
„Wenn es nur einen Wert in meinem Leben gibt und ich mich neurotisch in meine Arbeit stürze als eine Flucht, dann ist der Entzug schmerzhaft“, so Harald Pichler vom Viktor Frankl Zentrum Wien. Nach 15 Jahren Managementerfahrung berät er heute Unternehmen, um Sinnfragen in die Firmenorganisation zu integrieren. Arbeitsfreie Zeit macht nicht alle Menschen glücklich. Überraschend ist, dass gerade Hochqualifizierte darunter leiden. Eine empirische Studie der Hamburger Wirtschaftswissenschafter Wolfgang Maennig und Malte Steenbeck wertete das Glücksverhalten von 34.000 Personen in einem Zeitraum von sechs Jahren aus. Bei Männern wie Frauen mit akademischer Ausbildung sinkt die Zufriedenheitsskala am Sonntag auf 7 ab, steigt am Montag – als glücklichster Tag der Woche – auf 7,2 an (Skalenwert 10 steht für sehr zufrieden). Der allgemeine Zufriedenheitswert liegt mit 6,8 bei wenig Qualifizierten deutlich darunter, rutscht aber sonntags kaum ab. Frauen aus dieser Gruppe sind mit 6,7 Punkten am Wochenende am unglücklichsten.

Krankmacher Sonntagsarbeit?
Ob Sonntagsneurose, -krankheit, -depression oder Sonntagabendsinnkrise: Auch wenn an diesem Tag gelitten und gestritten wird – arbeiten sollte man besser nicht. Das deutsche Bundesamt für Arbeitsschutz und -medizin ließ eine Studie über die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen langer Arbeitszeiten erstellen, rund 50.000 Menschen nahmen daran teil. Das Ergebnis: Sonntags- und Wochenendarbeit stellen einen zusätzlichen Belastungsfaktor für psychisch-vegetative Beeinträchtigungen dar, auch die negativen Folgen für das Sozialleben sind erheblich, so die Studienautorin Anna Wirtz. Maßgeblich ist aber die wöchentliche Gesamtarbeitszeit und mangelnde Planbarkeit. Denn allein an dem Tag kann es nicht liegen. In Gastgewerbe, Tourismus, Unterhaltungsindustrie, Gesundheitswesen, öffentlichem Verkehr ist sie selbstverständlich. „Arbeit am Sonntag kann nicht grundsätzlich schädigend sein. Sonst wäre ja jeder Landwirt im Burn-out. Wichtig sind Selbstbestimmtheit und Sinnorientierung in der Arbeit“, stellt Pichler fest. Geht es bei Sonntagsarbeit also vorrangig um die autonome Entscheidungsmöglichkeit? In Österreich gilt für Vollzeitbeschäftigte, die am Sonntag arbeiten, ein Ersatzruhetag unter der Woche. Warum gleicht diese individuelle Regelung die Bedeutsamkeit eines allgemein arbeitsfreien Sonntags nicht aus?

Sozialtag und Tag für Ehrenamt
„Die Gesellschaft braucht synchronisierte Freizeit“, betont Franz Georg Brantner, Sprecher der „Allianz für einen freien Sonntag“ und GPA-djp-Regionalvorsitzender von Wien. Seit 2002 setzt sich die Allianz für die sozialen wie religiösen Anliegen dieses arbeitsfreien Tages ein, mit wachsender Zahl europäischer BündnispartnerInnen. Der Sonntag als Tag geistiger Erbauung und der Beziehung: Bei zunehmend flexibler Arbeitszeitgestaltung, wo Freizeit und Begegnung auch organisiert sein wollen (und somit selbst zur Arbeit werden), schafft ein freier Sonntag gute Rahmenbedingungen.
Rund eine halbe Million ArbeitnehmerInnen arbeiten im Handel. In erster Linie betrifft die Sonntagsöffnung den Einzelhandel, aber nicht nur. Wird sonntags mehrheitlich gearbeitet, müssen auch Kinder außer Haus betreut werden. In der Mehrzahl betrifft auch das Frauen, die mit Sonntagsarbeit ein zusätzliches Vereinbarkeitsproblem schultern müssten. Neben den kirchlichen und gewerkschaftlichen AllianzpartnerInnen erklärt dies das Engagement des Vereins der AlleinerzieherInnen. Auch Vereine melden Bedenken an. Der österreichische Alpenverein, die Kinderfreunde oder der Österreichische Blasmusikverband: All diese Vereine brauchen einen freien Sonntag, sonst lässt sich ihre Tätigkeit kaum noch organisieren.

Wiener Gemütlichkeit
Anders als in vielen europäischen Großstädten sind in Wien die Geschäfte am Sonntag noch weitgehend geschlossen. Geht es nach dem Präsidenten der Wiener Wirtschaftskammer, soll die Einführung von Tourismuszonen diese auch in Österreich einmalige Position der Hauptstadt beenden. In festgelegten Tourismuszonen entlang touristischer „Hotspots“ wie der City, der inneren Mariahilfer Straße und Schönbrunn soll es Einzelhandelgeschäften erlaubt sein, am Sonntag zu öffnen.
Dieser Vorstoß stößt bei Weitem nicht bei allen auf Gegenliebe. Die Mehrheit der Bevölkerung, die betroffenen ArbeitnehmerInnen und auch viele Kleinbetriebe lehnen ihn vielmehr ab. Aus der Erfahrung der längeren Öffnungszeiten weiß man, dass das Geschäft nicht mehr wird, sondern sich nur mehr verschiebt. „Konzerne und die Einkaufszentren treiben die Debatte um die Sonntagsöffnung voran. Die Arbeitsplätze, die da entstehen, sind prekäre, geringfügige oder Teilzeitjobs“, warnt Brantner.
„Man muss die Menschen vor sich selbst schützen, der arbeitsfreie Sonntag ist ein kollektives Regulativ“, resümiert der Philosoph und Zeitcoach Franz J. Schweifer. Individualisierung wie Digitalisierung entgrenzen immer mehr Lebensbereiche, die zugleich Halt schenken. Sei es Online-Shopping oder das E-Mail-Checken vor Beginn der Arbeitswoche: müssen nicht alle, tun aber viele. Das gilt auch für die geplante Sonntagsarbeitsregelung in Tourismuszonen. Bei steigendem Arbeitsdruck wird rasch aus einem Sollen ein Wollen. Der grundsätzlich arbeitsfreie Sonntag ist ein starkes Angebot für eine Auszeit von der Arbeits- und Konsumzeit. Politische Rahmenbedingungen lassen sich einfordern, für die individuelle Umsetzung muss jede/r dann letztlich selbst sorgen.

Linktipp
Mehr Infos unter:
www.freiersonntag.at
Servicetipp
Die Sonntagsallianz bedankt sich mit einer Fotoausstellung bei allen, die an diesem Tag arbeiten müssen. Diese ist bis 6. November bei freiem Eintritt im Foyer des ÖGB Catamaran in Wien zu sehen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Beatrix Beneder, Sozialwissenschafterin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427191 Menschen brauchen Rituale. Der Sonntag hat viele hervorgebracht: Sonntagskleidung, -braten oder -spaziergang. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444874426146 Recht auf Faulheit? Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik“ lautet der Titel eines brandneuen Sammelbandes, der die Leistungsgesellschaft aufs Korn nimmt. Pikanterweise im Karriereteil des renommierten Wochenblatts „Die Zeit“ präsentierte der Philosoph und Co-Autor des Werks Patrick Spät seine Ideen auch einer breiteren LeserInnenschaft. Das Credo des Aufsatzes: totale Entschleunigung, am besten nach dem Muster der Koalabären.

Der Koalabär als Vorbild
„Er isst ein paar Eukalyptusblätter und döst dann einfach; schläft der Koala weniger als 18 Stunden am Tag, stirbt er an Erschöpfung. Nicht so der Mensch, der es vorzieht, 18 Stunden am Tag zu malochen“, kritisiert Spät in seinem Beitrag die Fixierung der Gesellschaft auf Arbeit. Auch wenn der Autor den hier mitschwingenden Biologismus sowie das komplexe soziale System der Koalas nicht weiter diskutiert, meint er das Beispiel im Kern durchaus ernst: zurück zur Natur, zurück zum Ursprung. „Zieleinkommen“: So lautet das wirtschaftliche Leitmodell dieser anderen Gesellschaft. Produziert wird nur, was unmittelbar ge- und verbraucht werden kann. Ein Fischer, der sich täglich mit einem kleinen Fang begnügt, um dann im Hier und Jetzt (und nicht erst in der Pension) das zu tun, was er am liebsten tut, zum Beispiel in der Sonne zu dösen, orientiert sich an diesem Modell. Ähnliches gelte für bestimmte, noch „ursprünglich“ lebende Gesellschaften wie beispielsweise den afrikanischen Stamm der !Kung (!Xun).
Dass Menschen derartige soziale Strukturen „entdecken“, ist in der Menschheitsentwicklung allerdings nicht neu. Schon in der Formierungsphase der modernen ArbeiterInnenorganisationen und Gewerkschaften war dies fester Bestandteil der Ideenwelt. „Urkommunistische“ Zustände wurden hier aber auch – beispielsweise von Friedrich Engels – wenig romantisierend als Periode der „Wildheit“ beschrieben. Solche frühen Gesellschaften bedeuteten oft Mangel, weil die Menschen völlig abhängig von Wind und Wetter waren. Der US-Forscher Jared Diamond hat vor einigen Jahren in seinem Werk „Arm und Reich“ sehr überzeugend dargestellt, wie diese klimatischen Faktoren die Entwicklung sowie vor allem die soziale Differenzierung der Menschheit vorantrieben. Damit widerlegte Diamond im Übrigen auch die These einer (angeblich) „natürlichen sozialen Ungleichheit“ von Menschen und Gesellschaften. Er verstand sein Werk auch als Beitrag im Kampf gegen den Rassismus.

Paul Lafargue: So lautet der Name eines kritischen Denkers des 19. Jahrhunderts, auf den in Debatten um Arbeitsethos, Leistungsgesellschaft, aber auch Grundeinkommen von vielen Seiten gerne Bezug genommen wird – nicht immer zu Recht. Der Schwiegersohn von Karl Marx war ein bedeutender Aktivist der internationalen ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung. Sein bekanntestes Werk trägt einen bis heute provozierenden Titel, nämlich „Das Recht auf Faulheit“ – es erschien im Jahre 1880.
„Eine seltsame Sucht“, heißt es in den Einleitungsworten dieses Pamphlets, „beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht.“
Lafargue beschreibt zunächst die Entwicklung des Arbeitsbegriffs im Kapitalismus, die Auffassung von Arbeit als Erziehungs- und Disziplinierungsmittel, zumindest für den Großteil der Bevölkerung. Durchgesetzt wurde und werde dies mit Zwang, nämlich durch Arbeitshäuser, oder wesentlich effizienter durch Hunger – aber nicht nur. Wie schon in den Einleitungssätzen angedeutet, kritisiert Lafargue vor allem die Übernahme einer mächtigen bürgerlichen Ideologie der „Arbeitssucht“ durch die ArbeiterInnenparteien und Gewerkschaften selbst sowie die Vorstellung, dass wirtschaftliches Wachstum automatisch das Elend reduziere. Er wiederum vertrat die Ansicht, dass die „Arbeitssucht“ der ArbeiterInnenschaft strukturell sogar zur eigenen Verelendung beiträgt – insbesondere im Falle eines Überangebots von Arbeitskräften. In seinem Gegenentwurf legt er der ArbeiterInnenbewegung eine völlig andere Strategie nahe, die tatsächlich stark an aktuelle Debatten erinnert: Wie sehen Alternativen für ein gutes Leben aus? Was braucht es dafür? Diese zentralen Fragen beantwortet er mit dem Konzept einer radikalen Arbeitszeitverkürzung sowie „der Verpflichtung der Arbeiter, ihre Produkte auch zu verzehren“. Durch die entsprechende Balance von moderaten Arbeitszeiten von täglich nur drei Stunden, sinnvoller gesellschaftlicher Nutzung der Technik und Umverteilung sei eine Welt möglich, in der jeder und jede auch ausreichend das Recht auf Faulheit in Anspruch nehmen könnte. Dieses „Recht auf Faulheit“ ist für den Sozialisten Lafargue, im Gegensatz zu DenkerInnen wie Spät, kein individuell umsetzbares Recht. Es ist ein Ansatz, um (geistige) Gegenmacht aufzubauen, um die Gesellschaft in der Folge kollektiv verändern zu können. Mit diesen Vorstellungen können auch GewerkschafterInnen durchaus etwas anfangen, ebenso wie mit den stets modernen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung.

Die Arbeit hoch?
Fritz Keller, Historiker und ehemaliger Personalvertreter (Zentralvorstand GdG), beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit Paul Lafargue und ist auch Mitherausgeber seiner Werke. Bereits angesichts der Hymne der österreichischen ArbeiterInnenbewegung „Die Arbeit hoch“ (Lied der Arbeit) hält er als Gewerkschafter eine kritische Auseinandersetzung mit dem Arbeitsbegriff für unumgänglich.

Visionär
Für Keller ist Paul Lafargue ein Visionär, der aktuelle Probleme wie die wachsende Zahl von Burn-outs, das neoliberale Prinzip „Wachstum und Produktion um jeden Preis“ und damit nicht zuletzt auch ökologische Fragen bereits in den 1880ern erkannt hat. Der Historiker versuchte, Lafargues Ideen daher auch in Gewerkschaftskreisen bekannt zu machen. In einer Debatte mit dem ehemaligen US-Arbeitsminister Robert Reich auf dem 14. ÖGB-Kongress im Jahr 1999 meinte Keller: „Ich hatte den Eindruck, dass Sie den Wirtschaftsprozess als unveränderlich, als eine wirtschaftliche Notwendigkeit darstellen, die man als solche akzeptieren muss. Ich glaube, dass Wirtschaft ein Produkt von Menschen ist und durch Menschen verändert werden kann. Die Globalisierung ist nicht nur Realität, sondern auch ein Kampfslogan der Kapitalisten (…) Wenn zum Beispiel in Osteuropa nicht dieser Zusammenbruch erfolgt wäre, hätten wir vielleicht heute nicht diese Wirtschaftssituation. (…) Zusammenfassend: Ich glaube, wir sollten nach wie vor dafür einstehen, dass es in einer Gesellschaft die Möglichkeit gibt, dass Männer und Frauen nicht Produkte des Marktes sind, dass wir nicht ohne Sinn und Zweck produzieren, sondern letztendlich das Recht auf Arbeit proklamieren und auch damit beginnen können, das Recht auf Faulheit zu verlangen.“
Dass die Umsetzung dieses Rechts letztlich vor allem eine Geld- und damit auch eine Machtfrage ist, scheint auch dem eingangs zitierten Patrick Spät bewusst zu sein. So fordert er nicht nur, die Füße hochzulegen und „Pippis Lied“ zu trällern („Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt“). Er räumt auch ein, dass Pippi Langstrumpf einen Goldkoffer brauchte, um den leeren Kühlschrank zu füllen. Was jene ohne einen solchen Koffer tun müssen, zum Beispiel um gegen das Ungleichgewicht von (oft unbezahlten) Überstunden und steigender Arbeitslosigkeit vorzugehen, beantwortet ein anderer Beitrag aus dem Buch „Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik“. Die Berliner Aktivistin Lucy Redler fordert „Gegenwehr statt Yogi-Tee“ und ruft dazu auf, sich zu organisieren. Von den Gewerkschaften wünscht sie sich eine breite Kampagne für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, nicht zuletzt, um mehr „Zeit zum Leben, Lieben, Lachen, Sich-politisch-Engagieren und von mir aus Yogi-Tee-Trinken für alle“ zu haben.

Linktipps
Recht auf Faulheit, gesamter Text auf
tinyurl.com/2m46oe
Fritz Keller über Paul Lafargue:
tinyurl.com/opj765j

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427151 Schläft der Koala weniger als 18 Stunden am Tag, stirbt er an Erschöpfung. Der Mensch zieht es vor, 18 Stunden am Tag zu malochen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427162 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512811 Bittersüße Freizeit „Ich muss ein Geständnis machen“, schrieb Leo Babauta Mitte September auf seinem Blog „Zen Habits“. Er, der sich als Befürworter von Minimalismus und Vereinfachung einen Namen gemacht hat, sei in letzter Zeit „zum Multitasking und zur Ablenkung zurückgekehrt“. Dabei hat er nicht nur einen Ratgeber, sondern auch eine Vielzahl an Blog-Einträgen zum Thema Single-Tasking geschrieben. Im Jahr 2010 reihte das „Time Magazine“ zenhabits.net sogar auf Platz eins der „Top 25 Blogs“. Im Grunde ist es wenig verwunderlich, dass Zen Habits gerade in dieser schnelllebigen Zeit so großen Erfolg hat. Immerhin geht es dort laut Eigendefinition darum, „Einfachheit im täglichen Chaos unseres Lebens“ zu finden.
Ungefähr so sieht dieses Chaos aus: Während eifrig immer raffiniertere Technologien entwickelt werden, die unser Leben komfortabler machen sollen, lässt uns der Umgang mit denselben Technologien den Atem stocken. Wir tragen kleine Alleskönner in Form von „smarten“ Telefonen ständig bei uns, die uns erlauben, jederzeit Informationen abzurufen – zum Beispiel, wie wir am schnellsten von A nach B gelangen. Diese Gewissheit lässt uns zu spät aufbrechen, sodass uns die kleinste Verzögerung erst recht in Stress versetzt. Wir können heute zu jeder Zeit und an jedem Ort arbeiten. Das Dumme ist nur: Wir tun das auch, und jeder weiß, dass wir immer und überall unseren Laptop aufklappen können, um „schnell noch“ etwas zu erledigen – und das wird dann auch von Arbeitgebern und PartnerInnen verlangt. Dazu kommt, dass wir schön und fit aussehen sollen und/oder wollen. Wenn wir gerade nichts Berufliches erledigen, können wir also Hanteln stemmen oder uns an die Kletterwand hängen. Nicht zu vergessen das Netzwerken und Bescheidwissen, was in der Welt passiert. Und unsere Kinder? Die sollen neben den schulischen Aufgaben bitte ein Instrument, Chinesisch und Programmieren lernen und im Fußballverein eine gute Figur machen. Und wer sich verweigert und lieber faul herumliegt? Der soll das bitte zumindest mit schlechtem Gewissen tun.

Sogenannte Freizeit
Das Paradoxe daran: Zumindest im historischen Vergleich haben wir gar nicht so wenig Freizeit. Allein im 20. Jahrhundert hat sich dem in Wien ansässigen Institut für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) zufolge die durchschnittliche Lebenszeit europaweit um ein Drittel verlängert, die Arbeitszeit wurde auf 39 Wochenstunden halbiert, und der Urlaub hat sich auf bis zu fünf Wochen ausgeweitet, manche kommen sogar in den Genuss von sechs Wochen. „Nur 14 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir im Beruf und in Ausbildungen“, sagt IFT-Leiter Peter Zellmann. Ein Drittel unseres Lebens verschlafen wir, und der Rest, nämlich 53 Prozent, ist laut Zellmann die „sogenannte Freizeit“. So genannt, weil es „nicht die freie Zeit für uns selbst“ ist. Bei Alleinerziehenden oder Eltern mit zwei Kindern sei diese Zeit gleich null. Ansonsten gehe der Großteil der Freizeit für Ehrenämter, selbst gewählte Verpflichtungen, Heimarbeit und Leistungen für die Familie drauf. All diese Tätigkeiten gelten nicht als Arbeit im Sinne des BIP. Würde man sie dazurechnen, sähe die Freizeitbilanz schon anders aus.
Die „Freizeitgesellschaft“ sei „eine falsche Überschrift des Boulevards“, findet Zellmann. Es habe sich in den letzten 30 Jahren viel weniger verändert, als man annehmen würde: Der passive Konsum von Fernsehen, Radiohören und Lesen sei etwa seit rund 30 Jahren ziemlich gleich geblieben. Insgesamt betreiben auch nicht mehr ÖsterreicherInnen Sport. Selbst so etwas wie der Laufboom habe nicht so stattgefunden, wie in den Medien beschrieben: „Es laufen gleich viele Menschen wie in den Achtzigerjahren, aber die, die laufen, laufen heute jeden Tag.“ Zweifellos aber ist nicht alles gleich geblieben: „Die Mobiltelefonie und das Internet haben unser Freizeitbudget verändert. Die Digitalisierung hat uns in die Technikfalle gelockt.“ Wir haben uns angewöhnt, in die gleiche Zeiteinheit immer mehr hineinzustopfen, anstatt die Zeit für unser Wohlbefinden zu nutzen. Der Lebenszeitgewinn führe keineswegs zu mehr Lebensqualität, sondern vielmehr zu Zeitknappheit und Burn-out.

Das Thema Zeit beschäftigt auch den Wirtschafts- und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach seit Jahrzehnten. Die ungeheure Dynamik der Finanzmärkte mit ihrem Hochfrequenzhandel, der durch die Kombination von Technik und Finanzwirtschaft möglich wurde, war für ihn der Anstoß, das Buch „Die Zeit gehört uns: Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung“ zu schreiben. Ungleiche Verteilung gibt es nicht nur bei Einkommen und Vermögen, sondern auch beim Thema Zeit oder besser Zeitsouveränität. „Wem wird mehr Freizeit gestattet? Und wem nicht?“, fragt Hengsbach. Problematisch werde es „überall da, wo einseitige Machtverhältnisse bestehen“. Also wo zum Beispiel Unternehmen sich am Shareholder-Value orientieren und nicht mehr autonom genug sind. Zeit-Ungleichheit herrscht auch zwischen Männern und Frauen: Für viele Frauen beginnt nach der Erwerbsarbeit die Kinderbetreuung oder das Sorgen für die Eltern. Männer, die ihre Erwerbsarbeit gerne reduzieren und dafür auch auf Lohn verzichten würden, stünden dagegen unter Rechtfertigungsdruck.

Herrliche Verlockungen
Freizeit hat für viele heute einen bittersüßen Klang. Die einen kommen nicht in deren Genuss, weil sie aufgrund von Überstunden, Hausarbeit oder familiären Verpflichtungen nur noch ins Bett fallen, wenn alles erledigt ist. Andere haben zwar viel freie Zeit, weil sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen, können es sich aber nicht leisten, diese mit den herrlichen Angeboten der Konsumwelt zu füllen oder gar mit Muße. Wieder andere haben Zeit und Geld, wünschen sich aber, angestachelt von den verlockenden Rufen der Urlaubs- und Freizeitwirtschaft, mehr Geld und mehr Zeit und sind also auch nicht glücklich.
Der Freizeitforscher Peter Zellmann kritisiert, dass es in Mitteleuropa bis heute eine tief verwurzelte Kluft zwischen Arbeit und Freizeit gibt. Während es in Skandinavien schon zu Beginn der 1970er-Jahre etwas wie eine Freizeitpolitik gegeben habe, war Freizeit für die MitteleuropäerInnen „eher ein Negativum, das bestenfalls zur Wiederherstellung der Arbeitskraft gut war. Der Workaholic war das Leitbild der Nachkriegszeit.“ Freizeitpolitik meine weniger ein Freizeit-Angebot als die Tatsache, dass Freizeit als gleich wichtiger Lebensbereich wie Arbeit angesehen werde: „Nicht entweder … oder, nicht zuerst die Arbeit, dann das Spiel. Die Reihenfolge ist egal: Es darf auch zuerst das Spiel sein, wenn die Arbeit dann erst recht gut erfolgt.“ Zellmann ruft dazu auf, „Mut zur Muße“ zu haben.
Freizeitangebote wie der Kulturpass, mit dem unter dem Motto „Hunger auf Kunst und Kultur“ Benachteiligte Kulturangebote gratis in Anspruch nehmen können, sind laut Zellmann „durchaus vernünftige Maßnahmen“, aber sie „bringen die Gesellschaft nicht wirklich weiter“: Solange das Grundproblem nicht erkannt werde, haben solche „Pflästerchen“ wenig Sinn.
Dass viele von uns über ihre freie Zeit nicht mehr verfügen können, muss sich auch aus Friedhelm Hengsbachs Sicht wieder ändern. Er hofft auf eine Bewegung, eine Rebellion. Kleine Änderungen im Alltag wie sich „eine Viertelstunde auf einen Stuhl setzen und meditieren“ reichen nicht aus. Dennoch: Nein sagen lernen, nicht immer gleichzeitig essen und lesen und einfach öfter mal „herumschildkröteln“ sind wichtig. Größere Gegenbewegungen zur beschleunigten Freizeit wie Urban Gardening, Slow Food und Konsumreduktion – all diese Maßnahmen gingen in die richtige Richtung. Hengsbach: „Die Notwendigkeit einer Umkehr ist offensichtlich.“

Freizeit entschleunigen
Was es aus seiner Sicht noch bräuchte, damit wir wieder Herr und Frau unserer Zeit werden: kollektive Arbeitszeitverkürzung, Nachhaltigkeit anstatt Wachstumsrausch und Geschlechtergerechtigkeit. Und bis es so weit ist, können wir ja zumindest unsere Freizeit entschleunigen und jedenfalls – zeitweise – unsere schlauen Geräte ausschalten und mehr Muße einkehren lassen.

Linktipp
Mehr Infos unter:
zenhabits.net

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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427139 Der passive Konsum von Fernsehen, Radiohören und Lesen ist seit rund 30 Jahren ziemlich gleich geblieben. Selbst so etwas wie ein Laufboom hat nicht stattgefunden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427127 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512804 Like a Snail Nicht nur im Deutschen, auch in anderen Sprachen ist die Schnecke das Symbol für die Langsamkeit. Der englische Begriff Snail-Mail ist inzwischen zum geflügelten Wort geworden. Auch auf Bosnisch, Kroatisch und Serbisch bezieht man sich auf dieses langsame Lebewesen, wenn man „puževim korakom“ sagt – im Schneckenschritt gehen. Auch in Frankreich bewegt man sich „comme un escargot“, also wie eine Schnecke. Biologisch betrachtet, ist die Schnecke in unseren Breiten in der Tat eines der langsamsten Tiere, die Weinbergschnecke etwa bewegt sich pro Stunde um drei Meter weiter.

Horror Langsamkeit
Sich so langsam fortzubewegen ist für viele heutzutage geradezu zur Horrorvorstellung geworden: Es soll schneller gehen, Wartezeiten soll es möglichst keine geben, schon gar nicht in der Wirtschaft. Immer mehr ist von dieser Beschleunigung auch die Freizeit betroffen. Zugleich scheinen sich viele Menschen nichts mehr zu wünschen, als aus diesem stressigen Leben auszusteigen. Dass dies viele auch tun, darin wollen manche sogar einen „Trend zur Entschleunigung“ sehen. Falsch wäre dies nicht, ganz im Gegenteil. Denn die Erfahrung zeigt: Arbeitszeitverkürzung schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern verbessert insgesamt ihre Qualität – und sorgt damit unterm Strich für gesunde wie motivierte MitarbeiterInnen.
„Entschleunigung“ an sich ist, auch wenn man sich das heute nur schwer vorstellen kann, ein sehr altes Thema. Allerdings war Muße ein Privileg der Wohlhabenden. Die Kulturgeschichte ist natürlich komplexer, doch um es kurz zu fassen: Aus dem Flanieren des Adels wurde Windowshopping, aus dem Konsum-Privileg weniger wurde Shoppen für alle – und vor allem ein Antrieb für die Wirtschaft. Aber wie kommt es eigentlich, dass der Mensch zwar viel Energie in Innovationen investiert, die ihm eigentlich das Leben erleichtern sollen – um sich stattdessen letztlich von ihnen hetzen zu lassen?

Zeitersparnis
Grundsätzlich, so sagt der deutsche Soziologe Hartmut Rosa, sei die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Beschleunigung. „Fast jede Technik dient der Zeitersparnis“, fasst er im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ zusammen. „Das Auto, das Flugzeug, die Mikrowelle, der Fahrstuhl, der Rasierapparat, auch die Waschmaschine. Die wäscht zwar langsam, aber ich spare enorm viel Zeit.“ Und doch leidet der moderne Mensch vor allem an einem: Zeitknappheit.
In seinem Buch „Beschleunigung“ gibt Rosa die oft zitierte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll wider – diese stammt aus dem Jahr 1963, wohlgemerkt: Ein an der Küste dösender Fischer wird von einem Unternehmer angesprochen, warum er nicht alles daransetze, um mehr zu verdienen, wenn nicht gar ein ganzes Unternehmen zu gründen, um dann andere für sich arbeiten lassen zu können. Auf die Frage des Fischers nach dem Sinn von all dem antwortet der Unternehmer letztlich: damit er sich „dann den ganzen Tag lang an den flachen Strand setzen, die Sonne genießen und angeln“ könne. Das tue er doch jetzt auch schon den ganzen Tag, hält dem der Fischer entgegen.
Mit dieser Geschichte ist jedenfalls ein wichtiger Aspekt der modernen Gesellschaft angesprochen, nämlich Wachstum um jeden Preis. Und doch endet man in der Sackgasse. „Es ist immer das Gleiche: Der Horizont dessen, was man mithilfe neuer Techniken pro Stunde, Tag und Woche erledigen kann, wächst und schrumpft zugleich“, stellt Rosa fest.
Der gravierende Unterschied liege darin, dass der Fischer angeln müsse, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, während der Unternehmer fischen könne. „Erweiterung des Möglichkeitshorizontes“ nennt Rosa das. Die Qual der Wahl ist wiederum die Kehrseite der Medaille – dazu gesellte sich erst die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche bis hin zur Freizeit, plus die immer mehr verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Anders gesagt: Es wird immer mehr Dienst in den Schnaps geschüttet. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Der Dienst wird immer mehr mit Schnaps angereichert? Immerhin reicht es nicht mehr, dass man sich den Beruf, der ursprünglich die Finanzierung des Überlebens garantieren sollte, freier wählen kann als zuvor. Nein, der Job soll geradezu berauschend sein und am besten auch noch die Freizeit.

Zwischen Anspruch und Realität
Im Schwärmen über „gute Arbeit“ ist der Abgrund schnell vergessen, der zwischen Anspruch und Realität klafft. Dabei hat dieser Abgrund einen einfachen Namen: Ungleichheit. Eine dieser Ungleichheiten besteht zwischen den Geschlechtern. Über die Gestaltung ihres Alltags selbst entscheiden zu können, das wünschen sich viele Menschen. Doch wer kann das schon außer Selbstständigen und Führungspersonen? Die Hausfrau, nur hat sie einen entscheidenden Nachteil: Ihre Arbeit wird nicht bezahlt, weshalb ihre soziale Absicherung vom berufstätigen Mann abhängt. Den weiteren Nachteil beschreibt die deutsche Kulturwissenschafterin Susanne Breuss in ihrem Beitrag im Buch „Bewegte Zeiten: Arbeit und Freizeit nach der Moderne“ aus dem Jahr 2002: „Die Hausfrau ist im Grunde ständig beschäftigt (oder zumindest im Bereitschaftsdienst) und muss doch immer Zeit haben.“ In Wahrheit entspricht sie dem Ideal der heutigen ArbeitnehmerInnen, denn nicht nur ist sie allezeit bereit, noch dazu kennt sie keine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit.
An berufstätige Frauen werden meist ähnliche Ansprüche gestellt, zumindest in der Freizeit, sodass der Begriff Doppelbelastung geradezu untertrieben scheint. Nun ist viel die Rede von den neuen Vätern, und in der Tat ist es höchste Zeit für eine gerechtere Verteilung von Hausarbeit zwischen den Geschlechtern. Hartnäckig aber hält sich die geschlechtsspezifische Ungleichheit zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, und zwar trotz der mehr als hundertjährigen Emanzipationsgeschichte: Während Männer durchschnittlich 16 Stunden mit unbezahlter Arbeit verbringen, sind es bei Frauen ganze elf Stunden mehr.
Betrachtet man den Nachholbedarf Österreichs in Sachen Kinderbetreuung, nimmt es wenig Wunder, dass die Teilzeitbeschäftigung von Frauen in Österreich auf so hohem Niveau ist und sie noch dazu durchschnittlich weniger Stunden arbeiten als viele europäische Geschlechtsgenossinnen.

Langsamkeit als Ressource
Langsamkeit kann eine enorme Ressource sein. Angeblich engagierte Bill Gates für die schwierigsten Aufgaben am liebsten die faulsten Leute. Der Grund: Sie suchen nach dem einfachsten und/oder schnellsten Weg, um ein Ziel zu erreichen – ohne dabei den eigenen Anspruch nach Perfektion aufzugeben. Genau das sei die Wunschvorstellung der jungen Generation, behaupten manche. Vorsicht ist natürlich angebracht, immerhin arbeiten nicht alle ArbeitnehmerInnen in solch gut bezahlten Jobs, für die der Microsoft-Magnat „faule“ MitarbeiterInnen suchte. Zweifellos aber ist Kreativität und Nachdenklichkeit hilfreich, um Arbeitsprozesse besser zu gestalten und somit auch unnötigen Stress zu vermeiden, und zwar egal in welchem Bereich.
Aber zurück zur Schnecke: Was haben diese eigentlich davon, dass sie so langsam sind? „Der Vorteil ist, dass sie alles erreichen können, ohne sich stressen zu müssen“, antwortet Mollusken-Forscherin Anita Eschner. Einen Nachteil könne die Schnecke dadurch jedenfalls nicht haben. „Im Gegenteil, es muss ein großes Erfolgsprinzip sein.“ Immerhin gibt es Schnecken schon seit mehr als 500 Millionen Jahren auf der Erde, sie waren sogar schon vor den Dinosauriern da. „Das können nicht viele Tierarten von sich sagen“, meint Eschner. An Tempo legen Schnecken jedenfalls nur dann zu, wenn sie müssen. Etwa wenn sie Futter jagen oder zur Fortpflanzung. Eschners Fazit: „Wenn alles passt, besteht auch kein Grund zur Eile. Warum sollte sie also diese Energien verschwenden?“ Eine gute Frage eigentlich.

Linktipps
Brand Eins „Mehr Faulheit wagen“:
tinyurl.com/qzfmn8p
Heinrich Böll „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“:
tinyurl.com/ofmfeg8

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427090 Blaumachen würden wir wohl alle hin und wieder gern. Meistens reicht auch ein weniger stressiger Alltag, damit MitarbeiterInnen ihre Erfahrungen einbringen können. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444874427119 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512551 Die Licht- und Lufthungrigen Diktatur, Faschismus und Krieg hatten die zuvor erkämpften Arbeitszeitregelungen außer Kraft gesetzt. Im Jahr 1945 galt der Elfstundentag, der Achtstundentag musste von den Gewerkschaften wieder neu erkämpft werden. 1950 war das Ziel erreicht: Der Achtstundentag war wieder in den Kollektivverträgen verankert, allerdings noch nicht im Gesetz. Ab 1946 gab es wieder einen gesetzlichen Urlaubsanspruch für ArbeiterInnen, ohne die gewerkschaftlichen KV-Verhandlungen hätte er aber vielfach nur auf dem Papier gestanden. Das war die Situation, die das Fachblatt „Der Lebensmittelarbeiter“ 1955 in einem Beitrag über das Freizeitverhalten einen „bescheidenen Platz an der Sonne“ nannte. Dieser Beitrag ist, abgesehen von der witzigen Schleichwerbung für die Fleischerbranche, noch aus einem anderen Grund spannend: Er verweist auf die zunehmende Anforderung an Konzentration und Aufmerksamkeit durch die Industrialisierung der Produktion und die damit verbundene Zunahme von Stress. Deshalb fordert die Gewerkschaft für die ArbeiterInnen das Recht auf „entschleunigte Stunden“ ein – anders als für die „Begüterten“ war es für sie keine Option, zur Entspannung mit einem Auto durch die Landschaft zu rasen.

In dem Ausmaß, in dem sich die Arbeiter einen vorläufig noch bescheidenen Platz an der Sonne erkämpft haben, sind ihre Lebensgewohnheiten anders geworden. Die Freizeit wird nicht mehr wie früher in rauschgeschwängerten Kneipen verbracht, sondern der Großteil der licht- und lufthungrigen, die ganze Woche angestrengt schaffenden Arbeiter strömt hinaus in die freie Natur. Ausflüge, Wanderungen oder Campingfahrten sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Neben anderen Problemen, die dabei zu lösen sind, spielt der Proviant eine wichtige Rolle, muss er doch, je nach Jahreszeit, Hitze oder Kälte gut überstehen und trotzdem schmackhaft sein.

Die Fleischerbetriebe haben … ihre Produktion entsprechend eingestellt. Viele Arten von Dauerwürsten … werden in erstklassiger Qualität angeboten … Die Herstellung solcher Dauerwaren erfordert besondere Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit und Sorgfalt … Da Dauerwurst vielfach einen Reifeprozess durchmachen muss, ist ständiges Überprüfen und Beobachten notwendig, das an das Fachwissen der damit betrauten Fleischarbeiter genauso hohe Anforderungen stellt wie an jene, die bei der Vorbereitung oder an den Maschinen beschäftigt sind.

Neben Firmen, die sich ausschließlich mit der Erzeugung von Dauerwaren befassen, haben auch viele andere Fleischerbetriebe diese Produktion aufgenommen. Der gut organisierte Vertrieb ermöglicht es den Ausflüglern, sich in jedem beliebigen Lebensmittelgeschäft mit Reise- und Ausflugsproviant einzudecken.

So tragen auch unsere Fleischarbeiter dazu bei, dass die Freude an Luft, Licht und Sonne, an Wald und Flur nicht nur ein Privileg der in Autos dahinrasenden und in teuren Restaurants speisenden Begüterten ist, sondern auch die Werte schaffenden Arbeiter daran teilhaben können.
Bleibt nur zu wünschen, dass auch die Fleischarbeiter Verständnis finden, wenn sie sich gegen jene Gruppe von Meistern wehren, die sie … daran hindern, sich ebenfalls der freien Natur zu erfreuen.
 

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512636 Dieses Plakat aus dem Jahr 1953 informiert über die Bedeutung der Gewerkschaften beim Durchsetzen des Rechts auf Urlaub. Auslandsaufenthalte sind Zukunftsmusik, aber die Familie kann gemeinsam "in der Wiese liegen und die Seele baumeln lassen". http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512537 AK/ÖGB: SchülerInnen-Projekte gefragt! Es ist wieder so weit: Die Bewerbungsfrist für den Theodor-Körner-Wettbewerb hat begonnen. Bis zum 15. März 2016 können Gruppen von SchülerInnen oder Klassen ihre Projekte zum Thema „Das Amt des Bundespräsidenten in Vergangenheit und Zukunft“ einreichen. Die SchülerInnen sollen zum einen historische Aspekte behandeln, wie etwa die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Grundlagen oder die Rolle der Bundespräsidenten in der politischen Realität der Ersten und Zweiten Republik. Auch die Funktion des amtierenden Bundespräsidenten soll anhand von konkreten Beispielen aus den innenpolitischen und außenpolitischen Debatten der letzten Jahre behandelt werden. Besonderes Augenmerk soll der Alltagswahrnehmung im regionalen und lokalen Umfeld gelten. Abschließend wird nach Zukunftsszenarien für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten gefragt: Wie wird, wie könnte, wie sollte die Stellung des Bundespräsidenten etwa 2055 aussehen?

Zielgruppe sind SchülerInnen aller Schulen der Sekundarstufe II, das heißt ab der 9. Schulstufe der Polytechnischen Schulen, Berufsschulen, berufsbildenden mittleren und höheren Schulen und AHS. Die SchülerInnen werden von einem oder einer LehrerIn betreut, sie sollen die Thematik durch Interviews und historische Quellen (Internet, Bild- und Fotosammlungen, Zeitungen etc.) erarbeiten. Die feierliche Preisverleihung in der Hofburg findet immer unmittelbar um den 27. April statt, dem Jahrestag der Gründung der Zweiten Republik 1945.

Zur Erinnerung: 2012 initiierte der scheidende Bundespräsident Heinz Fischer den Geschichtswettbewerb, der unter seiner Patronanz steht und organisatorisch vom „Theodor Körner Fonds“ betreut wird. Über 75 SchülerInnengruppen, jeweils mit BegleitlehrerIn, haben sich seither beteiligt. Finanziert wird der Fonds nahezu zur Hälfte von der Bundesarbeitskammer, weitere Förderungen kommen vom ÖGB und einigen Gewerkschaften, außerdem vom Österreichischen Zukunftsfonds, dem Bildungsministerium und dem ORF. Die Auswahl der PreisträgerInnen wird durch eine Fachjury unter dem Vorsitz des Zeithistorikers Oliver Rathkolb vorgenommen.
Das Jahr 2016 ist für Bundespräsident Fischer insofern von Bedeutung, als seine zweite und damit letzte Amtszeit endet und somit die Präsidentschaftswahl ansteht. Seit dem Jahr 2008 sind auch 16- und 17-Jährige wahlberechtigt, demnach auch viele SchülerInnen. Der Wettbewerb ist also gleichsam ein Beitrag zur politischen Bildung.

Mehr Infos unter: www.theodorkoernerfonds.at/geschichtswettbewerb/

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Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512534 AK: "Big Deal für den Arbeitsmarkt" „Wir brauchen jetzt rasch einen Big Deal für den Arbeitsmarkt“, fordert AK-Präsident Rudi Kaske. Er verweist auf die zwei Hauptursachen der aktuellen Arbeitsmarktmisere: mangelndes Wirtschaftswachstum und ein stark steigendes Arbeitskräfteangebot. „Ein Lohnplus greift in dieser Lage am schnellsten, weil es die Inlandsnachfrage ankurbelt. Dazu muss durch intelligente Formen der Arbeitszeitverkürzung die Arbeit besser verteilt werden“, so Kaske.
Das Arbeitskräfteangebot müsse durch moderne Arbeitszeitpolitik verknappt werden. Als Maßnahmen schlägt die AK vor: Verhinderung unfreiwilliger Überstunden und Verteuerung der Überstunden für die Arbeitgeber, Einschränkung von All-in-Verträgen, neue Möglichkeiten zur individuellen Arbeitszeitverkürzung (Weiterentwicklung der Kurzarbeit und der Freizeitoption), sechste Urlaubswoche für alle ArbeitnehmerInnen und ein Recht auf einen bezahlten Papamonat.

Das AMS braucht ausreichend Personal, um Betroffene individuell beraten zu können. Aufgrund des Personalmangels und der steigenden Arbeitslosigkeit ist dafür oft viel zu wenig Zeit vorhanden. Um zu verhindern, dass Langzeitarbeitslosigkeit in die Armut führt, fordert die AK: Die Bezugsdauer und die Höhe beim Arbeitslosengeld müssen angehoben werden. Die Notstandshilfe darf nicht in das System der Mindestsicherung überführt werden. „Unerträglich ist, dass es noch immer keine Bewegung beim Bonus-Malus-System zugunsten älterer ArbeitnehmerInnen gibt“, so Kaske. Dieses soll jene Betriebe sanktionieren, die älteren ArbeitnehmerInnen keine Chance geben. Die Mittel des „Beschäftigungsprogramms 50+“ sollen um 100 Millionen Euro auf insgesamt 350 Millionen Euro aufgestockt und auch für jüngere Langzeitarbeitslose eingesetzt werden. Aus- und Weiterbildung müssen in aktiver Arbeitsmarktpolitik wieder an Stellenwert gewinnen. Insbesondere soll das Fachkräftestipendium fortgeführt werden. Es ermöglicht Beschäftigten und Arbeitsuchenden dringend benötigte Berufsausbildungen. Davon profitieren Unternehmen und ArbeitnehmerInnen gleichermaßen.

Mehr Infos unter: tinyurl.com/pjb8dgd

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Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512531 AK: Telekom-Novelle: Mehr nötig Die Novelle des Telekomgesetzes bringt für die KonsumentInnen einige beachtliche Verbesserungen. So wird etwa die Kündigungsfrist des Handyvertrags auf einen Monat verkürzt. Derzeit sind meist drei Monate üblich. Überdies soll es mehr Schutz vor der Abrechnung unseriöser Inhaltsdienste im Web geben. Beschwerden aufgrund von unseriösen Web- und Wap-Billings standen auf der Tagesordnung in der AK-Beratung. Die AK begrüßt, dass die Regulierungsbehörde (RTR) den Telekombetreibern Vorschriften zum Schutz vor Missbrauch auferlegen darf.
Eine Verschlechterung sieht die AK allerdings bei den Mitteilungen bei Vertragsänderungen. Derzeit müssen KonsumentInnen bei benachteiligenden Vertragsänderungen schriftlich informiert werden. Künftig reicht es, wenn die Anbieter diese „in geeigneter Form“ mitteilen. Verständigungen per E-Mail oder SMS werden aber regelmäßig überlesen. Daher muss die Schriftform bleiben, fordert die AK. Die AK fordert auch mehr Transparenz und Schutz gegen überhöhte Rechnungen. KonsumentInnen haben bei der Auswahl eines Telekomanbieters oder beim Vergleich von Preisen und Dienstleistungen mit einer hohen Intransparenz zu kämpfen. Telekombetreiber sollen KonsumentInnen klare und übersichtliche Informationen bieten. Die AK fordert die Aushändigung eines verpflichtenden Konditionen- und Tarifblattes über die wesentlichen Vertragsinhalte und die Gesamtfixkosten über die gesamte Mindestvertragsdauer.

Mehr Infos unter: tinyurl.com/pugk239

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Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512522 ÖGB: Belgier De Leeuw neuer EGB-Präsident Beim EGB-Kongress in Paris hat die europäische Gewerkschaftsbewegung Anfang Oktober ihr Führungsteam für die kommenden fünf Jahre gewählt. Neuer Präsident ist der Belgier Rudy De Leeuw (FGTB), neuer Generalsekretär der Italiener Luca Visentini (UIL). „Der Europäische Gewerkschaftsbund muss stärker werden. Die Gewerkschaftsbewegung muss wieder wachsen. Unsere Stärke kommt von unseren Mitgliedern“, erklärte Visentini.
 In den Vorstand wurden ÖGB-Präsident Erich Foglar und Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros, gewählt.
Auf der Tagesordnung ganz oben stand die schlechte wirtschaftliche Verfassung Europas. Der EGB fordert den Start eines umfassenden Investitionsprogramms: Zwei Prozent des BIP pro Jahr müssen in den nächsten zehn Jahre investiert werden, „um hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und nachhaltige Energiesysteme zu entwickeln, soziale, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zu meistern“. Wichtig sind dabei öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Forschung. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen höhere Budgetdefizite für die Mitgliedstaaten zulässig sein. Grund für die lahmende Wirtschaft ist – neben dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und der sogenannten Schuldenbremse – der immer stärkere Steuerwettbewerb um die niedrigsten Standards in der EU. Der EGB-Kongress fordert deshalb einen EU-weit verbindlichen Mindestsatz von 25 Prozent bei Unternehmenssteuern.

Mehr Infos unter: www.oegb-eu.at

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Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512519 70 Jahre und kein bisschen leise Wenige Monate nach der Gründung des ÖGB, am 24. September 1945, wurden die ÖGB-Frauen ins Leben gerufen. Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt war von Anfang an eines der zentralen Anliegen und daran hat sich bis heute nichts geändert. „Die Schaffung von Gesetzen zum Schutz der erwerbstätigen Frauen, aber auch Maßnahmen zur Verringerung der Doppelbelastung der Frauen“, lautete eine der Kernaussagen von ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzenden Renate Anderl anläßlich des 70-jährigen Jubiläums. Anderl verwies in ihrer Rede auf zahlreiche positive Errungenschaften, wie etwa die Streichung der Frauenlohngruppen in Kollektivverträgen, die Besserstellung der Haushaltsgehilfinnen und das Gleichbehandlungsgesetz. „Vieles haben wir erreicht, aber es gibt noch viel zu tun. Auch in Zukunft werden wir die Stimme der Arbeitnehmerinnen sein und wir werden laut sein“, betonte sie.

Die ÖGB-Frauen werden weiterhin verstärkt dafür kämpfen, dass die Einkommensschere geschlossen und der Papamonat umgesetzt wird, aber auch dafür, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen.
Zahlreiche PolitikerInnen, u. a. BM Sabine Oberhauser, BM Gabriele Heinisch-Hosek, BM Rudolf Hundstorfer und AK-Präsident Rudi Kaske, folgten der Einladung der ÖGB-Frauen und nahmen an der Festveranstaltung im Catamaran teil. Unisono bedankten sie sich bei den Gewerkschafterinnen für ihren jahrelangen, unermüdlichen Einsatz für die Frauen.

Weitere Infos: www.oegb.at/frauen

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Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512647 Zahlreiche PolitikerInnen gratulierten den ÖGB-Frauen zum Jubiläum, unter anderem auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512658 Ein abwechslungsreiches Programm - u.a. musikalische Darbietung, Diskussionen - sorgte für eine gute Stimmung beim Festakt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512146 Standpunkt | Muße für alle! Treffen sich zwei Schnecken im Wald. Die eine hat ein blaues Auge, worauf sie die andere anspricht. Die Antwort: Lief ich neulich durch den Wald, schoss auf einmal ein Pilz aus dem Boden. Zugegeben, das ist der einzige Witz, mit dem ich in Gesellschaft punkten kann, denn er ist der einzige, den ich erzählen kann, ohne mich beim Erzählen zu verirren. Es ist eine passende Anekdote, wie ich finde: Zeitempfinden ist relativ, Muße wiederum ist nichts anderes als sich zu verirren und zu verlieren. Allein, allzu oft habe ich das Gefühl, als würden dauernd irgendwo Pilze in der von Schnecken gefühlten Geschwindigkeit aus dem Boden schießen, ohne selbst im Schneckentempo unterwegs zu sein.

Unproduktiv?
Ähnlich scheint es vielen anderen zu gehen, nicht umsonst schießen wiederum Angebote zur Entspannung tatsächlich wie Pilze aus dem Boden – von verschiedenen, bisweilen sündteuren Wellness-Angeboten über Sport in der Natur bis hin zum Aschram in Indien. Zugegeben, nicht immer kostet Erholung Unmengen von Geld, gerade in Österreich ist ein erholsamer Ausflug in die Natur sogar sehr günstig möglich. Die vielen Medienberichte über Ausstiege aus der Beschleunigung täuschen aber über etwas sehr Wesentliches hinweg: So manche, die ins Kloster gehen, wo sie dann wirklich ihr Handy ausschalten müssen, statt es einfach selbst zu tun, werden für die hohe Geschwindigkeit ihrer Arbeit auch entsprechend finanziell entschädigt. Die meisten ArbeitnehmerInnen erleben eine Beschleunigung am Arbeitsplatz, ohne dass sich dies in ihren Löhnen oder Gehältern widerspiegelt oder in den Möglichkeiten zur Entschleunigung. Ganz im Gegenteil: Um den Job nicht zu verlieren, fühlen sie sich geradezu gezwungen, jegliche weitere Beschleunigung zu bewältigen – bis es eben gar nicht mehr geht und sie im Burnout landen. Sogar die Kur wird unter Generalverdacht gestellt, denn dort mache man ja nichts Produktives.
Zurück zur Verteilungsfrage: Damit nicht nur Gut- oder BestverdienerInnen in den Genuss von Entschleunigung kommen, führt kein Weg an einer Arbeitszeitverkürzung vorbei. Aufschlussreich ist dabei ein Blick ins Ausland: In Schweden etwa probieren Unternehmen den Sechs-Stunden-Tag aus, und zwar bei vollem Lohnausgleich. Seit Februar gilt dieser in einem Göteborger Pflegeheim für eine Gruppe von PflegerInnen von SeniorInnen. Die Bilanz ist durchwegs positiv: Die Beschäftigten seien gesünder und motivierter, nicht zuletzt sei die Qualität der Pflege deutlich besser geworden (mehr: tinyurl.com/p2qmbrw) – und man hat mehr Personal eingestellt. Aber kommt man damit nicht vom Regen in die Traufe? Immerhin ist inzwischen auch die Freizeit beschleunigt. Machen wir uns nichts vor: so romantisch die Vorstellungen rund um Muße auch sind, schon früher sollte man etwas Sinnvolles mit der freien Zeit anfangen. So ist es geradezu folgerichtig, dass auch die Freizeit von der Beschleunigung erfasst und darauf abgeklopft wird, ob sie auch wirklich einem Zweck dient. Der von Gewerkschaften hart erkämpfte Urlaub etwa sollte dazu beitragen, dass sich die Menschen regenerieren, um umso kraftvoller wieder an die Arbeit gehen zu können, nicht zu vergessen, dass sie konsumieren sollten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. So wahr diese Analyse ist, so wenig taugt sie als Gegenargument. Denn warum sollte man Menschen etwas vorenthalten, nur weil es auch im Interesse der Unternehmen ist?

Wozu das alles?
Auf der Wiese liegen und einfach nur die Seele baumeln lassen: Das ist einfach wunderbar! Es hilft dabei, manches zu relativieren, das im Eifer des Gefechts wie ein unüberwindbares Problem erscheint – oftmals scheinen Lösungen danach geradezu auf der Hand zu liegen. Vor allem aber ist es einfach erholsam. Und es drängt sich mir die Frage auf: Wozu erwirtschaften wir denn eigentlich den ganzen Wohlstand, wenn nicht, damit es den Menschen gut geht und sie es sich gut gehen lassen können?

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270512016 Wenn die Pause erzwungen wird Zwei Jahre lang war Arno S. arbeitslos, und diese Zeit hat den 45-Jährigen nachhaltig geprägt. Äußerlich deutet heute nichts darauf hin, dass den WU-Absolventen, der inzwischen eine tolle Karriere im Event-Management gemacht hat, diese Erfahrung schwer erschüttert hat. Arno S. spricht offen darüber, wie er diese Zeit erlebt hat: „Ich wurde depressiv und pessimistisch, zog mich von meinen Freunden mehr und mehr zurück. Ich dachte permanent über meine missliche Lage nach und bekam immer mehr Angst vor der Zukunft. Ich zweifelte an einer positiven Wende.“

Ratlosigkeit
Arbeitslosigkeit ist kein Einzelphänomen, und doch scheint es, als gäbe es im menschlichen Umgang damit eine gewisse Ratlosigkeit. Natürlich können Umbrüche im Leben auch eine Chance bedeuten, etwas „Neues“ zu machen oder sich einer Sache hinzugeben, die man schon immer machen wollte. Gleichzeitig sind erzwungene Pausen aber fragile Zeiten: Sich plötzlich in einer ungewollten und ungewohnten Lebenssituation wiederzufinden kann zu einer weitreichenden Destabilisierung führen, die erschütternde finanzielle, soziale und gesundheitliche Folgen haben kann.
Zahlreiche Studien belegen: Arbeitslosigkeit ist ein massiver Stressfaktor. Das hat eine große Bandbreite an Ursachen, denn der Verlust des Jobs ist oft mit einer ganzen Reihe anderer Verluste verbunden: Einkommen, Status, soziale Kontakte, Anerkennung, um nur einzelne zu nennen. Herkömmlich wird Stress mit Termindruck und hoher Leistungsanforderung verbunden, massive Stressoren sind jedoch auch die genannten Belastungen von Arbeitslosen und die damit einhergehenden Sorgen. Besonders eindrücklich belegt das eine Studie der deutschen Krankenkassa DAK, die besagt, dass Arbeitslose sogar unter mehr Stress leiden als Manager.

Gesundheit leidet mit
Stress hat bekanntlich auch Folgen für die Gesundheit. So leiden Betroffene häufig unter psychischen und physischen Folgeerscheinungen. Auch Arno S. hatte nicht nur mit einer allgemeinen Verschlechterung der Stimmung zu kämpfen, sondern litt außerdem unter massiven Schlafstörungen und Appetitlosigkeit. Wie eine deutsche Erhebung gezeigt hat, nehmen fast alle Erkrankungen bei Arbeitslosigkeit zu. Zudem gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass der Verlust von Erwerbstätigkeit eine Reihe von negativen Auswirkungen hat, und zwar in vielen Lebensbereichen der Betroffenen.
Beispielsweise beeinflusst Arbeitslosigkeit die Familienplanung negativ und nicht positiv, wie häufig dargestellt wird. Eine Studie der Universität Linz besagt, dass bei Betriebsschließungen sich die betroffenen Frauen seltener für Nachwuchs entscheiden. Wirtschaftswissenschafter Mario Schnalzenberger erklärt das so: „Bei Betriebsschließungen werden nicht selektiv bestimmte Frauen gekündigt – sondern alle. Das sind Frauen, die sozusagen in Summe dem Durchschnitt entsprechen und deren Verhalten sich explizit aufgrund der Arbeitslosigkeit verändert. Hier ist also ein direkter Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Unsicherheit und der verringerten Geburtenrate herstellbar.“

Schwierige Umstellung
Auch in fortgeschrittenem Alter bringt der Wegfall der Arbeit große Veränderungen mit sich. Obwohl sich die überwiegende Mehrheit freut, besteht bei rund einem Viertel die Gefahr eines „Pensionsschocks“. Dieser beeinträchtigt das allgemeine Wohlbefinden und ist beispielsweise gekennzeichnet von schlechter Stimmung, Depression oder Stressempfinden. Hinzu kommt, dass Stress und Depression Risikofaktoren für Demenz sind. Die Umstellung fällt oft besonders schwer, wenn die Arbeit bisher der zentrale Lebensmittelpunkt war. Daher ist es wichtig, sich ein soziales Netz außerhalb der Arbeit zu gestalten, Interessengemeinschaften zu pflegen und Hobbys zu kultivieren. Es ist für viele auch die Chance, die bestehende Partnerschaft neu zu definieren, schließlich verändert sich die bisherige Routine und Zeitgestaltung. Soziales Engagement hilft mitunter ebenfalls, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wieder positiv zu erleben. Es gilt, die passende Rolle – abseits der beruflichen – für sich selbst zu finden.

Mythos Leistungsfähigkeit
Die Idee, dass das Menschsein auch Phasen der Erwerbslosigkeit, Krankheit und Hilfsbedürftigkeit beinhaltet, passt so gar nicht zum allseits suggerierten Gesellschafts- und Medienbild. Dieses entspricht vielmehr dem autonomen, ewig fitten und agilen Menschen. Hilfsbedürftigkeit ist meist nur in sehr jungen Jahren – beispielsweise beim Säugling – ein toleriertes Merkmal. Diesen dominanten Diskursen kann man sich nicht so einfach entziehen, und so setzt man meist alles daran, diese Phasen zu bekämpfen. Dabei werden nicht selten physische und psychische Grenzen ignoriert, was die Menschen erst recht wieder krank machen kann – sei es, dass sie an Depression oder auch an Bluthochdruck erkranken. Die Ambivalenz zwischen Erleben und Ideal ist oft schwer zu ertragen. Dabei ist es ein offenkundiger Unsinn, dass Lebensverläufe linear und frei von Krisen sind. So gesehen können Krankheitsbilder wie Burn-out in dem Kontext als Folgeerscheinung gedeutet werden: Gesellschaftlicher Druck und Angst, gepaart mit dem kollektiven Hang, Leistung sehr eng zu fassen, erzeugen ein Klima, das die Missachtung eigener Grenzen fördert.

Veränderung als Herausforderung
Auch für Arno S. wurde die unfreiwillige Auszeit zur persönlichen Herausforderung, er selbst spricht von einer „Abwärtsspirale“. Es war für ihn ein langer Prozess, aus dieser wieder herauszukommen und beruflich wie privat wieder Fuß zu fassen. Noch lange wirkten die Erlebnisse nach, die inzwischen mehr als zehn Jahre zurückliegen. „Mich haben noch Jahre später Zukunftsängste gequält. Ich hatte kein Vertrauen in mich, solch eine Situation zu meistern, sollte ich wieder arbeitslos werden“, erzählt er. Er habe sich immer mehr von seinen FreundInnen zurückgezogen, bis sein Freundeskreis fast nicht mehr existent war, auch die Beziehung ging in die Brüche. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich wieder Spaß am sozialen Umgang mit Menschen hatte und wieder einige Freunde hatte, die ich auch gerne traf.“ Rückblickend sieht er aber auch positive Effekte: „Ich lernte zu sparen, mich zu organisieren und mich in der Arbeit zu konzentrieren. Ich war dabei erstaunt über die positiven Ergebnisse, die ich erzielte, wenn ich meine Energien fokussierte und alle Schritte konsequent durchzog. Allerdings war meine Motivation die Angst, meinen Job wieder zu verlieren, obwohl diese Angst eher unbegründet und irrational war.“ Jahre später begann er eine Psychotherapie: „Ich setzte mich dabei ernsthaft mit mir und meiner Gefühlswelt auseinander und tue es noch heute, was ich durchwegs als positiv bewerte.“

Trotzdem bestehen
Äußere Einwirkungen lassen sich oft nur schwer beeinflussen, zudem treffen sie meist unvorbereitet und somit hart. Der Mensch ist zudem nicht so einfach „gestrickt“ und berechenbar, dass für jede Situation eine passende Strategie im Vorfeld entwickelt werden kann. Einen Garanten für ein krisenfreies Leben gibt es somit nicht. Im besten Fall schärfen Krisen unser Wertesystem und unseren Blick dafür, was uns wirklich wichtig ist. Prioritäten können frisch angeordnet und der Fokus neu ausgerichtet werden.

Linktipps
Gesamtes Interview von Arno S. nachlesbar:
www.elkeradhuber.at/#neuigkeiten
Emilia Del Bono, Andrea Weber and Rudolf Winter-Ebmer (2014): „Fertility and economic instability: the role of unemployment and job displacement“, Journal of Population Economics, September 2014:
www.labornrn.at
Soziales Engagement Informationen für Wien:
www.gesund.at/a/aufgaben-im-alter
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen:
tinyurl.com/pqvozj2

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin kontakt@elkeradhuber.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Elke Radhuber, Kommunikationswissenschafterin, Trainerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512589 Ist man zur Pause gezwungen, setzt man meist alles daran, diese wieder zu beenden. Dabei werden nicht selten Grenzen ignoriert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512606 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270511884 Snail City Nico schlürft an seiner Melange, während er gemächlich die Tageszeitung in einem Couchsessel der Stadtbücherei durchblättert. Bis auf das Rascheln von Papier und das Flüstern der SitznachbarInnen ist es mucksmäuschenstill. Keine Musik, keine hastigen Bewegungen. Der 37-jährige Sozialarbeiter kommt häufig hierher, wenn ihn das Wetter vom Spaziergang entlang des Donaukanals abhält. Beide Orte haben eines gemeinsam: Sie sind Oasen der Entschleunigung – das, wonach sich immer mehr Menschen sehnen, und das, worauf die Wiener Stadtentwicklung mit ihren Konzepten zur Gestaltung des öffentlichen Raums hinarbeitet.

Das erweiterte Wohnzimmer
Entschleunigung heißt für Nico, sich innerlich verlieren zu können, sich unter anderen Leuten unsichtbar zu machen, an Orten zu verweilen, die nicht unbedingt Konsum erfordern. Das können Büchereien, Parkanlagen oder einfache Sitzgelegenheiten in der Innenstadt sein. Diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen sieht Andreas Baur, Mediensprecher für die Abteilung Stadtentwicklung und Verkehr der Stadt Wien, als Aufgabe einer Großstadt. „Der öffentliche Raum ist das erweiterte Wohnzimmer der Bevölkerung, das Angebote zur Erholung schafft“, so Baur. Er soll Platz für Begegnungen bieten und zum Verweilen und Durchatmen einladen. Seine Gestaltung sei daher wesentlich für die Lebensqualität von Menschen. Diesen Standard zu halten ist nicht einfach, denn Wien hat einen Zuwachs von knapp 30.000 Menschen jährlich. Da stellt sich die Frage, wie man angesichts dieser Entwicklung den öffentlichen Raum attraktiv gestaltet.

Flächen zum Verweilen
Die Ideen der Stadt Wien dazu sind im Stadtentwicklungsplan 2025 (STEP 2025) festgeschrieben. So sollen etwa bis 2025 80 Prozent der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Heute sind es knapp 73 Prozent. Neben Mobilität bildet die Schaffung von urbanen Frei- und Grünräumen einen Schwerpunkt des Stadtentwicklungskonzepts. Zum Beispiel, indem in dicht verbauten Teilen der Stadt neue Flächen zum Verweilen im Freien geschaffen werden. Mit der ersten Wiental-Terrasse wurde am 1. September ein solches Konzept umgesetzt. Auf 1.000 Quadratmetern können BesucherInnen auf Sitzbänken das Treiben des vorbeiziehenden Radverkehrs und den Durchzug der darunterliegenden U-Bahn verfolgen und sich dabei selbst treiben lassen. Die Wiental-Terrasse sei laut Baur kein Ort, an dem Ruhe herrsche, aber einer, an dem man in einem schönen Ambiente zur Ruhe kommen könne. Etwas, nach dem sich auch Nico sehnt. Wenn es nach ihm ginge, müsste die Stadt viel mehr konsumfreie Verweilorte zur Verfügung stellen. Zum Beispiel am Wiener Naschmarkt, wo es abgesehen von den Lokalen keine einzige Sitzgelegenheit gibt.
Woher kommt die Sehnsucht nach Entschleunigung im öffentlichen Raum? Menschen haben immer weniger Zeit und wollen diese sinnvoll nutzen. In der Stadt zur Ruhe zu kommen ist ein Ausgleich zum beschleunigten Alltag, zur Hektik, die sich durch viele Lebensbereiche zieht. Dort noch schnell etwas erledigen, da noch schnell einkaufen: Für Baur bedeutet Entschleunigung im öffentlichen Raum weniger Stress, mehr Platzangebote zum konsumfreien Verweilen, weniger Lärm und weniger erzwungene Achtsamkeit – dass man also nicht ständig darauf achten muss, ob im nächsten Moment ein Auto um die Ecke rast. Nico geht einen Schritt weiter, für ihn ist die Frage nach Entschleunigung im öffentlichen Raum zugleich eine Frage der Aneignung – eine Art Rückeroberung des von Autoverkehr und Wirtschaft eingenommenen Raumes, der eigentlich jedem und jeder gehört.

Tatsächlich verwandelte die Massenproduktion von Autos seit den 1920er-Jahren öffentliche Ruheorte in lärmende Verkehrsknotenpunkte. Die Zentren wurden zu Orten der Beschleunigung, mit dem Ziel, Straßenräume möglichst autogerecht zu erschließen. Immer mehr Menschen suchten die verloren gegangene Behaglichkeit in der Peripherie. Erst in den 1970er-Jahren begegnete die Stadt Wien den negativen Auswirkungen der Industrialisierung: Die erste Fußgängerzone wurde 1974 auf der Kärntner Straße als Protagonistin der Entschleunigung im öffentlichen Raum eröffnet. Binnen weniger Jahre entwickelte sie sich zur bekanntesten Einkaufs- und Flaniermeile Wiens. Fußgängerzonen waren erste Anzeichen der Rückeroberung eines beschleunigten Raumes mit dem Zweck des gemütlichen Flanierens. Weitere Fußgängerzonen folgten, etwa die Meidlinger Hauptstraße oder die Favoritenstraße. Mit der Fertigstellung der Fußgänger- und Begegnungszone Mariahilfer Straße im August 2015 setzt sich der Trend der Rückeroberung weiter fort. „Dabei wurde mit den Begegnungszonen eine geniale Form geschaffen, wie Straßenräume fair organisiert werden können“, so Baur. „FußgängerInnen und RadfahrerInnen haben mehr Freiraum, die Tempolimits für den Auto- und Radverkehr sorgen für Entschleunigung und höhere Aufenthaltsqualität.“

Die Rückeroberung des öffentlichen Raums, der Straßen und Räume fordert auch die Agenda-Gruppe „Öffentlicher Raum“ des achten Wiener Gemeindebezirks Josefstadt. Sie wünscht sich eine „Slow City“, die mehr Platz zum Ruhen, zum Bewegen und Genießen bietet. Die Agenda-Gruppe will öffentliche Räume so gestalten, dass sie eine hohe Lebens- und Wohnqualität sowie Überschaubarkeit aufweisen. Das heißt kurze und einfache Wege zwischen Erholung, Leben und Arbeiten. Die Gruppe wird dabei selbst aktiv, zum Beispiel indem sie während der Sommermonate an drei Samstagen parkende und fahrende Autos aus einigen Straßen verbannt und stattdessen die AnrainerInnen mit Liegestühlen, Sonnenschirmen und Rasenteppichen zur Gemütlichkeit animiert. „Slow City“ geht auf das Konzept der „città slow“ (italienisch/englisch: langsame Stadt) zurück, das 1999 in der toskanischen Stadt Greve gegründet wurde. Bei città slow geht es darum, die vorhandenen Werte einer Stadt zu erkennen und sie zu Orten des Genusses, der Entschleunigung und der Nachhaltigkeit auszubauen. Mittlerweile sind über 190 Städte weltweit mit der orangefarbenen Schnecke von città slow zertifiziert. Fastfood-Ketten oder Autos in der Innenstadt sind in den meisten dieser Kleinstädte tabu. Für Großstädte wie Wien kommen solche Zertifizierungen nicht infrage, da sie die Grenze von maximal 50.000 EinwohnerInnen überschreiten. Aber warum eigentlich nicht ein „Slow Grätzel“ schaffen?

Begehrte Grätzeloasen
Die Maßnahmen zur Gestaltung eines erholungsreichen Stadtraumes basieren alle auf demselben Prinzip: der Einbeziehung der BürgerInnen. „Die Planungsprozesse sind heute völlig anders als noch vor zwanzig Jahren“, so Andreas Baur. Die Entwicklung des Stadtraumes sei nicht „Good Will von irgendjemandem“, sondern Resultat von Befragungen und Miteinbindung von BürgerInnen. Sie sind die Fachleute ihrer Wohngebiete und können selbst Forderungen und Wünsche zur Verbesserung ihres Lebensraumes an die Stadt stellen, zum Beispiel im Rahmen der Grätzeloasen. Bei dieser Initiative können einzelne BürgerInnen Maßnahmen vorschlagen, die sie mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien im eigenen Grätzel umsetzen. Die Grätzeloasen finden regen Zulauf. Kleine Gärten und Sitzgelegenheiten werden am meisten gewünscht, aber auch Maßnahmen wie öffentliche Bücherschränke, gemeinsames Frühstück an verschiedenen Orten im Grätzel oder regelmäßige Singtreffs in Parks wurden bereits realisiert.

Öffentliches Schlafzimmer
Nico, der junge Sozialarbeiter, möchte in der Stadt lieber nicht selbst aktiv werden. Diese Aufgabe überlässt er der Stadt. Wenn er sich aber etwas wünschen dürfte, dann wäre das ein öffentliches Schlafzimmer, in dem er sich für ein bis zwei Stunden inmitten der Innenstadt hinlegen könnte. Andreas Baur bleibt lieber aktiv. Er wünscht sich, dass alle Parks in Wien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So wie unlängst der kleine Liechtensteinpark im neunten Bezirk, den er wegen des alten Baumbestandes zu seinem liebsten Ort der Erholung nominiert.

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Irene Steindl, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512581 Bis auf raschelndes Papier und flüsternde Menschen ist es mucksmäuschenstill. Bibliotheken sind Oasen der Entschleunigung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512617 Gratis-Download: <a target="_blank" href="http://tinyurl.com/nvtmauo">tinyurl.com/nvtmauo</a> http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270511861 Ausgeschlafen So viel Aufruhr hätte sich Joan Faus, Bürgermeister der kleinen Gemeinde Ador in der spanischen Provinz Valencia, nicht träumen lassen. Zu Sommerbeginn ordnete er an, von zwei bis fünf Uhr nachmittags Ruhe einzuhalten. Die Geschäfte wurden geschlossen, sogar das Schwimmbad machte zu. Die rund 1.400 EinwohnerInnen folgten dem Siesta-Erlass begeistert, meldeten die Lokalblätter. Landesweit sorgte die Rückkehr zur Mittagsruhe für Schlagzeilen, aus dem Ausland wurde beim Bürgermeister angerufen, aus Holland reiste ein Kamerateam an.

Tradition
Seit Jahrhunderten hat die Siesta in Spanien Tradition. Zur sechsten Stunde nach Sonnenaufgang (sexta hora) kamen die Menschen von den Feldern und aus den Geschäften nach Hause und ruhten sich aus. Sie aßen miteinander und unterhielten sich im Kreis von Familie und FreundInnen. Es gab die „siesta con pijama“ – und die ohne. Wie lange sie auch dauerte: Sie galt als heilig. Als große kulturelle Leistung bezeichnete der politische Journalist Werner A. Perger die Zeit entspannter Kontemplation, den Brauch, mit dem Generationen hindurch vor allem im Süden Spaniens der großen Hitze begegnet waren.
Als Spanien Mitte der 1980er-Jahre der Europäischen Gemeinschaft beitrat, wurde schnell klargemacht: Ein Land, dessen AmtsträgerInnen die Mittagszeit verdösen, passt nicht in eine effiziente europäische Verwaltung. Größere Firmen der Privatwirtschaft regelten die Siesta – bzw. vielmehr deren Beseitigung – bald über den Kollektivvertrag. Weiter beschnitten wurde die Siesta im Jahr 2005, als die Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero die lange Mittagspause für die öffentlich Bediensteten strich.
„Reaktion auf die Schuldenkrise“, meldete die „Süddeutsche Zeitung“ am 29. Juli 2012, „Spanien schafft Siesta ab.“ Per 1. September 2012 „durfte“ der Einzelhandel, bis zu diesem Zeitpunkt eines der letzten wenigen Bollwerke gegen die Eliminierung eines Kulturgutes, durcharbeiten. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde von 72 auf 90 Stunden ausgedehnt. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Mittagspause für Geschäfte unter 300 m2 verpflichtend gewesen.

Faulenzen
„Siempre la siesta“ betitelt
e der „Spiegel“ einen Beitrag in seiner Ausgabe vom 24. Juni 2013, den der deutsche Politikwissenschafter Max A. Höfer mit einem Vorwurf einleitete: Durch die Euro-Krise würden die SüdeuropäerInnen gezwungen, wie die Deutschen zu leben. Konkret beklagt wurde die Abschaffung der Siesta im Herbst 2012 – laut dem deutschen Magazin war diese auf Druck der Euro-Troika zustande gekommen. Denn „Faulenzen“, selbst in brütender Mittagshitze, solle sich ein Land im Staatsbankrott nicht leisten können.
„Der Schlaf, der dem müßiggängerischen Faulenzen so ähnlich ist, stellt die totale Nutzbarmachung der Zeit fundamental in Frage“, schreibt Max A. Höfer in dem zitierten Artikel. So stünde der Schlaf bei den Puritanern seit jeher unter Generalverdacht. Höfer nennt den Anthropologen Matthew Wolf-Meyer, der in der umfangreichen Studie „The Slumbering Masses. Sleep, Medicine and Modern American Life“ zeigt, dass die ursprünglich puritanische, auf Nützlichkeit orientierte Einstellung zum Schlaf bis heute das Verständnis um ihn präge. Selbst die medizinische Schlafforschung der USA hätte lange darauf abgezielt, „den Schlaf zu amerikanisieren, indem sie sich auf Effizienz und Schlafmanagement konzentrierte“.
Der Kapitalismus, so der deutsche Ökonom und Politikwissenschafter Höfer, mache systematisch aus der Nacht einen Tag. Schlaf gelte mittlerweile als Managementproblem, das prinzipiell lösbar sei, wenn man nur rationale Mittel, etwa Medikamente, anwende. „Die Frage, ob und wann in hochbeschleunigten Wettbewerbsgesellschaften jemals Schlafenszeit ist, raubt vielen den Schlaf“, schreibt Elisabeth von Thadden in der „Zeit“ vom 21. Oktober 2014. Die Statistiken, Ratgeber und Illustrierten notierten seit Jahren immer aufgeregter die fiebrig ansteigenden Kurven der neuen Schlaflosigkeit, insgesamt gebe es heute über 80 schlafmedizinische Diagnosen.

Wenig Schlaf verdirbt die Laune
Einer der Diagnostiker ist Ingo Fietze, der den Anstieg der Schlafstörungen nicht nur auf längere Lebenszeit zurückführt: Stress in der Arbeit und zu Hause nage am Schlaf, die wachsenden Herausforderungen der Leistungsgesellschaft trügen das Ihre bei. Die häufigsten Schlafstörungen wie Insomnie, Schlafapnoe und unruhige Beine verkürzen die Lebenserwartung, erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf- und andere Erkrankungen. Sie verderben die Laune oder führen gar zu Depressionen, weiß der Experte.
Ein Erwachsener schläft im Schnitt 7 bis 7,5 Stunden. Der Anteil der KurzschläferInnen mit einer Schlafzeit von unter sechs Stunden steige dramatisch, so der Fachmann. Ein Experiment von Forschern an der Universität Freiburg, die mehrere StudentInnen unter Steinzeitbedingungen ohne externe Einflüsse unter Beobachtung stellten, zeigte, dass sich deren Schlafzeit um rund 90 Minuten verlängerte. Conclusio des Schlafexperten: Die Industrialisierung raubt uns den Schlaf. Die Siesta light wurde in den Ländern des Nordens durch den mittäglichen Powernap eingeführt, mit dem nicht nur etwaiger fehlender Nachtschlaf kompensiert werden sollte. Zwar hat sich der Kurzzeitschlaf am Arbeitsplatz nicht durchgesetzt, doch findet er weiterhin zahlreiche VerfechterInnen in der Wissenschaft.
„Warme Speisen ziehen Blut aus dem Gehirn Richtung Magen. Die Verdauung braucht Energie, die dem Gehirn fehlt“, transportiert Ingo Fietze das Sprichwort vom vollen Bauch in die Arbeitswelt. So sei es ökonomisch sinnvoll, zwischen 12.00 und 14.00 Uhr eine Siesta zu machen. „Jeder Arbeitgeber trifft eine gute Entscheidung, wenn er flexible Arbeitszeiten und Ruhepausen zulässt. Das erhält die Arbeitsmoral, die Leistungsbereitschaft und sicher auch den Spaß an der Arbeit.“ Allerdings, so sein Rat, sollte nach spätestens 40 Minuten der Wecker klingeln, um ein Absinken in den Tiefschlaf zu vermeiden.

Subversiver Schlaf
„Schlaf ist die kompromisslose Unterbrechung der uns vom Kapitalismus geraubten Zeit“, schreibt der Kunstkritiker Jonathan Crary in seinem 100-seitigen Essay „24/7: Schlaflos im Spätkapitalismus“. Darin rechnet er mit einer Gesellschaft ab, in der die Menschen 24 Stunden auf Trab gehalten werden sollen: als KäuferInnen, KonsumentInnen, als ewig Erreichbare und Alarmierte. In ihr steht es nicht gut um den Schlaf. MedizinerInnen berichten von Netzsüchtigen, die mehrmals des Nachts E-Mails checken. Der Schlaf verkümmert so zum „sleep mode“, zu einer Art lästigem Bereitschaftsmodus, immer verfügbar für die wichtigen Nachrichten der realen Welt.

Schlafen statt schuften?
Wenn man so will, ließe sich der Siesta-Erlass des Bürgermeisters im spanischen Dorf Ador auch politisch interpretieren. Nach den Kommunalwahlen im Mai mussten die beiden etablierten Großparteien, Sozialisten und Konservative, zahlreiche Rathäuser räumen. Neue, oft linksalternative Wahlbündnisse – gegründet aus Protest gegen Korruption und rigiden Sparkurs – übernahmen das Ruder. Kann die Wiedereinführung der Siesta als Systemkritik verstanden werden? Heißt schlafen statt schuften die neue Devise? Joan Faus wehrt sich gegen eine Überinterpretation und zitiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Derzufolge ist ein 20- bis 30-minütiges Nickerchen zu Mittag der Gesundheit zuträglich. Außerdem, so Joan Faus, bewahre es besonders die Schwächsten vor einem Hitzschlag.

Linktipp
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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512570 Seit Jahrhunderten hat die Siesta in Spanien Tradition und sie galt als heilig. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270512628 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 Oct 2015 00:00:00 +0200 1444270511516 Paradoxien unserer Zeit Zur Person
Franz Astleithner
Der gebürtige Steyrer absolvierte eine HTBLA für Mechatronik in Linz, um anschließend in Wien Soziologie und Volkswirtschaft zu studieren - mit einem Auslandssemester in Rumänien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Arbeits- und Wirtschaftssoziologie, soziale Ungleichheit sowie Mobilität & Migration bzw. ethnische Ökonomien. Entschleunigung und Arbeitszeitverkürzung bezeichnet er als sein Steckenpferd, unter anderem hielt er beim Kongress „Gutes Leben für alle“ im Jahr 2015 einen Vortrag mit dem Titel „Kampf um Zeit. Emanzipatorische Potentiale einer Arbeitszeitverkürzung“. Er arbeitet am Wiener Institut für Soziologie im Team Jörg Flecker.


Arbeit&Wirtschaft:
Es ist viel von Beschleunigung die Rede: Wie real ist diese?

Franz Astleithner: Das wirklich zu messen ist schwer. Laut European Working Condition Survey geben in Österreich ein bisschen mehr als 60 Prozent an, noch genug Zeit zu haben, um ihre Arbeit erledigen zu können. Andere Entwicklungen sprechen wiederum dafür, etwa wenn man die Entwicklung bei psychischen Erkrankungen betrachtet.
Hartmut Rosa hat sehr schön aufgezeigt, dass es durch den technologischen Wandel und das Schaffen von Konsumbedürfn
issen bei den Menschen mehr zu einem Kaufen statt einem Konsumieren von Produkten kommt. Um es plakativ darzustellen: Wie groß ist die Reihe von Büchern, die im Bücherregal zu Hause stehen, die man aber immer noch nicht gelesen hat? Aus der Perspektive von Rosa hat der technologische Fortschritt in gewisser Weise die emanzipatorischen Potenziale verloren, weil die Menschen nicht mehr die Zeit haben, die Dinge zu nutzen.

Dabei dienen die meisten Innovationen vor allem dem Ziel, die Menschen zu entlasten. Warum führt das eigentlich nicht zu einer Entschleunigung?

Theoretisch müsste das so sein. Aber historisch hat sich gezeigt, dass die technologischen Innovationen und der Produktivitätsfortschritt schlussendlich dazu geführt haben, dass die Menschen immer mehr arbeiten. Mit neuen Kommunikations- und Informationstechnologien ufern die Grenzen noch aus, und das verursacht massiven Stress.

Freizeit als Muße: Ist das weiterhin ein Privileg?

Beim Thema Muße – mehr Freizeit, die wir vielleicht faktisch haben, aber nicht erlebt fühlen können – muss man auch auf das eingehen, was der französische Soziologe (Alain, Anm.) Ehrenberg mit dem „erschöpften Selbst“ betitelt. In der heutigen Zeit kann man gemäß der Formel „Jeder ist seines Glückes Schmied“ eigene Entscheidungen treffen und eigene Wege gehen. Aber wir sind auch einem extremen Druck ausgesetzt, das Leben möglichst ideal zu verwerten.
Es ist inzwischen soziologischer Mainstream, dass es zu einer weiteren Ökonomisierung aller Lebensbereiche kommt. Der deutsche Philosoph Jürgen Rinderspacher sagt, dass es heutzutage den normativen Drang gibt, Zeit sinnvoll zu nutzen. Dieser wird viel über obere Mittelschichten reproduziert und verbreitet. Er bringt ein sehr schönes Beispiel, nämlich dass unsere Großeltern einfach noch ein paar Stunden auf der Bank vor dem Haus gesessen sind und in die Landschaft geschaut haben. Das würden heute viele als inferiore Zeitnutzung ansehen, wie er es nennt. Heutzutage müssen wir schon in einen Aschram nach Indien fliegen.

Sind Auszeiten Ausdruck für eine beginnende Entschleunigung?

So, wie es gelebt wird, ist es eigentlich eher eine kurze Ausflucht. Ein Sabbatical kann man interpretieren als eine kurze Auszeit von diesem Verwertungsdruck der Erwerbsarbeit, um sich wieder zu regenerieren. Das wirkliche Aussteigertum gibt es heute weniger als zum Beispiel in den Siebzigerjahren.
Man hat das Gefühl, wenn man nicht seine Karriere, seine Biografie durchzieht, ist man irgendwann weg vom Arbeitsmarkt und kommt nicht mehr so leicht zurück. Man braucht sich ja nur die Studien heute anschauen, die viel straffer organisiert sind. Die Studienpläne sind viel verengter – und eigentlich kann man sagen darauf ausgerichtet, die Menschen für die Erwerbstätigkeit verkaufbar zu machen.

Es haben also nicht alle die Möglichkeit, aus der Beschleunigung auszusteigen?

Keinesfalls. Dieser Diskurs über die Generation Y und die stärkere Freizeitorientierung ist eher ein Mittelschichts-Phänomen. In weniger privilegierten Schichten stellt sich die Frage viel, viel weniger, ob man jetzt mal die Arbeitszeit reduziert. Wenn ich meinen schlecht bezahlten 40-Stunden-Job habe, bleibt nicht mehr viel Raum für mehr Muße.

Eine interessante Parallelität: Man spricht von einer Jugend, die sich nicht mehr unter Druck setzen lassen will, während gerade eine Jugend aufwächst, die total unter Druck gesetzt wird.

Das ist ein bisschen eine Paradoxie unserer Zeit. Das ist ähnlich wie die viel, viel stärkere Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit, während die Chancen auf Arbeit für einen immer größer werdenden Teil der Menschen nicht mehr gegeben sind. Wir haben immerhin eine bereinigte Arbeitslosenquote von knapp zehn Prozent.
Der gesellschaftliche Anspruch und die faktischen Möglichkeiten driften auseinander. Das ist beim Thema Muße und „mehr Zeit haben“ ähnlich. Partiell gibt es den Trend zu mehr Teilzeitbeschäftigung auf jeden Fall. Trotzdem würde ich sagen, dass es eher die Menschen betrifft, die es sich leisten können. In Niedriglohnsegmenten ist es dann eher unfreiwillige Teilzeit.

Der Wohlstand in unserer Gesellschaft ist sehr groß, zugleich haben ArbeitnehmerInnen wenig davon. Warum?

Da machen Sie mehrere Türen auf. Bei der Arbeitszeit selbst können wir eine starke Polarisierung feststellen. Einerseits gibt es jene, die arbeiten, manche haben viel längere Arbeitszeiten und machen viel, viel mehr Überstunden, viele stehen immer mehr unter Druck. Auf der anderen Seite gibt es eine immer größere Reservearmee von Arbeitslosen, die – um es in der marxistischen Terminologie zu fassen – den Druck auf die arbeitende Bevölkerung größer werden lassen, Arbeit zu jeglichen Bedingungen anzunehmen.
Die andere Tür sind die Löhne und die Produktivität: Seit den Siebzigerjahren hat sich die Produktivität in Österreich mehr als verdoppelt, doch die Arbeitszeit ist de facto seit 1975, als sie auf 40 Stunden reduziert wurde, kaum mehr gekürzt worden, zumindest nicht auf kollektivvertraglicher Ebene. Da spielen natürlich Mechanismen eine Rolle, wie Wohlstand verteilt wird, warum Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am steigenden Bruttoinlandsprodukt weniger beteiligt werden.
Zudem steigt die Zahl der unselbstständig Beschäftigten seit den Siebzigern kontinuierlich, doch die Lohnquote sinkt. Das heißt schlussendlich, wir haben eine Umverteilung von Löhnen zu Gewinnen und von Arbeit zu Kapital.

Welchen Sinn hat Arbeitszeitverkürzung?

Wenn man sich die gesellschaftliche Ungleichverteilung von Arbeit anschaut und die steigende Ungleichheit dazunimmt: Da könnte Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ein Mittel sein, um die Ungleichheit zu verringern.
Arbeitszeitverkürzung würde außerdem wieder Arbeitskräftemangel herstellen, der derzeit auf makroökonomischer Perspektive nicht vorherrscht. Das würde das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital wieder ein bisschen in Richtung Arbeit verschieben. Der marxistische Ansatz lautet: Wenn man auf der einen Seite die Arbeit hat und auf der anderen das Kapital, die ausverhandeln, wer wie viel bekommt, ist natürlich eine große Zahl von Arbeitslosen für die Verhandlungsposition der Arbeiterinnen und Arbeiter schlecht. Arbeitszeitverkürzung ist eigentlich die einzige in dem politischen System durchsetzbare Stellschraube, wie man dieses Verhältnis wieder ein bisschen ebener machen könnte.
Die Beschäftigungswirksamkeit von Arbeitszeitverkürzung ist in der Literatur umstritten. Die neoklassischen Ansätze gehen eher davon aus, dass es keinen Effekt hat. Aber es gibt für Frankreich Beispiele, die berechnen, dass die Arbeitszeitverkürzung einen positiven Beschäftigungseffekt hat. Da gibt es per se keine Antwort, denn es kommt sehr stark darauf an, wie diese konkret ausgestaltet wird, wie das Verhältnis von Binnen- zu Außenmarkt ist. Ich halte sie für eine gesellschaftlich relevante und eigentlich zukunftsweise Maßnahme.

Gibt es Risiken?

Arbeitszeitverkürzung kann gesehen werden als Stellschraube, um die geschlechtergerechte Arbeitsteilung zur forcieren. Aber dass dies tatsächlich passiert, ist nicht gewiss. Es gibt Literatur, die davon ausgeht, dass die absolute Wahlfreiheit bei der Arbeitszeitgestaltung unter den Bedingungen, wie die Arbeitsverteilung gegenwärtig funktioniert, eher dazu führen würde, dass Männer noch mehr arbeiten und Frauen noch weniger. Arbeitszeitverkürzung wäre allerdings ein Mittel, damit wieder Ressourcen für eine Neuverhandlung von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung frei werden.
Das orthodoxe, ökonomische Argument lautet, dass es in einer internationalen Wirtschaft ein Produktivitätsnachteil ist, wenn die Lohnstückkosten steigen. Auch das ist wieder sehr relativ, weil es wieder sehr auf die Ausgestaltung ankommt. Und es zeigt sich, dass Arbeitszeitverkürzung Produktivitätszuwächse bewirkt. Die schwedischen und norwegischen Beispiele haben gezeigt, dass es mehr oder weniger eine Win-win-Situation für alle ist.
Arbeitszeitverkürzung wird auch als Möglichkeit gesehen, die negativen ökologischen Konsequenzen unseres Wirtschaftens zu reduzieren: Menschen müssen weniger pendeln, es wird weniger produziert, Stichwort Post-Wachstum. Aber es ist eher eine offene Frage, was die Leute dann wirklich machen: ob sie ökologisch sind, in die Bibliothek gehen und zum Buch greifen oder ob sie Fernreisen machen.

Ist Arbeitszeitverkürzung eine Maßnahme zur Entschleunigung?

Das würde ich auf jeden Fall so sehen, vor allem vor dem Hintergrund, dass schon ganz, ganz viele Beschäftigte mehr oder weniger am Limit arbeiten. Insofern ist eine weitere Intensivierung von Arbeit bei vielen schon schwer möglich. Bei einer Arbeitszeitverkürzung würde zumindest die Regenerationszeit mehr.

Weniger Arbeit und längere Regeneration bedeuten weniger Krankheiten: eine Entlastung gleichermaßen für die Firmen wie für die Gesellschaft?

Für die Gesellschaft jedenfalls. Für die Firmen ist es relativ. Die schwedischen Beispiele haben gezeigt: Die Firmen haben zwar weniger Krankenstände, aber diese werden ja normalerweise ab einem gewissen Zeitpunkt von der Sozialversicherung finanziert. Das heißt, im Endeffekt ist es für die Sozialversicherungsträger oder den Fiskus von Vorteil, aber nicht direkt für die Unternehmen.

Wobei man das auch als Chance für eine Senkung von Lohnnebenkosten sehen könnte.

Das Argument könnte man in jedem Fall ausbauen. Es gibt ja auch den Ansatzpunkt – das ist eher aus einer keynesianischen Perspektive –, dass Menschen mehr Zeit zum Konsumieren haben. Wenn die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich passiert, kann das auch die Nachfrage anregen.

Braucht es neue Konzepte für Arbeit, weil es vielleicht bald nicht mehr genug davon gibt?

Diese Theorien gibt es schon lange. Jeremy Rifkin hat vom Ende der Arbeit und von ihrer Zukunft geschrieben. Auch André Gorz hat in den Achtzigerjahren gemeint, dass uns die Arbeit ausgeht. Es gibt dazu unterschiedliche Einschätzungen: Einerseits hat der Kapitalismus die Fähigkeit, Nachfrage und Bedürfnisse zu schaffen, die individuell trotzdem dazu motivieren, dass man viel arbeitet.
Andererseits ist die Arbeitslosigkeit durchwegs am Steigen, von daher hat dieses Argument schon etwas, es ist allerdings umstritten. Empirisch steigt die Arbeitslosigkeit, das ist das einzig Sichere.

Firmen wie Google oder Microsoft scheinen die Potenziale der Entschleunigung erkannt zu haben.

Dafür ist die Zeit, die Menschen dann im Büro verbringen, sehr, sehr lang. Da geht es um die Übernahme dessen, was Marx das Insubordinationsproblem nennt: dass die Arbeiterinnen und Arbeiter kontrolliert werden müssen, um überhaupt zu arbeiten. Heute ist Selbstkontrolle ganz, ganz stark, sodass sich die Arbeiter selbst marktförmig organisieren und verhalten. Man muss das deshalb sehr, sehr kritisch betrachten, weil sich die Leute im Endeffekt in die freiwillige Selbstausbeutung begeben.
Dazu kommt der Diskurs, dass Arbeit Spaß machen muss. Das wird in den Firmen aktiv forciert, was aber dazu führt, dass Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zur Gänze verschwimmen. Und wenn Arbeit keinen Spaß macht, ist man als Individuum auch selbst schuld und hat selbst etwas falsch gemacht.

Wenn selbst an die Freizeit so viele Ansprüche gestellt werden: Kann man sie dann überhaupt noch genießen?

Das ist eine wirklich schwierige Frage. Die Antwort wäre vielleicht, dass man sich der kommerzialisierten Form der Freizeit entzieht. Aber das schafft niemand.

Klingt nach Enthaltung und Askese. Ist es nicht letztlich ein Fortschritt, dass mehr Menschen Freizeit haben?

Ja natürlich, wir leben in einer Zeit, in der es höchste Zeit für mehr Freizeit ist! Dass das mit Askese zu tun hat, ist nicht gesagt. Man muss hier zwischen Freizeit und Konsum unterscheiden. Und dass der Konsum kurzlebiger Güter problemtische Folgen hat, sieht man an jeder Ecke. Stephan Lessenich nennt das die Externalisierungs-Gesellschaft. Unsere derzeitigen Wirtschaftsweisen und der Reichtum des Westens funktionieren einerseits über Ausbeutung von Ressourcen von anderen Ländern und gleichzeitig über das Vernichten von Zukunftsoptionen zukünftiger Generationen durch die ökologische Zerstörung. Er hat da einen wunderbaren Vortrag auf dem deutschen Kongress für Soziologie gehalten, wo er in Anspielung auf den Monty-Python-Film gefragt hat: „Was hat der Kapitalismus je für uns getan?“. Er hat in den westlichen Ländern Wohlstand für ganz, ganz viele ermöglicht, für die Arbeiterschaft. Das aber auf Kosten von ganz, ganz vielen anderen.

Mit den Flüchtlingen kommt dieser Bumerang nun zurück. Allerdings könnten manche diese Situation als Argument gegen Arbeitszeitverkürzung verwenden.

Genau deswegen brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung, weil wir ja mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringen wollen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 8/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1444270511536 "Wir leben in einer Zeit, in der es höchste Zeit für mehr Freizeit ist", meint Soziologe Franz Astleithner. Viele Beschäftigte arbeiten am Limit, kritisiert er. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851307662 Die Illusion der Gleichheit Es ist ein paar Monate her, als in einer kleinen Gemeinde im Wienerwald eine Gruppe Flüchtlinge aufgetaucht ist. Der Ort liegt an der Wiener Außenringautobahn, wo Schlepper regelmäßig Flüchtlinge aus dem Auto werfen. Im Ort angekommen, hatten diese Menschen einen dringenden Wunsch: das Wlan-Passwort. Doch freien Zugang zum Internet gibt es auch in Österreich nicht allerorten.

Kommunikation mit Angehörigen
Für Flüchtlinge hat das Internet eine große Bedeutung. Grundsätzlich erfahren sie darüber wohl, wo sie nun eigentlich gelandet sind. Vor allem ist es der Kommunikationskanal, um mit ihrer Familie in Kontakt zu treten. Diese bangt natürlich um ihre Angehörigen, die sich auf den gefährlichen Weg nach Europa gemacht haben. Über Skype, WhatsApp oder soziale Netzwerke tauschen sich die Flüchtlinge also mit ihrer Familie aus, mit FreundInnen oder auch neuen Bekanntschaften, die sie auf ihren Fluchtwegen gemacht haben. Zugleich können sie sich über die Ereignisse in ihren Heimatländern informieren, nach Anlaufstellen suchen und ihre weiteren Wege planen.
Manche haben die Bedeutung dieses Mediums für die Flüchtlinge erkannt. In Traiskirchen etwa hat die Partei „Der Wandel“ einen Wlan-Hostspot bereitgestellt. Eine Privatperson stellte ihren Dachboden als Standort für die Anlage zur Verfügung. Auch in Deutschland versorgt die Initiative „Freifunk“ die Flüchtlinge in verschiedenen Städten mit frei zugänglichem Wlan. Am Wiener Hauptbahnhof stellten Privatpersonen ebenfalls kurzerhand Wlan-Router zur Verfügung, nachdem sie erfahren hatten, dass es daran mangelte.

Organisation 2.0
Für die vielen Freiwilligen, die Flüchtlinge nun schon seit einigen Monaten unterstützten, ist das Internet ebenfalls ein Segen. Schon bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die unhaltbaren Zustände in Traiskirchen spielten soziale Medien eine wichtige Rolle. Manche ließen sich von den Flüchtlingen den Kontakt geben, um vor dem nächsten Besuch nachfragen zu können, was diese wirklich brauchen. Über soziale Medien wurden Besuche koordiniert, Informationen über gebrauchte Sachspenden weiterverbreitet, der Einsatz Freiwilliger beim Sortieren von Sachspenden organisiert und Bilder vom Lager an die Öffentlichkeit getragen. Auch die Flüchtlinge konnten sich zu Wort melden und schickten immer wieder Videos aus dem Inneren des Lagers weiter.
Das Internet hat sich nicht nur in den sogenannten industrialisierten Ländern tief in den Alltag der Menschen eingegraben. Auf der ganzen Welt dient es Menschen als einfaches wie praktisches Kommunikations- und Informationsmittel. Manche schöpften daraus große Hoffnungen: Die Welt würde zu einem Global Village zusammenwachsen, in dem alle Menschen gleichen Zugang hätten und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren würden.
Die Wahrnehmung über die Verbreitung des Internets ist in unseren Breiten vielfach von Vorurteilen geprägt. So wurden Ressentiments über die angeblich zu gut versorgten Flüchtlinge mit Smartphones geschürt. Die Nutzung des Internets bzw. von mobilen Geräten ist allerdings kein westliches Privileg. Gerade Asien verzeichnet einen massiven Zuwachs an InternetnutzerInnen, fast die Hälfte der weltweiten SurferInnen geht dort ins Netz. Nichtsdestotrotz sind Europa, die USA, Australien und Neuseeland jene Regionen der Welt, in denen die meisten Menschen im Verhältnis zur EinwohnerInnenzahl Zugang zum Internet haben. Es gilt also weiterhin, eine große Kluft zu überwinden, denn in den sogenannten Entwicklungsländern hat ein Drittel der Menschen Zugang zum Internet, in den sogenannten Industrieländern sind es 80 Prozent.

Digitale Kluft
Doch auch in Europa oder in den USA gibt es eine digitale Kluft. Eine Untersuchung des Rats der Wirtschaftsberater im Weißen Haus ergab etwa, dass nur drei Viertel aller US-Haushalte online sind, in den einkommensschwächsten Landesteilen sogar nur 50 Prozent. Dazu kommt ein klares Stadt-Land-Gefälle bei der Geschwindigkeit. Gleiches gilt im Übrigen für Österreich.
Netzneutralität: So lautet ein Schlagwort, das eine Hoffnung auf Egalität im Internet zusammenfasst. Allerdings geht es dabei nicht so sehr um den grundsätzlichen Zugang zum Internet, sondern vielmehr um die Geschwindigkeit, mit der die Daten der Individuen weitertransportiert werden. Vom Anspruch her sollten diese Daten gleich behandelt werden – in anderen Worten neutral –, egal, ob sie eine große US-Firma verschickt oder ein Flüchtling. Wer ein Geschäft machen will, ist aber natürlich bestrebt, dem besser zahlenden Publikum mehr zu bieten als weniger zahlungskräftigen KundInnen.
Die Initiative für Netzfreiheit engagiert sich deshalb in Österreich dafür, dass diese Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben wird. „Eine Abkehr vom Prinzip der Netzneutralität hätte weitreichende Konsequenzen für Wirtschaft, kulturelle Vielfalt und Grundrechte im Internet“, mahnt die Initiative in ihrem Forderungskatalog. „Die Pläne mancher Provider zur Segmentierung ihres Netzwerks würden das Internet als barrierefreien Markt zerstören. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen würden von der gleichberechtigten Teilnahme am Internetmarkt abgehalten.“

Innovationen
Je nachdem, wie Zugang und Nutzung des Internets gestaltet sind, können sich also Chancen ergeben – oder eben alte Ungleichheiten reproduziert werden. Ein großes wirtschaftspolitisches Anliegen etwa ist, dass Innovationen nicht mehr das Monopol von großen und zahlungskräftigen Firmen bleiben sollen, die über entsprechende Ressourcen verfügen, um weiterzuentwickeln – und aufgrund ihrer Monopolstellung den KundInnen ihre Produkte um viel zu teures Geld verkaufen. Eine App, die barrierefreie Wege aufzeigt, eine andere, die – so banal dies klingen mag – den Weg zur nächsten öffentlichen Toilette weist, eine weitere, die den Weg durch den Dschungel einer bestimmten Behörde weist: Das sind nur kleine Beispiele.

Neue Chancen für Gewerkschaften
Auf politischer Ebene wiederum kämpfen AktivistInnen für den offenen Zugang von Regierungsdaten – gerade in Österreich ein harter Kampf. Dabei könnte der Zugang zu öffentlichen Daten einerseits wirtschaftliche Innovationen fördern, wofür sich etwa die Open Knowledge Foundation einsetzt.
In Österreich kämpft das Forum Informationsfreiheit für einen transparenten Staat. Nicht nur JournalistInnen, sondern auch die BürgerInnen selbst sollen im Sinne von demokratischer Kontrolle Zugang zu staatlichen Daten haben. So soll die Kontrolle staatlichen Handelns sowie der sorgfältige Einsatz von Steuergeldern nicht nur JournalistInnen möglich werden, sondern letztlich allen BürgerInnen. Ob Staat, Wirtschaft oder Gesellschaft: Auf vielen Ebenen werden traditionelle Strukturen nicht nur infrage gestellt, sondern bisweilen sogar überholt.
Auch für Gewerkschaften ergeben sich hier neue Chancen: BetriebsrätInnen können die neuen Medien nutzen, um KollegInnen zu organisieren, die auf heterogene Standorte aufgeteilt sind. Auch die Organisation von prekären Gruppierungen oder die Vernetzung mit anderen AkteurInnen lässt sich via Internet einfacher bewerkstelligen. Die Undok-Stelle, die sich für undokumentierte ArbeiterInnen einsetzt, ist dafür ein neueres Beispiel, die Vernetzung der atypischen oder migrantischen ArbeitnehmerInnen in der GPA-djp ein schon länger etabliertes.
Nicht zuletzt bietet das Internet einen völlig neuen Raum für Gegenöffentlichkeiten. Ob es um Griechenland geht, um Vermögenskonzentration und Umverteilung oder neue Formen der Ausbeutung: Auch Gewerkschaften eröffneten sich alternative Kanäle abseits des neoliberalen Diskurses, die noch dazu über soziale Netzwerke  unkompliziert verbreitet werden können. Die ersehnte Gleichheit hat auch das Internet nicht gebracht. Solange Ungleichheit die Welt regiert, wird sich daran auch so schnell nichts Grundlegendes ändern. Die Voraussetzungen könnten aber schlechter sein.

Linktipps:
International Telecommunication Union – „The world in 2015“
tinyurl.com/ooo65pz
Forum Informationsfreiheit
www.informationsfreiheit.at
Open Knowledge Foundation
okfn.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851307689 Ob für die Kommunikation der Flüchtlinge selbst, die Organisation der Spenden oder die De-monstration für Flüchtlinge: Überall erleichterte das Internet den Menschen das Leben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851307654 Auf Schritt und Tritt analysiert Ein Telefon ist heute ein mächtiges Gerät. Es ist ein kleiner leistungsfähiger Computer mit unzähligen Sensoren, den wir fast rund um die Uhr bei uns tragen. Unser Smartphone erfasst detaillierte Informationen über unser Leben und unseren Alltag. Wofür wir uns interessieren, mit wem wir was und wie oft kommunizieren, wo und wie wir uns bewegen und vieles mehr. Die von unserem Telefon erfassten Daten ermöglichen Rückschlüsse auf unseren Tagesablauf und Lebensstil. Allein durch eine Analyse der Bewegungsdaten lassen sich etwa nicht nur problemlos Wohnadresse und Arbeitsort bestimmen, sondern auch regelmäßige Wirtshaus- oder Arztbesuche.

Verhalten vorhersagen
Mithilfe statistischer Verfahren können sogar Prognosen über unser zukünftiges Verhalten getroffen werden. Aus vergangenen Aufenthaltsorten lassen sich etwa mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unsere zukünftigen Aufenthaltsorte vorhersagen. Andere wissenschaftliche Studien haben belegt, dass sich allein aus sogenannten Metadaten, also etwa der Häufigkeit von Anrufen, mit erstaunlich hoher Zuverlässigkeit auf Charaktereigenschaften wie psychische Instabilität, mangelnde Gewissenhaftigkeit oder soziale Unverträglichkeit schließen lässt. Die US-Firma Cignifi nutzt etwa genau solche Telefon-Metadaten, um die Kreditwürdigkeit von KonsumentInnen einzuschätzen – ganz ohne Zahlungshistorie. Gleichzeitig haben wir kaum eine Wahl. Wer heute ein Telefon benutzen möchte, kann nicht entscheiden, ob, sondern höchstens wer Zugriff auf die erfassten Daten erhält.
An den dominanten Herstellern der Smartphone-Betriebssysteme führt praktisch kein Weg vorbei. Ohne einen BenutzerInnen-Account bei Google, Apple oder Microsoft lassen sich die Geräte kaum sinnvoll nutzen Dazu greift ein großer Teil der von dritten Unternehmen angebotenen Zusatz-Apps auf Kontakt- oder Standortdaten zu. In diesen Apps sind oft weitere versteckte Dienste von wieder anderen Firmen eingebaut. Für die KonsumentInnen unsichtbar erfasst etwa der inzwischen von Yahoo gekaufte Dienst Flurry das Nutzungsverhalten von global 1,4 Milliarden Menschen in über 500.000 unterschiedlichen Apps. In Folge werden diese Menschen kategorisiert und klassifiziert – nach Alter, Geschlecht, ihrem Interesse für Finanzprodukte, ihrer sexuellen Orientierung oder als „neue Mütter“ (im Übrigen eine besonders lukrative Zielgruppe für gezielte Werbung).

Einkäufe und Facebook-Likes
Doch wie lassen sich solche Informationen extrahieren? Die US-Supermarktkette Target etw
a konnte schwangere Frauen und sogar deren Geburtstermine anhand einer Analyse der gekauften Produkte identifizieren. Recherchen des Journalisten Charles Duhigg zufolge zog Target dafür Schlüsse aus der Menge bestimmter Hautlotionen, Seife, Watte, Waschlappen oder Nahrungsergänzungsmitteln, die in gewissen Zeitabständen gekauft wurden. WissenschafterInnen der Universität Berkeley wiederum konnten allein auf Basis von Facebook-Likes mit relativ hoher Zuverlässigkeit auf persönliche Eigenschaften schließen – etwa auf Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, politische Einstellung, Religion oder Nikotin-, Alkohol- oder Drogenkonsum. Diese „Likes“ – also die von den NutzerInnen angegebenen Interessen und Vorlieben – stellen eine ähnliche Art von Daten dar wie unsere Einkäufe, unsere Suchbegriffe oder die Websites, die wir im Netz besuchen.

Wiedererkennen und zuordnen
Der Aufruf einer Website oder der Gebrauch eines Smartphones setzt heute meist eine ganze Kaskade an verborgenen Datenübertragungen in Gang. Fast alle gut besuchten Websites haben eine Vielzahl an Diensten eingebaut, die jeden unserer Klicks an unzählige dritte Unternehmen übermitteln.
Mithilfe sogenannter Cookies können die NutzerInnen jedes Mal wiedererkannt werden – auch über mehrere Websites hinweg. Der Benutzer-Account auf den großen Plattformen wie Google oder Facebook dient dabei zunehmend als Ankerpunkt, um die aufgezeichneten Verhaltensweisen auf unterschiedlichen Websites und Geräten mithilfe von Telefonnummern und E-Mail-Adressen immer wieder einzelnen Personen zuordnen zu können. Zudem sammelt etwa Facebook samt seinen Tochterfirmen wie WhatsApp oder Instagram durch den Zugriff auf die Adressbücher der NutzerInnen auch Daten über diejenigen, die gar nicht angemeldet sind.

Alte und neue Player
Darüber hinaus kooperiert Facebook nun auch mit Datenhandelsunternehmen, die schon seit Jahrzehnten im Geschäft sind. Ein Beispiel ist die US-Firma Acxiom, die über bis zu 3.000 Eigenschaften von 700 Millionen Menschen verfügt, darunter auch Daten über alle deutschen Haushalte. Acxiom betreibt unter anderem die Kundendatenbanken von 15.000 globalen Top-Unternehmen und arbeitet auch mit Google und Twitter zusammen.
Durch Partnerschaften wie diese können die digitalen Persönlichkeitsprofile der Online-Firmen endlich mit den langjährig angesammelten Beständen der alten Datenhandelsunternehmen verknüpft werden. Dazu kommen KundInnendatenbanken Abertausender weiterer Unternehmen. Damit wird es möglich, scheinbar anonyme BesucherInnen bestimmter Websites an der Kasse im Geschäft als genau jene wiederzuerkennen und umgekehrt. Die Zuordnung erfolgt mittels der gleichermaßen bei den Online-Plattformen wie auch im Handel hinterlegten Telefonnummern oder E-Mail-Adressen – und über Cookies und teils mehreren Zwischenstationen.
In den letzten Jahren sind globale Netzwerke aus Unternehmen entstanden, die umfassende Informationen über KonsumentInnen aus vielfältigen Online- und Offline-Quellen erfassen und diese miteinander verknüpfen. Die Daten werden einerseits für personalisierte Werbung eingesetzt. Diese Art der Werbung hat allerdings nur mehr wenig mit dem gemein, was wir bis vor Kurzem noch unter diesem Begriff verstanden haben. Die Einblendungen erfolgen gezielt auf der Ebene einzelner Personen – auf Basis von deren Verhalten. Es ist nur ein kleiner Schritt von dieser Art der personalisierten Werbung zu einer Praxis, in der Einzelne auf Basis ihrer Daten völlig unterschiedliche Angebote bekommen – oder gar individuelle Preise für die gleichen Produkte, wie bereits in vielen Online-Shops üblich.

Im Endeffekt werden die KonsumentInnen auf Schritt und Tritt beobachtet, analysiert und klassifiziert. Wie lukrativ sind einzelne KundInnen? Wem werden welche Zahlungsoptionen im Online-Shop angeboten? Die Grenzen zwischen Marketing und der Bewertung von KonsumentInnen nach ihrer Kaufkraft oder ihrer Kreditwürdigkeit verschwimmen immer mehr. Gleichzeitig betrachten die Unternehmen ihre Datenbestände und Analyse-Technologien als Geschäftsgeheimnisse. Für Einzelne ist völlig intransparent, wie sie eingeschätzt werden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Kommerzielle Überwachung
Viele Praktiken der Unternehmen sind nach europäischem Datenschutzrecht illegal. Trotzdem geht die Entwicklung rasant voran – getrieben von großen Kapitalsummen, die in Geschäftsmodelle fließen, die auf der Verwertung persönlicher Daten beruhen. Internationale Versicherungen befassen sich bereits damit, Krankheitsrisiken aus dem Einkaufsverhalten abzuschätzen. Andere Firmen arbeiten an Bonitätsbewertungen oder an der Einschätzung von Job-BewerberInnen unter Einbeziehung von Online-Daten. Gleichzeitig erfassen im sogenannten Internet der Dinge immer mehr Geräte Informationen über unseren Alltag – von E-Book-Lesegeräten, Fitness-Armbändern und Überwachungsboxen im Auto bis zu vernetzten Thermostaten. Für das Individuum ist es schon heute schwierig bis unmöglich, dieser kommerziellen Überwachungsmaschine zu entkommen.

Noch schlimmer: Wer nicht teilnimmt, macht sich erst recht verdächtig und wird im Zweifel negativ eingestuft. Allgegenwärtige digitale Überwachung könnte künftig drastische Auswirkungen auf die Autonomie des Einzelnen haben. Wenn sich Gesellschaft und Politik nicht bald sehr viel nachdrücklicher für diese Entwicklungen interessieren, wird uns die Tech-Industrie vor vollendete Tatsachen stellen.

Linktipp:
„Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag“: Studie von Wolfie Christl im Auftrag der AK.
tinyurl.com/q6y97o8

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor cw@crackedlabs.org oder die Redaktion aw@oegb.at

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Wofgang Christl, Datenexperte und Netzaktivist Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851307681 Mithilfe sogenannter Cookies können die NutzerInnen jedes Mal wiedererkannt werden - auch über mehrere Websites hinweg. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851307646 R2-D2 4.0 Den Herrn Karl gäb’s heute nicht mehr. Als Magazineur schob er die sprichwörtlich „ruhige Kugel“ und monologisierte über Österreich. Heute hetzt der Lagerlogistiker mit seiner „Ameise“ in neonbeleuchteten Hallen umher, schleppt, schlichtet und scannt Pakete, kontrolliert den Bestand am Computer. Aber auch dieser Job könnte bald Geschichte sein. Ein automatisches Fließband-Lagersystem beliefert den Robo-Picker, der über optische Bilderkennungssysteme die Pakete zusammenstellt, die dann von selbstfahrenden Robo-Cars ausgefahren und beladen werden. 47 Prozent aller Berufsgruppen können durch Automatisierung ersetzt werden, berechnete der Oxford-Professor Michael Osborne für die USA. Andere ForscherInnen wiederum prognostizieren ein Jobwachstum durch neue Berufe und Geschäftsmodelle.

Erleichterungen
Heutzutage hat jeder Job digitale Aspekte, sie können die Arbeit bereichern oder dequalifizieren. Dank maschineller Assistenz kann ein Mensch mit Behinderung einen anspruchsvollen Arbeits-platz finden, einem/einer HeimhelferIn wiederum könnte dank mobiler Eingabe der Dokumentation mehr Zeit für das persönliche Gespräch bleiben. Zugleich reduziert die Digitalisierung die menschliche Tätigkeit auf maschinelle Überwachung und Algorithmenkontrolle, dann bleibt etwa den ÜbersetzerInnen nur noch das Korrigieren sprachlicher Fehler.
Mensch und Maschine kommen einander näher: Roboter Nao wird als Geografiehilfslehrer eingesetzt. Motoman SDA5 kocht mit zwei überdimensionierten Greifarmen Krabbensuppe. YuMi baut Seite an Seite mit seinem menschlichen Kollegen Schaltschränke zusammen. DaVinci operiert in den USA immer öfter Gallenblasen, doch als Ersatz für seine menschlichen KollegInnen ist er noch zu teuer. Anders ist die Lage in der Autoproduktion: Hier kostet die menschliche Arbeitsstunde 50 Euro pro Stunde, der blecherne Kollege hingegen nur vier bis sechs Euro. Der Einsatz von Robotern bleibt jedoch nicht ohne Schwierigkeiten. Anfang Juli zeigte der erste tödliche Roboterunfall in der Geschichte die Gefahren auf – von der Vielzahl an Fragen rund um autonom fahrende Fahrzeuge einmal abgesehen.

Die Qualität der Arbeitsbeziehung Mensch‒Roboter entsteht erst, unbestritten verändert sie Wert-schöpfungsketten und Arbeitsorganisation. „Industrie 4.0 führt in der Sachgüterproduktion zum Personalabbau. Zugleich werden neue hoch qualifizierte Berufe entstehen, um die Maschinen zu steuern und zu kontrollieren. Arbeitsplätze mit wenig Produktivität wie Regalbetreuung oder Kassadienst kommen unter die Räder“, sagt Gernot Mitter, Arbeitsmarktexperte der AK Wien.
Die Digitalisierung überträgt die Maschinentaktung 24/7 auf die klassische Büroarbeit. Seitdem wir Computer in Taschengröße als Smartphones immer bei uns tragen, ist berufliche Erreichbarkeit eine Selbstverständlichkeit. Eine IFES-Studie bestätigt die entgrenzte Arbeitskultur: Fast die Hälfte der Angestellten verbringt einen Gutteil ihrer Arbeitszeit unterwegs. Aufschlussreich ist, dass die MitarbeiterInnen dies durchwegs freiwillig tun, überwiegendend ohne finanzielle oder zeitliche Entschädigung.
In den Frühzeiten des Handys war das mobile Büro Inbegriff der neuen Arbeitsfreiheit. Heute bevölkern Massen von Laptop-ArbeiterInnen Züge, Kaffeehäuser oder Parkbänke, ohne sonderlich fröhlich zu wirken. Dabei könnte es für beide Seiten Vorteile haben: Unternehmen sparen sich Kosten für Büroinfrastruktur, ArbeitnehmerInnen haben mehr Flexibilität in der Zeitgestaltung und ersparen sich etwa das tägliche Pendeln. Voraussetzung ist allerdings, dass man lernt, selbst Grenzen zur Arbeit zu ziehen – und dass das Unternehmen eine Kultur pflegt, die dies als Arbeitstugend schätzt. „Deshalb riefen wir die GPA-djp-Kampagne ‚Schalt mal ab!‘ ins Leben“, so Clara Fritsch. Denn die Zunahme psychischer Erkrankungen kann im Zusammenhang mit dieser „Always on“- Mentalität stehen. In Führungskreisen ist Nicht-Erreichbarkeit im Übrigen längst schick: Urlaub in Hotelanlagen mit Device-free-Zones sind in, um das Offline-Sein zu genießen.

Digitaler Taylorismus
Die Digi
talisierung macht persönliche Kontrolle des Personals immer weniger wichtig. Genauer als jede Stechuhr und aufmerksamer als jede/r Vorgesetzte kontrollieren und beurteilen die Arbeitsgeräte selbst die KollegInnen. Das Echtzeit-Monitoring ermöglicht stark individualisierte Leistungsbemessung und Kontrolle: Wie lange braucht jemand für eine Aufgabe hier oder in Vietnam? Effizienzsteigerung und Arbeitsverdichtung sind nicht nur für Konzerne Thema. Auch der Handwerksbetrieb schickt der Servicetruppe neue Arbeitsaufträge direkt aufs Handy. GPS-Lokalisierung reduziert „leere Fahrten“, weil der/die Vorgesetzte weiß, wer am nächsten bei der neuen Kundschaft ist.

Allein in der Crowd
Die fortschreitende Globalisierung reduziert die Kern- und baut die Randbelegschaften aus. Digitale Dienstleistungen werden immer öfter an die Crowd vergeben. Sie heißen CrowdFlower, freelancer.com oder Humangrid: Diese Arbeitsvermittlungsplattformen nehmen gegen Provision Aufträge von Unternehmen an und vermitteln die Jobs an die registrierten Crowd-Mitglieder.
Bezahlt wird auf Honorarbasis nach erfolgreich erledigtem Job: Der durchschnittliche Stundenlohn schwankt zwischen 1,25 Dollar bei Mechanical Turk (der ältesten Plattform, gegründet von Amazon) und bis zu 9,40 Euro beim deutschsprachigen Clickworker. Was in europäischen Sozialstaaten ein Hungerlohn ist, ist für einen indischen Crowdworker lukrativ. Als bekannt wurde, dass IBM eine Crowd beauftragte, um diese in Konkurrenz zum eigenen Entwicklungsteam zu stellen und so Hunderte Arbeitsplätze abzubauen, erkannte die deutsche Gewerkschaft den Handlungsbedarf. Christine Brenner, Vorsitzende der IG Metall: „Komplexe Aufgaben werden oftmals in kleine Teilaufgaben zerlegt, bevor sie ausgeschrieben werden, was die Arbeitsaufgabe dequalifiziert und so die Bezahlung senkt.“ Und das trifft für die Mehrheit der Minijobs zu. „Crowdworking ist eine neue Spielart der Arbeitsorganisation und noch in der Probephase. Es wird sich aber auch auf die Gestaltung des Normalarbeitsverhältnisses auswirken“, gibt Walter Peissl vom Institut für Technikfolgenabschätzung zu bedenken.
Es entstehen immer vielfältigere Arbeitsformen. Martin Risak verweist in seinem Blog-Beitrag auf einen aktuellen Bericht der „European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (eurofund)“. Darin werden neue Arbeitsformen erstmals zusammengefasst und strukturiert dargestellt. Insgesamt neun verschiedene Typen kennt der Bericht: Neben der Crowd gibt es etwa „Casual Work“, also Arbeit auf Abruf. Eine andere Variante ist Job-Sharing: „Mehrere ArbeitnehmerInnen teilen sich einen Arbeitsplatz und koordinieren ihre Verfügbarkeiten selbst.“ Auch eine Bezahlung in Form von Gutscheinen oder Schecks, „Voucher-based Work“ genannt, kennt die neue Arbeitswelt.

Klassenkampf reloaded
Wer profitiert von den Produktivitätsgewinnen und wer verliert? Zwischen 2007 und 2015 verdoppelte sich die Zahl der Millionäre, vier der Top Ten verdienten ihr Geld durch Informationstechnologie. Gernot Mitter sieht die Perspektive in einer noch stärkeren Spaltung. „Ein schwaches Drittel wird relativ gute Jobs haben und die anderen zwei Drittel werden auf prekäre Erwerbsformen zurückgeworfen.“
Existenzsichernde wie gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen einzufordern und wachsam gegenüber neuen Erwerbs- und Überwachungsformen zu sein bleibt gewerkschaftliche Aufgabe. Um mit der Halbwertszeit von Wissen Schritt zu halten, wird die Forderung nach Weiterbildung existenziell. In einer Arbeitswelt, die Zeit und Raum als berufliche Orientierungsraster aufweicht, nimmt Vereinzelung trotz steigender Kommunikationsdichte zu.
Solidarisches Handeln braucht gemeinsame soziale Erfahrungen – auch dies ein Auftrag an die ArbeitnehmerInnen-Vertretung. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Arbeits-Crowd genossenschaftlich in Coworking-Places organisiert, um Arbeitsrechte einzufordern, oder ob ein Heer digitaler und isoliert auftretender HeimarbeiterInnen um lukrative Aufträge und gute Bewertungen rittert.

Linktipps:
Arbeit&Wirtschaft-Blog
blog.arbeit-wirtschaft.at/neue-arbeitsformen
FairCrowdWork Watch
www.faircrowdwork.org
Grünbuch Arbeiten 4.0 zum Downloaden
tinyurl.com/nblpvx2

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Beatrix Beneder, Sozialwissenschafterin, für ihre Dissertation "Das Handy als Ich-Erweiterung" erhielt sie den Theodor-Körner-Preis Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851307673 Mensch und Maschine kommen einander näher. Die Roboter haben so futuristische Namen wie Nao, Motoman SDA5, YuMi oder DaVinci. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851307622 Klare Spielregeln nötig Zur Person
Sabine Köszegi
ist Professorin am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien. Sie entwickelt Konzepte, die nicht nur einer technisch-wirtschaftlichen Rationalität, sondern auch dem Menschen und seinen persönlichen und sozialen Bedürfnissen gerecht werden. Die geborene Mühlviertlerin studierte Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien. Während ihres Studiums absolvierte sie ein Semester an der University of Illinois, USA. Nach ihrem Diplom arbeitete sie einige Jahre in der Unternehmensberatung und wechselte danach in die Forschung, zunächst an der Universität Wien, seit 2009 forscht und lehrt sie an der TU Wien.


Arbeit&Wirtschaft: Wie mobil sind eigentlich Sie selbst in Ihrer Arbeit?

Sabine Köszegi: Komplett! Ich arbeite zum Beispiel auf dem Weg in die Arbeit, da gehe ich meine E-Mails durch oder telefoniere, und ich arbeite viel von zu Hause. Für mich passt das perfekt.

Sie haben zwei Kinder. Wie ist Ihre Erfahrung mit der Abgrenzung von Beruf und Familie oder Freizeit?

Das ist ein Riesenthema. Es ist aber eine Kompetenz, die man erwerben kann. Unsere Studentinnen und Studenten müssen das zum Beispiel auch lernen. Sie haben im Grunde genommen kein Wochenende, wenn sie es nicht als Wochenende definieren, und sie haben auch keinen freien Abend, wenn sie nicht sagen: So, und jetzt ist Freizeit. Sie könnten sich ja permanent vorbereiten, lernen, studieren und aktiv sein. Manche kommen damit besser zurecht, manche schlechter.
Genauso ist es mit flexiblem Arbeiten. Zum Beispiel: Dienstag ist mein Home-Office-Tag, da hole ich meine Kinder um drei und nicht erst um fünf Uhr ab und verbringe den Nachmittag mit ihnen. Diese zwei Stunden arbeite ich ganz locker um neun Uhr ein, wenn die Kinder im Bett sind. Wichtig ist aber auch, dass man selbst bestimmte Zeiten fixiert: Ich mache das von neun bis elf am Dienstagabend und nicht jeden Abend. Und ich teile mir die Arbeit so ein, dass ich sie in dieser Zeit schaffe. Im Gegenzug nehme ich Freizeiten, die in die reguläre Nine-to-five-Arbeitszeit fallen.
Die eine Seite sind also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst. Die andere Seite ist, dass es von der Arbeitgeberseite klare Spielregeln geben muss. Derzeit ist das aber in kaum einem Unternehmen geregelt. Die Leute bekommen mobile Devices und dürfen auch mobil arbeiten. Aber es ist ihnen nicht klar, wie viel sie eigentlich erreichbar sein müssen. Was dann implizit dazu führt, dass sie das Gefühl haben, dass sie das Mobiltelefon nicht auf die Seite legen oder abschalten dürfen, sondern permanent erreichbar sein müssen. Das verursacht dann schlussendlich Stress, weil es keine wirklichen Erholungsphasen gibt und man quasi permanent unter Strom steht. Deshalb braucht es auf beiden Seiten Richtlinien, Regeln und Vereinbarungen, aber eben auch Kompetenzen.

Welche flexiblen Modelle gibt es?

Das geht von flexibler Tagesarbeitszeit, Stichwort Gleitzeit, über flexible Wochenarbeitszeit bis hin zu flexibler Arbeitszeit über das Jahr gesehen oder sogar bis zur flexiblen Lebensarbeitszeit. Letztere kann dann natürlich Familien- und Lebensplanung mit berücksichtigen. Es ist wichtig, insbesondere für Frauen, bei den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen diese sehr umfassende Definition von Flexibilisierung im Auge zu haben.

Was weiß man über die Erwartungen der Arbeitgeber?

Das ist eben völlig unklar, weil es kaum Unternehmen gibt, die das tatsächlich in Vereinbarungen regeln. Die Bitkom-Studie hat das für Deutschland erhoben, und da gibt es eine große Kluft: Die ArbeitnehmerInnen glauben, deutlich mehr erreichbar sein zu müssen, als es die Arbeitgeber von ihnen erwarten. Aber es wird nie explizit ausgesprochen.

Wie lässt sich der Widerspruch auflösen?

Man muss die Dinge transparent machen. Wenn wir flexibles Arbeiten einführen, müssen wir Spielregeln definieren. Betriebsräte könnten zum Beispiel unternehmensspezifische Betriebsvereinbarungen anstreben, wie genau solche flexiblen Modelle aussehen dürfen.
Einerseits muss man offenlegen: Was gehört für mich als Arbeitnehmer dazu? An welche Spielregeln muss ich mich halten? Wie wollen wir mit Notsituationen umgehen? Wann muss, wann soll ich erreichbar sein? Wie gehe ich damit um, wenn ich im Urlaub etwas beantworte: Ist das dann Arbeitszeit oder nicht? Wird von mir erwartet, dass ich antworte, und falls ja, wie vergütet der Arbeitgeber diese Zeit? Will ich das überhaupt? Ich denke, es ist ganz, ganz wichtig, wirklich total arbeitsfreie Zeiten zu vereinbaren.
Was die Wirtschaft fordert, kann ich nachvollziehen: Wir brauchen wirklich im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexiblere Arbeitszeitmodelle. Gleichzeitig kann ich aber den Wunsch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachvollziehen, dass man das nicht völlig unreguliert lassen kann.

Gibt es nicht auch noch einen Unterschied zwischen ArbeitnehmerInnen in Führungspositionen und jenen ohne?

Auch als Führungsperson brauche ich einen entspannten Urlaub, um dann wieder fit zu sein. Eine meiner MitarbeiterInnen hatte kürzlich einen Notfall und ich habe meinen Urlaub unterbrochen. Ich habe für mich entschieden, welche Aufgaben so dringend sind, dass ich meinen Urlaub unterbreche – und welche ganz gut warten können. Da wird es jetzt haarig, weil das Fragen sind, die gar nicht so einfach zu beantworten sind, sondern das sind Ausverhandlungsprozesse.
Solche Situationen gibt es im Grunde in jedem Job. Wenn Sie EDV-Technikerin oder -Techniker sind, gibt es vielleicht auch Situationen, die es rechtfertigen, dass Sie aus dem Urlaub geholt werden: zum Beispiel ein Server bricht zusammen oder irgendein Programm ist falsch programmiert. Aber wann ist dieser Punkt erreicht? Das lässt sich eben nicht gesetzlich oder pauschal regeln,  wahrscheinlich lässt es sich auch in Betriebsvereinbarungen nur andiskutieren – und dann braucht es eine gute, gelebte Praxis, eine Kultur.
Wir haben diese Spielregeln ja im Office-Bereich auch, an denen wir uns orientieren und die uns die Zusammenarbeit überhaupt erst möglich machen. Genau das brauchen wir auch für das flexible Arbeiten, wobei als Schwierigkeit dazukommt, dass Facetime reduziert ist und die Leute damit nicht mehr sichtbar sind. Zugleich bietet uns diese Flexibilität viele andere Vorteile.

Ist mobiles Arbeiten für alle Prozesse geeignet?

Jeder Produktionsprozess ist natürlich ein Stück weit spezifisch und hat verschiedene Schnittstellen, wo verschiedene Menschen zusammenarbeiten müssen, teilweise mit unterschiedlichen Kompetenzen und unterschiedlichen Betriebsmitteln. Nicht alle Arbeitsabläufe sind geeignet, um sie in einer Extremform flexibel zu gestalten. Aber ganz viele schon und man könnte wahrscheinlich durchaus mehr Tätigkeiten flexibler gestalten.
Arbeit zu flexibilisieren heißt auch, dass sie nicht mehr zentral geplant werden kann, wie das bisher üblich war. Dann werden Kompetenzen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegiert, also der Arbeitsablauf, die Koordination und die Abstimmung aufeinander. Als ArbeitnehmerIn bekommen Sie damit eine zusätzliche Aufgabe, denn Ihnen wird nicht mehr gesagt, wann Sie was zu tun haben. Vielmehr müssen Sie sich das selbst einteilen, Prioritäten setzen und sich mit anderen abstimmen. Das sind eigentlich Managementaufgaben, und dazu brauchen Sie Kompetenzen. Die Fragestellung ist also: Wie kann man Rahmenbedingungen schaffen, damit es zu Lernprozessen kommt, zu einem Kompetenzerwerb, und dass es Spaß macht und eben nicht zu Stress, zur Überforderung kommt. Das ist natürlich nichts, das von allein funktioniert. Den Unternehmen muss klar sein, dass es dafür Unterstützung braucht.

Eine neue Herausforderung für das Management?

Natürlich. Es ist einfach ein neues Prinzip: Wenn ich Arbeit flexibel gestalten möchte, muss ich von der geplanten Organisation zur Selbstorganisation übergehen. Man kann das mit entsprechender Kommunikations- und Informationstechnologie unterstützen, wieder mit guten Spielregeln, mit Präsenzzeiten und Face-to-face-Koordination, wo man festlegt, wie manche Dinge passieren sollen – und mit guter Führung. Es braucht Zielvereinbarungen mit MitarbeiterInnen, damit ganz klar ist, welche Aufgaben sie bis wann zu erfüllen haben.

Mir scheint, dass es vor allem da Probleme gibt, wo Abläufe nicht genug reflektiert werden.

Ja, dann werden Schwächen im Fühungs- oder Managementsystem sehr sichtbar. Wenn Mitarbeiter nicht gut geführt sind, kommt es eben zu schwierigen oder  Stresssituationen für alle, zu geringerem Output, zu geringerem Commitment und all den negativen Auswirkungen.
Ein Forschungsprojekt einer meiner MitarbeiterInnen beschäftigt sich mit dem Teamklima, zu dem all diese sozialen Aspekte dazugehören und das flexibles Arbeiten gut möglich macht: Spielregeln, Führung, Vertrauen.
Aus internationalen Untersuchungen wissen wir, dass insgesamt auf jeden Fall Vorteile zu erwarten sind, für MitarbeiterInnen und ArbeitgeberInnen: Die Performance steigt, das Commitment, die Zufriedenheit. Und die Befürchtung, dass es verstärkt zu Burn-out kommt, wird nicht bestätigt.

MitarbeiterInnen selbst sehen das nicht unbedingt negativ?

Nein, nein. Ich glaube, dass es derzeit insbesondere für Frauen von Vorteil ist. Aber es wird hoffentlich bald nachhaltig für Männer und für Frauen so sein, also für Menschen, die ein Leben und Verpflichtungen außerhalb der Arbeit haben, sei es weil sie Kinder haben oder ihre Eltern pflegen, sei es weil sie ein Hobby haben, das sie nicht aufgeben möchten.
Ich glaube, dass es insgesamt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorteilhaft ist – unter der Voraussetzung, dass sie in diesem Prozess unterstützt werden.
Es sind vielleicht nicht alle Menschen generell dafür geeignet. Manche bevorzugen einfach Strukturen und brauchen diese auch. Das ist auch etwas, das man den Unternehmen mitgeben kann oder sollte: Ich würde das nie übers Knie brechen, wenn das jemand nicht will. Wenn jemand lieber zwischen acht und fünf im Büro sitzt und dort seine Arbeit erledigt, dann soll es auch diese Möglichkeit geben.
Natürlich gibt es auch Branchen, wo es nicht geht, gerade Dienstleistungen an Menschen, im Krankenhaus oder in Kindergärten. Da könnte man flexibilisieren, indem man Dienstpläne an Teams delegiert, und bis zu einem gewissen Grad tun die das ja auch. Das wäre theoretisch eine Möglichkeit.
Oder man gibt einem  Team eine Aufgabe: Das hätte ich gern in dieser Qualität bis dann erledigt und ihr macht euch aus, wie ihr das tut, ihr könnt euch die Pausen ausmachen und den Urlaub. Der springende Punkt ist: Das funktioniert, wenn das Team funktioniert. Das heißt, man muss in Reflexion, Teambuilding, Supervision und so weiter investieren. Aber Teams, die sich gut etabliert haben, würden nie wieder in eine andere Form der Arbeit zurückgehen.
Wichtig ist nur: Das muss betreut und supervidiert werden. Es muss den Leuten gut gehen damit, und das geht nur, wenn in das Beziehungsgefüge investiert wird.

Erübrigt sich damit Kontrolle?

Genau, die brauche ich dann nicht mehr. Deswegen wird es eigentlich auch billiger.

Dabei erleichtern die technischen Möglichkeiten eigentlich die Kontrolle.

Das ist zum Beispiel ein kritischer Punkt. Da sammeln wir gerade empirisch Erfahrungen mit Unternehmen, die auf flexibles Arbeiten umstellen und die sich im Spannungsfeld befinden: Wie viel Kontrolle braucht es jetzt? Wie viel nutze ich auch Technologie, um zu kontrollieren? Und ist das nicht kontraproduktiv? In diesem Spannungsfeld bewegt man sich. Gleichzeitig gibt es aber auch ein Interesse des Arbeitgebers, seine Daten zu schützen und auch Missbrauch von Flexibilität zu verhindern. Auch das ist nachvollziehbar.

Sprich Vertrauen ist der Schlüssel?

Vertrauen ist ein Riesenthema – zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Team und zwischen Führungskraft und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das heißt, die eigentliche Führungsaufgabe wird noch einmal viel, viel wichtiger. Und sie besteht sehr stark in dieser Beziehungsarbeit, weil das Koordinative eben vom Team selbst übernommen wird. Wahrscheinlich brauchen sie auch flachere Hierarchien, weil viele Managementtätigkeiten damit in Wahrheit obsolet werden.
Wir sehen flexibles Arbeiten vorrangig als Autonomiegewinn für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Aus empirischen Studien wissen wir, wenn sie selbst über Arbeitszeit und Arbeitsort bestimmen können, dann wirkt es sich auch ökonomisch positiv auf das Unternehmen aus, da sie aus Dankbarkeit dem Unternehmen etwas zurückgeben wollen.
Wenn die Flexibilität allerdings vom Arbeitgeber eingefordert wird, ohne auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzugehen, sind diese positiven Effekte nicht zu erwarten beziehungsweise eventuell sogar negative Effekte zu befürchten.

Man vermutet, dass die Unternehmen sich mit dem Thema ohnehin beschäftigen müssen, weil Generation Y ganz andere Erwartungen hat. Teilen Sie diese Einschätzung?

Man hört es von Personalisten und ich nehme es auch bei meinen Studierenden wahr. Sie sind nicht mehr bereit, ihr Leben für den Job zu opfern. Arbeit soll spannend sein, interessant, aber nach 30 oder 40 Stunden ist es auch genug. Man will gut sein in dem, was man macht, die Arbeit soll Spaß machen und einen Sinn haben. Auch Autonomie und Selbstbestimmung sind ein Thema.
Die neue Generation ist vor allem schon ein Digital Citizen, sie können also mit Informations- und Kommunikationstechnologie sehr gut umgehen und sind mittlerweile auch eine ganz andere Form der Arbeit gewöhnt.
Ich würde zum Schluss noch gerne einen Aufruf anbringen: Wir wollen Unternehmen gerne wissenschaftlich in einem Umstellungsprozess auf flexibles Arbeiten begleiten. Bei Interesse kann man sich gerne bei uns melden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851307610 Sabine Köszegi http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305287 "Nicht zuletzt" ... Goldgräberstimmung Dass der Wandel von einer Industriegesellschaft zu einer digitalen Gesellschaft unaufhaltbar ist, ist klar. Nun ist es hoch an der Zeit, vom Getriebenen zum Gestalter zu werden, die Gefahren als auch die Chancen zu erkennen und Antworten auf zentrale Fragen zu finden: Wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten? Wie soll eine digitale Gesellschaft wirtschaftlich und politisch aussehen? Wie soll sich unser Alltag gestalten?

Unaufhaltsamer Onlinehandel
2014 kauften zwei Drittel der ÖsterreicherInnen online und gaben dabei rund sieben Milliarden Euro aus. Davon fließt jeder zweite Euro ins Ausland. Tendenz: stark steigend.
Eines muss man sich bewusst sein: Onlinehandel kann man nicht aufhalten. Das erzeugt entsprechend Druck auf den stationären Handel und folglich auf die Arbeitsplätze. Statt VerkäuferInnen in Geschäften laufen etwa bei Amazon Picker kilometerweit in den Lagerhallen herum – mies bezahlt, dafür umso besser überwacht. Der Kunde ist König? Ein Trugschluss, denn KonsumentInnen sind oft auch ArbeitnehmerInnen.
Gibt es schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Löhne in einer Branche, erzeugt das natürlich auch Druck auf andere Branchen. Für den traditionellen Handel bedeutet es, sich auf das geänderte Kaufverhalten einzustellen und selbst die technologischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dabei dürfen aber die Rechte der ArbeitnehmerInnen nicht unter die Räder kommen.

Wölfe im Schafspelz
Teilen klingt so heimelig – die Welt zu einem besseren Ort machen. Tatsächlich geht es bei Sharing Economy oft ums große Geschäft. So sind etwa Uber, Airbnb oder Helpling milliardenschwere Unternehmen. Da will niemand uneigennützig teilen, da geht es um Profite – möglichst hohe natürlich und möglichst ohne lästige staatliche Einschränkungen der analogen Welt, wie die 50 Milliarden Euro schwere Beförderungsplattform Uber besonders rücksichtslos vorexerziert. Es müsse ja niemand über diese Plattformen seine Dienste anbieten, so die Plattformbetreiber.
Es können aber nicht nur Arbeitsbedingungen betroffen sein, sondern wie bei Airbnb das Wohnungsangebot einer Stadt: Wenn es lukrativer ist, via Airbnb eine Wohnung an Touristen zu vermieten, dann wird man das auch tun. Damit gehen aber Angebote für Wohnungssuchende verloren, was gerade für Ballungsräume problematisch ist. Dazu kommen entgangene Steuereinnahmen. Auch hier gilt es, die nötigen Instrumentarien zu entwickeln, um gesellschaftlich unerwünschte Entwicklungen hintanzuhalten.

Der vermessene Mensch
Zudem generieren die Internet-NutzerInnen einen unermesslichen Datenschatz. Auch diesen kann man zu Geld machen. Menschen werden via Algorithmen vermessen, es wird ein Marktwert bestimmt und künftiges Verhalten vorhergesagt. Wer durchfällt, wird aussortiert oder muss mehr zahlen, etwa für eine Versicherung oder einen Kredit.
Die digitale Entwicklung bietet viele Vorteile und Chancen, auch für die interessenpolitische Arbeit. Diese gilt es zu nutzen und zu fördern.
Der Weg von Selbstverwirklichung zur (Selbst-)Ausbeutung ist aber gerade in der digitalen Welt nicht weit. Und viele haben keine Entscheidungsfreiheit am Arbeitsmarkt, etwa ältere Menschen.
Es bedarf auf nationaler und internationaler Ebene Regulatorien und Rahmenbedingungen, insbesondere um menschenwürdige Arbeitsbedingungen, den Sozialstaat und den Schutz der Privatsphäre weiter zu gewährleisten.

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Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305278 Frisch gebloggt blog.arbeit-wirtschaft.at.]]> Webtipps der Woche
Wir legen Ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Pikettys Thesen in 5 Teilen
  • Arbeitsmarktreform: Die Sündenbockstrategie des Finanzministers (Josef Wallner)
  • Geschlechtergerechte Arbeitszeit: Kürzer arbeiten – besser leben (Claudia Sorger)

Pikettys Thesen  
Der französische Ökonom hat mit seinen Thesen zur Vermögensbildung in den letzten Jahren für sehr viel Aufsehen gesorgt. In einer 6-teiligen Serie werden die zentralen Thesen des Ökonomen kurz und gut verständlich erklärt. Dabei geht es um die steigende Bedeutung des Kapitals, die Vermögensverteilung als politische Entscheidung, die steigende Einkommensungleichheit und dass Vermögen schneller als Wirtschaftsleistung wachsen.
Der Beitrag zu den politischen Ableitungen konzentriert sich auf Instrumente gegen die steigende Ungleichheit. Solche sind hohe Steuersätze auf Spitzeneinkommen und eine Substanzbesteuerung von Vermögen.
Außerdem müssten für eine umfassende Eindämmung der Vermögenskonzentration die teilweise legalen Möglichkeiten der Steuervermeidung abgeschafft werden. Piketty selbst widmet sich in einem Beitrag der Frage: Was muss noch passieren, damit sich Europa bewegt? 
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/pbywynk

Arbeitsmarktreform: Die Sündenbockstrategie des Finanzministers 
Hans Jörg Schelling hat den Ruf eines besonnenen Ministers. Mit seiner Aussage, das Arbeitslosengeld sei zu hoch, hat er diesen Ruf infrage gestellt. Für den AK-Arbeitsmarktexperten Josef Wallner ist der gemeinsame Nenner der Vorschläge des Finanzministers: kürzen, verschärfen, streichen. Schellhorn kritisierte die hohe Mindestsicherung, die zu laschen Zumutbarkeitskriterien und das Fachkräftestipendium, lobte dafür aber Hartz IV.
Wallner verweist auf die explodierenden Arbeitslosenzahlen, weil die Beschäftigung wegbricht und allmonatlich viel mehr Menschen auf Arbeitsuche sind, als offene Stellen zur Verfügung stehen. Er vermutet in der Sündenbock-Strategie des Finanzministers den Versuch, davon abzulenken, dass für die Behebung der wirklichen Ursachen unserer Arbeitsmarktmisere der Plan fehlt. Denn das gelobte Hartz-IV-Modell hat in Deutschland vor allem zu zwei Dingen beigetragen: einer steigenden Armutsquote und einer der höchsten Anteile an Niedriglohnbeschäftigung in ganz Europa. 
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/np3shyg

Geschlechtergerechte Arbeitszeit: Kürzer arbeiten – besser leben
Obwohl es in den letzten Jahren wieder verstärkt Initiativen zu einer Neugestaltung der Arbeitszeit im Interesse der ArbeitnehmerInnen gab, sind wir von einer neuen Arbeitszeit weit entfernt, wie Claudia Sorger in ihrem Beitrag darlegt. Es liegt mittlerweile 40 Jahre zurück, dass die gesetzlich festgelegte wöchentliche Arbeitszeit von 45 Stunden auf 40 Stunden reduziert wurde, und die in vielen Branchen kollektivvertraglich festgelegte Arbeitszeit von 38,5 Stunden ist bereits seit 25 Jahren unverändert. In der Arbeitszeitdiskussion der letzten Jahrzehnte dominierten Fragen der Flexibilisierung und Ausweitung der Arbeitszeit.
Dabei weisen die bestehenden Arbeitszeiten ein hohes Ausmaß an Flexibilität in Bezug auf Lage und Länge auf. Regelmäßige Überstundenleistungen sind gängige Praxis, laut Arbeitsklima Index leisten nur 30 Prozent der vollzeitbeschäftigten Angestellten nie Überstunden. Dass diese Arbeitszeiten nicht der Wunsch der ArbeitnehmerInnen sind, zeigt die hohe Zustimmung zur Frage der Arbeitszeitverkürzung: Für eine generelle Reduktion der Normalarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden sprechen sich im Falle eines vollen Lohnausgleichs zwei Drittel der Angestellten aus, ohne Lohnausgleich sind es immer noch knapp ein Viertel (23 Prozent). Die Arbeitszeitdiskussion hat zudem auch einen markanten Gender-Aspekt, wie Sorger anmerkt: Denn derzeit haben zahlreiche weibliche Beschäftigte ihre Arbeitszeit als Teilzeit ohne jeden Lohnausgleich reduziert.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/q77oebo

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Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305268 Die gläsernen MitarbeiterInnen Die amerikanische Bank JP Morgan versucht seine Angestellten in Schach zu halten, indem ein bestimmter Algorithmus ein Fehlverhalten der Banker vorzeitig erkennen und somit Fehlspekulationen und Manipulationen verhindern soll.
Ein Mitarbeiter der Firma Sports Direct wurde nicht nur von einem Detektiv verfolgt, an seinem Auto wurde ein GPS-Sender angebracht. Nach seinem Krankenstand wurde er fristlos entlassen.
Lidl löste im Jahr 2008 einen großen Skandal aus, als bekannt wurde, dass das Unternehmen seine MitarbeiterInnen mit Überwachungskameras kontrolliert. Lidl ist jedoch nicht das einzige Unternehmen, das seine Angestellten bespitzelt – Kameras in Geschäften und Supermärkten sind oft nicht ausschließlich auf die KundInnen gerichtet. In Zeiten, in denen die Menschen selbst (zu) viel von sich im Internet preisgeben und zugleich die Überwachung im öffentlichen Raum kontinuierlich steigt, stellt sich die Frage, wie viel der Arbeitgeber in die Privatsphäre seiner MitarbeiterInnen eingreifen darf. Bei einer Protokollierung und Speicherung von Daten kann unsachgemäßer Umgang oder Missbrauch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellen. Mit dem extrem schnellen Fortschritt der Technik bieten sich auch immer vielfältigere Möglichkeiten, Angestellte zu kontrollieren.

Vertrauen oder Kontrolle
Obwohl es heißt: „Wer nichts zu verbergen hat, braucht nichts zu befürchten“, agieren Unternehmen eher nach „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Daher sind die BetriebsrätInnen ganz besonders gefragt, die ArbeitnehmerInnen zu schützen. Mit diesem sensiblen Thema haben sich im Rahmen ihrer SOZAK-Abschlussarbeit die Belegschaftsvertreter Mario Ferrari, Erol Holawatsch, Georg Steinbock sowie Sean Patrick Stanton beschäftigt. Bei ihrer Arbeit handelt es sich um ein Kooperationsprojekt der gewerkschaftspolitischen Lehrgänge der Europäischen Akademie der Arbeit (EAdA) in Frankfurt am Main und der österreichischen Sozialakademie. Das Ergebnis der Kooperation ist eine Broschüre, die als Gemeinschaftswerk herausgegeben wurde. Die Broschüre ist weniger eine wissenschaftliche Studie als der Versuch einer Sensibilisierung der LeserInnen für die Bedeutung des Einsatzes technischer Überwachungsmittel in der Arbeitswelt und deren Missbrauchsmöglichkeiten. Es ist auch ein Leitfaden von BetriebsrätInnen für BetriebsrätInnen in Österreich und Deutschland, der nicht nur über die rechtlichen Rahmenbedingungen aufklärt, sondern auch Hintergrundinformationen und Unterstützungsmöglichkeiten bietet.

Es gibt viele Gründe, warum Unternehmen auf Zutrittskontrollen, Videoüberwachung und Softwareüberprüfung setzen, der Überwachungsgedanke steht dabei allerdings nicht immer im Fokus. Der Hauptgrund für die Installation von digitalen Überwachungsinstrumenten ist die Bewahrung des Unternehmens und des sich darin befindlichen Eigentums – angefangen von Werkzeug und Maschine bis hin zu unternehmensinternen Informationen und Zahlen – vor fremdem Zutritt, Wirtschaftsspionage und Diebstahl, aber auch die Sicherheit der MitarbeiterInnen. Eine Videokamera auf Verkaufsflächen in Geschäften ist ohnehin fast schon Usus, um vor Diebstahl abzuschrecken oder diesen rechtzeitig zu erkennen. Viele Unternehmen, wie die Großbank JP Morgan, verwenden auch IT-Software, um firmeneigene Hardware und Programme vor fremden Zugriffen zu schützen. Diese Methoden bieten allerdings auch die Möglichkeit, die MitarbeiterInnen in Echtzeit zu kontrollieren und auf ihre Laufwerke und Mails zuzugreifen.
Oft werden Qualitätssicherung und Prozessoptimierung als Gründe genannt, um digitale Überwachung im Betrieb einzusetzen. Beides ist gerechtfertigt, jedoch müssen natürlich die Motive hinterfragt werden und die Begründungen nachvollziehbar sein. Bei einer Prozessoptimierung kann es sich einerseits um MitarbeiterInnenabbau handeln. Andererseits kann es tatsächlich darum gehen, bestimmte Prozesse zu optimieren, um Ressourcen anderweitig einzusetzen.

Vorsicht, Überwachung!
Vorsicht für BetriebsrätInnen ist bei einer versprochenen „Bedienungserleichterung“ geboten. Bei der Einführung von neuen technischen Systemen, sei es bei Handys, PCs oder anderen elektronischen Geräten, sollte immer ein Fachmann oder eine Fachfrau zurate gezogen werden, der/die Informationen im Hinblick auf potenzielle Überwachungsmöglichkeiten geben kann. Auch wenn die neuesten und innovativsten Geräte angeschafft werden – MitarbeiterInnen schätzen es, wenn sie mit der aktuellsten Technik ausgestattet werden –, sollten die BetriebsrätInnen überprüfen, in welchem Maß diese neuen Arbeitsmittel die Grenzen zur Privatsphäre der ArbeitnehmerInnen überschreiten könnten. So sind die meisten Smartphones mit einem GPS (Global Positioning System) ausgestattet, das eine Lokalisierung der Person ermöglicht sowie die Kontrolle ihrer Bewegungen. Meist vorgeschobene Gründe für die Installation von Videokameras und Überwachungssoftware sind Aussagen wie „Der Markt zwingt uns dazu“ und dass dies die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs steigern würde. Hier gilt es besonders, die Motive zu hinterfragen, ob die Anschaffung von digitalen Überwachungsgeräten tatsächlich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verbessern würde.

Betriebs-„Leaks“
Die am häufigsten genutzte – und von den ArbeitnehmerInnen am meisten tolerierte – Überwachsungstechnik ist Audio- bzw. Videoüberwachung, um den Betrieb gegen Diebstahl oder bestimmte Räume zu schützen. Trotz allem werden hier oft Grenzen überschritten und beispielsweise durch Installation von Videoüberwachung in den Sozialräumen oder Toiletten die persönlichen Rechte oder gar die Menschenwürde verletzt. Häufig wird dabei auch die Arbeitstätigkeit einzelner Angestellter überwacht, um damit einen späteren Personalabbau zu rechtfertigen.
Auf Chipkarten, die MitarbeiterInnen beispielsweise zur Türöffnung verwenden, werden Daten zentral gespeichert, wodurch die einzelnen Bewegungen der Angestellten beobachtet werden können. Kommunikationssoftware kann – je nach Konfiguration – alle Chatverläufe und Bewegungen speichern. Auch Arbeitsbeginn und -ende können über den Server ermittelt werden, E-Mails, Eingaben in Suchmaschinen, sogar ganze Einkäufe bei Amazon können ebenfalls aufgezeichnet, protokolliert und überwacht werden. Obwohl viele Unternehmen die private Nutzung von Dienstlaptops und -handys erlauben, sollten MitarbeiterInnen sich bewusst sein, dass auch diese überwacht werden und der Arbeitgeber die abgerufenen Homepages und getätigten Anrufe überprüfen kann.

Die größte Datenschutzfalle stellt jedoch das Personalverrechnungssystem dar, in dem alle relevanten Daten der MitarbeiterInnen, angefangen von Name und Geburtstag bis hin zur Bankverbindung und der Höhe des Gehalts, gespeichert werden. Das meistgenutzte Personalverrechnungssystem, vom Unternehmen SAP entwickelt, ermöglicht AdministratorInnen und UserInnen mit entsprechender Zugangsberechtigung Zugriff auf alle Informationen der Belegschaft.
Die gesetzliche Verpflichtung zu einer Betriebsvereinbarung in der Arbeitsverfassung ArbVG §§ 96 u. 96a bzw. BVG § 87 ist das wichtigste Instrument zum Datenschutz in Unternehmen. Jeder Betrieb hat seine Besonderheiten, Eigenheiten und unterschiedlichste Richtlinien. Daher wird eine möglichst präzise und genau definierte Betriebsvereinbarung empfohlen, um Datenschutz auf höchster Ebene zu garantieren und damit nicht nur das Unternehmen, sondern auch die MitarbeiterInnen zu schützen. Die Herausforderung für BetriebsrätInnen ist eben, diese unternehmenseigenen Besonderheiten zu berücksichtigen. Ohne eine solche Betriebsvereinbarung ist die Verwendung solcher Systeme wie Kommunikationssoftware etc. untersagt. Trotzdem ist nicht garantiert, dass es Fälle von Datenmissbrauch in Betrieben nicht immer wieder vor die Gerichte und als Schlagzeilen in die Medien schaffen.

Linktipp:
Die Broschüren zum Download
tinyurl.com/ouayyjs

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309625 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309639 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305261 Mind the Gap! Zwei Drittel aller Jugendlichen ab 15 Jahren besitzen ein eigenes Smartphone mit Internetzugang. So lautet ein Ergebnis der oberösterreichischen Jugend-Medien-Studie. Die Jugendlichen können damit auf immense Wissensdatenbanken zugreifen, Lernerfolge multimedial dokumentieren und kollaborativ tätig sein. Während Smartphones den Alltag von Teenagern beherrschen, sind in der Schule die Lernmittel der Wahl noch immer Tafel, Kreide, Heft und Stift. Die Lehrpläne sehen sogar noch vor, dass in Volksschulen die Kunst des Schreibens mit der Füllfeder erlernt wird.
Die Schule als Lernort konnte sich der Digitalisierung von Wissen und dessen Vermittlung natürlich nicht völlig verschließen. Viele VorkämpferInnen arbeiten Schritt für Schritt an einem Update für die Schulen. Eine neue Generation von LehrerInnen ist bereits selbst mit der Allgegenwärtigkeit von digitalen Medien aufgewachsen. Der „Gap“ zwischen lehrenden Digital Immigrants und lernenden Digital Natives schließt sich immer mehr. Die Unterrichtsvorbereitung erfolgt meist digital, viele Schulen bieten Lernplattformen und Internet. In höheren Schulen gibt es immer mehr Laptop- oder Tablet-Klassen.

Digital-Gap 2.0
Dieser Prozess ist jedoch nicht flächendeckend, er erfasst nicht alle Teile des Schulsystems und nicht alle Schulen gleichermaßen. Zudem droht ein neuer Spalt zu entstehen, und zwar innerhalb der Jugendlichen, wie immer mehr ExpertInnen warnen.
Auf der einen Seite stehen jene Jugendlichen, die es schaffen, die neuen digitalen Möglichkeiten produktiv zu nutzen, um ihr Umfeld zu gestalten und sich online künstlerisch und politisch auszudrücken. Auf der anderen Seite stehen jene, die zwar Zugang zu digitalen Informationen und Netzwerken haben, diese aber fast ausschließlich für Konsum zu nutzen wissen.

Klare Vermittlungsziele nötig
Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es neben einem möglichst breiten Zugang zu Infrastruktur (Hard- und Software) auch klare Vermittlungsziele. Digitale Kompetenzen müssen Teil eines umfassenden Kanons an Basisqualifikationen, einer analogen und digitalen Alphabetisierung sein.
Die Grundlagen dafür wurden bereits für jede Schulstufe festgelegt. Unter dem Slogan „Kein Kind ohne digitale Kompetenzen“ wurde dazu vom Bildungsministerium auf
www.digikomp.at ein eigenes Portal mit Unterrichtsbeispielen, Kompetenzmodellen und Weiterbildungsmöglichkeiten für LehrerInnen eingerichtet.
Dabei muss jedoch klar sein, dass nicht jedes Kind Software-EntwicklerIn wird, sondern je Schultyp und Berufsausbildung unterschiedliche pädagogische Zielsetzungen benötigt werden. Christian Schrack, IT-Experte des Bildungsministeriums, unterscheidet in diesem Sinne zwischen IT als beruflichem Ausbildungsziel und IT als Lernwerkzeug. Nicht alle Kinder müssen Code programmieren können, aber fast alle werden in ihrem Berufsleben mit Computer und im Internet arbeiten sowie als KonsumentInnen oder aktive BürgerInnen die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung und Informationsgestaltung nutzen. Das allgemeine Bildungssystem muss sich darauf vorbereiten.
Um diesem Bildungsauftrag nachzukommen, sind immense Investitionen vonnöten. Diese beginnen mit der Anbindung aller Schulen an leistungsfähiges Breitband-Internet und dem Ausbau von kabellosen Netzwerken (WLAN) an Schulen.
Die Verbreitung von Laptop-Klassen hat in den letzten 15 Jahren immer wieder Debatten über die soziale Verträglichkeit von verpflichtenden IT-Anschaffungen an öffentlichen Schulen provoziert. Gleichzeitig fürchteten viele Lehrkräfte, dass die mit Laptops und Kabeln vollgestopften Klassenzimmer die pädagogischen Möglichkeiten und Kooperation zwischen SchülerInnen einengen würden.

Vom Smartphone zum Smart-User
Aber auch diese Probleme haben sich durch den technischen Fortschritt abgeschwächt. Nicht nur sind die Preise für Laptops und Co im Sinkflug, die leistungsfähigen Tablets ermöglichen noch dazu interaktivere und kommunikativere Unterrichtsmethoden als starre Computersäle. Mit dem neuen BYOD-Zugang (Bring Your Own Device) machen sich viele Lehrkräfte die Tatsache zunutze, dass fast alle SchülerInnen in den Klassen bereits internetfähige Smartphones besitzen, und schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Es entfallen nicht nur die Kosten für Anschaffung und Verkabelung von PC oder Laptop. Die SchülerInnen lernen damit auch ihr eigenes Smartphone nicht nur für Selfies und Instagram, sondern auch für Wissensakquise, vernetzte Arbeit, Erfolgsdokumentation und Ergebnissicherung zu nutzen.

Leistbarkeit
Bei aller Euphorie für den BYOD-Trend darf nicht vergessen werden, dass sich nicht alle SchülerInnen, respektive ihre Eltern, ein Smartphone und entsprechende Internetpakete leisten können.
Ein weiterer Kostentreiber für Eltern und Lehrkräfte sind interaktive und digitale Unterrichtsmaterialien. Die Schulbuchaktion deckt bisher nur gedruckte Schulbücher ab.
Zwar können die SchülerInnen ab dem Sommersemester 2016 auf ein PDF ihrer Bücher zugreifen, interaktive oder multimediale Unterrichtsmaterialien müssen jedoch auch weiterhin über teure sogenannte SBX, Schulbuch-Extras, zugekauft werden. Darüber hinaus kommen Lehrkräfte bei der Zusammenstellung von digitalen Unterrichtsmaterialien schnell in Konflikt mit dem Urheberrecht und riskieren hohe Strafzahlungen.
Da die parallele öffentliche Finanzierung von gedruckten Schulbüchern und digitalen Unterrichtsmaterialien besonders teuer ist, gehen einige Länder der EU bereits einen radikalen neuen Weg. So plant beispielsweise Polen die völlige Abschaffung des gedruckten Schulbuchs für die Oberstufen, in den Grundschulen wird das gedruckte Materialien-Paket stark reduziert. Die damit frei werdenden Gelder werden in digitale Lernbegleiter (Tablets) und kostenlose, online verfügbare Unterrichtsmaterialien investiert.

Open Educational Ressources
Bemühungen für mehr dieser Open Educational Ressources (OER) gibt es jedoch nicht nur in Polen: In vielen europäischen Ländern, den USA sowie speziell in Entwicklungsländern (Stichwort: Khan Academy) wird das Potenzial von kostenlos zugängigen und erweiterbaren Lerninhalten bereits erkannt.
Die Grundidee besteht darin, den Lehrkräften durch offene, das heißt veränderbare und lizenzfreie Unterrichtsmaterialien jene individuelle Vorbereitung zu ermöglichen, die frühere Generationen aus der Arbeitsblättersammlung kannten.
Durch die Mobilisierung der kollektiven Intelligenz und Kreativität der Lehrkräfte könnte damit eine Sammlung an öffentlichem Vermittlungswissen entstehen, das jeder und jede anzapfen kann. Doch auch OER brauchen öffentliche Investitionen für die Anschubfinanzierung, Wartung und Qualitätssicherung der Lehr- und Lernmaterialien. Wie hochqualitative OER aussehen können, zeigen bereits einige engagierte österreichische Projekte wie das offene Lehrbuch für technisches Lernen (
www.l3t.eu) oder auch die steirische Lernplattform www.imoox.at (steirisch: i mogs = ich mag es).

Schritt für Schritt
Die vielen Beispiele aus Österreich und den europäischen Nachbarländern zeigen, wie sehr sich die Bildung Schritt für Schritt digitalisiert, wie versucht wird, die unfassbaren Möglichkeiten der digitalen Bildung zu nutzen und ihre didaktischen Vermittlungsziele im Schulalltag zu verankern.
Um die Spaltung in ProfiteurInnen und VerliererInnen der digitalen Lernkultur zu verhindern, müssen digitale Kompetenzen als Basisbildung in allen Schultypen verankert werden und der Zugang zu den neuen Lernressourcen ohne finanzielle Hürden für Lernende und deren Eltern gewährleistet sein.
 
Linktipps:
Offenes Lehrbuch für technische Bildung
www.l3t.eu
Online-Lernplattform aus der Steiermark
www.imoox.at
Informationsseite der virtuellen Pädagogischen Hochschule zu OER
www.virtuelle-ph.at/oer

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor andreas.kastner@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Andreas Kastner, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309562 Kinder werden in Zukunft mit Computern arbeiten. In der Schule spielen aber Tafel und Kreide oft eine größere Rolle als digitale Medien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305257 Die Datengier bändigen Frank Schirrmacher, der verstorbene Mitherausgeber der FAZ, galt als Vordenker offener Fragen der digitalen Welt. Am deutschen Verbrauchertag 2013 resümierte er: Verbraucherschutz in der Informationsökonomie wird zu einer politisch hochbedeutsamen Aufgabe. Er muss sich zu einem Instrument von Freiheitssicherung entwickeln. Eric Schmidt (Vorstandsvorsitzender der neuen Google-Mutterfirma Alphabet, Anm.) schreibt, Persönlichkeit wird künftig der wertvollste Rohstoff der BürgerInnen sein. Online-Erfahrungen werden mit der Geburt beginnen – oder noch vor der Geburt, wenn sogar schon Ultraschallfotos ins Netz gestellt werden. Der/Die VerbraucherIn im digitalen Zeitalter kauft nicht nur ein Produkt, er/sie wird tatsächlich selbst zum Produkt. Er/Sie wird gelesen, wenn er/sie kauft. Er/Sie wird gelesen, wenn er/sie sich bewegt. Er/Sie wird gelesen, wenn er/sie liest, wenn er/sie bezahlt, sogar wenn er/sie denkt ... Im Zeitalter von Big Data wird potenziell alles zum Markt, auch die Politik und das soziale Leben.

VerbraucherInnenschutz
Die Nutzung von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken oder Apps gelten KonsumentInnen mit dem Handelswert ihrer Daten ab. Die Daten sind die Basis für Werbung, Marktforschung, den Adresshandel, für Persönlichkeits-, Mobilitäts- und Verhaltensprofile, für effizientere Unternehmenssteuerung und Entwicklungsprognosen, für individualisierte Produkt- und Dienstleistungsangebote, für Wirtschaftsauskunfteien u. v. m. Alle Internet-NutzerInnen haben einen „digitalen Zwilling“, ihre Eigenschaften, Vorlieben, Interessen, Gewohnheiten, Beziehungen zum Freundeskreis oder Arbeitgeber kennt die Onlinewirtschaft oft genauer als der Betroffene selbst. Wer keinen Wert auf ein virtuelles Double legt, hat kaum mehr Handhabe, als digital weitgehend abstinent zu sein und sich dem Internet zu verschließen.

330 Milliarden Euro
Nach Schätzung der Boston Consulting Group wird der Handelswert persönlicher Daten 2020 allein in Europa 330 Milliarden Euro betragen. Dass Internet-NutzerInnen sich des Werts ihrer Daten zunehmend bewusst werden, haben auch MarketingstrategInnen bereits einkalkuliert: Man beginnt, Internet-NutzerInnen am Datenfluss mitverdienen zu lassen. Mit der App von Shopkick etwa können KundInnen Produkte einscannen, individuell bewerten und dafür geldwerte Bonuspunkte bekommen. In der Regel haben Internet-NutzerInnen aber keinen Einblick, welche Daten und Erkenntnisse über ihre Person gesammelt und weiterveräußert werden bzw. wer die Empfänger dieser Informationen sind.
Mit seinem Buch „The Electronic Eye: The Rise of Surveillance Society“ hat der Soziologe David Lyon schon 1994 das Konzept des „Social Sorting“ beschrieben – also die ständige Klassifizierung der Bevölkerung auf Basis ihrer persönlichen Daten durch Software-Algorithmen. Am Ende stehen subtile Reihungen, durch die manche KonsumentInnen gegenüber anderen privilegiert würden – etwa durch unterschiedliche Preise oder Wartezeiten – und manche würden überhaupt ausgeschlossen.

Big-Data-Visionen
Auf vier in hoffungsvollem Grün gestalteten Seiten fasste die EU-Kommission im April 2015 zu-sammen, wie sie die EU-Datenschutzreform und eine möglichst schrankenlose Nutzung von Big Data in harmonische Beziehung setzen möchte. Die Datenschutzreform wird als Impulsgeber für Big-Data-Dienste in Europa und als Teil eines positiven Kreislaufes zwischen Grund-rechtsschutz, Vertrauen der KonsumentInnen und Wirtschaftswachstum gesehen.
Der Hauptvorteil von Big Data läge darin, so die Kommission, Muster in verschiedenen Datenquellen auszumachen und daraus „nützliche Erkenntnisse“ zu gewinnen. Nützlich mögen wohl viele Datenverknüpfungen sein. Nach unserem Grundrechtsverständnis reicht nachgewiesene Nützlichkeit aber nicht aus, personenbezogene Daten auch tatsächlich verwenden zu dürfen.
Dass die EU-Kommission das Vertrauen der KonsumentInnen in Bezug auf den Datenschutz stärken möchte, ist angesichts folgender Umfrageergebnisse des Eurobarometers keine schlechte Maxime: 92 Prozent der befragten ÖsterreicherInnen sprachen sich für eine Priorität des Datenschutzes in der EU aus. Für 78 Prozent der Befragten verfügen Serviceanbieter über zu viele Informationen über das Verhalten und die Vorlieben ihrer NutzerInnen. 73 Prozent wollen um ihre ausdrückliche Zustimmung gefragt werden, bevor ihre persönlichen Daten gespeichert werden. Nur 22 Prozent halten die Anbieter von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken oder Maildiensten für vertrauenswürdig.

Umfassende Datensammlung
Anfang Mai 2015 veröffentlichte die EU-Kommission eine Mitteilung zur „Digitalen Binnenmarkt-strategie für Europa“ und kündigte darin an, dass das dringliche Thema des Eigentums an Daten mit Stakeholdern erörtert werden müsse. Dieser Eigentumskonflikt an Daten entzündet sich gerade an der Entwicklung des „Internets der Dinge“. Damit sind von KonsumentInnen erworbene Waren gemeint, die durch Onlineanbindung und Sensoreneinbau permanent Daten erzeugen, die personenbezogene Rückschlüsse erlauben. Hippe Vorhut dieser Entwicklung sind „Wearables“, Fitnessarmbänder, die beispielsweise Puls bzw. Schlaf messen und die Daten auch an Dritte übermitteln können.
Mit dem „Internet der Dinge“ verwirklicht sich letztlich die Vision, alle Gegenstände – vom Auto über die Kleidung bis zur Zahnbürste – ins Internet zu integrieren und so mit einer eigenen „Identität“ zu versehen. So generiert ein vernetztes Auto nicht nur technische Daten, sondern auch Daten über das Fahrverhalten des Fahrers oder der Fahrerin. Auf der Agenda von VerbraucherschützerInnen stehen damit zusätzliche Aufgaben: sich für ein frühzeitiges Risikobewusstsein und vorsorglichen Schutz für KonsumentInnen durch Gesetzgebung und Kontrollbehörden einzusetzen.
Big-Data-Begeisterte verweisen gerne darauf, dass in Zeiten exzessiver Nutzung von Facebook Privatpersonen ohnedies praktisch alles von sich preisgeben und Privatsphäre deshalb an bürgerrechtlicher Bedeutung eingebüßt habe. Aus dem unstrittigen Hang vieler KonsumentInnen, sich in sozialen Netzwerken unbesonnen zu verhalten, kann nicht geschlossen werden, dass dieser Datenschutz nicht wichtig wäre. KonsumentInnen sorgen sich um den Datenschutz, haben aber weder die zeitlichen, informationellen noch finanziellen Ressourcen, jeden Tag aktiv dafür einzutreten. Sie nehmen Datenschutz als kollektive Aufgabe einer Demokratie wahr. Sie erwarten sich vorsorglichen Schutz durch klare Gebote bzw. Verbote und eine wirksame Kontrolle durch staatliche Einrichtungen.

Schutzniveau absenken?
Die Justiz- und InnenministerInnen haben sich im Rat auf ein Datenschutzkonzept geeinigt, das das Schutzniveau der bisherigen Richtlinie aus 1995 absenken würde. So soll Datenverarbeitung, an der ein berechtigtes Interesse besteht, auch ohne Zustimmung der Betroffenen erlaubt sein, solange diese nicht ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse einwenden. Anstelle des Vorrangs für den Datenschutz, von dem nur in begründeten Einzelfällen abgegangen werden kann, tritt die Anerkennung eines allgemeinen Verwertungsinteresses an personenbezogenen Daten.

Tabubruch
Einen Tabubruch im Rat erlebte auch das Prinzip der Zweckbindung. Dieses hält DatennutzerInnen dazu an, sich auf jene Daten zu beschränken, die für die Erfüllung des im Erhebungszeitpunkt konkret benannten und zulässigen Zwecks unbedingt erforderlich sind.
Enge Zweckbindung steht aber dem Wesen von Big-Data-Anwendungen diametral entgegen, die auf möglichst großen Datenmengen basieren und nach unbekannten Zusammenhängen und zufälligen Verwertungsmöglichkeiten suchen. Dürften Daten für andere als die ursprünglichen Zwecke – ohne Zustimmung der Betroffenen – weiterverarbeitet werden, ginge wiederum Selbstbestimmung der Betroffenen verloren.

Linktipps:
Weitere Infos dazu finden Sie auf der Homepage der Arbeiterkammer:
tinyurl.com/q6y97o8
tinyurl.com/nrjwacm
tinyurl.com/ow88lc8
tinyurl.com/pbgplrk

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin daniela.zimmer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Daniela Zimmer, Abteilung KonsumentInnenpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309517 Online-Erfahrungen werden in Zukunft mit der Geburt beginnen - oder sogar noch davor, wenn Ultraschallfotos ins Netz gestellt werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305250 Wer Hass sät, wird Entlassung ernten Jürgen H. hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ihn die sechs Worte, die er auf Facebook postete, seine Lehrstelle kosten würden. Ende Juli schrieb der 17-jährige Mechanikerlehrling aus Wels „Flammenwerfer währe (sic!) da die bessere Lösung“ unter das Foto der Freiwilligen Feuerwehr Feldkirchen, auf dem sich ein sechsjähriges syrisches Mädchen über die Wassersprenger der Feuerwehr freute. Facebook-NutzerInnen konfrontierten den Arbeitgeber des Lehrlings, das Porsche-Autohaus Wels, mit dem Kommentar und dieser reagierte unmittelbar: Der Lehrling, zugleich Vorsitzender des Jugendvertrauensrates, wurde sofort entlassen. Wenige Tage später verloren weitere ArbeitnehmerInnen ihren Job wegen hetzerischer Postings gegen Flüchtlinge auf Facebook. Gewerkschaftspolitisch sind diese Fälle aus mehreren Gründen interessant: Was bedeutet es für die Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen, wenn Arbeitgeber willkürlich über die – wenn auch noch so bedenklichen – Freizeitaktivitäten ihrer MitarbeiterInnen richten? Welche Herausforderungen ergeben sich aufgrund der eigenwilligen Kommunikation in sozialen Medien für das Arbeitsrecht? Wie wollen sich Gewerkschaften in diesen Diskussionen positionieren?

Angst vor dem Shitstorm
Die Reaktionen der Unternehmen spalten die Gemüter. Die einen applaudieren laut, weil für sie Unternehmen mit den Entlassungen und Kündigungen ein Exempel gegen hetzerische Kommentare statuierten, die anderen kritisieren das Handeln der Arbeitgeber als zu hart oder als Schnüffeln in der Privatsphäre der MitarbeiterInnen. Es liegt auf der Hand, dass die Unternehmen nicht nur aus Menschlichkeit gegenüber den Flüchtlingen gehandelt haben. Porsche ist extrem unter Zugzwang gekommen. Mehrere NutzerInnen hatten den Arbeitgeber auf der Facebook-Seite und auch per Mail mit dem Kommentar ihres Lehrlings konfrontiert. Porsche fürchtete einen enormen Shitstorm, eine Hetze gegen das Unternehmen, wenn es nicht rasch und zur Zufriedenheit der aufgebrachten Meute handelte.

Willkür der Arbeitgeber
Lehnen sich Arbeitgeber nicht zu weit aus dem Fenster, wenn sie aufgrund privater Aussagen ihrer Beschäftigten mit harten beruflichen Konsequenzen reagieren? Grundsätzlich sind Hass-Postings auf Facebook, Twitter oder anderen Social-Media-Kanälen ein strafrechtliches Problem. Es ist zu prüfen, ob Verhetzung oder Aufforderung zur Gewalt nach dem Strafgesetzbuch (StGB) vorliegt. In dem Fall sind Entlassungen arbeitsrechtlich jedenfalls zulässig. Weder Porsche noch die anderen Arbeitgeber haben die Gerichtsurteile abgewartet, sondern vorher selbst „gerichtet“. Ob auch dieses Handeln arbeitsrechtlich legitim ist, könne nur im Einzelfall beantwortet werden, meint der AK-Arbeitsrechtsexperte Hannes Schneller. Wenn die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin nicht länger zumutbar ist, spreche jedoch vieles für eine Entlassung. „So weit hätte es aber gar nicht kommen müssen“, meint der Rechtsexperte. „Eine Anzeige strafrechtlicher Handlungen durch Facebook-Nutzer bei den zuständigen Behörden ist eine Sache, das Denunzieren beim Arbeitgeber eine andere.“ Die Fälle machen deutlich, dass die Grenzen zwischen öffentlich und privat nicht nur im Internet längst verschwommen sind. Hätte der Lehrling seinen Arbeitgeber nicht in seinem Facebook-Profil bekannt gegeben und wäre daraufhin nicht die Gefahr eines Shitstorms gegen diesen im Raum gestanden, hätte der Lehrling womöglich seine Lehrstelle behalten. Das Problem sei die Willkür der Arbeitgeber, meint der Social-Media-Experte Thomas Kreiml von der GPA-djp: „ManagerInnen spielen sich nun zu sanktionierenden Instanzen auf, weil sie sich um die PR ihres Unternehmens sorgen.“ Selbst wenn arbeitsrechtlich ein Entlassungsgrund gegeben ist, sei die Frage: Auf Grundlage welcher Informationen treffen Arbeitgeber Entscheidungen bis hin zu Entlassungen? Porsche hätte sich auch anders entscheiden können, wie beispielsweise der ÖAMTC, der seinen Mitarbeiter nach einem hetzerischen Posting verwarnt und nicht sofort entlassen hatte. Kreiml plädiert dafür, bei arbeitsrechtlichen Entscheidungen auch die Besonderheiten der Netzkommunikation zu berücksichtigen.

Nicht Fisch, nicht Fleisch
Die technologischen und kommunikativen Besonderheiten von Social-Media-Plattformen verleiten dazu, sich hemmungsfreier und offensiver mitzuteilen. Im Netz entwickelt sich schnell eine eigene Dynamik, ein gegenseitiges Aufschaukeln, so als würde man in kurzer Zeit die Lautstärke voll aufdrehen. In kaum einem anderen Kommunikationsraum finden solche Mechanismen des Sich-Anbrüllens statt wie in sozialen Medien. Diese Emotionen sind ansteckend, Hass ist ansteckend. Das mag auch daran liegen, dass in Online-Diskussionen nonverbale Signale fehlen – wir können weder Gestik, Mimik noch Tonfall der Poster interpretieren. „Gerade dieses Fehlen nonverbaler Signale führt dazu, dass Menschen harscher und ungezügelter werden“, schreibt die „profil“-Redakteurin Ingrid Brodnig in ihrem Buch „Der unsichtbare Mensch“. Laut Brodnig habe zum Beispiel der Augenkontakt eine aggressionshemmende Wirkung. „Diese Kommunikationstücken, vor allem die Aufschaukelungs- und Eskalationsgefahr bei Online-Postings, werden von der Rechtsprechung zu wenig berücksichtigt“, kritisiert Schneller.

Sozialen Medien wohnt aber nicht nur eine eigene Art der Kommunikation inne, sondern auch ein besorgniserregender Gewöhnungseffekt. Wenn die Betreiber einer Plattform fremdenfeindliche Äußerungen zulassen, dreht sich die Spirale von „Hass-Postings“ schnell weiter. In den Online-Debatten um Asylwerbende in Österreich wird das derzeit allzu häufig deutlich. Der Antirassismus-Verein ZARA schlägt bereits Alarm wegen des Ausmaßes an hetzerischen und rassistischen Kommentaren im Netz. Postings wie „Alle in einen Betonbunker und Bombe rein“ oder „Asylflut an der Grenze stoppen, bevor wir alle vergasen müssen“ sind täglich zu lesen und Indizien einer „besorgniserregenden Entwicklung, der Einhalt geboten werden muss“, so ZARA. Viele solcher Postings blieben bisweilen folgenlos, da Verhetzung mindestens 150 Personen erreichen musste, um strafrechtlich relevant zu sein. Ab 1. Jänner 2016 wird es für Hass-Poster enger: Mit der Novelle des Verhetzungsparagraphen braucht es künftig nur mehr ein Publikum von 30 Personen – eine Zahl, die online problemlos erreicht werden kann. Justizminister Wolfgang Brandstätter kündigte mit der Reform an: „Wer Hass sät, wird Gefängnis ernten.“

Die SpielerInnen im Feld
Die Hetze im Netz wird in Zukunft noch öfter die Gerichte und Arbeitgeber befassen, ist der Arbeitsrechtler Hannes Schneller überzeugt. Unternehmen haben sich bereits als Player in diesem komplexen Geflecht aus arbeitsrechtlichen, gesellschafts- und vor allem auch gewerkschaftspolitischen Fragen positioniert. Gewerkschaften haben bisher zu keiner der Entlassungen oder Kündigungen offiziell Stellung genommen. „Gewerkschaften bestimmen den Diskurs nicht mit, sie vernachlässigen ihre Prinzipien“, kritisiert Thomas Kreiml. Das Thema ist heiß und man kann sich leicht verbrennen – egal, wie sich Gewerkschaften zu den Entlassungen und Kündigungen positionieren, ist die Gefahr eines Shitstorms nicht ausgeschlossen. Das gewerkschaftspolitische Feld den Arbeitgebern zu überlassen ist nicht weniger gefährlich.

Konsequenzen
Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft zum Fall des 17-jährigen Mechanikerlehrlings sind seit Mitte August eingestellt. Es gäbe keinen Strafbestand, auch der Tatbestand der Verhetzung sei nicht erfüllt. Arbeitsrechtlich ist die Sache jedoch gelaufen. Porsche hat bereits mitgeteilt, dass an der Entscheidung nicht gerüttelt wird. Da hilft auch die öffentliche Entschuldigung des Lehrlings nicht weiter. Jürgen H. ist dem wohl größten Irrtum der Web-Kommunikation aufgesessen: Was man online tut, habe keine Konsequenzen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin steindlirene@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Steindl, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309475 Im Netz entwickelt sich schnell eine eigene Dynamik. In kaum einem anderen Kommunikationsraum finden solche Mechanismen des Sich-Anbrüllens statt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309483 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305240 Wenn die Arbeit viele Orte hat Arbeit ist zunehmend entgrenzte Arbeit. Sie wird immer mehr zu mobiler Arbeit, die elektronisch vernetzt an verschiedenen Orten ausgeübt werden kann. Unter den Begriff mobile Arbeit fallen unterschiedliche Varianten räumlich und zeitlich entgrenzter Arbeit. Sie umfasst sowohl die Arbeit zu Hause (Telearbeit oder Home-Office), an einem anderen Arbeitsort (zum Beispiel direkt bei den KundInnen) oder unterwegs (Dienstreisen), im Zug oder anderswo.
Bei mobiler Arbeit wird auch danach unterschieden, wer oder was mobil ist: Zum einen können die Arbeitsinhalte via Datenleitungen mobil werden, zum anderen können es die Beschäftigten selbst sein, die räumlich mobil sind. Es kann aber auch eine Kombination aus beidem sein, also etwa wenn unterwegs mobil gearbeitet wird.

Breites Spektrum
Das Spektrum mobiler Arbeit reicht von der gelegentlichen Arbeit zu Hause über ein- bis mehrtägige Dienstreisen bis hin zu längeren Einsätzen direkt bei den KundInnen, die sich über mehrere Wochen und Monate hinziehen können. Die angeführten Formen mobiler Arbeit treten oftmals nicht isoliert auf, sondern werden – je nach Tätigkeit – untereinander kombiniert. Im Dienste des Unternehmens mobil zu sein wird für immer mehr Beschäftigte zu einer Selbstverständlichkeit. Die Zunahme mobiler Arbeit wirft dabei auch Fragen für die Work-Life-Balance auf: Was sind die neuen Chancen, was die neuen Risiken? Ist mobile Arbeit Problem oder Lösung für die Work-Life-Balance?

Wünsche
Die Beschäftigten selbst wünschen sich Arbeitszeiten, die ihnen mehr Entscheidungsspielräume und Autonomie ermöglichen. Von daher kann die Möglichkeit mobilen Arbeitens durchaus positive Effekte haben. Untersuchungen zur Arbeitszeitflexibilisierung zeigen allerdings auch, dass die Interessen der Arbeitgeber (mehr Flexibilität) und der ArbeitnehmerInnen (mehr Autonomie) in der Praxis nur selten unter einen Hut gebracht werden.
Räumliche und zeitliche Entgrenzungsprozesse sind eine Herausforderung für die Arbeitsgestaltung selbst, aber auch für das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben. In der Regel heißt Entgrenzung, dass Arbeits- und Lebensbedingungen weniger institutionell vorgegeben sind. Im Gegenzug müssen sie mehr individuell gestaltet werden – oder können dies eben auch. So zeigen Studien zu entgrenzter Arbeit, dass das räumliche und zeitliche Verhältnis von Erwerbsarbeit und Privatleben nun von den Individuen selbst gestaltet und hergestellt werden muss.

Vielfach wird mit der Möglichkeit der individuellen Gestaltung auch die Hoffnung nach einer besseren Work-Life-Balance verbunden. Allerdings erweitern nicht alle Formen mobiler Arbeit den individuellen Handlungsspielraum. Längere Abwesenheitszeiten von zu Hause etwa können zum Problem für die Work-Life-Balance werden.
Eine balanceorientierte Gestaltung mobiler Arbeit setzt voraus, dass die Menschen über bestimmte Ressourcen verfügen. Mobile Arbeit bedeutet also nicht per se einen Schritt in Richtung Work-Life-Balance. Ohne die entsprechenden Ressourcen kann man diese Option entweder gar nicht nutzen oder sie verkehrt sich sogar ins Gegenteil, wird zur Belastung und führt zu einer Verringerung von Optionen. Es reicht von daher nicht aus, isoliert den Faktor Mobilität zu betrachten. Vielmehr hängt es von vielen Faktoren ab, ob mobile Arbeit zur Belastung für die Beschäftigten wird: Arbeitsorganisation, Arbeitsumgebung, Ressourcen, soziale Beziehungen sowie der Einsatz von bzw. die Ausstattung mit Technik.

Um das Verhältnis von Arbeit und Leben im Sinne der ArbeitnehmerInnen besser zu gestalten, dürfen nicht nur individuelle Ressourcen im Mittelpunkt stehen – ansonsten wären sowohl Chancen als auch Risiken sozial sehr ungleich verteilt. Vielmehr müssen individuelle Ressourcen und betriebliche Anforderungen, individuelle Kompetenzen und betriebliche Gestaltung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Nur dann lassen sich die Chancen mobiler Arbeit für die Work-Life-Balance herausarbeiten.
In den Personalabteilungen wie bei der betrieblichen Interessenvertretung wird die Zunahme mobiler Arbeit registriert und zugleich gesehen, dass damit neue Belastungen verbunden sein können. Allerdings gibt es bislang wenig personalpolitische Ansätze, die Beschäftigten in ihrer Mobilität und bei der Bewältigung der damit verbundenen sozialen Probleme zu unterstützen.

Balance
Was also sind die Anforderungen an eine Work-Life-Balance-orientierte Gestaltung mobiler Arbeit? Die betriebliche Gestaltung sollte zumindest drei Bereiche umfassen: eine bedürfnisorientierte Personalpolitik, eine mobilitätsorientierte Arbeitsgestaltung sowie eine balanceorientierte Leistungspolitik.
Eine bedürfnisorientierte Personalpolitik fragt zunächst danach, wie die Freiheiten mobiler Arbeit maximal ausgeschöpft werden können, damit die lebensweltliche Perspektive Berücksichtigung findet. Ein wichtiger Aspekt ist die Orientierung an den jeweiligen Lebensphasen: Wie kann organisiert werden, dass Beschäftigte abhängig von ihrer jeweiligen Lebensphase nach Zeiten hoher Mobilität auch einmal weniger bis gar nicht reisen müssen? Zu einer bedürfnisorientierten Personalpolitik gehört die gezielte Auswahl mobiler Beschäftigter: Wer darf, wer muss reisen? Nicht vergessen werden darf die Qualifizierung der mobilen Beschäftigten, denn der Umgang mit und die Gestaltung von Mobilität erfordert spezielle Kompetenzen.

Drei Aspekte
Ein zweiter Baustein ist die mobilitätsorientierte Arbeitsgestaltung: Hier sind insbesondere drei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens: Mobile Beschäftigte brauchen Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Zweitens: Ein großer Belastungsfaktor ist nicht oder schlecht funktionierende, veraltete oder langsame Technik. Von daher gilt zu fragen: Wie müssen mobil Beschäftigte technisch ausgestattet werden? Ein dritter Aspekt betrifft die Unterstützung und Kommunikation: Wie können die mobilen Arbeiter optimal im Unternehmen unterstützt werden?
Mobile Arbeit, die positive Auswirkungen auf die Work-Life-Balance hat, erfordert eine balanceorientierte Leistungspolitik, die Anforderungen und Ressourcen aus der Arbeits- und auch der Lebenswelt berücksichtigt. Es reicht nicht aus, die Gestaltung auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit zu reduzieren, also auf die Frage, wo und wann gearbeitet wird. Vielmehr gilt es nach dem Wie zu fragen, d. h. unter welchen leistungspolitischen Anforderungen und mit welchen Ressourcen wird gearbeitet.

Wenn die Beschäftigten zunehmend eigenverantwortlich Unternehmensziele verfolgen sollen, dann brauchen sie auch Autonomie in der Gestaltung und Kompetenzen im Umgang mit steigenden Mobilitätsanforderungen. Dazu benötigen sie aber zum einen weitgehende Freiheiten bei der Organisation ihrer Arbeit, sodass passend für die jeweilige Lebenssituation ein für die Work-Life-Balance zuträgliches Arrangement herauskommt. Die besten Arrangements nutzen allerdings nichts, wenn der Leistungsdruck immer mehr steigt, weil die zur Verfügung gestellten Ressourcen nicht zur Bewältigung der Arbeitsaufgaben ausreichen. In diesem Falle wird Mobilität zu einer zusätzlichen Belastung, die „on top“ dazukommt.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gerlinde.vogl@sozialforschung.org oder die Redaktion aw@oegb.at

Der Beitrag ist eine adaptierte Version des gemeinsamen Artikels von Gerlinde Vogl und Nick Kratzer (2015).

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Gerlinde Vogl, Arbeitssoziologin mit dem Forschungsschwerpunkt mobile Arbeit Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309233 Digitale Technik ermöglicht es Menschen, geradezu überall zu arbeiten. Damit das gut funktioniert, müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309241 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305235 Digital leben Die globale Kontrolle durch Geheimdienste und Unternehmen produziert Angst und Widerstand. Damit befassten sich 2013 zwei beinahe zeitgleich erschienene Bücher. „Erfindet euch neu!“, jubelte der damals 83-jährige französische Philosoph Michel Serres in seinem gleichnamigen Buch. Er bewunderte die „Däumlinge“, die behände über die Benutzeroberfläche gleiten, und stellte sich eine „Demokratie des Wissens“ vor, die von den „neuen Menschen“ getragen wird, die durch Virtuelles verbunden sind. Das andere Buch mit dem Titel „Smarte neue Welt“ begegnet dem Digitalen mit politisch motivierter Skepsis. Der Weißrusse Evgeny Morozov polemisiert darin gegen die Leichtgläubigkeit, mit der die Menschen technologischen Fortschritt für die Lösung gesellschaftlicher Probleme halten. Wir befänden uns in einer smarten neuen Welt und meinten, Apps & Co brächten uns Freiheit und Erkenntnis. Die digitale Technologie unterstütze allerdings vor allem neoliberale Tendenzen und trage dazu bei, die Grundfesten demokratischer Gesellschaften auszuhöhlen.

Datenklau
Um die Abhängigkeit Europas von Netzgiganten wie Google zu mindern, schlägt Morozov eine Art öffentlich-rechtlicher Datensammlung vor. „Google setzt auf die Zentralplanung im Sowjetstil, was Innovation verhindert. Das geht auf Dauer nicht gut. Stattdessen sollten wir gleiche Voraussetzungen für alle schaffen. Das funktioniert nur, wenn niemand Daten exklusiv sammeln oder besitzen kann. Das kann nur ein starker Staat sicherstellen“, ist der junge Digitalkritiker überzeugt.

„Big Data“, also Datenmengen die zu groß oder zu komplex sind, um mit traditionellen Methoden bearbeitet zu werden, ist heute schon viel mehr als die wirtschaftliche Nutzung von Daten. „Durch die Biometrie und Sensorik kommen wir vielen Träumen näher, sei es die künstliche Intelligenz oder die humanoide Robotik“, meint Thomas F. Dapp, Economist bei Deutsche Bank Research. Er ist dort für den Bereich Innovation und digitale Ökonomie zuständig und verfasste im Jahr 2014 eine Studie mit dem Titel „Big Data: Die ungezähmte Macht“. Demnach stecke der digitale Wandel zwar noch in den Kinderschuhen, habe die Gesellschaft aber bereits voll erfasst. Big Data und das „Internet der Dinge“ könnten enorme Wohlstandsschübe auslösen ‒ „aber nur dann, wenn sie nach den sozialen und rechtlichen Prinzipien organisiert werden, die Europa unter hohen Opfern in seinen Gesellschaften etabliert hat“.
Der Experte begegnet der digitalen Revolution mit gehöriger Skepsis. „Wir bewegen uns in eine Richtung, in der wir die Hoheit über Daten verlieren. Wenn wir keinen adäquaten Weg zur Regulierung finden, fallen mir für jedes positive Beispiel von Big Data ebenso Horrorszenarien ein.“ Es sei aber noch nicht zu spät, für bestehende und neue Player am Markt klare Regeln zu schaffen. Wenn der Regelrahmen optimal gestaltet wäre, könne sich Big Data nicht nur wirtschaftlich positiv entwickeln, sondern auch wissenschaftlich und gesellschaftlich. Der deutsche Studienautor ortet ein Misstrauen in der Bevölkerung. „Das Misstrauen wird mittelfristig zu Innovationseinbußen führen, weil manche webbasierten Technologien nicht mehr angenommen werden.“

Industrie 4.0
Damit Österreich die digitalen Umwälzungen nutzt, wurde im Juni des Jahres vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit), der Bundesarbeitskammer, der Industriellenvereinigung, der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) und zwei Fachverbänden der Verein „Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion“ gegründet. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“, das 2011 anlässlich der Hannoveraner Messe geprägt wurde, werden mehrere Entwicklungen zusammengefasst. Im Zentrum steht vor allem die Verschmelzung klassischer Produktionstechniken mit digitalen Technologien in dem „Internet der Dinge“, in dem Maschinen, Werkstoffe und Produkte autonom miteinander kommunizieren. AK-Präsident Rudolf Kaske dazu: „Industrie 4.0 bedeutet für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine große Umstellung. Wir wollen uns mit dieser Initiative darauf konzentrieren, zusätzliche Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten auszuloten und zu unterstützen.“ Besondere Anliegen sind Kaske die Veränderungen, „die in der Bildung notwendig sind. Noch mehr als bisher wird von den Arbeitnehmenden lebenslanges Lernen erwartet. Unser Bildungssystem muss die Menschen besser darauf vorbereiten.“
„Wir befinden uns am Anfang eines tief greifenden Strukturwandels in der Produktion, am Beginn der vierten industriellen Revolution, an deren Ende die intelligente Fabrik wartet“, meinte Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, anlässlich der Präsentation der Initiative. „Nur gemeinsam können wir diese innovative Weiterentwicklung mitgestalten und sicherstellen, dass die Interessen der Beschäftigten nicht zu kurz kommen. Es geht um die Absicherung unseres erfolgreichen Industriestandorts und die damit verbundenen Arbeitsplätze.“

Problemlöser
Optimistisch zeigt sich der Zukunftsforscher Klaus Kofler, der mit „Industrie 4.0“ eine logische Weiterentwicklung dessen sieht, was vor rund 25 Jahren mit dem Internet begonnen hat. „Wir werden die Maschine als allgegenwärtigen Bestandteil ins Leben integrieren“, sagte er im Mai in einem „Standard“-Interview. Visionär gedacht, könnte ein Geschäftsmodell der Zukunft so aussehen, dass Menschen Güter mithilfe selbst generierter Energie produzieren, sie global über Webseiten verkaufen und mit führerlosen Fahrzeugen zum Kunden schicken. Der Mensch, der in diesem noch etwas utopischen Umfeld besonders gut zurechtkommen könnte, würde jener Spezies angehören, die der US-Soziologe Paul Hay „Kulturell Kreative“ nannte. Für diese Personen spielen soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und Lebensqualität eine große Rolle. Sie lassen neue Lebens- und Arbeitsmodelle entstehen. „Das sind keine Spinner“, meint Klaus Kofler, „sondern Problemlöser, die langsam in Führungsebenen vorrücken.“ All die Webportale, auf denen man Arbeitgeber, Restaurants oder Reiseveranstalter bewerten kann, seien ein erstes Ergebnis dieser Entwicklung.

Ängste
Auch für den deutschen Forscher Volker Banholzer ist die Zukunft der Arbeit unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zu diskutieren. „Durch die Digitalisierung, den zunehmenden Einsatz von Robotern und die Vernetzung ändert sich die Arbeitswelt. Neue qualifizierte Arbeitsplätze entstehen, bestehende Abläufe und Routinen müssen angepasst werden.“ Die größte Angst der MitarbeiterInnen ist es, wenig überraschend, den Job zu verlieren und keinen neuen mehr zu finden, weil die Qualifikation nicht mehr passt. Banholzer: „Das heißt, die Arbeitgeber müssen wissen, welche Qualifikationen sie morgen benötigen, damit sie ihre Mitarbeiter dahin entwickeln können.“

Grundeinkommen
Für viele wird die neue Entwicklung jedoch zu kalt, zu komplex und zu undurchschaubar sein. „Wenn die Politik keine Sicherheit und Perspektiven bereitstellt, werden wir mit einem großen gesellschaftlichen Problem konfrontiert werden“, fürchtet Zukunftsforscher Kofler. Ein Modell, dem Umbruch wirksam zu begegnen, wäre das bedingungslose Grundeinkommen. Es sei auch eine Forderung, die in der Tech-Welt immer häufiger auftaucht. Albert Wenger, ein Risikofinanzier des New Yorker Unternehmens Union Square Ventures, bloggt bereits seit 2013 über dieses Modell. Die smarten Apps, die seine Firma finanziert, lehren Sprachen und können Taxis bestellen. Sie machen praktisch mit jedem Download menschliche Arbeit überflüssig. „Wir stehen am Beginn einer Ära, in der Maschinen immer mehr Dinge übernehmen, die traditionell von Menschen erledigt wurden“, so Wenger. Er will in Detroit ein Grundeinkommen-Pilotprojekt starten.

Linktipp:
Interview mit Klaus Kofler – „Jeder könnte zum Produzenten werden“
tinyurl.com/o6zh5bw

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309198 Ein Geschäftsmodell der Zukunft könnte so aussehen, dass Menschen Güter mithilfe selbst generierter Energie produzieren, sie global über Webseiten verkaufen und mit führerlosen Fahrzeugen zum Kunden schicken. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309206 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305225 Gute Arbeit gestalten Google, Apple, Microsoft, Facebook: Die vier großen Spieler stammen aus den USA. Während Microsoft und Apple auf dem Softwaremarkt ein Duopol bilden, ist die Suchmaschine mit einem Marktanteil von über 90 Prozent in allen europäischen Ländern nicht nur Platzhirsch, sondern bildet ähnlich wie die Internetplattform Facebook ein Quasi-Monopol. Die Macht der großen Player ist immens, sie sind Analytiker, Prognostiker, Torwächter und zugleich Führer durch die digitale Welt, die rasante Veränderungen von Arbeit bewirkt.

Daten-Kolonie Europa?
Die sozialen Auswirkungen sind immens: Auf der einen Seite stehen die ICT-ExpertInnen und Start-ups, die schnell reich werden, auf der anderen Seite eine wachsende Masse von Crowdworkern, die für Cent-Beträge Aufträge erledigen, ohne Absicherung gegen Krankheit, Unfall, Alter oder Mutterschutz – was einer Rückkehr ins 19. Jahrhundert gleichkommt. Und wo bleibt Europa: Wird es zu einer Daten-Kolonie, abhängig von Big Data aus den USA? Wie verändert Digitalisierung die Gesellschaft, das europäische Sozialmodell und die Arbeit?
Studien haben ergeben, dass Investitionen von 90 Milliarden jährlich notwendig sind, damit Europa seine Stellung behaupten kann. Um das ehrgeizige Ziel europäischer Industriepolitik, einen Anteil von 20 Prozent am BIP, zu erreichen, sind gewaltige Anstrengungen notwendig, auch und gerade im Bereich der Digitalisierung von Industrie und Dienstleistungen.

Auf dem digitalen Schachbrett agieren viele Spieler mit unterschiedlichen Interessen:

  • die Beschäftigten im Industrie- und Dienstleistungsbereich, die mit einer Digitalisierungsoffensive konfrontiert sind und den Übergang zu guter digitalisierter Arbeit bewältigen müssen, bei Mitarbeit der Gewerkschaften und Nutzung der geltenden Unterrichtungs- und Anhörungs- sowie Mitbestimmungsrechte;
  • ein zunehmendes digitales Prekariat der Crowdworker, die ohne Arbeitsvertrag zahllose Klein- und Kleinstaufträge übernehmen (müssen), ohne soziale Absicherung – durch simples Anklicken und damit Akzeptieren des Kleingedruckten, der Geschäftsbedingungen;
  • Roboter, die repetitive Arbeiten übernehmen können und das Schreckgespenst einer Verdrängung der Menschen durch Maschinen, also von menschenleeren Fabriken, heraufbeschworen haben, jedoch vor allem neue Herausforderungen der Maschine-Mensch-Kommunikation mit sich bringen;
  • nationale Regierungen, die sich bemühen, einen geeigneten Politikrahmen zu schaffen, und zu diesem Zwecke unter Beteiligung von Sozialpartnern wie WissenschafterInnen die digitalen Herausforderungen diskutieren, wie beispielsweise die Initiative „Grünbuch Arbeiten 4.0“ des deutschen Arbeitsministeriums, die zahlreiche richtige und wichtige Fragen aufwirft;
  • andere nationale Regierungen, die alles den Märkten überlassen und sich nur um die technologischen Herausforderungen (Ausbau von Breitbandnetzen usw.) kümmern, aber nicht die sozialen;
  • die Europäische Kommission, die sich laut einer Mitteilung zum digitalen Binnenmarkt auf die Beseitigung von Binnenmarkthindernissen kapriziert, ohne die Problematik „digitale Arbeit“ ins Blickfeld zu nehmen;
  • Arbeitgeber, die Unterrichtung-Anhörung-Mitbestimmung als „Verzögerungsfaktor“ angreifen und die Digitalisierung nutzen wollen, um die Flexibilisierung und Liberalisierung des Arbeitsmarkts voranzutreiben. Einige Arbeitgeber erhoffen sich eine „Befreiung“ aus Flächentarifverträgen und Mitbestimmungsstrukturen. Mehr Outsourcing, mehr Werkverträge …

So weit die Player und ihre Schwerpunkte. Die gewerkschaftlichen Herausforderungen sind schnell skizziert: Es geht um den Wert und Stellenwert von guter digitaler Arbeit, die mitbestimmt sein muss, ständige Weiterqualifizierung erfordert und tariflich zu gestalten ist. Das deutsche Arbeitsministerium ist vorgeprescht, um diese Fragen ins Blickfeld zu nehmen, aber was passiert in anderen Ländern Europas und warum greift die Kommission diese Steilvorlage, diesen holistischen Ansatz nicht auf, sondern verengt das Sichtfeld ohne Not auf „Binnenmarkthindernisse“?

Eine Studie der Universität Oxford verweist darauf, dass in den kommenden 20 Jahren rund die Hälfte der bestehenden Jobs in den USA durch Digitalisierung gefährdet ist. Eine Schätzung des Thinktanks Bruegel für Europa bewegt sich in gleicher Größenordnung. Auf der anderen Seite behauptet der zuständige Kommissar Andrus Ansip, dass allein in der App-Wirtschaft drei Millionen zusätzliche Jobs bis 2018 geschaffen würden. Gerade im Bereich der informationsbasierten industrienahen Dienstleistungen wie Programm-Updates, Fehlerdiagnose oder Fernwartung ist ein Aufschwung zu erwarten.
Klar ist, dass der Übergang zu digitaler Industrie und digitalen Dienstleistungen gestaltet werden muss – unter gleichzeitiger Sicherung des Beschäftigungsstands. Gute digitale Arbeit muss gefördert werden, wobei der Einsatz neuer Technologien mit neuen Arbeitserfordernissen mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen abzustimmen ist. Digitale Kompetenzen erfordern eine antizipative Qualifikationsstrategie unter Mitwirkung der Beschäftigten, die den Anforderungen von Frauen und Männern, Jugendlichen und Älteren gleichermaßen gerecht wird, etwa indem sie einen tarifvertraglichen Anspruch auf Bildungsteilzeit vorsieht. Die Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeit wird umso wichtiger, als die Digitalisierung potenziell eine Entgrenzung der Betriebe und eine Entgrenzung von Arbeitszeit mit sich bringt. Eine Anpassung des ArbeitnehmerInnen- und Betriebsbegriffs, eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte und -möglichkeiten sind gerade bei vernetzten Formen der Arbeitsorganisation und mobilen Arbeitsformen unerlässlich.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Potenziale der Digitalisierung für flexible Arbeitsformen zu nutzen. Diese müssen so gestaltet werden, dass neue Freiräume und Selbstbestimmungsmöglichkeiten für die Beschäftigten entstehen. Neue Regeln sind nötig: Für Plattform-Arbeiten sollten Mindesthonorare und arbeitspolitische Standards geregelt werden. Micro-Jobber müssen als ArbeiterInnen betrachtet werden.

Digitalisierung erfordert weit mehr als Sozialpartnerverhandlungen über Weiterbildung – es ist eine Revolution: Die erste industrielle Revolution markierte den Übergang von Handarbeit zu Maschinen und beruhte auf Dampfkraft (ab 1800). Die zweite basierte auf Elektrifizierung und brachte Massenproduktion, bekannt als Fordismus (ab 1840/60). Die dritte beruhte auf Computerisierung und die neueste ist verbunden mit den Stichworten Industrie 4.0, „Smart Services“, „Crowdsourcing“ „Crowdworkers“.

Sonnen- und Schattenseiten
Disruption heißt das Stichwort, mit dem die quasirevolutionären Prozesse bezeichnet werden, in denen neue AkteurInnen gewohnte Praktiken und Regeln frontal infrage stellen und neue erzwingen. Da die Digitalisierung der Arbeit viele neue Fragen aufwirft und praxisrelevante Lösungen erfordert, ist ein Ausbau der Arbeitsforschung zum Thema „gute digitale Arbeit“ notwendig. Digitalisierung hat ihre Sonnen- und ihre Schattenseite. Aus progressiver Sicht muss das Hauptaugenmerk auf dem spektakulären Anstieg der Produktivität und dessen Auswirkungen auf Arbeit und Beschäftigung liegen. Die Auslagerung von Arbeit aus traditionellen Unternehmensstrukturen hat sich verdichtet zu einem sozioökonomischen Trend, erleichtert durch das Internet: Mechanical Turk ist ein Internet-Marktplatz des Versandhauses Amazon, auf dem sich Crowdworker („Turker“) um Aufträge bemühen können. Mittlerweile haben NutzerInnen ein Online-Forum gegründet, um sich abzusprechen: „Turker Nation“. Darüber hinaus haben WebarbeiterInnen ein digitales Werkzeug geschaffen, um Arbeitgeber zu bewerten: Turkopticon.

Der Megatrend bringt neue Risiken mit sich: Monopolbildung, Massenentlassungen, Überwachung und Kontrolle, mangelhaften Datenschutz, Industriespionage … Gleichzeitig bringt er neue Möglichkeiten: bessere Information, Kommunikation, Beteiligung, Networking ... Es ist nicht zu spät, eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen, wie Digitalisierung so zu gestalten ist, dass gute Arbeit möglich bleibt und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu einer Stärkung und Europäisierung der Mitbestimmung beitragen. Der EGB hat daher vorgeschlagen, ein Europäisches Forum zu gründen, um die Herausforderungen auszudiskutieren und in den Griff zu bekommen.

Linktipp:
Homepage Social Europe
tinyurl.com/qhosxoq

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor wkowalsk@etuc.org oder die Redaktion aw@oegb.at

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Wolfgang Kowalsky, EGB, Politischer Referent Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309190 Immer mehr Crowdworker erledigen für Cent-Beträge Aufträge - ohne Absicherung bei Krankheit, Unfall, Alter oder Mutterschutz. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305215 Die Macht der Daten

Seit mindestens zehn Jahren ist nicht nur die Menge an Daten geradezu explodiert, die über das Internet verbreitet wurden. Auch die Macht der Internetkonzerne hat sich in diesem Zeitraum verfestigt.
Währenddessen ist die kommerzielle Bedeutung von Daten gestiegen: Auch aus einfachen Fitness-Apps werden Daten generiert, die dann kommerziell verwertet werden.
Selbst am Arbeitsplatz ist der Einsatz digitaler Technik inzwischen Normalität. Dem stehen aber mangelnde Regeln im Betrieb gegenüber, sei es zum Thema Datenschutz, sei es zum Thema Erreichbarkeit.
 

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Sonja Fercher, Michael Heiling und Sylvia Kuba, Arbeiterkammer. Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851309096 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305187 Kollege Computer Die Big Player der IT- und Kommunikationsbranche waren unter den ersten, die das Büro der Zukunft in die Gegenwart holten: Videokonferenzen sollten Dienstreisen ersetzen und dabei helfen, Zeit und Geld zu sparen. Flexibles Arbeiten etwa in Form von Home-Offices bot neue Chancen für junge Eltern und all jene, die sich nicht an Bürozeiten halten möchten oder nicht so mobil sind. Weniger Geschäftsreisen und weniger PendlerInnen, das bedeutet nicht zuletzt auch weniger Treibstoffverbrauch. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, sogar für die Umwelt.

Traditioneller Alltag
Doch obwohl es die technischen Voraussetzungen für modernste Kommunikationsmethoden schon lange gibt, hat sich bisher erstaunlich wenig verändert. 2012 etwa haben 1,3 Millionen ÖsterreicherInnen insgesamt 3,9 Millionen Dienstreisen unternommen.
Der persönliche Kontakt mit KundInnen und GeschäftspartnerInnen ist nach wie vor wichtig und macht belastbare Beziehungen überhaupt erst möglich. Sechs Milliarden Euro ließen sich die Unternehmen das kosten – die Reiseausgaben hatten damit wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht. Österreichweit werden, so meldete der „Kurier“ im April 2013, 82 Prozent aller Telefonkonferenzen und 48 Prozent aller Videokonferenzen für die interne Kommunikation genutzt.
Nur acht Prozent der Unternehmen nutzen Videokonferenzen häufig. „Bis heute sind selbst in der IT-Branche Videokonferenzen nur bei den Großunternehmen gang und gäbe“, erzählt Manuel Lehner, Sekretär der Interessengemeinschaften
work@professional, work@external und work@it der GPA-djp. „Meistens werden diese technischen Möglichkeiten für Gespräche mit MitarbeiterInnen im Ausland oder mit anderen Niederlassungen genutzt.“
Zeit ist Geld, das gilt auch für Videokonferenzen. Und daher werde, so Lehner, in diese Minuten möglichst viel an Inhalten hineingepackt. Zeit für Kreativität und das Entstehen neuer Ideen bleibt da meist nicht. Außerdem: Während Zweiergespräche über Skype noch relativ einfach sind, erfordert eine echte Konferenz per Video auch einiges an Organisation. Termine müssen koordiniert und entsprechende Räumlichkeiten für vertrauliche Gespräche reserviert werden. Immerhin hat sich die Technologie so weit weiterentwickelt, dass Wackelbilder, schlechte Tonqualität oder Asynchronität theoretisch vermeidbar sind.

Herausforderungen
Dass Distanz und die digitale
Kommunikation per Messenger, E-Mails und ähnlichen Tools zwar das Finden und Kontaktieren von Personen erleichtern, das Verständnis für das virtuelle Gegenüber aber nicht gerade verbessern, haben wohl viele Menschen schon selbst erfahren. Man muss nicht gleich Opfer eines Shitstorms gewesen sein, um zu bemerken, dass – sobald der direkte Kontakt fehlt – spontane Entgleisungen, aber auch Missverständnisse und Fehlinterpretationen häufiger werden.
Das Angebot, auch in den eigenen vier Wänden arbeiten zu können, haben viele Beschäftigte gerne angenom
men – selbst wenn manche mit falschen Vorstellungen die Option Home-Office gewählt haben. Denn tatsächlich kann man in der Regel eben nicht gleichzeitig Kinder beaufsichtigen oder Kranke pflegen und effizient arbeiten. Und sich den Weg zur Arbeit zu ersparen mag zwar angenehm sein und ermöglicht mehr Freizeit, aber irgendwann fehlt einem vielleicht der Kontakt zu den KollegInnen.

Empfehlungen
Die AUVA-Expertin Brigitte-Cornelia Eder empfiehlt im aktuellen Magazin „Sichere Arbeit“: „Für diejenigen Personen, die gerne ungestört arbeiten, bei denen eventuell Unstimmigkeiten im Kollegenkreis bestehen, die Sozialkontakte, vielleicht sogar aufgrund der eigenen psychischen Zustandslage, als Belastung erleben, kann ein Telearbeitsplatz befreiend wirken und die Freude an der Arbeit zurückbringen. Für andere dagegen kann der Telearbeitsplatz zur Zerreißprobe werden und sie in die Isolation führen. Vielleicht ist man abgeschnitten von Informationen, die, wie jeder weiß, ganz oft informell ‚zwischen Tür und Angel‘, beim Kaffee oder am Gang ausgetauscht werden. Vielleicht entfremdet man sich von seinen Kolleginnen und Kollegen und verliert trotz aller Besuche im Büro den ‚guten Draht‘, den man immer hatte. Hier ist sowohl Eigenverantwortung gefragt, die eigene Situation eventuell wieder zu verändern, als auch der Arbeitgeber in die Pflicht genommen, der hier ein feines Auge und Ohr für seine dann weit entfernten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sollte!“
Vor allem in der IT-Branche sind Home-Offices gut möglich und auch sehr verbreitet. Doch mittlerweile rudern manche Unternehmen wieder zurück und fordern mehr persönliche Präsenz am Arbeitsplatz. Schon 2013 schränkte das US-Internetunternehmen Yahoo die weitverbreitete Arbeit im eigenen Zuhause ein – zum Unmut vieler MitarbeiterInnen, die wieder pendeln mussten.
„Was soll ich denn in der Firma? Da kenn ich ja niemanden“, war die Reaktion bei manchen Beschäftigten bei Hewlett-Packard, erzählt Eva Angerler, Expertin für Arbeit und Technik in der GPA-djp. Doch für die Unternehmensleitung steht mittlerweile fest, dass ein gewisses Maß an altmodischen Face-to-face-Kontakten erforderlich ist, um ausreichend Kommunikation und Kreativität zu gewährleisten.

Big Boss is Watching
Mittlerweile gibt e
s vor allem bei den großen Softwareproduzenten schon ganz andere Entwicklungen, die teilweise in Richtung Überwachung gehen. Bei internationalen Konzernen wie IBM läuft die Kommunikation unter den auf der ganzen Welt verstreuten Beschäftigten über Social-Software-Plattformen ab. Vorgesetzte und Unternehmensleitung können über diese Software jederzeit sowohl den Vernetzungsstand als auch den Kommunikationslevel einzelner MitarbeiterInnen erheben. Auch die Arbeitsergebnisse bzw. -fortschritte sind abrufbar.
Außerdem im Angebot: Statusmeldungen mit verschiedenfarbigen Lämpchen-Symbolen, um festzustellen, wie lange und wann Mitarbeitende im Home-Office online sind. Manuel Lehner: „Das erzeugt Druck, obwohl jedem klar sein dürfte, dass länger online zu sein nicht unbedingt ein besseres Ergebnis bedeutet.“

Flexibles Arbeiten, das bedeutet nicht nur Gleit- oder Vertrauensarbeitszeit und Home-Office, sondern unter Umständen auch, dass man keinen fixen Schreibtisch mehr hat. Eva Angerler: „In Österreich beginnen jetzt die großen Banken mit der Einführung von Desk-sharing.“ Das soll nicht nur die interne Kommunikation verbessern – in manchen Unternehmen wurden auch die Chef-Büros gestrichen –, sondern ist außerdem platzsparend. Denn wer auf Urlaub oder im Krankenstand ist oder aber zu Hause arbeitet, braucht keinen Schreibtisch im Büro. Dabei hängt es von den aktuellen Tätigkeiten und Anforderungen ab, an welchem Platz und neben welchen KollegInnen man arbeitet. „Es gibt zwar so etwas wie eine Homebase, zu der man fix dazugehört, aber ansonsten ist alles flexibel. Hier stellt sich unter anderem die Frage: Wie findet man seine KollegInnen und Vorgesetzten, wenn man spontan etwas braucht? Der Lösungsmöglichkeit, die Beschäftigten per GPS orten zu können, können wir nichts abgewinnen.“

Eine FORBA-Studie mit Beschäftigten eines Technologiekonzerns in Wien, der ein Desk-sharing-Programm eingeführt hat, zeigte 2012 eher negative Auswirkungen auf die MitarbeiterInnen. Der Wegfall der gewohnten Arbeitsumgebung bzw. des zumindest in Maßen gestaltbaren eigenen „Territoriums“ sorgte für viel Kritik bei den Betroffenen. Im Vergleich mit anderen untersuchten Unternehmen war die Zufriedenheit mit den räumlichen Bedingungen in diesem topmodern ausgestatteten Bürogebäude mit Abstand am geringsten.

Linktipps:
Muster-Betriebsvereinbarung Telearbeit/Home-Office
tinyurl.com/opnabyj
Ausführliche Infos zu Telearbeit
tinyurl.com/p3txkt7
tinyurl.com/q9ed9u5

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308989 Das Angebot, auch in den eigenen vier Wänden arbeiten zu können, haben viele Beschäftigte gerne angenommen - selbst wenn manche mit falschen Vorstellungen die Option Home-Office gewählt haben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305176 Freiheit oder moderne Sklaverei? Der Traum, engen Großstadtbüros und einer 60-Stunden-Arbeitswoche zu entfliehen, motivierte drei ehemalige Finanzberater aus London dazu, ihr „eigenes Ding“ auf die Beine zu stellen. Sie kehrten der Wirtschaftsbranche den Rücken und gründeten die „etwas andere“ Jobplattform www.escapethecity.org. Mit ihrem Start-up-Unternehmen Escape geben Rob Symington, Dom Jackman und Mikey Howe Interessierten auf dem Weg zum Traumjob einen Leitfaden in die Hand. Was als einfacher Blog begann, hat sich schnell zu einem Onlinedienst entwickelt, der vielen dabei geholfen hat, der Routine ihrer Großfirmenjobs zu entfliehen – mit dem Ziel, entweder einen aufregenden neuen Job zu finden, ein eigenes Unternehmen zu gründen, eine kreative Auszeit zu nehmen oder das große Abenteuer zu wagen. Mittlerweile zählt „Escape the City“ über 200.000 Mitglieder auf der ganzen Welt.

„Der Wunsch, einen sinnerfüllten Job zu haben, trifft mitten ins Herz. Es geht um Identität, die Definition von Leben, Erfolg und Reichtum. Bei alldem ist Angst ein sehr großer Teil – aber all das hilft nicht, wenn du nach Erfüllung suchst“, erklärt Rob Symington, der seine Karriere beim Unternehmensberater Ernst & Young hinter sich ließ. Die Jobplattform Escape wurde zum Teil durch Crowdfunding – bei dem über 850.000 Euro lukriert werden konnten – finanziert. Zugang zu den interessanten Jobangeboten aus aller Welt haben nur Mitglieder. Um auf der Plattform ein Jobangebot aufgeben zu dürfen, muss man bestimmte Kriterien erfüllen wie beispielsweise: exotischer Ort, spannende Aufgabe, soziale Aspekte, Kreativität. Derzeit werden unter anderem EventmanagerInnen auf der thailändischen Insel Ko Lanta, Kulturverantwortliche bei einer NGO in Tansania oder ExpertInnen für ein Start-up-Office in Rio de Janeiro gesucht. Aber auch Offerte aus dem Silicon Valley sind online zu finden – etwa bei Uber, Apple und Airbnb. Die meisten Jobangebote können orts- und zeitunabhängig erledigt werden – und frei von Zwängen einer Festanstellung. Es ist nicht mehr entscheidend, wer am längsten im Büro sitzt, sondern wer seine Kompetenz – unabhängig von Ort und Zeit – am besten einbringen kann.

Gnadenloser Wettbewerb
Das Heer von digitalen FreelancerInnen arbeitet in der Regel in Projekten und bekommt bestenfalls Werkverträge. Der gnadenlose Wettbewerb im Web, bei dem die günstigsten Angebote das Rennen machen, das fehlende soziale Netz und die nicht vorhandenen Mitspracherechte im Betrieb bereiten den Escape-Gründern kein Kopfzerbrechen. Die größten Einwände – nämlich Unsicherheit und fehlenden Kündigungsschutz – entkräftet Rob Symington folgendermaßen: „In letzter Zeit mussten viele Menschen, die nie etwas riskiert und ihr Leben lang für Großfirmen gearbeitet hatten, erleben, wie man sie, dem Rentenalter nahe, auf einmal schlecht behandelte. Es kommt zu Entlassungen, radikal zusammengestrichenen Rententöpfen und massenhaft zwangsweisen Frühpensionierungen. Wenn das Geld knapp wird, sind wir alle entbehrlich.“ Trotz aller Herausforderungen des Freelancer-Daseins überwiegen für die Escape-Gründer die Vorteile deutlich.
Selbstständigkeit ist nicht grundsätzlich schlecht, findet auch Karl-Heinz Brandl, Bereichsleiter für Innovation der deutschen Gewerkschaft ver.di. Nur müssten die Bedingungen stimmen, so der Gewerkschafter. Das sei aber bei den digitalen Jobplattformen derzeit nicht der Fall. Daher bereiten ver.di die neuen Arbeitsmodelle auch ziemliches Kopfzerbrechen. Die Angebotspalette der digitalen Plattformen, die von der Auslagerung konkreter Aufgaben wie Assistenzfunktionen oder einfachen Testfällen im Softwareentwicklungsbereich über Produktentwicklung, Prototypentest bis zur Vermittlung von FreelancerInnen reicht, wächst stetig. „Andere Gewerkschaften und wir arbeiten intensiv an Spielregeln für die neue Arbeitswelt“, versichert Brandl.

Die Liste der Schattenseiten, unter denen Cloudworker („WolkenarbeiterInnen“) leiden, die ihre Arbeit mithilfe moderner Technologien unabhängig von Zeit und Ort erledigen, ist lang. Berichte von extrem schlechter Bezahlung etwa bei Amazons Mechanical Turk – dem Online-Arbeitsmarkt für Mikrojobber – mit einem Durchschnittslohn von zwei Dollar pro Stunde, ohne Sozialleistungen oder ArbeitnehmerInnenschutz, lassen aufhorchen. „Bei diesen Modellen fehlt es meist an Mindeststandards hinsichtlich Bezahlung, Arbeitszeit, Arbeitsschutz und rechtlicher wie sozialer Sicherheit. Deshalb besteht die Gefahr, dass Crowdworking sich in die Sphäre der ausbeuterischen Erwerbstätigkeit entwickelt“, warnt Brandl.
Gewerkschaften sind sich der Tatsache bewusst, dass die Bedingungen in der digitalen Arbeitswelt auch massiven Einfluss auf alle traditionell Beschäftigten haben werden. Dabei kann auch erheblicher Druck auf die Einkommens- und Arbeitsbedingungen der angestellten ArbeitnehmerInnen entstehen. Soll „gute Arbeit“ auch für Crowd-Arbeit möglich werden, so müssten die gesetzlichen Lücken geschlossen und Mindestbedingungen, etwa ein Mindestlohn, rechtlich verankert werden. Die Mitbestimmung in Betrieben müsse für digitale Beschäftigte erweitert werden. Ein wichtiger Punkt sei auch die Wahrung von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz. „Bei manchen Verträgen mit Crowdsourcing-Plattformen müssen sich die JobinteressentInnen ja praktisch nackt ausziehen“, warnt Brandl.

All die oben angeführten Punkte würden zeigen, dass die neue Arbeitswelt reguliert werden müsse, damit es zu einem möglichst fairen Ausgleich von Interessen kommt. „Schließlich gilt es, einen sozialen Rückschritt zu verhindern, der uns an den Beginn des industriellen Zeitalters zurückkatapultieren könnte“, mahnt Brandl. Die deutschen Gewerkschaften IG Metall und ver.di haben Internetplattformen (www.ich-bin-mehr-wert.de/support/cloudworking) zum Thema geschaltet und bieten Beratung für Cloudworker. ver.di organisiert auch Workshops für Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) und Cloudworker. Informationen, Beratung, Honorarrichtlinien, Vertragspraxis und Weiterbildung stehen auf dem Programm.

Neue Debatte erforderlich
Die rasant voranschreitende Digitalisierung erfordert auch eine völlig neu aufgestell
te arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitische Debatte. „Ein Cloudworker mit wenigen Euro Bruttolohn hat keinen Spielraum, in die eigene Vorsorge zu investieren. Das soziale Netz wird für ihn zum Raster, durch das er fällt. Die modernen Arbeitsformen rufen das Konzept einer Bürgerversicherung auf den Plan. Die Verbreiterung der Finanzierungsbasis im sozialen Sicherungssystem wäre der strukturelle Schritt zur Absicherung des ‚digitalen Prekariats‘“, meint etwa SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Denn, so Fahimi, wenn die digitale Arbeitswelt ihr Freiheitsversprechen einlösen möchte, dann könne dies nicht zulasten der Beschäftigten gehen, die am Ende mit der Entscheidung zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung allein gelassen werden.

In Deutschland laufen bereits angeregte Diskussionen zum Thema auf breiter gewerkschaftlicher und politischer Basis – und konkret werden eine Rentenkasse und Arbeitslosenabsicherung für Online-Jobber gefordert. In Österreich ist man hingegen noch nicht ganz so weit. Der ÖGB weiß, dass man sich den Herausforderungen, die der digitale Wandel der Arbeitswelt mit sich bringt, stellen wird müssen, und es besteht dahingehend auch Problembewusstsein. Entsprechend klare und mit den Sozialpartnern akkordierte Forderungen stecken noch in den Kinderschuhen. Was EPUs betrifft, wäre für diese die Wirtschaftskammer zuständig, von der aber kommt wenig Unterstützung – mit dem Ergebnis, dass viele Menschen in sehr prekären Verhältnissen sind. Aufmerksam beobachten KonsumentenschützerInnen die neuen Entwicklungen von Online-Dienstleistungsvermittlern. „Konsumenten genießen beim Online-Kauf Vorteile wie ein großes Warenangebot, einfache Preisvergleiche und bequeme Auftragserteilung von zu Hause. Die gesellschaftlichen Aspekte jedoch, etwa wie sich digitale Plattformen auf traditionelle Arbeitsplätze auswirken werden, sind noch nicht abzusehen“, erklärt Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik der AK Wien. Neue Technologien würden viele Vorteile und Arbeitserleichterungen für KonsumentInnen und ArbeitnehmerInnen bringen. Dennoch dürfe man die negativen Seiten nicht außer Acht lassen, warnt Zgubic: „Neben dem mangelnden Datenschutz zählen steigender Arbeitsdruck, ständige Erreichbarkeit, sinkendes Lohnniveau, aber auch das Wegfallen von Arbeitsplätzen dazu.“
 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin für die Tageszeitung "Kurier" und Printmagazine Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308904 Das Heer von digitalen FreelancerInnen arbeitet in der Regel in Projekten und bekommt bestenfalls Werkverträge. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308893 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305162 Frauen auf die Gewinnerseite! Es war einmal eine Frau namens Augusta Ada Lovelace. Sie zählt bis heute auf dem Feld der Programmierung zu den Pionierinnen. Lovelace, die im 19. Jahrhundert in England lebte, entwickelte 1842 das weltweit erste Computerprogramm, in den 1970er-Jahren wurde die Programmiersprache Ada nach ihr benannt. Sie war aber nicht allein, es gab noch mehr Frauen, die als Erfinderinnen erfolgreich waren: Melitta Bentz erfand 1908 den Kaffeefilter, Josephine Cochrane die Geschirrspülmaschine, die Schauspielerin Hedy Lamarr ließ das „Frequency Hopping“ patentieren. Heute sichert ihre Erfindung das Satellitenabwehrsystem der USA und schützt in Mobiltelefonnetzen vor Störung durch Überlastung. Auch das Prinzip der Hängebrücke wurde von einer Frau erfunden, genauso wie die Reißleine beim Fallschirm. Etwa fünf Prozent aller Innovationen im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich stammen auch heute noch von Frauen.

Männerdominanz brechen
Das ist insofern interessant, da Frauen heutzutage in Technik, Wissenschaft und Informationstechnologie im Vergleich zu anderen Branchen total unterrepräsentiert sind. Zahlreiche Studien belegen, dass der Mädchenanteil in technischen Schulen unter 15 Prozent und der Frauenanteil in Fachrichtungen wie Maschinenbau und Elektrotechnik sogar unter der Zehn-Prozent-Marke liegt. Dass Männer den Großteil der ComputerexpertInnen ausmachen, zeigt sich auch an dem Beispiel des IT-Riesen Google: Der Frauenanteil im Unternehmen liegt bei 30 Prozent, davon sind lediglich 17 Prozent im technischen Bereich, zum Beispiel in der Programmierung und Entwicklung, vertreten. Das gleiche (Beschäftigung-)Muster wiederholt sich in allen anderen technischen Unternehmen. Beschäftigte des weiblichen Geschlechts arbeiten meist im kaufmännischen Bereich wie etwa in der Buchhaltung, in der Personalabteilung oder als IT-System-Kaufleute.

Barbiepuppe versus Bauklotz
In den vergangenen Jahren lassen sich vermehrt Bemühungen seitens der Unternehmen, mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern, beobachten. Das überrascht auch nicht sonderlich, da Unternehmen ständig über Personalmangel klagen. Etwa 67 Prozent sind außerdem auf der Suche nach hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen für Forschung und Entwicklung – aber ohne Erfolg. Trotz guter Arbeitsmarktchancen, guter Verdienstmöglichkeiten, zahlreicher Kampagnen und Projekte entscheiden sich Frauen mit geringer Wahrscheinlichkeit für einen Beruf in diesen Branchen – übrigens auch viele, die ein Studium in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern gemacht haben. Das belegt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Viele ExpertInnen meinen, eine Antwort auf diese Entscheidung könnte sein, dass sich Bildungsvorstellungen und -erwartungen bereits ab dem Kindergartenalter entwickeln.
Wer kennt das nicht? Im Kindergarten spielen Mädchen mit Barbiepuppen und bereiten in den Miniküchen Kaffee und Essen vor, während sich die Buben in ihren blau-roten Superman-T-Shirts mit Werkzeugkästen und Bauklötzen beschäftigen oder das „kaputte“ Dreirad reparieren. Bereits ab diesem Alter werden Kinder im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule und von der Gesellschaft auf unauffällige Art und Weise geprägt. Wenn die Rollenverteilung schon so klar geteilt und geregelt ist – der Vater ist Ingenieur, die Mutter Krankenpflegerin, Deutsch unterrichtet Frau Meier und Physik und EDV Herr Schuhmann –, welche Einstellung zu diesen Fächern und Branchen sollen Mädchen entwickeln? Für eine Veränderung dieser klischeehaften Vorstellungen von Mann und Frau braucht es dringend ein Umdenken der Gesellschaft, vor allem muss diese Veränderung bereits in jungen Jahren spürbar sein, sagen ExpertInnen.

Mathematik als Bremsklotz
Als ein weiterer Grund, warum Frauen in Technik, Wissenschaft und Ingenieurwesen unterrepräsentiert sind, wird oft das Fach Mathematik genannt, das bei diesen Fachrichtungen eine relativ große Rolle spielt. Denn selbst bei gleichen Leistungen glauben Mädchen eher als Jungen, sie seien darin nicht gut genug. Auch wenn das in vielen Staaten zum Teil der Wahrheit entspricht, zeigte erst kürzlich eine Studie, dass Mädchen in Mathematik anders beurteilt werden als Buben – und zwar automatisch schlechter.
Victor Lavy von der Universität Warwick in England und Edith Sand von der Universität in Tel Aviv veröffentlichten dazu eine Untersuchung, die vermuten lässt, dass Mädchen allgemein schlechter in Mathematik abschneiden, weil das Lehrpersonal das von ihnen erwartet. Dazu wurden SchülerInnen von Beginn bis zum Ende der Schulausbildung begleitet, ihre Arbeiten wurden zweimal beurteilt – einmal anonym und einmal vom eigenen Lehrenden. Anonym schnitten die Mädchen besser ab als Buben, beim eigenen Lehrenden war genau das Gegenteil der Fall. In den anderen Fächern, wie beispielsweise Sprachen, konnte dieses Phänomen jedoch nicht beobachtet werden.

Erfolgreiche Erfinderinnen
Erfolgreiche Erfinderinnen zeigten bereits vor vielen Jahren, dass Technik und die damit verbundene Mathematik für Frauen kein Fremdwort ist und dass sie für Jobs in diesen Bereichen genauso gut wie Männer geeignet sind. Nur üben bis heute das familiäre Umfeld, Ausbildungsstätte und die Gesellschaft einen großen Einfluss bei der Berufs- und Studienwahl aus und drängen so die Mehrzahl der Mädchen in traditionell weibliche Berufe, wie Kindergärtnerin und Bürokauffrau. Damit das Interesse für die bisher fast ausschließlich von Männern dominierte Technikbranche wächst und mehr Frauen Interesse zeigen, muss die Berufsinformation um einiges verbessert werden, etwa durch eine stärkere Sensibilisierung für die voraussichtlichen Auswirkungen der unterschiedlichen Fächerwahl von Jungen und Mädchen auf Berufsaussichten und Verdienstniveau. Es zeigt sich nämlich, dass jene Mädchen und Frauen, die sich für eine IT-Karriere entschieden haben oder für die eine solche infrage kommt, in ihrem privaten Umfeld weibliche Vorbilder hatten oder haben. Somit verfügen sie über mehr Wissen hinsichtlich der Berufsmöglichkeiten und haben eher die Chance, in die Branche hineinzuschnuppern und sich ein eigenes Bild davon zu machen.

Die Übernahme der Maschinen
Dass ein Umdenken und eine Veränderung dringend nötig sind, zeigt auch die Tatsache, dass der Einsatz von Robotern und ähnlichen Technologien zunimmt und in den kommenden Jahren viele Arbeitsplätze und somit Arbeitskräfte ersetzen wird. Die wachsende Technologie bedroht in erster Linie Berufsgruppen, die Verwaltungstätigkeiten ausüben, aber auch den Einzelhandel und andere Dienstleistungsberufe. Sogar ganz vom Aussterben bedroht sind zum Beispiel Berufe wie KassierIn und FahrkartenverkäuferIn.
Im Dienstleistungssektor sind, wie zahlreiche Statistiken bestätigen, die meisten Frauen beschäftigt. Das bedeutet, dass vor allem für sie erhöhte Risikogefahr besteht, ihren Job – zwar nicht von heute auf morgen, aber mit Sicherheit irgendwann, da sind sich die ExpertInnen sicher – an eine Maschine zu verlieren. Genau das Gegenteil und eine Zunahme der Beschäftigten bewirkt der technische Fortschritt in Technologieberufen und in der IT.

Politik und Wirtschaft am Zug
Damit IT- und Technikunternehmen in Zukunft seltener über Personalmangel klagen, sind viele Veränderungen notwendig – vom Elternhaus über die schulische Ausbildung bis hin zur Gesellschaft. Benachteiligungen wie etwa das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen und die fehlenden Kinderbildungseinrichtungen müssen beseitigt werden. Hier ist die Politik genauso wie die Wirtschaft am Zug. Denn erst wenn Frauen Chancengleichheit im gesamten Berufsleben vorfinden und es ihnen ermöglicht wird – genauso wie ihren männlichen Arbeitskollegen –, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, haben sie die Möglichkeit, Karriere zu machen und erfolgreich zu sein, sei es in der Informationstechnologie, in der Technik, aber auch in jeder anderen Branche.

Linktipp:
Mehr Infos unter
sprungbrett.or.at

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308876 Erfolgreiche Erfinderinnen zeigten bereits vor vielen Jahren, dass Technik und Mathematik für Frauen keine Fremdwörter sind. Dennoch sind sie in diesen Jobs heute total unterrepräsentiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305131 Das Ruder in die Hand nehmen Industrie 4.0, Sharing Economy, Roboterisierung: Diese Begriffe sind derzeit in aller Munde. Der Tenor: Die Arbeitswelt wird sich radikal verändern und die Arbeitsplätze, wie wir sie heute kennen, wird es so nicht mehr geben. Einige Veränderungen sind bereits voll im Gange. So waren im Jahr 2000 noch 75 Prozent der Daten in der Welt analog gespeichert – auf Papier, Film, Tonband usw. Heute ist nicht einmal mehr ein Prozent des weltweiten Datenvolumens analog vorhanden. Diese digitale Datenmenge kann zudem rasch und günstig verknüpft werden. So nutzen zum Bespiel einige Hedge-Fonds Twitternachrichten, um Kursentwicklungen an Börsen vorherzusagen. Meldungen über Kopfschmerzen im Kurznachrichtendienst werden als Indizien für neu entstehende Grippewellen herangezogen. Der Erkenntnisgewinn ist groß und kann auch nützlich sein. Andererseits: Je mehr die Datenanalyse genutzt wird, desto mehr (Vor-)Entscheidungen werden von Maschinen getroffen. 

„Intelligente“ Algorithmen
Hinter der Nutzbarmachung all dieser Datenme
ngen und der „intelligenten“ Algorithmen steht auch ein Heer an Menschen, die Daten in Computer eingeben. Diese und viele andere Arbeiten werden mittels Crowdwork erledigt: Aufträge werden über webbasierte Plattformen ins Netz gestellt und von sogenannten Crowdworkern abgearbeitet. Dies erleichtert zwar für einige Menschen den Zugang zu Arbeit – die Aufgaben können zu beliebigen Zeiten in beliebiger Menge und von beliebigen Orten erledigt werden. Das Risiko liegt aber beim Einzelnen: kein oder nur geringes Entgelt, keine Absicherung und rechtliches Niemandsland – statt eines Arbeitsvertrags gibt es nur allgemeine Geschäftsbedingungen, von arbeitsrechtlichem Schutz und Mitbestimmung keine Spur.

Sharing Economy
Als Gegenkonzept zur Konsumgesellschaft gedacht, sollte – erleichtert durch Internet und Apps – Tauschen, Leihen und Teilen den Konsum ersetzen. Entstanden ist ein neuer Wirtschaftszweig: Portale, die Car-Sharing, Übernachtungen (Airbnb) und Fahrdienste (Uber) anbieten und damit Milliarden verdienen. Die Digitalisierung dringt so in Bereiche ein, die vorher nicht als stark betroffen galten, in denen aber nun prekäre Arbeit floriert. Es wird schon intensiv an Robotern gearbeitet, deren Sensortechnik den menschlichen Sinnesempfindungen schon sehr nahe kommt. In einer weiteren Entwicklungsstufe arbeitet man daran, Roboter mit selbstlernenden Elementen auszustatten (sprich: Fehler erkennen und daraus Prozesse optimieren). Es kommt zu einer rasanten Entwicklung von Maschinen, die mit den Menschen und ihrem Arbeitsumfeld interagieren.
Der industrielle Sektor wird die Entwicklung der oben genannten Prozesse massiv vorantreiben. Ziel ist die umfassende Vernetzung der Produktion. Alle kommunizieren miteinander: Teile, Maschinen, Beschäftigte und Kunden. So kann die Produktion in Echtzeit umgestellt werden, der Kunde deponiert per Internet Sonderwünsche. Monotone und körperlich anstrengende Arbeiten werden in Zukunft vermehrt von Maschinen übernommen. Für die ArbeitnehmerInnen fallen verstärkt Aufgaben bei der Kontrolle, Steuerung, Planung und Prozesssteuerung an. Man erwartet sich davon hohe Produktivitätsgewinne und viel Potenzial für neue Geschäftsfelder.

Mitgestalten
Noch ist nicht abzusehen, welche technologischen Veränderungen wie schnell in unsere Arbeitswelt Einzug halten. Ziel kann nicht sein, den technologischen Fortschritt aufzuhalten, sondern ihn gezielt mitzugestalten, damit er möglichst vielen Menschen zugutekommt. Einige Entwicklungen und Fragestellungen werden in der Arbeitswelt daher in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Wandel am Arbeitsmarkt
Es gibt einige Studien, die den Jobwandel aufgrund des Einflusses der Digitalisierung der Arbeitswelt auf einzelne Branchen betrachten. Gemeinsamer Tenor ist, dass weniger Jobs geschaffen werden, als durch den technologischen Wandel verloren gehen werden. Viele manuelle Arbeiten, aber auch Bürotätigkeiten und Dienstleistungen bis hin zu Pflege könnten in Zukunft zumindest teilweise automatisiert werden. Menschliche Kreativität und soziale Kompetenz hingegen werden an Bedeutung gewinnen. Entscheidend wird sein, welche gesellschaftspolitischen Antworten wir auf diese Veränderungen haben.
Durch die Entstehung neuer Jobs, aber auch durch die veränderten Arbeitsinhalte, die die Digitalisierung mit sich bringt, bekommen die Themen Qualifizierung und berufliche Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen eine besondere Bedeutung. Was brauchen Menschen, um mit dem digitalen Wandel zurechtzukommen? Wie muss unser Bildungs- und Ausbildungssystem verändert werden, um die Menschen auf diese veränderte Arbeitswelt und Gesellschaft ausreichend vorzubereiten? Und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten muss Basisbildung vermitteln, um auf diese veränderten gesellschaftlichen Anforderungen zu reagieren?

Die Entwicklungen der Big-Data-Welt – also die Möglichkeit, Informationen zu verknüpfen und daraus Erkenntnisse zu gewinnen – werfen gerade beim Datenschutz sehr entscheidende Fragen auf. Auf betrieblicher Ebene wird die Frage, welche MitarbeiterInnendaten wie genutzt werden dürfen, bereits heiß diskutiert. Bei Crowdworkern ist die „digitale Reputation“ existenziell. Wie können wir ein Mitspracherecht über die gesammelten Daten sicherstellen? Und können wir unseren digitalen Fußabdruck auch wieder verändern?
In vielen Arbeitsbereichen werden neue Arbeitsformen zu einer höheren Flexibilität führen, wann und wo gearbeitet werden kann. Aber wie kann ein starker ArbeitnehmerInnenschutz in diesem Kontext gestaltet werden (z. B. Arbeitszeit, Ruhezeit, Überwachung/Kontrolle …)? Und können technologische Möglichkeiten auch genutzt werden, um vor allem psychische Belastungen zu reduzieren?

Mindeststandards definieren
Durch Crowdworking und Sharing-Economy-Plattformen entstehen neue Arbeitsformen, die derzeit völlig unreguliert sind. Die Prekarisierung einerseits hat auch Auswirkungen auf die Einkommens- und Arbeitsbedingungen der regulär Beschäftigten.
Es liegt also im Interesse aller, arbeitsrechtliche Mindeststandards zu etablieren. Auch Mitbestimmung muss neu organisiert werden. Die IG Metall ist zum Beispiel gerade dabei, eine Kommunikationsplattform aufzubauen, über die sich Crowdworker austauschen können.
Derzeit regelt der klassische Arbeitsvertrag (noch) die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse. An den Arbeitsvertrag gekoppelt ist die arbeits- und kollektivvertragliche Absicherung, aber auch die finanzielle Basis unseres Steuer- und Sozialsystems. Automatisierung einerseits und neue Arbeitsformen à la Crowdwork andererseits bewirken, dass dieser klassische Arbeitsvertrag an Bedeutung verliert. Eine zentrale Frage wird daher sein, wie die Finanzierung sozialer Systeme an den digitalen Wandel angepasst und rechtliche Absicherung geschaffen werden kann.
Noch ist nicht abzusehen, wohin die Reise geht. Es gilt aber bereits jetzt, das Ruder in die Hand zu nehmen, um den gesellschafts- und sozialpolitischen Kurs im Sinne der ArbeitnehmerInnen zu beeinflussen.

Linktipps:
Zum Downloaden:
Frey, C. B.; Osborne, M. A. (2013): The Future of Employment: How Susceptible Are Jobs to Computerisation? Oxford Martin School, 7, 72:
tinyurl.com/oj67kae
Zum Nachlesen:
Rotman, D. (2013, June 12): How Technology Is Destroying Jobs. MIT Technology Review. Retrieved January 21, 2015:
tinyurl.com/odnek6s

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin karin.zimmermann@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Karin Zimmermann, ÖGB, Präsidentenbüro Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308797 Noch ist nicht abzusehen, wohin die Reise geht. Es gilt aber bereits jetzt, den gesellschafts- und sozialpolitischen Kurs im Sinne der ArbeitnehmerInnen zu beeinflussen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308807 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305087 Das Ding der Dinge Jetzt haben wir uns gerade daran gewöhnt, dass wir mit Computern, Telefonen und Uhren immer und überall vernetzt sind, da rollt schon „das nächste große Ding“ auf uns zu. Das Ding der Dinge, wenn man so will: das Internet der Dinge nämlich. Was oft mit IoT (Internet of Things) abgekürzt wird, bedeutet, dass alles – meist kabellos – vernetzt wird. Ein gern genanntes Beispiel ist der Kühlschrank, der selbst per Onlinedienst nachbestellt, wenn Milch, Butter und andere Lebensmittel zur Neige gehen. Oder das selbstfahrende Auto, das Informationen mit der Fahrbahn und anderen Fahrzeugen austauscht und viel schneller als Menschen verarbeiten kann. Dadurch soll es nicht nur die schnellste Route wählen, sondern auch umweltschonender fahren und weniger Unfälle bauen. Auch in Kleidungsstücke könnten „Wearables“, also Mini-Computer, eingebaut werden und über Sensoren Daten sammeln. Vorstellbar wäre etwa, dass die Wanderkleidung die Körpertemperatur misst und einen Alarm an die nächstliegende Rettungsstation sendet, wenn die Temperatur des Trägers stark absinkt. Der Fantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt, denn prinzipiell kann jeder Gegenstand mit einem Computer und mit Sensoren ausgestattet und mit dem Internet vernetzt werden.

Evolution des Internets
„Man muss den größeren Kontext
der Evolution des Internets betrachten“, sagt Schahram Dustdar, Informatik-Professor an der TU Wien und Leiter des Arbeitsbereichs „Verteilte Systeme“ (Distributed Systems). Die Internettechnologie wurde „Ende der 1960er-Jahre entwickelt, damit die Menschen über eine Maschine miteinander kommunizieren können. Daraufhin folgte die Entwicklung des Web.“
Der nächste Schritt war das Internet der Software-Services – jetzt konnten Software-Programme per Internet miteinander kommunizieren. „Was noch bleibt“, sagt Dustdar, „sind die physischen Dinge“ – und damit auch die Kommunikation zwischen Gegenständen, die „machine-to-machine communication“. Das ist es, was derzeit die Technologie- und IT-Firmen der Welt, aber auch Regierungen, Stadtverwaltungen und Unternehmen von Handel über Logistik bis zu industrieller Produktion interessiert. Hier wird geforscht, was das Zeug hält.

Von Paket bis Amtsersatz
Einige Beispiele: In Dortmund forscht das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik an einem „Paradigmenwechsel in der logistischen Welt“. Es werden Logistiksysteme entwickelt und optimiert, bei denen die Waren ihren Weg zum Ziel selbst organisieren. Im Internet der Dinge sieht man die Lösung: Pakete können sich selbst steuern und wissen, wo’s langgeht.
Der IT-Ausrüster Cisco investiert viel in die Entwicklung von IoT-Anwendungen. Der neue Cisco-Chef Chuck Robbins glaubt gar, im Jahr 2030 würden 500 Milliarden Dinge mit dem Internet verbunden sein. Cisco liefere „den Bauplan, um unbelebte Dinge miteinander zu vernetzen“. So hat der Konzern am Hamburger Hafen Lkw-Parkplätze mit Sensoren ausgerüstet: Lkw-Fahrern wird automatisch gemeldet, wo ein Platz frei ist. In Barcelona und Nizza hat man BürgerInnenkioske installiert, an denen Menschen einen neuen Pass beantragen oder die Steuererklärung abgeben können, ohne ein Amt betreten zu müssen. Auch viele kleinere Unternehmen wie etwa die österreichische IT-Firma TTTech, die weltweit rund 400 MitarbeiterInnen hat, setzen auf das IoT. TTTech entwickelt unter anderem Lösungen für selbstfahrende Autos.

Riesenerwartungen
Das Internet der Dinge weckt Riesenerwartungen von Wirtschaft und Politik. Studien werfen nur so mit Milliardenbeträgen um sich. So rechnet die Unternehmensberatung Accenture in der im Jänner präsentierten Studie „Winning with the Industrial Internet of Things“ damit, dass das Internet der Dinge bis 2030 mit 14,2 Billionen US-Dollar zur globalen Wirtschaftsleistung beitragen könnte.
Allerdings ist dies nur ein potenzieller Betrag, denn aus Sicht von Accenture würden weder Unternehmen noch Regierungen ausreichende Anstrengungen zeigen, um die Voraussetzungen zur umfangreichen Verbreitung neuer digitaler Technologien zu schaffen. Dazu gehört etwa der Ausbau der Netze, welche die enormen Datenmengen transportieren können. Noch agiere der Großteil der Unternehmen vor allem deshalb zurückhaltend, weil sie noch nicht wissen, wie sie mit den neuen Technologien Geld verdienen können. Vermutlich ist das aber nur eine Frage der Zeit. Denn die Befragung von 1.400 Führungskräften globaler Unternehmen ergab: Mit dem Internet der Dinge verbindet man die Steigerung der Produktivität und die Senkung der Betriebskosten.

Jobabbau und neue Berufe
Das weckt natürlich Sorgen. Produktionshallen, Logistikzentren und Transportmittel werden weniger menschliche Arbeitskraft benötigen. Frank Bsirske, Chef der deutschen Gewerkschaft ver.di, sagte Anfang des Jahres: „Ganze Berufsfelder sind von der Digitalisierung bedroht.“ Große Sparpotenziale bei Arbeitsplätzen drohen, und so entstehe eine Automatisierungsdividende. Diese müsse in neue Arbeitsplätze investiert werden, etwa im Erziehungs- und Gesundheitsbereich – und das müssten Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften fördern. Bsirskes österreichischer Kollege Wolfgang Katzian, Vorsitzender der GPA-djp, sagt: „Natürlich kommen auf dem Arbeitsmarkt einige Branchen durch den digitalen Wandel gehörig unter Druck. Beispielsweise schreibt niemand mehr Enzyklopädien. Wenn wir etwas wissen wollen, suchen wir es nicht mehr zwischen zwei Buchdeckeln im Wohnzimmer, sondern im Internet.“ Im Verlagswesen, im Journalismus, aber auch im Handel, Finanzbereich und der Industrie würden sich gewaltige Veränderungen bei den Arbeitsabläufen und ein Arbeitsplatzabbau zeigen. Allerdings entstünden auch neue Berufsfelder, wie die IT-Forensik oder die Big-Data-Analyse. Die Tatsache, dass Robotik menschliche Arbeitskraft teilweise ersetze, sei ein guter Grund, „die frei werdenden Kapazitäten für eine Arbeitszeitverkürzung zu nutzen anstatt zum Jobabbau“. Der Gewerkschaft gehe es darum, bestehende und neu entstehende Arbeitsplätze so zu gestalten, „dass sie ein finanziell und sozial abgesichertes Leben ermöglichen. Dafür brauchen wir auch eine starke und handlungsfähige öffentliche Hand.“

Offene Fragen
Einsatzbereiche des Internets der Dinge, die vielen zugutekommen, sind Entwicklungen im Bereich Smart Cities. Hierzu wird an der TU Wien eifrig geforscht, Software und Prototypen gebaut, die es ermöglichen, Geräte wie etwa Klimaanlagen oder Verkehrsampeln steuerbar zu machen und miteinander in Beziehung zu setzen. Auf dem Weg zu einem umfassenden Internet der Dinge gibt es laut Informatik-Professor Dustdar „nur Probleme, wo man hinschaut“. Es beginnt bei der Sicherheit, immerhin lässt sich alles hacken, was mit dem Internet verbunden ist.
Es geht weiter bei der Frage: Wie rechnet man mit dem Kunden ab? Und: „Was für mich noch stärker wiegt, ist das Thema Privacy: Das Empfinden der Privatsphäre ändert sich stark.“ Schon jetzt wird in den sozialen Medien meist kein Geldbetrag bezahlt, denn der Preis für die Nutzung sind die eigenen Daten. „Daten sind das Öl der Gegenwart“, so Dustdar. Er kann sich vorstellen, dass man in Zukunft mit dem Auto kostenlos von A nach B gebracht wird, wenn man Werbung über sich ergehen lässt.
Der Forscher macht sich solche Gedanken, obwohl es reichen würde, die Technologie voranzutreiben. Für ihn geht es beim Internet der Dinge aber auch um eine philosophische Frage: „Was ist der Mensch? Was soll der Mensch machen? Lebt er, um zu arbeiten? Arbeitet er, um zu leben?“ Die Technologisierung werde langfristig dazu führen, dass die Menschen kürzer arbeiten. Was sie mit der gewonnenen Zeit anfangen, werde sich zeigen – und es müsse nicht nur positiv sein. Aber: „Wir können diesen Prozess durch Technologieskepsis nicht aufhalten, denn es ist ein globales Thema.“ Zwar ist das IoT schon im Einsatz, trotzdem stehen wir bei der Entwicklung laut Dustdar erst am Anfang. Ein wenig Zeit ist also noch, sich auch die philosophischen Fragen zu stellen.

Linktipps:
Accenture-Studie:
tinyurl.com/p7up9gy
TU Wien zum Thema Smart Cities:
http://energiewelten.tuwien.ac.at/forschung/smartcity

Blogtipp:
www.das-vernetzte-leben.de

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308786 Ein gern genanntes Beispiel für das Internet der Dinge ist der Kühlschrank, der selbst per Onlinedienst nachbestellt, wenn Milch, Butter und andere Lebensmittel zur Neige gehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305075 Eine Fehlrationalisierung Spät, aber doch begann in den 1920er-Jahren auch in Österreich die Fließbandrevolution. Technologische Innovationen, verbunden mit einer Durchrationalisierung der Arbeitsabläufe, erlaubten eine massive Steigerung der Produktivität. Neue Arbeitssituationen und Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt, eine Zunahme der ohnehin durchgehend hohen Arbeitslosigkeit inklusive, waren die Folgen. Die Gewerkschaften sahen sich völlig neuen und in neuer Gestalt auftretenden alten Fragestellungen gegenüber.
1929 veröffentlichte der „Ausschuss für gewerkschaftliche Rationalisierungspolitik“ im freigewerkschaftlichen „Bund der Industrieangestellten“ das Ergebnis seiner Recherchen und Analysen zur aktuellen Entwicklung. Drei Jahre später, schon mitten in der großen Weltwirtschaftskrise, fasste die Arbeiterkammer-Expertin Käthe Leichter die wichtigsten Schilderungen und Aussagen dieser Studie kritisch zusammen:

Wie stark … die Rationalisierung tatsächlich den Arbeiterstand in den Betrieben … beeinflusst hat, zeigen einige Beispiele … In einer österreichischen Metallwarenfabrik waren 1913 zur Herstellung von zirka 3 Millionen Stück einer wertvollen Massenware 1480 Arbeiter notwendig, 1927 zur Herstellung von 5,8 Millionen Stück nur 357. Während die Produktion um 94 Prozent stieg, sank die Arbeiterzahl um 76 Prozent. Die Zahl der Angestellten ist dagegen um 137 Prozent gestiegen – bezeichnend für die Verschiebungen, die der Rationalisierungsprozess im Verhältnis von Arbeitern und Angestellten mit sich bringt. Ein … Betrieb der Metallindustrie hat seit 1924, als mit der Rationalisierung im vollen Umfang eingesetzt wurde, bis 1927 rund 64 Prozent der Arbeiter abgebaut, ein Großbetrieb der Lebens- und Genussmittelindustrie in vier Jahren der Rationalisierung 48 Prozent. In den Brauereien von Schwechat, St. Marx und Simmering hat die im Jahre 1926 einsetzende Rationalisierung es ermöglicht, dass 1200 Arbeiter so viel erzeugen wie früher 1500.

Aus dem Bericht der Reichskommission der Freien Gewerkschaften für den Gewerkschaftskongress 1928 entnahm Käthe Leichter ein weiteres Beispiel:
Vor der Inbetriebsetzung des laufenden Bandes in der Fahrradabteilung eines österreichischen Betriebes erzeugten 360 Arbeiter monatlich durchschnittlich 600 Fahrräder. In der Fließarbeit werden von 290 Arbeitern monatlich durchschnittlich 700 Fahrräder erzeugt. Das ergibt eine Ersparnis von Arbeitskräften von 24 Prozent bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Erzeugung von 16,6 Prozent. Die Leistung pro Arbeiter ist demnach in der Fließarbeit um 45 höher als vorher.

Die zunehmende Freisetzung von Arbeitskräften durch die Rationalisierung und darüber hinaus die Tatsache, dass die – durchaus erzielten – Lohnsteigerungen hinter der Steigerung der Arbeitsproduktivität zurückblieben, stelle wirtschaftlich betrachtet eine Fehlrationalisierung dar, so Leichters Schlussfolgerung. Diese Entwicklung weise die Gewerkschaften mit ihren Aufgaben klar über die bloße Lohnpolitik hinaus zu einer Politik, die den gesamten Wirkungen der Rationalisierung entgegentritt.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308769 Nach Studien in den Ford-Werken in den USA begannen die Steyr-Werke 1924 mit der Fließbandproduktion von Autos. "Fordismus" wurde zum Fachbegriff für die rationalisierte Produktion von Massenkonsumgütern vor der Elektronikrevolution. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305024 ÖGB: Erfolg für undokumentierten Arbeiter Nach massiver Ausbeutung durch seinen Arbeitgeber und einem schweren Arbeitsunfall, bei dem er zwei Zehen verlor, zog Herr R. vor das Arbeits- und Sozialgericht in Wien. Unterstützt wurde er dabei durch die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender (UNDOK) und die Arbeiterkammer Niederösterreich (AKNÖ). Jetzt wurde ihm recht gegeben.
Herr R. ist serbischer Staatsangehöriger und einer von 144 undokumentierten ArbeitnehmerInnen, die sich seit der Eröffnung im Juni 2014 an die UNDOK-Anlaufstelle wandten. Er arbeitete einige Wochen für eine niederösterreichische Autohandelsfirma. Nach einem schweren Arbeitsunfall rief sein Arbeitgeber nicht die Rettung. Stattdessen beauftragte er einen anderen Arbeiter damit, Herrn R. umzuziehen und mit seinem Privatauto ins Krankenhaus zu bringen. Es sollte nicht wie ein Arbeitsunfall aussehen. „Ich stand unter Schock und blutete stark“, erzählt Herr R. „Erst später merkte ich, dass ich meine private Kleidung anhatte.“
Aufgrund des Arbeitsunfalls mussten Herrn R. zwei Zehen amputiert werden. Erst im Krankenhaus erfuhr er, dass er nicht krankenversichert ist, und erhielt eine Spitalsrechnung von 43.000 Euro. Herr R. arbeitete, ohne es zu wissen, ohne gültige Arbeitspapiere. Sein Arbeitgeber hatte weder eine Beschäftigungsbewilligung beantragt noch Herrn R. bei der Sozialversicherung angemeldet. Auch einen Großteil seines Lohns blieb er ihm schuldig. Herr R. wandte sich daraufhin an die UNDOK-Anlaufstelle – mit Erfolg.
Rückwirkend musste der Arbeitgeber Herrn R. krankenversichern, die Spitalsrechnung wurde von der Gebietskrankenkasse übernommen. Außerdem konnte Herr R. arbeits- und sozialrechtliche Ansprüche von rund 14.500 Euro durchsetzen.

„Die meisten undokumentiert arbeitenden Menschen werden um ihren Lohn betrogen“, berichtet Karin Jović, Beraterin der UNDOK-Anlaufstelle. „Arbeitgeber halten sich nicht an kollektivvertragliche Mindestlöhne. Bei Arbeitsunfällen sind undokumentiert Arbeitende nicht versichert – wie im Fall von Herrn R.“
Mario Bartl, UNDOK-Vorstandsmitglied und Bau-Holz-Gewerkschafter, setzt auf gewerkschaftliches Handeln: „Ob mit oder ohne Papiere: Sozialversicherungsgesetze, Arbeitsrecht und kollektivvertragliche Mindeststandards gelten für alle ArbeitnehmerInnen. Als Gewerkschaften unterstützen wir alle dabei, nicht nur recht zu haben, sondern auch zu ihrem Recht zu kommen.“

Mehr Infos unter:
www.undok.at

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Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305017 ÖGJ: Reformbedarf bei Lehrlingen Als „erschreckend“ bezeichnet Sascha Ernszt, der Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), die aktuellen Zahlen zu den Lehrabschlussprüfungen. Demnach schaffen 18 von 100 Lehrlingen die Abschlussprüfung nicht. „Das zeigt, dass Reformbedarf in der Lehrausbildung herrscht.“ Die Gewerkschaftsjugend fordert schon seit Langem sogenannte Kompetenzchecks. „Zur Hälfte der Lehrzeit sollte überprüft werden, ob der Lehrling über die – gemäß seinem Ausbildungsstand – notwendigen Kenntnisse verfügt“, fordert Ernszt. Bisher habe sich die Wirtschaftskammer in dieser Frage jedoch wenig kooperativ gezeigt.
Außerdem müssten die Lehrlinge vom Betrieb automatisch zur Lehrabschlussprüfung angemeldet werden. „Analog zur Matura sollte es für die Jugendlichen eine Automatik geben, dass sie nach Ende der Lehrzeit zur Prüfung antreten und sich nicht selbst darum kümmern müssen. Das sollte auch für Wiederholungsprüfungen gelten“, betont Ernszt. Ebenso brauche es ein dichteres Kontrollnetz, um zu überprüfen, ob die Betriebe wirklich nach dem Berufsbild ausbilden.
Dringlich seien auch Reformen im Schulbereich, hier dürfe nicht mehr länger gezögert werden. „Einerseits gibt es jene, die begabt sind und es zum Weltmeister in ihren jeweiligen Berufen schaffen. Aber es gibt auch Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben“, so Ernszt. „Hier müssen endlich Strukturen geschaffen werden, um niemanden zurückzulassen und jedem Kind die Chance auf eine gute Bildung zu geben.“

Mehr Infos unter:
www.oegj.at

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Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851305011 AK: Hartz IV kein Vorbild für Österreich In den Diskussionen über die schwierige Lage auf dem österreichischen Arbeitsmarkt wird immer wieder Deutschland als Vorbild angeführt. Allerdings wären die deutschen Arbeitsmarktreformen „nicht in der Lage, diese grundlegenden Probleme zu lösen“, hält Ilse Leidl-Krapfenbauer, Arbeitsmarktexpertin der AK Wien, fest.
Der Grund: Sie setzen weder am Wirtschaftswachstum noch am Arbeitskräfteangebot an. Im Gegenteil: Die Reformen in Deutschland haben eine Zweiklassengesellschaft bei den Arbeitslosen entstehen lassen und die Armut hat deutlich zugenommen. Das zeigt die aktuelle Arbeitsmarktanalyse der Arbeiterkammer, in der die deutschen Reformen in einem Spezialteil analysiert werden. Zwei Drittel der arbeitslosen Menschen sind im Grundsicherungssystem – dem Hartz-IV-System –, nur ein Drittel im eigentlichen System der Arbeitslosenversicherung. Hartz IV wurde für viele zur „persönlichen Sackgasse“: In Deutschland ist die Langzeitarbeitslosigkeit im EU-Vergleich besonders hoch (44,3 Prozent) und nur ein Drittel der Arbeitsaufnahmen erfolgt aus dem Hartz-IV-System. Zudem ist die Armutsgefährdungsquote der deutschen Arbeitslosen mit rund 70 Prozent im EU-Vergleich am höchsten. Neben einer expansiven Wirtschaftspolitik fordert die AK eine moderne Arbeitszeitpolitik und den aktiven Kampf gegen die länger andauernde Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt.

Mehr Infos unter:
http://wien.arbeiterkammer.at/service/presse/Arbeitsmarkt_im_Fokus_2015.html

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Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851304987 Solidarität mit den Flüchtlingen Tausende Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, sind Ende August von Ungarn aus in Österreich angekommen. Diese Ausnahmesituation ist für uns Anlass, um diese Seite, auf der wir sonst über Veranstaltungen von ÖGB oder AK berichten, den aktuellen Ereignissen zu widmen. Die Bilder aus dem völlig überfüllten Flüchtlingslager in Traiskirchen sowie von den Flüchtlingen, die vor den Türen als Obdachlose übernachten müssen, haben eine große Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Auch viele GewerkschafterInnen engagieren sich und zeigen damit Menschlichkeit. Dort, wo es möglich ist, versucht der ÖGB auch mit Unterbringung zu helfen, in Salzburg etwa wurde das ÖGB-Haus am Wallersee dafür zur Verfügung gestellt.

„Mein Dank gilt auch jenen KollegInnen, die sich privat in vielen Eigeninitiativen für AsylwerberInnen engagieren und mit Sachspenden und persönlichem Einsatz zeigen, dass es viele hilfsbereite Menschen gibt und Österreich nicht von Ausländerfeindlichkeit dominiert wird. Sie leben damit das vor, wofür die Gewerkschaftsbewegung steht: Solidarität mit den Schwächsten!“, kommentierte dies ÖGB-Präsident Erich Foglar.
Nicht nur Freiwillige und GewerkschafterInnen setzten sich ein: „Ein Riesendank gebührt den ÖBB-MitarbeiterInnen, die viel Einsatz und vor allem Menschlichkeit gezeigt haben, um den Flüchtlingen ihre Situation so gut wie möglich zu erleichtern“, betonte ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende Renate Anderl.

Mehr Infos unter:
www.volkshilfe.at

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Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308743 Während die Demonstration durch die Mariahilfer Straße zog, kam am Westbahnhof eine erste große Gruppe von Flüchtlingen aus Ungarn an. Am darauffolgenden Wochenende sollten noch Tausende weitere kommen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1441851308751 "Was die österreichische Bevölkerung geleistet hat, ist überwältigend. So eine große Unterstützung und auch, dass so viele Freiwillige sofort zur Stelle waren, macht mich einfach nur sprachlos", sagte Renate Anderl. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 14 Sep 2015 00:00:00 +0200 1441851304982 Standpunkt | Das gestohlene Internet Es war Ende Juni, als ich nach einem heißen Tag am Strand an der französischen Atlantikküste zurück ins Landesinnere fuhr. Da ich auf Urlaub war, übte ich mich zumindest zum Teil in Internet-Abstinenz. So fühlte ich mich fast ein bisschen „retro“ mit meiner Straßenkarte, auf der ich mich auf meinem Weg orientierte. Auf einmal ließ mich ein Satz aus dem Radio aufhorchen: „Das Internet wurde gestohlen.“

Mythos gleicher Zugang
Wie soll das bitte gehen, rätselte ich und hörte aufmerksam zu. Man überlegte, wer hinter dieser Tat stecken könnte, welche Konsequenzen dies haben würde und wie die Zukunft nun aussehen könnte. Sind all die Daten verloren? Was bedeutet das für jene Jobs, die ohne Internet nicht zu denken sind? Wie könnte ein neu zu schaffendes Internet aussehen? Es wurde zu bedenken gegeben, dass das Internet keineswegs so egalitär ist, wie man oft meint. Immerhin kontrollieren manche Länder wie etwa China sehr genau, zu welchen Seiten ihre BürgerInnen Zugang haben. Im Jahr 2007 haben die Machthaber von Burma gar die Leitungen für ihr ganzes Land gekappt. Auch in unseren Breiten ist es mit dem gleichen Zugang nicht immer weit her: Am Land ist das Internet oftmals nur schlecht erreichbar. Und auch wenn die Tarife grundsätzlich gesunken sind, so bleibt es für manche eine Frage des Geldes, wie intensiv sie es nutzen können. Zudem mahnen immer mehr ExpertInnen, dass zahlungskräftige KundInnen in Zukunft vorrangig behandelt werden könnten. 

Auch dachte ich darüber nach, welche Konsequenzen es für die A&W selbst haben würde. In Gefahr wäre ihr Erscheinen nicht, der Arbeitsalltag würde aber wohl aufwendiger werden. Zugleich könnte dies für manche bedeuten, dass sie einmal tief durchatmen können. Immerhin geht der digitale Wandel auch mit mehr Stress einher. Davon wissen viele ArbeitnehmerInnen ein Liedchen zu singen, die sich verpflichtet fühlen, in der Freizeit nicht abzuschalten. Dies würde eigentlich klarer Regeln bedürfen, aber auch des Raums, um diese immer wieder an die Bedürfnisse aller (!) Beteiligten anpassen zu können. Dem steht aber die wirtschaftliche Realität in vielen Betrieben gegenüber, in denen der Druck auf die ArbeitnehmerInnen stetig steigt.

Erneut wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. „Um 21 Uhr gibt US-Präsident Barack Obama eine Pressekonferenz, bei der er zu Details und Hintergründen Stellung nehmen wird“, tönte es aus dem Radio. Ein kurzer Blick auf die Uhr: Das schaffe ich, dass ich dann wieder „zu Hause“ bin. Als ich vor dem Haus vorfuhr, kündigte mein Handy auf einmal mit einem Düdeldü an, dass ich eine SMS erhalten hätte. Da ich mich nun nicht mehr auf den Weg konzentrieren musste, hatte mein Hirn auch wieder Kapazitäten frei: Wenn ich jetzt ein SMS bekommen habe, dann nur, weil das Handy nun wieder mit dem WLAN des Hauses verbunden ist. Also warf ich das Internet an, und siehe da, auf der Homepage des Radiosenders erhielt ich Gewissheit – und musste erst einmal herzlich über mich selbst lachen. Ich war auf ein Gedankenexperiment hereingefallen.

Wandel gestalten
Aber was wäre ein Reinfall ohne die berühmte Lehre, die man daraus ziehen kann: Technik will bewusst genutzt sein. Wenn man sie richtig einsetzt, kann sie  für die Menschen mehr Selbstbestimmung bedeuten. Die große Herausforderung derzeit besteht darin, die Rahmenbedingungen zu gestalten, damit die Menschen die Chancen und Möglichkeiten auch ergreifen können und also die Technik nicht noch mehr zum Fluch wird. Es ist eine spannende Herausforderung für die Gewerkschaften wie für die Gesellschaft als Ganzes. Denn auch wenn vieles im Moment mehr passiert, denn gestaltet wird: Es gibt noch viele Möglichkeiten, diesen Wandel im Sinne der Menschen mitzugestalten.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 7/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806275 "Nicht zuletzt" ... Zu langsame Fortschritte Denn Frauen sind in der Arbeitswelt nach wie vor benachteiligt: Obwohl sie in den vergangenen Jahrzehnten im Bildungsbereich massiv aufgeholt haben und heute allgemein qualifizierter sind als Männer, suchen Frauen Chancengleichheit am Arbeitsmarkt meist vergebens.

Nützt auch der Wirtschaft nicht

Mit weniger als zehn Prozent sind sie die absolute Ausnahmeerscheinung in den Führungsebenen österreichischer Unternehmen, und nur die wenigsten schaffen es, die gläserne Decke zum Top-Management zu durchbrechen. Sie verdienen fast um ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen.
In fast keinem EU-Land ist die Lohnschere für Geschlechter so groß, laut aktuellem Gender Pay Gap belegt Österreich im internationalen Vergleich den beschämenden vorletzten Platz. Auch die Teilzeitbeschäftigung von Frauen steigt ständig. 70,6 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit, aber nur 6,5 Prozent der Männer. Diese Zahlen verdeutlichen, dass trotz zahlreicher Verbesserungen in den vergangenen Jahren die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern nur langsame Fortschritte macht. Und das nützt niemandem: den Frauen nicht, den Familien nicht und auch der Wirtschaft nicht.

Erfolgreicher mit Frauen

Die Diskriminierung am Arbeitsmarkt trägt dazu bei, dass Frauen eine völlig andere Einkommens- und Karriereentwicklung als Männer haben. Die Benachteiligungen verhindern aber auch eine optimale Nutzung der getätigten Bildungsinvestitionen und Potenziale als Beitrag für Wachstum und wirtschaftliche Stabilität. Wir brauchen daher ganz dringend ein Umdenken der Gesellschaft, denn Frauen leisten täglich tolle Arbeit und sind dabei sehr erfolgreich. Zahlreiche Studien bestätigen, dass Unternehmen mit Frauen in der Chefetage sich wirtschaftlich wesentlich besser entwickeln als Firmen, in denen ausschließlich Männer das Sagen haben.
Obwohl viele Studien genau das Gegenteil beweisen, werden viele nicht müde, immer wieder zu betonen: Frauen arbeiten freiwillig in Teilzeit. Frauen wünschen sich eine Vollzeitbeschäftigung und wollen Karriere machen.
Wegen fehlender Kinderbetreuung, Mangel an familienfreundlichen Arbeitsmodellen und traditioneller Rollenverteilung in den Familien können sie diesen Wunsch aber nicht verwirklichen.
Solange Chancengleichheit am Arbeitsmarkt keine Selbstverständlichkeit ist, müssen Frauen nicht nur härter für den Erfolg kämpfen, sondern auch häufig private Lebensbereiche einer potenziellen Karriere unterordnen. Es ist die Aufgabe der Politik, Wünsche möglich zu machen und Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Lebensqualität der Menschen und die Einkommens- und Karriereentwicklung von Frauen zu verbessern.

Mehr Einkommensgerechtigkeit

In Österreich ist zum Beispiel noch immer keine flächendeckende Versorgung mit Kinderbildungsplätzen gegeben. Das wäre eine Möglichkeit, um Frauen ein angemessenes Einkommen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Denn nach wie vor wird Vollzeitbeschäftigung in gut dotierten Positionen vorausgesetzt.
Qualifizierte Teilzeit und geteilte Führungsmodelle werden von Unternehmen sehr selten praktiziert. Gerade weil auch mehr Frauen als Männer in Niedriglohnbranchen arbeiten, ist ein kollektivvertraglicher Mindestlohn von 1.500 Euro bei Vollzeitarbeit ein notwendiger Schritt, um zu mehr Einkommensgerechtigkeit zu gelangen.

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Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806269 Frisch gebloggt blog.arbeit-wirtschaft.at.]]> Webtipps der Woche

Wir legen euch diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Als Österreich Griechenland war (Valentin Schwarz)
  • Spanien: Der stille wirtschaftspolitische Kurswechsel (Georg Feigl)
  • Die Abschaffung des Bankgeheimnisses ist gut für Österreich (Eva Maltschnig & Rafael Wildauer)

Als Österreich Griechenland war

Valentin Schwarz zeigt verblüffende Parallelen zwischen Österreich in der Zwischenkriegszeit und Griechenland nach der Finanzkrise auf. Er warnt davor, weitere Fehler zu wiederholen. In Österreich ist die Wirtschaftsleistung zwischen 1929 und 1933 um 22,5 Prozent gefallen, in Griechenland von 2009 bis 2013 um 21,6 Prozent. Die Arbeitslosenquoten betrug in Österreich 1933 knapp 26 Prozent, fast 28 Prozent sind es heute in Griechenland. In beiden Fällen bedeutet das eine Verdreifachung gegenüber dem Vorkrisenniveau.
Damals wie heute reagierten die Verantwortlichen mit einer radikalen Austeritätspolitik. Die Leidtragenden sind breite Bevölkerungsschichten. In beiden Fällen wurde der Zugang zum Sozialsystem verschärft. Die Mehrheit der Arbeitslosen muss ohne Unterstützung und damit auch ohne Krankenversicherung auskommen. Damals wie heute richtete sich die Krisenpolitik aber auch gegen jene, die noch Arbeit haben, antigewerkschaftliche Gesetze werden erlassen, Kollektivverträge aufgehoben. Auf der anderen Seite stehen die ökonomischen Eliten, die kaum bis gar nicht betroffen sind. Das Geld ging und geht an die Banken. Mit 883 Millionen Schilling rettete die Regierung 1931 die Credit-Anstalt, 58,2 Milliarden Euro der internationalen Hilfskredite für Griechenland flossen an Banken.
In beiden Krisen unterstützten führende ÖkonomInnen die verfehlte Austeritätspolitik, doch „Hayek und Mises lagen damals so falsch wie Reinhart und Rogoff heute“, analysiert Schwarz.  
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/povjkpc

Der stille Kurswechsel in Spanien

Aufgrund des zuletzt überdurchschnittlichen Wachstums wird Spanien gerne als Musterbeispiel für den Erfolg harter Spar- und Reformpolitik herangezogen. Georg Feigl hat einen genauen Blick auf die jüngsten Entwicklungen geworfen und das Gegenteil festgestellt: „Während weiterhin exportorientierte Strukturreformen propagiert wurden, war es vor allem die anziehende Inlandsnachfrage, die zur ökonomischen Trendwende führte.“
So hat die spanische Regierung entgegen des – auch von ihr propagierten – Austeritätskurses einen stillen budgetpolitischen Kurswechsel vollzogen. Dieser schlug sich in einer höheren öffentlichen Nachfrage nieder. Geholfen hat dabei die Ankündigung der EZB, die Eurozone um jeden Preis zu stabilisieren, wodurch die Zinslast Spaniens gesenkt und Spielraum geschaffen wurde.
Während die neoliberale Wirtschaftspolitik ihren Fokus einzig auf den Export richtet, ging der jüngste Impuls in Spanien von der Binnennachfrage aus. Eigentlich nur logisch, macht diese doch über drei Viertel der Gesamtnachfrage aus, so Feigl.  
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/p7nj66b

Gut gegen Steuerhinterziehung

Im Zuge der geplanten Abschaffung des Bankgeheimnisses „wimmelt es in Österreich nur so vor DatenschützerInnen“, die sich dem entgegenstellen. Eva Maltschnig und Rafael Wildauer kontern in ihrem Beitrag, warum Datenschutzargumente nicht greifen.
Unselbstständig Beschäftigte können nicht darüber entscheiden, ob sie ihre gesetzlich vorgeschriebenen Steuern und Abgaben an den Staat abführen oder nicht. Denn das machen die ArbeitgeberInnen im Zuge der Lohnverrechnung für sie. Bei UnternehmerInnen ist das anders. Sie können sich überlegen, was sie aus den Büchern draußen halten. Ein Grund dafür ist das Bankgeheimnis, welches den Behörden eine effektive Verfolgung von Steuerhinterziehung verunmöglicht.
Die Strategie ist nicht neu. Damit wird suggeriert, dass alle BürgerInnen gleich betroffen wären. Es wird so getan, „als wären alle Leute reich, als wären alle Menschen potenzielle Erben und als wären alle Leute ohne den Staat besser dran als mit“.
Tatsächlich aber sind die geplanten Maßnahmen wesentliche Voraussetzungen dafür, international effektiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen zu können.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ogod6dy

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Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806261 Als Netz besser in der Krise Seit 2008 vergeht kein Tag, an dem nicht einmal das Wort „Krise“ ausgesprochen wird: Finanzkrise, Wirtschaftskrise. Krise in Griechenland, in Spanien, in Portugal, in Italien. Man liest von Krisengipfeln, Krisengesprächen und Krisenländern, hört von Krisenplänen und Maßnahmen gegen die Krise. Das Wort „Krise“ stammt – ironischerweise – vom griechischen Wort κρίσις (krísis), das ursprünglich so viel wie „Beurteilung“ oder „Entscheidung“ meinte. Später wurde dem Wort die Bedeutung „Zuspitzung“ zugeordnet.
In Zeiten wie diesen, in denen sich die Medien vor allem auf die Auswirkungen der Wirtschaftskrise 2008 stürzen, werden oft die Folgen auf mikroökonomischer Ebene außer Acht gelassen. In den heimischen Betrieben und Unternehmen können BetriebsrätInnen die Zuspitzung der Situation spätestens daran ablesen, dass bei Meetings Wörter wie „Kosteneinsparungen“ und „Kostenoptimie-rung“ fallen – die meist im „Personalabbau“ enden.

Im Jahr 2013 hatten es sich Thomas Giner, Manfred Scherer, Hermann Edler, Friedrich Schinagl und Roland Wastian im Rahmen ihrer SOZAK-Projektarbeit zur Aufgabe gemacht, Krisensituationen in Unternehmen zu beleuchten und einen umfangreichen Ratgeber für PersonalvertreterInnen und BetriebsrätInnen zu erstellen, der sie durch wirtschaftlich und finanziell düstere Zeiten des Unternehmens begleiten soll. Denn BetriebsrätInnen sind durch ihre Vorbildfunktion gezwungen, vorzeitig und besonnen zu agieren und vor allem keine unnötige Panik unter der Belegschaft entstehen zu lassen. Meist kursieren bereits Gerüchte im Betrieb, noch bevor die Unternehmensleitung offiziell Stellung nehmen konnte. Das wiederum schafft Verunsicherung unter den ArbeitnehmerInnen. Eine weitere Herausforderung ist die unterschiedliche Wahrnehmung von BetriebsrätInnen und UnternehmerInnen in Krisenzeiten. Für BetriebsrätInnen ist es die wichtigste und zugleich größte Herausforderung, sich mit der Geschäftsleitung auf eine Basis zu einigen, die auf gegenseitigem Vertrauen, Loyalität und Transparenz beruht.
Damit BetriebsrätInnen die richtigen Schritte überhaupt setzen können, müssen sie sich in einem ersten Schritt der Situation bewusst werden. Vor allem müssen sie rechtzeitig erkennen, was eine Krise überhaupt ist. Denn wenn ein Unternehmen von einer Krise spricht, kann dieses Wort kurzfristige Beeinträchtigungen bedeuten oder aber eine Insolvenz. Erstere sind oft nur saisonale Phänomene und können teilweise sogar einkalkuliert werden und somit durch kluge Geschäftspolitik und geschickte Planung überwunden werden. Dies ist aber selten der Fall.

Wann ist eine Krise eine Krise?

Eine „richtige“ Krise wird meist durch unvorhergesehene Entwicklungen hervorgerufen, die die Stabilität und in Folge auch den Fortbestand des Betriebes ins Wanken bringen können. Im schlimmsten Fall führt sie die Belegschaft in die Arbeitslosigkeit. Daher ist es die wichtigste Aufgabe von BetriebsrätInnen, die Situation richtig einzuschätzen, um rechtzeitig Maßnahmen zur Rettung der Belegschaft und gleichzeitig auch des Unternehmens setzen zu können. Die ersten Anzeichen müssen unbedingt ernst genommen werden, da man sonst an Lösungsmöglichkeiten verliert: Je früher man einer Krise entgegensteuert, desto mehr kann man einen radikalen Umbau vermeiden.
Eine Unternehmenskrise lässt sich in drei Phasen einteilen, wie die BetriebsrätInnen in ihrer Arbeit darlegen. Die Situation des Betriebs wird in der sogenannten Strategiekrise auf eine harte Probe gestellt, die unter anderem auch durch externe Faktoren wie Konjunktureinbruch, Marktverschiebungen oder politische Veränderungen herbeigeführt wird. In dieser Zeit werden die betrieblichen „Erfolgspotenziale“ wie beispielsweise Produktqualität, Marktposition, das Markenimage oder Wettbewerbsvorteile eingeschränkt oder gemindert, es können allerdings durchaus noch Gewinn und Umsatz erzielt werden. Die Herausforderung: Aus einer Bilanz kann man die Strategiephase nicht auf den ersten Blick erkennen, dafür müsste man auf Krisenindikatoren wie stockende Produktentwicklung, Abnahme der Produktqualität, sinkende Auftragslage, steigende Lagerbestände oder Fluktuation unter der Belegschaft achten.

Folgen auf die ersten Krisenindikatoren keine Gegenmaßnahmen, führt die Strategiephase zur Ertragskrise. Wie der Name schon sagt, schmälert diese in weiterer Folge die Erträge des Betriebes. Anzeichen der Ertragskrise sind beispielsweise das Sinken des Umsatzes, der Produktivität oder von Gewinn- und Rentabilitätswerten. Infolgedessen werden oft die Bilanzen verschönt, indem Rückstellungen aufgelöst oder Anlagevermögen verkauft werden. Die Geschäftsführung greift zu ersten Einsparungsmaßnahmen, beginnt die Sozialleistungen der MitarbeiterInnen zu kürzen.
Diese Ertragskrise ist sehr wohl in der Bilanz erkennbar und fordert augenblickliche Reaktionen, bevor der zeitliche und finanzielle Rahmen immer kleiner wird. Wenn diese Phase länger andauert, gerät das Unternehmen in die nächste Krise: die Liquiditätskrise. Anfangs können temporäre finanzielle Schwierigkeiten mit Verpfändungen oder Umschuldungen ausgeglichen werden, richtig gefährlich wird es dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit zum permanenten Zustand wird und ein Insolvenzverfahren droht. Indikatoren der Liquiditätskrise sind ein negativer Cashflow, keine oder verspätete Auszahlung der Löhne und Gehälter, Überstundenstopp oder Zwangsurlaub, Verlust von KundInnen, Häufung von Mahnungen. Wenn nun auch die Öffentlichkeit auf die Zahlungsunfähigkeit des Betriebs aufmerksam wird, ist eine Imagekrise unvermeidlich.

Sensibilisierung notwendig

Die wichtigste Voraussetzung, um Krisen vermeiden zu können oder glimpflich davonzukommen, ist eine frühe Erkennung ebendieser. Dies ist bei einer Strategiekrise, die durch innerbetriebliche Fehlentscheidungen oder externe Ursachen hervorgerufen wird, eine besondere Herausforderung. Denn diese ist nicht anhand von Zahlen messbar und es sind noch keine Auswirkungen erkennbar. Wird aber diese Phase nicht frühzeitig erkannt, führt dies zur Ertrags- und in weiterer Folge zur Liquiditätskrise.
So wie Kinder spüren, wenn die Eltern eine Ehekrise haben, merken MitarbeiterInnen im Grunde sehr schnell, wenn im Betrieb etwas nicht stimmt. Wenn LieferantInnen plötzlich nur gegen sofortige Bezahlung liefern oder die Lagerbestände steigen, spricht sich dies schnell herum. Dann sind die BetriebsrätInnen gefragt, die Belegschaft für alle Vorgänge, die auf eine beginnende Krise hinweisen, in Gesprächen regelmäßig zu sensibilisieren. In einer Krise wird auch deutlich, wie unumgänglich es für BetriebsrätInnen ist, mit den unterschiedlichsten Abteilungen gut vernetzt zu sein. Nur so nämlich können sie rechtzeitig Informationen über Veränderungen im Unternehmen erkennen und Gegenmaßnahmen planen.
Kommt es zur Ertragskrise, spürt das Unternehmen dies erstmals in den Zahlen. Hier kommt zum Tragen, dass der Betriebsrat Zugang zu internen Dokumenten wie Bilanzen, Kostenrechnungen und Liquiditätsplänen hat. Diese ermöglichen es ihm, sich einen Überblick zu verschaffen und rechtzeitig festzustellen, ob ein Unternehmen tatsächlich in einer Krise ist – und die UnternehmerInnen die Wirtschaftskrise nicht nur als Vorwand nehmen, um Löhne zu kürzen und Personal abzubauen.
Unterstützung finden die BetriebsrätInnen bei der Arbeiterkammer, die bei der Analyse der Bilanz hilft und den BetriebsrätInnen dabei behilflich ist, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Denn kommt es tatsächlich zur Liquiditätskrise, haben die BetriebsrätInnen nur noch eingeschränkte Mittel, um Schaden von der Belegschaft abwehren oder mindern zu können. Zu diesem Zeitpunkt verfügen sie nämlich nur mehr über Maßnahmen wie Überstundenkürzungen, verpflichtende Urlaubskonsumation oder die Möglichkeit der Kurzarbeit.

Netzwerk als Frühwarnsystem

Ein gutes Netzwerk von Gewerkschaften, Arbeiterkammer, AMS, AbteilungsleiterInnen, internationalen Kontakten, dem Controlling und der Finanzabteilung hilft, an Informationen zu kommen und somit die ersten Anzeichen zu deuten. Die größte Unterstützung kommt jedoch von den MitarbeiterInnen. Denn wenn die Belegschaft hinter den BetriebsrätInnen steht und gewerkschaftlich organisiert ist, haben diese die besten Chancen, einen positiven Ausgang für ihre KollegInnen zu erkämpfen.

Internet:
Der Leitfaden Betriebsrat & Krise:
tinyurl.com/o6lm5pq

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806255 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806241 Never Ending Story Gottgewollte, „natürliche“ Unterschiede oder nicht akzeptable Ungleichheit? Mit dieser Differenzierung hielten sich die meisten Gelehrten von der Antike bis zur Neuzeit nicht lange auf. Die Teilung der Gesellschaft in Arme und Reiche, Freie und Sklaven, Herrscher und Untertanen galt gewissermaßen als Naturerscheinung.
Im Sinne des christlichen Glaubens versuchte man zwar, durch Mildtätigkeit und Almosen für Waisen, Arme und Kranke das Leid und den Hunger zu lindern – beziehungsweise Bonuspunkte für den Eintritt ins Himmelreich zu sammeln. Doch bereits am Ende des Mittelalters wurde zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen unterschieden: Erstere waren unverschuldet in Not geraten, während Letztere ihr Unglück selbst verschuldet hatten. „Einheimische, Arbeitswillige, aber Arbeitsunfähige, Verschämte, in die Ordnung integrierte waren ‚gut‘ […] Fremde, Arbeitsunwillige, aber Arbeitsfähige, Faule, sich der Ordnung Entziehende oder gegen sie Agierende erhielten das Etikett ‚böse‘“, schreibt der Historiker Helmut Bräuer im Buch „Armut und Reichtum in der Geschichte Österreichs“.

Soziale Umwälzungen

Kinderarbeit war lange Zeit durchaus an der Tagesordnung. Zum Teil mussten schon Fünfjährige arbeiten, etwa beim Spitzenklöppeln. Dies legitimierte man etwa damit, dass sie frühzeitig an die Arbeitswelt gewöhnt werden sollten, Waisenkinder trugen so zu ihrem eigenen Lebensunterhalt bei. Der Gedanke, dass Ungleichheit und Armut bekämpft bzw. verhindert werden sollten, wurde erst im 18. Jahrhundert durch die Aufklärung populär, die unter anderem die bisherige Gesellschaftsordnung infrage stellte. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Großbritannien und den USA die Sklaverei verboten. Innerhalb von Afrika allerdings florierte der Sklavenhandel bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. So konnte auf den Feldern und in den Bergwerken der Kolonien maximaler Profit erzielt werden. Noch in den 1960er-Jahren schätzte man, dass in Afrika ein Viertel der Beschäftigten zur Arbeit gezwungen und wie Sklaven behandelt wurde.
Doch zurück nach Europa: Die industrielle Revolution mit den gravierenden Veränderungen der Produktionsmethoden sorgte für extreme soziale Umwälzungen. Durch die neuen fabriksmäßigen Maschinenspinnereien verloren ab ca. 1801 allein im heutigen Niederösterreich innerhalb von zehn Jahren rund 90.000 Menschen ihre Arbeitsmöglichkeiten. In dieser Zeit entwickelte Karl Marx seine Theorie der kapitalistischen Gesellschaft mit unversöhnlichen Klassengegensätzen, eine Gesellschaft des Elends, der Ausbeutung und Entfremdung. 1867 entstand „Das Kapital“.
Erst ab etwa 1870 zeigten sich die positiven Auswirkungen der Industrialisierung, Löhne und Lebenserwartung stiegen allmählich. Die Kämpfe der Arbeiterbewegung begannen Früchte zu tragen: Später wurden Unfall- und Krankenversicherung eingeführt. Sozial- und Transferleistungen bewirkten, dass Kinderreichtum, Krankheit und Alter für die große Masse der „Werktätigen“ nicht mehr automatisch soziale Ausgrenzung, Elend und die Abhängigkeit von Almosen bedeuteten.

Neue Herausforderungen

Soziale Ungleichheit besteht dann, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den „wertvollen Gütern“ einer Gesellschaft regelmäßig weniger als andere erhalten – so die Definition des deutschen Soziologen Stefan Hradil. Zu den wertvollen Gütern zählen unter anderem auch Wissen oder persönliche Autonomie. Für liberal oder konservativ gesinnte WissenschafterInnen stellt Ungleichheit bis heute einen unverzichtbaren Leistungsanreiz dar. Sie argumentieren, dass das Gefühl von Ungleichheit ein wichtiger Antrieb für Kreativität und Wirtschaftswachstum wäre.
Anfang der 1970er-Jahre entstand mit der Wohlfahrtsökonomie ein neuer Teilbereich der Volkswirtschaftslehre. Der Inder Amartya Sen ist bis heute einer der bekanntesten WohlfahrtsökonomInnen, 1998 erhielt er für seine Leistungen in der Armuts- und Ungleichheitsforschung den Nobelpreis. Er vertrat erstmals die Auffassung, dass es vorrangig nicht um die Verteilung von Gütern geht, sondern um Verwirklichungschancen. Entscheidend für die Qualität des Lebens ist nicht das Einkommen, denn auch bei einem guten Einkommen können Unterdrückung und Unfreiheit bestehen.

Durchs Netz gefallen

Dementsprechend beschäftigt sich die Ungleichheitsforschung nicht nur mit Vermögens- und Einkommensunterschieden, sondern auch mit vielen anderen Fragen:

  • Wie weit hat das Internet die ursprünglich erwarteten demokratisierenden Effekte und sorgt für Chancengleichheit? Erhebungen zum Digital Divide etwa ergaben, dass Kinder von Eltern mit einem hohen Bildungsgrad deutlich mehr Interesse an Lernspielen und einem breiten Online-Angebot haben als andere. Unter anderem könnte der Trend zu zahlungspflichtigen Inhalten bestehende soziale Ungleichheiten auch im Netz verstärken.
  • Wie weit beeinflusst Bildung die Gesundheit? Menschen mit höherer Bildung leben durchschnittlich vier Jahre länger.
  • Bedeuten weitere Fortschritte in Medizin und Gentechnik mehr Ungleichheit oder Gleichmacherei?
  • Wie wird sich der Klimawandel auswirken und wie kann man in Fällen negativer Konsequenzen gegensteuern?

Während die globale Ungleichheit erstmals seit der industriellen Revolution zurückgeht, steigt die innere Ungleichheit – nicht nur in vielen westlichen Industriestaaten. In China ist – bei hohem Wirtschaftswachstum – der Gini-Index seit 1981 (0,29) auf 0,474 im Jahr 2012 gestiegen. Anthony Atkinson, Experte für Einkommensverteilung, spricht auch für Europa von einem regelrechten „Inequality turn“ Anfang der 1980er-Jahre.

Inklusion als Lösung?

In der kürzlich veröffentlichten umfangreichen Studie „Ethnic Stratification and Income Inequality around the World. The End of Exploitation and Exclusion?“ weist der Grazer Soziologe Max Haller unter Mitarbeit von Anja Eder erstmals nach, dass die ökonomische Ungleichheit sehr stark mit der ethnischen Differenzierung und Schichtung eines Landes zusammenhängt. Sie analysierten rund 120 Länder der Welt, das Ergebnis: ethnische Heterogenität beeinflusst die Einkommensungleichheit stark – durch die Bildung „ethnischer Unterschichten“, Ausbeutung von ZuwanderInnen etc. War ein Staat von ethnischen Herrschafts- und Ausbeutungssystemen (Sklaverei, Apartheid etc.) betroffen, wirkt sich das heute noch durch einen höheren Gini-Koeffizienten (= mehr Ungleichheit) aus. Einen deutlich ausgleichenden Effekt auf die Einkommensungleichheit hat ein starker Wohlfahrtsstaat.
Eine möglichst breite Beteiligung der Bevölkerung sehen auch die Wirtschaftswissenschafter Daron Acemoglu und James A. Robinson als Schlüssel für nachhaltiges Wachstum und allgemeinen Wohlstand. In „Warum Nationen scheitern“ liefern sie zahlreiche anschauliche Beispiele für die positiven Auswirkungen inklusiver (Wirtschafts-)Institutionen, die von den EntscheidungsträgerInnen aktiv gefördert werden: „Ein freier wirtschaftlicher Wettbewerb kann ohne [diese] breite Beteiligung am politischen Geschehen nicht überleben, und ein Mangel an politischer Zentralisierung macht die Entstehung sicherer Eigentumsrechte, einer verlässlichen Justiz sowie die Wahrung von Recht und Ordnung schwierig oder unmöglich.“
Inklusiv, das bedeutet für die Autoren auch, arme Länder nicht zur Übernahme „besserer“ politischer Verfahren und Institutionen zu drängen. Vielmehr sollte man in Erfahrung bringen, welche nicht inklusiven Strukturen Fehler verursachen, um dann die geeigneten Maßnahmen einleiten zu können.

Internet:
Link zur HFCS-Erhebung zur finanziellen Situation und zum Konsum der Haushalte der Österr. Nationalbank:
tinyurl.com/otxpz9o

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806224 Gleiche Rechte für alle, gemeinsame Schulen und ein Ende der Diskriminierungen: So lauten nur einzelne Forderungen der afroamerikanischen DemonstrantInnen beim berühmten Marsch auf Washington im Jahr 1963. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806232 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806204 Alle gleich vor dem Recht? „Einen Anwalt muss man sich halt auch leisten können.“ Aussagen wie diese hört man immer wieder. Doch wie weit her ist es mit der Gleichheit der BürgerInnen vor dem Gesetz, wenn es von den finanziellen Ressourcen abhängt, ob man zu seinem Recht kommt? In der Tat zwingt ein oftmals schwer abschätzbares finanzielles Risiko eines Verfahrens manche dazu, ihre Rechte nicht wahrzunehmen. Just aus diesem Grund gibt es in einem Rechtsstaat Erleichterungen für die Betroffenen, um ihre Rechte in einem fairen Verfahren sicherzustellen: die sogenannte Verfahrenshilfe.
Die gesetzliche Grundlage dafür existiert sogar schon seit über 200 Jahren, eingeführt wurde sie unter dem Titel „Armenrecht“. Ob im Zivil-, Straf- oder Verwaltungsstrafverfahren: Mit der Verfahrenshilfe soll sichergestellt werden, dass der Zugang zum Recht allen möglich ist und niemand an finanziellen Hürden scheitert. Erst kürzlich erklärte es im Übrigen der Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig, dass man bei verwaltungsrechtlichen Verfahren keine Verfahrenshilfe beantragen kann – ein Spruch, der sowohl in der Arbeiter- als auch in der Anwaltskammer (ÖRAK) begrüßt wird.

Grundlage Vertrauen

Fast 23.000 Menschen haben im Jahr 2013 Verfahrenshilfe zugesprochen bekommen. Große Kanzleien wie Schönherr Rechtsanwälte haben eine eigene Abteilung, welche für die über 100 Anwälte und Anwältinnen die Verfahrenshilfe-Verfahren übernimmt. Bei Schönherr sind Anwältin Klara Jaroš und der Konzipient Matthias Cernusca für diese Fälle zuständig. Meist haben sie mit Strafverfahren zu tun, die laut ÖRAK drei Viertel der Verfahrenshilfe-Fälle ausmachen. Ihre Aufgaben reichen dabei von Besuchen der Beschuldigten in Untersuchungshaft oder dem Stellen von Enthaftungsanträgen über die Inaugenscheinnahme von Tatorten bis hin zu Kooperationen mit SozialhelferInnen. Oft betreuen sie auch Fälle von jugendlichen StraftäterInnen. Besonders wichtig sei es, Vertrauen zu den KlientInnen aufzubauen. „Das ist die Grundlage für unsere Arbeit. Da wir vom Gericht bestellt werden, bringen uns die Klienten manchmal Misstrauen entgegen. Wir wählen aber unsere Verteidigungsstrategie nur nach deren Wünschen“, betont Cernusca.
Derzeit betreut Jaroš’ Abteilung zehn laufende Verfahren. Doch werden Verfahrenshilfe-Fälle wirklich gleich behandelt wie jene Fälle der zahlenden MandantInnen? Neben einer moralischen Verpflichtung gibt es eine explizite Regelung in der Rechtsanwaltsordnung, die sicherstellen soll, dass bei der Verfahrenshilfe der gleiche Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist wie bei anderen. Dennoch wird häufig kritisiert, dass dies durch den Kostendruck und die fehlende Fachkompetenz nicht der Fall sei. Zwar gäbe es sicherlich „schwarze Schafe“ unter den KollegInnen, meint Jaroš, verallgemeinern lasse sich die Kritik aber keinesfalls.
Ein Problem sieht die Rechtsanwältin darin, dass sie erst in einem relativ späten Stadium eines Verfahrens beigezogen werde. Zwar werden die Beschuldigten über das Recht der Beiziehung eines Rechtsbeistandes aufgeklärt, gerade Jugendlichen sei aber oft nicht bewusst, welche Tragweite es haben kann, wenn sie ohne Rechtsbeistand eine Aussage machen. Wenn die erste Vernehmung ohne VerteidigerIn stattfindet, macht dies „einen Riesenunterschied fürs Verfahren“, so Jaroš.

Viele unentgeltliche Angebote

Die Verfahrenshilfe ist nicht die einzige Leistung, die man in Anspruch nehmen kann, viele sind unentgeltlich. Darunter fällt etwa die Erstberatung des anwaltlichen Journaldienstes, welcher 24 Stunden am Tag erreichbar ist – insbesondere bei Festnahmen. Außerdem gibt es den Amtstag an den Gerichten, an dem sich BürgerInnen gratis beraten lassen können. In arbeitsrechtlichen Angelegenheiten und beim KonsumentInnenschutz stehen Arbeiterkammern und Gewerkschaften ihren Mitgliedern zur Seite.
Aber reicht all das aus, um den gleichen Zugang zum Recht zu gewährleisten? Ein Problem sehen viele in den in Österreich verhältnismäßig hohen Gerichtsgebühren. „Diese schrecken Menschen ab, gerade, wenn es um kleinere Beträge geht“, weiß Gabriele Zgubic. Sie leitet die Abteilung KonsumentInnenschutz in der AK Wien, bei der sich ArbeitnehmerInnen beraten lassen können. Als Beispiel für kleinere Fälle nennt sie Gewährleistungen. Das Risiko, dass man später mit mehr Kosten aussteigt, ist in diesen Fällen hoch. „Teuer wird es zum Beispiel, wenn Sachverständige oder Gutachter nötig sind“, erzählt Zgubic.
Ähnliches weiß auch Volker Frey aus seinem Arbeitsalltag zu berichten. Der Jurist arbeitet beim Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern. „Wenn man beispielsweise 1.000 Euro einklagt, sind die Kosten schon nach zwei Verhandlungstagen höher“, illustriert er das Problem. Dies könne bei Fällen wie etwa Einlassverweigerungen in Diskotheken oder bei Verstößen gegen die Barrierefreiheit dazu führen, dass die Betroffenen von einer Klage absehen.
Österreich sei im EU-Vergleich „Spitzenreiter“ bei den Gebühren, kritisiert die Anwaltskammer. In ihrem Wahrnehmungsbericht aus dem Jahr 2013 kritisiert die Kammer, dass dies vielen den Zugang zur Justiz erschweren würde. Im Interview hebt Präsident Rupert Wolff positiv hervor, dass die Gebühren im Familien- und Scheidungsrecht mit 1. Juli 2015 gesenkt wurden. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, so der Anwalt.
In ihrem Wahrnehmungsbericht hält die ÖRAK fest, dass sie schon „seit Jahren“ kritisiere, dass der Zugang zur Justiz „stark beschränkt“ werde. Einen Beleg sieht sie in der sinkenden Zahl an Fällen vor Gericht. „Die hohe Gebührenbelastung hat mittlerweile dazu geführt, dass Rechtsuchende genau prüfen müssen, ob sie sich den Gang zu Gericht überhaupt leisten können“, heißt es im Bericht. Dies treffe vor allem die breite Mittelschicht, die eine Klage eben nicht aus der eigenen Tasche zahlen könnte, zugleich aber keinen Anspruch auf Verfahrenshilfe habe. „Wenn man an der Grenze des Mindestlohns verdient, hat man es leichter, als wenn man 2.500 Euro brutto verdient“, so Wolff. „Das ist eine echte Hürde, und die Leute überlegen es sich, ob sie vor Gericht gehen.“ Zugleich kritisiert er die in Österreich fehlende Deckelung, die wiederum bei großen Streitwerten ebenfalls eine Abschreckung darstellen könne – und zwar für UnternehmerInnen. Eine Senkung der Gebühren könne auch den Wirtschaftsstandort stärken, findet er. Er plädiert für mehr Innovation in der Justiz. „Man könnte beispielsweise Schiedsverfahren oder Online-Mediationsverfahren ausbauen. Die Justiz täte gut daran, Online-Gerichtsverfahren anzubieten“, findet Wolff.

Zusammen sind wir stark

Eine weitere wichtige Institution ist die Sammelklage österreichischer Prägung. Diese Möglichkeit zur Geltendmachung von Massenschäden ist in den letzten Jahren besonders durch prominente Beispiele wie etwa die Klage des VKI im Namen von geschädigten AnlegerInnen gegen die AWD bekannt geworden. Bedingung für eine solche Sammelklage ist es, dass die Sachverhalte ähnlich sind. In einem solchen Fall können die Geschädigten ihre Ansprüche beispielsweise an die AK oder den VKI abtreten. Diese wiederum bringen für die Betroffenen gesammelt Klage ein. Die Idee dahinter: Durch die Bündelung der Forderungen kann das Prozessrisiko minimiert werden. Mit der gesammelten Beurteilung der Rechtsansprüche soll sich die Qualität der Betreuung verbessern. Aber auch die Prozesskosten können verringert oder durch Einschaltung eines Prozessfinanzierers sogar gänzlich ausgeschaltet werden. Damit können KleinanlegerInnen mit den Finanzriesen „auf Augenhöhe mit gleichen Waffen fechten“, wie Paul Oberhammer von der Universität Wien im Gutachten „Kollektiver Rechtsschutz in Anlegerklagen“ schreibt. AK-Expertin Zgubic wünscht sich weitere Verbesserungen: Noch ausständig aus dem Regierungsübereinkommen sei die Einführung einer Gruppen- oder Sammelklage.

Internet:
Anwaltlicher Journaldienst:
tinyurl.com/op7hnhg
Wahrnehmungsbericht der ÖRAK 2014/15:
tinyurl.com/po6c9xl

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806192 Ein oftmals schwer abschätzbares finanzielles Risiko eines Verfahrens zwingt manche dazu, ihre Rechte nicht wahrzunehmen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806211 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806182 Hilfe für die, die es brauchen Kein lindgrünes Stück Plastik im Scheckkartenformat und nicht wohlhabend = keine medizinische Hilfe. Von dieser bedrohlichen Gleichung sind in Österreich nur allzu viele Menschen betroffen, Erwachsene wie Kinder. Es ist ein heißer Tag, in einem kleinen Wartezimmer sitzen und stehen rund 40 Menschen, untergebracht in einer ehemaligen Lagerhalle. Die Tür steht offen, drinnen ist es drückend schwül. Leises Gemurmel, munteres Sprachgewirr, leicht gelangweilte Kinder, die lieber im Freien spielen würden. Es können Stunden vergehen, nicht jeder hat Geduld – die Stimmung entspricht durchaus der einer regulären Praxis, doch bei AmberMed (www.amber-med.at) in Wien-Liesing werden an vier Tagen in der Woche Menschen behandelt, die keine Krankenversicherung haben.

Breites medizinisches Angebot

Angeboten werden u. a. allgemeinmedizinische Untersuchungen, im Team sind zudem GynäkologInnen, NeurologInnen oder KinderärztInnen. Oft vergeht viel Zeit, weil auch DolmetscherInnen, die hier mitarbeiten, hinzugezogen werden müssen. Wer an Zahnschmerzen leidet, wird zumeist nicht bei AmberMed versorgt: „Wir schicken sie in der Regel ins Neunerhaus, die in Notfällen helfen, oder zu Zahnärzten, die sie kostenlos behandeln“, erklärt Carina Spak, die diplomierte Sozialarbeiterin ist und AmberMed seit 2009 leitet.
Hinter den Schicksalen der PatientInnen stehen nur zu oft tragische Geschichten. Spak berichtet von einem Mann, der über 20 Jahre in einer Firma gearbeitet hatte. Nach einem Arbeitsunfall konnte er seinen bisherigen Job nicht mehr ausüben, wurde arbeitslos und erkrankte, während er beim AMS gemeldet war, an Krebs. „Er ist mit dem Schläuchel am Bett gehangen und hat von dort seine AMS-Betreuerin angerufen“, erzählt Spak. Diese Frau hatte nichts Besseres zu tun, als den Bettlägerigen von der Krankenversicherung abzumelden, weil er zum vereinbarten Termin nicht persönlich beim AMS erschienen war. Sein Hausarzt kümmerte sich um ihn, behandelte ihn gratis und erhielt die nötigen Medikamente von AmberMed. Inzwischen ist der Mann wieder versichert.
Rund 100.000 Menschen in ganz Österreich sind nicht krankenversichert, schätzt das Rote Kreuz. Sicher ist, dass sie nicht in einem unselbstständigen regulären Arbeitsverhältnis sind, meist keiner legalen Arbeit nachgehen und nicht ins österreichische Sozialsystem integriert sind. Ohne legalen Job, auch kein geregeltes Leben – Arbeit nur fallweise und oft unter inhumanen, körperlich fordernden Bedingungen. Schmerzen werden verdrängt, medizinische Hilfe oft nur dann gesucht, wenn die Pein nicht mehr länger zu ertragen ist.
Beinahe alle AmberMed-PatientInnen leben auch in prekären Wohnverhältnissen: teure Kleinstunterkünfte, oft ohne Fließwasser und mit schlechten oder keinen Kochgelegenheiten. Ein Leben ohne gesunde Ernährung und adäquate Bewegungsmöglichkeiten.
Derzeit behandelt AmberMed etwa 2.000 PatientInnen pro Jahr. Zwar ist der Migrationsanteil unter den Behandelten hoch, doch 2014 hat sich die Zahl der „echten ÖsterreicherInnen“, die versorgt werden müssen, verdoppelt. Waren es im Gründungsjahr 2004 noch 370 Menschen, die medizinisch betreut wurden, so hat sich das schlagartig verändert: „Es gab einen Hype von 2011 auf 2012. Wir gewannen einen Preis und FM4 machte uns damals zum Spendenprojekt für ‚Licht ins Dunkel‘. Das hat aber auch die Zahl der PatientInnen verdoppelt“, erzählt Leiterin Carina Spak.
Als das Projekt Amber am 12. Jänner 2004 vom Diakonie Flüchtlingsdienst gestartet wurde, war noch die medizinische Versorgung der zahlreichen Obdachlosen und nicht krankenversicherten Asylsuchenden das Ziel der Einrichtung. „Obdachlose kommen inzwischen nicht mehr zu uns, weil ich ihnen zu wenig Sozialarbeit anbieten kann. Wir können diese PatientInnen nicht zu einem Facharzt begleiten, sie benötigen intensive Betreuung und Motivationsarbeit, um Schritt für Schritt ins Leben zurückzufinden“, berichtet Spak.

Großteils durch Spenden finanziert

Schon seit August 2006 läuft die Einrichtung als Kooperation mit dem Österreichischen Roten Kreuz unter dem Namen AmberMed (ambulant-medizinische Versorgung, soziale Beratung, Medikamentenhilfe). Die Kooperation mit dem Roten Kreuz funktioniere sehr gut, so Spak: „Wir kümmern uns ums Inhaltliche, die Ärzte und das Finanzielle. Das Rote Kreuz stellt uns dafür die Räume und die Medikamente zur Verfügung.“ Darüber hinaus gibt es finanzielle Unterstützung von der Wiener Gebietskrankenkasse, dem Bundesministerium für Gesundheit und der Stadt Wien – ein großer Teil der Arbeit von AmberMed wird allerdings durch Spenden finanziert.

Vielfältige Ursachen

Selbst „Durchschnittsexistenzen“ kann es schnell treffen – Menschen, die lange im Ausland gelebt haben und nach Österreich zurückkehren, oder UnternehmerInnen, die in den Konkurs geschlittert sind. Viele Personen schämen sich, aufs Sozialamt zu gehen. Daneben sind auch „Totalverweigerer“, eine Gruppe, die bei AmberMed betreut wird. Carina Spak: „Eine unserer Patientinnen wollte einfach nichts vom Staat annehmen.“ Als die Frau dann schwanger wurde, konnte sie überzeugt werden, sich zum Wohle ihres Babys krankenversichern zu lassen. Andere werden mit Absicht von der Krankenversicherung abgemeldet: etwa Frauen, die sich wegen häuslicher Gewalt von ihren Ehemännern trennen wollen und die Versicherung dann als „Strafsanktion“ verlieren. Einen Rechtsanspruch, dass ein/e Ehe-PartnerIn mitversichert ist, gibt es nicht.
Im Warteraum von AmberMed führen StudentInnen derweil erste Gespräche, lokalisieren gesundheitliche Probleme. „Wir arbeiten mit der Sigmund Freud Privatuniversität zusammen. Es gibt dort viele Studierende verschiedener Kultur- und Sprachkreise“, berichtet Spak. Mehr als 40 ÄrztInnen arbeiten hier ehrenamtlich, weitere 40 Freiwillige sind als HelferInnen, AssistentInnen oder DolmetscherInnen im Einsatz. Dazu koordinieren vier hauptberufliche MitarbeiterInnen das Team. Viele der MitarbeiterInnen wollen einfach helfen, ÄrztInnen etwas zurückgeben oder mit einer anderen Klientel als sonst zu tun haben und aus Gewohntem ausbrechen.
Doch die Arbeit ist nichts für sanfte Gemüter – bei AmberMed sind unter anderem sexuelle Gewalt gegen Frauen oder Kriegsgräuel Themen. Andere Fälle muten beinahe schon skurril an. Spak weiß von einer stillenden Mutter, die sich wunderte, weshalb ihr Baby ständig schreit und nicht einschläft: „Dann kamen wir drauf, dass die Mutter eineinhalb Liter Energydrink pro Tag zu sich nimmt – den hat sie dann abgesetzt und das Baby konnte endlich schlafen.“
Jeder hat das Recht, anonym zu bleiben – trotzdem werden Daten aufgenommen, um Befunde zuzuordnen. „Es wäre auch unklug, ein falsches Alter anzugeben, denn das würde die Diagnose beeinflussen“, erklärt Spak.

Bei schweren Erkrankungen ist es schwierig, eine/n PatientIn in ein Krankenhaus zu überweisen – zwar darf ein Spital niemanden abweisen, wenn es um Leben und Tod geht, doch die Auslegung ist höchst unterschiedlich. Steht eine Geburt bevor, müssen Spitäler die werdende Mutter aufnehmen. Die Leistung des Krankenhauses ist zwar nicht gratis, aber die Rechnung kann erst im Nachhinein ausgestellt werden. Ist das Leben nicht unmittelbar bedroht, gibt es in der Regel ohne Geld oder E-Card plus Ausweis keine Behandlung – da bleibt die Verwaltung hart. Kleinere Eingriffe, etwa die Abnahme eines Gipses, können da schon verweigert werden. Spak: „Es wurde argumentiert, wenn der Patient den Gips behält, ist das nicht lebensbedrohlich.“ Allerdings sind die MitarbeiterInnen in der Aufnahme kein medizinisches Fachpersonal und „können oft nicht beurteilen, ob die Symptome vielleicht lebensbedrohlich sind“, kritisiert Spak.

Ehrenamtliche immer willkommen

Ehrenamtliche MitarbeiterInnen sind bei AmberMed übrigens stets willkommen: Fast jeder medizinische Bereich ist gefragt – außer Psychotherapie, die dort einfach nicht geleistet werden kann. Carina Spak: „Bei uns können persönliche Skills und interkulturelle Kompetenzen trainiert werden. Auch wenn es manchmal mühsam ist, bleiben wir immer höflich.“

Internet:
Medizinische Behandlung für Unversicherte:
www.amber-med.at
www.neunerhaus.at
tinyurl.com/pmub6gj (Marienambulanz Graz)

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Christian Resei und Sophia T. Fielhauer-Resei, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806170 Rund 100.000 Menschen sind in Österreich nicht krankenversichert und müssten deshalb für eine Behandlung beim Arzt bzw. einer Ärztin bezahlen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806155 Gleichheit mit Vielfalt Wenn man „Vielfalt“ in Google eintippt, landet man schnell in der Welt eines tanzenden Regenbogens: bunte Farben und lachende Kinder aller Couleurs, die sich die Hände reichend um die Erdkugel tanzen. Es riecht nach Gutmenschen und WeltverbesserInnen. Dabei ist der Umgang mit Vielfalt und mit Differenzen keiner, der das Herz erwärmt. Denn Vielfalt ist in Österreich und vielen Teilen Europas nur bedingt erwünscht. Die zunehmende Diversität in den Lebensverhältnissen von Menschen wirft die dringliche Frage nach Zusammenhalt unter ethischen, rechtlichen oder sozialpolitischen Aspekten auf. Wie wollen wir mit gesellschaftlicher Vielfalt umgehen? Ist es möglich, Differenzen zwischen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und dennoch für Gleichheit einzustehen? Die Antworten auf diese Fragen bestimmen ein großes Stück weit auch den Umgang mit Migration in Österreich.

Die Macht der Differenz

Vielfalt basiert auf der Unterschiedlichkeit von Menschen. Differenzen, vor allem im Zusammenhang mit Migrationshintergrund, Klasse oder Geschlecht, wirken schon sehr früh prägend auf die Biografie. Die nicht österreichische Herkunft als Differenz geht über unterschiedliche Lebensstile weit hinaus. Vegane Ernährung markiert Differenz in Form eines differenten Lebensstils, hat jedoch kaum sozial relevante Auswirkungen auf die Biografie eines Menschen. Keinen österreichischen Pass zu besitzen markiert hingegen eine Differenz, die Probleme wie Diskriminierung, Rassismus oder Ungleichbehandlung nach sich ziehen kann.
Für die berufliche Entwicklung, die schulischen Bildungschancen oder die Positionierung innerhalb der Gesellschaft ist diese Differenz äußerst relevant. Differenzen sind nicht machtfrei. Sie bedeuten für Menschen, die wir als „anders“ wahrnehmen, oft Benachteiligungen. MigrantInnen sind zum Beispiel überproportional stark von Arbeitslosigkeit betroffen, ihre Qualifikationen werden vielfach nicht anerkannt. Gleiches gilt für Menschen mit einer sexuellen Orientierung, die vom Mainstream abweicht, und auch für Personen mit psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen. „Ursache für diese Diskriminierungen ist häufig nicht einfach individuelles, etwa rassistisch motiviertes Fehlverhalten“, so Robert Reithofer vom Verein Innovative Sozialprojekte (ISOP), „sondern ein strukturelles Ausgrenzungsmuster gegenüber Menschen, die bestimmten Gruppen angehören und damit ‚anders‘ sind.“

„Wir“ und „die anderen“

Individuen oder Gruppen auf eine bestimmte Differenz wie beispielsweise den Migrationshintergrund festzulegen geht einher mit der Konstruktion von „wir“ und „die anderen“. Wir neigen dazu, Menschen, die vom Mainstream abweichen, als „die anderen“ zu bezeichnen und „uns“ als national einheitliche Gesellschaft. Die „anderen“ werden zumeist als homogene Gruppe angesehen, während das „Wir“ bunt und vielfältig ist.

Individualität verkannt

Dieser Zugang verkennt die Individualität von Menschen und steht der Akzeptanz von Vielfalt massiv im Weg. So werden beispielsweise MigrantInnen kollektiv als ungelernte Hilfskräfte in eine Schublade gesteckt – unabhängig von ihren tatsächlichen Qualifikationen. Um die Schublade zu schließen, werden im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse einfach nicht anerkannt. „Fakt ist“, so Reithofer, „dass es das ‚Wir‘ und ‚die anderen‘ real nicht gibt. Migrantinnen und Migranten sind so vielfältig wie Österreicherinnen und Österreicher.“ Wer „die anderen“ sind, ist abhängig davon, wo wir gerade unser Augenmerk hinwenden. „Als ich Anfang der Neunzigerjahre mit Antirassismusarbeit in Österreich begonnen habe, lag das Augenmerk auf schwarzen Menschen, die angeblich so anders seien. Das ist abgelöst worden durch die plötzliche internationale Fokussierung auf den Islam“, erzählt der Menschenrechtsexperte Dieter Schindlauer. Unlängst hat er in einem Antirassismus-Seminar im Justizbereich von einem Teilnehmer gehört: „Die Schwarzen sind eh ganz gut ausgebildet, da haben wir keine Probleme. Aber die Tschetschenen, die sind das eigentliche Problem!“ Die Mode hat also umgeschlagen, das Bummerl hat jemand anderer zu tragen. „Wir merken gar nicht, dass wir dasselbe vor zehn Jahren über andere Gruppen gesagt haben, die wir jetzt ganz normal finden“, so Schindlauer.

Migration ist Alltag

„Die anderen“ sind aber längst keine Fiktion einer befristeten Gastarbeiterpolitik mehr, sondern im Alltag verankert. Der österreichische Blick auf Integration ist stark geprägt von der Vorstellung, dass Zuwanderung die Ausnahme ist und nur ein kurzfristiges Phänomen darstellt. Dieses Bild hat nichts mit der Realität zu tun. Gewollt oder nicht – Migration ist Alltag. „Es muss sich rasch was tun, um den vielfältigen Bedürfnissen von Menschen in einer Migrationsgesellschaft gerecht zu werden“, alarmiert der Menschenrechtsexperte. Die Nachfrage nach Arbeitskräften in bestimmten Branchen, weltweite Fluchtbewegungen, die auch Österreich erreichen, Familiennachzug sowie sich vertiefende Prozesse der Globalisierung und Prekarisierung und damit einhergehende Mobilität werden eher zu- als abnehmen. Österreichische Politik verkennt diese Entwicklungen. „Wir wollen hoch qualifizierte Leute über die Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich holen, die anderen sollen draußen bleiben. Damit verlassen wir uns darauf, dass Immigration ausschließlich über das Asylwesen und über illegale Wege verläuft“, beklagt Schindlauer. Die Hilflosigkeit im Umgang mit Vielfalt manifestiert sich auch in der Sprache. „Wir sprechen in Europa von Lastenverteilung. Gemeint ist: Wo sollen die Menschen hin?“ Schindlauer betont den fehlenden Pioniergeist im Umgang mit Vielfalt: „Wir fokussieren uns auf Probleme und vergessen dabei, die Potenziale zu nutzen.“ Hört die Einwanderungsgesellschaft etwa da auf, wo die Probleme anfangen?

Neue Antworten auf alte Fragen

„Das eigentliche Problem ist sicherlich nicht Zuwanderung“, ist der Menschenrechtsexperte überzeugt, „sondern neue Antworten auf bestimmte Phänomene zu finden.“ Die Arbeitswelt hat sich komplett verändert, Gesellschaften driften auseinander, ebenso Lebensstile. Wie gehen wir mit einer spürbaren globalen Vernetzung um? Wie gehen wir mit Verteilung um? „Das sind die Themen, die nur vorsichtig aufgegriffen werden, weil sie wahnsinnig viel an Nachdenken erfordern. Mehr noch: Sie erfordern ein Umdenken und Mut, sich von überholten Konzepten zu verabschieden“, sagt Schindlauer. Es brauche neue Orientierungen, aber es sei einfacher zu sagen: Die AusländerInnen können wir uns nicht leisten! „Wir müssen bald eine Entscheidung treffen, wie wir uns sehen und wie wir mit Vielfalt umgehen wollen“, so Schindlauer, andernfalls komme es zu schweren Verlusten an Standards. „Wenn wir zulassen, dass mit Flüchtlingen alles Mögliche passiert, das mit Menschenrechten nichts mehr zu tun hat, dann gehen diese Standards nicht nur für ‚die anderen‘ verloren, sondern für alle. Das kennen wir aus der Geschichte.“

Die Illusion vom Regenbogen

Vielfalt im Zusammenhang mit Migration ist kein Regenbogen-Thema. Es glitzert nichts, und so einen Schein zu erwecken ist verlogen. Laut Schindlauer bringe es nichts, nur das Gute an Migration hervorzuheben und zu wiederholen, dass alles gar nicht so schlimm sei. „Es bringt viel mehr, bei sich anzusetzen und sich zu fragen: Warum glaube ich, dass ein anderer Mensch so fundamental anders ist, dass er weg muss?“ Sich mit Vielfalt auseinanderzusetzen – als Individuum und als Staat – sei notwendig, um nicht ständig an Grenzen zu stoßen. „Na super, jetzt müssen wir Frauentoiletten einbauen. Jetzt müssen wir Kopftücher akzeptieren. Jetzt müssen wir unseren Speiseplan umstellen“, nennt Schindlauer Beispiele für einzelne Korrekturmaßnahmen. „Kommen wir doch in der Wirklichkeit an und richten die Sachen gleich so ein, dass sie funktionieren!“ Nicht bunt, nicht tanzend, sondern praktisch.

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Irene Steindl, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806126 Das eigentliche Problem ist sicherlich nicht die Zuwanderung, sondern der Umgang mit Vielfalt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806137 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895806036 Die Herkunft des Wohlstands

Nicht Talent und Fleiß entscheiden über den Wohlstand, sondern Herkunft und Erbe. Damit wird der Sozialstaat für den Zusammenhalt wichtiger denn je.

Steigende Ungleichheit ist auch auf den Arbeitsmärkten eine der zentralen Herausforderungen, insbesondere in den von der Krise am stärksten getroffenen Ländern. Immer weniger ArbeitnehmerInnen sind durch Kollektivverträge vor Lohndumping geschützt – auch Frauen sind am Arbeitsmarkt immer noch nicht gleichgestellt.

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Adi Buxbaum, Bettina Csoka, Angelika Gruber und Matthias Schnetzer, Arbeiterkammer. Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895806063 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805782 Land ist nicht gleich Land Viele Menschen in unseren Breiten haben Glück, denn sie können frei entscheiden, wo sie leben möchten. Sie können sich die Grundfrage stellen: Will ich in der Stadt oder auf dem Land leben? Diese Entscheidung fällt schon länger zugunsten der Stadt. Diese wachsen rasant, Speckgürtel verwandeln sich in Stadtgebiete und vormals ländliche Regionen werden zu Vororten. Schon jetzt lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten und die Entwicklung scheint sich sogar noch zu beschleunigen. Die UNO schätzt, dass 2070 mehr als drei Viertel der Menschen in Städten leben werden. Ländliche Regionen stellt dies vor große Herausforderungen: Viele können die Bevölkerung nicht halten und verlieren damit nicht nur Humanressourcen, sondern auch handfest Geld. Und je mehr Menschen aus einer Region abwandern, desto weniger wollen hinziehen, auch wenn die Vögel zwitschern, die Landschaft schön und die Luft rein ist.

Zurück aufs Land

Irmi Salzer ist 2002 wieder in die Nähe ihrer Heimat im Südburgenland gezogen, nachdem sie unter anderem in Wien und Brasilien studiert und gearbeitet hatte. Der wesentliche Grund: Sie und ihr Mann betreiben eine Landwirtschaft. Die beiden schätzen es, dass das Leben mit Kindern einfacher zu organisieren ist als in der Stadt. „Wenn das Kind auf dem Spielplatz spielen muss, weil ich Zeit habe – und nicht, weil es Lust hat“: Das gibt es bei ihr nicht. Vielmehr spielen die Kinder im Garten, wann sie möchten, und sie müssen nicht immer beaufsichtigt werden.
Begleitung brauchen sie aber, wenn sie in den Fußballverein oder zum Musikunterricht müssen. Salzer: „Am Anfang habe ich das noch nicht realisiert: Wenn die Kinder größer werden, muss man am Land ständig Taxi fahren.“ In ihrer Gemeinde Litzelsdorf wurde eine Kinder-Nachmittagsbetreuung organisiert, die von rund der Hälfte der Familien genutzt wird. Am Anfang wurden Salzer und andere Frauen schief angesehen, weil sie ihre Kinder in die Nachmittagsbetreuung schickten. Heute ziehen Familien deshalb sogar in den Ort. Und auch alte Menschen finden ein Angebot: Es gibt kleine, ebenerdige SeniorInnenwohnungen im Dorf.

Feministische Strategie fehlt

So positiv Salzer das Landleben sieht, ihr fehlt eine „feministische Strategie“ – und das hat Folgen. „Viele junge Frauen gehen in die Stadt und kommen nicht zurück“, weiß sie. Die Gründe: wenig Perspektiven und das Gefühl der Enge, ganz zu schweigen vom oftmals fehlenden Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen. Und so sehr sie die Vorteile des Landlebens genießt, so kommt auch sie zu dem Schluss: Sie würde ebenfalls die Stadt wählen, wenn sie keine Kinder hätte.
Jene, die sich mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigen, betonen, dass Stadt nicht immer Stadt und Land nicht immer Land ist. „Den“ ländlichen Raum gebe es nur als abstrakte Kategorie, sagt Michael Fischer von der Österreichischen Regionalberatung (ÖAR). In einer ländlichen Region entlang einer Hauptverkehrsachse sieht die Lage eben deutlich anders aus als in einer Grenzregion im Norden und Osten Österreichs.
Fischer hat in seiner sozialwissenschaftlichen Diplomarbeit die Lebensqualität in Stadt und Land verglichen. Dafür wertete er einen Teil der Studie „European Quality of Life Survey“ aus. Einige Erkenntnisse: „Menschen, die am Land wohnen, fühlen sich in Summe zufriedener und glücklicher als Menschen, die in der Stadt wohnen.“ So zeigten sich „große Unterschiede dahingehend, dass Sozialkontakte zu Familie, Freunden sowie das Vereinsleben im ländlichen Raum intensiver und positiver bewertet werden als in der Stadt“.
Oft entscheiden allerdings berufliche Möglichkeiten über die Wahl des Wohnortes. Daher versuchen ländliche Regionen, etwa durch Cluster das Jobangebot zu erweitern. Interessant sind Ansätze wie die Arbeitgeberzusammenschlüsse (AGZ), um Regionen für ArbeitnehmerInnen attraktiver zu machen. Die Idee: Kleine und mittelgroße Betriebe brauchen MitarbeiterInnen in der Buchhaltung, Raumpflege oder IT nur wenige Stunden pro Woche, viele ArbeitnehmerInnen streben aber eine Vollzeit-Beschäftigung an. Also schließen sich mehrere Unternehmen zusammen und teilen sich die Arbeitszeit der MitarbeiterInnen auf. In Frankreich und Deutschland gibt es dieses Modell schon länger. Der Regionalentwicklungsberater Leo Baumfeld, der den ersten AGZ Österreichs Ende 2014 begleitet hat, hält dies für eine gute Möglichkeit für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen.

„Gerechtigkeit – eine Tochter des Ortes?“ So lautet der Titel eines Arbeitskreises beim Forum Alpbach. Geleitet wird er von Barbara Guwak, Geschäftsführerin der Promitto Organisationsberatung. In Alpbach lässt sie die TeilnehmerInnen Gedankenexperimente machen. So müssen sie sich etwa für Stadt oder Land entscheiden und ihnen werden Fragen rund um Infrastruktur und Verkehr, Bildung oder soziales Leben gestellt. Zusätzlich sollen die TeilnehmerInnen bestimmte Haltungen einnehmen. Eine Gruppe geht mit dem Gedanken in das Experiment: „Gerecht ist, wenn die Ungleichheit verringert wird“; eine zweite wiederum nimmt an, dass gerecht sei, „wenn das, was möglich ist, geschehen kann“ – also gewissermaßen ein Innovations-Ansatz; die dritte Gruppe definiert gerecht, „wenn die Generationen nach uns auch noch etwas davon haben“. Guwak will auf diese Weise neue Aspekte in die Diskussion einbringen, denn: „Wenn man das Thema immer nur unter der Brille Gleichheit/Ungleichheit diskutiert, macht man den Raum sehr eng.“
Für Theresia Oedl-Wieser gehört es zu den entscheidenden Unterschieden von Stadt- und Landleben, dass junge Menschen und Frauen auf dem Land oft schlechtere Chancen haben. Sie ist Senior Researcher an der Bundesanstalt für Bergbauernfragen und hält fest: „Das Arbeitsplatzangebot ist nicht so stark ausdifferenziert wie in städtischen Regionen, die Löhne sind deutlich niedriger. Und das kleinbürgerliche Ideal der Familie hat noch große Gültigkeit.“ Die Erwerbstätigkeit von Frauen nehme zwar zu, aber vielfach handle es sich um Teilzeitbeschäftigung. Und das Gender Pay Gap sei in ländlichen Regionen besonders ausgeprägt.

Gesellschaft schon weiter

Oedl-Wieser streicht Ansätze wie jenen des EU-Förderprogramms LEADER hervor, das Initiativen im ländlichen Raum fördert. Im Nationalpark Kalkalpen etwa wurde 2010 bis 2012 ein Aus- und Weiterbildungsprojekt namens REWITEG durchgeführt. Dabei erhielten Frauen eine Bildungsberatung, unter anderem zu handwerklichen und technischen Berufen, und sie konnten mobile Weiterbildungsangebote in EDV und Kommunikation in Anspruch nehmen, Seminare zur Vorbereitung des Wiedereinstiegs besuchen und eine Ausbildung im Bereich Pflege und Gesundheit absolvieren.
Um das Leben auf dem Land wieder für mehr Menschen interessanter zu machen, sieht Theresia Oedl-Wieser die Politik in der Pflicht – besonders bezüglich Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Zum Beispiel sollten flexiblere Arbeitszeitmodelle für Väter möglich sein. Die Entwicklung in der Gesellschaft ist hier schon viel weiter fortgeschritten als in der Politik und der Wirtschaft.“
Kooperationen zwischen Gemeinden wären denn auch ein gutes Rezept, um das Angebot an sozialen Dienstleistungen im ländlichen Raum auszubauen. Denn oftmals kann sich das eine Gemeinde allein finanziell nicht leisten und/oder die Einrichtung wäre möglicherweise nicht ausgelastet, obwohl es durchaus Bedarf geben würde. Dazu kommt die oftmals schwierige Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Gibt es kein ausreichendes Angebot an sozialen Dienstleistungen, hat dies vor allem eins zur Folge: dass Frauen die jeweiligen Tätigkeiten übernehmen – und damit ihre Qualifikationen und Potenziale am Arbeitsmarkt nicht einsetzen können. In Österreich arbeiten manche Gemeinden bereits zusammen. Abhängig ist dies allerdings oftmals von einzelnen engagierten Personen, wie eine Studie im Auftrag von AK und ÖGB im Jahr 2011 feststellte. Es müssten deshalb mehr Anreize für die Kooperation auf regionaler Ebene geschaffen werden – und das müsste sich auch in den Budgets niederschlagen.

Internet:
Netzwerk Land:
www.netzwerk-land.at
Netzwerk für regionale Entwicklung:
www.progressnetz.at
AK zum Thema Soziale Dienstleistungen:
tinyurl.com/ouwws87

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oder die Redaktion
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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805738 Fehlende berufliche Möglichkeiten sowie das mangelnde Angebot an sozialen Dienstleistungen machen das Land oftmals wenig attraktiv für junge Menschen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805767 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805636 Ungleichheitssystem Schule Zeynep Korkmaz (31) ist die jüngste Tochter einer fünfköpfigen Familie. Ihre Eltern kamen 1967 aus der Türkei nach Österreich, um hier zu arbeiten. Geboren in Österreich, wuchs Korkmaz in einer Siedlung im Hinterhof einer Textilfabrik auf, in der ihre Eltern abwechselnd im Schichtdienst arbeiteten. Die Mehrheit ihrer MitschülerInnen in der Volksschule kam aus der gleichen Siedlung, nur drei hatten Deutsch als Muttersprache. Es war Korkmaz’ Volksschullehrerin, die ihren Eltern riet, sie im Gymnasium anzumelden. Ihre Eltern verstanden den Unterschied nicht, folgten aber der Empfehlung. Korkmaz war eine von vier SchülerInnen ihrer Klasse, die in die AHS-Unterstufe wechselten. 2002 maturierte sie als erste ihrer Familie und ist heute, nach ihrem Studium an der Fachhochschule, als Controllerin tätig.

Wachsende Diversität

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, deren Eltern nach Österreich zugewandert sind, wächst seit vielen Jahren. Dies liegt einerseits in der vor 50 Jahren einsetzenden Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte begründet, andererseits an der Erhöhung der Mobilität innerhalb der EU und der Globalisierung. Migration und Diversität sind in Österreichs Klassen also schon lange angekommen. Aber hat sich das Schulsystem darauf eingestellt?
Ein Blick auf die Fakten verrät, dass Korkmaz’ Bildungsverlauf noch immer nicht Normalität ist. Allerdings ist Vorsicht angebracht, denn die Ursachen dafür sind in den sozialen Verhältnissen und vor allem in den Strukturen des österreichischen Bildungssystems zu finden, nicht in der ethnischen Zugehörigkeit, wie dies immer und immer wieder fälschlicherweise behauptet wird.
Jugendliche mit Migrationshintergrund, von denen die meisten in Österreich geboren wurden, besuchen seltener höher bildende Schulen und sind auch an den Hochschulen deutlich unterrepräsentiert. Hinzu kommt, dass fast jede/r vierte Jugendliche mit Migrationshintergrund ein/e sogenannte/r „NEET“ (Not in Employment, Education or Training) ist und damit weder eine Ausbildung macht, noch einen Arbeitsplatz hat. Diese Entwicklungen sind in Zeiten steigender Qualifikationsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt alarmierend.
Viele zugewanderte Eltern, insbesondere wenn sie in den späten 1960er-Jahren als Arbeitskräfte angeworben wurden, verfügen oftmals nur über geringe schulische Bildung. Dazu kommen die Nichtanerkennung ausländischer Abschlüsse sowie Sprachbarrieren, die zudem häufig zu niedrigeren Positionen auf dem Arbeitsmarkt und damit zu schlechteren ökonomischen Bedingungen führen. BildungssoziologInnen sagen, dass es zugewanderten Familien deshalb an „relevanten Kapitalien“ fehlt, die für das gemeinsame Lernen und den Bildungserfolg ihrer Kinder so wichtig seien. Das war auch bei Korkmaz so. „Meine Eltern konnten mir nie bei den Hausübungen helfen, weil sie sich nicht auskannten und zu wenig Deutsch verstanden“, erzählt sie. „Ich machte sie meistens alleine oder mit meinen Geschwistern.“ Es ist eine Situation, die wohl vielen ÖsterreicherInnen ohne Migrationshintergrund bekannt vorkommen wird, deren Eltern keine höhere Bildung genießen konnten.
Kinder, die aus bildungsferneren Familien stammen, können ihren Startnachteil im Laufe der Schulzeit nur mit großer Anstrengung überwinden und zählen somit häufiger zu den sogenannten BildungsverliererInnen. Gerade weil Kinder von MigrantInnen in Österreich häufig aus sozial schwächeren Familien kommen, sind sie im hiesigen Schulsystem benachteiligt. Oft sind es dann Einzelne wie Korkmaz’ Lehrerin, die über den Bildungsweg eines Kindes entscheiden.

Schlechtere Chancen

Kinder mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Familien sind durchaus in der Lage, Bildungserfolge zu erzielen. Ein ForscherInnenteam untersuchte beispielsweise vor Kurzem die Bildungschancen von Nachkommen türkischer MigrantInnen in sieben europäischen Ländern, darunter auch Österreich. Die Grundfrage: Wie gestalten sich Bildungschancen für Kinder, deren Eltern als ArbeitsmigrantInnen in den 1960er-Jahren mit nur geringem Bildungsstand aus der Türkei nach Europa gekommen sind, die aber allesamt in den jeweiligen Ländern zur Welt gekommen sind und dort die Schule besucht haben?
In Schweden (9 Prozent) und Frankreich (14 Prozent) haben vergleichsweise wenige Nachkommen türkischer MigrantInnen einen Pflichtschulabschluss. In Österreich ist die Zahl wesentlich höher (25 Prozent), am höchsten ist sie in Deutschland (31 Prozent). Umgekehrt ist die Chance auf einen hohen Bildungsabschluss für die Nachkommen türkischer EinwanderInnen in anderen Ländern drei- bis viermal so groß wie in Österreich.
Drei strukturelle Eigenschaften sind laut Barbara Herzog-Punzenberger von der Johannes Kepler Universität Linz dafür verantwortlich: erstens das Eintrittsalter in vorschulische Einrichtungen – und damit der Zeitraum, in dem Eltern das Lernen des Kindes alleinverantwortlich beeinflussen. „Hier schlägt der in Österreich vergleichsweise späte Eintritt der Kinder negativ für deren spätere Bildung zu Buche“, erklärt die Bildungsforscherin. Ähnlich gelagert ist der zweite Punkt: Der Zeitpunkt, zu dem über den weiteren Bildungsweg entschieden wird, hat großen Einfluss auf den Bildungserfolg der Kinder. In Österreich liegt dieser sehr früh – der Einfluss der Eltern und ihrer Bildungsgeschichte ist zu diesem Zeitpunkt noch sehr groß. Drittens ist der zeitliche Umfang der schulischen Betreuung wichtig. Auch hier verliert Österreich aufgrund des vorherrschenden Halbtagssystems im Vergleich mit Ländern wie Schweden oder Frankreich. „In Österreich, wo SchülerInnen verhältnismäßig viel Lernzeit außerhalb der Schule erbringen müssen, setzen sich familiäre Ausgangsbedingungen eher fort als in Ländern mit ganztägigen Schulformen. Dadurch sind gerade Kinder von Eltern benachteiligt, die weder mit dem Lernstoff noch mit Sprache oder Schulsystem vertraut sind“, so Herzog-Punzenberger.

Zu frühe Entscheidung

Folglich ist der Migrationshintergrund ebenso wie die ethnisch-kulturelle Herkunft an sich nicht ausschlaggebend für geringere Lern- und Bildungserfolge von Kindern zugewanderter Eltern. Wesentlich sind vielmehr die Struktur des Bildungssystems, der Bildungsstand der Eltern sowie die andere Erstsprache als Deutsch. Wer aus bildungsfernen Familien kommt und darüber hinaus eine andere Erstsprache als Deutsch spricht, hat es im österreichischen Bildungssystem also schwer, den Schulalltag erfolgreich zu meistern. Die Zeit bis zur ersten Schullaufbahnentscheidung im Alter von zehn reicht für viele nicht aus, ihre schlechteren Startbedingungen zu überwinden und mit anderen SchülerInnen gleichzuziehen. Die Betreuung weiterer schulischer Leistungen am Nachmittag kann durch die Eltern in zugewanderten Familien oftmals nicht ausreichend geleistet werden. Diese Benachteiligungen führen nicht nur zu geringeren Leistungen, sondern nicht selten auch zu Frustration bei den Jugendlichen, die sich im Laufe der Zeit steigert und zum frühzeitigen Abbrechen der Schule führen kann.
Wie lassen sich Benachteiligungen für Kinder von MigrantInnen in Österreich abbauen? Ein erster Schritt in diese Richtung wäre die Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres. Zum anderen, das zeigen die Ländervergleiche, wäre ein verstärkter Ausbau von Ganztagsschulen notwendig, um Kinder erfolgreich schulisch zu fördern und deren Bildungserfolg möglichst unabhängig vom Elternhaus zu gestalten. Speziell für die Bedürfnisse von Kindern mit Migrationshintergrund wäre ebenfalls der Ausbau der Deutschförderung auf allen Schulebenen bei gleichzeitiger Förderung der Erstsprachen notwendig. Nicht zuletzt sollten sich LehrerInnen bereits in der Ausbildung mit der sprachlich-kulturellen Diversität auseinandersetzen, um der Normalität im Schulalltag gewachsen zu sein. Nur mit einer Kombination aus diesen Maßnahmen kann erreicht werden, dass künftig alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft gleiche Chancen im Bildungssystem und damit später am Arbeitsmarkt haben.

Internet:
OECD 2015, Indicators of Immigrant Integration:
tinyurl.com/nhstaly
The Integration of the European Second Generation – TIES:
www.tiesproject.eu/index3322.html?lang=de

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Philipp Schnell, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805619 Ausschlaggebend für geringere Lern- und Bildungserfolge von Kindern zugewanderter Eltern ist die Struktur des Bildungssystems, das auch Nicht-MigrantInnen benachteiligt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805670 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805592 Trend zu noch mehr Ungleichheit Geld hat noch keinen reich gemacht“, soll der römische Philosoph Seneca zum Besten gegeben haben. Den weisen Worten zum Trotz kommt niemand ohne den „schnöden Mammon“ aus. Allerdings sprechen die wenigsten gerne über (das eigene) Geld, mangels Vermögenssteuern werden die Zahlen zu den Besitzverhältnissen etwa in Österreich hauptsächlich durch Befragungen und Schätzungen ermittelt. Deshalb ist es schwierig, an fundierte Daten zur Vermögensverteilung zu kommen, umfangreiche Studien dazu sind vor allem auf europäischer Ebene rar gesät.

Meilenstein HFCS

Ein Meilenstein bei der Erfassung von Vermögen stellt der von der Europäischen Zentralbank durchgeführte „Household Finance and Consumption Survey“ (HFCS) dar. Dieser ist die erste umfassende Analyse zu Sach- sowie Finanzvermögen, Verbindlichkeiten und Ausgaben privater Haushalte in 15 Ländern der Eurozone (Irland und Estland nahmen nicht teil). Im Rahmen des HFCS wurden in den Jahren 2010 und 2011 in den einzelnen Euroländern per repräsentative Stichprobe Haushalte ermittelt, die dann ausführlich zu ihren Vermögensverhältnissen befragt wurden. Im Anschluss erfolgte die Auswertung der Daten und eine Hochrechnung auf die Gesamtbevölkerung. In Österreich wurden etwa 2.380 Haushalte interviewt. Die Erhebung der heimischen Daten wurde von der Österreichischen Nationalbank gemeinsam mit dem Institut für empirische Sozialforschung durchgeführt.

Verschuldet?

Dazu sei gesagt, dass so manches Ergebnis sehr genau betrachtet werden muss und somit mit Vorsicht zu genießen ist. So kommt der HFCS zu dem Ergebnis, dass viele EU-BürgerInnen verschuldet sind: Im Euroraum trifft dies auf 43,7 Prozent der Haushalte zu, Spitzenreiter sind die Niederlande mit 65,7 Prozent, in Österreich sind es 35,6 Prozent, am unteren Ende des Rankings findet sich Italien mit 25,2 Prozent.
Wie hoch sind nun diese Haushalte in Euroland verschuldet? Der Median-Wert liegt bei 21.500 Euro pro Haushalt. Die Schuldenlast ist in den Niederlanden mit 89.100 Euro pro Haushalt am größten, Österreichs Haushalte kommen „nur“ auf 13.800 Euro, am geringsten fallen die Schulden in der Slowakei mit 3.200 Euro aus. Allerdings bedeutet dies natürlich nicht, dass jeder Haushalt auf einem Schuldenberg sitzt, denn es handelt sich ja um Mittelwerte. Vor allem aber stehen den Verbindlichkeiten erhebliche Vermögenswerte wie zum Beispiel Sparbücher, Girokonten, Aktien, Investmentfonds, Immobilien oder materielle Besitztümer wie Schmuck, Kunstwerke, Automobil(e) etc. gegenüber.
Der entscheidende Wert ist deshalb der sogenannte „net wealth“, zu übersetzen als Netto-Vermögen oder Netto-Wohlstand. Der „net wealth“ ergibt sich nun aus der Differenz zwischen allen Besitztümern und Verbindlichkeiten eines Haushalts. Laut HFCS beläuft sich dieser Wert im Median auf 109.200 Euro pro EU-Haushalt, im Durchschnitt macht er sogar 230.800 Euro aus. Somit liegt der Durchschnittswert der Netto-Vermögen mehr als doppelt so hoch wie der Median. Im HFCS wird explizit darauf hingewiesen, dass diese große Diskrepanz zwischen den beiden Messgrößen eine erhebliche Ungleichverteilung des Netto-Wohlstands nahelegt.
Die Ursache dafür: Es gibt eine Vielzahl von sehr kleinen Vermögen, vor allem am unteren Ende der Skala. So liegt der „net wealth“ der ärmsten zehn Prozent der Haushalte sehr nahe bei null, es wurde also praktisch gar kein Besitz erworben. Knapp fünf Prozent der Haushalte weisen Netto-Schulden auf. Im krassen Gegensatz dazu steht, dass die wohlhabendsten 20 Prozent der Haushalte knapp 68 Prozent des Netto-Wohlstands besitzen. Die Ungleichverteilung wird noch eklatanter, je weiter wir uns der Spitze der Pyramide annähern: Die reichsten fünf Prozent nennen stolze 37,2 Prozent des Netto-Wohlstands ihr Eigen. Die reichsten EU-Haushalte sind übrigens in Luxemburg beheimatet: Der Median liegt bei 397.800 Euro, der Durchschnittswert bei 710.100 Euro. Österreich hält im Median 76.400 Euro und im Durchschnitt 265.000 Euro. Überraschend dabei ist das auf den ersten Blick relativ große Vermögen der GriechInnen: Sie verfügen über 101.900 Euro im Median, der Durchschnittswert liegt bei 147.800 Euro. Bei genauerer Betrachtung aber stellt sich die Situation durchaus anders dar: Ursache für dieses Ergebnis ist vor allem, dass die Zahl der EigenheimbesitzerInnen in Österreich deutlich niedriger ist als in den Ländern Südeuropas wie eben Griechenland. Das macht die HellenInnen nicht wirklich reich, da sie durch einen Verkauf der eigenen Wohnimmobilie auf der Straße stehen würden. Auch spielt die Haushaltsgröße eine nicht zu unterschätzende Rolle. In Österreich leben weniger Personen unter einem Dach als in Griechenland, Spanien oder Italien, weshalb das Haushaltsvermögen dort durch mehr Personen dividiert werden muss.

Vorsicht: Datenunschärfe

Auch muss darauf hingewiesen werden, dass der HFCS zwar die bis dato bei Weitem umfassendste Erhebung zur Vermögenssituation in der Eurozone darstellt, dass aber selbst diese Studie nicht frei von Unschärfen ist. „Typisch für alle freiwilligen Befragungen ist es nämlich, dass einige ErhebungsteilnehmerInnen gewisse Antworten nicht geben können oder nicht geben wollen. Vor allem bei Datenerhebungen zu ,sensiblen‘ Bereichen“, schreibt die AK in einem Papier zum HFCS. Das heißt: Solche Untersuchungen enthalten auch falsche Angaben, zahlreiche Antwortverweigerungen und „repräsentieren die Vermögensverteilung nicht vollständig, da die oberste Spitze der VermögensinhaberInnen zumeist gar nicht in der Befragung auftaucht“, so die AK weiter.
Denn vor allem die relativ überschaubare Gruppe der Superreichen „schlüpft“ leicht durch die Erfassung der Stichprobe. Auch nimmt die Auskunftsbereitschaft mit zunehmendem Vermögensbestand ab, was zu Verzerrungen führt. Man kann deshalb davon ausgehen, dass es noch mehr Reiche innerhalb der EU gibt und dass sie noch wohlhabender sind, als dies der HFCS ausweist. Somit würde die Ungleichverteilung weiter steigen, was auch Länderstudien unter anderem des EZB-Ökonomen Philip Vermeulen oder von Jakob Kapeller vom Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Linz nahelegen. Kapeller kommentiert dazu im Gespräch mit „A&W“: „Noch kaum waren die Vermögen in Österreich und der EU so ungleich verteilt wie heute. Und der Trend zu wachsender Ungerechtigkeit nimmt mit der Konzentration von Vermögen weiter zu.“ Um die „Konzentrationsspirale“ abzuschwächen, spricht sich der Experte für eine koordinierte Lohnpolitik in Europa aus, denn der Wohlstand der überwiegenden Mehrheit der EU-BürgerInnen basiere noch immer auf Lohneinkommen. Diese seien allerdings aufgrund des harten internationalen Standortwettbewerbs unter Druck geraten, was zu real sinkenden Löhnen und einer Erosion der Mittelschicht geführt habe. „Auch sollte die EU aus einer soliden Position Druck auf Steueroasen ausüben und das Thema internationaler Vermögenssteuern mit hohen Spitzensteuersätzen aufgreifen“, so Kapeller.
Auch der Ökonom David Mum hält Vermögens- und Erbschafts- sowie Körperschaftssteuern (Unternehmenssteuern) für ein wesentliches Element im Kampf gegen Reichtums-Konzentration und für mehr Verteilungsgerechtigkeit: „Vor allem Körperschaftssteuern sollten innerhalb der EU-Staaten akkordiert werden, weil Unternehmen eher ihre Gewinne bilanziell verlagern können. Auch ist es nicht einzusehen, dass Lohneinkommen progressiv belastet werden, Kapitalertragssteuern hingegen flachen Tarifen unterliegen.“ Mum, er ist Leiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier), spricht sich deshalb für eine progressive Vermögenszuwachssteuer aus, wie sie heute bereits in Finnland existiert: „Auch Österreich könnte solche gestaffelten Tarife sogar im Alleingang einführen. Dazu müsste allerdings das Bankgeheimnis infrage gestellt werden.“ Im Sinne einer gerechteren Vermögensverteilung eine diskussionswürdige Forderung.

Blogtipp:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.hfcs.at
www.jakob-kapeller.org

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Harald Kolerus, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805580 Noch kaum waren die Vermögen in Österreich und der EU so ungleich verteilt wie heute. Und der Trend zu wachsender Ungerechtigkeit nimmt mit der Konzentration von Vermögen weiter zu. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805564 Kein Wohlstand ohne Mitte In den entwickelten Industriestaaten waren die Einkommensunterschiede in den letzten 30 Jahren nie höher als heute. Das besagt die jüngst erschienene OECD-Studie „In It Together“ über die Entwicklung der Einkommensverteilung in den westlichen Industriestaaten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Jahre einer tief greifenden Finanz- und Wirtschaftskrise hinter vielen Wirtschaftsnationen liegen, deren Folgen eigentlich so dargestellt wurden: Viel finanzieller Reichtum wurde an den Börsen vernichtet und die Bonus-Systeme der Manager begrenzt.

Keine Krise bei den Reichsten

Von Krise aber kann bei den reichsten zehn Prozent nicht unbedingt die Rede sein: Sie verdienen aktuell jährlich fast zehnmal so viel wie die ärmsten zehn Prozent. Anfang der 1980er-Jahre lag das Verhältnis laut OECD noch bei sieben zu eins. An oberster Stelle der Entwicklung steht die Entlohnung der Manager der USA. Ein Manager-Einkommen ist dort rund 300-mal so hoch wie ein durchschnittliches Unselbstständigen-Einkommen, wie das gewerkschaftsnahe Economic Policy Institute (EPI) festgestellt hat. Der Abstand hat sich seit Ende der 1970er-Jahre verzehnfacht. Für Österreich stellt die AK ein Verhältnis von 47:1 zwischen einem Vorstand eines im ATX notierten Unternehmens und einem österreichischen Durchschnittseinkommen fest. Das Niveau der Manager-Einkommen wurde durch die Krise kaum beeinflusst.

In der Mitte angelangt

Dass die Schere weiter aufgegangen ist, hat nicht nur damit zu tun, dass die Top-Einkommen und Vermögen weiter ansteigen. Vielmehr nimmt die Spaltung in der Gesellschaft insgesamt zu. Vor allem die untersten 40 Prozent in der Verteilung, also mehr als ein Drittel, sind laut OECD in den letzten Jahren zurückgefallen, was zunehmend soziale und politische Fragen aufwirft. Denn damit sind es nicht nur „ soziale Randgruppen“, die nicht mehr am Zuwachs des ökonomischen Wohlstands teilnehmen. Vielmehr ist dieses Phänomen bereits in der Mitte der Gesellschaft angelangt.
Wem nützt denn diese Entwicklung? Nicht einmal der Volkswirtschaft selbst, meint die OECD-Studie „In It Together“. Solche sozialen Schieflagen sind selbst für die Ökonomie nachteilig, wie der Bericht vorrechnet. Es ist bemerkenswert, wenn die OECD, eine Organisation, die gegründet wurde, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, zunehmende Ungleichheit kritisiert. Denn eine Lesart von zunehmender Ungleichheit ist, dass es einen sogenannten „Trickle-down-Effekt“ gebe. Wie beim Duschen werden die Menschen damit von oben bis unten nass – bzw. wohlhabender. Tatsache ist aber, dass sich der Zuwachs des Wohlstandes bei den obersten Einkommen und Vermögen konzentriert hat und wenig nach unten gesickert ist. Daraus resultiert eine starke Spaltung der Gesellschaft. Die OECD geht davon aus, dass der Anstieg tief in den ökonomischen Strukturen verhaftet ist und es deshalb auch schwer sein wird, den Trend umzukehren. Denn mehr als die Hälfte der in den westlichen Industrienationen geschaffenen Arbeitsplätze seit 1995 sind atypische Beschäftigungsverhältnisse. Dieser Trend hat sich mit der Krise verschärft. Seit 2007 sind in den OECD-Staaten insgesamt die Standardarbeitsverhältnisse gesunken, einen kleinen Beschäftigungszuwachs gab es in Summe bei den Atypischen.

Mehr Nachteile statt Flexibilität

Welche Charakteristika haben nun diese Arbeitsverhältnisse? Die gute Nachricht: Sie sind nicht zwangsläufig schlechte Jobs. Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse sind manchmal durchaus gewünschte Arbeitsformen, um die Work-Life-Balance zu verbessern. Die schlechte Nachricht: Diese Beschäftigungsformen sind in der Regel in einigen Aspekten gegenüber den durchgängigen Normalarbeitsverhältnissen schlechtergestellt. So verdienen gerade bei den schlecht bezahlten Jobs eben die Atypischen noch 20 Prozent weniger als bei vergleichbaren Standardjobs. Sie sind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Jobverlusts konfrontiert, bekommen weniger Weiterbildung und leiden unter signifikant höherem Arbeitsdruck.
Die gewünschte Flexibilität am Arbeitsmarkt, die als Anforderung für ein erfolgreiches Wirtschaften gilt, bedeutet oft Prekarisierung und nicht ökonomische Sicherheit. Die atypischen, nicht stabilen Beschäftigungsverhältnisse befördern ein Auseinandergehen der Einkommensschere. Und es zeigt sich auch, dass sich die Hoffnung, dass atypische Verträge schlussendlich zu stabileren und damit besser bezahlten Anstellungen führen, nur in ganz bestimmten Fällen bewahrheitet. Hier hängt es vor allem von der Art der Arbeit, von den Qualifikationen und anderen sozialen Merkmalen des Arbeitssuchenden und den Arbeitsmarktinstitutionen ab, ob das gelingen kann. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Einkommensstatistiken zeigen: Gerade den Jungen gelingt es immer schwerer, solche stabilen Jobs zu erlangen.

Gesamtwirtschaftlicher Schaden

Wenn sich die Gesellschaft gerade auseinanderdividiert, warum behauptet dann die Studie, wir säßen alle in einem Boot? Die Zunahme der Ungleichheit hat der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geschadet, konstatiert die OECD. Denn der Anstieg der Ungleichheit im OECD-Raum seit den 1980er-Jahren war langfristig mit einem Verlust von fast fünf Prozentpunkten BIP-Wachstum verbunden. Das Wachstum wäre also in vielen Staaten höher, wenn die Ungleichheit nicht gestiegen wäre. Der berechnete Effekt ist das Resultat des Einkommensverlustes der unteren 40 Prozent, wohlgemerkt.
Die OECD zieht daraus die Konsequenz: Weniger Ungleichheit führt zu mehr Wohlstand. Eine breite gesellschaftliche Mitte hat vielfach gute Seiten. Aber sie rechnet sich auch. Frei nach dem Motto: Geht’s uns allen gut, geht’s der Wirtschaft gut!

Trend zu Ungleichheit stoppen

Deshalb braucht es dringend eine Reihe von Maßnahmen, die dazu beitragen, den Trend zu mehr Ungleichheit zu stoppen. So bremsen eine höhere Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben und die Verringerung von Lohnunterschieden den Trend zu mehr Ungleichheit. Dazu ist es auch wichtig, dass sich die bezahlten Arbeitsstunden von Frauen erhöhen, um eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu ermöglichen.
Die Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten und die Verbesserung der Arbeitsplatzqualität – Maßnahmen für mehr und bessere Jobs – sind notwendig, um die Einkommenschancen, speziell der einkommensschwachen Gruppen, zu verbessern. Investitionen in Aus- und Weiterbildung schaffen das Potenzial für eine langfristig positive Entwicklung einer Volkswirtschaft. Bereits in den ersten Lebensjahren wird ein Grundstein dafür gelegt.
Und last, but not least: Die Verbesserung bestehender Steuer-Transfer-Systeme und eine effiziente Umverteilung helfen die sozialen Risiken abzufedern, denen sich Menschen in der Krise zunehmend gegenübersehen. Zugleich verlangen sie denjenigen einen Beitrag ab, die von immer noch steigendem Wohlstand stärker profitieren als andere. Bisher verteilen die Wohlfahrtsstaaten hauptsächlich über die Ausgabenseite, über Sozialleistungen, öffentliche Infrastruktur und eine allgemeine Absicherung gegen Krankheit und im Alter um. Die Staatseinnahmenseite hingegen hat kaum umverteilende Wirkung. Vermögensbezogene Steuern helfen, die Chancengleichheit in der Gesellschaft zu erhöhen, und bilden deshalb einen wichtigen Baustein. Ein zentraler Schlüssel zu mehr Steuergerechtigkeit ist aber auch, die Steuervorteile und Steuerschlupflöcher von großen Unternehmen und Reichen im In- und Ausland abzustellen. Steuern sollen dort gezahlt werden, wo Gewinne erwirtschaftet werden, Privilegien abgeschafft werden. Dies ist ein einfaches, aber wirkungsvolles Prinzip.

Kein Rechenstift nötig

Weniger Ungleichheit hilft gesamtgesellschaftlich und wirtschaftlich schlussendlich allen. Es braucht keinen Rechenstift, um das zu wissen. Aber man kann es auch rechnen, um zu zeigen, dass damit auch die Rechnung für den ganz überwiegenden Teil stimmt.

Internet:
OECD-Studie „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“:
tinyurl.com/ppovctc

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Christa Schlager, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805543 Weniger Ungleichheit führt zu mehr Wohlstand. Eine breite gesellschaftliche Mitte, wie sie in der Vorstellung der Gesellschaft als Zwiebel formuliert wird, hat vielfach gute Seiten und sie rechnet sich auch. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805521 Disziplinierungsverhältnisse Prekariat ist überall“, betitelte der Soziologe Pierre Bourdieu bereits 1998 einen Essay, in dem er sich mit den Folgen der Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes auseinandersetzte. Der 2002 verstorbene politische Vordenker beschrieb darin den Beginn einer Entwicklung unstabiler Arbeitsverhältnisse, bei denen vorausschauende Lebensplanung kaum möglich ist und die mühsam errungenen sozialen Mindeststandards zunehmend untergraben werden.

Über Nacht

Die Lebensplanung des Grafikers Herbert M. (47) etwa wurde fast über Nacht auf den Kopf gestellt. Er war 15 Jahre im selben Unternehmen tätig. Auch heute ist er noch dort. Allerdings als freier Dienstnehmer. „Auftragslage schlecht“, hieß es. Die Folgen: ein Reallohnverlust von rund 50 Prozent. Herbert M. fühlt sich in seiner Existenz bedroht. Wie lange er sich die Miete, die nunmehr mehr als ein Drittel seines Einkommens ausmacht, noch leisten kann, ist fraglich. Das Auto hat er verkauft, er schaut sich nach einer kleineren Wohnung um.
Maria H. (52) hat Angst. Für eine berufsbegleitende Ausbildung als Physiotherapeutin hatte sie einen Kredit aufgenommen. Doch nun ist sie arbeitslos, für die Ausübung ihres neuen Gewerbes fehlen ihr eine Prüfung und der entsprechende Kundenstock. Sie lebt, nach Abzug aller Fixkosten, von rund 180 Euro im Monat, die sie mit einigen Physiotherapiestunden aufbessert. „Grundsätzlich sind alle Branchen von Prekarisierung betroffen“, berichtet Veronika Kronberger, Hauptansprechperson der Interessengemeinschaften work@flex, work@education und work@social der Gewerkschaft GPA-djp. „Auch die prestigeträchtigen, wie Medien, PR, Journalismus und Marketing.“

Verunsicherung

„In der Prekarisierungsgesellschaft sind alle – bis auf eine schmale Schicht von finanziell Superabgesicherten – existenzieller Verunsicherung ausgesetzt“, diagnostiziert der Philosoph Oliver Marchart, „und das schon allein deshalb, weil die sozialen Sicherungssysteme an Erwerbsarbeit gekoppelt sind, deren Status zunehmend prekär wird.“
In der sozialwissenschaftlichen Debatte wird häufig auf die Definition von Robert Castel zurückgegriffen, der eine Unterteilung der heutigen Lohnarbeitsgesellschaft in drei Zonen vorschlägt: die der Integration mit stabilen Arbeitsverhältnissen. Die der „Entkoppelung“ mit der, um im neoliberalen Jargon zu bleiben, „Reservearmee der ‚Überflüssigen‘ und sozial Ausgegrenzten“. Dazwischen fungiert die „Zone der Verwundbarkeit“, des Prekariats also, als „instabile Zwischenzone“.
Die soziale Verunsicherung, so der deutsche Soziologe Klaus Dörre, habe bereits die Zone der Integration, den Typus der „Gesicherten“, erreicht, stünde doch Prekariat als ständige Drohung vor Augen. So könne zum Beispiel eine nur kleine Gruppe von LeiharbeiterInnen „die Disziplinierung der fest angestellten Stammbelegschaft befördern“, die ein „diffuses Gefühl der Ersetzbarkeit zu beschleichen beginnt“. Prekär ist eine Beschäftigung dann, definiert Dörre, wenn sie nicht dauerhaft oberhalb eines gesellschaftlich definierten Minimums Existenz sichernd ist und deshalb in den Dimensionen Arbeitszufriedenheit, soziale Anerkennung, Partizipation und längerfristige Lebensplanung dauerhaft diskriminiert. Die Formen sind nach Bildung unterschiedlich und doch gleich: der/die AkademikerIn im ewigen Projekt, der/die ArbeiterIn im Niedriglohnsektor, die Zugewanderte, die im Haushalt putzt.

Irreführende Bezeichnung

Laut Sozialbericht 2013–2014 beziehen die obersten 20 Prozent der LohneinkommensbezieherInnen fast 50 Prozent aller Einkommen, die untersten 20 Prozent kommen auf nur zwei Prozent. Als eine der Ursachen der steigenden Ungleichheit der Einkommen wird die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse angeführt. „Das Phänomen atypischer Beschäftigung hat sich mittlerweile in fast allen Bereichen der Arbeitswelt festgesetzt, sodass die Bezeichnung nahezu irreführend geworden ist“, meint GPA-djp Vorsitzender Wolfgang Katzian in der Broschüre „Betriebsrat – Freund oder Feind atypisch Beschäftigter?“. Vielmehr müsse von rechtlich benachteiligten ArbeitnehmerInnen gesprochen werden. Unter den Forderungen der Gewerkschaften sind: gleicher Lohn für alle, Einbeziehung in die jeweiligen Kollektivverträge oder die Ausdehnung des ArbeitnehmerInnenbegriffs auf jene, die im Auftrag und auf Rechnung anderer Arbeit leisten und in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen.
Beispiele aus der Praxis zeigen, dass BetriebsrätInnen ihre „atypischen“ KollegInnen durchaus einbeziehen können. Sie können bei Verhandlungen mit der Geschäftsführung auch die Anliegen der „Freien“ einbringen, AnsprechpartnerInnen bestimmen oder zu Betriebsversammlungen einladen.

Rasch am Rand

„In den letzten Jahren hat sich die Lage unserer Klienten und Klientinnen massiv verändert“, sagt Bernhard Litschauer-Hofer, Sozialberater im Bereich Wohnungslose und Asylwerbehilfe des Arbeiter-Samariter-Bundes. „Sie sind wesentlich jünger, höher verschuldet und haben schlechte bis keine Ausbildung.“ Wobei es immer wieder vorkäme, dass auch Menschen mit einem oder mehreren akademischen Titeln auf der Straße landen. „Es geht wesentlich schneller, aus dem sozialen System herauszufallen.“
Die „klassischen Erwerbsarbeitskarrieren der Obdachlosen sind gekennzeichnet von Jobs in Branchen, wo alle so glücklich sind, dass wir billig konsumieren können“, kritisiert Litschauer-Hofer. „Da zahlt natürlich jemand einen Preis.“ Prekär ist auch die Lage jener MitarbeiterInnen im Sozialbereich, die als „Saisonarbeitende“ tätig sind, etwa bei den Wintermaßnahmen der Stadt Wien. Dort werden einheimische Wohnungslose und „Armutsreisende“ aus den Nachbarländern betreut. Der Verdienst ist gering, viele sind in den Sommermonaten arbeitslos.

Prekäre Pflege

Prekär ist auch die Lage im sogenannten Care-Bereich, vor allem in der mobilen Pflege. Hier liegt die Entlohnung bei 30 Wochenstunden nur knapp über der bedarfsorientierten Mindestsicherung. 94 Prozent davon sind Frauen, die meisten Migrantinnen. „Sie wissen kaum über ihre Rechte Bescheid und arbeiten unter zum Teil fürchterlichen Bedingungen“, berichtet Veronika Kronberger von der Interessengemeinschaft social@care. „Die größten Probleme sind in dieser Hinsicht die hohe Teilzeit und die vielen ‚zerstückelten‘ Arbeitszeiten, die eine Existenz sichernde Beschäftigung verhindern. Gleichzeitig gibt es permanenten Personalmangel, der ad hoc Einsatz erfordert. Dadurch wird selbst die Arbeitszeit nicht planbar“, meint Ingrid Moritz, Leiterin der AK-Abteilung Frauen und Familie. Ein Thema für sich ist die Lage der 24-Stunden-Kräfte. „Das Problem ist, dass hier gesetzliche Regelungen geschaffen wurden, die nicht mit den Arbeitsrechtsstandards vereinbar sind“, sagt Ingrid Moritz. „Die Bezahlung ist sehr niedrig, die Lage der Pflegerinnen hängt davon ab, in welchen Haushalt sie kommen.“
Zunehmend prekär sind die Arbeitsverhältnisse für die junge Generation. Die im Juli 2014 eingerichtete Plattform www.watchlist-praktikum.at verzeichnet mittlerweile mehr als 80.000 Klicks. Hier können PraktikantInnen anonym Rechtswidrigkeiten melden. Die Angaben werden zur Prüfung an die jeweilige Gebietskrankenkasse weitergeleitet. Weit mehr als 300 Unternehmen aus allen Branchen wurden als schwarze Schafe identifiziert. „Die Zahl der Anfragen ist erschreckend hoch“, berichtet Kronberger von der „Plattform Generation Praktikum“.
Prekär ist auch die Lage bei Älteren, insbesondere Frauen. Ingrid Moritz: „Armut beginnt damit, dass viele Frauen für sich allein kein Existenz sicherndes Einkommen haben, wenn sie in Paarbeziehung leben. Frauen verrichten wesentlich mehr unbezahlte Arbeit. Und nun, wo für die Pension alle Versicherungsjahre zählen und nicht mehr die besten 15 Jahre, geht die Schere im Alter weiter auf. Sehr viele Frauen haben jetzt eine Pension, von der man eigentlich nicht leben kann.“

Internet:
Hier finden Sie auch den neuen Leitfaden durch den Paragraphendschungel für freie DienstnehmerInnen, freie WerkvertragsnehmerInnen und PraktikantInnen:
www.gpa-djp.at/flex

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805509 "In der Prekarisierungsgesellschaft sind alle - bis auf eine schmale Schicht von finanziell Superabgesicherten - existenzieller Verunsicherung ausgesetzt", so Oliver Marchart. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805530 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805476 Gleichheit ist Glück Wie viel Geld Sie einmal verdienen werden, welche Bildung und – falls überhaupt – welche Jobs Sie einmal bekommen werden, wie gesund Sie sein und wie lange Sie leben werden: All das stand zu einem ganz großen Teil schon bei Ihrer Geburt fest. Dass dem so ist, hat nichts mit Schicksalsglauben oder Wahrsagekünsten zu tun. Vielmehr liegt es allein daran, dass die eigene Herkunft und dabei vor allem die Staatsangehörigkeit und das Einkommen der Eltern in unserer Gesellschaft entscheidend für die Lebensmöglichkeiten von Menschen sind. Dazu kommen Faktoren wie Geschlecht oder Hautfarbe, die mit über unser Leben bestimmen.
Wer am Start schon benachteiligt ist, die oder den werden auch Anstrengung und Fleiß im restlichen Leben nur wenig weiterbringen. Die Nachteile nämlich können auch durch den stärksten Sprint kaum mehr ausgeglichen werden. Ausnahmen, also Menschen, die es tatsächlich vom sprichwörtlichen Tellerwäscher zum Millionär bringen, bestätigen auch hier nur die Regel. Armut vererbt sich wie Reichtum. Aus armen Kindern werden im Normalfall arme Eltern, aus reichen Kindern reiche Eltern. Das ist auch in Österreich so.

Die Schere geht auf

Die Unterschiede zwischen Arm und Reich haben sich in den letzten Jahren weiter verstärkt. So ist der Lohnanteil der am wenigsten verdienenden 20 Prozent der Bevölkerung um acht Prozent gesunken, während die obersten 20 Prozent der ArbeitnehmerInnen um weitere sechs Prozent mehr vom Lohnkuchen bekommen. Besonders krass ist die Ungleichverteilung beim Vermögen, also beim Besitz von Sachvermögen wie Immobilien und Autos sowie beim Finanzvermögen wie Aktien, Anleihen, Firmenbeteiligungen.
Wäre Österreich ein Land mit 1.000 EinwohnerInnen, würde einem davon ganz allein mehr als ein Drittel des gesamten Vermögens gehören, während sich die restlichen 999 den Rest teilen müssten. Und auch unter ihnen gibt es gravierende Unterschiede. Denn die ärmere Hälfte, also immer noch 500 Personen, besitzt miteinander weniger als drei Prozent des gesamten Vermögens. Das ärmste Drittel, über 300 Leute, hat sogar gar kein Vermögen, auch kein Sparbuch mit einem Reservetausender für den Notfall. Fast die Hälfte von ihnen muss auch mit einem Einkommen auskommen, das unter der Armutsgrenze liegt. Das bedeutet für mindestens 50 von ihnen – also für jene fünf Prozent, die von manifester Armut betroffen sind –, dass sie mit massiven Einschränkungen im Alltag leben müssen, also dass sie etwa in einer kleinen, schlechten, oft sogar gesundheitsschädigenden Wohnung wohnen, sich im Winter das Aufdrehen der Heizung nicht leisten können, kein Obst für die Schuljause haben, den nötigen Zahnarztbesuch immer wieder verschieben müssen oder mit der Miete in gefährlichen Rückstand kommen. Es bedeutet auch, immer mehr an Kontakten zu verlieren, weil man sich für die eigene Situation schämt und es sich zudem nicht mehr leisten kann, Verwandte oder FreundInnen gelegentlich zu sich nach Hause einzuladen und zu bewirten1.

Ungleichheit ist kein Naturereignis

Die ungleiche Verteilung von Einkommen, Vermögen und damit Lebenschancen ist jedoch kein Naturereignis. Sie ist menschengemacht, und sie zu verändern, liegt in reichen Ländern wie Österreich allein am politischen Willen der EntscheidungsträgerInnen. Was sozioökonomische Ungleichheit aber mit einer Naturkatastrophe gemein hat, ist der massive Schaden, den sie anrichtet. Ein Schaden, der – ähnlich wie ein Wirbelsturm oder eine Überschwemmung – nicht nur die Ärmsten trifft, sondern ganze Gesellschaften zerstört. Kriminalität, Drogenkonsum, Teenager-Schwangerschaften, Depressionen, Fettsucht, all diese und weitere Probleme nehmen zu, je ungleicher die ökonomische und soziale Lage in einem Land ist. Das haben unzählige Studien der letzten Jahrzehnte bewiesen. Die britischen Ungleichheits- und GesundheitsexpertInnen Richard Wilkinson und Kate Picket haben die Ergebnisse vor einigen Jahren in einem Buch zusammengefasst und kommen in ihren Analysen zu dem Schluss, dass Gesellschaften mit gerechter Verteilung fast in jeder Beziehung besser sind. Denn Wirtschaftswachstum und die Zunahme an Reichtum bringen wenig, wenn dieser Reichtum nicht gerecht verteilt wird. Je größer die Einkommensdifferenzen zwischen dem obersten und dem untersten Fünftel der Gesellschaft, desto größer die AnalphabetInnenrate und die Kriminalität. Depressionserkrankungen sind in den USA dreimal so häufig wie im sozial weit weniger gespaltenen Belgien, in Großbritannien sind Teenager-Schwangerschaften fünfmal so häufig wie in Schweden oder den Niederlanden.
Das gilt auch für Zeiten der Krise, auch wenn mit Verweis auf fehlendes Wirtschaftswachstum und zunehmende Krisenszenarien von PolitikerInnen und Medien hartnäckig darauf verwiesen wird, dass wir uns höhere Steuern und noch mehr Sozialausgaben schlicht nicht mehr leisten könnten und sparen müssten. Ein Blick auf Studien und Erfahrungen, gerade auch im Umgang mit Krisen, zeigt deutlich, dass Einsparungen im Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und im Infrastrukturbereich auch und gerade in Zeiten der Krise kontraproduktiv wirken, nicht zuletzt deshalb, weil sie die Ungleichheit verschärfen.
Erhebungen zu Lebensqualität und Wohlergehen von Menschen belegen, dass die Zunahme an Reichtum ab einer gewissen Grenze das eigene Lebensglück kaum mehr erhöhen kann. Im Gegenteil mehren sich sogar die Zeichen, die deutlich machen, dass eine bestimmte Art des Überflusses unglücklich und krank macht. „Affluenza“ nennt der britische Bestsellerautor Oliver James diesen „Virus“, den er als Ausfluss eines egoistischen Kapitalismus sieht, der sich in übersteigerter Bedeutung von Geld, Besitz, Erscheinungsbild und Status äußert. Wohlfühlen und Lebensglück – das bestätigen wohl auch unsere eigenen Erfahrungen – haben hingegen mehr mit Zufriedenheit denn mit Überfluss oder gar der Gier nach immer mehr zu tun.

Möglichkeiten und Bedingungen

Die notwendigen materiellen Grundlagen für ein Leben in Würde und Freiheit müssen freilich gegeben sein, also etwa existenzsichernde Mindestlöhne und Sozialleistungen, gute und leistbare Wohnungen, Bildungsmöglichkeiten, Gesundheitsversor-gung und -vorsorge, öffentlicher Verkehr, qualitätsvolle Kinderbetreuungseinrichtungen. Dabei geht es letztlich nicht darum, was Menschen haben, sondern vielmehr darum, was sie tun und sein können. Es geht also um unsere Möglichkeiten und um die Bedingungen, die es braucht, um diese Möglichkeiten auch in die Realität umsetzen zu können. Auch eine gleiche Startposition bringt nicht viel, wenn der weitere Lebenslauf voller Hindernisse ist und uns z. B. im Schulsystem und am Arbeitsmarkt gravierende Ungleichheiten erwarten.
Materielle Grundlagen wie die oben genannten sind eine wichtige Voraussetzung für ein gelingendes, glückliches Leben, es geht aber auch um Anerkennung, Gestaltungsmöglichkeiten und Zugehörigkeit. Es geht um die Möglichkeit, für sich selbst zu sprechen, politische und ökonomische Rahmenbedingungen und damit auch das gesellschaftliche Miteinander mitzubestimmen, um Gelegenheit für Erholung, für Sport, Spiel und Muße und nicht zuletzt um Zeit für Beziehungspflege und die Möglichkeiten, achtsam und gut miteinander zu leben und füreinander zu sorgen.
Studien zeigen, dass all dies in Gesellschaften mit gleicher Verteilung besser funktioniert. Sie machen deutlich, dass nicht nur die untersten Einkommensschichten profitieren, sondern es auch den Mittelschichten und der Gesellschaft insgesamt besser geht, je gleicher Einkommen und Vermögen verteilt werden. Bildungsergebnisse und Lebenserwartung sind in den Gesellschaften mit gerechter Verteilung sogar für die obersten Einkommensschichten besser. Umwelt- und Klimabelastungen sind niedriger, Stressbelastung und Depressionen geringer, das Vertrauen zueinander deutlich höher. Kurz: Es sind die Voraussetzungen für ein gutes Leben für alle gegeben.

Internet:
Weitere Informationen zu Armut, Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit:
www.armutskonferenz.at
www.wege-aus-der-krise.at

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1 Quellen: www.jahoda-bauer-institut.at; www.armutskonferenz.at

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Michaela Moser, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805461 Gesellschaften mit gerechter Verteilung sind fast in jeder Beziehung besser, denn dort sind die Voraussetzungen für ein gutes Leben für alle gegeben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895807077 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805454 Wachstumsbremse Ungleichheit Henry Ford II, der Enkel des gleichnamigen Autofabrikanten und Firmengründers, soll einst den Gewerkschaftsführer Walter Reuther durch seine neu automatisierte Fabrik geführt haben. Der Unternehmer fragte provokant: „Und, Walter, wie bringst du all die Roboter jetzt in die Gewerkschaft?“ Der Gewerkschafter konterte: „Henry, wie bringst du sie denn dazu, dass sie deine Autos kaufen?“ Sein Großvater Henry Ford – umstritten durch seine antisemitischen Schriften und Verbindungen zu den deutschen Nationalsozialisten – bewies mehr Verständnis für den Wirtschaftskreislauf. Er war der Überzeugung, dass nur eine große Nachfrage nach seinen Autos Geld ins Unternehmen spült. Ford hob die Löhne an, um den Arbeitern den Kauf der vom Fließband rollenden Neuwagen zu ermöglichen. Ford wurde damit zum Namensgeber für die blühende Phase des Kapitalismus der Nachkriegszeit, die von Massenproduktion und -konsum geprägt war: dem Fordismus. Die Nachfrage nach Konsumgütern trieb den schöpferischen Kreislauf von Produktion, Wirtschaftswachstum, Beschäftigungszunahme und Einkommenszuwachs an, der den Lebensstandard breiter Bevölkerungsteile sicherstellte.

Realwirtschaft schwächelt

Wenn der Konsum bei sinkenden oder gar wegbrechenden Einkommen allerdings rückläufig ist, gerät der Wirtschaftsmotor ins Stocken. Die Anekdote vom Autofabrikanten und dem Gewerkschafter zeigt, dass beispielsweise die Ablöse menschlicher durch maschinelle Arbeitskraft einen Einkommens- und Nachfragerückgang bewirken kann. Aber auch ein aggressives Profitstreben von Unternehmen und starker Druck auf die Löhne von ArbeitnehmerInnen wirken sich negativ auf die Konsummöglichkeiten der breiten Bevölkerung aus. Beanspruchen die UnternehmerInnen ein zu großes Stück des Kuchens für sich, berauben sie sich dadurch auch der eigenen Absatzmöglichkeiten.

Sinkende Lohnquote

Nichtsdestotrotz wird das Kuchenstück auch für österreichische ArbeitnehmerInnen seit den 1980er-Jahren immer kleiner, die Lohnquote sinkt im langfristigen Trend. Zudem wächst die Ungleichheit innerhalb der Gruppe der Lohnabhängigen zwischen einigen wenigen SpitzenverdienerInnen und der großen Mehrheit.
Vor allem Personen in Teilzeit oder prekärer Beschäftigung mussten im vergangenen Jahrzehnt sogar Reallohneinbußen hinnehmen. Es wird somit für viele Menschen immer schwieriger, ihren Lebensstandard durch ihr laufendes Einkommen zu halten oder sogar auszubauen. Wenn aber durch die steigende Ungleichheit die Kaufkraft großer Bevölkerungsteile schwindet, drohen die Unternehmen auf ihren Produkten sitzen zu bleiben. Die Profitlogik, die auf niedrige Löhne pocht, steht im Widerspruch zu einem Wirtschaftswachstum, das auf Massenkonsum basiert.
Um diesem Nachfragemangel zu begegnen, verfolgte die Wirtschaftspolitik zwei Strategien, die sich in den vergangenen Jahren aber als nicht nachhaltig herausstellten. Zum einen wurde versucht, mittels großzügiger Kreditvergabe die sinkende Kaufkraft über erhöhte Verschuldung auszugleichen. Vor allem die USA gelten als Beispiel, wie die Nachfrage der privaten Haushalte und damit das Wirtschaftswachstum über die Aufnahme von Schulden vorübergehend stabilisiert wurde. Allerdings zeigten sich die Auswirkungen dieses Wachstumsmodells an der massiven Überschuldung vieler Haushalte in der aktuellen Krise.
Als alternative Lösung vernachlässigte die Wirtschaftspolitik in einigen Ländern weitgehend die heimische Nachfrage und setzte auf den Konsum des Auslands. Dieses exportgetriebene Wachstumsmodell verfolgten Deutschland und eingeschränkt auch Österreich, die sich durch Lohnzurückhaltung und Nachfrageschwäche im Inland auszeichneten. Auch dieses Modell wurde durch die Krise auf die Probe gestellt, denn die ausgeprägte Exportorientierung trägt eine Teilschuld an den starken Ungleichgewichten zwischen den europäischen Staaten.

Finanzmärkte boomen

Vor diesem Hintergrund der schwachen Nachfrage der lohnarbeitenden Mittelschicht treffen große Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen, denn ihr Kapital soll möglichst profitabel eingesetzt werden. Die kriselnden Absatzmärkte lassen eine Investition an den Finanzmärkten oft lukrativer erscheinen als die traditionelle Güterproduktion. So betreiben Industriegiganten wie Volkswagen oder Siemens Finanzsparten erstaunlicher Größe und erhöhen die Gewinne abseits ihres Kerngeschäfts in der Realwirtschaft. Die in wenigen Händen konzentrierten Finanzvermögen von Hedgefonds und Superreichen, die an den Kapitalmärkten Renditen jagen, fallen aber deutlich mehr ins Gewicht.
Die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte sowie die explosionsartige Verbreitung neuer Finanzinstrumente bezeugen die rasch zu-nehmende Bedeutung der Kapitalmärkte für Spekulation, große Bankenpleiten sind die Mahnmale der darauffolgenden Finanzkrise. Denn die Begleiterscheinungen dieser zügellosen Suche nach Profiten sind Instabilität und Blasenbildung an den Finanzmärkten, die sich jüngst mit voller Wucht auf die Realwirtschaft durchgeschlagen haben. Es waren die stark konzentrierten Finanzvermögen und nicht die kleinen SchuldnerInnen, die in der jüngsten Krise den großen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet haben.

Verschärfte Verteilungssituation

Die tiefe Krise hat zu einer zusätzlichen Verschärfung der Verteilungssituation beigetragen, die einen Aufschwung erschwert. Denn während die ArbeitnehmerInnen die Auswirkungen steigender Arbeitslosigkeit, niedriger Einkommen und drohender Einsparungen im Wohlfahrtsstaat spüren, werden die großen Vermögen nur unzureichend zur Finanzierung der Krisenbewältigung herangezogen. Die angespannte Wirtschaftslage, gepaart mit dem Verteilungsproblem, beunruhigt viele. „Die Zukunfts- und Jobsorgen der privaten Haushalte sorgen weiterhin für Konsumzurückhaltung, Unternehmen investieren wenig und auch die Staaten zügeln ihre Ausgaben“, stellt der Verteilungsexperte Stefan Humer vom WU-Forschungsinstitut „Economics of Inequality“ fest.

Umorientierung nötig

Wenn nun also Ungleichheit zu Wachstumsschwäche führt, kann der Kampf gegen Ungleichheit das Wirtschaftswachstum antreiben? Diese Frage ist in der Wirtschaftswissenschaft umstritten. Die neoliberale Mainstream-Ökonomie pflegt das Argument, dass Umverteilung von oben nach unten die Anreize für Investitionen und Beschäftigung verringert und damit schädlich für Wachstum ist.
In den vergangenen Jahren werden aber Stimmen in der OECD und sogar im Internationalen Währungsfonds (IWF) lauter, die Umverteilung und Wachstum nicht im Widerspruch sehen. „Alles in allem zeigen unsere Resultate, dass die Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen schlecht für Wachstum ist und dass Umverteilung im schlimmsten Fall neutral auf Wirtschaftswachstum wirkt“, heißt es im neuen OECD-Bericht „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“.
Folgt man diesen Ausführungen, sind eine gleichere Verteilung und Wirtschaftswachstum mittels sinnvoller Steuer- und Transferpolitik gemeinsam erreichbar. Während manche ÖkonomInnen eine Rückkehr in das fordistische Zeitalter für möglich halten, bleiben andere skeptisch, ob der industrielle Kapitalismus nochmals eine blühende Phase erleben wird. Denn das auf Massenkonsum basierende Wirtschaftssystem florierte in Europa in einer außergewöhnlichen historischen Periode, der die massive Zerstörung der Weltkriege voranging.

Neue Wertigkeiten

Heute stellt sich die Frage, ob Wirtschaftswachstum im Spannungsfeld von ökologischen und sozialen Konsequenzen überhaupt im Zentrum der Wirtschaftspolitik stehen soll. Es geht nicht um die Debatte „Wachstum ja oder nein“, sondern um eine Umorientierung der Wertigkeiten in der Gesellschaft. Deshalb ist eine gerechtere Verteilung der ökonomischen Ressourcen nicht vorrangig als Bedingung für Wirtschaftswachstum, sondern als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und gute Lebensbedingungen für die breite Bevölkerung zu sehen.

Internet:
OECD-Studie „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“:
tinyurl.com/ppovctc

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Matthias Schnetzer, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805448 Henry Ford hob die Löhne seiner ArbeiterInnen an, um ihnen den Kauf der vom Fließband rollenden Neuwagen zu ermöglichen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805440 Aufklärung der großen Masse Die junge österreichische Arbeiterbewegung der 1860er-Jahre war ein bunter Haufen und die ersten gewerkschaftlichen Fachvereine bildeten da keine Ausnahme. Sie hatten sehr unterschiedliche Ideen darüber, wie eine gerechtere Gesellschaft erreicht werden könne. In einem aber waren sich alle einig: Sie hielten die Ungleichheit beim Zugang zu Bildung, das Vorenthalten von Bildungschancen für ein entscheidendes Hindernis auf dem Weg dorthin. Arbeiterbildungsvereine versuchten diese Barriere, die für die überwiegende Mehrheit der Menschen bestand, zu durchbrechen. Im Vorwort zum ersten Jahresbericht des 1869 gegründeten Linzer Arbeiterbildungsvereins hieß es dazu:

Seit Jahrhunderten liegt die Arbeit in den … Banden der Unwissenheit … Die Schule, … ist der Mehrzahl der Arbeiter verschlossen, muss ja doch schon das kaum dem zartesten Kindesalter entwachsene Arbeiterkind dafür sorgen, seinen Eltern das zum Leben Nötigste verdienen zu helfen; in einem Alter, wo das Gemüt, das Herz so weich, so bildsam ist, dass jeder äußere Eindruck sich dauernd einprägt, wird es zur Maschine hingestellt, um selbst Maschine zu werden; … Da hat des Arbeiters Kind keine Gelegenheit, sich Kenntnisse anzueignen, wenn es durch die Not gezwungen ist, statt zur Schule zur schweren Arbeit zu gehen, da hat es keine Zeit, sich Bildung anzueignen, wenn es nach hartem Tagwerk todmüde gehetzt heimkömmt, denn es verlangt da die Natur ihr gebieterisches Recht, den Schlaf …
Wohl ist es nicht das Schicksal aller Arbeiterkinder, aber doch des größten Teils derselben …; es gibt Kinder der arbeitenden Klasse, die es bis zu höchsten Ehrenstellen des Staates gebracht, aber umso trauriger, wenn an den Schwellen der Paläste solcher aus der Arbeiter-Klasse hervorgegangenen Würdenträger die weniger vom Glück begünstigte Menge des Volkes vergebens den Ruf nach Gleichberechtigung, nach Bildung erschallen lassen muss ….
Aber wenn auch die Verhältnisse des Arbeiterstandes heute noch sich in Nichts gebessert haben, so hat sich doch in dem die Situation geklärt, dass der Arbeiter zum Bewusstsein seiner Menschenwürde, zum Bewusstsein seiner Lage gekommen ist, … Gleich, als die ersten freiheitlichen Morgenstrahlen nach langer Nacht auf unser Vaterland fielen, da begannen aller Orts Gründungen von Arbeiter-Bildungsvereinen; die Arbeiter, einsehend, dass sie ein fest zusammenhängendes Ganzes bilden müssten, um ihr Ziel zu erringen, scharten sich zusammen, um in sich selbst jenen Halt zu finden, den sie bei den höher stehenden Schichten nicht gefunden. … Es ist jetzt dem Arbeiter die Gelegenheit geworden, sich jenen Grad der Bildung anzueignen, den die bevorzugten Stände bisher vor ihm voraus hatten, …
Und ob nun diese Vereine die Prinzipien Lassalles oder Schulze-Delitzschs zu den ihrigen gemacht, ob die Parteien sich Lassalleaner im Allgemeinen oder Schweitzerianer, Hatzfeldtianer, und wie sie sonst heißen mögen, … nennen; sie alle verfolgen nur ein Ziel: die Freimachung des Arbeiterstandes von den Fesseln des Großkapitals, die Aufklärung der großen Masse.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805392 AK und ÖGB: Neues Institut an der Wirtschaftsuni erforscht </br>Un­gleich­heit Die Suche nach den Ursachen und Auswirkungen der steigenden Ungleichverteilung von Arbeits-, Einkommens-, Vermögens- und Lebenschancen hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der bedeutendsten Forschungsgebiete der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften entwickelt. Zugleich ist dieser Themenbereich auch in den Fokus internationaler Organisationen wie OECD, IMF und Weltbank gerückt. Der beeindruckende Erfolg von Thomas Pikettys Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zeigt auch, dass die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft nun auch in der breiten Bevölkerung auf gesteigertes Interesse stoßen.
Doch warum sollte man sich überhaupt aus einer wissenschaftlichen Sichtweise verstärkt mit einem politisch und ideologisch so aufgeladenen Thema beschäftigen? Zum einen erzeugt gerade die hitzige Diskussion, die oft vorschnell entweder als Neiddebatte oder Klassenkampf diskreditiert wird, die Nachfrage nach Analysen und Zahlenmaterial, um Ungleichheit in ihren verschiedenen Facetten und auch Widersprüchlichkeiten zu beschreiben. Es setzt sich aber auch verstärkt die Ansicht durch, dass die ungleiche Verteilung von ökonomischen Ressourcen auch Auswirkungen auf viele andere Bereiche der Gesellschaft hat.

So betonen beispielsweise Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem Buch „Gleichheit ist Glück“ den negativen Zusammenhang von Ungleichheit mit physischer und mentaler Gesundheit, Kriminalität und den Lebensbedingungen von Kindern. Dazu passend zeigt James Heckman, dass die unterschiedliche Förderung von kognitiven und sozialen Kompetenzen im frühkindlichen Alter nur mehr schwer aufzuholen ist und sich im weiteren Leben stark auswirkt.
Und erst kürzlich betonte die OECD, dass – anders als dies bisher zahlreiche ÖkonomInnen argumentierten – Ungleichheit auch negative Auswirkungen auf die Wachstumspotenziale von entwickelten Gesellschaften haben kann.
All diese Punkte zeigen jedoch auch den großen weiteren Forschungsbedarf zu den Ursachen und Konsequenzen von Ungleichheit auf. Das neue Forschungsinstitut mit dem Namen Economics of Inequality (kurz: INEQ) setzt sich zum Ziel, gesellschaftliche Ungleichheit in ihren vielschichtigen Facetten zu analysieren.
Der inhaltliche Fokus liegt hierbei in der Aufbereitung von Daten und Fakten zu Armut und Reichtum, Einkommens- und Vermögensverteilung sowie der sozialen Mobilität zwischen den Generationen. Dabei steht der ungleiche Zugang zu Umweltressourcen und -rechten ebenso im Zentrum der Untersuchungen des Instituts wie die Implikationen und Herausforderungen für den öffentlichen Sektor und seine Budgets auf nationaler sowie internationaler Ebene.

INEQ ist ein interdisziplinäres Projekt von volkswirtschaftlichen und sozioökonomischen WissenschafterInnen. An beiden Departments wird seit mehreren Jahren Forschung zu ökonomischen, sozialen und ökologischen Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung betrieben.
Unter der Leitung von Wilfried Altzinger, Sigrid Stagl und Karin Heitzmann forscht ein sechsköpfiges Team, das aus unterschiedlichen Disziplinen und Forschungsbereichen kommt und so einen differenzierten Blick auf das Thema Ungleichheit gewinnen will.
Das Forschungsinstitut wird begleitet durch ein Scientific Board, das die wissenschaftliche Qualität evaluiert, welchem große Namen wie Tony Atkinson, Giacomo Corneo und Josef Zweimüller angehören.
Obwohl das Institut erst kürzlich gegründet wurde, laufen die Forschungsarbeiten bereits auf Hochtouren: Aktuell verwendet die ForscherInnengruppe die Vermögensdaten der Österreichischen Nationalbank, um beispielsweise die Eigenschaften von reichen Haushalten zu analysieren oder die unterschiedlichen Effekte von Steuern auf Arbeit und Kapital auf das Wirtschaftswachstum zu quantifizieren. Parallel dazu werden erstmals die Daten der Sozialversicherung dazu verwendet, die langfristige Einkommensungleichheit zu erforschen. Dieses Forschungsvorhaben dreht sich speziell um die Frage, ob jüngere Generationen höhere Einkommensungleichheit aufweisen als ältere.
Im Allgemeinen setzt sich das Team des Forschungsinstituts zum Ziel, durch verstärkte nationale und internationale Forschungskooperationen sowie durch einschlägige Fachveranstaltungen ein Forschungsnetzwerk für soziale, wirtschaftliche und ökologische Ungleichheiten in Österreich zu etablieren. Ein besonderes Interesse gilt dabei der breiten Diskussion der Forschungsergebnisse mit der interessierten Öffentlichkeit.
Das Institut wird am 18. September um 14 Uhr im Festsaal 2 der WU eröffnet.

Mehr Infos unter:
www.wu.ac.at/ineq

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Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805334 AK und ÖGB: Masterplan für Industrie nötig „Wir brauchen einen Masterplan zur Stärkung des Industriestandorts Österreich. Die Zukunftschancen der heimischen Industrie liegen in qualitativ hochwertiger Produktion und Innovationsförderung und nicht in Lohn- und Sozialdumping auf Kosten der Beschäftigten“, so ÖGB-Präsident Erich Foglar. Gemeinsam mit AK-Präsident Rudi Kaske übergab er am 23. Juni der Regierung ein Positionspapier von AK und ÖGB für eine neue Industriepolitik.
ÖGB und AK wissen als Vertretung der ArbeitnehmerInnen am besten, dass man sich „angesichts der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt und der Herausforderungen, die mit der Industrie 4.0 ins Haus stehen, nicht zurücklehnen kann“, betonte Kaske. Im Masterplan müssen neben Investitionen zur Standortsicherung auch die schulische und berufliche Bildung sowie die Schaffung eines fairen internationalen Wettbewerbs enthalten sein, also etwa die Bekämpfung des internationalen Steuerdumpings.
„Notwendig sind etwa Investitionen in öffentliche Infrastruktur, Forschung und Bildung sowie eine Stärkung strategischen österreichischen Eigentums. So kann der Standort für künftige Generationen gesichert werden“, so Foglar. Im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ forderte Foglar, dass die neue Industrieholding des Bundes, die ÖBIB, keine Privatisierungsagentur sein dürfe: „Wenn wir Schlüsselunternehmen nicht in Österreich halten, werden wir es mit Arbeitsplätzen sehr schwer haben.“ Das Negativbeispiel sei die Telekom, die nicht mehr in österreichischer Hand ist.

Das Papier zum Download:
tinyurl.com/nfvde7q

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Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805305 Fun & Action Mehr als 5.000 Lehrlinge, SchülerInnen und interessierte Jugendliche traten Ende Mai in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an. Die sportlichen Highlights reichten von klassischen Sportarten wie Fußball und Volleyball über den Fitnesstrend Zumba bis hin zu Selbstverteidigung oder Slackline. Bereits seit 1966 ist der Jugendsporttag eine fixe Institution am Stundenplan von BerufsschülerInnen, Lehrlingen und natürlich auch bei allen anderen jungen ArbeitnehmerInnen. „Mit dem Jugendsporttag gibt es zumindest einmal im Jahr die Möglichkeit, während ihrer Lehr- und Arbeitszeit verschiedene Sportarten auszuüben“, sagte Ali Dogan, Vorsitzender der Wiener Gewerkschaftsjugend.
Derzeit gibt es in den Berufsschulen kein Sportangebot und auch die Betriebe setzen nicht ausreichend auf Bewegung. Im Jahr 2014 zeigte eine Studie, dass Lehrlinge häufiger als SchülerInnen körperliche Beschwerden wie Kopf-, Kreuz- oder Rückenschmerzen sowie Erschöpfung und Mattigkeit haben, die oftmals auf die Arbeit zurückzuführen sind. „Sportunterricht muss an allen Berufsschulen eingeführt werden“, forderte der Wiener ÖGJ-Jugendsekretär Sumit Kumar. „Aber auch die Arbeitgeber sind gefragt: Sie sollten ihren Lehrlingen sportliche Freizeitaktivitäten anbieten.“
Im Sportzentrum des Wiener ASKÖ-Landesverbandes (WAT) in Wien-Brigittenau fanden sich auch zahlreiche Ehrengäste ein: unter ihnen ÖGB-Vizepräsidentin Renate Anderl und AK-Präsident Rudi Kaske.

Mehr Infos unter:
www.jugendsporttag.at

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Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805318 Der Jugendsporttag bietet Abwechslung und Außergewöhnliches: Funsportstationen waren der "Riesenwuzzler", Rodeo oder der Flying Fox. Man konnte eine Runde Schwerelosigkeit im Astronautentrainer drehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805323 Die besten Teams wurden auch prämiert. ÖGB-Vizepräsidentin Renate Anderl freute sich mit den Gewinnern. Die Jugendlichen und Lehrlinge haben extra für die Veranstaltung einen freien Tag bekommen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805289 Standpunkt | Solidarische Gemeinschaft? „Menschen lassen sich nun mal nicht gerne etwas wegnehmen, worauf sie ein Recht zu haben glauben.“ Diesen Satz las ich kürzlich in einem Beitrag im profil, in dem sich die Autorin polemisch mit dem Sozialstaat Österreich beschäftigte. Dass man ausgerechnet bei jenen die Gelder kürzen will, die ohnehin schon wenig haben, ist verwunderlich. Noch verwunderlicher wird dies, wenn man sich genauer ansieht, wie es um Verteilungsgerechtigkeit in Österreich bestellt ist.

Vermögen bescheiden besteuert

Österreich zählt zu den Ländern, in denen das Vermögen sehr stark in den Händen weniger konzentriert ist: Allein die reichsten zehn Prozent verfügen über zwei Drittel des gesamten Haushaltsvermögens. Die Steuern auf Vermögen hingegen sind in Österreich sehr bescheiden. Dass sich die ÖVP vehement gegen die Einführung von Vermögenssteuern wehrt, könnte man von daher ebenfalls mit dem Kommentar quittieren: Wer hat, gibt eben nicht gerne etwas davon her. Nur gibt es gute Gründe dafür, dass die Vermögendenden einen größeren Beitrag leisten. Der wichtigste lautet, dass die ArbeitnehmerInnen schon bisher den Löwenanteil der Krisenkosten übernommen haben, während die Vermögenden einen deutlich geringeren Beitrag geleistet haben.
„Aber Österreich verteilt doch stark um“, wenden nun manche ein. Allerdings sind Einkommen in Österreich nicht so stark konzentriert wie Vermögen.
Die Umverteilung scheint also in erster Linie über die Einkommen stattzufinden, nicht aber über die Vermögen. Genau das aber ist nicht verständlich: Warum sollte ein Einkommen, das auf der aktuellen Arbeitsleistung der jeweiligen Person basiert, stärker besteuert sein als eines, das auf Erbschaften und damit auf die Leistungen von vorherigen Generationen zurückgeht? Grund genug also dafür, dass die Verteilungsdiskussion ganz oben auf die tagespolitische Tagesordnung gehört.
Was die globale Verteilung betrifft, so stellt sich die Frage, inwieweit Österreich als reiches Land seiner Verantwortung im Hinblick auf die weltweite Ungleichheit nachkommt. In der kleinen niederösterreichischen Stadt Traiskirchen kann derzeit die ganze Weltöffentlichkeit beobachten, dass es dieser nicht gerecht wird. 70.000 Flüchtlinge seien „eine sehr hohe Zahl für ein Acht-Millionen-Land“, meinte kürzlich etwa Außenminister Sebastian Kurz.
Nun ist das brennendste Problem im Moment nicht die Anzahl, sondern die Unterbringung dieser Menschen: Während sie in Traiskirchen zur Obdachlosigkeit gezwungen werden, stehen andernorts Unterkünfte leer. Doch auch die Zahl darf für ein reiches Land wie Österreich kein Problem, sondern nur eine Herausforderung sein, die es zu bewältigen gilt. Immerhin sind ÖsterreicherInnen nur per Zufall hier geboren. 
Sieht man aber auch hier genauer hin, muss man feststellen: Weltweit gesehen leben neun von zehn Flüchtlingen in Entwicklungsländern. Die meisten Flüchtlinge finden im Übrigen im eigenen Land Zuflucht, die nächstgrößere Gruppe flüchtet ins Nachbarland. So auch im Falle der Syrien-Flüchtlinge: Rund 1,2 Millionen SyrierInnen leben nun im Nachbarland Libanon – dieses hat 5,9 Millionen EinwohnerInnen. Umgerechnet also hat der Libanon fast ein Fünftel der eigenen EinwohnerInnen als Flüchtlinge aufgenommen. Zugleich hat dieses kleine Land mit internen Konflikten zu kämpfen und verfügt bei Weitem nicht über die Wirtschaftskraft Österreichs.

(Ver-)Teilen

Die Unterstützung, die im Moment die Zivilgesellschaft den Flüchtlingen in Traiskirchen zukommen lässt, zeigt vor allem eines: Wer hat, teilt auch gern. Es ist das Konzept der solidarischen Gesellschaft. Diese darf aber nicht vom ehrenamtlichen Engagement oder der Mildtätigkeit einzelner abhängen.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895805029 Umweltschädling Ungleichheit Bewusst konsumieren, Müll vermeiden, Ressourcen schonen – all das fällt unter den Begriff Nachhaltigkeit. Eine wachsende Zahl an KonsumentInnen will diese Ziele in ihren Lebensalltag integrieren und achtet beim Einkauf auf regionale Produkte oder kauft lieber auf lokalen Märkten statt in großen Lebensmittelketten.
Viele lassen sich allerdings von vermeintlich höheren Ausgaben abschrecken: Bio da, Fairtrade dort – auf den ersten Blick scheint nachhaltiger Konsum teuer und damit unerschwinglich. „Es stimmt schon, dass Bio- oder Fairtrade-Produkte in den meisten Fällen mehr kosten“, sagt Ludger Heidbrink, deutscher Philosoph mit Forschungsschwerpunkt Klimawandel und Nachhaltigkeit. Er gibt jedoch zu bedenken: „Durch bewussten Konsum lässt sich auch wieder Geld einsparen – etwa indem ich mir immer wieder die Frage stelle: ‚Brauche ich das wirklich?‘“

Nachhaltigkeit versus Konsum

Heidbrink bringt es auf den Punkt: Nachhaltiger Konsum muss nicht zwangsläufig teuer sein. Hochwertige Produkte lassen sich durch den Verzicht auf andere ausgleichen. Wer sich etwa dafür entscheidet, weniger Fleisch zu essen, kann sich dafür das eine oder andere Stück in Bio-Qualität leisten. Auch durch den Kauf von hochwertigen, langlebigen Produkten lässt sich langfristig Geld einsparen. Und die sogenannte Sharing Economy, bei der das Tauschen und Teilen von Produkten und Dienstleistungen – Beispiel Carsharing – im Vordergrund steht, hilft gerade einkommensschwächeren Familien. Verzichten zu müssen kann in unserer konsumorientierten Gesellschaft allerdings zum Nachteil werden. Laut einer Studie der Wiener Arbeiterkammer müssen sozial benachteiligte Gruppen oft aus finanziellen Gründen ihren Konsum reduzieren. Das zieht zwar einen geringeren Ressourcenverbrauch nach sich, kann aber zu sozialem Ausschluss führen.

Belastende Alltagsfahrten

Sind also gut verdienende Bevölkerungsgruppen, die sich nachhaltigen Konsum leicht leisten können, besser für die Umwelt? Wie eine Studie des VCÖ aus dem Jahr 2009 zeigt, stimmt diese Vermutung nicht. Ein österreichischer Haushalt des obersten Einkommensviertels erzeugt demnach fast viereinhalbmal so viele CO2-Emissionen wie ein Haushalt des untersten Einkommensviertels, und zwar durch Alltagsfahrten mit Auto und öffentlichem Verkehr (Flugreisen sind in dieser Rechnung nicht berücksichtigt).
Die britischen SozialforscherInnen Richard Wilkinson und Kate Pickett kommen in ihrem Buch „Gleichheit ist Glück“ zu dem Schluss, dass Ungleichheit in ökologischer Hinsicht problematische Auswirkungen hat. Wilkinson und Pickett zufolge erhöht soziale Gleichheit das Gefühl der Verantwortlichkeit zwischen den Menschen, was tendenziell auch zu mehr Umweltbewusstsein führt. Ihre Forschungen legen nahe, dass soziale Ungleichheit die Beziehung des Menschen nicht nur zur Gesellschaft, sondern zur Welt im Allgemeinen verschlechtert. So schneiden Länder mit großer Ungleichheit etwa beim Abfallrecycling schlechter ab als Länder mit gerechterer Aufteilung. Staaten mit größerer Einkommensgerechtigkeit geben einen höheren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe aus. Auch im Rahmen des Forschungsprojekts „Feasible Futures“ des Österreichischen Klima- und Energiefonds wurden Belege einer negativen Umweltwirkung von sozialer Ungleichheit erbracht.

Gleichheit schont Umwelt

Ein Beispiel ist der Anteil von Radfahrten gemessen in Kilometern pro Person und Jahr im Vergleich zu anderen Fahrten: je größer die Einkommensgerechtigkeit, desto höher ist die Bedeutung des Radfahrens, und zwar unabhängig vom Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in einem Land. „Umgekehrt hängt auch die Kfz-Dichte stark von der Einkommensverteilung ab: je größer die Gleichheit, desto weniger Kfz“, heißt es in der Studie. Global gesehen herrscht ein großes Ungleichgewicht bei Umweltthemen, etwa beim weltweit wachsenden Fleischkonsum. Während Menschen in China und Indien dem westlichen Vorbild folgend immer mehr Fleisch verzehren, werden in Brasilien große Teile des Regenwaldes für den Sojaanbau gerodet – allein das kleine Österreich importiert jährlich rund 550.000 Tonnen Soja für Tierfutter. 70 Prozent der weltweit gerodeten Regenwaldflächen werden heute für Weiden und die Produktion von Nutztierfutter eingesetzt. Die Folgen für Entwicklungsländer sind schwerwiegend: Je mehr Getreide Bauern für den Futtermittelexport anbauen, desto weniger Produktionsflächen bleiben ihnen für die eigene Nahrungserzeugung.

Ungleiche Klimaerwärmung

Auch der Klimawandel zeigt die wachsende Ungerechtigkeit zwischen reichen und armen Ländern: Die Folgen der Klimaerwärmung, die in erster Linie auf das Konto von Industrieländern wie den USA oder China gehen, haben vor allem Menschen in Entwicklungsländern zu tragen. Diese Länder haben weniger Möglichkeiten als reiche Nationen, durch Schutzmaßnahmen die Folgen klimatischer Veränderungen zu bewältigen. Die afrikanischen Länder trifft der Klimawandel besonders hart: Dürreperioden nehmen zu und die Wüsten weiten sich auf bisher fruchtbare Gebiete aus. Trinkwasser wird immer knapper und die Ernten der Landwirte gehen zurück. In küstennahen Gebieten der Erde tritt das Gegenteil ein: Rund die Hälfte der Bevölkerung Asiens lebt in Küstennähe und ist daher vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht.
Der Weltklimarat IPCC warnt in seinem neuen Sachstandsbericht vor einem Anstieg der Meeresspiegel, der um ein Drittel höher sein wird als bislang prognostiziert. „Während sich die Ozeane erwärmen und Gletscher und Eisdecken schmelzen, wird der globale Meeresspiegel weiter steigen, schneller, als wir es in den letzten 40 Jahren erlebt haben“, sagte Qin Dahe, einer der Autoren des Berichts. Bereits 2008 hat der Präsident des pazifischen Inselstaates Kiribati bei Australien und Neuseeland offiziell um die Anerkennung seiner mehr als 100.000 BürgerInnen als permanente Flüchtlinge angesucht. Der Grund: Der steigende Meeresspiegel wird bis spätestens Ende dieses Jahrhunderts den Inselstaat überflutet haben. Zwei unbewohnte Inseln des Kiribati-Archipels sind bereits im Meer versunken.
Ein voranschreitendes Abschmelzen der Himalaja-Gletscher wiederum stellt für 1,3 Milliarden Menschen in Asien eine Bedrohung dar. Denn diese Gletscher speisen sieben der großen Flüsse Asiens mit Süßwasser und sind damit überlebenswichtig für die Menschen. Hier gilt es zwei Fragen zu beantworten: Wie geht man zunächst mit zu viel Wasser und in weiterer Folge mit zu wenig davon um?

Nachhaltige Entwicklungsziele

Im Jahr 2015 laufen die im Jahr 2000 beschlossenen Millennium Development Goals der Vereinten Nationen aus. Aufbauend auf diesen Entwicklungszielen arbeitet eine Arbeitsgruppe der UNO zurzeit an den Sustainable Development Goals (Nachhaltige Entwicklungsziele). Stand bei den Millenniums-Zielen die soziale Entwicklung im Mittelpunkt, so soll es nunmehr das Thema Nachhaltigkeit sein. Ein wesentlicher Punkt in der Ausgestaltung der Ziele ist die Wahrung von Menschenrechten. Um die Menschen mit den Zielen besser ansprechen zu können, sollen die neuen Ziele zudem eine starke regionale Dimension bekommen.
Zu den Nachhaltigkeitszielen gehören: Sicherung und nachhaltiges Management von Wasser, sanitären Einrichtungen und Abwassersystemen, Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen, der Schutz der Ökosysteme, nachhaltige Nutzung der Forste, Wiederbelebung von unfruchtbarem Land und die Rettung der Artenvielfalt sowie die Sicherung von nachhaltigen Konsum- und Produktionsstrukturen. Insgesamt wurden 17 Ziele formuliert, die auf einem UN-Gipfel in New York kommenden September fixiert werden sollen.

Internet:
AK-Studie „Nachhaltiger Konsum und soziale Ungleichheit“:
tinyurl.com/nuybkcw

Schreiben Sie Ihre Meinung
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oder die Redaktion
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Susanne Wolf, Freie Journalistin und Autorin Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805012 Soziale Gleichheit erhöht das Gefühl der Verantwortlichkeit zwischen den Menschen, was tendenziell auch zu mehr Umweltbewusstsein führt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895805020 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895804997 Hilfe im Gesundheits-Dschungel Ungleichheit macht krank: Gesundheitsstudien zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen schwacher sozioökonomischer Situation und schlechter Gesundheit. Besonders davon betroffen sind MigrantInnen, denn beinahe die Hälfte der eingebürgerten MigrantInnen und 60 Prozent der Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft sind HilfsarbeiterInnen (jeweils Nicht-EU/EFTA). MigrantInnen sind weniger in den Arbeitsmarkt integriert und verfügen häufiger über ein geringes Einkommen als ÖsterreicherInnen. Von daher sollte die Formel adaptiert werden: Ungleichheit macht vor allem MigrantInnen krank.

Inklusive Politik als Grundlage

Die Studie „Migration und Gesundheit“ zeigt insbesondere auf, dass sich der (sozio-)kulturelle Hintergrund indirekt auf die Gesundheit auswirkt. Denn Diskriminierungserfahrungen haben eine Auswirkung auf die psychische Gesundheit, als chronischer Stressfaktor können sie zu körperlichen Beschwerden führen. Diskriminierung könnte über den Umweg der ökonomischen und sozialen Benachteiligung gesundheitsschädigend wirken: Man lebt am Rand der Gesellschaft, ist von Existenzängsten geplagt, krank und leidet an Schmerzen – zögert aber den Weg zum Arzt oder zur Ärztin hinaus.
Josef Wallner, Leiter der AK-Wien-Abteilung Arbeitsmarkt und Integration, setzt auf eine moderne Gesundheitspolitik: „Besonders einbezogen werden sollten jene, die mit weniger Einkommen und Bildung, oft bedingt durch ein hartes Arbeitsumfeld, mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben.“ Eine inklusive Wirtschafts-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sei die Grundlage jeder erfolgreichen Gesundheitspolitik. Denn derzeit nehmen, im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung, Menschen mit Migrationshintergrund das österreichische Gesundheitswesen im niedergelassenen Bereich seltener in Anspruch – besonders Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention. Im Einwanderungsland Österreich betrifft das etwa jeden fünften Menschen, in Wien sogar 40 Prozent. Migrantinnen gehen seltener zur Mammografie-Untersuchung (55 Prozent) als Frauen ohne Migrationshintergrund (70 Prozent). Extreme Unterschiede bei Männern: Die Prostata-Untersuchung nehmen nur 18 Prozent der Migranten, aber immerhin 51 Prozent der Männer ohne Migrationshintergrund wahr.
AK-Experte Wallner hält es für besonders wichtig, dass Praxisprojekte, die der Stärkung von Gesundheitsbewusstsein und Selbsthilfekompetenz zur Überwindung kultureller Schranken dienen, ausgebaut und unterstützt werden. Inzwischen gibt es in Österreich bereits eine Reihe solcher Projekte. „Migrant-Friendly Hospitals“ lautet etwa der Titel eines entsprechenden EU-Projekts. Das Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital ist eines von zwölf Pilot-Krankenhäusern in der EU, in denen erprobt wurde, wie mehr Diversität im Krankenhaus stattfinden kann. Im Jahr 2004 wurden dort zudem folgende Subprojekte durchgeführt: Professionalisierung des Dolmetschwesens im Spital; muttersprachliche Kurse für schwangere Migrantinnen rund um die Geburt; Personal-Kurse zur Überwindung kultureller Schranken und Verbesserung der Kommunikation im Krankenhausalltag.

Prävention stärken

Um Krankheiten im Vorfeld zu vermeiden, will das Projekt „Nachbarinnen in Wien“ die Gesundheitsprävention in MigrantInnen-Communities stärker verankern. Dort werden unter anderem Frauen mit türkischer, arabischer, somalischer und tschetschenischer Muttersprache in einem fünfmonatigen Lehrgang ausgebildet: Nachbarinnen begleiten, unterstützen und helfen bei integrationsfördernden Maßnahmen. Hauptanliegen ist die Förderung der Schulbildung der Kinder sowie Hilfe zur Selbsthilfe. Im Schuljahr 2013/2014 fanden 191 Familien Nachbarinnen-Hilfe.
In Oberösterreich wurden für das „Projekt Nachbarinnen“ 15 Frauen aus zehn Ländern sieben Monate lang für „aufsuchende Familienarbeit im transkulturellen Kontext“ ausgebildet. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich eine umso konkretere Arbeit: Die „Nachbarinnen“ gehen in die Familien, sollen für Partizipation in der Gesellschaft sorgen, Isolation durchbrechen oder Bildung und Gesundheit in der Familie fördern.
Ein Weg zur grenzenlosen Verständigung ist das Volkshilfe-Projekt „MiMi-GesundheitslotsInnen“. Die Kurzform bezeichnet „Mit MigrantInnen für MigrantInnen“. MigrantInnen fühlen sich am ehesten zur Gesundheitsvorsorge motiviert, wenn sie direkt angesprochen werden. Doch neben verschiedenen Zugangsbarrieren sind spezifische Hürden entscheidend.

Sprachbarrieren abbauen

Zu einem tragischen Missverständnis kam es vor zwei Jahren: Eine schwangere Irakerin ohne Krankenversicherung wurde in zwei Wiener Spitälern abgewiesen. Ihre Odyssee endete in Linz. Das Missverständnis: Sie wäre in Wien aufgenommen worden, da sie aber weder Sprache noch den Hausgebrauch kannte, glaubte sie, dass sie nicht behandelt werden würde. Mit der Ausbildung von MiMi-GesundheitslotsInnen in Wien und Oberösterreich will die Volkshilfe seit 2012 diesem riesigen Problem der Fehlkommunikation entgegenwirken. Gesamt wurden 135 HelferInnen (70 Prozent Frauen) ausgebildet – Schulung, Informationsveranstaltungen, Gesundheitswegweiser, Vernetzung und Evaluation gehören dazu. Die meisten LotsInnen (93 in Wien, 42 in Oberösterreich) stammen aus der Türkei, den BKS-Staaten (Bosnien, Kroatien, Serbien) und Gebieten wie Tschetschenien oder der Ukraine.
Das österreichische Gesundheitssystem ist freilich ein umfassender Teil der Ausbildung. Es werden Fragen beantwortet wie: Wie funktioniert das System? Was ist eine E-Card? Wie bekomme ich sie? Wie oft kann ich mit ihr zum Arzt gehen? Was für manche geradezu logisch klingen mag, liegt für Menschen, die in anderen Gesundheitssystemen aufgewachsen sind, nicht immer auf der Hand. Wer der Sprache nicht mächtig ist, wähnt sich da schnell verloren. Darauf nimmt die Ausbildung Rücksicht. „Das gesamte Sozialversicherungssystem wird beschrieben oder was bei einer geringfügigen Beschäftigung an Versicherungen inkludiert ist“, erzählt Barbara Kuss, stellvertretende Gesamtleiterin der MiMi-GesundheitslotsInnen und Mitarbeiterin der Volkshilfe. „Viele MigrantInnen kennen das Hausarztsystem nicht, auch ist für manche gewöhnungsbedürftig, dass nicht jede Ambulanz für jede Krankheit zuständig ist“, weiß Kuss.
Wegen sprachlichen Missverständnissen sind MigrantInnen bisweilen sogenannte Arzt-Hopper: Da nicht genau verstanden wird, was der jeweilige Arzt vorschlägt, wird der nächste Arzt oder die nächste Ärztin aufgesucht. Das Fehlen von Dolmetsch-Diensten wiederum wird durch die Familie kompensiert. In einer deutschen Untersuchung aus dem Jahr 2003 wurde etwa festgestellt: Bei einem Drittel der PatientInnen mit türkischem Migrationshintergrund übersetzen begleitende Familienangehörige. Es ist unangenehm, wenn Vertraute u. a. intime Fragen stellen müssen, oft wird auch aus Scham nicht nachgefragt, wenn etwas nicht verstanden wird. Besonders problematisch ist es, wenn Kinder als Informationsvermittler eingesetzt werden.

Voraussetzung Interesse

MiMi-GesundheitslotsInnen müssen aber nicht in Gesundheitsberufen arbeiten, Bedingung ist vielmehr das Interesse. Dennoch waren unter den KursteilnehmerInnen bereits ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und KindergartenpädagogInnen. Entscheidend sind außerdem ein guter Anschluss in der Community und gute Deutschkenntnisse. „GesundheitslotsInnen dürfen nur Information weitergeben. Sie bringen die Basisinfos und verweisen an ExpertInnen, in medizinischen Angelegenheiten sind die MiMis nicht selber beratend tätig. Das ist wichtig, denn darin sind sie nicht ausgebildet“, stellt Barbara Kuss klar. Eigenständige Info-Veranstaltungen werden in Kulturzentren, Moscheen oder Bildungseinrichtungen durchgeführt, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Die Arbeit der MiMis ist freiwillig. Für ihren Aufwand erhalten sie eine geringe finanzielle Entschädigung. Im Herbst startet ein neues Projekt zum Thema Kindergesundheit, für das unter den ausgebildeten MiMis 24 Menschen ausgewählt werden. MiMis schützen: Je früher die Menschen zum Arzt gehen, desto eher kann eine Krankheit geheilt werden. Auch hier spart sich der Staat auf lange Sicht Geld.

Internet:
Studie „Migration und Gesundheit“:
tinyurl.com/o8eba7n
Migrant-Friendly Hospitals:
www.mfh-eu.net/public/home.htm
Projekt Nachbarinnen:
www.nachbarinnen.at
Projekt Nachbarinnen in OÖ:
tinyurl.com/ptq4hee

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Christian Resei, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895804988 Wer der Sprache nicht mächtig ist, wähnt sich im österreichischen Gesundheitssystem schnell verloren. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895804981 Klassengesellschaft Österreich In ihrer Broschüre „Reichtum, Armut & Umverteilung in Österreich. Fakten und Mythen“ verweist die Industriellenvereinigung Fakten wie die Einkommensschere oder sinkende Reallöhne ins Reich gewerkschaftlicher Fantasien. Gleich auf dem Titelblatt der Publikation geht es mit einem Zitat von Abraham Lincoln sehr grundsätzlich – und in Wahrheit polemisch – zur Sache: „Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem Ihr die Starken schwächt (…). Ihr werdet keine Brüderlichkeit schaffen, indem Ihr Klassenhass schürt (…).“ Lincolns Zitat stammt bemerkenswerterweise aus einer Zeit, in der bereits wichtige Teile der ArbeiterInnenbewegung den Klassenbegriff für sich „entdeckt“ hatten.

Klassenkampf?

Über die Erkenntnis, welche unterschiedlichen Interessen aus der Lohnabhängigkeit bzw. aus dem Besitz von Produktionsmitteln resultieren, wurden schließlich moderne Gewerkschaftsorganisationen aufgebaut. Mit dem Vorwurf, durch Verteilungsdiskussionen im Kapitalismus künstlich „Klassenhass“ zu schüren, wurde immer wieder versucht, die Legitimität gewerkschaftlichen Handelns infrage zu stellen. Die Propagandaschrift der Industriellenvereinigung fällt in eine Periode, in der sich der ÖGB massiv mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, durch die Forderung nach Vermögenssteuern den „Klassenkampf“ wieder aus der Mottenkiste zu holen. Tatsächlich galt allein die Vorstellung der Existenz von „Klassen“, also von unterschiedlichen Menschengruppen mit stark festgefügten, gemeinsamen sozialen Merkmalen, bis vor wenigen Jahren in Europa als überholt. Steigender Wohlstand und Reformen im Bildungssystem schienen vor allem in den 1970ern auch in Österreich den Aufstieg für alle zu ermöglichen. Die Deindustrialisierung Europas, Veränderungen am Arbeitsmarkt und die neoliberale Offensive in den 1980ern und 1990ern schwächten nicht nur traditionelle „Klasseninstitutionen“. Nach dem Sieg von Margaret Thatcher über die Gewerkschaften begannen sich schließlich sogar große Teile der traditionsbewussten ArbeiterInnen Großbritanniens nicht mehr als Teil einer gemeinsamen Klasse zu fühlen. Doch die Idee einer in vielfältige Milieus und Individuen zersplitterten Gesellschaft hat spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und ihren Folgen einen deutlichen Rückschlag erlebt. Themen wie die Verteilung von Besitz und Vermögen sowie vor allem die Abkoppelung der Eliten stehen seitdem stark im Fokus öffentlicher Debatten.
In ihrem Artikel „Klassenlagen und Vermögensbildung“ setzen die Autorinnen Julia Hofmann und Hilde Weiss das Thema Vermögen in Österreich in einen Zusammenhang zur jeweiligen beruflichen Tätigkeit bzw. Position. Sie unterscheiden dabei sieben soziale Klassenlagen österreichischer Haushalte, je nach dem dort vorhandenen höchsten beruflichen Status: unqualifizierte manuell Arbeitende; qualifizierte manuell Arbeitende; einfache Angestellte und BeamtInnen; Selbstständige mit niedrigerer Qualifikation und ohne Beschäftigte; Angestellte und BeamtInnen mit mittlerer Qualifikation (untere Dienstklasse); höhere und leitende Angestellte und BeamtInnen mit hoher Qualifikation; Top-ManagerInnen, UnternehmerInnen und LandwirtInnen mit Beschäftigten. Bemerkenswert dabei ist: Trotz dieses „vielschichtigen“ Klassenschemas sind auch die „klassischen“ Unterschiede zwischen „Oben“ und „Unten“ im österreichischen Kapitalismus erkennbar. So konzentrieren sich hohe Vermögenswerte nicht einfach nur auf relativ kleine Teile der Bevölkerung, sondern auf eine bzw. zwei ganz bestimmte Klasse(n). Um es mit Weiss und Hofmann zu sagen: Fast ein Drittel der UnternehmerInnen mit Beschäftigten bzw. Top-ManagerInnen verfügt über ein Netto-Vermögen von über einer Million Euro. Bei den UnternehmerInnen ohne Beschäftigte sind es 13,1 Prozent.

MillionärInnen in der „Minderheit“

In allen anderen fünf „Klassenlagen“ in Österreich – also den unselbstständig Beschäftigten – stellen die MillionärInnen einen Anteil von unter fünf Prozent. In Zahlen: Insgesamt gibt es rund 140.000 Berufstätige mit einem Nettovermögen von mehr als einer Million Euro. Davon sind 79.000 Personen aus den beiden Selbstständigen-Klassen und stellen damit die Mehrheit gegenüber den rund 61.000 Millionären aus den fünf „Klassen“ der unselbstständig Beschäftigten. Anders ausgedrückt: Die Mehrheit der (berufstätigen) MillionärInnen ist bei der Minderheit der UnternehmerInnen bzw. ManagerInnen zu finden. Noch dazu verfügt nur in dieser Klasse die absolute Mehrheit über ein Vermögen von über 250.000 Euro. Auch wenn sich die Klassenzusammensetzung bei den unselbstständig Beschäftigten vor allem durch den Rückgang der manuell Arbeitenden stark verändert hat, ist die österreichische Gesellschaft also keineswegs wie eine Zwiebel strukturiert, die von einer breiten „Mitte“ getragen wird. Eben diese breite Mitte gibt es in Österreich nämlich nicht. Auch Segmente, die man bisher als Brücke zwischen „Oben“ und „Unten“ betrachtete, erweisen sich als stark polarisiert. So sind zwar bei den kleinen Selbstständigen, also jenen ohne Beschäftigte, die MillionärInnen stark vertreten. Allerdings besitzt fast ein Drittel in dieser „Klasse“ weniger als 80.000 Euro und gehört somit zum unteren Rand. Ebenso signalisiert die Position der FacharbeiterInnen heute weder Aufstieg noch Übergang zur „Mitte“: Gemeinsam mit den unqualifizierten ArbeiterInnen, gefolgt von den einfachen Angestellten und BeamtInnen gehören sie zu den untersten Klassenlagen. Bei dieser – zusammengerechnet – größten Gruppe besitzen rund 60 Prozent ebenfalls nicht einmal 80.000 Euro an Finanz- oder Sachvermögen und bewohnen in der Regel z. B. weder ein eigenes Haus noch eine eigene Wohnung als Hauptwohnsitz.
Trotz des Vorhandenseins solch eindeutiger Klassenlagen finden diese insbesondere im Bereich der Vermögensforschung momentan wenig Beachtung, lautet der Befund von Hofmann und Weiss. Dies sei umso bedauerlicher, weil sich „die beiden gesellschaftlichen Randbereiche (Armut und Reichtum) gegenseitig bedingen“. Dass Niedriglöhne und Superreichtum letztlich Symptome klassengesellschaftlicher Verhältnisse sind, deckt sich auch mit den Wahrnehmun-gen von GewerkschafterInnen. So betont Senad Lacevic, Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates der VHS Wien: „Angriffe auf ArbeitnehmerInnenrechte und auf das Sozial-, Pensions- und Bildungssystem sind nichts anderes als ein von oben geführter Klassenkampf.“

Kämpferische Gewerkschaft wichtig

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich ein Projekt der Marx-Engels-Stiftung mit solchen Fragen, nämlich der „Klassenanalyse“ der deutschen Gesellschaft1. Gesammelt werden hier nicht nur genauere Daten zur Klassenzusammensetzung in Deutschland. Ebenso diskutieren ForscherInnen und GewerkschafterInnen laufend die entsprechenden politischen Konsequenzen: Welche Machtverschiebungen ergeben sich, wenn „prekäre“ Arbeitsverhältnisse auskömmliche Beschäftigung mehr und mehr ersetzen, Vollerwerbsstellen nicht mehr zum Leben ausreichen und eventuell auch noch die Arbeitslosigkeit steigt? Die so entstehende alte, neue Unsicherheit empfindet auch Irene Mötzl vom Betriebsrat Wohnservice Wien als allgemeine Stimmungslage in der „Klasse“: „Marx’ Definition der ArbeiterInnenklasse als Menschen, die nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, wird heute wieder in der großen Angst vieler KollegInnen vor Jobverlust deutlich.“ Ebenso nimmt Mötzl wahr, welche Schwierigkeiten sich daraus für selbstbewusstes Handeln von Beschäftigten in Österreich ergeben können: „Aufgrund dieser starken Abhängigkeit werden oft auch Arbeitsrechtsverletzungen und schlechte Löhne hingenommen. Um das zu verhindern, müssen wir uns organisieren und brauchen dafür kämpferische Gewerkschaften.“ Die Erkenntnis, dass aus wieder deutlicheren Klassenlagen somit widersprüchliche Schlussfolgerungen gezogen werden können, ist gerade für die Beteiligten des Projekts Klassenanalyse nicht neu. Einer von dessen Vertretern meint daher, dass die „reale Klasse“ im Grunde nur die „mobilisierte Klasse“ wäre, und plädiert für ein „organisiertes Zentrum der Gegenmacht“2. Haben also ÖGB und AK – in dieser Diktion – durch ihre Kampagnen für Vermögenssteuern dazu beigetragen, dass die „Klasse“ in einer sie betreffenden Frage geistig mobilisiert wurde? Zumindest die hohen Zustimmungswerte in der (arbeitenden) Bevölkerung für diese Forderung weisen jedenfalls darauf hin. Der Vorwurf der Gegenseite an die Gewerkschaften, hier „Klassenkampf“ zu betreiben, scheint aus einer solchen Perspektive demgegenüber verkraftbar, wenn nicht sogar geradezu eine Bestätigung gewerkschaftlichen Handelns.

Blogtipp:
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1www.marx-engels-stiftung.de/klassenanalyse.html
2 Vgl.: Ekkehard Lieberam, in: Arbeitende Klasse in Deutschland: Macht und Ohnmacht der Lohnarbeiter, Bonn 2011.

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895804972 Die österreichische Gesellschaft ist keineswegs wie eine Zwiebel strukturiert, die von einer breiten "Mitte" getragen wird. Diese "Mitte" gibt es nämlich nicht. Oben und unten sind stark polarisiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 12 Aug 2015 00:00:00 +0200 1432895804944 Wenn Vermögen eine Hypothese ist Zur Person
Michael F. Förster
ist Verteilungsexperte im OECD-Sozialpolitikreferat. Er ist u. a. Autor der kürzlich erschienenen Studie „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“ (OECD Publishing, Paris, 300 S., tinyurl.com/ppovctc). Die Publikation analysiert u. a. die Auswirkungen des Konjunkturrückgangs, die Veränderungen am Arbeitsmarkt und die Entwicklung von Armut in den 34 OECD-Mitgliedsländern. Förster arbeitet seit 1986 für die OECD und untersucht seither Ungleichheiten im OECD-Raum.


Arbeit&Wirtschaft:
Ungleichheit ist das Thema unserer Zeit. Seit wann entwickelt sich die Schere zwischen Arm und Reich so stark auseinander?

Michael F. Förster: Die Entwicklungen haben in verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Zeiträumen stattgefunden. Über den Zeitraum der letzten drei bis vier Jahrzehnte betrachtet, haben die Ungleichheiten beim Einkommen in rund vier Fünftel der OECD-Länder zugenommen. Doch das verführt zum Trugschluss, es gäbe einen kontinuierlichen Trendanstieg, der für alle Länder gleich ist.

Wo haben die Entwicklungen begonnen?

In den angelsächsischen Ländern, vor allem in den USA Ende der 70er- und in Großbritannien Anfang der 80er-Jahre. Zu der Zeit war es in Kontinentaleuropa noch eher stabil. Dann haben Ungleichheiten auch in Europa zugenommen, interessanterweise auch in den nordischen Ländern. In manchen Ländern geht die Schere erst seit der Krise stark auseinander, etwa in Frankreich. Wir arbeiten seit mehr als 25 Jahren an dem Thema Ungleichheit, und Frankreich war lange Zeit eine Ausnahme. In Deutschland nahmen Ungleichheiten im Zuge der Wiedervereinigung und vor allem in den 2000er-Jahren zu, seit ca. 2007 ist es wieder stabil – doch langfristig gab es einen signifikanten Anstieg. In manch südlichem Land gab es zeitweise sogar Rückgänge, zum Beispiel in den 80er-Jahren in Griechenland und Spanien, doch seit der Krise sind die Ungleichheiten wieder hinaufgeschnellt.

Warum verlaufen diese Entwicklungen in einer globalisierten Welt so unterschiedlich?

Das beweist, dass Ungleichheiten nicht nur von der Globalisierung, sondern auch von hausgemachter Politik abhängen. Es geht auch darum, wie die Politik auf den Druck der Globalisierung reagiert.

In welchen Ländern sind die Ungleichheiten besonders extrem?

In Südamerika zum Beispiel, obwohl in diesen Ländern im letzten Jahrzehnt eine Reduktion stattgefunden hat, allerdings von einem extrem hohen auf ein hohes Niveau. Die beiden südamerikanischen OECD-Mitgliedsländer Chile und Mexiko spielen in der OECD quasi in einer eigenen Liga: Das Durchschnittseinkommen der reichsten zehn Prozent ist fast 30-mal so hoch wie das der ärmsten zehn Prozent. Der OECD-Schnitt liegt bei zehnmal. In den USA, Israel und der Türkei ist das Durchschnittseinkommen der reichsten zehn Prozent 15- bis 20-mal höher als das der ärmsten zehn Prozent. Die USA sind das einzige Land, wo die Ungleichheit kontinuierlich angestiegen ist.

Wie steht es um Griechenland?

Natürlich sind die Krisenländer sehr gefährdet: Griechenland, Spanien, zum Teil auch Italien. Da geht es nicht nur um relative Ungleichheit wie in den nordischen Ländern, wo das reale Einkommen seit 2008 trotz allem leicht zugelegt hat. In Griechenland sind die Realeinkommen um acht Prozent pro Jahr gesunken, bei den Ärmeren sogar um zwölf Prozent. In den Ländern, wo relative zu absoluten Einkommensunterschieden hinzukommen, ist imminente Aktion angebracht.

Gibt es auch positive Beispiele?

Schweden war lange auf einem äußerst niedrigen Niveau, doch die Einkommensungleichheit ist in den letzten 20 Jahren relativ gesehen noch stärker gestiegen als in vielen anderen Ländern: um 30 bis 40 Prozent. Es liegt noch unter dem OECD-Schnitt, entwickelt sich aber in Richtung Schnitt. Natürlich ist Schweden eine egalitärere Gesellschaft, als es die angelsächsischen Länder sind, aber es verliert zunehmend seinen Status als Showcase. Schweden liegt bei der Einkommensungleichheit nur mehr knapp vor Österreich.

Statistisch steht Österreich im OECD-Schnitt bei der Einkommensungleichheit im ersten Drittel.

Ja, aber am Ende des ersten Drittels: auf Platz zehn der 34 Mitgliedsländer. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre gab es einen leichten Anstieg an Einkommensungleichheiten, aber seitdem ist das etwa gleich geblieben. Man sollte betonen, dass es bei diesen Zahlen nicht um individuelle Löhne und Gehälter, sondern um Haushaltseinkommen geht: Die ersteren sind in Österreich auch ungleicher verteilt, aber es gibt ein Umverteilungssystem, das zwar nicht sehr zielgerichtet, aber breit angelegt ist. Dadurch sind die Einkommen gleicher verteilt als Bruttolöhne und Gehälter.

Wie stellt sich das Bild beim Vermögen dar?

Wir stehen da noch am Anfang: Vor einem Vierteljahrhundert waren wir bei der vergleichenden Einkommensmessung ungefähr auf dem Stand, wo heute die Vermögensmessung ist. Die Schätzungen beruhen auf Befragungsdaten: Löhne und Gehälter werden durch Befragungen gut abgebildet – die Ergebnisse stimmen zu 90 bis 95 Prozent mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung überein. Bei Kapitaleinkommen sind es nur noch 50 bis 70 Prozent. Bei Vermögen ist es noch schwieriger. Wir konnten aber immerhin schon 18 OECD-Länder miteinander in unserer letzten Studie vergleichen.

Welche Aussagen können Sie über die Vermögensverteilung treffen?

Privates Haushaltsvermögen ist wesentlich stärker am oberen Ende konzentriert als Einkommen. Im OECD-Schnitt geht ein Viertel der Einkommen zu den reichsten zehn Prozent, aber die Hälfte des Privatvermögens wird von den reichsten zehn Prozent gehalten. Fast die ganze zweite Hälfte wird von den nächstreichsten 50 Prozent gehalten. Das heißt: Für 40 Prozent der Bevölkerung ist Vermögen praktisch eine Hypothese – sie können nur davon träumen, abgesehen von Dingen wie einem Auto etc. Bei Vermögenstiteln wie Häusern, Wohnungen und vor allem Finanztiteln gibt es eine große Konzentration – und diese ist nach derzeitigem Wissen in Österreich, auch in Deutschland und den Niederlanden höher als in vielen anderen Ländern, abgesehen von den Vereinigten Staaten. Das ist interessant, denn in diesen Ländern ist die Konzentration bei der Einkommensverteilung nicht so ausgeprägt.

Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?

Es gibt mehrere Erklärungen. Die pragmatische ist, dass im Unterschied zu südlichen Ländern weniger Menschen Häuser und Wohnungen besitzen. Die zweite stammt von dem holländischen Ökonomen Bas van Bavel, der sagt: Es könnte sein, dass es auch an den Umverteilungsmechanismen in diesen Ländern liegt, welche sich besonders auf Markteinkommen konzentrieren, jedoch bezüglich Vermögen, Erbschaft usw. nicht so stringent sind oder nicht existieren. Ich lebe in Frankreich: Hier ist die Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung zum Beispiel wesentlich höher. Ich finde diesen Ansatz sehr interessant. Sobald wir genügend Datensätze für mehrere Jahre zur Verfügung haben, werde ich dieser Frage nachgehen.

Wie entstehen Ungleichheiten?

Ein entscheidender Bereich sind strukturelle Änderungen am Arbeitsmarkt. Das spiegelt auch die Wirkung der Globalisierung wider. Einerseits kam es zur Beschäftigungspolarisierung, das heißt: Am unteren und oberen Ende der Skala gibt es Zuwächse, aber nicht im mittleren Bereich, also bei den „Standardjobs“ wie zum Beispiel Facharbeitern und Facharbeiterinnen. Gerade hier sind Nine-to-five-Jobs die Regel. In Deutschland hat man gesehen, dass das gesamte Beschäftigungswachstum bis zur Krise ausschließlich atypische Jobs waren, während Standardjobs weniger wurden.

Wer außer FacharbeiterInnen ist noch betroffen?

Man muss auch nach der Jobqualität von Minijobs und befristeten Arbeitsverhältnissen, also atypischen Jobs, fragen: Es gibt weniger Ausbildungsmöglichkeiten und mehr Stress. Das wäre kein Grund zur Besorgnis, wenn diese Jobs dazu dienen würden, in den regulären Arbeitsmarkt zu gelangen, also wenn es Jobs mit Aussicht wären. Das ist nur teilweise der Fall. Oft dienen die Jobs nur als Sprungbrett für Personen, die es vielleicht gar nicht nötig hätten: ältere ArbeitnehmerInnen, Männer, Leute mit höheren Qualifikationen. Aber gerade bei jüngeren Menschen, Frauen und Menschen mit geringer Qualifikation ist das anders: Da laufen befristete Arbeitsverhältnisse oft so ab, dass die Person zum Beispiel sechs Monate einen Job hat, dann drei Monate arbeitslos ist, dann wieder arbeitet usw. Für junge Menschen ist das besonders tragisch, denn sie verlieren so potenzielles künftiges Einkommen. Es reicht aber nicht, all das zu beklagen. Es ist nicht vom Schicksal gegeben, sondern die Politik ist gefordert, atypische Jobverhältnisse so zu gestalten, dass sie als Karrieresprungbrett dienen.

Was, wenn das verabsäumt wird?

Das kann zu Armut führen. Allerdings: Das Armutsrisiko liegt für atypisch Beschäftigte, die mit regulären Beschäftigten zusammenleben, bei drei bis vier Prozent. Das ist sogar niedriger als für die gesamte Bevölkerung im Erwerbsalter im OECD-Schnitt, der bei zehn Prozent liegt. Aber man muss immer an den Haushaltskontext denken: Das große Problem existiert für atypisch Beschäftigte, die allein oder mit anderen atypisch Beschäftigten zusammenleben. Bei ihnen liegt das Armutsrisiko bei rund 22 Prozent. Die Hälfte aller atypisch Beschäftigten sind Hauptverdiener, und wiederum die Hälfte davon sind für Kinder verantwortlich. Diese atypisch Beschäftigten sind zum Großteil Frauen.

Welche Rolle kommt Frauen in Bezug auf Ungleichheiten zu?

Bis jetzt gab es noch keinen Konsens darüber, was die zunehmende Arbeitsmarktbeteiligung und ökonomische Aktivität von Frauen in den letzten 20 Jahren für die Einkommensungleichheit auf Haushaltsebene bedeutet hat. Es gab auch Argumentationen, das hätte die Ungleichheit erhöht. Es gibt das Phänomen des „assortative matings“, das heißt, dass sich Familien mit gleichem Background finden, salopp gesagt ein Arzt nicht eine Pflegerin, sondern eine Ärztin heiratet. Jene Menschen mit gleichem Bildungshintergrund finden zueinander, sowohl am oberen als auch am unteren Ende. Wir haben uns all das angesehen und auch die Änderungen in der Struktur der Frauenbeschäftigung. Und wenn man all das zusammen analysiert, stellt man fest, dass die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen der Ungleichheit zwischen den Haushalten entgegengewirkt hat, und zwar signifikant. Die Ungleichheit im OECD-Schnitt ist in den letzten 25 bis 30 Jahren um drei Gini-Punkte angestiegen – konkret ist der Gini-Koeffizient bei der Einkommensungleichheit von 29 auf 32 Punkte angestiegen. Wenn wir bei der Frauenbeschäftigung am gleichen Stand von damals wären und auch die Lohnstruktur gleich wäre, wäre es noch ein Punkt mehr gewesen. Das ist eine wichtige Conclusio für die Politik: Eine der Bremsen für die zunehmende Ungleichheit liegt bei der zunehmenden Frauenaktivität – diese ist also unterstützenswert.

Wie hat sich die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verändert?

Langfristig gesehen haben sich die Unterschiede wie das Gender Pay Gap und das Employment Gap verbessert, vor allem in den eher weit zurückgebliebenen Ländern. In asiatischen Ländern wie Japan und Korea sind die Ungleichheiten noch relativ stark vorhanden. Wichtig war uns bei dem Thema für unsere Studie „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“, dass es dabei mehrere Aspekte gibt: Beschäftigungsraten, Arbeitsmarktzugang, Löhne, aber auch der schon erwähnte Haushaltsaspekt und eine Lohnspreizung innerhalb der Geschlechter.

Ungleichheiten wirken sich in vielen Bereichen aus, auch auf Sozialleistungen, Gesundheit oder den Zugang zu Bildung. Welche Erkenntnisse hat die OECD hier gewonnen?

Prinzipiell wirken stärkere Ungleichheiten wachstumshemmend. Dafür gibt es mehrere Erklärungsansätze. Wir haben uns den Bildungsansatz näher angeschaut. Bei hohen und zunehmenden Ungleichheiten kann ein guter Teil der Bevölkerung nicht ausreichend in Bildung investieren. Zum Beispiel werden die Kinder schnell auf den Arbeitsmarkt geschickt, damit das Haushaltseinkommen gesichert ist. Hohe Ungleichheiten sind somit eine Verschwendung von Ressourcen. Wir haben ehemalige Schülerinnen und Schüler in jene unterteilt, die aus favorisierten, defavorisierten und mittel favorisierten Familien kommen: Als favorisiert gelten jene, wo mindestens ein Elternteil Akademiker ist, als defavorisiert jene, wo kein Elternteil die höhere Sekundarschule absolviert hat. Dann haben wir Indikatoren wie die Länge der Schulzeit oder die Mathematik- und Sprachfähigkeiten dieser Personen verglichen. Das Ergebnis: Für jene mit favorisiertem Hintergrund ist die Höhe der Ungleichheit in einem Land egal. Sie haben auf jeden Fall höhere Werte, sowohl was die Länge der Schulbildung betrifft als auch ihre Performance. Hingegen spielen Ungleichheiten für jene, die aus defavorisiertem Hintergrund kommen, eine große Rolle. Das heißt: Je höher die Ungleichheit eines Landes, desto schlechter fallen die Bildungsindikatoren aus, allerdings nur für Personen mit defavorisiertem Hintergrund. Das erhöht ihr Risiko, nicht am Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Welche Empfehlungen gibt die OECD?

Für alle Länder gilt, dass sie bei der Steuerpolitik keine Ausnahmen machen sollen. Dabei geht es weniger darum, Steuerregulierungen zu ändern, als die bestehenden durchzusetzen. Es gibt zu viele Schlupflöcher – entweder durch die Regulierung selbst oder durch die Möglichkeiten der Steuerflucht. Wichtig ist als Nächstes die Inklusion von Frauen in Erwerbstätigkeit und ins Arbeits- und Wirtschaftsleben im Allgemeinen. Das kann auf verschiedene Arten getan werden. In Österreich wäre vor allem das Zur-Verfügung-Stellen von Betreuungs- und Pflegeplätzen für Kinder und ältere Personen wichtig. Näheres dazu enthält der OECD-Bericht für Österreich, wo ein Schwerpunkt auf dieses Thema gelegt wurde. Des Weiteren sollte Arbeitsmarktpolitik nicht nur auf Jobquantität, sondern auch auf Jobqualität ausgerichtet sein. Schlussendlich sollten Reformen bei Sozialleistungen – monetäre wie auch Sachleistungen – auf deren Umverteilungsfunktion hin überprüft werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Das Interview führte Alexandra Rotter für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 6/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895804953 "40 Prozent der Bevölkerung können nur von Vermögen träumen, abgesehen von Dingen wie einem Auto etc." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895748804 Die Krisenländer der EU In Griechenland und Spanien hat sich die Arbeitslosenquote verdreifacht. Besonders gilt das für Frauen, die schon vor der Krise stärker betroffen waren als Männer.
Die GriechInnen haben über ihre Verhältnisse gelebt, die Löhne waren sogar höher als hierzulande: So lautet ein beliebter Vorwurf. Fakt ist, dass der mittlere Stundenlohn deutlich niedriger ist.
Die von der Troika abverlangte Sparpolitik ist Gift für die Konjunktur: Das zeigt der Einbruch des Wirtschaftswachstums in den Krisenländern. 

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Reinhold Russinger, AK Wien, Sonja Adler und Sonja Fercher, Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895748761 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746644 Rettung für die Banken Seit der Angelobung der neuen griechischen Regierung Ende Jänner dominieren die Verhandlungen mit der Eurogruppe die Nachrichten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Griechenland sich zu weiteren neoliberalen Reformen verpflichten wird. Politisch betrachtet geht es jedoch um viel mehr: Gelingt es der neuen Regierung und der griechischen Gesellschaft, einen Schlussstrich unter die zerstörerische Politik der letzten Jahre zu ziehen und einen radikalen Kurswechsel umzusetzen?

Geld floss in den Finanzsektor

Die soziale und ökonomische Situation Griechenlands ist desaströs. Über 25 Prozent der Bevölkerung und über 55 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Ein Drittel der Menschen ist nicht mehr krankenversichert. Der Mindestlohn wurde auf 580 Euro brutto gesenkt, Arbeitsrechte und Kollektivverträge massiv geschwächt. Die Wirtschaftsleistung Griechenlands brach seit Beginn der „Rettung“ um ein Viertel ein (2010‒2013), die Staatsschulden stiegen im Jahr 2014 auf 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Der Grund dafür liegt in der Kürzungspolitik, die Griechenland im Gegenzug für die Kredite aufgezwungen wurde. Wieso die Situation bei über 200 Milliarden an Krediten trotzdem so schlecht ist? Weil das sogenannte Rettungsgeld nicht der öffentlichen Hand oder der Bevölkerung zugutekam, sondern direkt in den Finanzsektor weiterfloss.
Bis vor Kurzem war tatsächlich nicht bekannt, was mit den Milliarden für Griechenland eigentlich geschehen ist. Wurden dafür Staatsbedienstete bezahlt oder Investitionen in Technologie und Infrastruktur finanziert? Mitnichten. Im Sommer 2013 haben wir in einer Attac-Studie erstmals gezeigt, dass der Großteil der Gelder direkt in den Finanzsektor weiterfloss.

Das geschah auf mehreren Wegen:

  • Rekapitalisierung griechischer Banken: Mehr als ein Viertel der Kredite wurde über den griechischen Finanzstabilisierungsfonds HFSF an den griechischen Bankensektor weitergegeben. Statt den Sektor umzustrukturieren und EigentümerInnen und GläubigerInnen der Banken haften zu lassen, wurden diese fast bedingungslos gerettet. Und damit wurden wiederum auch all jene europäischen Finanzinstitutionen gerettet, die Geschäfte mit griechischen Banken gemacht hatten.
  • Auszahlung privater GläubigerInnen: Der Großteil der Gelder kam den GläubigerInnen des griechischen Staates zugute. Banken oder andere InvestorInnen, die griechische Staatsanleihen hielten, hätten bei einem Bankrott Griechenlands einen Teil ihres Geldes verloren. Mit den „Rettungsgeldern“ wurden sie voll ausgezahlt. Griechenland hatte immer noch die gleichen Schulden, nur inzwischen nicht mehr bei privaten, sondern bei öffentlichen GläubigerInnen.
  • Zinszahlungen: Hohe zweistellige Milliardenbeträge wurden für Zinsen auf bestehende Staatsanleihen aufgewendet. Dieses Geld floss somit ebenfalls an private GläubigerInnen.

Durch dieses Vorgehen wurde Griechenland zwar ein Staatsbankrott erspart, gerettet wurde allerdings nicht das Land, sondern der europäische Finanzsektor. Über mehrere Jahre und mit mehr als 200 Milliarden Euro befreite man die europäischen Banken von griechischen Staatsanleihen und nahm ihnen das Risiko ab, das sie mit Krediten an griechische Banken eingegangen waren. Doch so gesagt wurde all das nie.

Mühselige Recherche

Die Dokumente der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der sogenannten Rettungsschirme EFSF und ESM enthalten detaillierte Aufstellungen über die vorgeschriebenen Kürzungs- und Privatisierungsmaßnahmen. Zum Verwendungszweck der ausbezahlten Kredite enthalten sie aber nur bruchstückhafte Informationen. Attac waren die ersten, die die tatsächliche Verwendung im Jahr 2013 in einer mühseligen Recherche aus Tausenden Seiten von Dokumenten und Medienberichten rekonstruierten. Mit einer vorsichtigen Schätzung (z. B.: ohne Einbeziehung von Zinsen) kamen wir damals zu dem Ergebnis, dass mindestens 77 Prozent der „Rettungsgelder“ in den Finanzsektor flossen. Mit Zinsen schätzten wir den Anteil schon damals auf über 90 Prozent. Andere Berechnungen, die seither veröffentlicht wurden, zeigen ein sehr ähnliches Bild. Erst kürzlich errech-nete das griechische Nachrichtenportal MacroPolis inklusive Zinszahlungen einen Anteil von über 85 Prozent für den Finanzsektor.

Umverteilung zu Banken

Nach den riesigen Bankenrettungen der letzten Jahre verschieben nun die EU-Regierungen über die sogenannten Rettungspakete für Krisenländer weitere Hunderte Milliarden in den Finanzsektor. Das ist eine massive Umverteilung von der breiten Bevölkerung und der öffentlichen Hand hin zu Banken, ihren EigentümerInnen und GläubigerInnen. Damit nicht genug: Die griechische Bevölkerung bezahlt die Rettung von Banken und GläubigerInnen mit einer brutalen Kürzungspolitik, die Armut und Arbeitslosigkeit in Rekordhöhen treibt.
Gegen diese Politik gingen die Menschen in Griechenland seit Jahren auf die Straße. Mit der Wahl der linken Syriza und der neuen Regierung gibt es nun erstmals die Chance auf einen echten politischen Kurswechsel. In den Verhandlungen mit der Eurogruppe beißt die griechische Regierung jedoch auf Granit. Die europäischen Regierungen und Institutionen zeigen keine Bereitschaft, Griechenland entgegenzukommen. Syriza will unter anderem den Mindestlohn wieder auf Vorkrisenniveau anheben, eine Gesundheitsversorgung für alle sicherstellen und die humanitäre Krise bekämpfen – genau das Gegenteil von dem, was die GeldgeberInnen dem Land seit Jahren aufzwingen. Die europäische Politik fürchtet jedoch einen griechischen Vorbildeffekt. Sollte es in Griechenland gelingen, einen progressiven Wandel in der Wirtschaftspolitik umzusetzen, so stellt dies die Kürzungspolitik in ganz Europa infrage. Nachdem sie jahrelang als „alternativlos“ angepriesen wurde, ist für den Machterhalt der Regierungen natürlich nichts gefährlicher als eine echte Alternative.

Keine Kredittranchen mehr

So befindet sich die griechische Regierung, aber auch die Bevölkerung in einer extrem schwierigen Lage. Einerseits ist das Ziel ein Politikwechsel innerhalb der Eurozone, andererseits versuchen die GeldgeberInnen, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Während über die Zukunft des Landes verhandelt wird, ist die finanzielle Situation desaströs. Weil es bereits mit der alten Regierung keine Einigung über weitere Maßnahmen gab, und wegen der anstehenden Neuwahlen haben die GeldgeberInnen seit August 2014 keine Kredittranchen mehr an Athen überwiesen. Griechenland muss seine Ausgaben seither also komplett aus seinen laufenden Einnahmen decken – in einer solch tiefen Krise fast ein Ding der Unmöglichkeit. In dieser sehr heiklen Situation versucht die Eurogruppe nun, der griechischen Regierung Zugeständnisse abzuringen, die einen Bruch der zentralen Wahlversprechen bedeuten würden.

Das eigentliche Ziel

Die größten Konflikte gibt es in zwei Themenbereichen. Die Eurogruppe forderte weitere Kürzungen aller Pensionen, auch der niedrigsten. Weiters fordern sie, Massenentlassungen zu erleichtern sowie ein „Lockout“, die Aussperrung von ArbeitnehmerInnen durch das Unternehmen während eines Arbeitskampfes, zu ermöglichen. Diese Forderungen zeigen, worum es bei den immer beschworenen „Reformen“ wirklich geht: um die weitere Zerstörung von Arbeits- und sozialen Rechten.

Internet:
Attac (2013), Griechenland-„Rettung“: 77 Prozent flossen in Finanzsektor, 17. 6. 2013:
tinyurl.com/p8dlyoe
MacroPolis (2015), Where did all the money go?, 5. 1. 2015:
tinyurl.com/oxku48g
Medico (2014), Die griechische Wirtschaft wächst – die Zahl der Selbsttötungen ebenso, 2. 9. 2014:
tinyurl.com/nnbnryz

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
lisa.mittendrein@attac.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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Lisa Mittendrein, Soziologin und Sozioökonomin, Sprecherin von Attac Österreich und Redakteurin von mosaik-blog.at Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750330 Bis vor Kurzem war nicht bekannt, was mit den Geldern für Griechenland eigentlich geschehen ist. Im Sommer 2013 hat Attac erstmals gezeigt, dass der Großteil direkt in den Finanzsektor weiterfloss. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746618 Standpunkt | Die Jugend hat mehr verdient Mehr als fünf Millionen Jugendliche in Europa sind arbeitslos. Das sind so viele Menschen, wie Norwegen EinwohnerInnen hat. Noch düsterer sieht die Lage in Griechenland oder Spanien aus, denn in diesen Ländern ist die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos. 160.000 Jugendliche sind es in Griechenland (bei 10 Millionen EinwohnerInnen). In Spanien sind es sogar 850.000 (bei 46 Millionen EinwohnerInnen). Ja, auch ich musste staunen, als ich mir diese Dimensionen wieder einmal bewusst gemacht habe.

Auf der Strecke

Abgesehen von den negativen Folgen, die dies für die Betroffenen hat: Es ist eine der wahrlich großen Gefahren für das Projekt Europa, wenn ausgerechnet Jugendliche dabei auf der Strecke bleiben. Noch schlimmer ist, dass sich dafür niemand so recht zuständig zu fühlen scheint. Vielmehr starren alle wie gebannt auf die Herren der Troika und warten das Ergebnis des neuesten Tauziehens mit der Regierung in Griechenland ab. Erstaunlich dabei ist, wie sehr bei diesem Thema die Wogen hochgehen können – und wie selten über Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen so emotional und intensiv gestritten wird.
Nun ist die Arbeitslosenquote von Jugendlichen in den Ländern des Südens schon lange notorisch hoch. Die Krise hat von daher eine Situation verschärft, die vorher schon problematisch war – im Übrigen trifft dies auch auf die anderen EU-Länder zu, nur dass sie von der Krise nicht so massiv getroffen wurden wie die Länder des Südens.
Das Problem ist, dass sich alle dem Spardiktat unterworfen haben. Genau das aber führte immer tiefer in die Misere – und das auf dem Rücken eben jener Jugendlichen, für die nun angeblich gespart wird, um ihnen, wie gerne betont wird, „keinen Schuldenberg zu hinterlassen“. Viel zu selten wird darüber gesprochen, welche Lasten die jetzige junge Generation schultern muss: Jene, die Arbeit haben, finanzieren gemeinsam mit den älteren KollegInnen einen großen Teil jener „Rettungspakete“, mit denen private Gläubiger und Banken aufgefangen werden, die sich schlichtweg verspekuliert haben – während viele andere AltersgenossInnen auf der Straße stehen.
Da ist es leider nur allzu verständlich, wenn sich junge Menschen vom Projekt Europa ab- und Rechtspopulisten bis -extremen zuwenden. Diesen aber ist nicht an einer Weiterentwicklung des Projekts Europa gelegen, das auf Wohlstand, Frieden und sozialer Sicherheit beruht. Ganz im Gegenteil.  
Die älteren Generationen haben immerhin noch hautnah miterlebt, warum Europa ein Friedensprojekt ist. Bei den einen ist der Zweite Weltkrieg noch präsent. Die anderen haben die Grenzen noch miterlebt, die Europa zerrissen haben. Wir haben noch erlebt, wie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs brutale Kriege auf europäischem Boden gekämpft wurden. Und wir haben erlebt, wie sehr die europäische Idee dazu beigetragen hat und weiter dazu beiträgt, Europa friedlich zusammenzuführen. Doch die Krise überdeckt all dies, ja, durch die Krise wird all dies zusehends infrage gestellt. Denn ein wesentliches Instrument dieser Entwicklung ist der soziale Frieden. Gerade in Griechenland, aber auch in Spanien ist dieser brüchiger denn je, wie wir in diesem Heft aufzeigen.

Was schon Freud lehrte

Wir laden Sie ein, sich mit uns in die Untiefen der Krise zu begeben. Angenehm ist das natürlich nicht. Bloß  Verdrängung macht alles nur noch schlimmer. Es ist wichtig, sich dem zu stellen, denn nur dann kann man sich auch Gedanken über mögliche Lösungsansätze machen. Es liegt an uns, gemeinsam Wege aus dieser Krise zu finden und Europa wieder zu jenem Zukunftsprojekt zu machen, das die jungen Menschen von heute und morgen verdient haben. Bleibt mir nur noch, Ihnen trotz allem eine interessante Lektüre zu wünschen – und natürlich schöne und erholsame Sommertage!

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746615 SOZAK goes Europe Vier Wochen verbrachten die TeilnehmerInnen des 64. Lehrgangs der Sozialakademie im Zuge ihrer Ausbildung bei Gewerkschaften und Betriebsratskörperschaften in acht verschiedenen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Norwegen, Schweden, Schweiz und Türkei).
Dort waren sie voll in die Arbeit der jeweiligen Organisationen eingebunden und arbeiteten sehr engagiert an diversen gewerkschaftlichen Aktionen mit.
Sie lernten wichtige Skills für ihre Tätigkeit in den Gewerkschaften und Betrieben, vernetzten sich mit europäischen ArbeitnehmervertreterInnen, gaben aber ihrerseits auch Wissen an die europäischen Partnerorganisationen weiter.
Die Erfahrungen und Erkenntnisse dieses SOZAK-Europapraktikums präsentierten die 23 SOZAK-TeilnehmerInnen am 20. Mai 2015 im Bildungszentrum der AK Wien im Zuge einer europäischen Gewerkschaftskonferenz.
Anwesend waren neben ÖGB-Präsident Erich Foglar und AK-Präsident Rudi Kaske auch ArbeitnehmervertreterInnen aus sieben ver-schiedenen Ländern sowie sogar einige BotschaftsvertreterInnen der Praktikumsländer.
Im Herbst dieses Jahres erscheint ein Buch über das heurige Europapraktikum, in dem die TeilnehmerInnen ihre Ergebnisse zusammengefasst haben.
Mehr Infos unter:
www.ichwardabei.at

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Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750302 Irene Brunner verbrachte ihr Praktikum bei der norwegischen Gewerkschaft Fagforbundet. Besonders interessiert an ihrem Bericht waren Botschaftsrat Hugo Kornses von der norwegischen Botschaft in Österreich … http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750307 … und ÖGB-Präsident Erich Foglar. Karl Dürtscher von der GPA-djp erkundigt sich in der Zwischenzeit über die gewerkschaftliche Situation in Schweden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746609 ÖGB: Arbeit gerecht verteilen 420.000 Menschen sind derzeit arbeitslos – ein Rekordwert. „Der von der Regierung angekündigte Arbeitsmarktgipfel muss mehr bringen als Zahlenkosmetik“, fordert Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. „Es genügt nicht, die Arbeitslosenquote zu senken. Gleichzeitig muss die Qualität der angebotenen Arbeitsplätze steigen.“

Die Statistik zeigt, dass die Wirtschaft Bedarf an Teilzeitarbeitskräften hat. Nur die Hälfte der ArbeitnehmerInnen arbeitet Vollzeit. „Vor allem Frauen bekommen nur noch Teilzeitjobs. Diese Not müssen wir zur Tugend machen und die Normalarbeitszeit mit einem Maßnahmenmix verkürzen – natürlich bei Erhalt von Kaufkraft und Lebensstandard“, so Achitz.
Arbeitszeitverkürzung sei notwendig, um die vorhandene Arbeit gerechter zu verteilen. „Während die einen mit unterbezahlten Teilzeitjobs abgespeist werden, müssen andere haufenweise Überstunden machen“, kritisiert Achitz. Deshalb sollten Arbeitgeber, die Überstunden anordnen, auch einen Beitrag von einem Euro pro Stunde zusätzlich ins Gesundheits- und Arbeitsmarktbudget einzahlen. Ein weiterer Schritt für Achitz ist die Erhöhung des Urlaubsanspruchs. Arbeitsmarkt und Gesellschaft haben sich verändert, die Menschen wechseln häufiger den Arbeitsplatz, ob freiwillig oder unfreiwillig. Dem müsse Rechnung getragen werden: „Alle ArbeitnehmerInnen sollen die Chance auf die sechste Urlaubswoche bekommen – und nicht nur diejenigen, die 25 Jahre in ein und demselben Betrieb beschäftigt sind.“
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/ou2skmw

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Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746603 AK: Gesetzeswidriger Heimvertrag Junge Menschen zieht es oft nach Wien, um zu studieren. Die erste eigene Unterkunft wird für viele ein Zimmer im Studierendenheim. Die AK hat daher Musterverträge von zehn Wiener Studierendenheimträgern auf den Prüfstand gestellt. Die darin enthaltenen Klauseln verstoßen meist gleich gegen mehrere gesetzliche Bestimmungen. In den zehn geprüften Studentenheimmietverträgen inklusive Heimstatuten hat die AK 407 gesetzwidrige Klauseln gefunden – das sind im Durchschnitt rund 40 gesetzwidrige Klauseln pro Vertrag. Da die Klauseln oft gegen mehrere Bestimmungen verstoßen, waren es in Summe 605 Verfehlungen gegen gesetzliche Bestimmungen – im Schnitt also 60 Gesetzesverstöße pro Vertrag.
180-mal wurde gegen das Transparenzgebot des Konsumentenschutzgesetzes verstoßen. Das heißt, die Vertragsbestimmungen sind unklar oder unverständlich formuliert. So tappen etwa HeimbewohnerInnen in mehreren Fällen sogar wegen der Höhe des monatlichen Benützungsentgeltes im Dunkeln. 182 Verstöße gehen gröblich zulasten eines Vertragspartners und sind somit laut Allgemeinem Bürgerlichem Gesetzbuch unwirksam. So behalten sich die Heimträger vor, den HeimbewohnerInnen während der Laufzeit des Vertrages jederzeit ein anderes Zimmer zuweisen zu können.
Die AK wird die Heimträger über das Ergebnis informieren und verlangen, die Klauseln zu ändern. Überdies will die AK eine Verbesserung des Studentenheimgesetzes. So sollen die Verträge verständlicher und klarer formuliert werden.
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/paall8v

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Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746600 PRO-GE/GPA-djp: Erfolgreiches Freizeit-Modell Die sogenannte Freizeitoption wurde von den Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp erstmals im Jahr 2013 für die ArbeiterInnen und Angestellten im Kollektivvertrag der Elektro- und Elektronikindustrie abgeschlossen. Heuer wurde diese als grundsätzliches Gestaltungsmodell auf zehn Jahre abgeschlossen.
Inzwischen gibt es die Freizeitoption auch für andere Branchen, wie etwa in der Fahrzeugindustrie, in Bergbau und Stahlindustrie sowie in der Papierindustrie. „Die Freizeitoption ist eine innovative Möglichkeit der Arbeitszeitgestaltung. ArbeitnehmerInnen können, ohne ihre Normalarbeitszeit zu verändern, die Jahresarbeitszeit verkürzen. Das macht das Modell für mehr zusätzliche Freizeit so erfolgreich“, sagen Rainer Wimmer (Bundesvorsitzender der PRO-GE) und Karl Proyer (stv. Bundesgeschäftsführer der GPA-djp).

Voraussetzung ist der Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zwischen Unternehmen und Betriebsrat. Gibt es eine solche, haben Beschäftigte die Möglichkeit, durch Einzelvereinbarung mit dem Unternehmen in den Genuss der Option zu kommen. Einmal vereinbart, bekommen die Beschäftigten jeden Monat die zusätzliche Freizeit. Den ArbeitnehmerInnen stehen verschiedene Wahlmöglichkeiten für den Verbrauch zur Verfügung: für die Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit, für die Verlängerung des Urlaubs oder aber auch als Ansparmodell für längere Freizeitphasen. „Beschäftigte haben so die individuelle Möglichkeit, ihre Arbeitszeit und damit auch ihre Arbeitsbelastung zu verringern“, betonen Wimmer und Proyer.


Untersuchungen der Arbeiterkammer zeigen, dass die Freizeitoption positive Effekte auf die Beschäftigung hat. Sie kann zudem positive gesellschaftliche und gesundheitliche Auswirkungen haben, etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder für eine Umverteilung der Lebensarbeitszeit. „Es gibt eine Reihe von Handlungsfeldern, um Arbeit so umzuverteilen, dass einerseits die Work-Life-Balance der Beschäftigten verbessert werden kann und andererseits mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können – auch die Freizeitoption gehört dazu“, sagen Wimmer und Proyer.


„Die Freizeitoption ist freiwillig und braucht noch Zeit, sich durchzusetzen. Aber die Auswirkungen auf Beschäftigung und Gesundheit werden jedes Jahr deutlicher zu sehen sein. Daher ist die Freizeitoption auch für viele andere Bereiche und Branchen interessant und wird daher auch Thema bei den Herbstlohnrunden sein“, sagen Wimmer und Proyer.
Mehr Infos unter:
www.proge.at bzw. www.gpa-djp.at

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Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746592 AK: Mehr Kinder brauchen Nachhilfe Mehr Kinder brauchen Nachhilfe, der Lerndruck auf die Familien steigt: Ganze 119 Millionen Euro und damit 10 Millionen mehr als voriges Jahr haben die Eltern für private Nachhilfe ausgegeben. Zwar geben die Eltern pro Kind weniger für Nachhilfe aus. Aber die Zahl derer, die Nachhilfe bekommen, ist gestiegen. Das zeigt das AK-Nachhilfebarometer 2015, für das über 3.300 Eltern befragt wurden.
Dabei ersetzt die private Nachhilfe nicht, dass Eltern nach der Schule mit den Kindern lernen. Bei jenen Kindern, die Nachhilfe bekommen, ist der Zeitaufwand der Eltern fürs Lernen genauso hoch wie bei Eltern, die nicht für private Nachhilfe zahlen. Hauptgrund für Nachhilfe ist, dass eine Note verbessert oder eine Nachprüfung verhindert werden soll. In der Hauptschule sollen Kinder mittels Nachhilfe in eine höhere Leistungsgruppe aufsteigen. In Schulen, an deren Ende über die weitere Schullaufbahn entschieden wird, wird mit Nachhilfe um die Berechtigung zum Übertritt ins Gymnasium oder in berufsbildende Schulen gekämpft. So sind die Nachhilfe-Ausgaben in der Neuen Mittelschule relativ hoch. Eltern nehmen sie dort hauptsächlich deshalb in Anspruch, damit ihre Kinder ihre Noten verbessern können. Dabei gibt es einen Lichtblick: In der echten, verschränkten Ganztagsschule, in der Unterricht, Üben, Sport und Freizeit über den ganzen Tag verteilt sind, müssen die Eltern seltener selbst mit den Kindern lernen als in der Halbtagsschule. In der Ganztagsschule lernen 24 Prozent der Eltern täglich mit den Kindern, im Durchschnitt aller Formen der Nachmittagsbetreuung müssen 40 Prozent der Eltern zusätzlich selbst mit den Kindern lernen.
Die Arbeiterkammer fordert deshalb hochwertige Ganztagsbetreuung und mehr Mittel für Schulen mit vielen Kindern, denen die Eltern keine teure Nachhilfe zahlen können. „Weder die Eltern noch die Nachhilfeinstitute sollen die grundlegende Aufgabe der Schule übernehmen“, hält Rudi Kaske, AK-Präsident, fest. Außerdem verlangt er den Ausbau der Ganztagsschulen nicht nur auf dem Papier: Die Mittel für den Ausbau müssen von den Ländern komplett in Anspruch genommen werden. Beim Ausbau selbst muss es strenge Qualitätskontrollen geben.
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/pso8w72

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Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746581 Die lange Nacht des Faschismus Portugal, Spanien, Italien, Griechenland: Europas sonniger Süden und Europas wirtschaftliche Krisenregion. Dieses Doppelimage lässt leicht vergessen, dass die vier Länder viel länger als etwa Österreich und Deutschland unter faschistischen Regimen leben mussten, -  mit Ausnahme Italiens noch nach 1970, als Österreich in der Kreisky-Ära einen großen Schritt in Richtung soziale Demokratie zu unternehmen begann. Dazu kommt in Spanien und Griechenland das Trauma brutaler Bürgerkriege.

Italien konnte zwar, begünstigt durch den Vormarsch der Alliierten gegen des nationalsozialistische Deutschland, nach mehr als  20 Jahren zwischen 1943 und 1945 die faschistische Diktatur beseitigen, aber deren Umgang mit Gewerkschaften wurde nicht nur in Österreich 1934 bis 1938, sondern auch auf der iberischen Halbinsel und in Griechenland zum Vorbild: Verfolgung und Unterdrückung aller freien, staatsunabhängigen Gewerkschaftsbewegungen sowie Errichtung von regimetreuen Staatsgewerkschaften. Das traf gleichermaßen für das 1926 bis 1974 herrschende Salazar-Caetano-Regime in Portugal zu wie für die Rivera-Diktatur in Spanien 1923 bis 1931 und den Franco-Faschismus von 1939 bis 1975 sowie die Metaxa-Diktatur 1931 bis 1941 und die Militärdiktatur 1967 bis 1974 in Griechenland.
Der 10. Weltkongress des IBFG, des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften, verwies 1972 auf die anhaltende Verfolgung und Unterdrückung in den auch damals bei TouristInnen beliebten Sonnenländern:
Er verurteilte die Verhaftungen, Inhaftierungen und Misshandlungen portugiesischer Arbeitnehmer und Gewerkschafter wegen gewerkschaftlicher Betätigung und ebenso das spanische Franco-Regime, das nichts von seinem totalitären Charakter eingebüßt hat und Arbeitnehmer wegen normaler Gewerkschaftstätigkeit verfolgt, inhaftiert und töten lässt. Er forderte ebenso zur Solidarität mit den griechischen GewerkschaftsaktivistInnen gegen die Militärdiktatur auf, denn immer wieder werden Arbeitnehmer, Gewerkschafter und Staatsbürger verhaftet, deportiert und verurteilt, weil sie sich eingesetzt haben, die Gewerkschaftsrechte und -freiheiten in Griechenland wiederherzustellen.

Scharf kritisierte die Gewerkschaftsinternationale das Verhalten der westlichen Demokratien, deren Politik das lange Überleben der faschistischen Diktaturen mit verschuldet habe und im Falle Portugals auch noch zur Verschärfung der Kolonialkriege in Afrika beitrage. Sie verlangte, die drei Staaten von allen internationalen Vereinigungen auszuschließen, solange dort die politische Lage unverändert blieb. Zu Griechenland lautete der Aufruf an die Mitgliedsorganisationen, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, damit diese jegliche Unterstützung der griechischen Diktatur einstellen, und zu verhindern, dass Griechenland den Räten und Organisationen der freien Völker beitritt oder in ihnen mitarbeitet. Der Aufruf gegen das portugiesische Regime zielte ebenfalls in diese Richtung. Was das Franco-Regime betrifft, befürwortete der IBFG nachdrücklich die Haltung der Mitgliedsorganisationen in den EWG-Staaten, die sich gegen einen Beitritt … Spaniens verwehren, solange nicht die politischen und gewerkschaftlichen Freiheiten … wiederhergestellt sind.

Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750312 Mit der portugiesischen "Nelkenrevolution" 1974 begann in Europas Süden der schwierige Weg zur Demokratie. Nach dem Militärputsch begrüßten die Menschen die Soldaten als Befreier und steckten Nelken in ihre Gewehrläufe. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746523 Ausgehebelte Marktmechanismen In der geschäftigen Akadimias-Straße in Athens Innenstadt könnte man so etwas wie das Zentrum jener Bewegung verorten, die maßgeblichen Anteil am Wahlsieg des linken Parteienbündnisses Syriza hat. Im siebenten Stock eines Wohn- und Geschäftshauses eröffnet ein großer Balkon einen Blick auf das Häusermeer der griechischen Hauptstadt. Drei Schreibtische in einem kleinen Büro, ein Besprechungsraum: Das ist die Zentrale des Netzwerks „Solidarity for all“.

Unterstützung

Was mit der monatelangen Besetzung des Syntagma-Platzes in der Athener Innenstadt im Sommer 2011 begann, hat sich zu einer landesweiten Solidarökonomie entwickelt, die eng mit der Protestbewegung verwoben ist. So schildert es Christos Giovanopoulos, langjähriger Aktivist im Dunstkreis von Syriza. Giovanopoulos sieht die „Märkte ohne Mittelsmänner“, die Schulen, Rechtshilfe-Projekte und Solidarkliniken als Verbindungsglied zwischen dem individuellen Leben der Menschen und der Politik. „Wenn eine Familie die Schulbücher für ihre Kinder nicht bezahlen kann oder Menschen aus ihren Wohnungen geworfen werden, werden sie von unseren Strukturen unterstützt“, sagt er. Giovanopoulos ist ein politischer Intellektueller, der vom dialektischen Verhältnis von Protestbewegung und Gesellschaft spricht und die aktive Beteiligung der unpolitischen kleinen Leute betont.
Dabei ist ihm wichtig, dass „Solidarity for all“ weder einer Ideologie folgt noch institutionell gebunden ist. Aber: „Diese Bewegung hat das Potenzial zu umfassender sozialer Transformation“, indem sie „post-kapitalistische Organisationsstrukturen“ schafft, sagt er. Es sei eine Bewegung von unten. Auch der Begriff „Multitude“ fällt, der von den Stars der globalisierungskritischen Linken Antonio Negri und Michael Hardt geprägt wurde und politische Netzwerke als Kern des Widerstands ausmacht. „Während die Troika im Auftrag der Märkte demokratische und soziale Errungenschaften massiv beschnitten hat, wendet der demokratische Souverän das Spiel und bietet der Herrschaft des Marktes die Stirn“, analysiert er mit spürbarer Euphorie.
Es ist ein Sonntag im Februar. Im Schatten des riesigen Karaiskaki-Stadions in Piräus, der größten Hafenstadt des Landes, feiert einer jener „Märkte ohne Mittelsmänner“ sein zweijähriges Bestehen. Von Grundnahrungsmitteln über Toilettenartikel bis zu Olivenöl und Honig aus lokaler, biologischer Produktion gibt es vieles, das auch in Österreich auf überteuerten Biomärkten angeboten werden könnte – mit dem Unterschied, dass hier die gängigen Marktmechanismen ausgehebelt werden. Zwischenhändler gibt es nicht, die Waren kommen direkt von den Erzeugern im Umland von Athen, Preise werden durch ein Organisationskomitee im Konsens mit allen Beteiligten festgelegt. Wer etwa Kartoffeln, Bohnen und Olivenöl braucht, muss einige Tage vorher eine Bestellung aufgeben und kann seinen Einkauf dann zu einem Preis abholen, der rund ein Drittel unter dem durchschnittlichen Marktpreis liegt.

Freiwillig und ehrenamtlich

Rund 400 solcher Märkte gibt es in Griechenland, etwa 80 davon in Athen, jeweils organisiert auf freiwilliger und ehrenamtlicher Basis. Und weil zweijähriges Jubiläum ist, gibt’s Spanferkel, Brot, Wein und Live-Musik – und in den Pausen erklingt die „Internationale“. Die meisten AktivistInnen und OrganisatorInnen sehen sich im programmatischen Einklang mit Syriza, viele sind Mitglied. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es ihnen wichtig, den unpolitischen Charakter der Veranstaltung zu betonen, es gehe zuvorderst um Armutsbekämpfung, darum, der Krise zu begegnen und Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren. Praktischer Widerstand gegen das Spardiktat wird als willkommener Nebeneffekt betrachtet.
Im bürgerlich-wohlhabenden Teil der Athener Innenstadt deutet zunächst nichts auf eine Krise hin. Elegante Boutiquen, Feinkostläden und teure Luxusautos prägen das Quartier, das bevorzugter Sitz der meisten Botschaften und international tätigen Organisationen ist. Eine davon ist die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die der deutschen SPD nahesteht. FES-Büroleiter Christos Katsioulis, Sohn griechisch-deutscher Eltern, sagt im Gespräch, die Krise treffe in Griechenland mit voller Wucht auf einen weithin dysfunktionalen Staat und eine Gesellschaft im Umbruch. Die neue Regierung könne durchaus eine Chance sein, weil sie als erste linke Regierung in der jüngeren Geschichte des Landes weitgehend frei von alten Seilschaften sei. „Solidarity for all“ bezeichnet er als „Produkt von Syriza“, das „sehr geschickt aufgezogen“ sei und der Partei breite Verankerung und Akzeptanz in der Gesellschaft verleihe.

Neuer Deal

Katsioulis beschreibt Syriza als eher fragiles Bündnis, das ein Spektrum von linken SozialdemokratInnen über pragmatisch-undogmatische Linke bis zu Gruppierungen aus der Tradition des Eurokommunismus abdecke. Trotzdem räumt er der neuen Regierung gewisse Chancen auf Erfolg ein. Voraussetzung dafür sei einerseits, dass die längst überfälligen Strukturreformen insbesondere im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Finanzadministration angegangen würden. Andererseits müsse sich auch die EU auf einen neuen Deal einlassen, der Staat und Wirtschaft wieder Luft zum Atmen lasse. Dann, so hoffe er, könne die Wahl in Griechenland bestenfalls den Beginn einer Trendwende in der EU markieren, weg von der marktradikalen Politik merkelscher Prägung hin zu mehr sozialem Ausgleich und wirtschaftlicher Vernunft.
Die Gegenwart sieht freilich anders aus. Europa wird als Motor der Ungleichheit betrachtet, die griechische Gesellschaft ist tief gespalten – nicht nur zwischen Arm und Reich. Welche Gräben sich auch zwischen offiziell befreundeten Gruppen und Lagern auftun, das zeigt sich bei einem Besuch des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE. Zoe Lanara, Leiterin der Abteilung Internationales, beschreibt mit routinierter Empörung, was nicht nur in ihren Augen ein groß angelegter Angriff auf in Jahrzehnten erkämpfte Rechte der Beschäftigten ist: das Ermöglichen sogenannter gelber Gewerkschaften, der massive Abbau von Schutzrechten, die Absenkung der Löhne, der Abbau von Sozialleistungen – kurz: all das, was der vor wenigen Jahren noch um die fünf Prozent dümpelnden Syriza einen erdrutschartigen Sieg bescherte und die Altparteien Nea Dimokratia und PASOK mit einem Paukenschlag in die Bedeutungslosigkeit verbannte.
Die etwas abgekämpfte Lanara berichtet von 37 Generalstreiks und einer Reihe von Prozessen, zu denen der griechische Gewerkschaftsbund GSEE seit 2010 aufgerufen habe, „Solidarity for all“ hingegen ist für sie nur eine von vielen Nichtregierungsorganisationen, der sie keine weitere politische oder gesellschaftliche Bedeutung zuspricht. Der Syriza-Regierung steht sie abwartend-skeptisch gegenüber – während sie auf die Frage nach möglichen innergriechischen Ursachen für die gegenwärtige Krise eine klare Position hat: Schon die Frage sei „absolut falsch“, ebenso wie die Diskussion um überhöhte Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen, schließlich seien diese freiwillig verhandelt worden.

Lagerdenken

Lanara mag nicht für alle Lager innerhalb des GSEE sprechen, doch zeigt sich in ihren Äußerungen, dass viele gesellschaftliche Gruppen in Griechenland noch in alten Lagern denken. Zuweilen fehlt auch das Verständnis dafür, dass es durchaus nicht nur die EU ist, die für die Misere Griechenlands verantwortlich ist.
Alle werden sich bewegen müssen, auch Syriza und „Solidarity for all“, die nun nicht mehr Opposition und Protestbewegung sind. Offen ist, ob es der neuen Regierung in Athen gelingt, Sozialstaat und Demokratie gegen den Druck aus Brüssel und Berlin zu verteidigen und eine wirtschaftlich nachhaltige Politik zu etablieren.

Nachlese:
Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung zuerst erschienen in „Mitbestimmung – Das Magazin der Hans-Böckler-Stiftung“, Ausgabe 3/15:
tinyurl.com/bpsxqlh

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Lukas Franke aus Athen, Journalist, freier Autor und Dramaturg in Berlin und Wien Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750341 Im Schatten des riesigen Karaiskaki-Stadions in Piräus feierte im Februar ein "Markt ohne Mittelsmänner" sein zweijähriges Bestehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750627 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746518 Plötzlich nur Mensch zweiter Klasse Es ist eng in der Ambulanz, durch einen schummerig beleuchteten Gang werden eilig neue PatientInnen auf Bahren geschoben, ältere zumeist, halb weggetreten, die Augen auf die Decke gerichtet, wo die Neonröhren vorbeiziehen. Hinter der großen Tür, die pausenlos auf- und zuschwingt, wird diagnostiziert und stabilisiert, wiederbelebt und gerettet. Der normale Wettlauf gegen die Zeit. Aber in Wahrheit ist nichts normal in Griechenlands größtem Krankenhaus. Hinter der Tür kämpfen die ÄrztInnen gegen den Zusammenbruch des Gesundheitswesens nach fünf Jahren Sparpolitik, die so radikal war wie nirgendwo sonst in Europa.

Kein Geld für Heilung

Die Angehörigen draußen wissen das. Sie sitzen auf Plastikschalensitzen, wie man sie in den 1980er-Jahren hatte, dunkelblau oder orangefarben. „Ich sage ihm schon seit drei Jahren, er soll sich untersuchen lassen“, klagt eine Frau, „aber er hat Angst vor den Krankenhäusern.“ Agelikki Keko, eine 78-jährige Athenerin, ist aufgebracht. Ihr Ehemann ist beim Spazierengehen umgekippt. Jetzt liegt er drinnen in der Ambulanz, die Tochter hat angefangen, den Papierkram zu erledigen: Registrierung, die ersten Gebühren, Einverständniserklärung. „Es ist dramatisch. Wir haben so etwas noch nie in Griechenland erlebt“, sagt Agelikki, „ich weiß nicht, wer daran Schuld hat. Nur Gott kann uns helfen.“ Ihr Mann hat vermutlich ein schweres Herzproblem. Vor allem aber hat er kein Geld, um sich Heilung zu erkaufen auf diesem schnell sinkenden Schiff. 950 Betten stehen im Evangelismos-Krankenhaus im Stadtzentrum von Athen. Es fehlt an ÄrztInnen für die OP, an PflegerInnen für die Betreuung, an Geld für Medikamente und den täglichen Spitalbedarf – die sind nämlich alle nur auf Pump gekauft.
Ganz oben, im elften Stock des Hauptgebäudes, erklärt Anastasios Grigoropoulos die Misere. Er ist kein Arzt, sondern Manager – und Präsident von Evangelismos. „Ein politischer Posten“, sagt er, „leider.“ Ein Gesundheitsminister der konservativen Vorgängerregierung hat ihn im vergangenen Jahr eingesetzt, der neue will nicht nur seinen Rücktritt, sondern den aller anderen Spitalpräsidenten im Land. Grigoropoulos denkt nicht daran. Er habe einen Vertrag mit dem Staat unterschrieben, sagt der Ökonom, beide Seiten müssen sich daran halten. Dabei trennt den Spitaldirektor eigentlich nicht viel von Panayiotis Kourouklis, den Minister von der linksradikalen Partei Syriza. Es geht ja in erster Linie um Zahlen, und die sind schlecht, absurd schlecht. 200 Millionen Euro an Personal- und Betriebskosten im Jahr hatte das Evangelismos-Krankenhaus in Athen verbucht, als 2010 die griechische Finanzkrise ausbrach. 120 Millionen Euro sind es bei sparsamer Führung, sagt Grigoropoulos. Veranschlagt wurden aber 72 Millionen Euro für dieses Jahr, viel weniger also, als für den Betrieb notwendig wären. Bis Mai, als Regierung und Kreditgeber noch in Brüssel verhandelten, hat Grigoropoulos bereits 30 Millionen ausgegeben. Bekommen hat er vom Staat bis dahin ganze zwei Millionen Euro.

Aus dem Gleichgewicht

Der Kahlschlag im Gesundheitswesen zusammen mit der Rezession hat die griechische Gesellschaft aus dem Gleichgewicht gebracht. 20 oder 50 Euro in der Ordination beim Hausarzt, 25 Prozent Selbstbehalt bei Medikamenten in der Apotheke wurden plötzlich für sehr viele ein Problem. Arbeitslose verlieren nach zwei Jahren ihren Versicherungsschutz. Erst Mitte 2014 hat die Regierung ein Gesetz erlassen, das den mindestens zwei Millionen Menschen ohne Krankenversicherung freie Behandlung in Spitälern ermöglichte – nach entsprechender Wartezeit, die medikamentöse Behandlung nach dem Krankenhausaufenthalt nicht inkludiert. Woher das Geld dafür kommen soll, sagte der Gesundheitsminister damals nicht.
„Die Griechen sind Menschen zweiter Klasse geworden“, stellt Christos Sideris fest. Er ist einer der Mitbegründer der ersten „Sozialklinik“ in Athen, die nicht versicherte Griechen und Immigranten behandelt. 2011, als die Arbeitslosenrate in die Höhe schoss und die Griechen Woche für Woche auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament gegen den Sparkurs protestierten, tat sich Sideris mit fünf anderen zusammen und überredete die Gemeindeverwaltung in einem Athener Außenbezirk im Süden, ihnen eine Baracke auf dem Gelände des früheren Flughafens Helleniko zu überlassen. „Die Klinik ist ein Weg, um Widerstand gegen die Krise zu leisten und den Krieg, der gegen die griechische Gesellschaft geführt wird“, sagt der junge Grieche.

Horrorgeschichten

Jahr für Jahr wird seit 2010 im Gesundheitsbereich um 15 bis 20 Prozent gekürzt. Es gibt Horrorgeschichten wie jene von dem 54-jährigen Griechen, der schon im OP-Saal lag und einen Herzschrittmacher erhalten sollte. Dann kam plötzlich der Buchhalter des Spitals und ließ die Vorbereitungen zur Operation abbrechen, weil die Kostenübernahme nicht gesichert war. Als ein öffentlicher Protest losbrach und der Gesundheitsminister noch von einer Lügenkampagne sprach, entschuldigte sich die Krankenhausführung. Der Vorfall ereignete sich im Evangelismos.
Ganz zu Beginn sei die Krise auch eine Chance gewesen, endlich aufzuräumen, meint Spitaldirektor Grigoropoulos. Neun Milliarden Euro habe Griechenland früher jedes Jahr für die Gesundheit ausgegeben, so viel wie Spanien, nur mit viermal weniger EinwohnerInnen. Bis 2008 haben griechische Krankenhäuser keinen Haushalt veröffentlicht, sagt Grigoropoulos, der vor Evangelismos ein kleineres Spital in Athen geleitet hatte. „Aber von der Chance zur Neuordnung sind wir schrittweise ins Gegenteil gekommen“, sagt er. „Keiner hat die realen Kosten eines Krankenhauses berechnet. Die Troika hat einfach festgelegt: Nehmt 2,2 Milliarden Euro und verteilt sie auf die Spitäler im Land.“ Und danach wurde immer weiter gekürzt.
Wie er nun mit seinen bisher zwei Millionen Euro in diesem Jahr zurechtgekommen ist? „Wir bezahlen die Lieferanten nicht und hoffen, dass sie Geduld haben“, sagt Grigoropoulos. Aber das ist bei Weitem nicht alles. Seit fünf Jahren ist hier niemand mehr eingestellt worden. Rund 200 DoktorInnen und 400 PflegerInnen fehlen. In manchen Abteilungen müsse eine Krankenschwester nachts 40 bis 50 PatientInnen betreuen, berichtet Dimitris Pitsolas, Vizepräsident der Union der KrankenpflegerInnen Griechenlands. „Klar, dass da etwas schiefgehen kann.“ Auch er arbeitet im Evangelismos. Die schwierige Situation wirkt sich auch auf die Belegschaft aus. Apathie, Depressionen, immer wieder zwei, drei Tage Abwesenheit wegen Krankheit sieht er bei seinen KollegInnen. Es sind die Symptome für ein Burn-out.

ÄrztInnen-Exodus

Die Bezahlung ist schlecht, ob für PflegerInnen oder ÄrztInnen: 750 Euro für die einen, rund 1.000 bei den anderen, ein bisschen mehr nach fünf oder zehn Berufsjahren. „Wir hatten nie soziale Anerkennung, wir hatten immer nur mit dem Schmerz der Patienten zu tun“, sagt Fotinin Katsiliani, die Chefin der PflegerInnen im Spital. „Aber jetzt ist alles noch sehr viel schwerer geworden.“ Weil sich die meisten keinen Besuch mehr beim Hausarzt leisten können, kommen sie gleich zur Ambulanz ins Krankenhaus: 30 Prozent mehr PatientInnen bei schrumpfendem Personal.
Die ÄrztInnen wiederum wandern gleich aus. „Es ist ein Riesenproblem für Griechenland geworden“, sagt George Patoulis, der Präsident der Athener Ärztevereinigung und Bürgermeister im wohlhabenden Stadtteil Maroussi. Die Zahl der spezialisierten ÄrztInnen, die das Land verlassen, habe sich in den Krisenjahren verfünffacht. In Helleniko, im Athener Süden, wo auch die Sozialklinik steht, gibt es derzeit nicht einmal mehr eine/n AllgemeinmedizinerIn in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge. Die Menschen kommen dann eben zur Klinik mit den ÄrztInnen, die auf freiwilliger Basis arbeiten. 16.000 Besuche waren es 2014, berichtet Christos Sideris. Im sechsten Jahr der Krise hat es ihn auch noch selbst erwischt: Der Mitbegründer der Sozialklinik verlor gerade seinen Job in einer Reederei.

Internet:
Sozialklinik in Helleniko:
www.mkiellinikou.org

Nachlese:
Carmen Janko: „Wir wollen unser Leben zurück! – Reportage über die Klinik der Solidarität“, in Arbeit&Wirtschaft 10/2013

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Markus Bernath aus Athen, Auslandskorrespondent der Tageszeitung "Der Standard" Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750346 Der Kahlschlag im Gesundheitswesen zusammen mit der Rezession hat die griechische Gesellschaft aus dem Gleichgewicht gebracht. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746468 Mittellos und ohne Schutz Taha hat es eilig. Er ist vor einem Monat mit einem Boot gemeinsam mit weiteren 150 Flüchtlingen aus Afrika auf der Insel Gavdos südlich von Kreta gestrandet. Sie sind von Ägypten und Libyen aus gestartet, eigentlich wollten sie nach Italien, doch ihr Boot geriet vor einem der südlichsten Punkte der EU in Seenot. Die etwa 80 EinwohnerInnen von Gavdos haben versucht, die Flüchtlinge mit Essen und medizinischer Hilfe zu versorgen, und das, obwohl die EinwohnerInnen selbst unter den Folgen der schweren Schuldenkrise leiden. Die Insel war zu diesem Zeitpunkt wegen schlechten Wetterbedingungen zudem von Schiffverkehrsverbindungen abgeschnitten.

Keine Hilfe

Als die starken Winde aufgehört hatten und ein Verkehrsschiff die Insel erreichen konnte, wurden die Flüchtlinge über Kreta nach Athen transportiert. Dort wurden sie freigelassen, mit einem Papier in der Hand, das es ihnen für sechs Monate erlaubt, in Griechenland zu bleiben. Taha ist 40 Jahre alt, in seinem Heimatland Sudan hat er als Lehrer gearbeitet. Mit dem Papier kann er nichts anfangen: Als er und seine mitreisenden Schutzsuchenden in Piräus aus der Fähre ausgestiegen sind, wussten sie nicht, wohin. „Wir bekommen von nirgendwo Hilfe. Wir wohnen zurzeit in einem Untergeschoß in Athen, mehrere Flüchtlinge zusammengequetscht in einem Zimmer. Es gibt keine Arbeit und keine Möglichkeit, hier überleben zu können, selbst wenn wir Asyl bekommen“, sagt Taha. Deswegen muss er so schnell wie möglich raus aus Griechenland. Denn jeder Tag hier kostet ihn Geld. Er muss für die Übernachtung in dem überfüllten Zimmer zahlen und Essen finden. Falls er überhaupt Asyl beantragen kann, muss er mehrere Monate warten, bis er den Flüchtlingsstatus bekommt. Und materielle Hilfe vom griechischen Staat ist derzeit ausgeschlossen. Vielleicht bekommt er noch einen Teller Essen täglich bei einer Suppenküche in der griechischen Hauptstadt.

Asylbehörde überlastet

Zugang zur Asylbehörde zu bekommen ist gegenwärtig fast unmöglich. Erst Ende Mai gab sie bekannt, dass sie wegen personeller Unterbesetzung Anträge nur noch per Skype aufnehmen, die schon ausgemachten Interviews führen sowie andere administrative Dinge abarbeiten kann. Erschwerend kommt dazu, dass viele NGOs, die Flüchtlingen helfen, selbst in einer sehr schwierigen finanziellen Lage sind. Taha bleibt nichts übrig, als mit dem wenigen Geld, das ihm übrig geblieben ist, durch Schlepper den Weg aus Griechenland heraus zu finden: mit gefälschten Papieren per Flug in ein anderes Land der EU oder zu Fuß entlang der Bahnschienen durch die Balkanstaaten Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM) und Serbien in Richtung EU.
Diesen Weg wählen in letzter Zeit immer mehr Flüchtlinge, denn es ist die billigste Möglichkeit, nach Mittel- oder Nordeuropa zu gelangen. Billig, aber gefährlich, denn immer wieder kommen Menschen auf diesem Weg zu Tode. Im April etwa wurden 14 Flüchtlinge aus Afghanistan und Somalia in der FYROM von einem Zug überfahren. Vor ein paar Monaten erlitt eine junge Mutter mit ihrem kleinen Kind das gleiche Schicksal.
An der Grenze zwischen Griechenland und der FYROM sowie in den griechischen Hafenstädten Patras und Igoumenitsa warten aktuell Hunderte Flüchtlinge darauf, ausreisen zu können. Gleichzeitig ist die Anzahl derjenigen, die in Griechenland ankommen, im Vergleich zum Vorjahr rasant gestiegen. Im ersten Quartal 2015 wurden nach Angaben der griechischen Polizei 36.172 Menschen wegen „illegaler Einreise“ oder „illegalem Aufenthalt“ festgenommen – im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 13.353.

Regierung überfordert

Die linksgerichtete Regierung von Alexis Tsipras ist überfordert. Trotz der sehr hohen Anzahl von Ankünften – insbesondere Familien, minderjährige Flücht-linge und andere gefährdete Fälle – gibt es in Griechenland weniger als 1.000 Plätze in Einrichtungen für Flüchtlinge.
Die meisten Gelder, die aus europäischen Kassen für die Verwaltung der Flüchtlingsströme nach Griechenland geflossen sind, verwendeten die vorherigen Regierungen für die Inhaftierung von Papierlosen, klagt die jetzige Regierung. So landen viele der Schutzsuchenden auf der Straße. Auf dem Omonia-Platz im Herzen der griechischen Hauptstadt oder auf dem Aristotelous-Platz im Zentrum von Thessaloniki begegnet man immer öfters obdachlosen Flüchtlingen aus Syrien und anderen Krisenländern. Oft haben mittellose Asylsuchende in Griechenland, die keine Verwandten im Ausland haben, die sie finanziell unterstützen, keine Möglichkeit, zu überleben, und landen im Drogenhandel oder in der Prostitution.

Lage wesentlich verschlechtert

Schon vor der Krise waren die Flüchtlinge und MigrantInnen eine gefährdete Gruppe in Griechenland. Jetzt hat sich ihre Lage wesentlich verschlechtert, erklärt Yunus Mohammadi, Präsident des griechischen Flüchtlingsforums und selbst afghanischer Flüchtling. Das Problem sei nicht nur, dass es keine Arbeit gibt oder dass die MigrantInnen oft Opfer von Ausbeutung von Arbeitnehmern und Schleppern werden.
Vor allem zeigt die von den Folgen der Krise erschöpfte griechische Gesellschaft immer mehr Toleranz gegenüber Rassismus und fremdenfeindlichen Angriffen. „Vor der Krise gab es eine starke Reaktion gegen rassistische Angriffe. Jetzt ist jeder auf seine eigenen Probleme konzentriert und die Reaktion ist nicht mehr so stark“, beobachtet Yunus. Seit Mitglieder der Neonazi-Partei Chrysi Avgi nach dem Mord des Aktivisten und antifaschistischen Rap-Musikers Pavlos Fyssas im September 2013 vor Gericht stehen, haben zwar die rassistischen Angriffe abgenommen, wie das Netzwerk für die Aufzeichnungen von Vorfällen rassistischer Gewalt feststellt. Doch die Angriffe gegen Flüchtlinge und MigrantInnenen machen immer noch den Großteil der Registrierungen in ihren Berichten aus. Das Netzwerk stellte fest, dass sich die griechische Gesellschaft an die Gewalt gegen Einzelpersonen, die auf die eine oder andere Art als „anders“ wahrgenommen werden, zunehmend gewöhnt.
Die Stimmung in Griechenland und die katastrophale Wirtschaftslage bringen immer mehr MigrantInnen und Flüchtlinge, die in Griechenland ihr Leben aufgebaut haben, dazu, das Land für ein anderes europäisches Land zu verlassen. Um als MigrantIn in Griechenland eine Arbeit zu finden, muss das Arbeitsamt zunächst sichergestellt haben, dass kein Grieche oder keine Griechin die gleiche Arbeitsstelle beansprucht. Seit mehr als eineinhalb Jahren werden die Arbeitsgenehmigungen nicht mehr erneuert und keine neuen erstellt, sagt Nasim Lomani vom Netzwerk für die soziale Unterstützung von Flüchtlingen und MigrantInnen. Dies zwingt sie in den Schwarzmarkt. Die Anzahl der Beschwerden über Arbeitgeber, die den MigrantInnen ihre Löhne nicht bezahlen, hat in den letzten Jahren rasant zugenommen.

Positive Zeichen

Trotz der schwierigen Situation gibt es einige positive Zeichen, seitdem die Linke an die Macht gekommen ist, meinen die meisten der RepräsentantInnen von Flüchtlingsgemeinden im Gespräch. Das herabwürdigende Wort lefrometanastes (illegale Einwanderer) ist nicht mehr so stark präsent in der öffentlichen Debatte und in den Medien wie vorher. „Wir haben jetzt das Recht, an der Tür des Migrationsministeriums zu klopfen. Die Regierung hat gezeigt, dass sie den Willen hat, das Thema auf europäische Ebene zu stellen und eine Lösung für die Unterbringung der Flüchtlinge zu finden“, sagt Yunus.

Zwischenstation Griechenland

Doch dies ändert nichts am Alltag von Taha und seinen Mitreisenden, die vor einem Monat in Griechenland angekommen sind. Drei von ihnen waren so verzweifelt, dass sie bereits mit einem von der EU finanzierten Rückkehrprogramm nach Darfur zurückkehrten. Sie haben zuvor mehrmals erfolglos versucht, von Griechenland aus in ein anderes europäisches Land zu gelangen. Tahar aber will nicht aufgeben. Sein Ziel ist England. Schockiert verfolgt er in den sozialen Medien die Debatte um die Militarisierung der europäischen Grenzen. „Die Welt wird immer kleiner – wie ein Flüchtlingsboot, in dem jeder mal landen könnte“, sagt er zum Abschied nachdenklich.

Internet:
Griechisches Flüchtlingsforum:
www.refugees.gr/en

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Chrissi Wilkens aus Athen, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750357 Die Anzahl derjenigen, die in Griechenland ankommen, ist im Vergleich zum Vorjahr rasant gestiegen. Zugleich gibt es zu wenig Unterkünfte. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746422 Jobmotor mit Armutsgefährdung Es steht Aussage gegen Aussage. „Die Krise ist vorbei“, bekundete Mariano Rajoy (Partido Popular, PP) bereits zum Jahreswechsel. Der konservative spanische Premier lässt sich als erfolgreicher Sanierer feiern, immerhin ist „Superwahljahr“. Kommunal- und Regionalwahlen sind geschlagen, im Spätherbst geht es um seinen Job. So lobte er vollmundig, dass dies allein das „Verdienst der gesammelten Kraftanstrengungen der spanischen Familien“ sei. Und er fragte: „Wer spricht heute eigentlich noch im Zusammenhang zu Spanien von Arbeitslosigkeit, Rettung und Rezession?“ Damit erntete er vor allem eines: Häme. Sind doch die SpanierInnen selbst nach wie vor gemäß dem CIS-Bevölkerungsbarometer von zweierlei überzeugt: 70 Prozent gaben im April 2015 als größte Sorge die Arbeitslosigkeit an. Gar drei Viertel „spürten nichts von einer Verbesserung der Wirtschaftslage“ in den vergangenen zwölf Monaten.

Armut omnipräsent

„So kommen wir nicht aus der Krise“, sagt auch der Generalsekretär der kommunistischen Gewerkschaft Comisiones Obreras (kurz CCOO), Ignacio Fernández Toxo. Er fordert: „Es ist unabdingbar, für würdevolle, qualitative Arbeitsplätze zu kämpfen.“ Cándido Méndez Rodríguez, Chef der sozialistischen Unión General de Trabajadores (UGT), warnte zudem, dass „die negative Kaufkraftentwicklung die Schwäche des einsetzenden Aufschwungs deutlich macht. Diesen spüren weder ArbeiterInnen noch Familien.“
So sind sie nach wie vor lange, die Warteschlangen vor Sozialküchen, Lebensmittelbanken und den Arbeitsämtern. Armut ist ebenso omnipräsent wie offensichtlich: 27,3 Prozent der SpanierInnen, rund 12,8 Millionen Menschen, sind laut Caritas stark von sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Arbeitslosigkeit ist exorbitant hoch: Zu Ende des Erstquartals 2015 lag sie bei 28,78 Prozent, damit sind mehr als 5,4 Millionen SpanierInnen auf Stellensuche.
Wie CCOO-Chef Toxo betont, liegt der Anteil der strukturellen Arbeitslosigkeit bei 13 Prozent. Sprich für die Hälfte gebe es „keine Perspektive, mittel- oder langfristig Arbeit zu finden“ – das Gros der Betroffenen hat nur eine niedrige Qualifikation. In 1,7 Millionen Haushalten geht kein Mitglied einem Erwerb nach. Spanien wird frühestens 2023 das Vorkrisen-Beschäftigungsniveau wieder erreicht haben, lautet die optimistischste Prognose.
Wenngleich Menschen wieder Jobs finden, haben sich die Arbeitsbedingungen im Gefolge der schweren Wirtschaftskrise, die mit dem Platzen der Immobilienblase 2007/08 ihren Ursprung nahm, drastisch verschlechtert. Was der Internationale Währungsfonds (IWF) „als Reformen“ bezeichnet und Ex-Premier José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) sowie der amtierende Rajoy von der Bevölkerung „als Opfer“ einforderten, machte sich über gesunkene Reallöhne bemerkbar: laut CCOO-Chef „um sieben Prozentpunkte seit dem Amtsantritt von Rajoy Ende 2011“.
Aufweichungen beim Kündigungsschutz, reduzierte Abfindungszahlungen, aber auch eine auf 21 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer für die meisten Produkte und Dienstleistungen gingen damit einher. Erwerbstätige wurden mit der Krise auf einmal deutlich „gesünder“: Die verbuchten Krankenstandstage sanken drastisch, um 28 Prozent in der Privatwirtschaft und immerhin 18 Prozent im öffentlichen Dienst. Die großen Gewerkschaften UGT und CCOO weisen darauf hin, dass die Angst vor Jobverlust im Krankheitsfall groß ist.

Zahnlose Gewerkschaften

Im Kampf gegen jene Entwicklungen wirkten die großen ArbeitnehmerInnen-Verbände trotz der in den schweren Krisenjahren gefundenen Einheit von KommunistInnen und SozialistInnen (CCOO und UGT) zahnlos. Mehrere Generalstreiks – für die Beibehaltung wesentlicher arbeitsrechtlicher Gesetze, sei es in Privatwirtschaft oder öffentlichem Dienst, und gegen Arbeitsrechts- und Pensionsreform – waren weitgehend wirkungslos.
Etwa 35 Prozent der ArbeitnehmerInnen erhalten aktuell den gesetzlichen Mindestlohn (645 Euro, 14 Gehälter pro Jahr). Oder sie leben von Mini-Jobs unter der Armutsgrenze. Sogenannte Working Poor machen fast 13 Prozent der SpanierInnen aus. Daher beklagt CCOO-Generalsekretär Toxo, dass „Spanien das einzige Land Europas ist, wo die Teilzeitarbeit auf Zwang und nicht auf Freiwilligkeit beruht“. Dies betreffe insbesondere Frauen und Junge. Selbst seitens der stets auf Sparkurs beharrenden EU-Kommission kritisierte man, dass man mit einem derart niedrigen Einkommen „kein Leben in Würde führen könne“.

Kaschierte Arbeitslosigkeit

Das schaffen übrigens auch nur die wenigsten der „Neuen Selbstständigen“ (span. „autonomos“). Sie sind aktuell der wahre Jobmotor Spaniens, doch 21,7 Prozent von ihnen leben in Armut. So wirft Toxo der PP-Regierung zu Recht vor, „Arbeitslosigkeit und Prekarität mit Scheinselbstständigen zu kaschieren“. Acht von zehn verdienen weniger als 1.000 Euro monatlich, untermauern auch die Daten der Steuerbehörde.
„39 Prozent derjenigen, die Arbeit gefunden haben, sind neue Selbstständige“, betont auch Àngels Valls, Professorin für Personalmanagement an der ESADE Business School in Barcelona, im Gespräch. Sie konstatiert „einen drastischen Verlust der Qualität der Arbeitsverhältnisse zugunsten der Quantität“. Neue Selbstständige lockt man jüngst auch per „Flatrate“: Wer sich erstmals anmeldet, muss ein Semester lang nur 50 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen monatlich berappen (regulär: über 300 Euro).
Spät, aber doch kündigte Rajoy ein Hilfsprogramm für Selbstständige an. Wer mit seiner ersten Geschäftsidee scheitert, dem/der soll es mit dem „Gesetz der zweiten Chance“ – einer Art Privatkonkurs, der in Spanien nicht existiert – weit einfacher gemacht werden, neu zu starten. Sozialversicherung und Finanz feilen an einem Paket, um die Konsequenzen einer etwaigen Pleite zu vermindern. Stundungen von Restschulden und Subventionen sollen sogleich helfen, wieder unternehmerisch auf die Beine zu kommen.
Vom Krisenfrust und von flächendeckender Politkorruption, in die auch UGT- und CCOO-Funktionäre involviert waren (wie im Fall der „ERE“, in Andalusien abgezweigte Ausbildungsgelder für Arbeitslose), profitieren nun Protestparteien: Auf der einen Seite die linke Anti-Austeritätspartei „Podemos“ (dt. „Wir können“), eine Art spanische Syriza, auf der anderen Seite die „Ciudadanos“ (dt. „Bürger“) mit einem rechtsliberalen Anstrich. Dieser aber trügt, denn sie sind keine spanische Variante von Österreichs „Neos“. Auf ihren Listen stehen Dutzende Ex-Falangisten (Einheitspartei von Ex-Diktator Francisco Francos, Anm.) und vereinzelt Neonazis.

Umstrukturierte Schulden

Beide kanalisieren die Wut und Ohnmacht der Masse mit populistischen Programmen. Die „Podemos“ fordert die „35-Stunden-Woche“ bei vollem Lohnausgleich. Sie setzt auf mehr Sozialausgaben, gestärkte Gewerkschaften – deren Position unter Rajoy gestutzt wurde –, mehr BeamtInnen in der Bildung und im Sozialbereich sowie auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Außerdem fordert sie eine Umstrukturierung der Staatsschulden, die mit einer Billion Euro einen historischen Höchstwert markieren und weiter steigen. Und sie regt Haushalts- und Familienschuldenschnitte an. Das kommt an und mobilisierte auch des Wählens müde StaatsbürgerInnen.
Zugleich legten die Konservativen den „Knebel“ an: Mit dem Beschluss der „Bürgersicherheitsgesetze“, das die SpanierInnen als „Knebelgesetz“ (span. „Ley Mordaza“) kritisierten, wurden nicht nur de facto alle Formen friedlichen Protests verboten. Beunruhigten doch Massenproteste wie die Zeltlager der 15-M-Bewegung 2011 – eine der Wurzeln von „Podemos“ – am Madrider Platz Puerta de Sol nicht nur ausländische InvestorInnen. Viele der damals Kampierenden sind nach wie vor „Empörte“. Andere sind emigriert – eine Lösung, auf die viele Junge spekulieren, immerhin wollen sechs von zehn jungen SpanierInnen auswandern. Mittlerweile leben ohnehin mehr als 2,4 Millionen SpanierInnen fern ihrer Heimat, mit weiterhin steigender Tendenz. Über 112.000 verließen Spanien etwa im Vorjahr.

Internet:
Sozialistische Gewerkschaft Unión General de Trabajadores:
www.ugt.es
Kommunistische Gewerkschaft CCOO, Comisiones Obreras:
ccoo.es

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Jan Marot aus Granada, Freier Auslandskorrespondent für Spanien, Portugal und Nordafrika Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750362 Mehrere Generalstreiks (huelga general) - für die Beibehaltung wesentlicher arbeitsrechtlicher Gesetze sowie gegen Arbeitsrechts- und Pensionsreform - waren weitgehend wirkungslos. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746377 Wohnungsnot bei Leerständen Maria ist 69 Jahre alt und kann ihre Miete nicht zahlen. Am Tag der Delogierung protestiert eine Gruppe der Plattform für Hypothekenbetroffene (PAH) lautstark auf der Straße und in den sozialen Medien. Die PAH ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für das Recht auf Wohnen und gegen Zwangsräumungen einsetzt. Mittlerweile überzieht ein dichtes Netz von Gruppen der PAH das Land. Sie wird überall gebraucht. Diesmal hat sie Erfolg: Im letzten Moment übernimmt ein Fußballverein Marias Schulden und sie kann in ihrer Wohnung bleiben. Ihr Fall war spektakulär und öffentlichkeitswirksam. Andere haben weniger Glück. Pro Tag gibt es in Spanien ca. 500 Delogierungen.

Hypertropher Bausektor

Spanien ist seit Jahren von einer ökonomischen, sozialen und politischen Krise betroffen. Es gibt hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Exklusion. Sichtbarer Ausdruck der Krise sind Delogierungen, Wohnungsnot und gleichzeitig leer stehende Wohnungen. Dass Spanien von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen war, hängt u. a. mit dem Wohnsektor zusammen: Das Land war aufgrund des hypertrophen Bausektors besonders verwundbar. Mit der Finanzkrise platzte die Immobilienblase. Der Staat fing die von Kreditausfällen betroffenen Banken auf, verschuldete sich stark, Unternehmen gingen in Konkurs, die Arbeitslosigkeit stieg.
Während des Baubooms waren die Immobilienpreise um mehr als 200 Prozent gestiegen. Im Zuge der Krise konnten viele SpanierInnen ihre Wohnungskredite nicht zurückzahlen und Delogierungen nahmen zu. Aufgrund des Preisverfalls von Immobilien und der spezifischen Rechtslage Spaniens waren die Delogierten auch danach nicht schuldenfrei. Die Rückgabe der Wohnung befreit nämlich nicht von der Hypothekenschuld, denn die Vergabe von Hypotheken ist mit einer zweifachen Garantie verbunden. SchuldnerInnen haften nämlich nicht nur mit dem erworbenen Haus oder der Wohnung für ihren Kredit, sondern mit ihrem gesamten Privatvermögen.
Verschärft wurde die Wohnungskrise dadurch, dass es kaum sozialen Wohnraum und sehr schlechte rechtliche Sicherheit für MieterInnen gibt. Die Wohnpolitik des Landes ist auf Eigentum ausgerichtet, bei einer Wohneigentumsquote von 86 Prozent gibt es wenig Alternativen zu Eigentum und Hypotheken. Die spanische Verfassung schreibt zwar ein Recht auf Wohnen fest, die Praxis sieht aber anders aus. Zwischen 2007 und 2014 gab es nach Angaben der PAH 570.000 Zwangsvollstreckungen. Meist ist Arbeitslosigkeit der Grund für den Verlust des Wohnraumes. Gleichzeitig ist die Zahl leer stehender Wohnungen zwischen 2010 und 2014 von 3,4 auf 4 Millionen gestiegen, und nach Angaben des spanischen European Poverty Network sind zwei von fünf leeren Wohnungen in Häusern, die in den letzten zehn Jahren gebaut wurden. Gegenwärtig stehen fast 20 Prozent der Wohnungen aus Investitionsgründen leer und schätzungsweise 332.500 Personen haben kein Dach über dem Kopf. Viele junge Menschen können sich den Aufbau einer eigenen Existenz nicht leisten, sie leben (wieder) bei den Eltern oder ziehen zu den Großeltern aufs Land.
Die Bewegung „vivienda digna“ – für ein würdevolles Wohnen – war somit auch ein wesentlicher Vorläufer der spanischen Protestbewegung, die seit 2011 für massive Demonstrationen sorgt und in deren Folge die Protestpartei Podemos gegründet wurde. Diese hat u. a. mit der zentralen Forderung eines Stopps der Delogierungen auf Anhieb fünf Sitze bei den Europawahlen 2014 gewonnen. Auch die Protestbewegung und deren Strategien stoßen auf breite Sympathie, obwohl sie eine wichtige Säule des kapitalistischen Systems implizit infrage stellen: den Schutz des Privateigentums. Es ist nicht einzusehen, so der Tenor in weiten Teilen der Bevölkerung, dass „Banken gerettet, aber Menschen auf die Straße gesetzt werden“.
Die landesweit vernetzten Organisationen gegen Zwangsräumungen, die bei Delogierungen protestieren, mit Banken verhandeln und gesetzliche Änderungen fordern, genießen daher besonders hohe Anerkennung. Die parteiunabhängige Plattform für Hypothekenbetroffene versucht seit ihrer Gründung im Jahr 2009, folgende Ziele zu erreichen: Delogierungen zu stoppen, Leerstände (im Eigentum von Banken) in sozialen Wohnraum umzuwidmen und Gesamtschulden durch Wohnungsübereignung zu tilgen. Durch ihre aufsehenerregenden Aktionen wie Sitzstreiks oder Flashmobs erreicht sie eine breite Medienöffentlichkeit und sensibilisiert für Wohnraummissstände.

Hausbesetzungen

Ihr gelang es bis zum Jahr 2014, mehr als 1.150 Zwangsräumungen zu verhindern und für die Unterbringung von 1.180 Betroffenen zu sorgen. Häufig werden dafür leer stehende – meist davor zwangsgeräumte – Wohnungen gesucht, das Schloss wird aufgebrochen und so den durch die Delogierung obdachlos gewordenen Personen zumindest übergangsweise eine Unterkunft verschafft. Auch ganze Häuser werden besetzt, so der Wohnraum leer steht und im Besitz von Banken ist. In der „corrala utopia“, dem bekanntesten Projekt, lebten bis zur Zwangsräumung vor einem Jahr fast zwei Jahre lang 106 Personen, darunter 40 Kinder, viele mit alleinerziehenden Müttern. Ein anderes populäres Beispiel ist das leer stehende Hotel Madrid, das am 15. Oktober 2011 besetzt und 50 Tage später geräumt wurde. Die Nutzung des Hauses wurde gemeinschaftlich bestimmt und Wohnraum für delogierte Familien zur Verfügung gestellt.
Während Besetzungen lange als politischer Extremismus abgelehnt wurden, sehen viele Menschen sie nun als legitim an, da sie verstehen können, dass aus Investitionsgründen mehr Wohnungen leer stehen, als es Obdachlose gibt. Die spanische Regierung unternimmt hingegen wenig, um die Wohnungsnot zu lindern. Ihre Reaktion auf die Mobilisierung und Demonstrationen sind primär restriktive Sicherheitsbestimmungen und diverse Formen der Sanktionierung von AktivistInnen, die infolge des 2015 reformierten „Gesetzes zur Sicherheit der Bürger“ massiv verschärft wurden. Proteste zur Verhinderung von Wohnungsräumungen, das Fotografieren von Polizisten und generell die Teilnahme an friedlichen Protesthandlungen können nun mit Geldstrafen bis zu 30.000 Euro belegt werden, wobei nicht mehr von Gerichten, sondern von der Polizei entschieden wird, ob sich jemand nach dem Ley Mordaza (Beißkorbgesetz) strafbar macht. Zudem gibt es viele Berichte und auch Beweise für Polizeigewalt im Rahmen von Delogierungen. EU-Institutionen zeigen sich bisher der Einschränkung von zivilen Rechten weitgehend indifferent gegenüber, was zu einem weiteren Vertrauensverlust in die EU und ihre Institutionen führt.
Das Engagement der PAH gegen Delogierungen wird von der Bevölkerung jedenfalls geschätzt und belohnt. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2015 ist „Barcelona En Comú“ die stärkste Kraft in Barcelona geworden. Angeführt wurde die Liste von Ada Colau, die Begründerin der PAH war und sich in Spanien und Katalonien einen Namen als Kämpferin gegen Zwangsversteigerungen gemacht hat. Sie wird vermutlich Bürgermeisterin werden. Auch Madrid wäre fast an ein Bündnis aus alternativen Parteien gefallen, die sich, angeführt von der neuen Linkspartei Podemos, im Zuge der Protestbewegung gebildet haben.

Kinder besonders betroffen

Die Bewegung gegen Zwangsräumungen wird noch viel zu tun haben. Gerade erst fand in Madrid eine Protestkundgebung zum Schutz der Rechte von Kindern statt. 80 Prozent der von Zwangsräumung Betroffenen haben minderjährige Kinder. So auch Norma und ihr Ehemann, die mit ihren beiden Kindern im Alter von 9 und 14 Jahren gerade eben delogiert wurden. Sie hatten nicht so viel Glück wie Maria. Es gibt eben zu viele, die von Hypothekenkrediten betroffen sind, um das Problem mittels Philanthropie, also privaten Spenden, lösen zu können.

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Ruth Simsa, Wirtschaftsuniversität Wien Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750367 Zwischen 2007 und 2014 gab es 570.000 Zwangsvollstreckungen. Gleichzeitig stieg die Zahl leer stehender Wohnungen von 3,4 auf 4 Millionen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750656 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746348 Nicht der Heilige Gral Für die kaufkräftigen Unternehmen dieser Welt ist Europa seit einigen Jahren so etwas wie ein riesiges Shoppingcenter, wo am laufenden Band Häfen, Flughäfen, Wasserkraftwerke, Energiefirmen, Banken, Glücksspielunternehmen, Strände und Co sehr günstig angeboten werden. Die Verkäufer sind Staaten, die dringend Geld brauchen, um ihre Schulden zu tilgen – eine schlechte Verhandlungsbasis. Der deutsche „Tagesspiegel“ bezeichnete diese Vorgänge in einem Multimedia-Projekt als „Europoly“, als ein „gigantisches Monopoly“, welches „von Oligarchen und Finanzinvestoren“ gespielt werde. Nachdem Länder wie Portugal und Irland schon eine Menge staatlichen Eigentums veräußert haben, lässt es sich derzeit in Griechenland „besonders gut shoppen“. Dort ist sogar etwas ganz Besonderes im Angebot: der größte Seehafen des Landes.

Strategisch gut gelegener Hafen

Im Jahr 2009 wurde der Hafen von Piräus zunächst für die Dauer von 35 Jahren an das chinesische Staatsunternehmen Cosco (China Ocean Shipping Company) verpachtet, das noch von Mao Zedong gegründet worden war. Die neue griechische Syriza-Regierung hatte sich anfangs noch geweigert, den strategisch gut gelegenen Hafen zu veräußern. Doch zuletzt wurden laut Medienberichten drei ausländische Unternehmen um Angebote für 51 Prozent des Hafens gebeten: der niederländische Terminal-Betreiber APM, das philippinische Unternehmen International Container Terminal Services und Cosco. Mit Aussicht auf mehr: Nimmt der Käufer Investitionen im Ausmaß von 300 Millionen Euro vor, könnte der Anteil innerhalb von fünf Jahren auf 67 Prozent aufgestockt werden. Privatisierungen sind ein wichtiger Teil der Auflagen der Troika an die europäischen Krisenstaaten. Es erscheint logisch: Wer nicht weiß, wie er die Miete zahlen soll, veräußert das Familiensilber. Der Vergleich hinkt jedoch: Das Familiensilber liegt herum oder wird bestenfalls benutzt und gepflegt, es bringt aber keine laufenden Einnahmen. Auch Unternehmen in staatlichen Händen können unprofitabel sein, sind es aber nicht automatisch. In Privatisierungen wird die Hoffnung gesteckt, dass jemand kommt, der mehr vom Geschäft versteht und das Unternehmen in eine rosige Zukunft führt. Doch einige Ökonomen sehen das kritisch und warnen davor, Privatisierungen als Allheilmittel für Staaten in Not zu betrachten.
Joachim Becker, Professor für Volkswirtschaft am Institut für Außenwirtschaft und Entwicklung der Wirtschaftsuniversität Wien, ist einer der Kritiker. Aus seiner Sicht sprechen Erfahrungswerte gegen Privatisierungen: „Schon in manchen Ländern hat man Privatisierungen bereut.“ So sei etwa in Lateinamerika Ernüchterung eingetreten. Ein prominentes Beispiel sei auch das britische Bahnsystem, dessen Verkauf heute als große Torheit angesehen werde. Selbst jüngste Staatsveräußerungen in den südeuropäischen Ländern würden bereits kritischer betrachtet als noch vor wenigen Jahren. Ein Beispiel sei Slowenien, wo nicht nur private Haushalte, sondern auch Unternehmen stark verschuldet waren und viele Kredite nach der Krise nicht getilgt werden konnten. Mittlerweile wurde etwa der Flughafen von Ljubljana an die deutsche Fraport verkauft. Auch viele Industrieunternehmen wurden veräußert. Und der Verkauf der slowenischen Telekom steht zur Diskussion. All das passiere „in rasender Geschwindigkeit und unter weitgehender Vermeidung einer öffentlichen Debatte“, kritisiert Becker.

Vorerst Verzögerung

Zurück zu Griechenland, wo 2011 eine eigene Privatisierungsbehörde, der Hellenic Republic Asset Development Fund (HRADF), eingerichtet wurde. Doch manches ist derzeit unklar, denn eigentlich hat der neue Regierungschef Alexis Tsipras im Jänner angekündigt, die Privatisierungen zu bremsen. Es mehrten sich die Zweifel an bereits kolportierten Deals wie etwa dem Verkauf von 14 regionalen Flughäfen an ein Konsortium von Fraport AG und einem griechischen Unternehmen. Allerdings scheint der Deal nach neuesten Meldungen bald abgeschlossen zu werden, wenn auch mit Zugeständnissen an den Staat.
Auch für Stephan Schulmeister, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), sind Privatisierungen für Griechenland keine Lösung, denn sie könnten am systemischen Problem nichts ändern. So gehe es bei der Griechenland-Krise um viel mehr als um Budgetprobleme: „Griechenland wurde zum Kriegsschauplatz des Konflikts zwischen zwei Weltanschauungen: der neoliberalen Weltsicht, wie sie seit gut 25 Jahren in Europa von den Eliten vertreten wird, und einem Gegenkonzept, das die griechische Syriza-Regierung nun ins Zentrum zu rücken versucht.“ Schulmeister vergleicht die Griechenland-Krise mit einer Krankheit, die von den Ärzten selbst übertragen wird. Die Ärzte sind die europäischen Eliten: „Damit meine ich nicht nur die Politiker, sondern auch die sogenannten Experten, die Universitätsprofessoren und insbesondere die Journalisten.“ Sie würden die Symptome einer Krankheit bekämpfen, die sie selbst verursacht hätten. Mit dieser Medizin: „Sparpolitik, Abbau des Sozialstaates, Lockerung des Arbeitnehmerschutzes und nachhaltiger Schwächung der Gewerkschaft und Privatisierungen“.
Schulmeister ist kein prinzipieller Privatisierungsgegner: „Der entscheidende Punkt ist, welche Aufgabe die Unternehmen in der Wirtschaft und der Gesellschaft übernehmen.“ So habe er wenig gegen die Privatisierungen von Industrie-Unternehmen, die im Wettbewerb mit Konkurrenten stehen. Doch Unternehmen, „die für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft von Bedeutung sind, wie Energieversorgung oder öffentlicher Verkehr“, sollten nicht ganz aus staatlicher Hand gegeben werden. Insbesondere, wenn Unternehmen eine monopolähnliche Stellung hätten, müssten Privatisierungen mit Regulierungen einhergehen, damit etwa Bustickets nicht überteuert angeboten oder zu hohe Gehälter ausbezahlt werden. Eine Schwierigkeit, die es immer gibt, ist die Paradoxie bezüglich der Preise für staatliches Eigentum: „In einer prosperierenden Wirtschaft würde der Staat einen höheren Preis für seine Unternehmen bekommen, doch gerade dann braucht er diese nicht zu privatisieren.“

Kompromissbereitschaft

Wichtiger als Privatisierungen wäre zahlreichen Ökonomen zufolge die Stärkung der Realwirtschaft. Für Joachim Becker von der WU wäre in Griechenland insbesondere eine regionalspezifische Industriepolitik „unbedingt notwendig“, ansonsten würden sich die Spannungen in der Eurozone weiter verschärfen. Das sieht auch Panagiotis Kavartinas so, ein Mitarbeiter im Ministerium der Regionen Makedonien und Thrakien in Thessaloniki: „Die Gelder aus Europa wurden weder in Infrastruktur noch in die Umstellung auf ein Wirtschaftsmodell gesteckt, das auf Innovation und neuen Technologien basiert. Die Mittel wurden auch nicht dafür verwendet, um den öffentlichen Sektor produktiver zu gestalten.“ Für Kavartinas ist Privatisierung „nicht immer der Heilige Gral“. Es gebe positive Beispiele von Privatisierungen, aber er zweifelt daran, wie sich ein Land erholen könne, „wenn es all seinen staatlichen Besitz verkauft“. Jeder Fall müsse gesondert überprüft werden. Die griechische Bevölkerung habe Vorurteile gegenüber Privatisierungen aufgrund der zahlreichen Skandale, wie zum Beispiel jenen rund um den Verkauf der lukrativen staatlichen Lotterie OPAP oder des Helliniko Park, der zu billig verkauft wurde. Er fragt, wie wohl die Bedingungen für erfolgreiche Privatisierungen mit maximiertem Nutzen geschaffen werden könnten, wenn man ein Land zum Ausverkauf zwinge. Das griechische Volk habe das Gefühl, dass all das passiere, damit griechisches Eigentum sehr billig gekauft werden könne. „Die Menschen in Griechenland sind sehr müde und frustriert nach fünf Jahren der Austeritätspolitik, die zu einem toten Ende geführt hat. Sie suchen eine Lösung und sagen Ja zu einem Kompromiss, aber zu einem fairen Kompromiss.“ Die GriechInnen hätten das Gefühl, dass die Syriza-Regierung bereit für einen solchen Kompromiss sei, „aber die Europäer nicht“.

Internet:
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Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750449 Im Jahr 2009 wurde der Hafen von Piräus zunächst an das chinesische Staatsunternehmen Cosco verpachtet. Nun soll er verkauft werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750664 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895746251 Ist die Troika an allem schuld? Gefälschte Bilanzen, jahrzehntelange Klientelpolitik, Korruption, hohe Verteilungsungleichheit – das sind nur einige von zahlreichen Indikatoren, die den Schluss nahelegen: Griechenland hat sich selbst über Jahrzehnte hinweg sein wirtschaftliches Grab geschaufelt. Ist Griechenland also selbst schuld an seiner Krise?

Behauptung: Griechenland hat schlecht gewirtschaftet
Keine Frage, dass das politische System in Griechenland mit wirtschaftlichen Folgen einhergeht. Laut dem Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister haben die schwerwiegenden Strukturmängel in Griechenland jedoch nichts mit der aktuellen Krise zu tun. Zwischen 1950 und 2008 hatte Griechenland ein hohes Wirtschaftswachstum. Erst seit der Finanzkrise 2008 seien die Schulden Griechenlands explosionsartig angestiegen, unter anderem weil die Wirtschaft geschrumpft ist. Damit erst wurden Ungleichgewichte und Probleme drückend, die bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung verkraftbar gewesen wären.
Hinzu komme, dass alle europäischen Länder durch den Eintritt in die Währungsunion ein sehr niedriges Zinsniveau hatten. Trotz Staatsverschuldungen haben die meisten südeuropäischen Länder nun günstig Kredite erhalten, um zahlreiche Investitionen zu tätigen. Das Geld floss jedoch vermehrt in Prestigeprojekte, etwa den Bau des Olympia-Stadions in Athen, oder in Rüstung als in den Ausbau von Wirtschaft, wettbewerbsfähiger Technologie oder Infrastruktur. „Ein solcher Boom wäre vor dem Beitritt zur Währungsunion nicht möglich gewesen“, erklärt Schulmeister, da die griechische Drachme als Folge des Leistungsdefizits abgewertet worden wäre. Griechenland hatte nun einen scheinbaren Doppel-Vorteil: niedrige Zinsen und den Wegfall des Wechselkurses.
Das wurde zum katastrophalen Nachteil nach der Krise. Einerseits gab es durch die Ausweitung der Binnennachfrage bis zur Finanzkrise ein höheres Wirtschaftswachstum. Andererseits war der Preis dafür ein enorm steigendes Leistungsbilanz- und Staatsdefizit. Griechenland konnte somit seinen Wohlstandszuwachs auf einem wachsenden Schuldenberg aufbauen.

Behauptung: Griechenlands PolitikerInnen sind korrupt
Korruption ist ein vielschichtiges Phänomen der griechischen Gesellschaft. Ob im Krankenhaus, bei Finanzbehörden oder im Bauamt – Schmiergeld erleichtert in Griechenland immens das Leben im Kleinen und schafft Probleme im Großen. Im Korruptionsindex von Transparency International (Corruption Perception Index, CPI) liegt Griechenland gemeinsam mit Bulgarien, Rumänien und Italien auf Platz 69 von 175 Ländern weltweit und zählt damit zu den Ländern mit der höchsten Korruptionsrate innerhalb der EU. Rund 1.000 Euro im Jahr bezahlen GriechInnen durchschnittlich an Bestechungsgeldern. Drei Viertel der Fälle betreffen den öffentlichen Sektor, vor allem das Gesundheitswesen.
Die Gründe für Korruption sind vielseitig, etwa geringe Einkommen, systemimmanente Klientelpolitik, mangelhaftes Funktionieren der Institutionen oder eine schwache BürgerInnen-Gesellschaft. Stephan Schulmeister verdeutlicht die politische Korruption anhand von Wahlkämpfen: „In der Kampagnenphase werben PolitikerInnen persönlich in einer Art Kiosk um potenzielle WählerInnen. Das Prinzip dabei ist einfach: Wählerstimme gegen Wahlversprechen.“ So kommt der Neffe oder das Enkerl über die Partei zu Arbeit, zu Geld oder zu wichtigen Türöffnern. Das erkläre auch die hohe Anzahl an Staatsbediensteten in Griechenland von rund 25 Prozent aller Beschäftigten. Das Problem dabei: Nicht die Besten kommen zum Zug, sondern jene mit den besten Beziehungen.
Auch die Steuermoral ist ein großes Problem im Land. Nicht deklarierte Swimmingpools im Reichenviertel von Athen und Steuerkonten in der Schweiz haben in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt. Der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt beträgt in Griechenland nur rund 23 Prozent, im EU-Durchschnitt liegt er bei rund 40 Prozent. 2015 sind die nachweisbaren Steuerschulden auf den historischen Rekordstand von 70 Milliarden Euro gestiegen. Schulmeister ortet das Problem im elitären Geflecht einiger Oligarchen, die sich dank ausgeprägter Kontakte zu Regierungsstellen Steuerschlupflöcher schaffen. Dass auf dem Gebiet der Steuereintreibung und der Korruption nur wenig weitergehe, hat Griechenland selbst zu verantworten.

Behauptung: GriechInnen verdienen sich eine goldene Nase
Um die griechischen Löhne und Pensionen kreisen zahlreiche Mythen, von denen die wenigsten haltbar sind. Es ist richtig, dass die Reallöhne in Griechenland zwischen 2000 und 2008 um 39,6 Prozent gestiegen sind. In Österreich betrug der Anstieg im selben Zeitraum laut einer Statistik der Europäischen Kommission (WSI) nur 2,9 Prozent. Gleichzeitig war und ist das Lohnniveau in Griechenland im Durchschnitt der EU sehr niedrig. Laut Eurostat (2014) liegt der durchschnittliche Stundenlohn in Griechenland im privaten Sektor bei 6,3 Euro brutto – in Österreich sind es xx Euro. Dabei sind die Lebenshaltungskosten in Griechenland nur geringfügig niedriger als in Österreich.
Die Troika forderte von Athen massive Einschnitte in die Rechte von ArbeitnehmerInnen, um die Lohnentwicklung in Griechenland zu bremsen. Mindestlöhne wurden gesenkt, das Tarifrecht ausgehöhlt und Gewerkschaften massiv geschwächt. Seit 2012 beträgt der monatliche Mindestlohn in Griechenland 586 Euro brutto. Bei einer Arbeitslosigkeit von 26 Prozent sind viele Arbeitssuchende bereit, sogar für weniger Geld zu arbeiten. Jede/r Dritte in Griechenland gilt heute als arm.
Für regelmäßige Aufregung sorgen auch die Pensionen. Statistiken erwecken den Eindruck, dass es griechischen PensionistInnen deutlich besser gehe als jenen der meisten anderen EU-Länder. Durchschnittlich erhalten PensionistInnen in Griechenland 959 Euro im Monat. Es ist richtig, dass sich Griechenland damit eine Altersversorgung gönnt, die über dem durchschnittlichen Erwerbseinkommen liegt und die sich das Land schlichtweg nicht leisten kann. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat fließen rund 17,5 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung in die Altersversorgung. Im EU-Durchschnitt sind es 13,2 Prozent. Allerdings sind solche Zahlen mit großer Vorsicht zu interpretieren. Die Durchschnittswerte sagen nichts über die Verteilung der Pensionseinkommen aus. In Griechenland klaffen die Unterschiede zwischen Reichen und Armen noch eklatanter auseinander als in vielen anderen EU-Staaten. Fakt ist auch, dass jede/r fünfte PensionistIn mit weniger als 500 Euro monatlich auskommen muss. Dass selbstverursachte Mängel im System bestehen, liegt auf der Hand. Das Problem ist vor allem die Verteilung der Einkommen. Fragwürdig ist dabei die Therapie der Troika: Pensionen und Gehälter drastisch zu kürzen, während die Preise nur langsam sinken, ist volkswirtschaftlich und sozialpolitisch äußerst ungesund.

Wer hat also Schuld?
Leider werde in Europa immer wieder die Frage nach dem Schuldigen gestellt, so Schulmeister. Und sie sei falsch. Denn das Grundproblem liege in der Ursache einer Krise. Die Krise in Griechenland hat systematischen Charakter, das heißt: Es gibt nicht den einen Hauptschuldigen.
Griechenland war das schwächste Glied einer Kette der europäischen Gesamtwirtschaft und werde nun zum Sündenbock in Europa. Mit dem Zeigefinger einseitig auf Griechenland zu zeigen sei genauso verfehlt, wie die Troika allein verantwortlich zu zeichnen. „Die Art, wie derzeit über Griechenland diskutiert wird, zeigt eine problematische Art des Denkens in Europa auf. Griechenland wurde, vor allem von Deutschland, bewusst isoliert“, so Stephan Schulmeister. Nun sehe es so aus, als würde Griechenland gegen den Rest Europas stehen. Das sei fatal. Denn die Krise in Griechenland ist keine griechische Tragödie, sondern eine gesamteuropäische.

Internet:
Deutsche Welle: „Leben und Leben lassen: Korruption in Griechenland“:
tinyurl.com/o8bu588

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Irene Steindl, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695198 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750765 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745794 Feindliche Übernahme Seit der Wahl in Griechenland steuert das Ringen um die Fortsetzung der Troika-Politik auf neue Höhepunkte zu: Schuldenschnitt? Doch kein Schuldenschnitt? Grexit? Doch kein Austritt aus dem Euro? Wie Wasserstandsmeldungen bei Hochwasser geistern die Spekulationen durch die Presse. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat sich zum Sprachrohr derjenigen Kräfte gemacht, die einen Austritt propagieren und ihn für verkraftbar und unschädlich halten. Als ob eine Währungsunion nicht in ihren Grundfesten erschüttert und sich in einen lockeren Währungsverbund verwandeln würde.

Zersetzende Entwicklungen
Seit geraumer Zeit steht der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) in Opposition zur Troika-Politik. Um diese Opposition auf sichere Grundlagen zu stellen, hat er im vergangenen Jahr einen Bericht verfasst, der auf Informationen seiner Mitgliedsgewerkschaften aus Portugal, Griechenland, Zypern und Irland beruht. Die Stoßrichtung des Berichts ist eindeutig: Die Troika-Politik ist unvereinbar mit der europäischen Grundrechtecharta, trägt zum Abbau des Sozialstaats bei, zu einem Anwachsen sozialer Ungleichheiten und zur Beendigung des europäischen Zusammenwachsens, also der europäischen Konvergenz. Aufbauend auf diesen zersetzenden Entwicklungen machen sich in vielen Mitgliedstaaten nationalistische und xenophobe Kräfte daran, ihre rückwärtsgewandten europaskeptischen Ideologien zu verbreiten. Die Europäische Kommission, aber auch das Europäische Parlament haben es bislang versäumt, über diesen Zusammenhang nachzudenken: Trägt die EU selbst dazu bei, dass die Zustimmung zum europäischen Projekt sinkt?

Gehorsam beweisen
Das Bild, das sich aus den einzelnen Mosaiksteinchen ergibt, ist verstörend: Es ist das Bild von Ländern, die einfach von der Troika „übernommen“ wurden. Ex-Kommissionspräsident Barroso sprach von einer „stillen Übernahme“, aber in Wirklichkeit ist es eine „feindliche Übernahme“, denn die gewählten Regierungen verfügen kaum über Manövrierspielraum: Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Liste der Troika-Forderungen abzuarbeiten. Sie mussten Gehorsam unter Beweis stellen, wollten sie keine weitere Abstrafung durch die Finanzmärkte riskieren. Griechenland wurde sogar gezwungen, auf ein Referendum zu verzichten.
Die Übernahme durch die Troika basiert auf einem einfachen Grundsatz: die Wirtschaft ankurbeln, um die Schuldentilgung durch massive Einschnitte in Arbeits- und Lebensstandards voranzutreiben. Um diesen Durchmarsch der Troika zu ermöglichen, muss alles aus dem Weg geräumt werden, das diesem Ziel widerspricht.

Als Erstes musste die ökonomische Vernunft über Bord gehen: Jeder vernünftige Mensch wusste, dass die Austeritätspolitik der Troika so exzessiv war, dass sie wirtschaftlich nicht unbeschadet zu überstehen war. Griechenland ist der extremste Fall: Ein Austeritätspaket nach dem anderen wurde dem Land aufgezwungen und am Ende hat diese fiskale Konsolidierung zu einem scharfen Absinken des Bruttoinlandsprodukts geführt. Die Folge war ein ökonomischer Zusammenbruch um ein Viertel verglichen mit dem Niveau vor der Ankunft der Troika. Dieser ökonomische Einbruch hatte soziale und gesellschaftliche Konsequenzen mit rapide steigender Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit. Aufgrund des geringen Wachstums steigt die Schuldenquote weiter an – rein mathematisch, weil der Nenner schrumpft.

Geschliffene Löhne und Rechte
Als Nächstes mussten die Löhne und die Rechte der ArbeitnehmerInnen geschliffen werden. Dabei ging es nicht nur um Löhne und deren Höhe, sondern generell um weitreichende Eingriffe in die Tarifautonomie und Lohnfindungssysteme. Die Autonomie der Sozialpartner musste beseitigt werden, denn diese vereinbarten zwar Kompromisse – etwa in Griechenland oder Portugal –, aber die Troika ignorierte diese Vereinbarungen.
Waren diese Eingriffe wenigstens effizient im Sinne ihrer Erfinder? Zu beobachten ist, dass trotz der Implementierung eines Austeritätspakets nach dem anderen die Zinsen und Spreads nicht sanken. Erst die Intervention der EZB im Sommer 2012 führte zu einem Rückgang. Eine Folge dieser Austeritätspolitik war eine Erosion des Vertrauens in die europäischen Institutionen.Der EGB-Bericht konzentriert sich auf vier Bereiche: die Austeritätspolitik, die Deregulierung der Arbeitsmärkte, insbesondere der Löhne, den Abbau des sozialen Schutzes und das Übergehen des sozialen Dialogs. Die fiskale Justierung hätte über einen weit längeren Zeitraum erfolgen müssen. So hat die Austeritätspolitik zu einem Zusammenbruch der Binnennachfrage geführt und eine tiefe Rezession ausgelöst. Das völlige Fehlen von wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen hat das Ihrige dazu beigetragen. Bestehende Tarifvertragssysteme wurden unterminiert durch Förderung von Abschlüssen auf Unternehmensebene. In Griechenland wurde der in nationalen Tarifverträ-gen festgeschriebene Mindestlohn um 22 Prozent gekürzt, für Jugendliche bis 24 Jahre gar um 32 Prozent. Wie in Portugal sinkt die Anzahl der Tarifverträge rapide.

Schrumpfende Beschäftigung
In Portugal schrumpfte die Beschäftigung um 800.000 Personen bzw. 15 Prozent. In Griechenland ging die Zahl der Jobs um 18 Prozent zurück, während sich gleichzeitig das BIP um ein Viertel verminderte. In Zypern bestand das Memorandum of Understanding darauf, die Elektrizitätsversorung, Telekommunikation und Häfen zu privatisieren. Die Arbeitslosigkeit machte in Zypern einen Sprung von fünf Prozent 2009 auf 17,3 Prozent 2013, unter Jugendlichen betrug sie 37 Prozent. Diese sozialen und ökonomischen Konsequenzen blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Demokratie: Nur noch eine/r von drei BürgerInnen Südeuropas ist weiterhin mit dem demokratischen System zufrieden – der Vertrauensverlust ist im freien Fall seit dem Beginn der Troika-geführten Austeritätspolitik.

Im Widerspruch zu Werten Europas
Die Schlussfolgerung ist klar: Die Programme der Troika sind nicht akzeptabel. Sie stehen einseitig für die Interessen der Finanzmärkte, Spekulanten und Geschäftswelt. Sie widersprechen fundamental den Werten und Zielvorstellungen der europäischen Verträge und des europäischen Sozialmodells. Der EGB schlägt vor, dass die Generaldirektion Beschäftigung einen detaillierten Bericht über die Eingriffe der Troika in die sozialen Errungenschaften verfasst – mit Vorschlägen zu deren Wiederherstellung. Die Sozialpartner sollten in diese Aktivität eng einbezogen werden. Ebenso sollten parallel die IAO und der Europarat entsprechende Berichte über die Verstöße gegen die Europäische Sozialcharta und die IAO-Normen schreiben. Das Europäische Parlament sollte aktiven Gebrauch von seinem privilegierten Zugang zum Europäischen Gerichtshof machen, um auf die Einhaltung der Europäischen Verträge zu drängen. Die Troika sollte Tarifverträge nicht antasten. Die demokratische Verantwortung von EZB, Kommission und IWF sollte durch Anhörungen mit dem Europäischen Parlament gestärkt werden, sowohl vor der Ausarbeitung der Programme als auch nachher.
Seitdem der EGB-Bericht erschienen ist, hat sich die Lage in der südlichen Peripherie Europas leider noch verschlimmert. Einige AutorInnen schrecken inzwischen nicht mehr davor zurück, von „europäischen Hungerspielen“ zu sprechen. In diesem Trivialepos beherrscht ein wohlhabendes Zentrum zwölf arme und verlotterte Provinzen und organisiert jährliche Wettkämpfe zwischen jugendlichen Vertretern dieser Provinzen, die gegeneinander antreten – zum Amüsement der Zuschauer aus dem Zentrum. Die – zugegeben gewagte – Analogie läge darin, dass die Troika zu einer extremen Wettbewerbspolitik drängt, während sich die Finanzmärkte als Zuschauer die Hände reiben und jegliche Empathie mit den Geknechteten und Unterdrückten unterbleibt, jedes Solidaritätsgefühl abhanden kommt. Damit es nicht so weit kommt, ist es höchste Zeit für einen Kurswechsel in Europa: Abkehr von Austerität und Troika-Politik und Rückbesinnung auf ein soziales Europa mit menschlichem Antlitz. Kurz: für ein Europa mit sozialen Ambitionen und nicht nur Wettbewerbsobsessionen.

Internet:
EGB-Bericht:
tinyurl.com/qxu4az6

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Wolfgang Kowalsky, Referent beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) in Brüssel Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895745804 Die neoliberale Troika-Politik treibt die Krisenländer näher an den Abgrund. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745785 Tarifautonomie ade Im Zuge der Wirtschaftskrise hat sich auf EU-Ebene ein besorgniserregender Paradigmenwechsel in der Lohnpolitik vollzogen. Respektierte man bis dahin die Tarifautonomie der Kollektivvertragspartner, so etablierte sich mit der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung ein europäischer Interventionismus. Besonders betroffen von den Eingriffen in die nationalen Lohnpolitiken und die nationalen Tarifverhandlungssysteme waren bislang die finanziell von der Troika unterstützten Länder wie Griechenland und Spanien. Die von ihnen abverlangten Reformen hatten vor allem eins zur Folge: die Entmachtung der Gewerkschaften.

Neoliberal ausgerichteter Umbau

Diese Eingriffe zielen auf Deregulierung der Arbeitsmärkte und einen neoliberal ausgerichteten Umbau der historisch gewachsenen KV-Systeme in Europa ab. In einem Bericht aus dem Jahr 2012 formuliert die EU-Kommission folgende Ziele:

  • Dezentralisierung der KV-Verhandlungen,
  • Reduzierung des kollektivvertraglichen Deckungsgrades, bspw. durch Beschränkungen für Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Branchen-KVs,
  • Senkung der nationalen gesetzlichen Mindestlöhne.

Ganz offen zum Ausdruck kommt das Ziel der Entmachtung der Gewerkschaften in folgender Passage:

  • Förderung von Maßnahmen, „die zu einer generellen Reduzierung der Lohnsetzungsmacht von Gewerkschaften führen“.

In Südeuropa waren die Gewerkschaften vor allem in den Stammbelegschaften des öffentlichen Sektors verankert, in Spanien und Italien auch in jenen der Großunternehmen der Industrie und des privaten Dienstleistungssektors. Unter den Randbelegschaften, insbesondere den atypisch Beschäftigten, waren sie hingegen nur sehr schwach vertreten. Trotz der besonders ungleichen Verteilung ihrer organisatorischen Stärken verfügten die Gewerkschaften in Südeuropa vor der Wirtschaftskrise über ein erhebliches Maß an institutioneller Macht. Diese beruhte auf Institutionen wie Kollektivvertrag, Betriebsräten, Sozialpartnerschaft oder gesetzlichem Mindestlohn.
Im Jahr 2008 erreichten die spanischen Gewerkschaften im privaten Sektor nur einen Organisationsgrad von 17 Prozent und waren – abgesehen von einigen Großunternehmen – in den Betrieben nur schwach verankert. Dennoch gelang es ihnen, für über 85 Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor gewisse Mindeststandards durchzusetzen: über Branchen-KVs und die Verallgemeinerung der darin enthaltenen Regelungen. Noch bedeutender war die Verhandlungsmacht der Gewerkschaf-ten gegenüber den nationalen Regierungen, die auf ihrer politischen Mobilisierungsfähigkeit beruhte. Phasenweise vermochten sie, Kompromisse im Bereich der Lohn-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Form von Sozialpakten festzuschreiben.

Steiles Gefälle

In Griechenland war das Gefälle im gewerkschaftlichen Organisationsgrad noch steiler als in Spanien: Im öffentlichen Sektor betrug dieser rund 65 Prozent, im privaten hingegen ca. 15 Prozent. Die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gegenüber den nationalen Regierungen beruhte vor allem auf ihrer Mobilisierungsfähigkeit in strategischen Bereichen des öffentlichen Sektors wie Verkehrswesen und Energieversorgung sowie auf ihren Verbindungen zu den klientelistischen Großparteien. In der Lohnpolitik stellte der mit den Arbeitgeberverbänden ausgehandelte nationale Mindestlohn die wichtigste institutionelle Ressource der Gewerkschaften dar. Mit der Wirtschaftskrise sollte die Macht der Gewerkschaften in den Ländern jedoch ausgehöhlt werden – nicht zuletzt auf Betreiben der EU.
Neun von der Krise besonders betroffene EU-Länder mussten bisher finanzielle Unterstützungen von der Troika bzw. von EU und IWF in Anspruch nehmen: Griechenland, Zypern, Italien, Spanien, Portugal, Rumänien, Ungarn, Lettland und Irland. Im Gegenzug vollzogen die Regierungen der Länder tiefgreifende Veränderungen in den nationalen KV-Systemen. Diese kamen durch ein mehr oder weniger intensives Zusammenwirken von verschiedenen Akteuren zustande: auf der einen Seite die Arbeitgeberseite und die neoliberal-konservativen Regierungen in den betreffenden Ländern, entsprachen doch die Veränderungen vielfach lange gehegten Forderungen derselben; auf der anderen Seite die unterstützenden Institutionen, wobei die Initiative oft von der Troika ausging.

Kürzungspolitik

Als Gegenleistung für die finanziellen Unterstützungen verpflichteten sich die betroffenen Länder zu fiskal-, lohn-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmenpaketen. Diese enthielten weitreichende Haushaltsreformen und Kürzungen öffentlicher Ausgaben sowie umfassende Reformen am Arbeitsmarkt und der sozialen Sicherung. Vor allem aber verpflichteten sich die Regierungen zur Umsetzung einer Strategie der „inneren Abwertung“, die lohnpolitische Eingriffe des Staates und Änderungen des KV-Systems beinhaltete.
In diesen Ländern zeigte sich die potenzielle Reichweite des neuen europäischen Interventionismus bereits deutlich. Die Vereinbarungen sahen vor:

  • Lohnstopps und -kürzungen im öffentlichen Dienst,
  • das Einfrieren bzw. die Senkung des nationalen gesetzlichen Mindestlohns und
  • Veränderungen der gesetzlichen Grundlagen des KV-Systems, welche auf Dezentralisierung der KV-Verhandlungen und generell die Dekollektivierung und Deregulierung der Lohnfindung hinauslaufen.

Ab 2010 begann in den finanziell von der Troika unterstützten EU-Ländern somit die institutionelle Entmachtung der Gewerkschaften durch gezielte Angriffe auf die jeweiligen tragenden Elemente der kollektiven Arbeitsmarktregulierungen.
In Spanien wurde das sogenannte Günstigkeitsprinzip bei Branchen-KVs aufgehoben. Bis dahin waren von Branchen-KVs abweichende Regelungen in Betriebs-KVs nur gültig, sofern sie für die ArbeitnehmerInnen günstiger waren. Die Nachwirkung von KVs wurde auf ein Jahr beschränkt. Arbeitgebern wurde unter bestimmten Voraussetzungen (zwei Quartale mit Verlust) der einseitige Ausstieg aus einem KV eingeräumt. Die Folge: Der Deckungsgrad der Kollektivverträge sank im privaten Sektor von 89 Prozent im Jahr 2011 auf rund 50 Prozent im Jahr 2013.
In Griechenland haben nun Unternehmens-KVs Vorrang vor Branchen-KVs. Zum Abschluss von Unternehmens-KVs sind nicht mehr ausschließlich die Gewerkschaften berechtigt, sondern auch Belegschaftsvertretungen, sofern diese von mindestens 40 Prozent der Beschäftigten beauftragt worden sind. Das Arbeitsministerium hat die Allgemeinverbindlichkeit von bestehenden Branchen-KVs ausgesetzt – ein Anreiz für Unternehmen, den jeweiligen Arbeitgeberverband zu verlassen. Die seit 1936 (mit Unterbrechungen) bestehende Praxis der Festsetzung des nationalen Mindestlohns durch einen General-KV zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften endete Anfang 2012: Die Regierung setzte den bestehenden Mindestlohn per Dekret außer Kraft und legte einen neuen, um 22 Prozent niedrigeren Minimallohn fest. Das Ende 2012 beschlossene Mindestlohngesetz sieht vor, dass der nationale Mindestlohn durch die Regierung bestimmt wird, wenn auch nach Konsultation der Sozialpartner.
Durch die Zertrümmerung institutioneller Säulen sowie die massive Schwächung ihrer Marktmacht (sinkender Organisationsgrad, hohe Arbeitslosigkeit) sind die Gewerkschaften in Südeuropa auf ihre organisatorischen Ressourcen, ihre politische Mobilisierungsfähigkeit und ihre Streikfähigkeit zurückgeworfen.

Alternative

Als nachhaltige mittel- und längerfristige Ausrichtung gewerkschaftlicher Politik erscheint eine „Strategie der autonomen Revitalisierung“ erfolgversprechend. Diese beruht auf der Stärkung und Erneuerung der organisatorischen Machtressourcen sowie auf systematischen Bemühungen um zivilgesellschaftliche Verbündete. Beides könnte die Voraussetzungen schaffen für die Rückgewinnung von Verhandlungs- und Marktmacht sowie letztlich für das Aufhalten der institutionellen Erosion und für Re-Regulierung des Arbeitsmarktes.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
tinyurl.com/oxw3ugl
Blogtipp:
tinyurl.com/otxl5rk

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Michael Mesch, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien, Geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift "Wirtschaft und Gesellschaft" Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750466 BeamtInnen in Portugal gingen im Juli 2014 gegen die Sparpolitik sowie die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten auf die Straße. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745772 Krise vergrößert Gehaltsschere Die ersten Schritte sind die schwersten. Das weiß auch Ramón Fontela Martínez, der vor knapp drei Jahren gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Palmira Crespo Martín die Frauen-Organisation Cepamn (Centro de primera atención a mujeres y nin˜os) im südspanischen Granada ins Leben rief. Hauptziel der NGO ist es, Frauen in Notsituationen ein Rettungsanker zu sein. „Primär soll das Selbstvertrauen und -bewusstsein gesteigert werden, was auch über Selbstverteidigungskurse mit der Lokalpolizei geschieht“, sagt Fontela: „Nach dem ersten Halt gilt es, Perspektiven zu geben, auf dass sie rasch wieder ihre Autonomie erlangen.“

Kunsthandwerk

Stets am Freitagabend steht im Cepamn-Zentrum im Stadtrand-Bezirk La Chana Kunsthandwerk auf dem Kursplan. Beherztes Lachen erfüllt die Luft. Die Stimmung ist fröhlich, wie die lebensfroh mit Orange bemalten, von Kinderzeichnungen geschmückten Wände. Diesmal werden ökologische Seifen in Handarbeit hergestellt. Sie werden vor Ort, aber auch per Online-Shop angeboten, außerdem kann man Kleidung, Accessoires und Schmuck kaufen.
Das Zentrum ist Frauenhaus, Kurs- und Beratungszentrum zugleich. In Kürze wird eine Notschlafstelle eröffnet. Einzig der geplante, eigene Bioacker im Vorort Fuente Vaqueros scheiterte bislang am Widerstand der Behörden. Man suche weiter nach Alternativen, denn „auch die Tätigkeit in und mit der Natur steigert das psychische Wohlbefinden deutlich“, sagt Fontela.

Unterstützung für den Berufseinstieg

„Die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ist das Essenzielle“, betont Crespo. Angeboten werden Schulungen im Tourismusbereich in Kooperation mit der Aula Gastronómica Granadas, einer Hotelfachschule. Auch Schulungen für Pflegedienste ebnen den Weg zum neuerlichen oder erstmaligen Berufseinstieg, erläutert die NGO-Direktorin: „Dank Kooperationen winkt ein garantierter Arbeitsvertrag bei Abschluss. So konnten wir binnen knapp einem Jahr neun Frauen wieder eine Festanstellung vermitteln.“
Durch die Krise haben sich die Ungleichheiten beim Gehalt zwischen Männern und Frauen verstärkt, und das bei einem gesunkenen Lohnniveau. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der sozialistischen Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (kurz UGT), die auf Zahlen des Jahres 2012 basiert. Auf ein Jahressalär gerechnet, verdienten spanische Arbeitnehmerinnen in diesem Jahr um 23,9 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen – bei selber Tätigkeit und selbem Bildungsniveau. Das ist der höchste gemessene Unterschied der Gehaltsschere im Fünfjahresvergleich, betont man seitens der UGT. Im Durchschnitt aller Erwerbstätigen verdienen Frauen damit um 6.145 Euro weniger im Jahr: Während Männer 25.682 Euro erhalten, müssen sich Frauen mit 19.537 Euro abfinden. Auch Eurostat kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Zwischen 2008 und 2013 vergrößerte sich die Kluft demnach von 17,1 Prozent um 3,2 Prozent. Dabei ist die Gehaltsschere in den Jahren vor der Krise in Spanien geringer geworden, im Jahr 2008 lag sie sogar unter dem EU-Durchschnitt. Doch dann kam die Krise.
Die UGT rechnet vor: Um auf denselben Lohn zu kommen, mussten Spanierinnen im Jahr 2012 79 Tage mehr arbeiten als ihre Kollegen. Dies wirkt sich freilich auch sehr negativ auf spätere Pensionsansprüche aus: Elfeinhalb Jahre mehr müssen Beitragszahlerinnen für die staatliche Sozialversicherung einzahlen, um dieselbe Pension wie Männer zu erhalten.

Fast ein Drittel weniger

Überraschend verschärfte sich der Gehaltsunterschied sogar bei höherem Bildungsstand. Auch dank der vom sozialistischen Ex-Premier José Luis Rodríguez Zapatero eingeführten Frauenquote in Chefetagen waren 2013 immerhin knapp ein Drittel der Unternehmen bereits von Frauen geführt. Dennoch wird ihnen deutlich weniger bezahlt als Männern. In Wissenschaft und Technik etwa stieg der Gehaltsunterschied auf 31,7 Prozent, in der Administration sind es gar 33,2 Prozent. Auch im Gesundheits- und Sozialwesen liegt er bei 30,33 Prozent. Selbst im Ausbildungsbereich, wo der Unterschied am Gehaltszettel im Jahr 2008 noch gering war, hat sich dieser mehr als verdoppelt – ein Berufsfeld, wo übrigens auch in Spanien zu 67 Prozent Frauen beschäftigt sind. Die UGT hat weitere anschauliche Summen parat: Alle spanischen Frauen zusammen würden pro Jahr um 27,7 Milliarden Euro weniger verdienen als Männer. „Was mehr ist, als für die Bankenrettungen von Bankia, Catalunya Caixa und der Caja de Ahorros del Mediterráneo aufgewandt wurde“, empört sich UGT-Gleichstellungsbeauftragte Almudena Fontecha im Gespräch. Sie unterstreicht: „Es geht hier nicht um einen anderen Lohn für andere Tätigkeiten, sondern um die Gesamtheit der Löhne.“

Kein Argument

Belegschaften selbst würden selbst im seltensten Fall über Gehaltsdiskriminierungen Bescheid wissen. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit müsste Usus sein, so Fontecha: „Doch dem ist nicht so. Oft wird für dieselbe Tätigkeit oder in derselben Kategorie weniger bezahlt, auch wenn die Arbeit identisch ist.“ Zudem kritisiert die Gewerkschafterin, dass von Frauen dominierte Berufsfelder generell schlechter entlohnt würden.
Auf die Hintergründe der Gehaltskluft zwischen den Geschlechtern gefragt, antwortet Fontecha: „Kein Argument, das je herangezogen wurde, um diese zu erklären, hat seine Berechtigung. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass Frauen weniger verdienen.“ Einst hieß es, schuld sei das schlechtere Bildungsniveau von Frauen – längst entkräftet, denn höhere Bildung zeige sich weder im Salär noch in den Arbeitsbedingungen. „Es herrscht schlicht und einfach Lohndumping“, sagt Fontecha. Eine Tendenz, die sich mit der Krise verschärfte. Vollzeit erhielten Frauen auch in Boomjahren bis zur Krise nicht mehr als 24.000 Euro, Männer niemals weniger als 25.000 Euro. Für eine Teilzeitbeschäftigung ist ein Durchschnittslohn von  11.000 Euro jährlich illusorisch – zugleich erhalten drei Viertel der Frauen einen solchen Vertrag, Tendenz steigend.
Die schwierige Lage am Arbeitsmarkt hat vor allem für eine Gruppe von Frauen negative Auswirkungen: die Migrantinnen. Umso wichtiger sind Initiativen, die Migrantinnen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen, wie dies auch Programm von Cepamn, der Frauenorganisation aus Granada, ist. Carol I. (32) kommt aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau. Die Mutter dreier Kinder wurde von ihrem Ex-Mann misshandelt und fand dank Cepamn Arbeit als Kellnerin in einem Restaurant. Ein Erfolg, denn besonders kritisch ist die Situation für viele Immigrantinnen. In den Boomzeiten bis 2007/08 just vor der Wirtschaftskrise wurden Hunderttausende von Job-Chancen angelockt. Nun dominiert vielfach Hoffnungslosigkeit.

Migrantinnen verwundbarer

Während Cepamn sich Gewaltopfern widmet, versucht man bei der NGO Fundeso in Madrid, gezielt Migrantinnen die neuerliche Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. „Dass dies einzig für Frauen mit Migrationshintergrund angeboten wird, hat seinen Grund“, sagt die Arbeitsrechtsexpertin María Dolla, die Fundeso als Anwältin zur Seite steht: „Männer hatten es am Arbeitsmarkt einfacher. Sie arbeiteten in der Bauwirtschaft, und das meist mit Vertrag.“ Frauen hingegen widmeten sich zumeist Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft wie Pflege oder Hausarbeit. Das machte Migrantinnen mit der Krise und steigender Arbeitslosigkeit „enorm verwundbar“. Sie erhalten bei Jobverlust keine oder nur geringste Sozialhilfen, und: „Bei andauernder Erwerbslosigkeit droht die Abschiebung“, sagt Dolla.

Kleine Erfolge

Das Gemeindezentrum „Caracol“, was übersetzt Schnecke heißt, liegt im Stadtteil Orcasitas im Süden von Madrid. Dort werden gezielte Schulungen für Immigrantinnen im Alter von 18 bis 35 Jahren angeboten. „Dazu zählen neben Berufsausbildungen ein Eignungstest, psychologische Unterstützung und auch juristische Beratung“, betont Beatríz Rubio, Psychologin bei Fundeso: „Das zeitigt Erfolge, abseits gesteigerten Selbstbewusstseins und besserer Berufsbefähigungen.“ Im vergangenen Semester wurden 142 Frauen aus 27 Staaten geschult. Immerhin 16 von ihnen fanden Arbeit.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.cepamn.org

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Jan Marot aus Granada, Freier Auslandskorrespondent für Spanien, Portugal und Nordafrika Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750478 Durch die Krise haben sich die Ungleichheiten beim Gehalt zwischen Männern und Frauen verstärkt, und das bei gesunkenem Lohnniveau. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745731 Humanität mit Krise Anfang Mai ist das 40 Meter lange Schiff Phoenix der privaten Flüchtlingsrettungsinitiative Moas in der kleinen Hafenstadt Marsa auf der Insel Malta ausgelaufen. Seither ist die Besatzung im Dauereinsatz: Allein in den ersten zwei Wochen konnten über 1.400 Menschen aus Seenot gerettet werden. Regina Catambrone, die gemeinsam mit ihrem Mann Christopher die Initiative ins Leben gerufen hat, hält ihre Emotion nicht zurück: „Es ist ein Kampf gegen die Zeit. Heuer ist unsere Mission noch wichtiger, nachdem ‚Mare Nostrum‘ der italienischen Marine eingestellt wurde.“ Erstmals ist in diesem Jahr ein fünfköpfiges Team von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) mit an Bord. Ein Krankenraum, in dem von Aspirin, Verbänden bis zu lebensrettenden Notfallmedikamenten alles vorhanden ist, wurde auf der ehemaligen Yacht eingerichtet. Das italienisch-amerikanische Unternehmerpaar, das 2006 auf Malta ein Versicherungsunternehmen gegründet hatte, beschloss nach der Flüchtlingskatastrophe von 2013, mit ihrem Privatvermögen die Mission zu starten. Damals ertranken über 350 Menschen vor der Insel Lampedusa. Die Phoenix ist mit zwei Schlauchbooten und zwei ferngesteuerten Hubschraubern ausgestattet. Dank der Helikopter-Drohnen – die „Augen von Moas“ – können Flüchtlingsboote auch bei Nacht, selbst bei starkem Seegang und in großer Entfernung aufgespürt werden. Die römische Tageszeitung „La Repubblica“ berichtete, dass durch Kameraaufnahmen der Drohnen auch vermeintliche Schlepper ausgeforscht werden konnten. Annahmen, die Catambrone nicht bestätigen kann: „Das erscheint mir schwierig. Wir haben Ermittlern Aufnahmen übergeben, die aus sehr großer Entfernung gemacht wurden. Aber wenn es gelang (Schlepper aufzufinden, Anm.), umso besser.“

Willkommenspakete
Die Rettungsmission kostet monatlich 400.000 Euro. Die Gesamtkosten der Mission betrugen im Vorjahr fast acht Millionen Euro. An Bord des Rettungsschiffes Phoenix erhalten die geretteten Menschen Willkommenspakete mit Wasserflaschen, Lebensmitteln, Handtüchern und Kleidung. Die lebensnotwendigen Utensilien wurden von Samuel und Saleh vorbereitet. Die beiden Männer wagten vor zwei Jahren selbst die Überfahrt von Libyen über das Mittelmeer in seeuntauglichen Booten. Kleine Wunder geben den HelferInnen Kraft und immer wieder Anlass zur Hoffnung, wie Regina Catambrone versichert: „Ich erinnere mich an das kleine Mädchen Honey aus Eritrea, das wir mit 40 Grad Fieber aus dem Meer zogen. Zwei Tage später begannen die Medikamente zu wirken und sie begann wieder zu essen und zu spielen. Das war eine der schönsten Erfahrungen in meinem Leben.“ Während der Sommermonate wird die Anzahl an verzweifelten Personen, die auf einer der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt ihr Leben riskieren, weiter rapide ansteigen.

Im April ereignete sich die bisher größte Katastrophe im Mittelmeer. 950 Menschen ertranken vor der libyschen Küste, nachdem ihr Boot während eines Rettungsmanövers gekentert war. Zuvor verhallten unzählige Appelle an Brüssel, das Flüchtlingsthema nicht allein auf den Schultern Südeuropas auszutragen, ungehört. Menschenrechtsorganisationen warnen vor weiteren Tragödien: Denn der EU-Plan, die Operation Triton (Frontex) aufzustocken, diene in erster Linie dem Grenzschutz und nicht der Rettung von Menschenleben. „Wir rechnen mit einer Serie von Tragödien, zuerst im Meer und dann bei der Aufnahme, wenn sich nicht bald etwas ändert. Man muss sich vorstellen, dass ein Land wie der Libanon mit 4,5 Millionen Einwohnern bereits 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat. Die EU mit 507 Millionen Einwohnern schafft es nicht, 150.000 Flüchtlinge, die vor Kriegen fliehen, unterzubringen? Es wird Zeit, dass Europa seinen Zynismus ablegt“, erklärt der Vorsitzende von „Ärzte ohne Grenzen“ in Italien, Loris De Filippi.

Strukturelles und politisches Problem
Seit vielen Jahren kritisiert De Filippi die katastrophale Lage in italienischen Aufnahmelagern. „Erst vor ein paar Wochen wurden die verheerenden Zustände in einem Flüchtlingslager in Kalabrien publik. Es handelt sich sowohl um ein strukturelles als auch um ein politisches Problem.“ Jahrelang hätte Italien eine Politik mit der fälschlichen Annahme verfolgt: Je schlechter die Aufnahme, desto weniger Leute werden kommen. Italien ist mit dem Ansturm klar überfordert. „Wir plädieren für ein temporäres Aussetzen der Dublin-II-Verordnung, wonach Flüchtlinge im ersten EU-Land, das sie betreten, ihren Asylantrag stellen müssen. Die Verantwortung muss auf alle 38 EU-Länder gerecht verteilt werden. Es kann nicht sein, dass ein reiches Land wie Norwegen nur 1.000 Flüchtlinge, das benachbarte Schweden wiederum europaweit die meisten Flüchtlinge aufnimmt“, so De Filippi.

Budgetbelastung
Die Regierung von Premier Matteo Renzi klagt hingegen über die hohe Budgetbelastung. Seit mehr als zwei Jahren steckt Italien in einer Rezession, die Industrieproduktion ist seit 2007 um etwa ein Viertel geschrumpft, drei bis vier Millionen Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Dennoch bemühte man sich, so gut es geht, den Mittelmeer-Flüchtlingen einen humanen Empfang zu bereiten – und nahm dafür auch einiges an Geld in die Hand: 2014 hat Italien 630 Millionen Euro für Flüchtlinge ausgegeben. Heuer dürften die Ausgaben, so schätzt man, auf 800 Millionen Euro ansteigen. 34.000 Menschen, vor allem aus Syrien, Eritrea oder dem Sudan, sind laut offiziellen Angaben seit Jahresbeginn in Süditalien eingetroffen. 160.000 kamen im vergangenen Jahr an. Die meisten sehen Italien allerdings nur als Durchgangsstation. Sie wollen zu Verwandten und FreundInnen nach Deutschland, Frankreich oder in skandinavischen Ländern. Insgesamt rechnet man heuer mit einer Ankunft von 200.000 Flüchtlingen aus Afrika. Nach Angaben der italienischen Justiz würden bis zu einer Million Flüchtlinge in Libyen auf die Überfahrt nach Europa warten.

Im Hafen von Pozzallo auf Sizilien herrscht Hochbetrieb. An Bord eines italienischen Marineschiffes kamen allein am Wochenende über 1.500 Menschen an, ein Drittel davon sind Frauen und Kinder. „Viele von ihnen erlebten brutalste Gewalt und haben Eltern, Verwandte und Freunde verloren“, erzählt „Save the Children“-Verantwortlicher Valerio Neri. „Ich habe vor diesen Einsätzen nicht gewusst, was Horror bedeutet. Wir haben Leute gesehen, die wie Sardinen im Motorraum von Booten geschlichtet waren, ohne Luftzufuhr, inmitten von Fäkalien. Zuerst wollten wir die Fotos gar nicht veröffentlichen. Wir haben es schließlich doch getan, in der Hoffnung, damit das Bewusstsein vieler Leute wachzurütteln“, so Moas-Mitgründerin Regina Catambrone.
Die Hilfsorganisationen Caritas, Rotes Kreuz und andere freiwillige Helfer sind in sizilianischen Hafenstädten wie Catania, Palermo oder Pozzallo rund um die Uhr in Bereitschaftsdienst. „Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie diese Menschen ertrinken“, betont Caritas-Mitarbeiterin Angela. Auf Sizilien, einer der wirtschaftlich ärmsten Regionen in Europa, ist die Hilfsbereitschaft unter der Bevölkerung groß. „Wir Süditaliener wissen, was Emigration und das damit verbundene Leid bedeutet“, erinnert ein Palermer an seine Großeltern, die nach Deutschland auswanderten. Auch Palermos Caritas-Direktor, Don Sergio Mattaliano, der die Erstversorgung der Flüchtlinge koordiniert, appelliert: „Wir können nur mit vereinten Kräften Migranten helfen.“
Im 500 Kilometer entfernten Rom wartet man indessen auf grünes Licht der UNO für einen EU-Militäreinsatz in Libyen, dessen Führung Italien übernehmen will. Dabei sollen Boote von Schleppern vor der Abfahrt zerstört und so der Flüchtlingsstrom gestoppt werden. Außenminister Paolo Gentiloni zeigte sich jedoch vorsichtiger: „In Libyen wird es keinen Militäreinsatz geben.“ Das UN-Mandat würde dazu dienen, die Boote in Hoheitsgewässern Libyens zu identifizieren und sie anschließend zu beschlagnahmen oder zu zerstören.

Mahnung vor schlimmeren Tragödien
Selbst italienische Marineoffiziere halten es für unwahrscheinlich, dass die angekündigte Zerstörung den Flüchtlingsstrom stoppen würde. Denn wer vor Krieg und Gewalt fliehen muss, lässt sich nicht von einer riskanten Überfahrt abhalten. MenschenrechtsaktivistInnen schlagen Alarm: „Die Leute werden dann in noch unsicherere Boote steigen und es wird zu noch mehr Tragödien kommen.“ Der 22-jährige Sekou von der Elfenbeinküste, einer von 28 Überlebenden der Flüchtlingstragödie im April, drückt es drastisch aus: „Es ist besser, zu sterben, als so zu leben, wie wir vor unserer Reise gelebt haben.“

Internet
Private Rettungsinitiative MOAS:
www.moas.eu

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Irene Mayer-Kilani aus Rom. Freie Journalistin und Italien-Korrespondentin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895745738 "MOAS hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen in Seenot zu helfen. Das Startkapital wurde von zwei Privatpersonen zur Verfügung gestellt." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745713 Die weibliche Seite der Krise Gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Frauen und Männern ist ein langjähriges Ziel europäischer Politik, das sogar schon im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus 1957/58 festgeschrieben ist. Mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 wurde die Geschlechtergleichstellung für alle EU-Staaten verpflichtend. Zumindest theoretisch, denn die Umsetzung war schon ohne Krise zum Teil mangelhaft. Wirtschaftskrisen bedeuten noch dazu schlechte Zeiten für die Frauenpolitik – und gerade in Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal ist die Situation durch die Troika-Politik noch schwieriger geworden.

Ziel in Gefahr

Krisenbedingt ist unter anderem das Ziel, EU-weit die weibliche Beschäftigungsquote zu erhöhen, in Gefahr. Mikael Gustafsson ist Vorsitzender des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament (FEMM). Im Interview mit dem deutschen Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie, das Teil der Heinrich-Böll-Stiftung ist, hält er fest: „Die Beschäftigungsrate von Frauen ist bis 2008 stetig angestiegen, danach ist sie konstant geblieben und liegt heute immer noch bei 62 Prozent.“ Dabei sollte sie gesteigert werden, und zwar auf 75 Prozent.
Arbeitslosenquoten zwischen 20 und 30 Prozent sowie extreme Reallohnverluste haben in den vergangenen Jahren in den meisten Haushalten für gravierende Veränderungen gesorgt: Wenn die Arbeitslosen-Unterstützung ausbleibt, wenn die Lebenshaltungskosten steigen und Kinderbetreuungseinrichtungen unerschwinglich werden, müssen die Familien – in den meisten Fällen die Frauen – die Lasten schultern.
Zwischen 2010 und 2013 ist das reale Durchschnittseinkommen etwa in Griechenland um 45 Prozent zurückgegangen. Die Arbeitslosenquote bei Frauen unter 24 liegt jenseits der 50 Prozent. Mehr als 70 Prozent der 1,3 Millionen griechischen Arbeitslosen sind schon länger als ein Jahr auf der Suche. Zwischen 2008 und 2013 ist das Armutsrisiko von 20 auf 44 Prozent gestiegen und hat sich somit mehr als verdoppelt. Die private Verschuldung ist exorbitant gestiegen. Laut der Gewerkschaft GSEE wurden viele Vollzeit-Verträge in Teilzeit oder Ad-hoc-Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Im Zuge einer beispiellosen Deregulierung im Arbeitsrecht redet der Staat immer öfter bei Kollektivverträgen mit, um die Löhne niedrig zu halten.
Frauen werden insbesondere während der Schwangerschaft und nach dem Mutterschaftsurlaub verstärkt unter Druck gesetzt, flexible Arbeitsformen zu akzeptieren. Die allgemeinen Rentenkürzungen betreffen auch die bei Frauen häufigen Mindestrenten. In Italien etwa ist das durchschnittliche Lebenseinkommen von Frauen um 50 Prozent geringer als das von Männern, dementsprechend niedrig sind (später) die Pensionen.
Auch in den südlichen Ländern haben junge Frauen die Männer bildungsmäßig bereits überholt. Die positiven Auswirkungen allerdings sind wie fast überall in Europa bescheiden. So verdienen Akademikerinnen in Portugal 30 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Eine Studie der nationalen Gleichstellungsbehörde (CITE) ergab kürzlich, dass Portugals Frauen doppelt so häufig Freistellungen in Anspruch nehmen wie Männer. Als Gründe gaben Frauen familiäre Verpflichtungen an, während Männer andere Motive nannten. Daraus wird deutlich, dass Pflege- und Betreuungsaufgaben nach wie vor überwiegend in weiblichen Händen liegen.

Troika frisst unsere Kinder

Von Sparmaßnahmen bei öffentlichen Pflege- und Betreuungseinrichtungen sind besonders Frauen betroffen. Erstens handelt es sich vor allem um Frauenarbeitsplätze, zweitens fallen die so entstandenen Pflege- und Betreuungsaufgaben in der Regel den weiblichen Familienmitgliedern zu. Zwischen 2010 und 2012 ist in Griechenland die Nachfrage nach öffentlichen Kindergrippen-Plätzen auf das Dreifache gestiegen. Nur knapp 60 Prozent der Kinder konnten tatsächlich untergebracht werden. Unter diesen Umständen zögern viele, eine Familie zu gründen, entsprechend ist die Geburtenrate in Griechenland zwischen 2008 und 2013 um 15 Prozent gesunken.
„In Lissabon beträgt die durchschnittliche Monatsgebühr für eine Kita rund die Hälfte des durchschnittlichen Mindestlohns. Deshalb geben Frauen mit Kleinkindern vermehrt ihren Beruf auf“, erzählte Ana Paula Amaral, pensionierte Englischlehrerin und Aktivistin der Bewegung „Zum Teufel mit der Troika“, im Jahr 2013 in einem Interview. Immer mehr Frauen, vor allem Migrantinnen, aber auch arbeitslose Frauen, die sich von ihrem Partner getrennt haben, würden in die Prostitution flüchten, mahnt sie. Diese Entwicklung war in vielen Städten der PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) spürbar, wobei die Preise der Sexarbeiterinnen deutlich gesunken sind.

Page not found

Frauenorganisationen sahen mühsam erkämpfte Frauenrechte schon zu Beginn der Krise in Gefahr. Sie kritisieren das Fehlen von Geschlechtergleichstellungszielen in den Reformen und wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen. Tatsächlich gerieten Frauenrechte nicht selten zur Nebensache, aus Geldmangel wurde die bunte Szene deutlich dezimiert. Wer im Netz beispielsweise nach griechischen Frauen-NGOs sucht, die 2010 noch aktiv waren, liest immer wieder die Fehlermeldung „Page not found“. Vielen Webseiten sieht frau an, dass kaum Ressourcen vorhanden sind. Ähnlich von der Krise betroffen sind staatliche Stellen, im März 2013 etwa wurde das griechische Generalsekretariat für Geschlechtergerechtigkeit von 25 Einheiten auf acht zusammengestrichen, 19 Abteilungen wurden auf sechs reduziert. In Austeritätsplänen mag Geschlechtergleichstellung zwar nicht vorkommen, doch immerhin gibt es innerhalb der europäischen bzw. internationalen Gemeinschaft mehrere etablierte Organisationen und offizielle Stellen, denen Gender Equality ein Anliegen ist.

Gleichstellung nicht nur im Job

Die deutsche Politikwissenschafterin Regina-Maria Dackweiler kritisierte im Rahmen einer Veranstaltung der AK Tirol, dass die EU-Gleichstellungspolitik zwar häufig als eine Art „supranationales Geschenk“ dargestellt werde, aber zu stark auf Employability und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet sei. Es gehe viel zu wenig darum, „Strukturen der Ungleichheit aufzubrechen und bestehende Herrschaftsverhältnisse […] zu transformieren“.
Internationale Vernetzung ermöglicht heute zumindest den raschen Austausch von Informationen und konzertiertes Vorgehen – auch wenn dies manchmal nur in Form von Protesten, Aufrufen und Memos erfolgt. So hat internationaler Druck immerhin dafür gesorgt, dass in Griechenland 2006 Vergewaltigung in der Ehe und häusliche Gewalt verboten wurden. Überhaupt konstatiert auch Dackweiler, konnte die EU im Kampf gegen (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen beachtliche Erfolge erzielen.
Trotzdem: Beengte Wohnverhältnisse, Langzeitarbeitslosigkeit und triste Zukunftsaussichten führten in den vergangenen Jahren dazu, dass Frauenorganisationen in den Krisenländern eine Zunahme an häuslicher Gewalt vermelden. Aus finanzieller Not zögern viele Frauen lange, bevor sie einen gewalttätigen Partner verlassen. Zusätzlich verbreiten politische Gruppierungen mit rassistischem Charakter „Zurück an den Herd“-Ideologien und alte Geschlechterstereotypen erleben ein Revival.
Doch in der Krise zählt jeder Euro und viele Frauen suchen jetzt erstmals nach Arbeit, um der Familie das Überleben zu sichern. Ob sich dadurch die Geschlechterverhältnisse zumindest indirekt ändern, ist ungewiss. In den Krisenländern ist der Gender Pay Gap zwar kleiner geworden, aber vor allem deshalb, weil jetzt alle weniger verdienen, viele Männer ihren Job verloren haben oder Teilzeit arbeiten.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.analyzegreece.gr
European Institute for Gender Equality:
eige.europa.eu
Women against Violence (WAVE):
www.wave-network.org
Interview mit Mikael Gustafsson, dem Vorsitzenden des FEMM-Ausschusses im Europäischen Parlament:
tinyurl.com/pmd4apr
Europäische Zeitschrift für Geschlechtergleichstellungsrecht 1/2014:
tinyurl.com/p9xudqn

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750514 Wirtschaftskrisen bedeuten düstere Zeiten für die Frauenpolitik. Gerade in den Krisenländern ist die Situation noch schlimmer geworden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745692 Aufwachsen in Armut Daniel Volkmer lebt – so sieht es zumindest für Außenstehende aus – im Paradies. Von seinem kleinen Apartment an der spanischen Küste, 30 Kilometer von Barcelona entfernt, blickt er sowohl auf die katalanische Hauptstadt als auch auf das Mittelmeer. Um zu seiner Arbeit nach Barcelona zu gelangen, fährt der gebürtige Belgier mit seinem Motorrad eine halbe Stunde die Küstenstraße entlang. Volkmer hat sich seinen Traum verwirklicht und sich in Spanien eine Existenz aufgebaut.

Finanziell stark angeschlagen

Wenn er erzählt, dass er in Spanien lebt, erntet er oft fragende und besorgte Blicke. Schließlich ist Spanien neben Portugal und Griechenland eines der Länder, das von der Wirtschaftskrise am stärksten betroffen war. „Mir geht es gut, als Alleinstehender brauche ich auch nicht viel“, sagt Volkmer. „Aber ich merke deutlich, wie sehr die Wirtschaftskrise zugeschlagen hat. Viele befreundete Familien sind finanziell stark angeschlagen, einige können ihren Lebensstandard nicht mehr halten.“ Es sei deutlich spürbar, dass die Armut gestiegen ist.
„Bei der örtlichen Ambulanz werden zum Beispiel Gewand und Nahrungsmittel, vor allem Konserven, gesammelt. Beim Eingang hängt ein Zettel, auf dem steht, dass man sich bewusst ist, dass bei vielen Familien, die dort zur Behandlung kommen, das Haushaltsgeld nicht mehr bis zum Monatsende ausreicht. Daher wird um Sachspenden gebeten.“ Die Armut macht vor niemandem halt. Vor allem nicht vor Kindern.

Steigende Kinderarmut seit 2008

In der industrialisierten Welt leben ca. 76,5 Millionen Kinder in Armut. Allein seit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 fielen rund 2,6 Millionen Kinder in den reichsten Ländern der Welt unter die Armutsgrenze. Diese Zahlen veröffentlichte UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in der im Oktober 2014 veröffentlichten Publikation „Innocenti Report Card 12, Children of the Recession: The impact of the economic crisis on child well-being in rich countries“ der Studienreihe „Report Card“. Die „Report Card“ verfolgt regelmäßig die Situation der Kinder in entwickelten Ländern. Das Forschungszentrum von UNICEF, „Innocenti“, untersuchte hierfür die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Entwick-lung der Kinderarmut in der Europäischen Union sowie in den 41 Ländern der OECD.
Seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 stieg die Kinderarmut in 23 der 41 untersuchten Länder an. Griechenland ist eines der Länder, in dem die Auswirkungen der Rezession am stärksten spürbar waren. Das mittlere Haushaltseinkommen sank auf den Wert von 1998. Die Arbeitslosigkeit stieg drastisch, und Kürzungen in den Sozial- und Gesundheitsleistungen waren die Folge. Die Selbstmordrate stieg zwar in ganz Europa, aber in Griechenland zwischen 2008 und 2011 um 36 Prozent. Griechenland ist das Land mit der zweithöchsten Wachstumsrate von Kinderarmut, nämlich 17,5 Prozent. Nur Island liegt mit einem traurigen Spitzenwert von 20,4 Prozent an letzter Stelle. In Spanien stieg die Kinderarmut um 8,5 Prozent. Portugal liegt mit einem Wachstum von 1 Prozent im Mittelfeld, in Österreich sank die Kinderarmut im Übrigen sogar um leichte 0,7 Prozent.
Kein Land war auf das Ausmaß und die Folgen der Rezession vorbereitet. Gemäß UNICEF-ExpertInnen wäre es ratsam gewesen, in der ökonomisch stabilen oder wirtschaftlich gar wachsenden Periode vor der Rezession das soziale Sicherheitsnetz für Kinder und Jugendliche zu festigen, um ökonomisch ungünstigen Zeiten vorzubeugen. Allerdings hat kein Land dies vorzeitig erkannt und es daher verabsäumt, Maßnahmen zu setzen, um die soziale Sicherheit der Kinder zu stärken – ganz im Gegenteil. Da die Finanzmärkte starken Druck auf die Regierungen ausübten, reagierten diese mit Budgetanpassungen. Die Maßnahmen der Eurozone, vor allem in den südlichen Ländern, führten zu einer Kürzung der sozialen Ausgaben für Kinder und Familien. „Viele wohlhabende Staaten haben einen großen Rückschritt erlitten, was ihre Budgeteinnahmen betrifft, und die Auswirkungen auf Kinder werden lang anhaltende Folgen für sie und ihre Gesellschaften haben“, sagt Jeffrey O’Malley, UNICEF-Verantwortlicher für „Global Policy and Strategy“.

Trauriges Nachspiel

Länder, die von der Krise stark betroffen waren, verzeichneten eine deutliche Verschlechterung der Situation von Familien – vor allem aufgrund des Verlustes des Arbeitsplatzes der Eltern, Unterbeschäftigung und Einschnitte in der öffentlichen Verwaltung. Der Haushalt, der größte Teil eines jeden Familienbudgets, ist der wichtigste Indikator für Armut. Während der Krise ist das mittlere Einkommen in Haushalten mit Kindern in jedem zweiten Land gesunken. Seit 2008 hat sich die Zahl jener Haushalte mit Kindern, die sich jeden zweiten Tag kein Fleisch, Huhn oder keinen Fisch leisten können, in Estland, Griechenland und Italien verdoppelt. Die Zahlungsunfähigkeit, wenn es darum geht, unerwartete finanzielle Ausgaben zu begleichen, ist in den zwölf von der Krise am stärksten betroffenen Ländern um 60 Prozent gestiegen.
Wenn sich Eltern mit plötzlicher Arbeitslosigkeit und/oder Einkommensverlusten konfrontiert sehen, wirkt sich dies auf die ganze Familie aus. Eltern sparen bei der Ernährung, es kommt weniger oder gar kein Fleisch mehr auf den Tisch. Sie können es sich schwerer leisten, Material für die Schule zu kaufen oder ihren Kindern Nachhilfestunden zu ermöglichen. Auch Freizeitaktivitäten fallen dem familiären Sparkurs zum Opfer. Plötzlich können die Kinder keine Musikkurse mehr besuchen, das Fußballtraining ist tabu. Knapp 28 Prozent der befragten griechischen Jugendlichen berichteten, dass ihre Familien auf Urlaub verzichten müssen – eine Veränderung, die den Kindern am stärksten auffällt – und dass die Krise öfters zu innerfamiliären Spannungen und Streit führt.
Kinder sind oft Zeugen von Zwangsräumungen, Eltern sehen sich mit steigenden Hypothekenschulden konfrontiert, eine unerträgliche Spannungssituation, die sich auch auf die Kinder auswirkt: Sie fühlen dabei verstärkt Ängste und Stress. Sie leiden unter den familiären negativen Veränderungen, dabei legen manche Kinder ein auffälliges Verhalten an den Tag, manche jedoch leiden still. Viele sind Demütigungen vor FreundInnen oder SchulkameradInnen ausgesetzt. Im extremsten Fall sehen sich Familien gezwungen, ihr Heim, manchmal sogar das Land zu verlassen.

Starkes Sozialsystem notwendig

Laut UNICEF weist das soziale Sicherheitsnetz vieler Staaten deutliche Schwächen auf, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Ernährung. 11,1 Millionen und damit um 1,6 Millionen Kinder mehr als 2008 mussten 2012 materielle Entbehrungen erleben. Wenn die Kinder jedoch bereits in Armut leben, ist es umso schwerer, aus der Armutsfalle wieder herauszukommen – ein Teufelskreis, aus dem nur wenige ausbrechen können.
Wenn jedoch Kinder und Jugendliche weiterhin vernachlässigt werden, wird sich die prekäre Situation auch dann nicht verbessern, wenn die Wirtschaft sich bereits längst erholt hat. Vielmehr droht sie sich sogar noch mehr zu verschlechtern. „Die UNICEF-Forschung zeigt, dass starke Sozialsysteme ein entscheidender Faktor für die Vermeidung von Armut waren. Alle Länder brauchen starke soziale Sicherheitsnetze zum Schutz der Kinder in schlechten Zeiten und in guten – und die wohlhabenden Länder sollten mit gutem Beispiel vorangehen, sich explizit der Beseitigung von Kinderarmut verpflichten, Strategien entwickeln, um Wirtschaftsabschwünge zu kompensieren, und das Wohlergehen der Kinder zu ihrer obersten Priorität erklären“, so O’Malley. Wenn es darum geht, der Rezession entgegenzusteuern, sollte dem Wohlergehen der Kinder höchste Priorität beigemessen werden und die ethische Verpflichtung mit den Eigeninteressen des Staates einhergehen.

Internet:
Der Report ist einsehbar via folgendem Link:
www.unicef-irc.org/publications/733

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750528 Seit 2008 hat sich die Zahl jener Haushalte mit Kindern, die sich jeden zweiten Tag kein Fleisch, Huhn oder keinen Fisch leisten können, in Estland, Griechenland und Italien verdoppelt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750803 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745668 Mehr Schein als Sein In 21 von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist ein gesetzlicher Mindestlohn festgelegt. In Österreich erhalten ArbeitnehmerInnen allerdings keinen Mindestlohn – ähnlich wie in Dänemark, Finnland, Italien, Schweden und auf Zypern. In Österreich werden Mindestgehälter bzw. Mindestlöhne nämlich in Kollektivverträgen – derzeit gibt es 856 gültige – festgelegt. Diese garantieren die Mindeststandards und rechtliche Sicherheit in den Arbeitsverhältnissen. Und sie legen für eine möglichst große Anzahl von ArbeitnehmerInnen sowie für alle Branchen und Regionen sachgerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen fest. Allerdings gibt es immer mehr Löcher in diesem System.

Spitzenposition bei Tarifbindung

Laut einer aktuellen Statistik der OECD zur Tarifbindung von ArbeitnehmerInnen belegt Österreich eine Spitzenposition. Fast alle österreichischen ArbeitnehmerInnen sind durch Kollektivverträge abgesichert. Allein die Gewerkschaft für Privatangestellte, Druck, Journalismus Papier, GPA-djp, die jährlich 175 Kollektivverträge verhandelt, hat einen wichtigen Anteil an dieser erfreulichen Tatsache. Im Vergleich: In Deutschland werden 62 Prozent, in den USA nur 24 Prozent der ArbeitnehmerInnen durch Tarifverträge abgesichert.

Erfindungsreiche Unternehmer

Trotz der relativ guten Absicherung und des dichten Netzes an Kollektivverträgen ist in einigen Branchen in Österreich Lohn- und Sozialdumping ein großes Problem. Die betroffenen Branchen reichen von der Gastronomie und dem Transportgewerbe bis hin zu Personalleasingfirmen, Paketzustellern und Plakatierern, dem Reinigungs-, Fleischzerlegungsgewerbe sowie ErntehelferInnen. Wenn es darum geht, die Löhne und Sozialversicherungsabgaben des Personals zu senken, zeigen sich viele Unternehmen sehr erfindungsreich. Drei Teilnehmer des aktuellen Jahrgangs der SOZAK beschäftigten sich eingehend mit dem Thema des Lohn- und Sozialdumpings und erstellten dazu im Rahmen ihres Abschlussprojekts ausführliche Seminarunterlagen: Gerald Priglinger, Betriebsratsvorsitzender der Terrag Asdag, Daniel Lachmayr, Jugendsekretär der Gewerkschaft Bau-Holz Niederösterreich, sowie Stefan Hurt, Betriebsratsvorsitzender-Stellvertreter Securitas Sicherheitsdienstleistungen GmbH. Das Besondere an dieser Projektgruppe war die Zusammenarbeit mit KollegInnen aus Deutschland von der Europäischen Akademie der Arbeit Frankfurt. Gemeinsam setzten sie sich mit den verschiedensten Formen von Schattenwirtschaft auseinander.
Laut Sozialministerium wurden seit Inkrafttreten des Lohndumping-Gesetzes im Mai 2011 rund 27.000 Betriebe, darunter 6.300 aus dem Ausland, kontrolliert. 938 Unternehmen, darunter 444 ausländische, wurden wegen Unterentlohnung angezeigt, 1.700 verweigerten die Herausgabe von Unterlagen und wurden daher angezeigt. Gleich 17 ausländische Betriebe wurden für den österreichischen Arbeitsmarkt gesperrt. Insgesamt erhielten rund 4.000 Beschäftigte einen viel zu geringen Lohn. Die meisten ausländischen Unternehmen, die ertappt wurden, stammen aus Ungarn, gefolgt von Slowenien und der Slowakei.
Lohn- und Sozialdumping erscheint auf mannigfaltige Weise. Eine häufige Art ist der Sozialbetrug mittels Scheinfirmen. Dabei wird über Strohmänner ein, oft auch mehrere Unternehmen gegründet. Die Kapitalausstattung dieser Firmen geht gegen null, dem gesetzlichen Minimum – Insolvenzen sind einkalkuliert. Scheinunternehmen melden in großem Umfang Beschäftigte an, die meist geringfügig angestellt sind. Scheinfirmen werden auch oft mit sogenannten Subunternehmerpyramiden in Verbindung gebracht. Dabei erhält ein Generalunternehmer A einen Auftrag, der dann teilweise an einen oder sogar mehrere Subunternehmen B vergeben wird. Während die Ebene B „sauber“ gehalten wird, erfolgt eine weitere Subvergabe an eine C- oder gar D-Ebene. Diese Firmen sind oft Scheinfirmen oder gar scheinselbstständige Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Damit sollen Sozialleistungen minimiert oder umgangen werden. Bei Auffliegen einer C- oder D-Firma werden Anmeldungen, das Personal sowie allfälliges Kapital schnell in neue Konstrukte verschoben. Im Hintergrund agieren dabei meist dieselben Personen, die Firmen arbeiten mit Scheinrechnungen. Die tatsächlichen Arbeiten hingegen führen Beschäftigte dieser Firmen aus.

Manipulation und Lohnsplitting

Viele Unternehmen bedienen sich auch der doppelten Lohnbuchhaltung. Dabei werden eine externe und eine interne Lohnbuchhaltung geführt. Die externe Version dient der Vorlage bei Behörden und entspricht auch den gesetzlichen Vorgaben. Im internen Buch werden die echten, also die Dumpinglöhne aufgezeichnet. Für die Buchhaltung werden dann die Scheinrechnungen der verbundenen (Schein-)Firmen verwendet. Neben der doppelten Lohnbuchhaltung betreiben Unternehmen manchmal auch eine doppelte Lohnverrechnung, um die tatsächlich bezahlten – niedrigen – Löhne zu verschleiern. Bei dieser Form des Sozialdumpings werden für eine Person unter verschiedenen Namen mehrere geringfügige Dienstverhältnisse abgeschlossen. Diese Person wird für einen Monat beschäftigt, das Entgelt aber wird auf mehrere Monate gesplittet. Die Entgeltbestandteile werden als echte Aufwandsentschädigung und nicht in Sozialversicherungsbemessung ausbezahlt.
Bei einer Scheinselbstständigkeit werden einfache Tätigkeiten mittels Werkvertrag an Ein-Personen-Unternehmen vergeben. Es sind zwar Gewerbeberechtigungen vorhanden, der Werkvertrag unterliegt allerdings der Privatautonomie. Die Scheingeringfügigkeit ist nicht nur am Bau gang und gäbe. Oft trifft dies auch auf Lkw-Fahrer, Paketzusteller, Plakatierer, LagermitarbeiterInnen (auch „Konsulenten“ genannt) zu. Wenn Beschäftigte geringfügig angemeldet werden, aber effektiv Vollzeit arbeiten, spricht man von Scheingeringfügigkeit. Um Steuern und Sozialabgaben zu minimieren, wird dabei nur die Unfallversicherung abgedeckt. Die Differenz vom geringfügigen und dem tatsächlichen Lohn wird bar auf die Hand schwarz ausbezahlt. Von einer Scheinentsendung ist die Rede, wenn eine „Briefkastenfirma“, die im Ausland ihren Sitz hat, aber ausschließlich im Inland handelt, die beschäftigten Personen hauptsächlich im Inland rekrutiert. Dabei wird die Sozialversicherung – wenn überhaupt – nach ausländischen Maßstäben und im Ausland entrichtet. Behörden können dies bei Kontrollen jedoch nicht überprüfen, da sie keine Zugriffe auf die Datenbanken der ausländischen Sozialversicherungen haben.
Die gänzlich klandestine Schwarzarbeit ist ein Phänomen im niederschwelligen und oft privaten Bereich. Ob die Putzfrau zu Hause oder die Bauarbeiter, die die Terrasse erweitern oder den Dachboden ausbauen: SchwarzarbeiterInnen bekommen ihren Lohn bar auf die Hand „brutto für netto“ ausgezahlt. Sie melden sich nicht bei der Sozialversicherung an. Viele SchwarzarbeiterInnen verfügen eigentlich über ein „echtes“ Dienstverhältnis und lukrieren durch gelegentliche Schwarzarbeit zusätzliche Einkünfte.

Mehr Kontrolle

Im November 2014 wurde im Parlament eine Novelle des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes verabschiedet. Seither drohen bei fehlenden Unterlagen – je nach Anzahl der geprellten ArbeitnehmerInnen – bis zu 10.000 Euro Strafe. Zudem wurden die Lohnkontrollen ausgeweitet, um das Ausmaß der Unterentlohnung exakt zu ermitteln. Während bis dato nur der KV-Lohn herangezogen wurde, werden seit Jänner auch Zulagen wie Überstundenzuschläge oder Sonderzahlungen berücksichtigt. Eine weitere Neuigkeit ist auch die Möglichkeit für betroffene ArbeitnehmerInnen, Nachzahlungen einzuklagen, indem sie über das Vorliegen eines Strafbescheides auch informiert werden. Die Verschärfung der Kontrollen ist eine weitere notwendige Maßnahme, um den Zielen des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes näherzukommen: gleicher Lohn am gleichen Ort, fairer Wettbewerb und die Sicherung des österreichischen Lohnniveaus.

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Neu!
Die TeilnehmerInnen der Sozialakademie der Arbeiterkammer (SOZAK) arbeiten im Zuge des Lehrgangs jedes Jahr in Kleingruppen an von den Gewerkschaften beauftragten Projektarbeiten zu unterschiedlichen gewerkschaftspolitisch relevanten Themen. BetriebsrätInnen, GewerkschaftssekretärInnen sowie Interessierte können diese Projektarbeiten unter www.ichwardabei.at downloaden oder im Verlag bestellen (Michael Musser, +43 1 662 32 96-39732, michael.musser@oegbverlag.at). In unserer neuen Serie stellen wir ausgewählte Projektarbeiten vor, die zum jeweiligen Schwerpunktthema des Hefts passen.

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750533 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895750812 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745640 Frisch gebloggt Webtipps der Woche

Wir legen euch diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Hat die kalte Progression die Steuerreform schon gefressen? (Vanessa Mühlböck)
  • Universitäre Personalpolitik: Laufbahnen mit Perspektive statt Kettenarbeitsverträge (Angelika Striedinger und Katharina Kreissl)
  • Beschäftigungsfördernde Budgetpolitik gefragt (Georg Feigl)

Kalte Progression – falsch gerechnet?

Ökonomin Vanessa Mühlböck deckt auf, dass manche KritikerInnen der Steuerreform nicht immer ganz richtig zu rechnen scheinen. Die Kritik v. a. vom neoliberalen Think-Tank „Agenda Austria“ bezieht sich auf das Volumen der Steuerreform: Dieses reiche nicht aus, um die „kalte Progression“ aufzuwiegen. Daher bringe die Steuerreform faktisch keine Entlastung für die Menschen – das war nach dem Abschluss der Verhandlungen zur Steuerreform auch in vielen Medien zu lesen.

Kalte Progression bedeutet, dass durch die Tatsache, dass die Bruttolöhne inflationsbedingt stei-gen, auch die Steuerbelastung überproportional steigt und es neben der realen Zunahme der Steuerbelastung auch zu einer inflationsbedingten Steuermehrbelastung kommt. Mühlböck rechnet in ihrem Blogartikel vor, dass die Berechnungen der KritikerInnen in diesem Fall aber nicht stimmen können. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Ausmaß der kalten Progression von 2009 bis 2015 drei Milliarden Euro betrug, daher bleibt (bei einem Entlastungsvolumen der Steuerreform von fünf Milliarden Euro) eine effektive Entlastung der ArbeitnehmerInnen im Ausmaß von zwei Milliarden Euro.

Diese Entlastung wird nun auch von Agenda Austria anerkannt, aber das wird in den Medien nun nicht mehr groß hinausposaunt.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/pbqjtjd

Universitäre Personalpolitik neu?

Großes Interesse weckte der Artikel zu der an die Grenzen angelangten Personalpolitik an den österreichischen Unis. Kettenarbeitsverträge – also das Aneinanderreihen befristeter Arbeitsver-träge – prägen seit mehr als zehn Jahren das Bild an den Universitäten.

Drei Viertel des wissenschaftlichen Personals an den Unis sind mittlerweile von dieser Form der Prekarität betroffen. „Unsicherheit stachelt zu Höchstleistungen an“, betonte die Vizerektorin der Universität Wien unlängst. Die Universitäten wehren sich also gegen Eingriffe in diese „flexible“ Personalpolitik.

Die Autorinnen fordern eine radikale Steuerungskorrektur der derzeitigen Personalpolitik. Denn das kurzfristig angelegte Prekariats-Modell führt zu einer sozialen Selektion, organisationalen Problemen der Universitäten und zu einem Wettlauf um Publikationen in karriereförderlicher Mainstram-Forschung – und geht somit am eigentlichen Zweck vorbei: nämlich an der Ermöglichung gesellschaftsfördernder, innovativer und kreativer Wissensproduktion.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/onu574h

Budgetpolitik ändern

Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage zeichnet für Österreich kein allzu rosiges Bild: Das Wirt-schaftswachstum entwickelt sich nur langsam und die Arbeitslosigkeit steigt weiter deutlich an. Budgetexperte Georg Feigl zeigt in seinem Beitrag auf, wie wichtig momentan eine beschäfti-gungsfördernde Budgetpolitik ist. Die Reduktion in der Budgetpolitik auf die Maxime eines „strukturellen Nulldefizits“ kann die Probleme nicht entsprechend adressieren. Vielmehr sind Investitionen etwa in soziale Dienstleistungen und in die Infrastruktur wichtig, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Angesichts der Prognose, dass das strukturelle Defizit im kommenden Jahr etwas ansteigen könnte, warnt Georg Feigl davor, voreilige falsche wirtschaftspolitische Schlüsse zu ziehen.

Für eine Beurteilung der Budgetstrategie muss ein Blick auf die Struktur des Budgetdefizits in der Vergangenheit geworfen werden: Es zeigt die erhebliche Budgetbelastung durch die Banken. Feigl resümiert, dass Österreich kein Problem in Bezug auf das strukturelle Defizit hat, sondern dass der öffentliche Haushalt vor allem ein Banken- und Konjunkturproblem aufweist.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/qz6atlw

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Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745630 "Nicht zuletzt" ... Wege aus der Krise im Süden Doch viele dafür verantwortliche Regierungen wurden abgewählt (wie in Griechenland) oder stehen knapp davor (wie in Spanien). Es scheint, als würde nun endlich mit dem alten Klientelismus gebrochen und die notwendige Erneuerung der Institutionen, vom Steuersystem über den Arbeitsmarkt bis zum Sozialwesen, angegangen. Nur so können die sozialen Katastrophen von Massenarbeitslosigkeit und Armut überwunden werden, nur so kann eine wirtschaftliche Erholung gelingen.

Kritische Reflexion

Die EU könnte bei diesem Vorhaben eine wertvolle Rolle spielen. Voraussetzung wäre allerdings eine kritische Reflexion jener Fehler, die Europa im Süden gemacht hat. Die EU-Institutionen haben mitten in der Wirtschaftskrise extreme Sparmaßnahmen verordnet: Die Ausgaben für Soziales, Gesundheit und Pensionen, die Zahl und die Gehälter öffentlich Bediensteter, sogar die Mindestlöhne wurden drastisch reduziert. Das hat zu einem Rückgang der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen geführt – und damit auch von Wirtschaftsleistung und Beschäftigung. Damit war ein weiterer Anstieg der Staatsschulden verbunden.
Beschämenderweise hat Österreich auf BeamtInnenebene und im Rat der Finanzminister stets die Rolle des neoliberalen Hardliners gegenüber dem Süden eingenommen. So trägt die Bundesregierung Mitverantwortung für die Zurückdrängung des Sozialstaates und das Entstehen von Massenarbeitslosigkeit im Süden.

Aufseiten der Starken

Die europäische Politik vertritt heute viel zu oft die Interessen von Vermögensbesitzern, Banken und anderen Teilen der wirtschaftlichen Elite – statt sich auf die Seite der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung, der Arbeitslosen und der sozial Schwächeren zu stellen.
Die katastrophalen Ergebnisse dieser Politik machen sichtbar, wie unabdingbar ein Kurswechsel ist. Die – proeuropäisch ausgerichteten – sozialen Bewegungen in den Krisenländern, aber auch in Kerneuropa machen diesen Kurswechsel zu ihrem Projekt, das es nun konstruktiv und kritisch zu unterstützen gilt. Mit einem expansiven Impuls durch öffentliche Investitionen muss Europa wirtschaftlich wieder auf die Beine gebracht und die Massenarbeitslosigkeit bekämpft werden.
Die Finanzierung muss zunächst über eine gemeinsame Kreditaufnahme der Staaten und mit Unterstützung durch die Europäische Zentralbank erfolgen, um den Finanzspekulanten das Wasser abzugraben.
Das Feld für sinnvolle Investitionsprojekte ist weit: von Beschäftigungs- und Bildungsmaßnahmen für das Heer der fünf Millionen arbeitslosen Jugendlichen über den dringenden Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die Erneuerung von Energiegewinnung und Energienetzen bis hin zur Verbesserung der Gesundheits- und Pflegeleistungen.

Genug Geld vorhanden

Dieses Projekt braucht nicht dauerhaft über öffentliche Schulden finanziert zu werden – und muss es auch nicht, denn Geld ist in ganz Europa genug da: Ein gemeinsames rigoroses Vorgehen gegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug durch Transparenz über Vermögen, Abschaffung von ungerechtfertigten Steuervorteilen für Großunternehmen und schließlich die Durchsetzung einer europäischen Vermögenssteuer würden die Finanzierung sozialer Investitionen ermöglichen – bei gleichzeitigem Abbau der zu hohen Staatsverschuldung.

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Markus Marterbauer, Leiter Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jun 2015 00:00:00 +0200 1432895745566 Bruch des EU-Vertrages Zur Person
Harald Schumann ist Redakteur der deutschen Zeitung „Tagesspiegel“. Dort beschäftigt er sich mit Fragen der wirtschaftlichen Macht und den Folgen von Globalisierung und Europäisierung. Von 1984 bis 1986 war er Redakteur bei der „tageszeitung“, von 1986 bis 2004 arbeitete er für den „Spiegel“. Bekannt wurde Schumann Ende der 1990er-Jahre mit dem Bestseller „Die Globalisierungsfalle“. Im Jahr 2013 wurde die Fernsehdokumentation „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ ausgestrahlt. Die Dokumentation wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Reportage“ ausgezeichnet. Seine neueste Dokumentation widmet sich der Troika.

 

Arbeit&Wirtschaft: Ihre Dokumentation über die Troika hat im Titel den Zusatz: „Macht ohne Kontrolle“. Sie kritisieren diese als undemokratisch. Warum?

Harald Schumann: Die Troika, also der Verbund aus IWF, EZB und EU-Kommission, ist in keinem europäischen Vertrag und auch nicht in der EU-Verfassung vorgesehen. Ihre Arbeit fußt lediglich auf einer Vereinbarung zwischen den Regierungen. Das heißt, alles, was die Beamten der Troika tun, geschieht juristisch gesehen außerhalb des Vertrags der Europäischen Union und ihrer Institutionen.

Nun könnte man auch sagen: Die Regierungen wurden demokratisch gewählt, somit erfolgt die demokratische Kontrolle auf diesem Weg. Das Problem ist, dass diese Beamten niemandem gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet sind – außer den Ministern der Euro-Gruppe. Wir haben also eine Gruppe von Beamten, die viel Macht ausüben, sich aber gegenüber keinem Parlament rechtfertigen müssen. Kein Parlament kann sie herbeizitieren und Anweisungen geben. Sie werden auch von keinem Rechnungshof überprüft.

Dazu kommt, dass sich die Parlamentarier der nationalen Parlamente für die Details der Programme und vor allem für deren Konsequenzen weder interessiert haben noch sich verantwortlich fühlten, als die Folgen sichtbar wurden. Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendeine relevante, auch nur denkbare Mehrheit im Deutschen Bundestag gegeben hätte, die sich dafür verantwortlich fühlte, dass in Griechenland ein Viertel der Bevölkerung inzwischen keine Gesundheitsversorgung mehr hat. Vielmehr sagen sie: Da sind die Griechen schuld, sollen sie doch sehen, wie sie damit klarkommen. Dass genau das das Ergebnis einer völlig überzogenen Kürzungspolitik ist, der auch sie zugestimmt haben: Dafür haben sich die meisten Parlamentarier in Deutschland oder in den anderen Ländern nicht verantwortlich gefühlt. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass das Europäische Parlament diese Notmaßnahme aus dem Frühjahr 2010 bis heute zulässt. Ich kann ja sogar noch nachvollziehen, dass man sich am Anfang gesagt hat: „Okay, man muss jetzt ganz schnell handlungsfähig werden.“ Aber das Europäische Parlament hätte sagen müssen: „Das ist ein Ausnahmezustand, und spätestens nach drei Monaten müssen wir in einen Zustand kommen, wo Beamte normaler demokratischer Kontrolle unterliegen.“ Stattdessen haben wir einen gigantischen exekutiven Apparat ohne jegliche parlamentarische Kontrolle! Dass das Europäische Parlament mit seiner konservativen, liberalen Mehrheit einfach hinter der Gruppe der Euro-Finanzminister hergedackelt ist, um dann nach viereinhalb Jahren einen ein bisschen kritischen Bericht zu machen, wo sie sagen: „Eigentlich war das alles illegal“ – und dann aber aus dem Bericht überhaupt keine Konsequenzen zu ziehen: Das zeigt, dass sie sich selbst als Parlamentarier nicht ernst nehmen. In jedem anderen Job würde eine derartige Arbeitsverweigerung mit fristloser Kündigung geahndet.

Die von der Troika geforderten Maßnahmen erinnern an die Politik des IWF in den 1990er-Jahren, deren negative Folgen schon damals Josef E. Stiglitz kritisiert hat. Hat man daraus nichts gelernt?

Das ist ja das Erstaunliche: Als der IWF nach Europa geholt wurde, gab es von Anfang an sehr verschiedene Meinungen darüber, wie man mit der Krise umgehen müsste. Die Expertengruppe vor Ort hat zum Beispiel gesagt: Griechenland ist so überschuldet, dass man einen Schuldenerlass machen muss, bevor man mit der Sanierung anfängt, um die Gesamtlast zu senken und auch sicherzustellen, dass das Land eine Perspektive hat. Darüber haben sich die Europäer und die Amerikaner gemeinsam hinweggesetzt, weil ihnen die Stabilität der europäischen Banken wichtiger war als Griechenland.
Neuere Forschungsergebnisse des IWF legen zudem nahe, dass die gesamte Konzipierung der Programme falsch ist. Da heißt es zum Beispiel: Es gibt keinen empirischen Beleg dafür, dass Arbeitsmarktliberalisierung die Produktivität erhöht. Genau das ist aber eine der zentralen Annahmen für die Strukturprogramme. In einer Evaluation hat der IWF auch eingeräumt, dass die Austeritätsauflagen für Griechenland viel zu ambitioniert waren und mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht haben. Aber weder EU-Kommission und EZB noch IWF waren bereit, Konsequenzen daraus zu ziehen. Öffentlich demonstrierte Lernunfähigkeit könnte man das nennen. Die Europäische Kommission etwa hat diesen Bericht einfach zurückgewiesen und gesagt: Das sei falsch, ohne es zu belegen.

Zurück zur demokratischen Legitimation der Troika: Worin besteht der Verstoß gegen die EU-Verfassung?

Das bezieht sich vor allem darauf, dass die Aufgabe der Beamten der Kommission darin besteht, den EU-Vertrag zu hüten und zu verteidigen. Im EU-Vertrag steht unter anderem, dass die europäischen Institutionen für die Lohnfindung in den Mitgliedstaaten keinerlei Zuständigkeit haben. Als Troika-Beamte mischen sie sich aber ein und verfügen, dass Tarifverträge ungültig gemacht werden oder bisher geltende Regelungen zurückgefahren werden. Es gibt sogar interne Arbeitspapiere, in denen die Kommission ganz offen formuliert, dass sie starke gewerkschaftliche Verhandlungsmacht für ein Wachstumshindernis hält und diese deswegen zu schwächen sei. Das halte ich für einen Verstoß gegen den EU-Vertrag. Herr (Thomas, Anm.) Wieser hat das als Präsident der Euro-Gruppe ganz offen erklärt: Wenn der gleiche Beamte, der aus Steuergeldern auf Basis des EU-Vertrages bezahlt wird, für die Finanzminister der Euro-Gruppe unterwegs ist, dann ist er an den europäischen Vertrag nicht mehr gebunden. Das ist eine aberwitzige Konstruktion – und im Grunde auch eine Selbstentlarvung, weil es bedeutet, dass aus Steuergeldern bezahlte Beamte der EU-Kommission im rechtsfreien Raum tätig sein können. In Portugal hat das Verfassungsgericht nicht weniger als acht Mal geurteilt, dass Kürzungsmaßnahmen wegen der ungerechten Lastenverteilung verfassungswidrig sind. Das führte im Übrigen dazu, dass die Portugiesen ihren Staatshaushalt wesentlich langsamer konsolidiert haben und deshalb die Rezession nicht so schlimm war. Dass sich Portugal wieder erholt hat, ist also keineswegs auf eine Einsicht der Kommission zurückzuführen, sondern im Gegenteil: In einem internen Bericht haben die Kommissionsbeamten die Verfassungsrichter sogar als Politaktivisten in eigener Sache bezeichnet. Das muss man sich noch mal auf der Zunge zergehen lassen! Man sollte sich vorstellen, die EU-Kommission würde sich trauen, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als Politaktivisten zu bezeichnen: Die Beamten, die das verfasst hätten, hätten keinen Monat länger ihren Job. Aber beim kleinen Portugal oder Griechenland können sie diese Arroganz der Macht haben, weil die sich dagegen nicht wehren können.
Auch in Griechenland hat der Oberste Gerichtshof Troika-Maßnahmen für rechtswidrig erklärt. Als jetzt die neue Regierung gesagt hat, dass sie die rechtswidrigen Entlassungen rückgängig machen will, wurde ihr vorgeworfen, sie würde die alten Reformen zurückfahren. Offenbar kümmern sich die Troikaner um die Urteile der höchsten Gerichtshöfe nicht. Mit anderen Worten: Diese Herren – es handelt sich leider überwiegend um Herren – haben irgendwie ein gebrochenes Verhältnis zum Rechtsstaat.

Sie schreiben, die Notkredite dienten dazu, private Gläubiger auf Kosten der Steuerzahler von ihren Fehlinvestitionen freizukaufen. Haben wirklich nur sie davon profitiert?

Bevor die Kreditprogramme einsetzten, hatten die Krisenländer Schulden bei privaten Investoren und Banken, konnten diese aber nicht mehr bezahlen. Daraufhin sprangen die Steuerzahler aus den anderen Eurozonen-Ländern ein und gaben Kredit, damit die auslaufenden Anleihen und Kredite bedient werden konnten. Also wurden die früher privaten Gläubiger durch öffentliche Gläubiger ersetzt.

Sind also die privaten Gläubiger an allem schuld?

Die privaten Gläubiger tragen die Hälfte der Verantwortung. Das ist in der Marktwirtschaft so: Wenn ich in eine Firma investiere und die Firma geht pleite, dann ist das mein Problem. Wenn ich nun in einen Staat investiere und der Staat geht pleite: Wessen Problem ist es, jenes der Steuerzahler in den anderen Euro-Staaten? Es war natürlich ein gigantisches Risiko. Ich weiß nicht, wie ich mich als Finanzminister im Jahre 2010 entschieden hätte, wenn ich gesehen hätte: Deutsche Banken haben in Griechenland insgesamt 65 Milliarden Euro im Feuer. Bei den französischen Banken waren es sogar 70 Milliarden Euro.

Die Verlogenheit bestand darin, nicht zu sagen: „Wir geben Griechenland Kredit, damit unsere Banken nicht zusammenbrechen.“ Vielmehr hat man den Wählern gesagt: „Wir geben Griechenland Kredit, weil wir so europäisch solidarisch sind.“ Das war aber ein Bruch des EU-Vertrages. Dieser sagt ausdrücklich, dass sich die Euro-Staaten gegenseitig finanziell nicht beistehen dürfen. Genau das musste man aber tun, um das Bankensystem zu retten. Um das den Wählern zu verkaufen, wurde diese Lüge von der Solidarität und der Hilfe, aber nur gegen Auflagen und Reformen verbreitet. Das war von Anfang an verlogen und Heuchelei! Es ging von Anfang an darum, diese Länder zahlungsfähig zu halten, um das Bankensystem zu stabilisieren.
Allerdings: Wenn man das öffentlich und ehrlich gesagt hätte, hätte das natürlich eine automatische Frage nach sich gezogen: Wer sind denn da die Begünstigten? Wem wird denn da bei seinen Fehlinvestitionen geholfen? Offensichtlich ja doch den Vermögenden, Spekulanten und den Banken, die griechische Anleihen von einer unseriösen Regierung gekauft haben – von der man spätestens seit den Olympischen Spielen wusste, dass sie überschuldet ist, sprich seit 2004. Wenn das rausgekommen wäre, hätte man festgestellt: Moment mal, wir retten nicht die Griechen, sondern wir retten eigentlich nur die reichen Investoren, die dort ein paar Basispunkte mehr Zins kriegten.
Dann hätte man sich überlegen können, woher man das Geld für die übernommenen Verluste zurückholen könnte, zum Beispiel durch eine Vermögenssteuer oder eine Finanztransaktionssteuer. Jedenfalls hätte man „Haftung – Verantwortung – Geld zurückholen“ in die richtige Reihenfolge gebracht.

In Ihrer Dokumentation ist von „Plünderungen“ die Rede. Was ist damit gemeint?

Eine der wesentlichen Auflagen der Troika-Programme ist, dass die Staaten den Staatsbesitz innerhalb von kurzen Zeiträumen verkaufen müssen – angeblich, um damit zur Schuldentilgung beizutragen. Tatsächlich führt es in Griechenland und Portugal dazu, dass nationale und internationale Investoren staatliches Eigentum zu extrem niedrigen Preisen erwerben können und damit unglaubliche Gewinne machen. Weil wenn man einen Staat in Verkaufszwang bringt, hat er natürlich eine schlechte Verhandlungsposition. Insbesondere in Griechenland unter der alten Regierung, die aufs Engste mit den Oligarchen und der reichen Elite verbandelt und von ihr finanziell abhängig war, führte es dazu, dass es bei den meisten Verkäufen ganz genau einen Bieter gab – und dieser Bieter war in der Regel ein Konsortium eines der griechischen Oligarchen, gemeinsam mit einem arabischen, chinesischen oder russischen Investor. Das hat eine unserer InterviewpartnerInnen, die jetzige griechische Parlamentpräsidentin, „Plünderungen unserer staatlichen Ressourcen genannt“ – und das ist es auch. Wenn man wertvolle staatliche Assets wie zum Beispiel ein Filetstück im Herzen Athens von der Größe Monacos mit sechs Kilometer Küstenlinie zu einem Drittel des geschätzten Marktwertes an einen griechischen Oligarchen und seine arabischen und chinesischen Freunde verkauft, na ja: Wie nennen Sie das denn?

Dass die EU und die Euro-Zone nicht übereinstimmen und Letztere keine Grundlage im Europäischen Recht hat, scheint ja ein grundlegendes Problem zu sein, für das man auf Dauer eine Lösung finden müsste ...

Ich erkenne vor allem nicht die Suche. Es scheint Absicht, weil sich die Herren Finanzminister natürlich in ihrer Rolle als Machthaber, deren Macht über die eigenen Grenzen hinausreicht, ohne dabei von Parlamenten kontrolliert zu werden, sehr wohlfühlen. Darum haben sie gar kein Interesse daran, das zu ändern. Schlimm ist, dass sich das Europäische Parlament das gefallen lässt.
Man hätte längst im Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments einen Unterausschuss Euro-Gruppe bilden und sagen können: Wir fordern, dass sich die Euro-Finanzminister bei ihren gemeinsamen Beschlüssen diesem Unterausschuss stellen und sich an dessen Beschlüsse auch gebunden fühlen. Das hätte man fordern können, haben sie aber nicht. 

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 5/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1432895745699 "90 Prozent des gesamten Geldes, das man Griechenland geliehen hat, dienten dazu, die Finanzindustrie freizukaufen." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586699393 "Nicht zuletzt" ... ÖGB-Druck kann niemand ignorieren 1.198.071 Mitglieder hatte der ÖGB 2014, um nur 578 Mitglieder oder 0,05 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Das ist der geringste Mitgliederverlust seit 1990.
Die zweite Zahl: Mehr als 882.000 Menschen haben für „Lohnsteuer runter!“ unterschrieben und die Regierung damit zu einer Entlastung um fünf Milliarden Euro bewegt. Das zeigt klar: Die Gewerkschaftsbewegung ist jederzeit in der Lage zu mobilisieren. Mit einer breit aufgestellten Kampagne haben wir den dringenden Bedarf der ArbeiterInnen, Angestellten, BeamtInnen und PensionistInnen zum Thema gemacht. BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und JugendvertrauensrätInnen waren wochenlang Tag für Tag auf den Beinen und haben mehr als 882.000 Unterschriften gesammelt, um für „Lohnsteuer runter!“ Druck zu machen.

Konkretes Entlastungsmodell
Wir stellen aber keine aus der Luft gegriffenen Forderungen in den Raum. Die SteuerexpertInnen in Arbeiterkammern und Gewerkschaften haben ein konkretes Entlastungsmodell ausgearbeitet und berechnet. Große Teile davon finden sich in dem Modell wieder, das die Bundesregierung schließlich beschlossen hat – und das, obwohl es aus der Politik immer geheißen hat, so eine große Entlastung wäre unrealistisch, unmöglich und unbezahlbar. Den Druck des ÖGB und der Hunderttausenden Menschen, die dahinterstehen, konnte aber schließlich niemand ignorieren.

Nächste Herausforderungen
Auf diesem Erfolg werden wir uns nicht ausruhen. Wir haben beim Thema Lohnsteuer gezeigt, dass wir die Interessen der ArbeitnehmerInnen kanalisieren und zur Umsetzung bringen können – und das werden wir weiterhin tun. Die Macht der Gewerkschaftsbewegung sind die Mitglieder, und wir werden diese Macht erneut einsetzen. Mit der Steuerreform wird die Arbeit entlastet – aber da geht noch mehr. Warum also nicht als Nächstes für gerechte Millionärssteuern oder eine Wertschöpfungsabgabe mobilisieren? Die Wertschöpfungsabgabe macht Arbeit billiger, ohne dem Sozialstaat Geld zu entziehen: Lohnnebenkosten-Senkung ohne Sozialabbau. Sie würde dafür sorgen, dass Betriebe, die viele Menschen beschäftigen, entlastet werden und endlich auch kapitalintensive Wirtschaftsbereiche, die mit wenigen Beschäftigten hohe Gewinne machen, einen gerechten Anteil am Sozialstaat finanzieren. Noch wehrt sich die Wirtschaft, wehren sich Teile der Politik dagegen. Aber was, wenn wir auch für die Wertschöpfungsabgabe so breit mobilisieren wie für die Lohnsteuer-Entlastung? Wenn die ArbeitnehmerInnen auch dafür zu Hunderttausenden unterschreiben, wird die Politik auch diese Forderung nicht ignorieren können.
Das Gleiche gilt für eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Arbeit. Wegen des technischen Fortschritts steigt die Produktivität, die Arbeit wird weniger. In Österreich ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Wenn jede und jeder Einzelne kürzer arbeitet, haben insgesamt mehr Menschen Arbeit. Es gibt viele Wege, um das zu erreichen: Die Wochenarbeitszeit verkürzen, weniger Überstunden zulassen, den ArbeitnehmerInnen mehr Urlaub geben ...

Machtverhältnisse ändern
Man mag das Populismus nennen. Wir sagen dazu Interessenvertretung. Und als Gewerkschaftsbewegung vertreten wir eben die Interessen sehr vieler Menschen. Und die müssen auch künftig mehr Gewicht haben als die Einzelinteressen einiger weniger Unternehmer und Spekulanten, die sich teure Lobbyisten und Institute und Zeitungen kaufen, um uns glauben zu machen, dass ihr Reichtum gut für die gesamte Gesellschaft sei.

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Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586699385 Frisch gebloggt Webtipps der Woche

Wir legen euch diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Der Zugang zum Arbeitsmarkt von AsylwerberInnen (Johannes Peyrl)
  • Spielen soziale Klassen eine Rolle bei der Vermögensbildung? (Hilde Weiss und Julia Hofmann)
  • Plädoyer für eine Wiederbelebung der Europäischen Fiskalpolitik (Achim Truger)
  • Deutliche Entwarnung für das Pensionssystem (Erik Türk)

De-facto-Arbeitsverbot für AsylwerberInnen

Mit 320 Euro müssen AsylwerberInnen einen Monat lang auskommen. Das ist der Betrag, den sie unter dem Titel „Grundversorgung“ für Miete und Verpflegung“ erhalten. Von anderen Sozialleistungen sind sie ausgeschlossen. Doch dürfen sie arbeiten? Dieser Frage geht Johannes Payerl in seinem Beitrag nach. Grundsätzlich ist AsylwerberInnen die Ausübung unselbstständiger Tätigkeit nach einer Frist von etwas mehr als drei Monaten nicht verboten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Beschäftigungsbewilligung. Eine solche Bewilligung darf aufgrund des sogenannten „Bartenstein-Erlasses“ jedoch nur im Rahmen von Kontingenten für Saisonbeschäftigung (ErntehelferInnen bzw. Sommer- und Wintertourismus) an AsylwerberInnen erteilt werden – und dies auch nur dann, wenn keine „Ersatzkräfte für den konkreten Arbeitsplatz“ vorhanden sind. Erschwerend kommt hinzu, dass AsylwerberInnen sich nach Meinung des Arbeitsmarktservice nicht als arbeitssuchend melden können und daher keine Unterstützung des AMS erhalten. Trotz der formellen Möglichkeiten muss man daher von einem „De-facto-Arbeitsverbot“ für AsylwerberInnen sprechen.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/der-zugang-zum-arbeitsmarkt-von-asylwerberinnen/

Gibt es noch soziale Klassen?

Hilde Weiss und Julia Hofmann untersuchen die Vermögensverteilung in Österreich aus (klassen-)soziologischer Sicht. Sie stellen fest, dass die jeweilige Klassenlage einen erheblichen Einfluss auf die Vermögensbildung ausübt. Da sich in sämtlichen Vermögenskategorien nur geringfügige Differenzen zwischen den qualifizierten DienstleisterInnen, unqualifizierten ArbeitnehmerInnen und „FacharbeiterInnen“ finden, halten die AutorInnen weiter fest, dass „in Österreich zwischen den Kategorien der Reichen und denjenigen der Armen keine breite ‚wohlstandsgesättigte Mitte‘ liegt“. Wirklich Reiche finden sich teilweise bei Selbstständigen ohne Beschäftigte, aber vor allem bei den UnternehmerInnen mit Beschäftigten. 30 Prozent dieser Gruppe verfügen über ein Nettover-mögen von über einer Million Euro.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/spielen-soziale-klassen-eine-rolle-bei-der-vermoegensbildung/

Raus aus der Stagnation

Nach sieben Jahren tiefster Wirtschaftskrise steht die Eurozone – auch wegen der scharfen Austeritätspolitik – am Rande der deflationären Stagnation, während die öffentlichen Schuldenstandsquoten krisenbedingt immer weiter gestiegen sind. Gerade die öffentlichen Investitionen, die eigentlich die Volkswirtschaften hätten stabilisieren und langfristig auf Wachstumskurs halten sollen, sind zum Teil dramatisch eingebrochen. Diesen Trend gilt es umzukehren, indem öffentliche Investitionen umfassend gefördert werden, fordert Achim Truger. Konkret schlägt er die Befolgung der „goldenen Investitionsregel“ vor, um einen finanzpolitischen Impuls auszulösen, den die europäische Wirtschaft dringend braucht.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/goldene-investitionsregel/

Pensionsausgaben steigen kaum

Die Ergebnisse des EU-Ageing-Report zeigen trotz deutlicher Alterung der Bevölkerung einen nur sehr moderaten Zuwachs an öffentlichen Ausgaben. In einer seriösen Debatte über die Finanzierbarkeit des Pensionssystems muss das Gesamtsystem, also auch das Beamtenpensionssystem berücksichtigt werden, schreibt Erik Türk. Dabei zeigt sich eine Verschiebung der Bundesmittel für Pensionen vom Beamtensystem zum ASVG-Bereich. Die öffentlichen Pensionsausgaben nehmen unter dem Strich bis 2060 um gerade einmal 0,5% des BIP zu. Von einer drohenden Unfinanzierbarkeit kann daher nicht die Rede sein!
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blog.arbeit-wirtschaft.at/deutliche-entwarnung-fuer-oesterreichisches-pensionssystem-durch-neueste-eu-langfristprognosen/

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Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586699144 Projekte als Hilfestellungen Wer hat die Projektarbeiten eigentlich „erfunden“?
Die SOZAK-Projektarbeiten gibt es seit 1986/87 als Teil des pädagogischen Konzepts des damaligen SOZAK-Leiters Norbert Kutalek. Die erste Projektarbeit, die auch als Broschüre gebunden und einer breiten gewerkschaftlichen und betriebsrätlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, hatte das Thema „Neue Technologien. Nicht ohne uns – Leitfaden für Betriebsräte“. Sie wurde von Adolf Buchbauer, Henry Helbig, Ingrid Neulinger und Rudolf Steindl aus dem 38. SOZAK-Jahrgang (1986/1987) verfasst.

Was ist die Ursprungsidee?
Die SOZAK-TeilnehmerInnen sollen fächerübergreifend, praxisbezogen und selbstständig über eine gewerkschaftliche Problemstellung arbeiten. Dabei sollen Leitfäden erarbeitet und Lösungsvorschläge präsentiert sowie Tipps und Tricks für ArbeitnehmervertreterInnen aufgezeigt werden. Diese Ursprungsidee ist nach wie vor relevant.

Wie kommen sie zu ihren Themen?
Die SOZAK-Lehrgangsleitung spricht zunächst mit den BildungssekretärInnen der Gewerkschaften, mit welchen Themen und Herausforderungen die Gewerkschaften und BetriebsrätInnen momentan konfrontiert sind. Danach wird überlegt, ob eine Bearbeitung des jeweiligen Themas sinnvoll ist bzw. welche Aspekte BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen Hilfestellungen liefern könnten.
Auch die SOZAK-TeilnehmerInnen, die ja alle BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen sind und mit der betriebsrätlichen Praxis vertraut sind, haben natürlich die Möglichkeit, selbst Themenvorschläge einzubringen. Diese Vorschläge werden von der Lehrgangsleitung auf die gewerkschaftspolitische Relevanz hin geprüft bzw. ob ein solches Thema bereits in den vorangegangenen Jahren bearbeitet wurde.
Welche Themen schlussendlich behandelt werden, entscheiden die TeilnehmerInnen selbst. Wichtig ist vor allem die Anbindung an die gewerkschaftliche und betriebsrätliche Praxis sowie die Verwendbarkeit. Es sollen ja nicht Projektarbeiten „für die Schublade“ erarbeitet und produziert werden.
 
Was passiert mit den fertigen Projektarbeiten?
Sie werden ArbeitnehmervertreterInnen zur Verfügung gestellt, damit diese sie für ihre Tätigkeit nutzen können. Die Projektarbeit „In Arbeit geeint – Ein Beitrag zum zielgruppenorientierten Dialog am Beispiel türkeistämmiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anhand spezifischer Fragestellungen“ wurde aufgrund der großen Nachfrage von BetriebsrätInnen und Gewerkschaften  sogar in Buchform herausgegeben und ist seither im Buchhandel erhältlich.

Sie betreuen die Projektarbeiten seit 2010. Was ist Ihnen aufgefallen im Laufe der Zeit?
In den letzten Jahren hat eine zunehmende Professionalisierung stattgefunden. Das hat auch dazu geführt, dass die Gewerkschaften vermehrt Themenvorschläge einbringen, da sie sehr an den Ergebnissen und Lösungsvorschlägen der SOZAK-TeilnehmerInnen interessiert sind. In den letzten Jahren finden sie zudem auch verstärkt Anwendung in der Praxis.
Zu betonen ist, dass es mittlerweile gerade bei den Projektarbeiten auch eine länderübergreifende Kooperation mit der Europäischen Akademie der Arbeit in Frankfurt gibt. Dadurch entstehen grenzüberschreitende Projektarbeiten, die sowohl in Österreich als auch in Deutschland praktische Verwendung finden.

Wir danken für das Gespräch.

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Das Interview führte Maja Nizamov für Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699138 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586699129 Her mit dem (Staats-)Schotter! Hätten Sie das gewusst? Würde das durchschnittliche Einkommen der ÖsterreicherInnen einer Körpergröße über 1,80 Metern entsprechen, wären die reichsten Österreicher insgesamt über 1,60 Meter groß. Hingegen wären 90 Prozent der ÖsterreicherInnen gerade einmal so groß wie die Höhe der Schuhsohle der Reichsten.

Über Reichtum sprechen
Dass in Österreich wenige sehr viel und sehr viele nur wenig besitzen, ist allseits bekannt und wird in immer mehr Studien, unter anderem in der Reichtumsstudie der Österreichischen Nationalbank, mit Zahlen untermauert. Drei TeilnehmerInnen des 60. Jahrgangs der SOZAK haben sich im Rahmen der Abschlussprojektarbeit mit der ungerechten Vermögensverteilung in Österreich beschäftigt. „Nicht nur im Sozialbereich, sondern überall reden wir seit Jahren nur von Einsparungen und von Sparpaketen“, sagt Reinhard Gratzer. „Oder davon, dass wir eines Tages wahrscheinlich keine Pensionen mehr beziehen werden. Daher hat unsere Gruppe beschlossen, dass wir über den Reichtum schreiben.“
Gemeinsam mit Beatrix Eiletz, Betriebsrätin in der Volkshilfe Steiermark, und Daniel Hubmann, heute Regionalsekretär der GPA-djp, beschäftigte sich Gratzer einige Monate lang mit dem Reichtum und der Vermögensverteilung in Österreich. Dabei stellte das Team folgende These auf: „Wenn das Gesamtvermögen gerecht verteilt werden würde und die reichsten Österreicher sich entsprechend beteiligen würden, gäbe es keine Armut.“ Trotz des sehr brisanten Themas wollten Gratzer, Eiletz und Hubmann jedoch definitiv keine Neiddebatte führen. „Es gibt durchaus Millionäre, die bereit wären, mehr Steuern zu zahlen. Dabei müssten sie nur so wenig beitragen, dass sie es gar nicht merken würden“, meint Gratzer, der heute Generalsekretär der GPA-djp in Oberösterreich ist. „Das Ziel unserer Arbeit war weniger ein Klassenkampf, sondern die Beteiligung.“
Ein weiteres Ziel von Gratzer, Eiletz und Hubmann war es, ihre Erkenntnisse ausschließlich in Bildern auszudrücken. „Zwei Milliarden Euro zum Beispiel ist eine Zahl jenseits unserer Vorstellungskraft“, sagt Gratzer. „Wir wollten die Unterschiede und die Kluft in der Vermögensaufteilung ausschließlich bildlich darstellen, um die emotionale Gehirnhälfte anzusprechen.“ Leider ging es nicht ganz ohne Zahlen und Text, die Hauptbotschaft blieb jedoch nach wie vor das Bild. 
 

Von Zahlen zu Allegorien
Die Herausforderung für die drei Projektmitarbeiter war zweifellos die Recherche. „Um seriöse Zahlen zu bekommen, muss man sich in sehr komplexe Studien wie den Schmöker von der ÖNB einlesen“, sagt Gratzer. „Bei der Umsetzung der Projektarbeit war der Verlag des ÖGB eine große Hilfe, und es war von Anfang an klar, dass wir aus den Bildern Postkarten machen werden.“ Die Allegorien wurden vom ÖGB-Verlag in Postkarten umgewandelt und herausgegeben. Jene mit dem Schuh wurde sogar als Plakat aufgelegt. Die finale Arbeit wurde als Folder herausgegeben, der inzwischen schon vergriffen, jedoch nach wie vor online zum Download verfügbar ist.

Internet: 
www.ichwardabei.at

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Maja Nizamov (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586699112 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586697377 Baustelle Finanzausgleich Mit der Steuerreform ist ein großer Brocken gehoben worden. Nachdem auch der Finanzrahmen im Ministerrat abgesegnet wurde, wartet nun die nächste große Baustelle darauf, in Angriff genommen zu werden: der Finanzausgleich, der ab 2017 gelten soll. Zu tun gibt es genug, immerhin gilt der jetzige Finanzausgleich bereits seit 2008. Er wurde von der Regierung Gusenbauer noch im Jahr 2007 vor Ausbruch der vom Bankensektor ausgehenden Finanzkrise verabschiedet. Entsprechend wurden die Folgen wie Bankenrettung, Rekordarbeitslosigkeit, Konsolidierungspakete und notwendige Konjunkturprogramme noch nicht vorhergesehen.
Auch aufgrund der Bewältigung dieser Herausforderungen wurde der Finanzausgleich immer wieder um ein zusätzliches Jahr verlängert und einfach fortgeschrieben. Statt mit 31. Dezember 2013 ist das Ende nun mit 31. Dezember 2016 gekommen – und das ist gut so.

Vielfältige Zahlungsströme

Über den Finanzausgleich wird einerseits die Aufteilung der Einnahmen des Staates auf die Ebenen Bund, Länder und Gemeinden geregelt, andererseits die Organisation wichtiger Staatsaufgaben wie Pflege, Wohnbau oder Bildung. Grob verbleiben zwei Drittel der Steuereinnahmen beim Bund und ein Drittel wird an Länder und von dort weiter an Gemeinden verteilt. Daneben existieren noch zahlreiche Zahlungsströme in unterschiedliche Richtungen: vom Bund an die Gemeinden, von den Gemeinden an die Länder und wieder retour. Mehr Transparenz, Vergleichbarkeit und Entflechtung dieser Ströme und Zuständigkeiten sind eine Notwendigkeit für die kommenden Verhandlungen.
In den vergangenen Jahren ist die finanzielle Bedeutung der Länder im Vergleich zum Bund und zu den Gemeinden gestiegen, was sicherlich teilweise mit deren Zuständigkeitsbereichen zusammenhängt. Diskussionen der letzten Monate zu Themen wie Kinderbetreuung, Wohnbau oder der Unterbringung von AsylwerberInnen zeigen jedoch auch eindrücklich, dass es den Ländern politisch hervorragend gelingt, Probleme aus ihrer Zuständigkeit zu Problemen der Bundesebene zu machen.
Im Regierungsprogramm wurden die begrüßenswerten Ziele Transparenz, aufgabenadäquate Mittelausstattung und Beseitigung von Doppelgleisigkeiten bereits festgehalten.
Diese Ziele sind zu erweitern und zu konkretisieren. Es wäre daher hilfreich, wenn mit einer Debatte über die Aufgabenverteilung bzw. deren Konzentration und über die möglichen Anreize von Regelungen begonnen würde und die Verhandlungen zwischen den Ebenen auf Augenhöhe geführt werden würden.

Konzentration der Zuständigkeiten

Notwendig für eine umfassende Reform der Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist eine passende Aufgabenaufteilung. Zur Diskussion gestellt wurde eine Konzentration in den Gebieten Gesundheit, Schule, Kinderbetreuung oder Pflege.
Von welcher Ebene kann eine Aufgabe am besten erledigt werden: Diese Frage sollte jede Entscheidung lenken. Ebenso die Fragen, wo man die Bedürfnisse der BürgerInnen am besten kennt und wo man diese am effizientesten befriedigen kann. Gerade hier aber wird ein großes Spannungsverhältnis deutlich, und zwar zwischen Nähe zu den BürgerInnen und vereinheitlichten großen Lösungen. Eine österreichweite Lösung ist oft billiger und einfacher in der Administration, aber bereits die Bedürfnisse der BürgerInnen können je nach Gemeinden sehr unterschiedlich sein. Die beste Lösung liegt wahrscheinlich nicht in der Mitte, sondern entweder auf Gemeinde- oder Bundesebene.

Gesamtpaket statt Show

Finanzausgleichsverhandlungen enden oft in einem großen Showdown mit GewinnerInnen bzw. VerliererInnen. Maßstab ist eher der Zuwachs von Geld und Macht als eine Systemverbesserung. Für die kommenden Verhandlungen von Vorteil ist, dass bereits umfangreiche Vorarbeiten von ExpertInnen geleistet wurden. Dies ist eine gute Verhandlungsbasis für Verwaltung und Politik. Die Problemfelder sind bekannt und vielleicht könnte die Steuerreform als Vorbild dienen. Denn dort hat sich gezeigt, dass es besser ist, nicht jedes Zwischenergebnis, sondern vielmehr ein fertiges Gesamtpaket der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dann steht vielleicht weniger im Vordergrund, wer wo wie viel nachgegeben hat, sondern vielmehr das Gesamtpaket.

Gleichberechtigte PartnerInnen

Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog wäre, dass sich alle Ebenen als gleichberechtigte PartnerInnen mit entsprechenden Rechten und Pflichten gegenübersitzen. Im Mittelpunkt sollten nicht Konflikte zwischen Bund und Ländern oder Ländern und Gemeinden stehen, sondern vielmehr Sachfragen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Gemeinden in den Verhandlungen eine größere Eigenständigkeit erhalten. Dafür müssen sie sich aus der Umklammerung der Länder lösen bzw. gelöst werden.
Die Forderung nach mehr Transparenz bei den unzähligen Transfers drängt sich auf. Nach den Spekulationsskandalen auf allen Ebenen sind einheitliche, vergleichbare Regelungen notwendig. Bei den Geldströmen zwischen den Gebietskörperschaften sind nicht nur die Beträge, sondern auch die rechtlichen Grundlagen für die Zuteilung zu veröffentlichen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass ein Bundesland einzelne Gemeinden bevorzugt.
Transparenz ist jedenfalls Scheinlösungen wie der Erhöhung der Steuerautonomie für Bundesländer vorzuziehen. Zahlreiche ExpertInnen fordern diese und erwarten sich dadurch ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein der Länder. Man handelt sich mit der Steuerautonomie für Bundesländer jedoch zahlreiche Probleme ein. Denn sie führt zu verschiedenen Abgrenzungsproblemen durch unterschiedliche Bemessungsgrundlagen, Steuersätze und Organe. Sie erhöht nicht nur die Unübersichtlichkeit, sondern vergrößert zudem die öffentliche Verwaltung und den Aufwand für SteuerschuldnerIn und Behörden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich der Unterschied zwischen den Bundesländern vergrößert: Wer finanziell gut dasteht, kann sich niedrigere Steuersätze leisten, um steuerlich noch attraktiver zu werden. Von diesem Steuerwettbewerb nach unten profitieren insbesondere große Unternehmen und BesserverdienerInnen auf Kosten der Allgemeinheit.
In den Bereichen Wohnbau, Pflege und Bildung sind wesentliche Weichenstellungen im kommenden Finanzausgleich notwendig. Die Aufhebung der Zweckwidmung bei der Wohnbauförderung hat sich als großer Fehler herausgestellt. Eine Zweckwidmung auf einen Teil der Steuermittel und die Rückflüsse aus vergebenen Darlehen ist wieder einzuführen.
Die Abschaffung der Zweckwidmung in der Vergangenheit ist eine wesentliche Ursache für den Mangel an leistbarem Wohnraum in den Ballungsräumen heute. Für die Pflege ist eine Dauerlösung nach dem Pflegefonds zu finden, denn im kommenden Jahrzehnt wird es einen enormen Mehrbedarf an Pflegeplätzen geben. Dafür ist nicht nur baulich, sondern auch bezüglich der Ausbildung jetzt Vorsorge zu treffen und Planungssicherheit notwendig.
Politisch am heikelsten ist die Bildung. Trotz Ausbau der Kinderbetreuung durch Unterstützung des Bundes sind die Unterschiede zwischen den Regionen weiterhin groß. Anzudenken wäre, dass in Zukunft die Gemeinden über eine aufgabenorientierte Mittelzuteilung Gelder pro Kind und entsprechend der Qualität direkt erhalten. So soll nicht nur der Ausbau unterstützt, sondern auch der Betrieb honoriert werden. Im Schulbereich muss über die Konzentration der Kompetenzen auf eine Ebene, die Größe von Standorten und die Transparenz der Mittelzuteilung entschieden werden. Die jetzige Struktur erlaubt ineffiziente kleine Schulen und verhindert durch mangelnde Information eine Steuerung. Anzudenken wäre, dass Schulen mit herausfordernden SchülerInnen aufgrund deren sozialen Hintergrunds Zusatzmittel erhalten sollten.

Fortschritte statt Fortschreibung

Es bleibt zu hoffen, dass die anstehenden Verhandlungen in Fortschritten und nicht in der Fortschreibung enden. Insbesondere sind gute Lösungen für die gerade für ArbeitnehmerInnen so wichtigen Themen Bildung, Pflege und Wohnbau dringend nötig.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
tinyurl.com/pse7qzo

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor tobias.schweitzer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Tobias Schweitzer (Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586697365 In den Bereichen Wohnbau, Pflege und Bildung sind wesentliche Weichenstellungen im kommenden Finanzausgleich notwendig. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586697358 Das ungerechte Pauschale Österreich ist eine PendlerInnen-Nation: An die 2,2 Millionen ÖsterreicherInnen pendeln täglich von der Wohnung zum Arbeitsplatz und zurück. Knapp ein Drittel der ArbeitnehmerInnen ist täglich länger als eine halbe Stunde pro Strecke unterwegs. Grundsätzlich sind die Kosten für den Arbeitsweg Werbungskosten und können von der Steuer abgesetzt werden. Die PendlerInnenregelung führt allerdings dazu, dass Arbeitswegekosten im Gegensatz zu anderen Werbungskosten nur pauschaliert geltend gemacht werden können. Dadurch ist ein/e ArbeitnehmerIn gezwungen, einen erheblichen Teil jener Kosten, die im Zusammenhang mit seiner/ihrer beruflichen Tätigkeit anfallen, selbst zu tragen.

Leistungsfähigkeitsprinzip

Das Leistungsfähigkeitsprinzip stellt eines der Wesensprinzipien im Einkommensteuerrecht dar. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass zum Aufbringen des Steueraufkommens jede/r entsprechend seiner/ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit betragen soll. „Bei der Einkommensteuer im Allgemeinen […] geht es um die Besteuerung der im Einkommen zutage tretenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“, so der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003.
Allerdings wird das Leistungsfähigkeitsprinzip beim Pendlerpauschale anders ausgelegt als bei anderen Werbungskosten. Letztere nämlich kann man in voller Höhe von der Steuer absetzen und nicht nur als Pauschale.
Die Folge der Zwangspauschalierung der Arbeitswegekosten: Es wird ein Einkommen besteuert, das den ArbeitnehmerInnen in dieser Form nicht zur Verfügung steht, weil ein Teil dafür bereits für Arbeitswegekosten aufgewendet werden musste. Betroffene zahlen somit Steuern für eine finanzielle Leistungsfähigkeit, die nicht gegeben ist. Der Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip führt in diesem Fall dazu, dass es zu keiner gleichmäßigen Verteilung der Steuerlast kommt.

Objektives Nettoprinzip

Aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip können verschiedene Unterprinzipien abgeleitet werden, so etwa das objektive Nettoprinzip. Dieses besagt, dass Aufwendungen zur Erzielung des Einkommens aus der Steuerbemessungsgrundlage auszuscheiden sind. Nur jener Betrag, der nach Abzug aller Kosten, die im Zuge der beruflichen Tätigkeit entstanden sind, übrig bleibt, kann folglich eine geeignete Grundlage zur Bemessung der Einkommensteuer sein.
Auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes sind Ausgaben eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beruflich veranlasst und zählen zu den Werbungskosten. Die Tatsache, dass tatsächlich entstandene Aufwendungen als Folge der Pauschalierung nicht abziehbar sind, ändert nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nichts daran, „dass die Fahrt zur Arbeitsstätte nicht zur Privatsphäre des Arbeitnehmers gehört“.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip lässt sich ebenfalls aus dem in der Bundesverfassung verankerten Gleichheitssatz (Art. 7 B-VG) ableiten. Der Verfassungsgerichtshof hat das Leistungsfähigkeitsprinzip sogar als grundlegendes Ordnungsprinzip der Einkommensteuer anerkannt. Nach dessen ständiger Rechtsprechung darf der Gesetzgeber von einem von ihm selbst geschaffenen Ordnungssystem nur dann abweichen, wenn es dafür eine sachliche Rechtfertigung gibt.

Keine objektiven Gründe

Eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der Arbeitswegekosten im Gegensatz zu den übrigen Werbungskosten, die auf objektiven Gründen beruht, ist jedoch nicht ersichtlich. Im Ergebnis liegt daher eine im Lichte des Gleichheitssatzes sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung vor.
Um es anhand eines Beispiels zu illustrieren: Ein/e ArbeitnehmerIn hat jährliche Einkünfte von 25.000 Euro. Die einfache Wegstrecke zum Arbeitsplatz beträgt 58 Kilometer, wofür bei Verwendung eines durchschnittlichen Kleinwagens unter der Prämisse einer 5-Tage-Woche und bei 45 Arbeitswochen pro Jahr ca 5.980 Euro an Kosten anfallen (Sonderausgaben, Werbungskosten, außergewöhnliche Belastungen, etc. werden für die Berechnungen ausgeklammert). Die Einkommensteuerbelastung dieser Person beträgt somit 5.110 Euro.

Gerechte Alternativen

Hat ein/e ArbeitnehmerIn Anspruch auf das kleine Pendlerpauschale, sprich ist die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumutbar, würde dies eine Steuerersparnis von ca. 495 Euro (bei Geltendmachung des kleinen Pendlerpauschales von 40 bis 60 Kilometer) bzw. 736 Euro (bei Geltendmachung des kleinen Pendlerpauschales ab 60 Kilometer) bedeuten.
Wäre es dem/der ArbeitnehmerIn nicht möglich bzw. unzumutbar, ein öffentliches Verkehrsmittel zu verwenden, hätte er/sie Anspruch auf das große Pendlerpauschale für 40 bis 60 Kilometer und könnte mit einer Steuerersparnis von 937 Euro rechnen. Wird der Arbeitsweg mit dem eigenen Pkw zurückgelegt, muss der/die ArbeitnehmerIn trotz des Pendlerpauschales noch immer Kosten von über 5.000 Euro selbst tragen. Gerechtere Alternativen zum derzeitigen System gäbe es viele. So könnte man das System nach dem Vorbild des deutschen Entfernungspauschales umgestalten, wonach die ArbeitnehmerInnen 36 Cent pro Kilometer absetzen können. Dies hätte eine Steuerersparnis von 1.380 Euro zur Folge.
Eine andere Variante wäre, die tatsächlichen Arbeitswegkosten von 5.980 Euro geltend zu machen. In diesem Falle würde die Steuerersparnis 2.180 Euro betragen, wobei auch hier Kosten von fast 3.800 Euro von den ArbeitnehmerInnen selbst zu tragen wären. Obwohl ArbeitnehmerInnen hohe Arbeitswegekosten haben, die auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs in ursächlichem Zusammenhang mit der Berufstätigkeit stehen, können sie diese nicht zur Gänze steuermindernd geltend machen.
Folglich zahlen sie Steuern von einem Einkommen, welches ihnen tatsächlich nicht zur Verfügung steht, da sie einen erheblichen Teil ihres Einkommens bereits für die Bewältigung der Fahrtstrecke von der Wohnung zum Arbeitsplatz ausgegeben haben.

Keine nennenswerte Erleichterung

Auch wenn man den Verkehrsabsetzbetrag von 291 Euro in Ansatz bringt, der allen ArbeitnehmerInnen zur Deckung der Arbeitswegekosten zusteht, führt dies zu keiner nennenswerten Steuererleichterung für PendlerInnen.
Die Zahl der PendlerInnen ist in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 40 Prozent gestiegen und wird auch in Zukunft weiter steigen. Von ArbeitnehmerInnen wird immer mehr Flexibilität gefordert. Doch dies führt dazu, dass nicht nur die Arbeitswege länger werden, sondern auch die damit einhergehenden Arbeitswegekosten immer weiter steigen. Dies erfordert aber auch eine Änderung des Systems.

Entlastung nötig

Die von den ArbeitnehmerInnen abzuführende Steuer ist überhöht und entspricht einer finanziellen Leistungsfähigkeit, die faktisch nicht gegeben ist. Ein/e davon betroffene/r ArbeitnehmerIn zahlt folglich mehr Steuern als ein/e ArbeitnehmerIn, bei dem/der nur die tatsächliche Leistungsfähigkeit besteuert wird.
Von einer gleichmäßigen Verteilung der Steuerlast im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips kann also nicht mehr gesprochen werden. Es liegt am Gesetzgeber, für eine steuergerechte und vor allem sozial gerechtfertigte Entlastung der ArbeitnehmerInnen zu sorgen.

Internet:
AK Salzburg – Arbeitswegekosten müssen voll absetzbar gemacht werden:
tinyurl.com/lzpcg2g


Info&news
Tipps für PendlerInnen
Auf Drängen der AK geht nun ein verbesserter Pendlerrechner online. Machen Sie eine neue Abfrage – denn das vorteilhaftere Ergebnis gilt!
tinyurl.com/np3k92x

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin martina.schwandtner@sbg.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Martina Schwandtner (Univ.-Ass. Universität Salzburg, Fachbereich öffentliches Recht/Finanzrecht) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586697346 ArbeitnehmerInnen müssen einen erheblichen Teil der Kosten für den Arbeitsweg selbst tragen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586697254 Sag beim Abschied leise Servus Das Bankgeheimnis ist tot“, verkündete Algirdas Šemeta. Im vergangenen Oktober fasste der damalige EU-Steuerkommissar pointiert zusammen, was die FinanzministerInnen der Mitgliedstaaten eben beschlossen hatten: eine Verschärfung des europäischen Gesetzes zur Amtshilfe der Steuerbehörden. Damit wird das Bankgeheimnis für AusländerInnen ab 2017 de facto abgeschafft. Für SteuerinländerInnen gilt es weiterhin. Mittlerweile verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass das Bankgeheimnis generell ein langsamer Tod ereilt.

Steueroase Österreich

Das strenge Bankgeheimnis ist der Grund, warum Österreich laut Netzwerk für Steuergerechtigkeit („tax justice network“) zu den Top-20-Steueroasen weltweit zählt. Der Bundesregierung war die unrühmliche Platzierung bisher einerlei: Jahrelang hatten Österreich und Luxemburg die Bestrebungen Richtung Transparenz auf EU-Ebene blockiert. Erst im Frühjahr 2014 konnten sich die beiden Länder durchringen, einer Zuspitzung der Europäischen Zinsrichtlinie zuzustimmen: Die öffentliche Empörung und mediale Berichterstattung über zahlreiche Steuervermeidungs- und -hinterziehungsstrategien von Vermögenden und internationalen Konzernen der vergangenen Jahre hatten den Druck auf die europäische und internationale Politik erhöht, Steuerbetrug wirksamer als bisher zu bekämpfen.
Nun zeigt der Druck auch in der österreichischen Innenpolitik Wirkung: Im Zuge der aktuellen Steuerreformpläne der Regierung findet sich im Ministerratsbeschluss der harmlos klingende Satz, dass eine „Konteneinsichtnahme – wie international üblich – durch die Finanzbehörden zukünftig möglich [sein soll]“. Mit anderen Worten: Das Bankgeheimnis ist bald Geschichte.
Für die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen ist das eine gute Nachricht: Das intransparente Bankgeheimnis erleichtert Steuerbetrug und -hinterziehung. Die so verursachten Steuerausfälle setzen die öffentlichen Haushalte der jeweiligen Länder massiv unter Druck. Künftig müssen die ehrlichen SteuerzahlerInnen also nicht mehr jene Lücken füllen, die Steuertrickser mithilfe des Bankgeheimnisses ins Budget rissen – oder staatliche Ausgabenkürzungen in Kauf nehmen.

Gut geschützte Steuertrickser

Das österreichische Bankgeheimnis ist im § 38 des Bankwesengesetzes geregelt und verbietet es Banken, Informationen über KundInnen weiterzugeben. Ausnahmen gibt es zwar (z. B. Strafverfahren, Todesfall etc.), diese benötigen aber eine richterliche Anordnung. Nicht nur Steuertrickser waren in Österreich bisher gut geschützt, auch das Bankgeheimnis selbst: Es steht im Verfassungsrang und kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat geändert oder abgeschafft werden.

Unter den Blockierern

Auch international spielte Österreich im Kampf gegen Steueroasen lange Zeit eine negative Rolle und blockierte sinnvolle Reformen, wie die Erweiterung und Umsetzung der europäischen Zinsbesteuerungsrichtlinie. Diese sollte bereits 2005 – vor zehn Jahren – den automatischen Informationsaustausch als Standard zwischen den Mitgliedsländern etablieren und damit das Bankgeheimnis abschaffen. Automatischer Informationsaustausch bedeutet, dass beispielsweise österreichische Banken die Finanzdaten von ausländischen Personen, die in einem anderen EU-Land steuerpflichtig sind, automatisch an deren Heimatfinanzämter melden müssen. So kann das rechtmäßige Zustandekommen des Kapitalbestandes und dessen Besteuerung überprüft werden und sichergestellt werden, dass Kapitalbestände eben nicht aus kriminellen Geschäften wie Drogenhandel, Geldwäsche oder aus Steuerhinterziehung durch Umsatzverkürzung oder Nichtdeklaration von Spekulationsgeschäften stammen. Österreich und Luxemburg haben mit Verweis auf ihr Bankgeheimnis jahrelang Ausnahmen für sich ausgehandelt und so eine einheitliche Umsetzung und die Erweiterung der Zinsbesteuerungsrichtlinie auf andere Kapitaleinkünfte blockiert. Stattdessen hoben sie eine anonyme Quellensteuer ein, die sie an den Staat des Wohnsitzes weiterleiten, ohne diesem jedoch Informationen über die KonteninhaberInnen zukommen zu lassen.
Nach langen Verhandlungen und hartnäckigen Vorbehalten von Österreich wird ab 2017 der automatische Informationsaustausch nun Standard unter den europäischen Mitgliedstaaten sein. Auch mit der Schweiz, laut dem Netzwerk für Steuergerechtigkeit die weltweit bedeutendste Steueroase, hat sich die Europäische Union über den Informationsaustausch bereits geeinigt. Für das Inkrafttreten eines Abkommens mit der Schweiz ist noch die Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten und des Schweizer Parlaments notwendig.
Auf internationaler Ebene wird der Druck auf SteuerhinterzieherInnen immer größer. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat bereits 51 Länder vermerkt, die sich in einem multinationalen Abkommen verpflichten, ab 2017 detaillierte Kontodaten von SteuerausländerInnen auszutauschen und damit Steuerbetrug wirksam(er) zu unterbinden. Unter den 51 Ländern finden sich alle OECD- und G20-Länder, aber auch bekannte Steueroasen wie die Kaiman- oder die Kanalinseln.

Anfang vom Ende

Der europäische und internationale Druck auf Österreich zur Aufhebung des Bankgeheimnisses für AusländerInnen machte ein Einlenken Österreichs über kurz oder lang unausweichlich. Die bevorstehende Aufhebung des Bankgeheimnisses für SteuerinländerInnen kam dagegen völlig überraschend. Über Jahrzehnte war das Bankgeheimnis sakrosankt und wurde von politischen VertreterInnen und den österreichischen Banken vehement verteidigt. So versprach Maria Fekter als Finanzministerin noch im April 2013, „wie eine Löwin“ für die Aufrechterhaltung des Bankgeheimnisses zu kämpfen.
Die aktuellen Steuerreformpläne der Regierung sehen nun vor, dass zukünftig im Zuge von abgabenbehördlichen Prüfungen (z. B. Betriebsprüfungen, Umsatzsteuer-Sonderprüfung) die Kontoverbindungen automatisch, also auch ohne begründeten Verdacht abgefragt werden können. Um einen effizienten Vollzug zu ermöglichen, wird ein zentrales Kontenregister oder eine vergleichbare Maßnahme eingeführt. Bisher musste die Staatsanwaltschaft bei einem begründeten Verdacht auf ein strafbares Delikt (Steuerhinterziehung, Steuerbetrug, Geldwäsche etc.) alle heimischen Bankverbände anweisen, innerhalb einer Frist von fünf Tagen die Konten der verdächtigen Unternehmen oder Personen bekannt zu geben. Geöffnet werden diese Konten dann mit einem Gerichtsbeschluss. Zukünftig sollen die Finanzämter durch das zentrale Kontenregister einen ständigen Überblick über alle Bankkonten, deren BesitzerInnen und die Transaktionsvolumina haben. Die Regierung rechnet immerhin mit jährlichen Mehreinnahmen von 700 Millionen Euro. So ergibt sich zusammen mit der bevorstehenden Registrierkassenpflicht ein stimmiges Paket gegen den Steuerbetrug.
Inwieweit die Abschaffung des Bankgeheimnisses tatsächlich zur Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung führt, wird einerseits von der konkreten rechtlichen Umsetzung abhängen. Lücken und Schlupflöcher müssen von Anfang an vermieden werden. Ein Verlagern von Schwarzgeld ins Ausland soll durch ein Rückwirken des Gesetzes verhindert werden, und Banken müssen höhere Kapitalabflüsse melden. Andererseits brauchen die Finanzämter für die abgabenbehördlichen Prüfungen ausreichend Personal. Das zentrale Kontenregister muss den hohen Datenschutzanforderungen genügen: Es soll den Finanzbehörden zwar einen groben Überblick über KontoinhaberInnen und Kontobestände ermöglichen, streng geregelte Auflagen müssen aber eine missbräuchliche Verwendung der Daten verhindern.

Rosige Zeiten vorbei

Klar ist auch, dass die Abschaffung des Bankgeheimnisses gegen die Kreativität international tätiger Konzerne zur Steuervermeidung wenig hilft. Hier braucht es andere Maßnahmen, deren Umsetzung noch in weiter Ferne liegt. Der Abschied vom Bankgeheimnis in Österreich gibt aber Hoffnung, dass die rosigen Zeiten für SteuerhinterzieherInnen endgültig vorbei sind.

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Tobias Hinterseer (Referent der Abteilung Wirtschaft der AK Salzburg), Michaela Schmidt (Referentin der Abteilung Wirtschaft der AK Salzburg) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586697245 Mittlerweile verdichten sich die Anzeichen, dass das Bankgeheimnis ein langsamer Tod ereilt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586697111 Milliardengräber? Im Vorfeld des ersten Sparpakets 2010 erhob die Nationalbank in einer Umfrage, wo gespart werden soll. Neun von zehn Befragten sprachen sich für die öffentliche Verwaltung aus. Mit etwas Abstand auf dem zweiten Platz landeten Förderungskürzungen, die ebenfalls eine Mehrheit befürwortete. Nicht genau gefragt wurde allerdings, was unter Verwaltung und Förderungen zu verstehen sei. Auch ExpertInnen sind sich in der Frage nicht einig. So tagte die Untergruppe zur „Untergruppe Förderungsreform“ der Aufgabenreformkommission der Bundesregierung allein dreimal, um sich darauf zu einigen, wie hoch das Fördervolumen in Österreich nun eigentlich ist. Das Ergebnis waren drei verschiedene Zahlen, denen jeweils unterschiedliche Vorstellungen von Förderungen zugrunde lagen.
Die breite Definition umfasst alle öffentlichen Zuwendungen, die entweder der Subvention von Gütern und Dienstleistungen dienen, z. B. Verkehrsbetriebe, Landwirtschaft, Gesundheitseinrichtungen, Forschung, Kultur, oder Transfers an Unternehmen darstellen – Investitionszuschüsse, nicht produktionsbezogene Zahlungen an LandwirtInnen, Bankenhilfen, sozialer Wohnbau etc. Zudem können auch Transfers an private Organisationen, z. B. die Aktivitäten der Kirche im Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich sowie Rettung oder freiwillige Feuerwehren, oder internationale Organisationen, vor allem der EU-Beitrag, als Förderung verstanden werden.
Und hier beginnt das Problem. Die meisten der befragten BürgerInnen dürften bei Förderungen an klassische Unternehmens- und Landwirtschaftsförderungen denken, weniger aber an Ordensspitäler, Feuerwehr, Weiterbildungskurse oder vergünstigte Jahreskarten. Die klassischen Förderungen machen allerdings nur einen recht kleinen Teil der 17,8 Milliarden Euro aus, die im Jahr 2013 von Bund, Ländern und Gemeinden an „Förderungen“ ausgezahlt wurden. Im EU-Vergleich lag Österreich mit 5,4 Prozent der Wirtschaftsleistung auf Platz 9. Vorbei sind also die Zeiten, wo Österreich aufgrund statistischer Verzerrungen als „Europameister bei Förderungen“ bezeichnet wurde – worauf oft der Nachsatz folgte, dass dies zeige, wie groß das Kürzungspotenzial sei.

Streichung von Doppelförderungen

Im Zuge der Steuerreform war man sich schnell einig, dass die Gegenfinanzierung zum Teil durch das Streichen von Doppelförderungen ermöglicht werden soll. Bei näherer Betrachtung konnten diese allerdings nicht so leicht gefunden werden – außer dort, wo sie politisch gewollt sind. Ein Beispiel ist die Landwirtschaft, wo Förderungen von der EU oft daran gekoppelt sind, dass Bund und Länder ebenfalls fördern. Oder im Kulturbereich, wo etwa die Salzburger Festspiele von Bund, Land und Gemeinde gemeinsam gefördert werden. Ebenso werden Unternehmen mehrfach gefördert, wenn sie vielseitig förderungswürdig aktiv sind: Große Unternehmen können sich beispielsweise die Ausbildung der Lehrlinge, ihre Forschung oder Investitionen in die Energieeffizienz gleichzeitig fördern lassen.

Kürzungspotenzial bei Unternehmen

Bei Unternehmen gibt es auch das – schwer zu beziffernde – Kürzungspotenzial, das vor allem von der Schätzung des sogenannten Mitnahmeeffektes abhängt. Dieser bemisst das Ausmaß von förderungswürdigen Aktivitäten, die auch ohne Förderung durchgeführt werden würden. Um an den oben aufgezählten Beispielen anzuknüpfen: Das Großunternehmen würde ohne Lehrlingsförderung die Lehrlingsausbildung wohl ebenso wenig einstellen wie die Forschung ohne Forschungsprämie.
Zweitens gibt es dort Einsparungspotenzial, wo der Förderzweck selbst fragwürdig erscheint. Das betrifft etwa Höhe und Breite der milliardenschweren Landwirtschaftsförderungen. Auch wenn die Landesförderung für den nächsten zusätzlichen Golfplatz oder ein weiteres Kleinstmuseum gestrichen werden würde, wäre der soziale und wirtschaftliche Schaden gering. Bei der Streichung der Förderung des neoliberalen Hayek Instituts durch das Finanzministerium müsste politisch sogar der Empfänger selbst dafür sein, weil er staatliche Eingriffe ja strikt ablehnt. Einen nennenswerten Beitrag zur Finanzierung der Steuerreform darf man sich von derlei Einzelpositionen allerdings nicht erwarten.
Der Großteil der Förderungen ist sozial und wirtschaftlich sinnvoll und sollte sogar eher aufgestockt als abgebaut werden. Das betrifft etwa die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, wo bei steigenden Qualifizierungsanforderungen und wachsender Arbeitslosigkeit Kürzungen hoch problematisch wären – und deshalb berechtigterweise zur Gegenfinanzierung der Steuerreform nicht in Betracht gezogen wurden. Ähnliches gilt für Fachhochschulen, große Teile der Forschung oder die Ökologisierung von Wirtschaft und Lebensweise.

Never Ending Verwaltungsreform

Ähnlich verhält es sich mit der viel zitierten Verwaltungsreform, nur dass der Begriff noch unbestimmter ist und es praktisch gar keine sinnvoll interpretierbare Zahl gibt. In der Ausgabenstatistik wird die allgemeine öffentliche Verwaltung mit 22,7 Milliarden Euro angegeben, wobei etwa die Hälfte allein auf Zinsausgaben und den EU-Beitrag entfällt – Dinge, die gemeinhin nicht zur Verwaltung gezählt werden. Deutlich breiter legt es der Finanzminister an, der die Verwaltung mit allen Staatsbediensteten sowie allen öffentlichen Sachaufwendungen gleichzusetzen scheint. Für die Erzielung größerer Einsparungsvolumen mag diese Definition praktisch sein – sachlich gerechtfertigt ist es jedoch nicht, wenn die direkten ErbringerInnen von öffentlichen Leistungen plötzlich zu VerwalterInnen umetikettiert werden.
Das heißt jedoch nicht, dass Fortschritte in der Verwaltung nicht notwendig wären – im Gegenteil: Wahrgenommene Verbesserungen des Staates bzw. seiner Leistungen sind der wahrscheinlich beste Schutz vor dem neoliberalen Dogma eines „auszuhungernden“ Staates. Wichtig ist dabei das Adjektiv „wahrgenommen“, denn obwohl laufend Reformprojekte umgesetzt werden, wird in der Öffentlichkeit das Bild des Stillstandes vermittelt. Selbst umfassende, international gelobte Projekte wie die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse, die Spitalsreform in Wien oder die Haushaltsrechtsreform auf Bundesebene gehen hierzulande unter.
Was genau reformiert werden soll, bleibt in der öffentlichen Debatte zumeist offen. Würde die Frage von kritischen JournalistInnen gestellt, würde die ständige Wiederholung bestehender Vorurteile vom starren, reformunfähigen oder ausufernden Staat bzw. von überzähligen, faulen und überbezahlten BeamtInnen schnell demaskiert.
Geht es doch um eine Konkretisierung, folgt zumeist der Verweis auf die Empfehlungen des Rechnungshofs. Da es dort ebenfalls an einer klaren Definition mangelt und man sich in erster Linie auf isolierte Eindrücke aus punktuellen Prüfungen einzelner Einheiten stützt (so ist z. B. eine der empfohlenen Reformen die Straffung der Aufbauorganisation der Hochschülerschaften der TU Graz und Wien), kommt man auch damit nur bedingt weiter.
Einige Beispiele gibt es aber doch, wo Einzelmaßnahmen begrüßenswert und kostensparend sind: der Zugang für Gemeinden zur günstigen Finanzierungsmöglichkeit des Bundes, die Einführung der in einigen KVs bereits verankerten Freizeitoption (Lohnerhöhungen in Form zusätzlicher Freizeit) auch im öffentlichen Dienst oder die Reintegration einzelner ausgegliederter Einheiten.
Wer hofft, in dem Bereich ein Potenzial für die Gegenfinanzierung der Steuerreform zu finden, sollte jedoch bedenken, dass Reorganisation zumeist anfängliche Zusatzkosten schafft, ehe sie mittelfristig vielleicht Einsparungen bringt.

Mehr als Kostensenkungsprogramme

Unabhängig von ihrer finanziellen Wirkung sollten Verwaltungsreformprojekte aber weiter auf der Tagesordnung bleiben, weil sie die Zufriedenheit mit kollektiv organisierten Leistungen steigern können und so die Voraussetzung für den Ausbau sozialer Dienstleistungen wie zum Beispiel Kinderbetreuung, Bildung, Pflege oder Sozialarbeit schaffen. Es braucht Verwaltungspolitiken und konkrete Verwaltungsreformprojekte, die mehr sein müssen als Kostensenkungsprogramme. Dafür müssten die aktive Organisationsentwicklung, die Verankerung des Leitbilds einer „lernenden Verwaltung“ sowie mehr Transparenz und Information als Zwischenschritte zu einem Ausbau der direkten gesellschaftlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt gerückt werden.

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Georg Feigl (Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586697084 Die meisten dürften bei Förderungen an klassische Unternehmens- und Landwirtschaftsförderungen denken, weniger aber an Ordensspitäler, Feuerwehr, Weiterbildungskurse oder vergünstigte Jahreskarten für die Öffis. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586697064 Grünes Geld Durchschnittlich rund 300 Euro betrug das Einkommensteueraufkommen eines österreichischen Landwirtes im Jahr 2013. Vorsicht ist angebracht, denn die Zahl liefert kein realistisches Abbild der finanziellen Situation der landwirtschaftlichen Betriebe in der Alpenrepublik. Zwar gibt es in der Tat bäuerliche Familienbetriebe, die ums Überleben kämpfen, und Nebenerwerbsbauern, die von der Landwirtschaft überhaupt nicht leben können. Auch der Trend hin zu Großbetrieben ist in Österreich deutlich spürbar1.

Sonderregelungen

Die geringe Steuerleistung der heimischen Bäuerinnen und Bauern hängt mit zwei Begriffen zusammen: dem Einheitswert und der Pauschalierung. Der Einheitswert ist ein sogenannter Ertragswert, der die natürlichen und wirtschaftlichen Ertragsbedingungen widerspiegeln soll.
Eine wichtige Teilkomponente und Basis des landwirtschaftlichen Einheitswertes ist die sogenannte Bodenklimazahl. Diese soll die natürliche Ertragsfähigkeit eines Standorts wiedergeben, abhängig von der Neigung des Geländes, Wasserverhältnissen, Klima etc. Diese Zahl wird dann um Ab- und Zuschläge für wirtschaftliche Ertragsbedingungen (Verkehrslage, Betriebsgröße etc.) erhöht oder vermindert.
Auf Basis des Einheitswertes einer landwirtschaftlichen Liegenschaft werden nicht nur Grund(erwerb)steuern errechnet, sondern auch die Einkommensteuer, Sozialabgaben sowie eventuelle Beihilfen und Ähnliches. Nun kommt der zweite Begriff ins Spiel, denn LandwirtInnen können ihre Einkommen bis zu einem Einheitswert von 75.000 Euro pauschalieren.
Während andere Selbstständige alle Einnahmen und vor allem ihre Ausgaben detailliert auflisten müssen, haben es manche Landwirte damit einfacher: Bei jenen, die eine Vollpauschalierung in Anspruch nehmen können, wird als Gewinn-Grundbetrag ein fixer Prozentsatz des Einheitswertes der bewirtschafteten Fläche angenommen. Einfach ist die Steuererklärung für Landwirte deshalb aber auch nicht unbedingt. Allein auf der Homepage des Finanzministeriums findet man zehn verschiedene Ausfüllbeispiele, vom Obstbau über Schweinehaltung bis hin zur Fischerei.
Durch die Sonderregelung für die Landwirtschaft entgehen dem Staat allerdings 200 Millionen Euro an Steuereinnahmen pro Jahr. Dazu kommt, dass der Einheitswert theoretisch alle neun Jahre angepasst werden hätte sollen. Tatsächlich aber blieben die Einheitswerte von 1988 bis 2014 unverändert.
2011 haben zwei Steuerexperten im Auftrag der AK ein Gutachten zum Thema „Verfassungsrechtliche Aspekte der land- und forstwirtschaftlichen Vollpauschalierung“ verfasst. Demnach war die Pauschalierung für die Bemessung der Einkommensteuer gesetzes- und verfassungswidrig. Zu dieser Zeit lag die Grenze für die Vollpauschalierung noch bei 100.000 Euro Einheitswert und das gesamte Einkommensteueraufkommen der Betriebe in der Land- und Forstwirtschaft belief sich 2010 auf 45 Millionen Euro. Seit 2011 ist dieser Be(i)trag immerhin auf 51,9 Millionen gestiegen.

Verschärfungen

Seit 2011 – damals waren schätzungsweise 97 Prozent der rund 170.000 landwirtschaftlichen Betriebe praktisch steuerbefreit – sind einige der von der AK kritisierten Punkte, die den LandwirtInnen finanzielle Vorteile verschafften, entschärft bzw. geändert worden:

  • Umwidmungsgewinne sind seit dem Sparpaket 2012 nicht mehr steuerfrei.
  • Die Rückerstattung der Mineralölsteuer für Bauern endete 2012.
  • Die Beiträge zur Sozialversicherung der Bauern wurden angepasst: Bedingt durch die geringen Einkommen waren die Beiträge so bescheiden, dass der Staat zuschießen musste.
  • Die Grenze für die Vollpauschalierung wurde mit 1. Jänner 2015 von 100.000 auf 75.000 Euro Einheitswert gesenkt (sofern neu festgelegte Grenzen für Anbauflächen und Viehbestand nicht überschritten werden). Der Gewinngrundbetrag wurde von 39 auf 42 Prozent erhöht.
  • Zwischen 75.000 und 130.000 Euro Einheitswert ist eine Teilpauschalierung möglich. Dabei muss eine sogenannte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung erfolgen, die Ausgaben werden mit 70 Prozent pauschaliert.
  • 2014 wurden auch die seit 1988 nicht mehr veränderten land- und forstwirtschaftlichen Einheitswerte angepasst: Sie wurden um fünf bis zehn Prozent erhöht.

Bauern-Bashing?

Die neuen Einheitswertbescheide sind steuerlich seit 1. Jänner 2015 wirksam. Auf die Beitragsgrundlagen für die Sozialversicherung der Bauern wirken sich die neuen Einheitswerte erst ab dem Jahr 2017 aus.
Während etwa Bauernbund-Präsident Jakob Auer bereits von Bauern-Bashing spricht, fordern viele andere weitere Schritte in Richtung Gerechtigkeit: „Die Pauschalierung ist nicht gesetzeskonform und gehört komplett abgeschafft“, formuliert es AK-Steuerexperte Otto Farny kurz und bündig.
Im Übrigen wird die Pauschalierung auch von manchen VertreterInnen des Bauernstands kritisiert: Betriebe würden dadurch vor allem auf Pauschalierungsgrenzen ausgerichtet statt auf Marktchancen und Wachstumspotenziale.
Nicht nur bei der Steuer, auch beim adäquaten Einsatz von EU-Fördermitteln zur Entwicklung des ländlichen Raums gibt es Verbesserungspotenzial. Bei vielen EU-Förderungen etwa ist eine Beteiligung von Bund, Ländern, Gemeinden und/oder FördernehmerInnen, genannt Kofinanzierung, erforderlich. Werden Fördergelder nicht sinnvoll und zielführend eingesetzt, bedeutet das nicht zuletzt auch Verschwendung von Steuergeldern. Der Rechnungshof hat in den vergangenen Jahren diesbezüglich bereits in mehreren Berichten Kritik geübt. So wurden etwa Empfehlungen aus früheren Evaluierungen nicht ausreichend umgesetzt, Zielformulierungen waren zu allgemein oder standen nicht in Relation zum geplanten Mitteleinsatz. Außerdem ortete der Rechnungshof schon schwerwiegende Interessenkonflikte, Unvereinbarkeiten oder unklare Aufgabenverteilungen, etwa zwischen AMA, Ministerium und Landwirtschaftskammern.
An sich zählt Österreich in puncto Fördergelder-Einsatz eher zu den Musterschülern der EU. Die AK-ExpertInnen orten aber sehr wohl Verbesserungsbedarf. So werden Umwelt- und Klimamaßnahmen im „Programm für die Entwicklung des Ländlichen Raums“ auch in der Periode 2014 bis 2020 weiterhin zu 50 Prozent von der österreichischen öffentlichen Hand kofinanziert. Die AK plädierte dafür, den von der EU geforderten 25-Prozent-Anteil einzuhalten und die gesparten Gelder in anderen Bereichen einzusetzen.

Aufwertung des ländlichen Raums

Zwei Drittel der gesamten Förderungen aus Brüssel fließen in die Landwirtschaft. Laut Grünem Bericht wurden 2013 in der ersten und zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) insgesamt 1,77 Milliarden Euro an rund 129.000 FörderwerberInnen ausbezahlt. 89,4 Prozent der Mittel gingen an Bäuerinnen und Bauern, 1,7 Prozent an Agrar- und Interessentengemeinschaften und 8,9 Prozent an sonstige FörderwerberInnen im ländlichen Raum.
Kritisch sieht man in der AK außerdem den Einsatz des EU-Strukturfonds für ländliche Entwicklung (ELER) in Österreich, der die Entwicklung des ländlichen Raumes unterstützen soll. Der Fonds ist zwar Teil der sogenannten zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik, allerdings müssen die Fördermittel nicht ausschließlich in die Landwirtschaft fließen. Bis vor Kurzem aber profitierten vorwiegend landwirtschaftliche Betriebe von diesen Fördermitteln. Für die aktuelle Periode (2014 bis 2020) hat die AK erkämpft, dass drei Prozent der ELER-Mittel für Investitionen in soziale Dienstleistungen (z. B. Kinderbildungs- und Pflegeeinrichtungen) zur Verfügung stehen. Dadurch soll das Leben auf dem Land für alle Bevölkerungsgruppen attraktiver werden.

1 1995 wurde von einem Betrieb im Durchschnitt eine Gesamtfläche von 31,8 ha bewirtschaftet, 2013 waren es bereits 43,5 ha. 2010 bewirtschafteten 160.697 bäuerliche Familienbetriebe (= 92,7 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe) 60,5 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Gesamtfläche.

Internet:
Verzeichnis der EU-Agrarzahlungen aus jeweils zwei Jahren:
www.transparenzdatenbank.at
Grüner Bericht 2014 des Bundes-ministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft:
tinyurl.com/manrxj9

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion
aw@oegb.at

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Astrid Fadler (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586697044 Durchschnittlich dreihundert Euro betrug das Einkommenssteueraufkommen eines österreichischen Landwirtes 2013. Die geringe Steuerleistung der heimischen Bäuerinnen und Bauern hängt mit zwei Begriffen zusammen: dem Einheitswert und der Pauschalierung. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586697037 Zeit für eine Abrechnung Über den Rechner eines deutschen Gastronomen startet ein Computerspiel. Raumschiffe jagen über den Bildschirm, um abgeschossen zu werden – alles ganz harmlos. Erst nach der Eingabe einer bestimmten Tastenkombination öffnet sich das dahinterliegende Menü und fragt: „Um wie viel Prozent soll der Umsatz verringert werden?“ Das Spiel dient der Tarnung. Mit immer raffinierteren Techniken tricksen EU-weit GastronomInnen und HändlerInnen Hunderte Milliarden Euro jährlich an der Registrierkassenpflicht und somit an der Steuerfahndung vorbei. Eine Entwicklung, die seit zwei Jahrzehnten besorgniserregende Ausmaße annehme, warnt die OECD. Die Finanzbehörden reagieren mit verschärften Maßnahmen – technischen Lösungen, strengeren Gesetzen, vermehrten Kontrollen oder der Einbeziehung der Bevölkerung. In einigen Fällen wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Beliebte Maschen

Egal ob Cappuccino, Kopfwehtabletten oder Kaugummi – in Italien muss seit den 1980ern für den Verkauf jedes Artikels ein Kassenzettel ausgehändigt werden. Der sogenannte „scontrino“ gilt als Nachweis, dass die vorgeschriebene Mehrwertsteuer bezahlt wurde. Das Prinzip der Belegpflicht wurde von vielen europäischen Ländern wie Griechenland oder der Türkei übernommen. Doch nicht jeder Beleg ist tatsächlich eine Rechnung. Manchmal ist „Rechnungsentwurf“, „Bar-Beleg“ oder „Zwischenbeleg“ auf dem Kassenzettel zu lesen – ein Indiz, dass der Verkauf möglicherweise nicht korrekt verbucht wurde und nach Betriebsschluss wieder aus der Kasse verschwindet. Neben Pseudorechnungen sind auch „TrainingskellnerInnen“ eine beliebte Masche, um Umsätze nicht zu verbuchen. Bei TrainingskellnerInnen werden alle Eingaben als Übung bewertet und landen demnach nicht in der tatsächlichen Abrechnung. Getrickst wird also mit Hightech. „Diese Programme erinnern den Unternehmer sogar daran, dass er den alten Kassenzettel vernichten, einen neuen erstellen und im Kassenbuch die Zahlen korrigieren muss“, wissen die ExpertInnen des deutschen Finanzministeriums. In einem Artikel aus der „Zeit“ melden BetriebsprüferInnen und SteuerfahnderInnen, dass die Techniken zur Manipulationen immer gefinkelter werden, um eine Entdeckung zu verhindern – etwa versteckt hinter Computerspielen.
Sind also KassenanbieterInnen die Sündenböcke? „Nein“, meint Erich Huber vom Risikoanalysezentrum des Bundesfinanzministeriums. Wer heute Registrierkassen anbiete, stehe unter großem Druck. Mit vorschriftsmäßigen Geräten mache man kein Geschäft, wenn nicht die entsprechende Manipulationssoftware mitgeliefert werde. Je unterschiedlicher die PC-Systeme der Registrierkassen in einem Land sind, desto komplexer sei es, eine Lösung gegen Steuerbetrug zu entwickeln, weiß Huber. Warum also nicht die Registrierkassen vereinheitlichen? „Man kann nicht so einfach in den Markt eingreifen. In Ungarn hat der Staat das gemacht und nur zwei Kassenhersteller zugelassen. Das Problem: Einer davon hatte Manipulationsmöglichkeiten geschaffen.“ Dabei galt gerade die ungarische Lösung als besonders „kernig“ und hochsicher, berichtet der Finanzexperte. Zusätzlich zur klassischen Fiskalisierung, also der elektronischen Speicherung von Transaktionen, sind in Ungarn die Registrierkassen online mit der Finanzverwaltung verbunden. Zu einem für die KassennutzerInnen unbekannten Zeitpunkt saugt die Finanz Daten aus der Kasse ab. Auch Kroatien hat kürzlich ein solches GPRS-System eingeführt. „Auf Wunsch mit illegaler Spezialsoftware“, fügt Erich Huber hinzu. Auch die direkte Verbindung zum Finanzamt ist somit kein Garant für Steuerehrlichkeit. „Ein weiteres Problem“, so der Experte aus dem Finanzministerium, „sind die Unmengen an Daten, die bei den Finanzbehörden einlangen. Ungarn saß nach einem halben Jahr bereits auf Tausenden Terabyte Kassendaten. Wie soll man die prüfen?“

Kontrolle in Zivil

Technisch einwandfreie Lösungen, um Steuerbetrug völlig zu verhindern, gibt es nicht. In ihrem Bericht „Umsatzverkürzung mittels elektronischer Kassensysteme“ schlägt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) daher einen Mix mehrerer Maßnahmen vor. Dazu zählen neben technischen Lösungen auch Aufdeckung und Fahndung sowie Sensibilisierung bei Geschäftsleuten, MitarbeiterInnen und KundInnen. Fahndungen sind so eine Sache. Überraschungsbesuche von FinanzbeamtInnen in Zivil sind nur in wenigen Ländern rechtlich möglich. So etwa in Italien, wo bis vor wenigen Jahren auch KundInnen bestraft wurden, wenn sie keinen Kassenzettel vorweisen konnten. Das schnelle Zitroneneis beim Gelati-Verkäufer konnte einen so teuer zu stehen kommen. Heute werden nur mehr GeschäftsinhaberInnen zur Kasse gebeten, wenn sie keinen rechtskonformen Beleg ausstellen. 150 bis 2.500 Euro kostet das Vergehen. Dabei treibt das Gesetz zuweilen skurrile Blüten. Zu Jahresanfang wurde der Inhaber einer italienischen Metzgerei von einem Betriebsprüfer bestraft, weil er einem Bedürftigen eine Wurstsemmel schenkte – und keinen scontrino dafür hatte.
In Deutschland hingegen, wie in vielen anderen EU-Ländern, müssen SteuerbeamtInnen ihren Besuch anmelden, außer bei konkreten Verdachtsfällen. Im Normalfall bleibt den InhaberInnen eines Betriebes ausreichend Zeit, sich eine Strategie zu überlegen. Außerdem: Man kann nicht jeden Betrieb regelmäßig prüfen. Wie kommt man also zu mehr Kontrolle?

Spiel mit dem Glück

Auf innovative Maßnahmen, die Bevölkerung bei der Steuerkontrolle miteinzubeziehen, setzen Portugal und die Slowakei. Seit die beiden Länder eine Steuerlotterie mit Kassenbelegen einführten, klingeln die Staatskassen wie schon lange nicht mehr. Portugals Finanzamt rüstet damit zum Gegenangriff gegen die weitverbreiteten Schwarzgeschäfte, die etwa ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsaktivitäten ausmachen. Binnen kurzer Zeit hatte Portugal auf diese Weise Tausende freiwillige KontrolleurInnen und eine Milliarde Euro zusätzlich im Staatstopf. Ähnlich in Bratislava. Statt Strafen zu verhängen, will das Finanzministerium seine BürgerInnen spielerisch für mehr Steuerehrlichkeit sensibilisieren. KonsumentInnen müssen dafür nur Rechnungsbelege einfordern und diese bei der Lotterie registrieren. Alle vierzehn Tage winkt bei den Losziehungen ein Gewinn bis zu 10.000 Euro. Auch in Österreich hat Staatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ) mit dem Gedanken gespielt, die Bevölkerung mittels Kassenzettel-Lotterie für die bevorstehende Belegpflicht in Österreich zu gewinnen. Ein Vorstoß, dem Erich Huber vom Finanzministerium einiges abgewinnen kann: „Eine Beleg-Lotterie, vorausgesetzt, sie wird seriös aufgezogen, hat viele positive Effekte: höhere Steuereinnahmen, mehr Steuerehrlichkeit seitens GeschäftsbetreiberInnen und sensiblere KundInnen.“ Am Tag der Präsentation der Steuerreform im März 2015 war die Idee der Beleg-Lotterie wieder aus dem Programm verschwunden – aus politischen Gründen.

Bargeldloser Zahlungsverkehr?

„Bei der Steuerehrlichkeit spielt die Bevölkerung eine große Rolle“, so Erich Huber. Ein erster Schritt sei bereits getan, wenn eine Rechnung verlangt und deren Bezeichnung überprüft werde. Eine Möglichkeit, über die auch in Österreich nachgedacht wird, sind QR-Codes auf dem Zahlungsbeleg. „Mit den Smartphones können KundInnen diesen Code scannen und unmittelbar prüfen, ob die Umsätze korrekt verbucht wurden“, meint der Finanzexperte. Italien war in den 1980er-Jahren Vorreiter bei der Einführung der Registrierkassenpflicht. Nun will das Land abermals neue Maßstäbe setzen, um Steuerbetrug mit Bargeldgeschäften zu bekämpfen. Die Regierung plant, den legendären Kassenzettel völlig abzuschaffen und stattdessen eine grenzüberschreitende digitale Überwachung von Ausgaben und Einnahmen einzuführen. Der Cappuccino in Italien könnte also bald nur mehr mit Kreditkarte oder dem Smartphone bezahlt werden. Ob die Rechnung aufgeht?

Internet:
OECD (2013):Umsatzverkürzung mittels elektronischer Kassensysteme. Eine Bedrohung für die Steuereinnahmen:
tinyurl.com/nzbnmpk

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Irene Steindl (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586697010 Mit immer raffinierteren Techniken tricksen GastronomInnen und HändlerInnen in der ganzen EU Hunderte Milliarden Euro jährlich an der Registrierkassenpflicht und somit an der Steuerfahndung vorbei. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586696912 Steuerreform in Zahlen Bei der Steuerreform werden ArbeitnehmerInnen mit einem monatlichen Bruttoverdienst bis 2.000 Euro am meisten entlastet: Wer 2.000 Euro im Monat verdient, zahlt künftig um fast ein Drittel weniger Steuer. Sogar um fast zwei Drittel weniger Steuern zahlen ArbeitnehmerInnen mit einem Bruttoeinkommen von 1.300 Euro. Gerade im mittleren Einkommensbereich wurden die Abgaben auf  zusätzliches Einkommen wie Lohnerhöhungen oder Überstunden stark reduziert (Grenzabgabenproblematik). Von der erhöhten Negativsteuer wiederum profitieren vor allem Frauen. 

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Ausgewählt und zusammengestellt von Vanessa Mühlböck, AK Wien, Sonja Adler und Sonja Fercher, Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586696917 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586696900 Eine Klasse für sich Finanzielle Sorgen kennt Beate nur von ihren Bekannten. Da gibt es einen, der musste sein Konto für den gemeinsamen Skiurlaub überziehen, eine andere kann die Ausbildung ihrer Tochter nicht allein finanzieren. Im Gegensatz zu ihren FreundInnen wird Beate nie in finanzielle Bedrängnis geraten, denn ihre Eltern überweisen seit dem 18. Geburtstag immer wieder beträchtliche Geldsummen auf ihr Konto. Beate ist eine Ausnahme, nicht nur weil sehr wenige Menschen in ihrem Leben große Vermögen geschenkt oder vererbt bekommen, sondern weil sie offen darüber mit der Autorin Julia Friedrichs für ihr neues Buch „Wir Erben“ sprach. Bei ihren Recherchen wurde Friedrichs schnell bewusst: Über Schenkungen und hohe Erbschaften breitet sich der Mantel des Schweigens.

Ungehöriges Schweigen

Über Erbschaften redet kaum jemand gerne öffentlich, wohl weil das Erben unmittelbar mit dem Sterben zusammenhängt und oft mit tiefen persönlichen Gefühlen verbunden ist. Der Tod ist meist Teil der Privatsphäre von Familien, und das Erben wird mit demselben Schleier der Intimität bedeckt wie das Ableben. „In Wahrheit aber ist das Erben alles andere als privat, und es ist höchst ungehörig, darüber zu schweigen“, schreibt Friedrichs. Denn die Vererbung großer Vermögen wird immer mehr auch zu einer Gefahr für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Tappen im Dunkeln

Doch um welche Beträge geht es, wenn über das Erben in Österreich diskutiert wird? Die Suche nach verlässlichen Daten wird schnell enttäuscht. Seit dem Auslaufen der Erbschafts- und Schenkungssteuer im Jahr 2008 werden Erbschaften nicht mehr zentral erfasst, das Finanzamt tappt seither im Dunkeln. Zumindest für die letzten Jahre der Erbschaftssteuer sind Statistiken verfügbar. Aber auch diese Daten wären ohne mehrere parlamentarische Anfragen und die Antworten des Finanzministeriums nicht öffentlich verfügbar. Die Datenrecherche ist zäh und mündet in der ersten unbefriedigenden Erkenntnis: Über Erbschaften wird in Österreich tatsächlich nicht viel preisgegeben.
Einige Anhaltspunkte kann man in der Erbschaftssteuerstatistik aus dem Jahr 2006 aber doch finden. Die Steuereinnahmen lagen damals bei etwa 100 Millionen Euro, das laut Statistik vererbte Vermögen betrug etwa 2,7 Milliarden Euro. Aber diese Zahlen sind trügerisch, denn für die Berechnung der Steuerpflicht werden nicht alle Vermögenswerte zu ihrem tatsächlichen Wert veranlagt. Beispielsweise gehen Grundstücke nicht mit dem Marktwert, sondern mit dem veralteten Einheitswert in die Steuerkalkulation ein. Die Kluft zwischen den zuletzt 1983 erneuerten Einheitswerten und den aktuellen Marktwerten kann nicht exakt berechnet werden, aber Schätzungen zufolge sind die Werte zur Steuerberechnung zwischen 10- und 30-mal niedriger als die tatsächlichen Marktwerte.
Stefan Humer von der Wirtschaftsuniversität Wien forscht ebenfalls zu Vermögensübertragungen und verwendet eine innovative Methode zur Berechnung des jährlichen Erbvolumens. Der Ökonom verwendet Daten der Österreichischen Nationalbank, die 2010 eine Erhebung zu den Vermögen privater Haushalte durchführte, mit dem Vorteil, dass Grundstücke zu ihrem tatsächlichen Wert erhoben wurden. Mithilfe dieser Vermögensdaten und Sterbetafeln kann Humer wissenschaftlich fundierte Schätzungen anstellen, wie viel Vermögen jährlich an die ErbInnen übertragen wird. Aktuell sind es laut seinen Berechnungen etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr, steuerfrei, Tendenz steigend. Im Jahr 2040 könnten es schätzungsweise schon mehr als 20 Milliarden Euro sein. „In den kommenden Jahrzehnten wird eine Generation sterben, die zu Lebzeiten deutlich mehr Vermögen aufbauen konnte als die von Kriegen betroffenen Generationen davor“, erklärt der Experte.
Die Suche nach Zahlen zu den Erbschaften enthüllt eine Ungleichheit von erstaunlichem Ausmaß. Laut Steuerstatistik 2006 vererbten allein die vier größten Sterbefälle so große Vermögen, dass diese ein Viertel des gesamten Steueraufkommens ausmachten. In der Nationalbank-Erhebung hatten überhaupt nur 35 Prozent der befragten Haushalte bereits geerbt – und deren Vermögen war im Durchschnitt dreimal so groß wie jenes der Haushalte ohne Erbschaft. Die Daten zeigen einen starken Zusammenhang zwischen dem Vermögen einerseits und der Häufigkeit und Höhe von erhaltenen Erbschaften andererseits.

Verknöcherte ErbInnengesellschaft

Frau Glasmacher hat ihre vier Töchter in ein britisches Eliteinternat geschickt. Natürlich ist das nicht aus der Portokasse zu bezahlen: „Ich habe ein Bild verkaufen müssen, das ich von meinen Eltern geerbt habe. Es hängt jetzt im Museum in Leeds.“ Diese Geschichte aus Julia Friedrichs Buch verdeutlicht, dass mit dem Vermögen auch sozialer Status weitervererbt wird. „Erbschaften haben eine starke dynastische Bedeutung“, erklärt der Wiener Vermögensexperte Martin Schürz. Laut Schürz führen Erbschaften, die über viele Generationen angehäuft werden, zu einer Verschärfung der Vermögenskonzentration und zu ungleichen Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe. Dies beeinträchtige auf lange Sicht auch die Demokratie und gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ist der Ökonom überzeugt.
Von dieser Sorge war auch der französische Bestsellerautor Thomas Piketty getrieben, als er seine 700 Seiten dicke Verteilungsbibel „Kapital im 21. Jahrhundert“ verfasste. Ein wiederkehrender Begriff bei Piketty ist die patrimoniale Gesellschaft, in der Erbschaften die gesellschaftlichen Positionen immer mehr einzementieren, so wie schon im 19. Jahrhundert. Viele Menschen nehmen besorgt wahr, dass die soziale Durchlässigkeit durch die ungleiche Verteilung von Erbschaften völlig ausgebremst wird. Ein Großteil der von der Nationalbank befragten Personen empfindet es als ungerecht, wenn ErbInnen allein aus ihren Erbschaften gesellschaftliche Vorteile ziehen können.
Während große private Vermögen laufend anwachsen und über Generationen weitergegeben werden, steht die Finanzierung von sozialen Dienstleistungen immer mehr auf tönernen Füßen. Die Grundpfeiler des Wohlfahrtsstaates, der den Lebensstandard und die soziale Sicherheit des Großteils der Bevölkerung begründet, scheinen zu schwanken. Das ist vor allem dem Druck neoliberaler Politik geschuldet. Einerseits schnüren die engen Fiskalregeln der europäischen Wirtschaftspolitik den finanziellen Spielraum zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen ein. Andererseits wehren sich die Interessenvertretungen der Reichen mit Händen und Füßen gegen einen Beitrag ihrer sehr vermögenden Klientel. Selbst die Forderung nach kleinen Beiträgen von sehr großen Erbschaften stieß in der Vergangenheit auf heftigste Gegenwehr und mündete in breiten Desinformationskampagnen.
Der Ruf nach einer Erbschafts- und Schenkungssteuer ist mit der Steuerreform 2015/16 aber keineswegs verstummt. Eine große Anzahl an Sozial- und WirtschaftswissenschafterInnen hat sich in der Initiative „Erbschaften besteuern!“ zusammengefunden und fordert die Wiedereinführung dieser Abgabe.

Finanzierung der Pflege

Aber auch die steuerschonende Weitergabe sehr großer Vermögen im Rahmen von Privatstiftungen ist ein Thema. „Eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer muss auch den großen Vermögen in Privatstiftungen ihren Beitrag abverlangen“, fordert der Ökonom Alois Guger. Die Forderung nach einer Erbschaftssteuer wird von wissenschaftlicher Seite breit unterstützt und die gesellschaftliche Notwendigkeit ist unbestritten. Vor allem der Ausbau der öffentlichen Pflegedienstleistungen, auf die viele Familien angewiesen sind, könnte aus den Mitteln der Erbschaftssteuer finanziert werden. Schließlich ist der Beitrag von leistungslosen Einkommen, wie es große Erbschaften zweifellos sind, nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Voraussetzung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zukünftiger Generationen.

Blogtipp:
Die Wiedergeburt der Ein-Promille-Gesellschaft:
tinyurl.com/mkaugjy

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor matthias.schnetzer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Matthias Schnetzer (Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586696725 Über Erbschaften redet kaum jemand gerne. In Wahrheit aber ist das Erben alles andere als privat, und es ist höchst ungehörig, darüber zu schweigen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586696730 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695242 Entlastung trotz kalter Progression Kalte Progression frisst Entlastung rasch auf“: So lautet nicht nur der Titel eines „Presse“-Artikels, so lautet auch eine immer wieder artikulierte Kritik an der Steuerreform.
Anders formuliert: Das Volumen der Steuerreform sei zu gering, um aufgrund der kalten Progression eine reale Entlastung der ArbeitnehmerInnen erreichen zu können. Die kalte Progression ist in der Tat problematisch, denn sie trägt dazu bei, die Kaufkraft zu schwächen.
Weiters stellt sie eine Belastung dar, die im überwiegenden Ausmaß ArbeitnehmerInnen trifft. Über das genaue Volumen der kalten Progression gibt es allerdings unterschiedliche Meinungen.

Verteilungswirkung

Grundsätzlich tritt die kalte Progression nur bei progressiven Steuertarifen auf. Proportionale Steuern wie Körperschafts- oder Kapitalertragssteuern sind davon nicht betroffen.
Progressive Steuertarife gibt es etwa bei der Lohn- und Einkommensteuer, sie bewirken per definitionem bei steigenden Bruttobezügen auch eine steigende Steuerbelastung.
Dies ist aus verteilungspolitischen Überlegungen heraus gewünscht, da Personen mit hohem Einkommen eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben und somit eine höhere Steuerbelastung tragen können.

Inflation macht kalte Progression

Ursache für die kalte Progression ist die Inflation: Bei Bruttobezügen, die mit der Inflation steigen, wächst die Steuerbelastung vergleichsweise überproportional. Hintergrund dafür ist, dass die Frei- und Absetzbeträge, die im Steuertarif implementiert sind, nicht automatisch an die Inflation angepasst werden.
Daher kommt es nicht nur zu einer realen Zunahme der Steuerbelastung, sondern auch zu einer inflationsbedingten Steuermehrbelastung. Dies kann trotz steigender Bruttolöhne zu abnehmenden Nettoreallöhnen führen. Vermeiden ließe sich dies durch die Indexierung des Steuertarifs. Das bedeutet, dass die Frei- und Absetzbeträge des Steuersystems um die Inflation erhöht werden. Dadurch würde die kalte Progression ausgeschaltet.
Doch wie steht es nun um die Aussage, dass die kalte Progression die Steuerreform auffrisst? Dazu muss man herausfinden, wie viel vom gestiegenen Steueraufkommen auf die Inflation zurückzuführen ist, und zwar im Vergleich zu 2009, dem Jahr der letzten Steuerreform.
Laut Budgetvoranschlag sind für das Jahr 2015 Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuern in der Höhe von 30,8 Milliarden Euro zu erwarten.  Im Jahr 2009 betrugen die Einnahmen aus diesen beiden Steuern 22,5 Milliarden Euro. Das entspricht einem Zuwachs von 8,3 Milliarden Euro. Um den Anteil der kalten Progression an dieser Steigerung zu ermitteln, gibt es verschiedene Methoden. Eine davon besteht darin, dass man in einem ersten Schritt berechnet, wie hoch die Einnahmen der Lohn- und Einkommensteuer für 2015 mit dem inflationsangepassten Tarif wären.
Um die kalte Progression zu berechnen, muss man in einem zweiten Schritt das inflationsangepasste Steueraufkommen 2015 von den tatsächlichen Steuereinnahmen aus 2015 abziehen.

Die Krux liegt im Detail

Die Berechnung der kalten Progression klingt an sich nicht schwierig, doch die Krux liegt, wie bei vielen Dingen, im Detail. Dies ist auch daran zu erkennen, dass die Schätzungen unterschiedlicher Institutionen teils erheblich voneinander abweichen.
Bei einer unlängst durchgeführten Analyse des Budgetdienstes des Parlaments wurde festgestellt, dass beispielsweise für das Jahr 2013 die Werte der ermittelten kalten Progression zwischen 1,4 Milliarden Euro und 2,3 Milliarden Euro liegen. Für spätere Jahre liegen nicht von allen Institutionen Schätzungen vor, doch werden sich diese Abweichungen auch in den Folgejahren ergeben.
Doch wie erklären sich solche Differenzen? Besonders dieser Frage widmete der Budgetdienst sein Augenmerk. Dabei wurde festgestellt, dass oftmals bereits unterschiedliche Datengrundlagen verwendet wurden. Hinzu kommt, dass sich auch die Berechnungsmethoden erheblich unterschieden. So werden vom Budgetdienst teilweise Unterschätzungen vermutet, da nicht immer sämtliche Frei- und Absetzbeträge des Steuersystems indexiert wurden.
Andererseits wurde auch angemerkt, dass in den Berechnungen davon ausgegangen wird, dass die SteuerzahlerInnen immer sämtliche Steuerbegünstigungen in Anspruch nehmen. In der Praxis findet dies aber so nicht statt, was zu einer teilweisen Überschätzung der kalten Progression führt. Weitere Unterschiede gehen darauf zurück, dass entweder nur die Einkommen- oder nur die Lohnsteuer berücksichtigt wird.

Nicht direkt vergleichbar

Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass die Werte nicht direkt miteinander vergleichbar sind. Folglich bleibt weiterhin die Frage offen, wie hoch das Volumen der kalten Progression tatsächlich ist. Denn um eine konkrete Beurteilung hinsichtlich der effektiven Entlastung der Steuerreform vornehmen zu können, ist es vorab notwendig, das wahre Volumen zu kennen.
Auf Basis der Erkenntnisse des Budgetdienstes und eigener Berechnungen kann realistischerweise für das Volumen der kalten Progression für die Lohn- und Einkommensteuer für das Jahr 2015 ein Wert von ca. 3 bis 3,1 Milliarden Euro gegenüber 2009 angenommen werden.
Bringt die Steuerreform nun eine echte Entlastung? Dafür muss man prüfen, ob das reale Belastungsniveau zumindest auf jenes der letzten Steuerreform, d. h. 2009, herabgesenkt werden kann.
Folglich ist das Entlastungsvolumen der Steuerreform dem Ausmaß der kalten Progression gegenüberzustellen. Demnach wären ca. 3 Milliarden Euro als Entlastung notwendig, um auf das reale Belastungsniveau des Jahres 2009 zu gelangen.
Tatsächlich beträgt das Steuersenkungsvolumen der Steuerreform 2016 allerdings über 5 Milliarden Euro, wovon 4,9 Milliarden Euro in den Tarif der Lohn- und Einkommensteuer fließen.
Man kann also eindeutig sagen, dass mit der Steuerreform 2016 eine effektive Entlastung stattfinden wird, ja, das Belastungsniveau von 2009 wird sogar um knapp 2 Milliarden Euro unterschritten. Der Budgetdienst vertritt ebenso die Auffassung, dass die kalte Progression seit dem Jahr 2009 überkompensiert wird. Allfällige Befürchtungen, dass die Steuerreform keine Entlastung bringe, sind damit unbegründet.

Entlastung 2016 – und dann?

Keine Frage: Mit einer Tarifreform, wie sie jetzt vorgenommen wird, wird das Problem der kalten Progression für die Zukunft nicht ein für allemal gelöst. Auch die derzeitige effektive Entlastung wird eines Tages durch die Inflation wieder aufgebraucht sein. Wann dies der Fall sein wird, lässt der Budgetdienst in seiner Analyse offen. Eigene Berechnungen ergeben, dass dies erst 2019 der Fall sein wird.

Für elf Jahre wertgesichert
Vermeiden ließe sich das nur durch eine automatisch jährliche Inflationsanpassung des Steuertarifs sowie der Frei- und Absetzbeträge.
Dagegen spricht allerdings, dass eine solche Maßnahme zwar die reale Kaufkraft sichert, aber der Politik den Großteil der fiskalpolitischen Flexibilität nimmt sowie die Möglichkeit späterer Strukturänderungen des Steuersystems.
Aus diesen Überlegungen heraus ist es durchaus gerechtfertigt, zurzeit keine automatische Indexierung einzuführen. Der Erfolg der Steuerreform ist aber dennoch spürbar. Immerhin wird dadurch die Kaufkraft für elf Jahre wertgesichert.

Internet:
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/l3qy59d
tinyurl.com/oulv74p

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin vanessa.muehlboeck@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Vanessa Mühlböck (Referentin für Steuerpolitik in der Abteilung Steuerrecht der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695230 Die kalte Progression trägt dazu bei, die Kaufkraft zu schwächen. Auch die derzeitige effektive Entlastung wird eines Tages durch die Inflation wieder aufgebraucht sein - dies wird allerdings erst 2019 der Fall sein. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695223 Die feministische Herausforderung Seit 2009 ist Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern beim Budget ein Verfassungsziel. Im Kapitel „Abgaben“, zu dem auch die Steuern gehören, hat man sich konkret vorgenommen, die bessere Verteilung der Erwerbsarbeit und der unbezahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern zu unterstützen. Aber ist dies mit der Steuerreform auch gelungen?

Kampfansage

Viele Frauen verdienen weniger als 1.190 Euro brutto monatlich und liegen damit unter der Steuergrenze. Von den 2,5 Millionen ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen, die ein so niedriges Einkommen haben, sind 1,7 Millionen Frauen. Die Forderung, nur jene zu entlasten, die „Steuern zahlen“, war für diese Menschen eine Kampfansage. Denn auch wenn sie keine Lohnsteuer zahlen, so müssen sie sehr wohl Umsatzsteuer und andere Verbrauchssteuern (Mineralöl, Biersteuer etc.) berappen. Und die Teuerungen bei Mieten und Lebensmitteln waren für sie besonders spürbar.
Die Durchsetzung eines höheren Steuerbonus für diese Gruppe war daher ein ganz wichtiger Erfolg. 400 Euro statt bislang 110 Euro pro Jahr können sich die ArbeitnehmerInnen nunmehr zurückholen. Für PensionistInnen gab es bisher keinen Bonus, sie bekommen nun bis zu 110 Euro jährlich. Mittels einer automatischen ArbeitnehmerInnenveranlagung – vulgo Jahresausgleich – soll sichergestellt werden, dass auch wirklich alle zu ihrem Geld kommen, denn bisher mussten sich die Betroffenen das Geld selbst zurückholen, was viele nicht taten. Der Bonus ist ein Beitrag zu mehr Frauen im Erwerbsleben, denn für viele lohnt sich damit die Aufnahme einer Beschäftigung spürbar mehr.

Niedrigerer Einstieg

Bereits zu Beginn der Verhandlungen bestand Einigkeit, dass die erste Steuerstufe zu hoch ist: 36,5 Prozent zahlt man für jeden Euro über der Steuergrenze von 11.000 Euro jährlich. In dieser Stufe liegen fast eine Million ArbeitnehmerInnen, mehr als die Hälfte davon sind Frauen. Sie profitieren von der Senkung dieser ersten Steuerstufe auf 25 Prozent. Positiv wirkt sich auch aus, dass der ArbeitnehmerInnenabsetzbetrag in den Verkehrsabsetzbetrag integriert wird, zudem soll er von bisher 345 Euro auf 400 Euro jährlich ansteigen. Damit werden auch Anreize für die Ausweitung der Arbeitszeit verstärkt, denn das Einkommen erhöht sich damit auch netto – ein wichtiger Aspekt angesichts der hohen Teilzeitquote von Frauen.
Insgesamt ist der neue Steuertarif so gestaltet, dass untere Einkommen prozentuell eine höhere Entlastung haben als hohe Einkommen. So zahlt etwa eine gelernte Floristin mit 1.600 Euro Monatsbrutto um 40 Prozent weniger Lohnsteuer als bisher, eine Sachbearbeiterin bei einer Versicherung mit 2.000 Euro Monatsbrutto zahlt um ein Drittel weniger.
Allerdings profitieren auch hohe Einkommen von der Senkung der niedrigeren Steuersätze, also etwa auch von der Absenkung des Eingangssteuersatzes. In absoluten Beträgen steigt daher die Entlastung mit der Höhe des Einkommens. Die zusätzliche Anhebung der Einstiegsgrenze zum Spitzensteuersatz von 60.000 auf 90.000 Euro war aus frauenpolitischer Sicht nicht notwendig: Der Anteil von weiblichen Arbeitnehmerinnen beträgt in dieser Einkommensliga nicht einmal ein Fünftel.

Väter statt Mütter

Für die Familien wurde von konservativer Seite massiv die Erhöhung des Kinderfreibetrages gefordert, wovon Großverdiener am meisten profitieren. Je niedriger das Einkommen, desto geringer der Vorteil aus dem Freibetrag – für Einkommen unter der Steuergrenze beträgt er null. Nun wird der Kinderfreibetrag von 220 Euro auf 440 Euro jährlich verdoppelt. Aus frauenpolitischer Sicht ist das wenig glücklich. In den meisten Paarfamilien werden wohl die zumeist besser verdienenden Männer diesen in Anspruch nehmen – Alleinerziehende werden hingegen häufig durch die Finger schauen, da ihr Einkommen oft unter der Steuergrenze liegt.
Zumindest sind die Kosten mit 100 Millionen jährlich überschaubar. Dennoch hätte man mit diesem Geld leicht ein zweites kostenloses Kindergartenjahr einführen können, was aus sozial- und bildungspolitischer Sicht die deutlich sinnvollere Maßnahme gewesen wäre.
Aus frauenpolitischer Sicht ist es extrem wichtig, dass die Steuerreform kein Loch ins Budget reißt. Die Leistungen des Sozialstaates sind für Frauen aufgrund ihrer geringeren Einkommen und des hohen Anteils an unbezahlter Betreuungs- und Versorgungsarbeit, den sie leisten, besonders bedeutsam. Zudem war es das erklärte Ziel von ÖGB und AK, dass die ArbeitnehmerInnen sich die Entlastung nicht selbst zahlen – auch nicht über den mangelnden Ausbau von Kinderbetreuung oder Pflegeangeboten.
Um das zu verhindern, wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Gegenfinanzierung getroffen. 850 Millionen sollen über höheren Konsum wieder hereinkommen. Dafür war die Entlastung der unteren Einkommen besonders wichtig, denn diese Mittel werden kaum gespart, sondern fließen direkt in die Wirtschaft zurück.
Weitere 1,9 Milliarden sollen über die Bekämpfung von Steuer- und Sozialbetrug hereinkommen, Stichwort Registrierkassenpflicht, die weitere Lockerung des Bankgeheimnisses sowie mehr Personal für die Finanzämter. Diese Maßnahmen sind allesamt zu begrüßen, denn jede Form von Steuerbetrug verursacht Ungerechtigkeiten und unterhöhlt die Finanzierungsbasis des Sozialstaates. Die lautstarken Proteste dagegen zeigen nur, wie dringend sie notwendig sind.

Nicht nur symbolischer Wert

Die Einführung eines neuen Spitzensteuersatzes von 55 Prozent für Einkommen über einer Million hat nicht nur symbolischen Wert (nur 400 Personen fallen darunter). Sie ist notwendig für die Erhöhung der Kapitalertragssteuer, die laut Verfassung nur die Hälfte des Spitzensteuersatzes betragen darf. Diese und die Anpassungen bei der Grunderwerbsteuer sind im Sinne der ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern sinnvoll, allerdings kaum einträglich.
Die Anhebung der Umsatzsteuer trifft tendenziell Personen mit geringem Einkommen und damit Frauen stärker. Sie ist aber gering und umfasst zudem nur bestimmte Produktgruppen, darunter auch kulturelle Angebote. Tatsächlich ist zu hinterfragen, ob eine generelle steuerliche Begünstigung für BesucherInnen der Wiener Oper oder der Salzburger Festspiele hier der beste Weg ist. Wichtig wäre jedoch eine zielgerichtete Förderung, die Menschen mit finanziellen Engpässen den Zugang zu kulturellen Ereignissen ermöglicht.

Achillesferse

Die Achillesferse in der Gegenfinanzierung sind die 1,1 Milliarden, die in der Verwaltung eingespart werden sollen. Die in solchen Fällen gerne gekürzten sogenannten Ermessensausgaben betreffen nämlich oftmals Projekte, die Beratung und Unterstützung für Frauen, aber auch Jugendliche, Menschen mit Behinderung, MigrantInnen oder andere verletzliche Gruppen anbieten. Pauschale Lohnkürzungen für öffentlich Bedienstete sind auch kein akzeptabler Weg, ebenso wenig wie das lang verhandelte und erst 2014 beschlossene LehrerInnen-Dienstrecht wieder über den Haufen zu werfen. Auch gleichstellungspolitisch ist damit kein Blumentopf zu gewinnen: 70 Prozent des Lehrpersonals sind weiblich.

Feministische Millionärssteuer

Natürlich wäre hier die (Wieder-)Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie einer Vermögenssteuer der bessere Weg. Leider war das bei der konservativen Seite nicht durchsetzbar. Beide Steuern werden aber auf der To-do-Liste bleiben, schließlich geht es laut Österreichischer Nationalbank um 1,3 Billionen Euro. Zum Vergleich: Die gesamte österreichische Wirtschaftsleistung beträgt 330 Milliarden Euro pro Jahr. Zudem sind diese Vermögen nicht nur insgesamt extrem ungleich verteilt, Frauen besitzen im Schnitt um 40 Prozent weniger als Männer. Je höher das Nettovermögen, desto größer der Abstand von Männern zu Frauen. Eine Millionärssteuer macht daher auch aus frauenpolitischer Perspektive sehr viel Sinn.

Internet:
Gender Budgeting im Steuersystem – Broschüre zum Download:
tinyurl.com/lyjrq2e
Verfassungsrechtlich verankertes Prinzip des Gender Budgeting ungenügend umgesetzt:
tinyurl.com/pncf566

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sybille Pirklbauer (Abteilung Frauen und Familie der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695217 Aus frauenpolitischer Sicht sind die Achillesferse in der Gegenfinanzierung die 1,1 Milliarden Euro, die in der Verwaltung eingespart werden sollen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695207 Was bringt die Steuerreform? Was soll die Steuerreform bewirken?
Die ÖsterreicherInnen sollen um bis zu fünf Milliarden Euro entlastet werden – 90 Prozent davon fallen auf kleinere und mittlere Einkommen. Ein guter Teil dieser Steuerentlastung wird in den privaten Konsum fließen. Das soll die Wirtschaft ankurbeln und ist in Zeiten schwacher Konjunktur nötig und wird auch zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Die wichtigsten Eckpunkte:
Der Eingangssteuersatz ist gesenkt worden: Statt wie bisher 36,5 Prozent Lohnsteuer für niedrige Einkommen fallen nur mehr 25 Prozent an. Die bisherigen drei Steuerstufen wurden auf sechs geändert, auch die Sprünge zwischen ihnen verlaufen flacher – damit steigt die Lohnsteuer sanfter an. Die Grenze für den 50-Prozent-Steuersatz wird von 60.000 auf 90.000 Euro pro Jahr angehoben. Der Spitzensteuersatz für Einkommen ab einer Million Euro pro Jahr beträgt nun 55 Prozent. Außerdem wird der steuerliche Kinderfreibetrag von derzeit 220 auf 440 Euro jährlich angehoben, der PendlerInnenzuschlag erhöht.

Profitieren auch Menschen mit Einkommen unterhalb der Steuergrenze?
Menschen, die höchstens 11.000 Euro pro Jahr verdienen, profitieren auch von der Reform. Ein Teil ihrer Sozialausgaben wird als sogenannte Negativsteuer zurückerstattet – das können bis zu 400 Euro jährlich sein, bisher waren es höchstens 110 Euro. Erstmals können auch PensionistInnen, die keine Lohnsteuer zahlen, Negativsteuer erhalten. Das trifft auf rund 600.000 PensionistInnen zu. Der Betrag macht höchstens 110 Euro im Jahr aus.

Ab wann tritt die Steuerreform in Kraft?
Mit dem Jännergehalt 2016. Die Negativsteuer kommt per Jahresausgleich 2016, also für die schnellen AntragstellerInnen Anfang 2017.

Wer profitiert von der Steuerreform?
90 Prozent der Entlastung sollen jenen zugutekommen, die unter 4.500 Euro brutto im Monat verdienen. Eine Familie mit zwei Kindern und zwei Einkommen von 2.700 Euro und 1.000 Euro brutto im Monat erspart sich etwa 1.500 Euro pro Jahr. Doch nicht alle haben die gleiche Ersparnis – in Österreich gilt nämlich ein progressives Steuermodell. Dabei wird abhängig vom Einkommen ansteigend mehr Steuer bezahlt. Wer mehr verdient, zahlt auch einen höheren Anteil seines Einkommens an Steuern. Dafür sorgen aufeinander aufbauende Steuerstufen. Das heißt aber auch: Wird für Geringverdiener der Steuersatz gesenkt, so zahlen auch jene, die ein höheres Einkommen haben, weniger Steuern. Dem könnte entgegengewirkt werden, wenn die höheren Steuerstufen angehoben werden. In dieser Steuerreform zahlen aber nur ArbeitnehmerInnen ab einem Einkommen von einer Million Euro einen höheren Steuersatz als bisher.

Finanziert wird die Steuerreform …
… zu 90 Prozent von Unternehmen, durch Einnahmen aus der Bekämpfung des Steuerbetrugs, durch sinnvolles Sparen beim Staat und durch die Stärkung der Kaufkraft. Eine wichtige Maßnahme im Kampf gegen den Steuerbetrug ist die Einfüh-rung der Registrierkassenpflicht und die Abschaffung des Bankgeheimnisses für Unternehmen. Zudem wurden durch die Anhebung der Kapitalertragssteuer auf Dividenden, durch die Anhebung der Immobilienspekulationssteuer und durch Anpassungen bei der Grunderwerbsteuer auch Schritte bei vermögensbezogenen Steuern gesetzt. Plus: Der Spitzensteuersatz wird auf 55 Prozent angehoben.

Ist die Registrierkassenpflicht sinnvoll?
Alle Betriebe mit einem Jahresumsatz von mehr als 15.000 Euro werden per Gesetz dazu verpflichtet, eine Registrierkasse zu benützen und elektronische Belege auszustellen. Betroffen von der Registrierkassenpflicht sind Branchen, in denen überwiegend bar gezahlt wird (laut Finanzministerium sind das rund 60 Prozent aller heimischen Betriebe, rund 150.000 vorwiegend in den Branchen Gastronomie, Handel und Dienstleistungen). Ausnahmen gibt es etwa für kleine Feste, Frühschoppen, für KleinunternehmerInnen auf öffentlichen Plätzen (z. B. FiakerInnen, EisverkäuferInnen, MaronibraterInnen) oder für mobile Unternehmen wie MasseurInnen und Hebammen. Alle Daten, die WirtInnen oder HändlerInnen in ihre Registrierkassen tippen, werden auf einer Smartcard im Gerät gespeichert. Die Daten werden im Falle einer Betriebsprüfung kontrolliert.

Werden die ArbeitnehmerInnen zur Kasse gebeten?
Die Erhöhung der Umsatzsteuer, oft als Mehrwertsteuer bezeichnet, trifft sie am ehesten. In einigen Produktgruppen wird der Steuersatz dabei von zehn auf 13 Prozent erhöht, darunter fallen etwa Beherbergung, Brennholz, Eintritte für Bäder, Museen oder Kino. Ein Kino-Ticket erhöht sich von sieben Euro auf 7,20 Euro, wenn die Mehrwertsteuererhöhung weitergegeben wird, eine Übernachtung kostet statt 99 Euro dann 102 Euro. Manche Dienstleistungen und Waren behalten den Umsatzsteuersatz von 10 Prozent: etwa Lebensmittel, Mieten und Medikamente. Der Staat verspricht sich jährlich 250 Millionen Euro von diesen Maßnahmen.
Auch bei der ArbeitnehmerInnenveranlagung (Steuerausgleich) gibt es Änderungen, die ArbeitnehmerInnen treffen. Der Topf der Sonderausgaben wird kleiner – Ausgaben für Personenversicherungen, Wohnraumschaffung und Wohnraumsanierung können nicht mehr abgeschrieben werden. Für bestehende Verträge können sie noch fünf Jahre geltend gemacht werden.
Andere Sonderausgaben wie Spenden, Steuerberatungskosten und Beiträge für Kirchen und gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften können weiterhin geltend gemacht werden. Den größten Verlust durch die neue Regelung spüren Alleinstehende, die bisher den Höchstbetrag bei den gestrichenen Sonderausgaben geltend machen konnten. Sie werden auf rund 300 Euro pro Jahr verzichten müssen.

Mit dem Bankgeheimnis neu …
… kann die Finanz nicht leichter in Konten von ArbeitnehmerInnen schnüffeln – sie sind von dieser Maßnahme de facto nicht betroffen. Bei Finanzprüfungen von Unternehmen (z. B. Betriebsprüfungen) dürfen Konten bei den Banken abgefragt werden.
Bisher musste die Finanz bei Betriebsprüfungen eine Kontoöffnung bei Gericht erwirken. Jetzt sollen diese Konten bei Prüfungen sofort abgefragt werden können – ein zentrales Bankkontenregister wird angelegt.

Wen trifft die Anhebung des Kapitalertragssteuersatzes?
Der Kapitalertragssteuersatz (KESt) wird von 25 Prozent auf 27,5 Prozent erhöht. Sparbücher und Girokonten sind von der Anhebung ausgenommen. Diese Steuererhöhung gilt nur auf Erträge aus Dividenden, Anleihen etc.

Wird etwas gegen den Sozialbetrug unternommen?
In dieser Steuerreform wurden auch Maßnahmen gegen Scheinfirmen und Sozialbetrug beschlossen. So wird ein Barzahlungsverbot bei Business-to-Business-(B2B)-Geschäften im Baubereich eingeführt, und es wird mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit und den gewerbsmäßigen Pfusch geben.

Steigen die Mieten durch die Anhebung der Immobilienertragssteuer?
Die Immobilienertragssteuer wurde im Jahr 2012 eingeführt – nun wird sie von 25 auf 30 Prozent erhöht. Sie bezieht sich auf Einkünfte bei Verkäufen von Immobilien und hat nichts mit den Mieteinnahmen zu tun. Ausgenommen von dieser Steuer bleibt weiterhin der Verkauf des Hauptwohnsitzes.

Ist das Vererben eines Hauses jetzt teurer?
Die Grunderwerbsteuer für Erbschaften und Schenkungen wird vom Einheitswert auf den Verkehrswert umgestellt. Die Staffelung des Steuersatzes erfolgt nach dem Wert der Immobilie.
Der Steuersatz bei Grundstücken und Immobilien, die mehr als 400.000 Euro wert sind, steigt von zwei auf 3,5 Prozent. Bei einem Wert von unter 250.000 Euro kommt es zu einer Senkung auf 0,5 Prozent. Dadurch wird bei teuren Immobilienübertragungen ein höherer Beitrag fällig. Bei günstigeren Grundstücken und Häusern ist sogar eine Ersparnis möglich. De facto wird die Schenkung eines Grundstückes in Wien teurer werden, während die Keusche in Eisenerz wahrscheinlich billiger zu übertragen ist.

Internet:
Der Mehr-Netto-Rechner von AK und ÖGB: Berechnen Sie, wie viel nach der Lohnsteuersenkung ab 2016 mehr im Börsel bleibt.
mehrnetto.arbeiterkammer.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor resei@gmx.de oder die Redaktion
aw@oegb.at

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Christian Resei (Freier Journalist) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695198 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695188 Erfolgreich Druck gemacht Wir haben es so satt. Wir verhandeln Lohnerhöhungen nicht mehr nur für den Finanzminister.“ Mit diesen Worten ließ ÖGB-Präsident Erich Foglar Anfang April 2014 im Interview mit dem „Kurier“ aufhorchen. Ein Jahr später hat die Regierung dem Druck von Gewerkschaften und Arbeiterkammer nachgegeben und die größte Steuerreform der Zweiten Republik beschlossen. 84 Prozent des von ÖGB und AK geforderten Entlastungsvolumens werden umgesetzt und sollen ab 2016 in Kraft treten.

„Wir haben es satt“

Aber zunächst noch einmal zurück in den Frühling vor einem Jahr und zum Auslöser von Foglars Empörung: Trotz guter Kollektivvertragsabschlüsse waren die Nettolöhne laut WIFO gesunken. Einer der Gründe dafür war, dass viele ArbeitnehmerInnen durch die Lohnerhöhung in die nächsthöhere Steuerstufe gerutscht waren („kalte Progression“). Österreich war auf dem Weg in den Lohnsteuerstaat, erstmals wurde prognostiziert, dass das Einkommensteueraufkommen höher sein würde als die Einnahmen durch die Umsatzsteuer. BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen berichteten von der schlechten Stimmung in ihren Betrieben. „Wir haben es satt“: Das war der Startschuss für die „Lohnsteuer runter!“-Kampagne des ÖGB. Die AK folgte mit „Lohnsteuer senken“, über 882.000 Menschen sprachen sich schließlich per Unterschrift für eine spürbare Entlastung aus. Das konnte die Politik nicht mehr ignorieren: Hieß es zuerst lange, eine Lohnsteuer-Senkung könne man sich prinzipiell nicht leisten, und erst recht nicht jetzt, so übernahm nun die SPÖ die mittlerweile detailliert ausgearbeiteten Entlastungsforderungen von ÖGB und AK, und schließlich schwenkte auch der Regierungspartner ÖVP auf Entlastungskurs um.
Natürlich wurden die ÖGB/AK-Vorschläge nicht eins zu eins umgesetzt, aber die wesentlichen Eckpunkte hat der Ministerrat am 17. März beschlossen. Von den geforderten 5,9 Milliarden Euro, die AK und ÖGB wollten, werden mit 5 Milliarden Euro immerhin 84 Prozent der Forderung erfüllt. „Damit wird Arbeit endlich entlastet, den Menschen bleibt mehr Geld im Börsel“, freut sich AK-Präsident Rudi Kaske. „Das ist ein Erfolg der Gewerkschaftsbewegung, und darauf können wir zu Recht stolz sein.“

Tarif als Kernstück

Kernstück der Reform ist der Tarif: Niedrigere Steuersätze werden die ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen (sowie auch die Selbstständigen, denn für sie gelten dieselben Steuersätze) entlasten. Unverändert bleibt, dass die ersten 11.000 Euro Jahreseinkommen steuerfrei sind. Für den darüber liegenden Teil des Lohns gilt derzeit der Eingangssteuersatz von 36,5 Prozent. ÖGB und AK haben die Absenkung auf 25 Prozent gefordert, und so soll es nun auch kommen. Das bedeutet eine Entlastung niedriger Einkommen und ist außerdem ein Anreiz, von Teilzeit- zu Vollzeitarbeit zu wechseln, weil dann vom Mehrverdienst drei Viertel überbleiben statt nicht einmal zwei Drittel.
Derzeit gibt es nur drei Steuerstufen: 36,5 Prozent, 43,2 Prozent, 50 Prozent. Künftig werden es, wie von ÖGB und AK gefordert, sechs Stufen sein. „Das macht den Verlauf gleichmäßiger und gerechter“, sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, „und es mildert die Auswirkungen der kalten Progression etwas ab.“

Gerechtere Steuersätze

Die Steuersätze gelten nicht für das gesamte Einkommen, sondern immer nur für bestimmte Einkommensteile. Künftig wird Einkommen zwischen 11.000 und 18.000 Euro mit 25 Prozent besteuert, für den Einkommensteil zwischen 18.000 und 31.000 Euro gelten 35 Prozent, bis 60.000 Euro 42 Prozent, bis 90.000 Euro 48 Prozent. Der bisherige Höchststeuersatz gilt nur für Einkommensbestandteile über 90.000 Euro. Zusätzlich wird befristet ein neuer Steuersatz von 55 Prozent für Menschen mit mehr als einer Million Euro Jahreseinkommen eingeführt.
Falls diese jetzt zu jammern beginnen sollten, dass ihnen das Finanzamt mehr als die Hälfte ihres Einkommens abknöpft: Das ist schlicht falsch, denn die 55 Prozent gelten nur für den Teil des Einkommens, der über der Millionengrenze liegt. Für die ersten 11.000 Euro, die sie im Jahr verdienen, zahlen auch sie keine Lohnsteuer.
90 Prozent des Entlastungsvolumens kommt Menschen mit niedrigeren und mittleren Einkommen zugute, also denjenigen, die bis zur Höchstbeitragsgrundlage verdienen. Diese liegt im Jahr 2015 bei 4.650 Euro im Monat. Wer 2.100 Euro verdient, dem oder der bleiben pro Jahr 900 Euro mehr, die Lohnsteuer sinkt um fast ein Drittel. Die relative Entlastung, also gerechnet in Prozent des Einkommens, ist bei den mittleren Einkommen am höchsten. In absoluten Beträgen steigt die Entlastung aber mit dem Einkommen. Bei den niedrigen Einkommen ist die prozentuelle Senkung der zu bezahlenden Lohnsteuer am höchsten. Wer zu wenig verdient, um lohnsteuerpflichtig zu sein, profitiert von der sogenannten Negativsteuer, die von 110 auf bis zu 400 Euro erhöht wird. Sie soll künftig automatisch ausgezahlt werden. Bisher musste sie über die ArbeitnehmerInnenveranlagung beantragt werden, was sehr viele nicht gemacht haben. Auch PensionistInnen erhalten erstmals eine Negativsteuer in der Höhe von 110 Euro. Noch offen ist und wird von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzestextes abhängen: inwieweit Lehrlinge von der Negativsteuer profitieren.

Entlastung der Familien

Weitere Verbesserungen gibt es für Familien, denn der steuerliche Kinderfreibetrag wird von 220 auf 440 Euro pro Jahr erhöht, und für PendlerInnen mit niedrigen Einkommen (der Pendlerzuschlag wurde erhöht).
Nun versuchen manche, die Entlastung schlechtzureden, indem sie sagen, dass sich die Menschen ihre Entlastung selbst bezahlen müssen. Als Beispiel führen sie an, dass die Mehrwertsteuer ja nun steigen wird. Tatsache ist aber, dass der allgemeine Mehrwertsteuersatz unverändert bei 20 Prozent bleibt, und auch der ermäßigte Satz von zehn Prozent auf Lebensmittel, Mieten und Medikamente bleibt, wie er ist. Nur auf einige Produkte wie Tierfutter, Kinokarten und Hotelübernachtungen werden künftig 13 statt zehn Prozent fällig. Die Mehrkosten, die das für durchschnittliche ArbeitnehmerInnen verursacht, werden bei Weitem nicht die Lohnsteuer-Entlastung wieder auffressen. Ein Beispiel: Einer Angestellten, die im Monat 1.900 Euro brutto verdient, bleibt durch die Lohnsteuerreform eine jährliche Ersparnis von 867 Euro. Bei Hundefutter wird es pro Jahr und Hund zu Mehrkosten von 12,27 Euro kommen.

Finanzierung nicht aus eigener Tasche

Auch die geplante Höherbesteuerung von privat genutzten Firmenautos gilt nur bei großem CO2-Ausstoß – die in Branchen wie der Heimpflege üblichen Wägen wie Golf oder Skoda Octavia sind nicht betroffen. Bei der reformierten Grunderwerbsteuer, die sich nach dem Verkehrs- statt dem Einheitswert richten wird, werden zwar manche mehr zahlen müssen, andere aber deutlich weniger. Letzteres gilt vor allem für Menschen, die Häuser oder Grundstücke in „schlechterer“ Lage mit niedrigen Grundstückspreisen erben. Achitz: „Bei der Gegenfinanzierung hat der ÖGB vor allem eines gefordert: dass sich die ArbeitnehmerInnen ihre Entlastung nicht selbst zahlen werden. Das hat die Regierung auch entsprechend beschlossen. Wir werden aber natürlich bei der Umsetzung im Parlament genau beobachten, dass es dabei bleibt.“
Natürlich hätten sich AK und ÖGB gewünscht, dass ein größerer Teil der Gegenfinanzierung über Beiträge der Millionäre hereingeholt wird. Zwar hat die Regierung vorgesehen, dass Spekulanten über höhere Dividenden- und Immobilienspekulationssteuern zur Kasse gebeten werden und dass Steuersünder besser verfolgt werden können, Stichwort Registrierkassenpflicht und Bankgeheimnis. Um eine echte Besteuerung von Millionenvermögen sowie großen Erbschaften und Schenkungen macht die Regierung aber einen großen Bogen.
„Diese Forderungen sind damit aber sicher nicht vom Tisch. Die Lohnsteuer-Entlastung ist offensichtlich auch ohne Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer finanzierbar. Aber wir werden sie trotzdem brauchen, um den Sozialstaat künftig abzusichern“, hält Achitz fest: „Der ÖGB fordert zum Beispiel, dass die Pflege und Betreuung über Erbschaftssteuern finanziert werden soll.“ Aus Gerechtigkeitsgründen sind diese Steuern sowieso notwendig.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.oegb.at/lohnsteuerrunter
www.arbeiterkammer.at/lohnsteuersenken

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor florian.kraeftner@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Florian Kräftner (ÖGB Kommunikation) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695182 Mehr als 882.000 Unterschriften der ArbeitnehmerInnen haben sie möglich gemacht: die größte Steuerreform der Zweiten Republik. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695165 AK: Mehr Initiativen für mehr Arbeit „Die Wirtschaft redet gerne von einem Beschäftigungsrekord, aber hinter diesem ‚Beschäftigungswunder‘ stehen vor allem Teilzeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse“, kritisiert AK-Präsident Rudi Kaske. „Wir wollen und wir brauchen Vollzeitarbeitsplätze, von denen die Menschen leben können.“ Eine Rekordarbeitslosigkeit von über 400.000 Menschen, die höchste Arbeitslosenquote – noch nie war man so weit vom Ziel einer Vollbeschäftigung entfernt. „Steuerreform und Wohnbaupaket waren erste Schritte, jetzt müssen weitere folgen. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Politik wieder die Arbeitsmarktpolitik in den Fokus stellt.“
Die Budgetsituation ist besser als vielfach dargestellt. Das wichtigste Ziel der EU-Budgetpolitik, ein ausgeglichener struktureller Budgetsaldo, wurde in Österreich bereits 2014 erreicht und damit viel früher als von der Bundesregierung geplant. Der Strategiebericht der Bundesregierung belegt eine Einhaltung dieses Ziels auch in den folgenden Jahren. Deshalb gibt es für Kaske keinen Grund, jetzt nicht Geld in die Hand zu nehmen, um in Bildung, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung zu investieren: „So gewinnen wir zweimal. Einmal, weil wir Werte für die nächsten Generationen schaffen, und zum Zweiten, weil wir damit direkt und unmittelbar Arbeitsplätze sichern und schaffen.“ Die Investitionen sollen durch Kreditaufnahmen des Staates finanziert werden können anstatt durch teure private Finanzierungsmodelle, wie im Juncker-Investitionspaket vorgesehen.“
Der AK-Präsident pocht weiterhin auf die rasche Umsetzung eines wirksamen Bonus-Malus-Modells. „In Sachen höhere Beschäftigung kommt die Wirtschaft freiwillig offenbar ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe nicht nach. Es ist höchst an der Zeit, dass die, die zu wenig Ältere beschäftigen, dafür zahlen.“
In der Bildungspolitik fordert Kaske die soziale Schulfinanzierung. Der AK-Präsident fordert mehr Mittel für Schulen mit besonders vielen SchülerInnen, die mehr Lernunterstützung durch die Schule brauchen. Außerdem muss ein Qualitätsmanagement in der Lehrausbildung gesetzlich verankert werden. Das Nachholen von Lehrabschlüssen und die Berufsreifeprüfung sollen kostenlos möglich sein. Ausgebaut und erhöht werden müssen die Studienbeihilfen. „Wer bei der Bildung spart, spart an der guten Zukunft unserer Kinder.“

Mehr Infos unter:
tinyurl.com/p8prtsx

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Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695162 GPA-djp: Finanzpolitik braucht "goldene Regel" „Alle Versuche, die Krise in Europa zu beenden, sind bisher gescheitert, weil sie nur eine Fortsetzung der rigiden Sparpolitik waren“, kritisierte Wolfgang Katzian beim 16. Konzerneforum der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp).
„Statt immer mehr desselben wirkungslosen Sparzwangs brauchen wir wirksame Instrumente, die den Staaten gerade in Zeiten des Abschwungs die notwendige Luft zum Investieren geben“, forderte der Vorsitzende.
Eine Möglichkeit, die wirtschaftspolitische Sackgasse zu beenden, sei die Einführung einer „goldenen Regel der Finanzpolitik“ bei den budgetpolitischen EU-Vorgaben.  Kern dieser Regel ist es, wachstumsfördernde öffentliche Investitionen vom Sparzwang auszunehmen, um dringend notwendiges Wirtschaftswachstum zu stimulieren und damit die Grundlage für Budgetkonsolidierungen zu schaffen. „Wir können nur aus dieser Krise hinauswachsen, nicht aus ihr herausschrumpfen. Europa ist noch immer der reichste Kontinent dieser Erde. Gerechte Verteilung und Vollbeschäftigung müssen ins Zentrum der europäischen Politik rücken“, so Katzian.
Das Konzerneforum stand unter dem Motto „Europa braucht mehr Gewerkschaft – Gewerkschaft braucht mehr Europa“. Im Mittelpunkt stand die Vernetzung der GPA-djp innerhalb der europäischen und internationalen Gewerkschaftsbewegung. „Gut vernetzte und kooperierende europäische Gewerkschaften werden ein wesentlicher Faktor sein, einen solidarischen Ausweg aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Europa zu finden“, so der GPA-djp-Vorsitzende.


Mehr Infos unter:
tinyurl.com/ncxodeo


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Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695159 ÖGJ: Ausbildungspflicht für Betrieb Eine Verpflichtung der Betriebe, Lehr-plätze anzubieten: So lautete die wichtigste Forderung des frisch wiedergewählten Vorsitzenden der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) Sascha Ernszt. „Die duale Berufsausbildung gerät durch die rückläufige Ausbildungsbereitschaft der Betriebe weiter unter Druck. Lobgesänge auf die Berufsausbildung seitens Politik und Wirtschaft verdecken das Problem, das in wenigen Jahren schwere Folgen haben kann“, kommentierte Ernszt den Leitantrag, der vom ÖGB-Bundesjugendkongress am 25. April beschlossen wurde. Außerdem erneuerte er die ÖGJ-Forderung nach der überfälligen Umsetzung der Fachkräftemilliarde.
Mit 94 Prozent der Stimmen wurde Ernszt beim 34. ÖGB-Bundesjugendkongress erneut zum ÖGJ-Vorsitzenden gewählt. In seiner Antrittsrede sagte er: „Jugendliche wollen arbeiten, aber sie wollen auch das dementsprechende Gehalt und den Respekt dafür.“ In einem Initiativantrag forderte die Mehrheit der 330 Delegierten, dass künftig alle Lehrlinge an Betriebsratswahlen teilnehmen dürfen. Derzeit ist das erst mit 18 Jahren möglich. Die immer wieder geforderte Wahlaltersenkung auf 16 Jahre ist der ÖGJ zu wenig. „Die Mitbestimmung im Betrieb würde dadurch nur bedingt gestärkt werden. Im Jahr 2013 waren 32,2 Prozent aller Lehrlinge 15 Jahre alt. Sie würden von der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre nicht profitieren“, kritisierte Ernszt und forderte: „Alle Lehrlinge sollen den Betriebsrat wählen dürfen.“

Mehr Infos unter:
www.oegj.at

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Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695136 70 Jahre ÖGB: Eine Erfolgsgeschichte Mit einem Festakt hat der ÖGB am 15. April sein 70-jähriges Bestehen gefeiert. Präsident Erich Foglar betonte in seiner Festrede: „Unser Kampf dient immer dazu, Arbeitsbedingungen der Menschen zu verbessern.“ Für Foglar war und ist die Grundlage für den Erfolg des ÖGB und der Sozialpartnerschaft, „das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen“.
Foglar verwies außerdem auf die enorme Vielfalt des ÖGB: „Wir vertreten die Richterin genauso wie den Bauarbeiter.“ Da sei es nicht immer leicht, zu Entscheidungen zu kom-men. „Aber wir sind auch eine Kampforganisation – unser Kampf richtet sich allerdings niemals gegen Menschen, sondern dient immer dazu, deren Arbeitsbedingungen zu verbessern. Unsere Waffen sind Verhandlungsstärke und Solidarität.“
Bundesfrauenvorsitzende Renate Anderl blickte auf „70 Jahre sozialen Frieden und wachsenden Wohlstand“ zurück. Die Gewerkschaft habe diese Entwicklung wesentlich mitbestimmt, „manches wurde auf diplomatischem Wege erreicht, anderes musste mit Protesten oder Streiks hart erkämpft werden“.
Norbert Schnedl (FCG), ÖGB-Vizepräsident, nannte den ÖGB ein Erfolgsmodell für alle ArbeitnehmerInnen: „Die Kollektivvertragsdichte liegt bei 95 Prozent – das ist ein Spitzenwert weltweit.“ Viele soziale und arbeitsrechtliche Errungenschaften, „die heute als selbstverständlich empfunden werden“, gäbe es ohne den ÖGB nicht.

Mehr Infos unter:
www.oegb.at/70jahre

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Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695141 "Hol dir ein Stück vom Kuchen": Mit diesem Motto des ÖGB Steiermark sollte auf den Kampf für Verteilungsgerechtigkeit hingewiesen werden. Den Anschnitt machte der ÖGB-Vorsitzende Horst Schachner. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695146 Auch in Kärnten wurde gefeiert. Unter den vielen Ehrengästen in Kärnten befanden sich Landeshauptmann Peter Kaiser (2. v. l) und seine Stellvertreterin Gaby Schaunig (2. v. r.). http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695128 Standpunkt | Umverteilung der Steuerlast tut not Achthundertfünfzigtausend Menschen! Sapperlot, wer hätte das gedacht? So viele Leute wollen ernsthaft, dass ihnen mehr Geld bleibt?“, ätzte im Herbst der „Kurier“-Journalist Michael Hufnagl auf Facebook über die „Lohnsteuer runter!“-Kampagne von Gewerkschaften und AK. Keine Frage, wenn man es so sieht, scheint es tatsächlich keine große Kunst zu sein, am Ende mehr als 882.000 Menschen überzeugt zu haben, die Lohnsteuersenkung mit einer Unterschrift zu unterstützen. Allein, so einfach liegen die Dinge natürlich nicht.

Fairer Anteil am Wohlstand

„Ich weigere mich, weiterhin Lohnerhöhungen nur für den Finanzminister zu verhandeln“, erklärte ÖGB-Präsident Erich Foglar im Herbst. Hintergrund für seinen Ärger war das Ergebnis einer Wifo-Studie, wonach die von den Gewerkschaften ausverhandelten Lohnerhöhungen faktisch zu Reallohnverlusten führen: „Bei den Bruttolöhnen erreichen wir in den Kollektivvertragsverhandlungen stets ein Plus über der Inflationsrate. Aber sobald die Abgaben und Steuern abgezogen werden, wird daraus ein reales Minus“, so der ÖGB-Präsident. Anders ausgedrückt: Hinter der Forderung nach einer Senkung der Lohnsteuern steckt das legitime Anliegen, dass die ArbeitnehmerInnen einen fairen Anteil an jenem Wohlstand bekommen sollen, an dessen Vermehrung sie Jahr für Jahr kräftig mitwirken.
Das „Mehr im Börserl“, mit dem die Senkung der Lohnsteuer gerne beworben wird, ist allerdings kein Selbstzweck. Dahinter steckt vielmehr der Gedanke, dass die Entlastung der ArbeitnehmerInnen ein wichtiges Element ist, um die Wirtschaft zu beleben. Oder wie es AK-Direktor Werner Muhm im Interview erklärt: „Jetzt haben wir einmal eine Entlastung der Lohnsteuer erreicht, das ist auch eine Entlastung des Faktors Arbeit, und das erhöht die Kaufkraft.“
Eine Umverteilung der Steuerlast: So lautete ein implizites Ziel von Gewerkschaften und AK. Die Reform brachte nur einen sehr kleinen Schritt in diese Richtung: Zwar wurden durchaus Vermögenssteuern angehoben – dies ändert allerdings nur wenig an der Tatsache, dass Österreich weiterhin zu jenen EU-Ländern gehört, in denen die Steuern aus Vermögen einen sehr geringen Anteil am Steueraufkommen ausmachen. Eine solche Struktursteuerreform, wie sie ExpertInnen bezeichnen, bleibt dringend nötig, um weiterhin öffentliche Dienstleistungen finanzieren zu können. Es sind jene Leistungen, die dazu beigetragen haben, dass Österreich einer der wohlhabendsten Staaten in der EU, ja sogar weltweit geworden ist.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber leider: Der Weg in Richtung Chancengleichheit ist weiterhin weit. Beispiel Bildung: Seit vielen Jahren belegen unzählige Studien, dass es Kinder in Österreich enorm schwer haben, auf der Bildungsleiter nach oben zu klettern. Beispiel Frauen: Weiterhin besteht Bedarf am Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, vor allem in ländlichen Regionen. Beispiel Finanzierung der Pflege: Die dort Beschäftigten – meist Frauen, meist Migrantinnen – leisten Schwerstarbeit, ohne dass sich dies in einer entsprechenden Bezahlung niederschlägt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sogar noch zusätzliche Einnahmen brauchen wird, um die Finanzierung der Solidargemeinschaft gewährleisten zu können. Es ist nur fair, dass zu diesem Zweck auch Erbschaften und Schenkungen ganz so wie andere Einkünfte auch besteuert werden.

Ablenkung

Auf konservativer Seite rüstet man in der Hinsicht bereits auf. Vermögenssteuern würden den Wirtschaftsstandort gefährden, Arbeitsplätze vernichten, Unternehmen vertreiben: So lauten die beliebtesten Argumente. Allerdings könnte man stichelnd hinzufügen: „Niemand gibt gerne freiwillig Geld her: Wer hätte das gedacht?“ Es gibt aber sehr wohl gute Gründe dafür!

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695123 Das Kontrastprogramm Nach 1920 schrammte die junge österreichische Republik knapp an einem Staatsbankrott vorbei. Er konnte durch die Garantie des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei für eine österreichische Anleihe abgewendet werden, aber der Preis war hoch. Österreich musste innerhalb von zwei Jahren ein ausgeglichenes Budget erreichen, und zwar ausschließlich durch Kürzung der Staatsausgaben, und rechtskonservative Regierungen spielten kritiklos mit. Das Ergebnis war ein Nulldefizit bei weiterem Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Verarmung auch des Mittelstands.

Wien wurde ab 1920 ein eigenes Bundesland. Seine sozialdemokratische Stadtverwaltung nutzte die Chance, durch eine eigene Steuergesetzgebung ein funktionierendes Gegenmodell zur Austeritätspolitik der Bundesregierungen aufzubauen. Um die leeren Kassen der Stadt aufzufüllen und wieder handlungsfähig zu werden, benötigte man zusätzliche Steuereinnahmen und entschied sich dafür, diese hauptsächlich von den Besitzenden zu holen. Angesichts der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten gab es dazu auch keine Alternative, sollte eine Politik für mehr soziale Gerechtigkeit möglich werden, getragen von dem Grundsatz:

Die Gesellschaft ist gegebenenfalls auch ohne gesetzliche Vorschriften verpflichtet, allen Hilfsbedürftigen umfassende Hilfe zu gewähren.

Als stärkste Einnahmequelle erwies sich die von den Arbeitgebern gemäß der Lohnsumme eingehobene Fürsorgeabgabe und unter den Luxussteuern brachte zunächst die Luxuswarenabgabe am meisten ein, die allerdings mit Einführung der gesamtstaatlichen Warenumsatzsteuer 1923 wieder aufgegeben werde musste. Besondere Symbole für die Umverteilungspolitik von „oben“ nach „unten“ waren die Hauspersonalabgabe ab zwei HausgehilfInnen und die Abgabe auf in Luxuslokalen konsumierte Speisen und Getränke, auch wenn die daraus erzielten Einnahmen vergleichsweise geringer ausfielen. Dieses Maßnahmenpaket bewirkte, dass Wien bereits für die zweite Hälfte des Jahres 1921 einen Budgetüberschuss vorweisen konnte, und ab 1922 wurden über die Hälfte der Steuereinnahmen aus Gemeindeabgaben gedeckt. 1923 kam die Wohnbausteuer dazu, die bei allen MieterInnen – unter Rücksichtnahme auf deren finanzielle Lage – eingehoben wurde und ausschließlich der Durchführung des sozialen Wohnbauprogramms diente. 1927 folgte als Landesbeitrag zu den Notstandsaushilfen für (Langzeit-)Arbeitslose noch eine „Bierabgabe“. Wien kassierte außerdem bis 1930 überdurchschnittlich Mittel aus dem Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern.

Gezielte Destabilisierungsmaßnahmen seitens der immer mehr in Richtung „autoritärer Kurs“ marschierenden Regierungen zogen dann der Wiener Steuerpolitik den Boden unter den Füßen weg, sie konnte so ihr Gegenkonzept in der großen Wirtschaftskrise nicht mehr weiterführen und musste auch bei den Sozialausgaben den Sparstift ansetzen. Robert Danneberg, der letzte demokratisch eingesetzte Finanzstadtrat Wiens vor der Ära des Faschismus, kommentierte dazu trocken:

Der Kapitalismus kann nicht von den Rathäusern aus beseitigt werden.

Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695114 Der "Architekt" der Steuerpolitik des "Roten Wien" war Finanzstadtrat Hugo Breitner, einer der Gründer der Freien Gewerkschaft der Bankangestellten. Die Opposition machte ihn zu ihrer bevorzugten Zielscheibe, antisemitische Untergriffe inklusive. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695106 Fair verteilen statt reduzieren Die Gewerkschaften haben mit der Kampagne „Lohnsteuer runter!“ Druck für eine Steuerentlastung der ArbeitnehmerInnen gemacht. Dabei ist es den Gewerkschaften ausdrücklich nicht darum gegangen, die Steuern insgesamt zu senken. Vielmehr geht es darum, die Steuerlast fairer zu verteilen. Keinesfalls sollte auf den Zug derer aufgesprungen werden, die Steuern prinzipiell für zu hoch erachten und eine Steuerreform v. a. durch Ausgabensenkungen gegenfinanzieren wollen. Der Staat und seine Leistungen werden überwiegend aus Massensteuern finanziert. Demgegenüber sind Vermögen nahezu steuerbefreit und auch Gewinne werden steuerlich wesentlich schonender behandelt. Während die Einnahmen aus Lohnsteuern nicht zuletzt wegen der kalten Progression laufend stärker steigen als die Löhne und Gehälter, ist es bei den Gewinnen umgekehrt: Die Einnahmen aus Gewinnsteuern entwickeln sich langsamer als die Gewinne.
Es geht ÖGB und AK also darum, das Aufkommen der Steuern fairer zu verteilen. Steuern sind notwendig und wichtig, um öffentliche Leistungen zu finanzieren. Ein gutes Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem und eine ausgebaute Infrastruktur sind Werte, die es notwendig machen, Steuern zu zahlen. Dies spiegelt sich in einer hohen gesamtwirtschaftlichen Abgabenquote wider. Öffentliche Leistungen machen die Gesellschaft lebenswerter und gerechter. Aber die Akzeptanz eines Steuersystems hängt auch davon ab, dass die Steuerlast fair verteilt wird und nicht Steuerschlupflöchern und Sonderregelungen für die einen eine sehr hohe Steuerlast für die anderen gegenübersteht.

Ach du liebe Abgabenquote!

VertreterInnen der Wirtschaft und selbst ernannte MittelstandsrepräsentantInnen werden nicht müde zu behaupten, für den Standort Österreich sei eine Senkung der Abgabenquote unerlässlich. Die Abgabenquote setzt das Volumen von Steuern und Sozialabgaben zur jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) in Relation. Die Abgabenquote ist ein Indikator für den Umfang der Staatstätigkeit eines Landes. Sie liefert allerdings keine Information über die Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft.
Für die Neoliberalen ist die Sache relativ einfach: je niedriger die Steuern und je niedriger die Abgabenquote, desto besser. Doch das ist eine verkürzte und ökonomisch völlig unsinnige Sichtweise: Die Abgabenquote misst nämlich nur die Höhe der Abgaben, nicht jedoch, was man dafür bekommt. Sie sagt lediglich etwas über die Kosten des Staates aus und nichts über seinen Nutzen. Somit kann man anhand dieser Maßzahl keine Kosten-Nutzen Analyse vornehmen. Wenn der Staat bestimmte Leistungen effizienter und effektiver erbringt als der freie Markt (z. B. soziale Sicherheit, flächendeckende Gesundheitsversorgung, Bildung), dann ist eine hohe Abgabenquote ausdrücklich einer niedrigen Abgabenquote vorzuziehen.
Neoliberale publizieren regelmäßig den sogenannten Tax Freedom Day, ab dem ein durchschnittlicher österreichischer Steuerzahler genug Geld verdient hat, um die jährlichen Steuern und Abgaben zu zahlen. 2014 war das angeblich der 12. August.1 Das damit unterstellte Bild beeindruckt leider allzu oft: Die „armen Menschen“ in Österreich müssen das halbe Jahr für den Staat arbeiten und erst danach für sich. Aber das stimmt so nicht, denn man erhält täglich öffentliche Leistungen. Auch vor dem 12. August werden Kinder in Schulen und Kindergärten gebildet, werden Menschen gesundheitlich behandelt und nutzt man öffentliche Verkehrsmittel und Straßen. Der Staat versenkt die Abgaben ja nicht in einem schwarzen Loch, sondern finanziert damit öffentliche Leistungen, die der Bevölkerung zugutekommen. Der Tax Freedom Day ist eine Mischung aus Halb- und Falschinformation, denn den Abgaben werden keine Leistungen gegenübergestellt. Die Qualität dieser Aussage ist so seriös, wie wenn man das Körpergewicht eines Menschen unabhängig von der Körpergröße beurteilen würde.

Der hinkende Vergleich

Die Menschen zahlen in Österreich nicht nur höhere Abgaben als in einigen anderen Ländern, sondern sie erhalten auch mehr Leistungen vom Staat, die sie sich woanders erst am Markt zukaufen müssen. Deutschland hat mit 39,6 Prozent eine niedrigere Abgabenquote als Österreich mit 43,9 Prozent. Allerdings ist die soziale Absicherung in Deutschland weitaus schlechter. Arbeitslose landen bald in der Sozialhilfe und die öffentlichen Pensionen sind auch für mittlere Einkommen so gering, dass man oft von Altersarmut betroffen ist.
Dazu ein Vergleich: Die OECD errechnet in Fallbeispielen das Pensionsniveau, das man erhält, wenn man ab dem 20. Lebensjahr bis zum Regelpensionsalter das Durchschnittseinkommen erzielt: In Österreich macht die Bruttopension in diesem Fall 76,6 Prozent des Einkommens aus, in Deutschland bei einem um zwei Jahre späteren Pensionsantritt (weil das Regelpensionsalter auf 67 Jahre angehoben wird) 42 Prozent. Und diese Pensionslücke im Vergleich zu Österreich durch Vorsorgeprodukte zu schließen kommt weitaus teurer als die etwas höheren Sozialversicherungsbeiträge: Arbeitgeber- und ArbeitnehmerInnenbeitrag betragen in Deutschland 18,7 Prozent und in Österreich 22,8 Prozent.

Schön für die Statistik

Was das Sozialsystem nicht leistet, muss man selbst bezahlen. Durch die österreichische Krankenversicherung haben alle Versicherten und ihre Angehörigen Zugang zu medizinischer Versorgung auf hohem Niveau, und das zu Beiträgen unter vier Prozent des Bruttoentgelts. In Ländern mit privaten Versicherungen wie den Niederlanden oder Deutschland ist die Belastung durch die Krankenkassen oft weit höher, aber da es sich um Zahlungen in private Versicherungen handelt, wird das nicht in die Abgabenquote gerechnet. Das ist schön für die Statistik, kommt den Menschen aber oft teurer.
Eine niedrigere Abgabenquote heißt weder, dass es den Menschen in einem Land besser geht, noch dass es wirtschaftlich erfolgreicher ist. Es kommt – wie immer – darauf an, ob die Einnahmen aus den Abgaben sinnvoll eingesetzt werden. Die Länder mit der niedrigsten Abgabenquote in der EU sind Rumänien, Litauen, Lettland und Bulgarien. Unter den Ländern mit der höchsten Abgabenquote befinden sich Dänemark, Schweden, Belgien und Frankreich. Es gibt also gerade unter Ländern mit einer hohen Abgabenquote wirtschaftlich sehr erfolgreiche. Einen einfachen Zusammenhang, der auf „viel Staat muss Wirtschaft und Wohlstand schaden“ hinausläuft, gibt es offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und der Abgabenquote. Dieser drückt aus, dass wirtschaftlicher Fortschritt auch in sozialen Fortschritt umgesetzt wurde.
Aus der Vermögensstudie der Europäischen Zentralbank2 geht hervor, dass in Österreich nur 35,6 Prozent der Haushalte Schulden haben. Zum Vergleich: In der ganzen Eurozone sind es 43,7 Prozent. Die mittlere Verschuldung (Median) lag in Österreich mit 13.800 Euro weitaus niedriger als in der Eurozone mit 21.500 Euro. Das ist der positive Ausdruck des hohen öffentlichen Leistungsniveaus, das in Österreich durch eine hohe Abgabenquote finanziert wird.

Kosten werden solidarisch getragen

Ob es sich um die Bildung der Kinder, eine aufwendige Operation, Arbeitslosigkeit oder die Pension handelt: Die Kosten werden zum großen Teil solidarisch getragen und nicht zum Privatrisiko gemacht. Das ist ein Wert an sich, der es rechtfertigt, Steuern und Abgaben zu zahlen. In den USA ist die Steuerlast für viele geringer. Den Menschen geht es dadurch schlechter und nicht besser: Häufigste Ursache für einen Privatkonkurs ist, dass Menschen eine schwere Krankheit haben. Wer eine gute Ausbildung machen will, muss diese selbst finanzieren. Ohne reiche Eltern muss man Kredite aufnehmen. Folglich beenden viele Menschen hoch verschuldet ihr Studium und zahlen dann jahrzehntelang ihren Bildungskredit zurück. Das zeigt, dass niedrigere Steuern zu weniger statt mehr Freiheit und Sicherheit führen können, von Gerechtigkeit und Chancengleichheit ganz zu schweigen.

1 tinyurl.com/nlgwxnr
2 „The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey. Results from the first wave“, April 2013, S. 51 bis 56.

Nachlese:
Vanessa Mühlböck „Mythos der hohen Abgabenquote“, in: Arbeit&Wirtschaft 10/14.
Markus Marterbauer „Vermögen für Sozialstaat“, in Arbeit&Wirtschaft 10/14.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor david.mum@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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David Mum (Grundlagenabteilung der GPA-djp) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695094 Ob es um die Bildung, eine aufwendige Operation, Arbeitslosigkeit oder die Pension geht: Die Kosten werden zum großen Teil solidarisch getragen und nicht zum Privatrisiko gemacht. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586695075 Die Rechnung ohne den Wirt gemacht? Im Mittelalter unterschied ein Schild zwischen „Wirt mit Schildgerechtigkeit“ oder „Heckenwirt“. Das erste Schild erhielt man nach sorgfältiger Prüfung durch die Obrigkeit. Das zweite Schild hingegen wies darauf hin, dass der Wirt überwiegend abgabenfrei gestellt und eher schlecht beleumundet war. Dieser Tage scheint die Rolle dieser Schilder die Registrierkasse zu übernehmen. Die geplante Einführung manipulationssicherer Registrierkassensysteme für Betriebe mit überwiegend Bareinnahmen (ab einem Jahresnettoumsatz von 15.000 Euro) soll den Mehrwertsteuerbetrug bekämpfen und 900 Millionen Euro einspielen. Dies betrifft zwar alle Branchen, am lautesten aber war die Empörung der Gastronomie. Christoph Matznetter, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes, erklärt sich den Unmut aus der Summe der Maßnahmen in letzter Zeit so: „Der Brocken ist schon enorm“, und gerade das Rauchverbot bringe für Gasthäuser auf dem Land viele Probleme: da „dreht der Letzte dann das Licht ab“.

Beisl ums Eck – bald weg?

Gasthof-Pension Waltner, Wilhelmsburg: PensionistInnen sitzen neben ArbeiterInnen und genießen Hausmannskost. Das Schwein für die Schlachtplatte kommt aus der Region, wird selbst zerlegt und gesurt, die Weine selbst gekeltert, selbst gemachte Säfte und Marmeladen stehen zum Verkauf. Atmosphärisch erinnert es an das von Udo Jürgens besungene „kleine Beisl“: „Die Rechnung steht auf dem Bierdeckel drauf, doch beim Wirt, da hat jeder Kredit.“ Damit ist am 1. Jänner 2016 Schluss. Den Tagesumsatz ermittelte man bisher mittels Kassasturz, ergänzt um schriftliche Einzelaufzeichnungen, kunstfertig stehen Zahlen, Getränke, Speisen nebeneinander. Bei der Finanzamtsprüfung wurden diese mit dem Handy abfotografiert – alles in Ordnung. Das achtköpfige Team gehört zur Familie oder arbeitet schon so lange dort, dass man so gut wie verwandt ist. Insgesamt rechnet Wolfgang Waltner mit Kosten von 15.000 Euro für das neue System. Ärgerlich macht ihn nur ein Punkt: „Wir werden alle als Verbrecher hingestellt. Es ist eine Frechheit, dass die Kleinen die Steuerreform zahlen.“ Seine Kinder werden das Geschäft nicht übernehmen, die „sollen was Gscheites machen“.
„Schwarzarbeit kann doch kein Geschäftsmodell sein“, kommentierte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner die Aufregung der Wirte. Doch Branchenkenner behaupten genau das Gegenteil. „Wenn du ehrlich bist in der Branche, verdienst du nichts“, lautet ihr Urteil. „Wer gekränkelt hat und nur dank Schattenwirtschaft überlebte, bei dem wird durch die Registrierkassenpflicht der Stecker gezogen“, meint auch vida-Vorsitzender Berend Tusch.
Der Tourismus liegt mit ca. 16 Prozent an zweiter Stelle im österreichischen Schattenwirtschafts-Ranking, sagt Friedrich Schneider von der Johannes Kepler Universität Linz. 3,4 Milliarden an Wertschöpfung werden so am Staat vorbeigewirtschaftet. Die Höhe des Schwarzgelds wird äußerst unterschiedlich eingeschätzt. Die AK etwa schätzt, dass ein Drittel der Umsätze schwarz eingefärbt ist. Schneider wiederum, der seit 1999 Repräsentativbefragungen (1.200 Personen) und Makroschätzungen durchführt, schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Umsätze legal sind. Schwarzgeld und Schwarzarbeit gehen Hand in Hand, Gründe dafür gibt es viele. Zu hohe Lohnkosten und Sozialabgaben, kurzzeitig benötigte Aushilfen bei Auslastungsschwankungen, sagt die eine Seite – „besser einen schwarz bezahlten Job als gar keinen“, meint die andere.

Fluchtbranche

„A Wirt ist immer a Treffer“, kommentierte ein Finanzprüfer sein Erscheinen in einem Wiener Gasthaus. Die Zahlen geben ihm recht: 2014 folgten bei den 5.590 überprüften Gastronomiebetrieben 2.110 Anzeigen. Die Finanzpolizei überprüft neben Abgaben- und Finanzstrafrecht vielfältige Vergehen wie Ausländerbeschäftigung und die ASVG-Anmeldung. Seit 16 Jahren kennt Julia Vazny-König von der AK die Arbeitsrechtsfälle im Gastgewerbe: „Früher bezahlte man die Überstunden, heute werden viele nur geringfügig angemeldet und der Rest auf die übliche 60-Stunden-Woche wird schwarz bezahlt.“ Um diesen Eindruck zu überprüfen, führte die AK 2013 eine Stichprobe von 371 Fällen durch, die sich an die Arbeiterkammer gewandt hatten. Bei 45 Prozent stimmte die Lohnabrechnung nicht mit der tatsächlichen Arbeitszeit überein. Wer sich auf diesen Deal einlässt, unterschätzt die negativen Auswirkungen auf die eigene Pension. „Man findet keine anderen Jobs, sagen manche. Andere wissen es gar nicht und erfahren erst beim Arzt, dass sie nicht richtig angemeldet sind.“ Das Gastgewerbe steht in dem Ruf, „Fluchtbranche“ zu sein – ohne viel Vorkenntnisse in den Job rein, Geld verdienen  und wieder raus, viele sehen es als Übergangsjob, und gerade für MigrantInnen ist es ein Einstiegsjob. Die mangelnde berufliche Identität schlägt sich auch in einem niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad nieder. Dies wiederum ist mit ein Grund für die niedrigen Kollektivverträge: Der Mindestlohn liegt bei 1.400 Euro brutto. Mit der Registrierkassenpflicht erfüllt sich eine langjährige Forderung der Gewerkschaft vida. Zur Bewusstseinsbildung der KonsumentInnen für Mehrwertsteuerbetrug führte sie die Aktion „Schick uns deine Rechnung“ durch und verloste unter den TeilnehmerInnen Preise.

Misstrauen auf allen Seiten

Die erste Registrierkasse wurde im Übrigen Ende des 19. Jahrhunderts in den USA gebaut. Trotz guter Besucherfrequenz fehlte dem Saloon-Besitzer in Dayton, James Jacob Ritty, abends Geld in der Kassa. Die Mitarbeiter seines „Pony House“ mussten in die eigene Tasche gearbeitet haben, vermutete er. Ganz so wie sich die Umdrehungen der Schiffsschraube zählen ließen, müsse sich doch auch die Anzahl der Getränke und Speisen mitzählen lassen, überlegte er sich. Aus einer Holzkiste baute er die erste Registrierkasse, die er 1879 zum Patent anmeldete. Jede Bestellung wurde durch Drehen an der Kurbel bestätigt, erst dann öffnete sich – mit lautem Klingeln – die Bargeldlade: Gäste wie Chef waren nun über die registrierte Bestellung informiert. „Es ist eine Tatsache, dass sich vor allem größere Betriebe elektronische Kassensysteme zur Eigenkontrolle angeschafft haben, um zu verhindern, dass sich das Personal heimlich am Umsatz bedient“, so der Fachverband für Gastronomie. Aber selbst Kassensysteme helfen nicht, wenn Küche und Service gezielt kriminell zusammenarbeiten. Deshalb wird in einigen Tiroler Großbetrieben die Bonausgabe videoüberwacht. So wird kontrolliert, ob irgendwelche unauffälligen Vermerke am Bon gemacht werden, die der Verständigung dienen: Dann werden etwa zwei Schnitzel zubereitet und bezahlt, aber nur eines boniert. Bereits bisher war für Betriebe ab einem Umsatz von 150.000 Euro ein Kassensystem vorgeschrieben. Getrickst wurde dennoch: durch einen „Trainingskellner“, Zwischenabrechnungen oder gleich durch ein System mit einem „Schwarzschlüssel“. Diese Manipulationen verunmöglicht der geplante INSIKA-Standard der neuen Regelung. Diese „Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“ bietet über einen Smartcard-Schlüssel eine abgesicherte Verbindung, die alle Transaktionsdetails automatisiert weitergibt, jedes Storno bleibt sichtbar. Zusätzlich zur Rechnungsnummer gibt es einen Code, der die Echtheit der Belege und Vollständigkeit der Aufzeichnung bestätigt. Was allerdings kein Kassensystem verhindern kann, ist die Nichterfassung von Umsätzen. Da hilft nur eines – Vertrauen: gegenüber Personal und GastronomIn. Vertrauen ist Bindemittel unserer Gesellschaft, es fördert Selbstständigkeit wie Arbeitszufriedenheit. Misstrauen ist teuer und führt zu Überwachung und irgendwann zu Stillstand.
Es gehöre zur österreichischen Lebensart, gut (und im europäischen Vergleich) günstig essen zu gehen, meinen viele. Muss man also höhere Preise akzeptieren, wenn man mehr Transparenz und bessere Arbeitsbedingungen haben will? Ja, meint vida-Vorsitzender Berend Tusch, außerdem böte die Billiggastronomie ohnehin keine guten Jobs für ArbeitnehmerInnen. Bei den GastronomInnen wiederum führt ein anderes Thema die Forderungsliste an: die Lohnnebenkosten spürbar zu senken. Diesem schließt sich auch Christoph Matznetter an.

Geschäftsmodell Schwarzgeld?

Dass die Branche schon jetzt unter einem schlechten Image leidet und entsprechend mit Nachwuchsproblemen kämpft, erklärt wohl auch den Unmut bei vielen GastronomInnen. Auch kann es kaum Ziel der Registrierkassenpflicht sein, Wirtsleute in den Ruin zu treiben. Sehr wohl aber wird man sich in der Branche und darüber hinaus überlegen müssen, wie man erreichen kann, dass Schwarzgeld und -arbeit nicht länger das erfolgversprechende Geschäftsmodell in der Branche ist.

Internet:
Klaus Maack (u. a.): Die Zukunft des Gastgewerbes. Reihe Personalarbeit im Betrieb:
www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_188

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info  oder die Redaktion aw@oegb.at

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Beatrix Beneder, Sozialwissenschafterin Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586695057 "Die Rechnung steht auf dem Bierdeckel drauf, doch beim Wirt, da hat jeder Kredit", sang schon Udo Jürgens. Ist damit jetzt Schluss? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586694041 Ja, können wir uns das denn leisten? Fünf Milliarden Euro Entlastung der Arbeitseinkommen: Die Steuerreform 2015/16 bringt Nettolohnsteigerungen zwischen drei und fünf Prozent für die ArbeitnehmerInnen, etwa gleich viel wie zwei durchschnittliche Kollektivvertragsrunden. Alle ArbeitnehmerInnen profitieren, nur BezieherInnen von Einkommen von über 90.000 Euro brutto pro Monat müssen wegen des neuen Spitzensteuersatzes von 55 Prozent leichte Verluste hinnehmen.
Diese markante Erhöhung der Realeinkommen bringt positive Effekte auf die Gesamtwirtschaft mit sich. Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte wird sich laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) real um etwa ein Prozent erhöhen. Das belebt die heimische Wirtschaft, die seit Jahren unter einer anhaltenden Schwäche des Konsums an Gütern und Dienstleistungen leidet. Damit werden auch einige Tausend neue Arbeitsplätze geschaffen. Beschäftigungs- und Einkommenswirkungen der Steuerreform führen dazu, dass sich ein – kleinerer – Teil ihrer Budgetkosten selbst finanziert.

Staatsverschuldung zu hoch?

Doch kann sich der Staat die Entlastung der Arbeitseinkommen überhaupt leisten? Das deutlich überhöhte Niveau der Staatsschulden spricht dagegen: Es ist seit Beginn der von Banken und Finanzmärkten ausgelösten Krise im Jahr 2007 von 65 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 85 Prozent (278 Milliarden Euro) gestiegen. Hauptverantwortlich dafür waren die Einnahmenausfälle infolge der Wirtschaftskrise: Weil die Wirtschaft langsamer wuchs, Einkommen und Beschäftigung nicht wie gewohnt stiegen und bei den Konsumausgaben Zurückhaltung herrschte, schlug sich das in einer Schwäche der Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und damit im Staatshaushalt nieder. Dazu kamen die anhaltend hohen Budgetbelastungen durch die Bankenrettung: Seit 2009 erhöhten sie die Staatsschulden um etwa zwanzig Milliarden Euro. Nach wie vor schlummern die größten Gefahren für den Staatshaushalt im Bankensektor.

Niedriges Zinsniveau

Das hohe Niveau der Staatsschulden ist kurzfristig nicht sehr kostspielig, denn das Zinsniveau ist außerordentlich niedrig. Die Republik zahlt derzeit nur 0,2 Prozent Zinsen für zehnjährige Anleihen. Das dürfte zwar noch ein paar Jahre anhalten, aber nicht ewig. Steigt das Zinsniveau, dann wird auch die Staatsschuld wieder teurer, und das wäre unangenehm. Denn dann sinkt der Spielraum im Budget für sinnvolle Ausgaben, von der Bildung über die Pensionen bis zu den öffentlichen Investitionen.
Österreich hat das EU-Ziel eines strukturellen, um Einmaleffekte und konjunkturelle Schwankungen bereinigten Budgetdefizits von höchstens einem halben Prozent des Bruttoinlandsprodukts bereits 2014 erreicht. Eine schuldenfinanzierte Steuersenkung würde nun alle Konsolidierungsanstrengungen wieder zunichtemachen.
Deshalb ist eine vollständige Gegenfinanzierung der Senkung der Lohn- und Einkommensteuer notwendig. Um ihre Art tobt allerdings ein Kampf zwischen den Ideologien. Für die Konservativen soll das notwendige Kleingeld durch die radikale Kürzung von Staatsausgaben hereingebracht werden. Meist werden hohe Einsparungsvolumina „in der Verwaltung“ geortet. Bestimmt gibt es Verwaltungsbereiche, die besser organisiert werden können, etwa wenn von verschiedenen Gebietskörperschaften unsinnigerweise ähnliche Aufgaben betreut werden. Das gehört so rasch wie möglich reformiert, doch Milliardeneinsparungen sind damit nicht zu erzielen. Verwaltungsausgaben bestehen primär aus Personalkosten. Diese betragen im österreichischen Staatshaushalt insgesamt 29 Milliarden Euro. Es müsste also ein Sechstel aller Personalausgaben gekürzt werden, um die Steuersenkung zu finanzieren. Das wäre weder machbar noch sinnvoll.
In Wahrheit zielt das konservative Konzept deshalb auf Kürzungen in einem ganz anderen Bereich der Staatsausgaben ab: beim Sozialstaat, der fast zwei Drittel aller Staatsausgaben umfasst. Allerdings eröffnet der Sozialstaat allen Menschen den gleichen Zugang zu einer guten sozialen und gesundheitlichen Versorgung und den für das Leben essenziellen Bildungsmöglichkeiten, unabhängig von sozialer Herkunft und Einkommen. Dieses Gleichheitsmoment des Sozialstaates ist manchen ein Ärgernis. Massive Leistungskürzungen bei Pensionen, Gesundheitsversorgung und Arbeitslosenunterstützung sind deshalb Ziel neokonservativer Wirtschaftspolitik.
Diese Losung wurde bereits in den 1980er-Jahren von der Premierministerin Großbritanniens, Margaret Thatcher, ausgegeben, gestützt auf ihren ideologischen Mentor, den Nobelpreisträger Friedrich August Hayek: Die „Eiserne Lady“ senkte zunächst die Steuern und fand dabei Unter-stützung in der Bevölkerung. Ein untragbar hohes Budgetdefizit war die Folge. Es bildete die ideale Basis für das eigentliche Anliegen Thatchers, die Zerstörung des einst vorbildlichen britischen Sozialstaates
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Bekämpfung des Steuerbetrugs

Ein relativ hohes Abgabenniveau ist die unabdingbare Grundlage eines guten Sozialstaates. Deshalb drängten die fortschrittlichen Kräfte in Österreich auf eine Finanzierung der Entlastung der Arbeitseinkommen primär durch Umschichtungen im Steuersystem. Das ist in Teilen gelungen. Vor allem bei der Bekämpfung des Steuerbetruges wurden unerwartet große Fortschritte erzielt. Die Einführung der Registrierkassenpflicht und die Aufhebung des Bankgeheimnisses sind Meilensteine der Betrugsbekämpfung. Sie verhindern, dass z. B. unehrliche WirtInnen Mehrwertsteuer, die die KonsumentInnen bereits gezahlt haben, der Finanz vorenthalten und Schwarzgeld an ihr vorbeischwindeln (siehe Berichte über die Registrierkassenpflicht und Abrechnungen).
Gleichzeitig werden die ehrlichen WirtInnen vor Schmutzkonkurrenz geschützt. Auch bei ÄrztInnen und RechtsanwältInnen und in vielen anderen Wirtschaftsbereichen kann die Praxis, Einkommensteuer durch Ohne-Rechnungs-Geschäfte zu vermeiden, nun wirkungsvoller bekämpft werden.
Mittelfristig sind durch den Kampf gegen Steuerhinterziehung sogar mehr Einnahmen als die budgetierten 1,9 Milliarden Euro möglich. Der französische Ökonom Gabriel Zucman hat eindrucksvoll dargelegt, wie Beträge in der Höhe von Hunderten Milliarden Euro in Steueroasen verschwinden und damit bei der Finanzierung der sozialen Infrastruktur fehlen. Europa kümmert sich nun endlich um die schädlichen Steuerpraktiken von Großunternehmen.
Die Steuerreform bringt auch eine Streichung von steuerlichen Ausnahmen und ein Solidaritätspaket für SpitzenverdienerInnen und VermögensbesitzerInnen, was zusammen zusätzliche Steuereinnahmen von 1,3 Milliarden Euro ergibt. Zusammen mit der Selbstfinanzierung durch höhere Einnahmen werden drei Viertel der Steuersenkung auch auf der Seite der Staatseinnahmen finanziert.
Auf der Seite der Staatseinnahmen bleibt im Rahmen der Steuerreform ein großer Schatz weiterhin ungehoben: jener der Vermögen. Die Millionärshaushalte machen fünf Prozent aus und besitzen ein Vermögen von etwa 750 Milliarden Euro. Dieser Betrag lässt, selbst wenn man geringe Steuersätze unterstellt, erahnen, welche weiteren Entlastungen bei den Arbeitseinkommen möglich wären. Eine Erbschaftssteuer, in der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten Realität, würde die Finanzierung der dringend notwendigen Verbesserungen im Pflegesystem ermöglichen (siehe auch „Eine Klasse für sich").

Ungehobener Schatz Vermögen

Die Steuerreform 2015/16 ist ein wesentlicher Schritt in der Reform des Abgabensystems. Die Gegenfinanzierung durch Betrugsbekämpfung und Ausnahmenstreichung ist sinnvoll und notwendig, um Kürzungen im Sozialstaat zu vermeiden. Das Thema der nächsten Steuerreform liegt bereits auf dem Verhandlungstisch: Erbschafts- und Vermögenssteuern.

Nachlese:
Heft 10/2014 „Globales Geldverstecken“

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Markus Marterbauer (Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586694028 Auf der Seite der Staatseinnahmen bleibt im Rahmen der Steuerreform ein großer Schatz weiterhin ungehoben: jener der Vermögen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586696738 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 18 May 2015 00:00:00 +0200 1431586694014 Vermögenssteuern nicht vom Tisch Zur Person
Werner Muhm  
wurde am 8. April 1950 in Wien geboren. Nach Abschluss seines Studiums der Betriebswirtschaft an der Hochschule für Welthandel arbeitete er zunächst in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien. Ein Jahr später wechselte er in den ÖGB, wo er im volkswirtschaftlichen Referat arbeitete, dessen Leitung er im Jahr 1987 übernahm. Im Jahr 1990 kehrte er als stellvertretender Direktor in die Arbeiterkammer zurück und war für die Bereiche Wirtschaft, Umwelt, Konsumentenschutz und EU-Koordination zuständig. Im Jahr 2001 folgte er Josef Cerny als Direktor der Arbeiterkammer Wien sowie der Bundesarbeitskammer.


 

Arbeit&Wirtschaft: AK und Gewerkschaften haben nicht nur für eine Senkung der Lohnsteuer gekämpft, sondern auch für die Einführung von Vermögenssteuern. Kann man sich über das Ergebnis überhaupt freuen, hat man sich doch in der Hinsicht nicht durchgesetzt?

Werner Muhm: Ich bin überzeugt, dass große Freude angebracht ist, denn wir sind mit mehr als 80 Prozent unserer Forderungen aus den Verhandlungen herausgegangen. Jeder, der einmal Kollektivverträge verhandelt hat, weiß, dass das ein großer Erfolg ist. Ich darf daran erinnern, dass wir eine Lohn- und Einkommensteuersenkung in der Höhe von rund 5,9 Milliarden verlangt haben, und wir sind mit 5 Milliarden aus den Verhandlungen gekommen.
In unserer Kampagne haben wir die Gegenfinanzierung ja nicht in den Vordergrund gestellt, sondern drei Elemente: erstens eine spürbare Entlastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, also mehr Netto vom Brutto.
Zweitens sollten jene Kolleginnen und Kollegen finanziell entlastet werden, die keine Lohnsteuer bezahlen, weil sie so niedrige Einkommen haben – meist aus Teilzeit, in vielen Fällen Frauen. In dem Bereich haben wir eine Entlastung von rund 450 Euro gefordert und sind mit 400 Euro aus der Verhandlung herausgekommen. Auch da glaube ich guten Gewissens sagen zu können, dass das ein großer gemeinsamer Erfolg ist.
Der dritte wesentliche Aspekt für uns war: Wir werden uns diese Lohnsteuersenkung nicht selbst zahlen! Auch das ist durchschlagend in unserem Sinne gelöst.
Ja, es gibt einige kleinere Veränderungen wie beim Haustrunk und vor allem fallen kleine Begünstigungen weg, die es bisher für einzelne Gruppierungen gegeben hat. Auch bei den Sonderausgaben ist es eine kluge Lösung, dass jene, die sie bisher in Anspruch genommen haben, das noch fünf Jahre können, und nur für Neue diese Möglichkeit nicht mehr vorgesehen ist. Ja, das ist unser Beitrag. Aber beim Rest der Gegenfinanzierung kann man wirklich guten Gewissens sagen: Das trifft die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht.

Noch einmal zum Thema Vermögenssteuern: Was sagen Sie jenen, die sich in der Hinsicht mehr erwartet hätten?

Zum Ersten: Es gibt vermögensbezogene Steuern, und es wurde ein weiterer Schritt in diese Richtung getan, etwa wenn ich an die Grunderwerbssteuer neu denke, an die Anhebung der KeSt oder der Immobilienertragssteuer. Es gibt also spürbare Elemente, die rund 400 Millionen bringen – keine vernachlässigbare Größe.
Der zweite ganz wesentliche Punkt ist die Aufhebung des Bankgeheimnisses im Rahmen der Finanz- und Steuerprüfungen. Experten schätzen, dass das Schwarzgeldvolumen ungefähr ein Prozent der gesamten Gelder ausmacht, die in Österreich vorhanden sind. Das sind 400 Milliarden, ein Prozent davon also vier Milliarden. Wenn man den Schwarzgeldberg abarbeitet, wird das in den nächsten vier Jahren also rund zwei Milliarden Euro bringen. Ich finde das schon einen beträchtlichen Beitrag der Vermögenden.
Das Dritte ist die Registrierkassenpflicht, die auch erhebliche Beträge ins Budget bringen wird – und Steuerbetrug ist zu bekämpfen. Die Registrierkasse wird rund 800 bis 900 Millionen bringen, dazu kommen die zwei Milliarden über vier Jahre aus den Schwarzgeldbeständen. Und wo nicht mehr oder viel schwieriger schwarz kassiert werden kann, kann auch viel weniger schwarz bezahlt werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist das also ein ganz wichtiger Durchbruch und Beitrag zur Eindämmung der Schwarzbeschäftigung, weil diese in manchen Branchen fast schon an der Tagesordnung ist.
Lassen Sie mich als Letztes noch sagen: Das Thema Erbschafts- und Schenkungssteuer ist aus Sicht der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer nicht vom Tisch. Denn wenn es in rund 20 Ländern Europas eine Erbschafts- und Schenkungssteuer gibt und wenn in Deutschland die Betriebe deshalb nicht abwandern, gibt es auf Dauer wirklich kein schlüssiges Argument, dass es in Österreich nicht mittelfristig eine Erbschafts- und Schenkungssteuer geben sollte – auch angesichts der Erbengesellschaft, der wir uns zunehmend nähern. Das heißt, wir werden am Ball bleiben.

Die einen sagen, die Mittelschicht wird belastet, die anderen meinen, sie profitiere am meisten, wieder andere sagen, die Superreichen würden profitieren. Was stimmt denn nun?

Wenn man es im Volumen der bisher bezahlten Steuer betrachtet, dann ist völlig klar, dass der untere Bereich am meisten entlastet wird. Die Entlastung macht dort bis zu 50, 60 Prozent der bisher bezahlten Steuern aus. Das reduziert sich schrittweise in den oberen Einkommensgruppierungen. Aber es war auch die Position des ÖGB und der Arbeiterkammern, dass die Entlastung möglichst breit sein soll und auch in die oberen Einkommensschichten hineingeht.
Zugleich war uns wichtig: Wenn auch im oberen Einkommensbereich Entlastungen kommen, dann muss auch im unteren Einkommensbereich eine Entlastung erfolgen, nämlich über die Rückvergütung der Sozialversicherungsbeiträge bzw. die Negativsteuer, wie man historisch gesagt hat, aber auch das ist kein idealer Begriff. Hier haben wir einen wirklich durchschlagenden Erfolg errungen.

Eine Kritik lautet, dass die kalte Progression alles wieder auffrisst. Also alles vergebene Liebesmüh?

Ich gehe davon aus, dass wir einmal wieder eine Steuerreform haben werden. Jetzt lasse ich mir über solche Schlagzeilen nicht die größte Lohnsteuersenkung seit mindestens 40 Jahren schlechtreden.

Eine andere Kritik lautet, dass die Pensionen die Reform wieder auffressen würden.

Bei den Pensionen haben wir klipp und klar gesagt, dass das für uns in der Form kein Thema ist. Wir legen Wert darauf, dass einmal die Dinge umgesetzt werden, die politisch vereinbart sind. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im ASVG-Bereich einen Eigendeckungsgrad von 80 Prozent haben, während 80 Prozent einer Bauernpension aus dem Budget kommen, bei den Selbstständigen sind es 55 Prozent. Wenn man darüber spricht, muss man sehr intensiv darüber sprechen.
Wir haben nach wie vor ein leistungsfähiges öffentliches Umlagesystem für die Pensionen, und das ist gut so. Im österreichischen System – und davon muss man auch die Jungen wieder überzeugen, weil die politische Diskussion so negativ besetzt ist – haben auch die Jungen im Alter eine Pension, von der sie lebensstandardmäßig leben können.

Die Jungen sind ein anderes Stichwort: Profitieren sie eigentlich von der Reform?

Im Prinzip sind sie zu Beginn ihrer Berufslaufbahn in den unteren Einkommenskategorien, also profitieren sie von der Senkung des Eingangssteuersatzes schon einmal ganz klar. Die Lehrlinge sind natürlich auch von der Negativsteuer bzw. der Rückvergütung der Sozialversicherungsbeiträge betroffen. Das ist, glaube ich, eine Sache, die herzeigbar ist.

Kanzler Werner Faymann und Minister Josef Ostermayer meinten kürzlich, dass Sparen bei der Verwaltung Sparen am Personal bedeutet. Schmerzt das als Gewerkschafter?

Ich glaube, da ist die Kommunikation völlig falsch gelaufen. Wir haben eine Förder- und Verwaltungsreform gefordert. Bei der Förderreform werden rund 200 Millionen in Bewegung kommen, bei der Verwaltungsreform werden es vom Bund aus ungefähr 450 bis 500 Millionen sein. Diese Verwaltungsreform kommt also zustande.
In der Diskussion gab es zum Teil Falschmeldungen, zum Beispiel über eine Nulllohnrunde: Mir ist davon nichts bekannt. Allerdings wird in die Einsparungen eingerechnet, dass die Inflation glücklicherweise relativ niedrig ist, niedriger noch als vor einiger Zeit angenommen. Daraus ergibt sich schlüssig, dass die Lohnerhöhungen für den öffentlichen Dienst etwas geringer ausfallen werden.
Darüber hinaus wird in bestimmte Strukturen eingegriffen. Zwei Beispiele: Wenn es weniger Botschaften gibt, werden Verwaltungs- oder Baukosten eingespart. Aber es wird mittelfristig auch weniger Dienstposten geben. Oder es wird überlegt: Es gibt eine Vielzahl von Attachés rund um die Welt, vom Militär über das Sozialministerium bis hin zum Finanzministerium – ich wusste gar nicht, wer aller weltweit Attachés hat. Auch da ist eine Reduzierung angedacht. In diesem Sinne wird es in bestimmten Bereichen auch weniger Beamte geben. Darüber hinaus sind noch andere Maßnahmen in Diskussion, aber nirgends ist angedacht, dass es für den Einzelnen eine Schlechterstellung geben wird.

Heiß diskutiert wurden auch die Schulen, und die sind natürlich personalintensiv …

Ich finde, es gibt gute Argumente, darüber nachzudenken, dass Lehrer und Lehrerinnen mehr Zeit in der Klasse verbringen sollten. Aber, und das ist wichtig, das dazuzusagen: Das geht nicht, ohne dass man ihnen Unterstützung im administrativen Bereich bietet. Es muss sich daraus eine Logik ergeben, dass es beispielsweise auch in den Volksschulen Sekretariatskräfte gibt, die den Lehrern den administrativen Bereich abnehmen. Oder wenn ich mir vorstelle, auch bei anderen Schulen: Wenn ich einen Schulskikurs vorbereite, wenn ich einen Wandertag vorbereite – da gibt es viele administrative Dinge, wo ich der Meinung bin, dass die Lehrer davon entlastet gehören.
Das heißt, über dieses Thema kann man mit der Gewerkschaft und den Lehrern nur dann fair sprechen, wenn es ganz klare Signale im Sinne der Verwaltungsentlastung für die Lehrer gibt. Das bedeutet, dass wir dort zusätzliche Mitarbeiter in der Verwaltung der Schule einstellen müssen.

Kann man so überhaupt Kosten einsparen?

Natürlich spart man Geld ein, denn eine Sekretariatskraft ist zwar sicher eine tüchtige Kraft, aber von der formalen Qualifikation und Einstufung her sicher geringer bezahlt als ein Lehrer. Die grobe Schätzung lautet, dass es 180 Millionen Euro an Einsparung bringt, wenn man die Lehrer eine Stunde mehr in den Unterricht schiebt. Dem muss man die zusätzlichen Aufwendungen für Verwaltungspersonal gegenrechnen, und da ergibt sich sehr wohl ein Einspareffekt.

Manche befürchten nun schon ein neues Sparpaket. Zu Recht?

Dass wir in Österreich und Europa eine Mischung von vernünftigem Sparen und Investieren brauchen, das ist offensichtlich. Auch dass die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer der Meinung sind, dass die europäische Wirtschaftspolitik zu restriktiv angelegt ist und wir mehr öffentliche Investitionen brauchen. Aber ich kann nicht erkennen, dass wir eine Sparpaketsdebatte aus der Steuerreform heraus führen.

Was müsste getan werden, um den Arbeitsmarkt wieder in Schwung zu bringen?

Das ist ein ganz schwieriges Feld, denn man muss erkennen, dass Österreich glücklicherweise nach wie vor eine im internationalen Vergleich sehr niedrige Arbeitslosenrate hat. Wir können sicher noch ein bisschen dazu beitragen, die Wirtschaftsdynamik zu beleben, eben mit öffentlichen Investitionen. Mit der Steuerreform sollte der private Konsum ja gestärkt werden, und die privaten Investitionen springen hoffentlich an. Dazu kommen der günstige Eurokurs, die niedrigen Ölpreise … Das spricht schon dafür, dass wir eine gewisse konjunkturelle Belebung haben.
Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass Österreich für ausländische Arbeitnehmer ein sehr attraktiver Arbeitsmarkt ist. Vor Jahren haben ungefähr zehnmal so viel Österreicher in Deutschland gearbeitet wie Deutsche in Österreich. Die letzten Zahlen sagen, dass die Bilanz inzwischen eine ausgeglichen ist, also so viele Österreicher in Deutschland arbeiten wie Deutsche in Österreich – und das bei einem Land, das zehnmal so groß ist wie wir. Das zeigt, welche Attraktivität der österreichische Arbeitsmarkt hat. Dazu kommt das Arbeiten über die Grenze, wenn ich jetzt an Ungarn oder an die Slowakei denke. Das ist ein Phänomen, dem wir uns stellen müssen.
Das erfordert natürlich auch, dass die gewerkschaftliche Politik mittelfristig wieder das Thema Arbeitszeitverkürzung stärker in den Vordergrund rückt. Denn wir können nicht zuschauen, dass die Arbeitslosenraten steigen. Ich glaube auch, dass bei den Gewerkschaften die Diskussion über die Arbeitszeitverkürzung immer mehr Platz greifen wird. Die PRO-GE hat ja in einigen Branchen wie der Elektroindustrie bestimmte Öffnungs- und Wahlmöglichkeiten eröffnet. Das halte ich für einen klugen Weg.

KritikerInnen meinen, die Steuerreform sei nicht dazu geeignet, die ohnehin schon hohe Abgabenquote zu senken. Was antworten Sie darauf?

Ich muss immer sagen: Ich kann nicht erkennen, dass die Abgabenquote so hoch ist. Was wir immer wieder sagen, ist, dass der Faktor Arbeit in Österreich im internationalen Vergleich nach wie vor relativ hoch belastet ist. Daher bleiben ja für die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer vermögensbezogene Steuern weiter auf der Tagesordnung. Es geht um die Änderung der Steuerstruktur in Österreich. Jetzt haben wir einmal eine Entlastung der Lohnsteuer erreicht, das ist auch eine Entlastung für den Faktor Arbeit und es erhöht die Kaufkraft.
Der Sozialminister hat jetzt außerdem wieder die Initiative ergriffen, insbesondere bei den Familienlastenausgleichsfonds-Beiträgen auf eine Wertschöpfungskomponente umzustellen. Das wäre ebenfalls eine Entlastung der Lohnnebenkosten, weil die Finanzierung auf eine breitere Basis gestellt wird. Diese Dinge bleiben also weiter auf der Tagesordnung und wir werden darum kämpfen.
Außerdem sind Länder mit einer relativ hohen Steuerquote auch Länder, die wirtschaftlich durchaus erfolgreich sind. Denken wir an Finnland, denken wir an Schweden, denken wir an Dänemark.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 4/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1431586693968 AK-Direktor Werner Muhm http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089919146 70 Jahre ÖGB in Zahlen Die Mitglieder: Sie sind das Herz jeder Organisation. Somit ist es auch für den ÖGB eine der größten Herausforderungen, ihre Anzahl (wieder) zu vermehren.
In manchen Branchen gelingt dies, andere Fachgewerkschaften verlieren, wenn auch nur leicht.
Viele Mitglieder sind auch Voraussetzung für Erfolge etwa bei den Lohnverhandlungen. Dass von den Lohnerhöhungen alle ArbeitnehmerInnen
der jeweiligen Branchen profitieren, ist eine österreichische Besonderheit, von der nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Unternehmen profitieren.

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Sonja Adler, Sonja Fercher, ÖGB, und Reinhold Russinger, AK Wien. Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919058 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918448 "Nicht zuletzt" ... Mehr Mut für neue Ideen In der Vergangenheit haben die Gewerkschaften das Leben der Menschen, den Staat und die Gesellschaft entscheidend mitgeprägt. So auch der ÖGB und seine Gewerkschaften in Österreich: gute Kollektivverträge, von denen die allermeisten Menschen profitieren, geregelte Arbeitszeiten, Mindesturlaub u. v. m.
Doch die Welt hat sich verändert und mit ihr die Bedingungen für die Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen. Mitglied bei der Gewerkschaft zu sein ist nicht mehr selbstverständlich. So schön es daher ist, auf die Erfolge in 70 Jahren ÖGB zurückzublicken, so wichtig ist es, in die Zukunft zu schauen und zu fragen: Wie sieht die Interessenvertretung von morgen aus?

Neue Gruppen am Arbeitsmarkt

Wenn von der Krise der Gewerkschaften die Rede ist, sind damit vor allem die sinkenden Mitgliederzahlen gemeint. Dabei stehen die Gewerkschaften in Europa vor ähnlichen Problemen: Ihre Mitgliederstruktur entspricht nicht mehr der Struktur der ArbeitnehmerInnenschaft. Soll heißen: Es gibt nicht nur mehr den männlichen Industriearbeiter – das klassische Gewerkschaftsmitglied –, sondern viele neue Gruppen am Arbeitsmarkt. Schule beenden, Wunschlehre machen und vom Betrieb übernommen werden: Das war einmal. Der Berufseinstieg wird für viele junge Menschen immer holpriger. Immer weniger Unternehmen nehmen Lehrlinge auf. Die Anzahl der ausbildenden Firmen ist in den letzten 20 Jahren stark gesunken. Inzwischen bilden nur mehr 20 Prozent der Betriebe, die ausbilden könnten, auch tatsächlich aus. Und statt Vollzeitarbeitsplätzen vergeben Unternehmen nur mehr Teilzeitjobs und Praktika, die gar nicht oder schlecht bezahlt sind.
So sind es vor allem junge Menschen, Frauen und Hochqualifizierte aus neuen Branchen, die in Gewerkschaften unterrepräsentiert sind. Diese Gruppen kann man über den Betrieb nicht erreichen, auch ist das Image der Gewerkschaften für viele von ihnen wenig anziehend: ein Altmännerverein in grauen Anzügen, der Entscheidungen unter sich trifft. Gewerkschaften brauchen neue Strategien, um Mitglieder zu gewinnen.
In Österreich bindet etwa die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier durch die Interessengemeinschaft work@flex atypisch Beschäftigte und (unfreiwillige) Selbstständige näher an sich. Besonders mit der Plattform „Watchlist Praktikum“ machen sie jungen ArbeitnehmerInnen deutlich, wozu Gewerkschaften noch immer wichtig sind. Und das ist dringend notwendig. Dem ÖGB ist das auch mit der Kampagne „Lohnsteuer runter!“ eindrucksvoll gelungen. Ohne den gemeinsamen Druck von ÖGB, Gewerkschaften, AK und mehr als 882.000 UnterstützerInnen auf die Regierung gäbe es keine Entlastung der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen.

Jugendorganisationen stärken

Um Mitglieder zu gewinnen, müssen auch die Jugendorganisationen gestärkt werden. Wer schon als Jugendlicher Kontakt zur Gewerkschaft hat, hat das auch eher im Alter. Und: Wir müssen erreichen, dass Menschen nicht mehr in die Scheinselbstständigkeit abgeschoben werden. Unternehmen umgehen dadurch Kollektivverträge und halten die ArbeitnehmerInnen von der Gewerkschaft fern. All das sind natürlich nur einige mögliche Wege für starke, zukünftige Gewerkschaften.
In unserer Organisation gibt es viele Ideen, wir müssen nur den Mut haben, sie auch umzusetzen. Denn entgegen der Meinung von KritikerInnen werden Gewerkschaften niemals überflüssig sein, im Gegenteil: Sie sind wichtiger denn je. Die soziale Kluft wird größer, die Spannungen in der Gesellschaft steigen. Für sozialen Frieden brauchen wir starke Gewerkschaften. Und unsere Stärke sind unsere Mitglieder.

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Sascha Ernszt, ÖGJ-Vorsitzender Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918442 Frisch gebloggt Webtipps der Woche

Wir legen euch diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • „Erbschaften und Schenkungen – die Hauptursache für Vermögensungleichheit“ (Sebastian Leitner)
  • „Griechenland war auf gutem Weg?“ (Heiner Flassbeck)
  • „Investor-Staat-Klagen im Finanzsektor: Staaten auf der Verliererbank!“ (Elisabeth Beer)

Reich werden ist keine Leistung

Munition für die Debatte um die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer liefert Sebastian Leitner. Denn es ist zwar bekannt, dass Vermögen in Österreich ungleicher verteilt sind als in allen anderen Ländern der Eurozone. Weniger bekannt ist jedoch, welche Faktoren die Vermögensungleichheit beeinflussen. In einer Studie wurden nun die Ursachen dafür am Beispiel von Immobilien in acht Ländern der Eurozone untersucht. Das wichtigste Ergebnis: Erbschaften und Schenkungen sind der wichtigste Faktor für Vermögensunterschiede – Österreich ist auch hier ein Spitzenreiter in Europa.
Unterschiede im Haushaltseinkommen tragen in Österreich nur 20 Prozent zur Gesamtungleichheit der Bruttovermögen bei – halb so viel wie Erbschaften. Ein gutes Argument dafür, Erbschaften zu besteuern und Arbeit zu entlasten.
Lesen Sie mehr:

blog.arbeit-wirtschaft.at/erbschaften-und-schenkungen-hauptursachen-fuer-vermoegensungleichheit/

Verzerrte Realitätswahrnehmung

In einem Interview Anfang Februar hat der deutsche Bundesfinanzminister Schäuble Griechenlands „auf gutem Weg“ gesehen. Heiner Flassbeck bringt jedoch ein verheerenderes Bild der „Rettung“ zum Vorschein. War Griechenland in den 2000er-Jahren sehr erfolgreich in Sachen Wachstum, ist das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit Beginn der „Hilfen“ um ca. 30 Prozentpunkte gesunken. Das ist ein Rückgang wie in den USA in der Großen Depression der 1930er-Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Flassbeck sieht die Verantwortung dafür überwiegend bei Deutschland. Denn es ist jenes Land, das sich von Beginn der Währungsunion an geweigert hat, die grundlegenden Spielregeln einer solchen Vereinigung zu benennen – und seit Ausbruch der Krise leugnet, dass die Missachtung dieser Spielregeln die Hauptursache der Krise darstellt.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/flassbeck-griechenland/

Investitionsschutz statt Politik?

Können Investitionsschutzbestimmungen politische Entscheidungen zur Begrenzung von Finanz- oder Bankenkrise konterkarieren? Diese wichtige Frage ist aufgrund der insolventen Hypo Alpe Adria auch für Österreich aktuell geworden, wie Elisabeth Beer analysiert. Sie zeigt auf, dass sich die Gläubiger, egal wie Regierungen auf Banken- und Budgetkrisen reagieren, das investierte Risikokapital von den SteuerzahlerInnen holen können, und illustriert das anhand von drei Beispielen aus Belgien, Griechenland/Zypern und Tschechien.
Multinationale Konzerne wie auch internationale Gläubiger setzen Investitionsschutzbestimmungen als Waffe zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen ein, während der Staat nur verlieren kann. Diese sind daher, so Beer, grundsätzlich abzulehnen.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/investitionsschutz-im-finanzsektor-staaten-auf-der-verliererbank/

Darüber hinaus zeigt der letzte Monat die inhaltliche Breite des Blogs: Doris Unfried berichtet, dass die vereinfachten Fluggastrechte nicht eben Vorteile für die KonsumentInnen bringen; Silvia Angelo und Heinz Leitsmüller erläutern, dass die Ablöse der ÖIAG durch die Österreichische Bundes- und Industriebeteiligungsholding, kurz ÖBIB, mehr öffentliche Verantwortung und wirtschaftspolitischen Spielraum bringt, jedoch noch eine Strategie erarbeitet werden muss.
Hans Trenner hat ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die „Erosion des Rechtsstaates“ verfasst, zu der es kommt, wenn Unternehmen Löhne und Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlen, und sieht die Einführung der Registrierkassen als einen wichtigen Schritt; und Sonja Spitzer sieht in ihrem Beitrag „Frauenquote auf Österreichisch“ hierzulande das Problem einer Vogel-Strauß-Politik und konstatiert: Freiwillige Selbstverpflichtung ist ein Widerspruch in sich. Fortschritte wird es nur geben mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben. Es lohnt sich also immer reinzuklicken.

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Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918439 Dreifach hält besser Ich habe gestern gekündigt“, erzählt A. „Aber woher weiß ich, wie viel Arbeitslosengeld mir zusteht? Und wie viel Urlaub bleibt mir überhaupt noch übrig?“ „Ruf doch bei der Arbeiterkammer an, die können dir sicher weiterhelfen.“ ‒ „Ich habe endlich einen Job in einer Werbeagentur, aber nur als freier Dienstnehmer“, freut sich B. „Wie funktioniert das jetzt mit den Steuern und der Versicherung?“ „Geh zur Gewerkschaft, die GPA-djp wird dir das genau erklären.“ ‒ „Ich werde von einer Kollegin gemobbt“, sagt C. „Ich bin am Ende, aber ich weiß nicht, was ich tun soll.“ „Sprich einmal mit deinem Betriebsrat. Er wird dich unterstützen.“

Power-Trio

Mit 2013 zählte Österreich rund 3.620.000 unselbstständig Erwerbstätige. Ihre Interessen werden von einem Power-Trio vertreten, das seinesgleichen sucht: die Kammer für Arbeiter und Angestellte, der Österreichische Gewerkschaftsbund und die Betriebsräte in den einzelnen Unternehmen und Betrieben.
Diese drei Säulen der Vertretung der ArbeitnehmerInnen Österreichs sorgen dafür, dass die Rechte der ArbeitnehmerInnen gewahrt, geschützt und durchgesetzt werden. Das Trio ist neben der Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer ein wesentlicher Teil der österreichischen Sozialpartnerschaft und bestrebt, den sozialen Dialog aufrechtzuerhalten. Einerseits geben sie ArbeitnehmerInnen eine Stimme und betreiben für sie Politik. Auf der anderen Seite stehen sie ihnen mit Informationen, Beratungen und Unterstützung zur Verfügung.
Aber ist es denn überhaupt nötig, dass die Interessenvertretung aus diesen drei Eckpfeilern besteht? Könnten sie nicht auch ohneeinander gut funktionieren? Im Jahr 2011 haben sich vier Betriebsräte im Rahmen der Sozialakademie zum Ziel gemacht, das komplexe Gebilde zu entwirren und die Frage selbst zu beantworten. Die Antwort ist ganz simpel: Nein. Die drei haben nicht nur eigene Rechtsgrundlagen, sondern sie sind eng miteinander verflochten. Sie funktionieren wie Dominosteine: Wird ein Stein gekippt, werden die anderen beiden sehr beeinträchtigt und fangen an zu wackeln.
„Wenn man sich tiefer in die Thematik einarbeitet, wozu es Gewerkschaft, Arbeiterkammer und den Betriebsrat braucht, dann wird eines klar: Die Zusammenarbeit aller drei ist unabdingbar für eine nachhaltige und umfassende Vertretung von ArbeitnehmerInnen. Und das Zusammenspiel ‚der Drei‘ macht auch den Gesamterfolg aus“, sagt Bernadette Kendlbacher, Referentin der Abteilung Service und Information in der AK Wien. Oft wird nicht daran gedacht, dass mithilfe des Trios die Interessen auf gleich drei verschiedenen Ebenen gleichzeitig gewahrt werden: einerseits im Betrieb, andererseits in der Branche und zu guter Letzt auch gegenüber Staat und Politik.

Der Thinktank

Die Arbeiterkammer ist die gesetzliche Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen, deren Mitgliedschaft verpflichtend ist. Gemeinsam mit dem ÖGB vertritt die Arbeiterkammer die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und beruflichen Interessen der ArbeitnehmerInnen, sowohl im rechtlichen als auch im politischen Sinne – vor allem gegenüber staatlichen Institutionen.
Die AK gilt als Denkfabrik („Thinktank“) des Power-Trios, denn während die Gewerkschaften für die Verhandlung der Kollektivverträge sowie Lohn- und Gehaltsabschlüsse zuständig sind, erarbeiten die ExpertInnen der Arbeiterkammer Gesetzesvorschläge und geben Stellungnahmen zu Verordnungen und Gesetzen ab. Die RechtsberaterInnen der Arbeiterkammer unterstützen nicht nur in arbeitsrechtlichen Fragen, sondern auch zu arbeitnehmerrelevanten Themen wie Wohn- und Mietangelegenheiten, KonsumentInnenschutz, Bildung, Umwelt-, Steuer sowie Familienfragen. Sie stehen ArbeitnehmerInnen auch rechtlich zur Seite, indem sie sie vor dem Arbeits- und Sozialgericht vertreten.

Der Aktivist

Im Gegensatz zur Arbeiterkammer ist der überparteiliche ÖGB mit seinen sieben Teilgewerkschaften als Verein registriert und hat daher eine eigene Rechtspersönlichkeit. Obwohl die Mitgliedschaft nicht verpflichtend ist, verzeichnet die Interessenvertretung unselbstständiger Erwerbstätiger rund 1,2 Millionen Mitglieder. Neben der Betreuung seiner Mitglieder in Bezug auf Arbeitsrecht und Arbeitsleben ist das Ziel des ÖGB und seiner Gewerkschaften, die wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer nicht nur gegenüber den Arbeitgebern, sondern auch den Parteien und dem Staat zu vertreten. Dies bedeutet, dass der ÖGB stets Stellung zur aktuellen Entwicklung der Sozialpolitik nimmt oder Gesetze kommentiert, die für ArbeitnehmerInnen relevant sind. Er sorgt dafür, dass durch Initiativen für Generalkollektivverträge oder rechtliche Regelungen die Interessen der ArbeitnehmerInnen gewahrt werden.
Die einzelnen Gewerkschaften wiederum verhandeln Einzel-Betriebs- und Kollektivverträge aus und sind für die Aus- und Weiterbildung der BelegschaftsvertreterInnen verantwortlich. Wenn es hart auf hart kommt und die Politik sich querstellt, mobilisieren die Gewerkschaften ihre Betriebsräte und Mitglieder und machen mit Streiks und Demonstrationen auf die aktuelle Lage aufmerksam. Somit sind die Gewerkschaften im Gegensatz zur Arbeiterkammer eher auf Betriebsebene tätig und kooperieren eng mit den BelegschaftsvertreterInnen zusammen.

Das Sprachrohr

Der Betriebsrat ist das Sprachrohr der Belegschaft eines Unternehmens. In erster Linie sind seine Mitglieder für die ArbeitnehmerInnen in ihrem Betrieb zuständig und stehen ihnen mit Beratung oder Interventionen zur Seite. Allerdings können und sollen BetriebsrätInnen auch die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens verfolgen – denn der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsrat Auskunft zu geben und ihm Einsichten in die Bilanz zu gewähren. Hier wiederum wird die Arbeiterkammer benötigt, die die BelegschaftsvertreterInnen dabei unterstützt und berät. Es steht jedoch fest, dass ohne Betriebsrat, ohne eine von der Belegschaft selbst gewählte Interessenvertretung die Rechte der ArbeitnehmerInnen nicht sichergestellt werden können.
Ohne die BetriebsrätInnen könnte der ÖGB nicht vollständig arbeiten, aber auch die BetriebsrätInnen wären ohne die Expertise und die Unterstützung der Gewerkschaften und Arbeiterkammer deutlich geschwächt.
Wenn es um die Interessen der Belegschaft in einem Unternehmen geht, ist es auf lokaler Ebene ohne einen Betriebsrat nicht machbar. Wenn es um die Interessendurchsetzung von ArbeitnehmerInnen geht, ist der Rückhalt der Gewerkschaft für den Betriebsrat von wesentlicher Bedeutung.
Wenn in einem Unternehmen noch gar kein Betriebsrat existiert, führt der erste Weg immer zur zuständigen Gewerkschaft, die dann bei der Planung und Durchführung der Betriebsratswahl hilft und die beteiligten Personen unterstützt, insbesondere dann, wenn sich die Unternehmensleitung – trotz gesetzlicher Regelung – gegen die Gründung eines Betriebsrates stellt. Somit ist eine Verflechtung mit der Gewerkschaft unvermeidbar, vor allem in der schwierigen Anfangsphase, wenn es darum geht, den Betriebsrat im Unternehmen zu verankern. Aber BetriebsrätInnen vernetzen sich auch untereinander, auf nationaler und internationaler Ebene. Wenn es um die Errichtung eines Europäischen Betriebsrates geht, können die BelegschaftsvertreterInnen auf die Unterstützung des ÖGB zählen.

Füreinander da

Ob Jobwechsel, Kündigung, Mobbing und Diskriminierung am Arbeitsplatz, Fragen zu Steuern, Überstunden oder dem Arbeitsvertrag: Betriebsrat, Gewerkschaften und Arbeiterkammer sind für die ArbeitnehmerInnen da. Und sie sind auch füreinander da, sie bestärken, unterstützen und beraten einander. Selbst wenn einer allein schon stark ist – zu dritt ist man stärker.

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Neu!
Die TeilnehmerInnen der Sozialakademie der Arbeiterkammer (SOZAK) arbeiten im Zuge des Lehrgangs jedes Jahr in Kleingruppen an von den Gewerkschaften beauftragten Projektarbeiten zu unterschiedlichen gewerkschaftspolitisch relevanten Themen. Die Ergebnisse werden als Broschüre, Seminarkonzept oder Folder vom ÖGB-Verlag publiziert. BetriebsrätInnen, GewerkschaftssekretärInnen sowie Interessierte können diese Projektarbeiten im Verlag bestellen (Michael Musser, +43 1 662 32 96-39732, michael.musser@oegbverlag.at). In unserer neuen Serie stellen wir ausgewählte Projektarbeiten vor, die zum jeweiligen Schwerpunktthema des Hefts passen.

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Maja Nizamov (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919181 Zu dritt ist man stärker! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918426 Spannende Allianzen Vor 30 Jahren schienen die Gräben zwischen „neuen Bewegungen“ und dem ÖGB noch unüberwindbar: Angeblich kommunistisch infiltrierte „Besetzer“ hätten schließlich den Kraftwerksbau in Hainburg, durch eine „gegen bestehendes Recht gerichtete Massenbewegung“, verhindert.1 Heute sind GLOBAL 2000, Greenpeace, der Verkehrsclub Österreich oder Attac PartnerInnen von ÖGB und Arbeiterkammern. Was steckt hinter diesem Wandel?

Kalter Wind

„Hainburg“ fiel in eine Phase, in der ein verändertes Umfeld bereits zu einer Schwächung der Sozialpartnerschaft als institutionelle Machtressource der Gewerkschaften geführt hatte.2 Ab Mitte der 1980er-Jahre begannen nicht nur die Mitgliederzahlen langfristig zu sinken. Spektakuläre Fälle wie die Auseinandersetzung rund um das Semperitwerk in Traiskirchen zeigten im folgenden Jahrzehnt plastisch die Herausforderung beim Bestreben, den Erpressungsversuchen eines global agierenden Konzerns etwas entgegenzusetzen. Neoliberale Diskurse, Budgetsanierung und nicht zuletzt das Auftreten der Haider-FPÖ bedeuteten, dass den Interessenvertretungen auch medial bzw. politisch ein kalter Wind entgegenblies. Aber anders als die Gewerkschaften griffen neue (Gegen-)Bewegungen die entsprechenden Themen sehr schnell auf.
Im Herbst 1987 fand die erste österreichweite Demonstration gegen Sozialabbau mit rund 60.000 Teilnehmenden statt. Unter den Demonstrierenden befanden sich zwar auch viele Gewerkschaftsmitglieder, die ÖGB-Strukturen waren damals aber eher bemüht, das Demonstrationsbündnis zu ignorieren. Erste wirkliche Brückenschläge gelangen hingegen bemerkenswerterweise über das spannungsgeladene „Migrationsthema“. Es war das Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren „Österreich zuerst“, welches gerade durch die massive gewerkschaftliche Präsenz zur bis dato größten Manifestation der österreichischen Nachkriegsgeschichte wurde.3 Ebenso begannen in der Folge die Gewerkschaften, Fragen wie das fehlende passive Betriebsratswahlrecht für Nicht-EU-/EWR-BürgerInnen öffentlich zu thematisieren. Eher konfliktreich waren demgegenüber erste Versuche von Menschen mit Migrationserfahrung, ihre Anliegen autonom in der Gewerkschaftsorganisation zu lancieren (siehe auch „(Sprach-)Barrieren abbauen“).4
Der Antritt der ÖVP-FPÖ-Regierung und ihre offenen Versuche, die institutionelle Macht des ÖGB dramatisch zu beschneiden, befeuerten neue Ansätze der Gewerkschaften nachhaltig. Begriffe wie „Organizing“, also (neue) Mitglieder über „ihre Themen“ zu gewinnen und aktiv in gewerkschaftliches Handeln einzubeziehen, wurden zunehmend diskutiert. Die Interessengemeinschaften (IGs), die explizit „einfache“ Mitglieder bzw. sogar Nichtmitglieder in schwer organisierbaren Berufsfeldern direkt in die Gewerkschaftsarbeit einbinden wollen, hatten ebenso bereits ihre Arbeit aufgenommen. Auch die erste ÖGB-Urabstimmung signalisierte ein neues Denken. Gewerkschaftliche Kräfte waren schon bei den breiten Protesten gegen die Regierung im Frühjahr 2000 massiv präsent gewesen. Vor allem im Streikjahr 2003 konnte der ÖGB dann strukturelle Gegenmacht aufbauen. Die öffentliche Wahrnehmung von Gewerkschaften wandelte sich dadurch zumindest temporär massiv. Inhaltlich traf man sich zudem vor allem in der Globalisierungskritik zunehmend mit NGOs wie Attac bzw. internationalen Entwicklungen. Kathrin Niedermoser, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt „Trafo Labour“5, betont die Rolle der Sozialforumsbewegung sowie der „Stopp GATS“-Kampagne. Gerade als Reaktion auf die ÖGB-Krise (2006) sollten neue Ansätze und Kooperationen vorangetrieben werden. Doch wie stellen sich heute die Bilanz und der Status quo dieser Öffnung dar?

Momentaufnahmen

Veronika Kronberger (GPA-djp) berichtet in diesem Kontext: „Ich bin selbst Vorsitzende des Vereins Plattform Generation Praktikum und habe als solche in den letzten Jahren viele positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der GPA-djp gemacht. Die Kommunikation war immer sehr wertschätzend und stets auf Augenhöhe, das ist auch der Grund dafür, warum ich nun selbst seit Dezember 2013 hauptamtliche Sekretärin mit dem Arbeitsfeld ‚atypisch Beschäftigte‘ bei der GPA-djp bin.“ So gesehen sei sie selbst eines von vielen positiven Beispielen für die Zusammenarbeit zwischen NGOs oder Vereinen und der Gewerkschaft. „Eines der ersten Projekte, das ich für die GPA-djp umgesetzt habe und an dem natürlich auch der Verein Plattform Generation Praktikum beteiligt war, ist die ‚Watchlist Praktikum‘. Die GPA-djp steht geschlossen hinter dieser Initiative und bietet volle Unterstützung.“ René Schindler, Bundessekretär der PRO-GE, zieht folgende Bilanz: „Die PRO-GE und andere Gewerkschaften arbeiten seit mehreren Jahren in der Allianz ‚Wege aus der Krise‘, bei ‚UNDOK‘ usw., neuerdings auch bei der Unterstützung von ErntehelferInnen mit NGOs zusammen. Inhaltlich hat sich das sehr bewährt, bei den Mitgliederzahlen bislang nicht. Letzten Herbst haben wir in Tirol mit vielen LeiharbeiterInnen, die keinen Betriebsrat haben, unmittelbar zusammengearbeitet. Das war sehr erfolgreich, auch was Mitgliederzahlen betrifft!“ Nach wie vor würden Gewerkschaften neue Mitglieder aber vor allem über die Betriebsräte werben. Angesichts des Strukturwandels (kleinere Betriebe, atypisch Beschäftigte) sei das durchaus ungünstig.

Gespannter Ausblick

Perspektivisch ist hier festzustellen, dass Gewerkschaften durch entsprechende Kooperationen nicht nur inhaltlich profitieren, indem marktradikalen Kräften argumentativ bzw. in der Öffentlichkeitsarbeit besser begegnet werden kann. Gemeinsame Arbeit bzw. voneinander zu lernen kann auch dabei helfen, dass Interessenvertretungen wieder stärker an „ihre ursprüngliche Entstehung aus Basisbewegungen aktiver ArbeiterInnen anknüpfen“, so Schindler.6  Dem stünde aber die gewerkschaftliche Praxis entgegen – auch aufgrund mangelnder Kampferfahrung –, Konflikte in zentraler und strikt organisierter Form zu führen bzw. führen zu müssen. Anzumerken ist hier allerdings, dass gerade jüngere Beispiele von Arbeitskämpfen in schlecht organisierten Bereichen zeigen, wie wichtig die Partizipation der Betroffenen – sowie des gesamten lokalen Umfelds – für den Streikerfolg ist.7 Ebenso wird von (potenziellen) KooperationspartnerInnen das Führen von Arbeitskämpfen durch die Gewerkschaften in der Regel zwar kritisch, aber grundsätzlich meist sehr solidarisch kommentiert.8
Zwischen traditionellen Strukturen und der Arbeit in Bündnissen bzw. mit neuen (Ziel-)Gruppen können sich somit durchaus Spannungsfelder, aber eben auch Chancen ergeben: „Eine neue Kultur dezentraler, unkontrollierter, aber vom Apparat prinzipiell unterstützter Aktivitäten könnte die Aktionsfähigkeit ausweiten. An sich besteht gerade innerhalb der hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Gewerkschaften durchaus Interesse an lustvollen, kämpferischen Aktivitäten, die eine interessante Alternative zur routinisierten Arbeit darstellen“, meint Schindler9. Grundsätzlich schwieriger könnten sich demgegenüber solche Kooperationen gestalten, wenn Gewerkschaften als Reaktion auf die Krise wieder verstärkt bzw. einseitig versuchen, ihre Position über die Arbeit in den staatlichen Institutionen zu bewahren.  Auch bzw. gerade wenn sie sich als Krisenmanager bewähren sollten, entstehen hier (erneut) Spannungsfelder. Das gilt für das Verhältnis zu externen Organisationen und PartnerInnen – insbesondere dann, wenn diese an die kapitalismuskritischen Bewegungen in Spanien und Griechenland anknüpfen. Das gilt aber wohl auch für die eigenen inhaltlichen Bemühungen, alternative „Wege aus der Krise“ zu entwickeln.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.wege-aus-der-krise.at
trafo-labour.univie.ac.at
www.watchlist-praktikum.at

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1 Vgl.: Hesoun/Pöttschacher, Schwarz-Weißbuch Hainburg, 1985.
2 Die Analyse folgt dem „Jenaer Machtressourcenansatz“. Vgl. dazu: Schmalz, Dörre (Hrsg.): Comeback der Gewerkschaften?: Machtressourcen, innovative Praktiken, internationale Perspektiven, 2013.
3 Vgl. tinyurl.com/qgxymvm
4 Vgl. z. B. die Bilanz der Initiative „Sesam Öffne Dich!“ auf: tinyurl.com/k9yq6ox
5 Vgl. trafo-labour.univie.ac.at. Bei diesem Projekt arbeiten WissenschafterInnen unter der Leitung von Ulrich Brand u. a. gemeinsam mit PRO-GE, GBH, vida und AK an ökologischen Fragestellungen.
6 René Schindler, Strategische Allianzen zwischen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen: Eine Chance zur Wiedergewinnung ideologischer Hegemonie und praktischer politischer Durchsetzungskraft. tinyurl.com/katd94y
7 Vgl. Tagungsdokumentation: Kommt der Streik zurück? tinyurl.com/k4z9l2c
8 Vgl. z. B. Nico Weinmann, Stefan Schmalz, Zwischen Macht und Ohnmacht: Gewerkschaftliche Krisenproteste in Westeuropa, Kurswechsel 1/2014. tinyurl.com/m55cjxn
9 Vgl. tinyurl.com/katd94y

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John Evers (Erwachsenenbildner und Historiker) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919163 Heute sind GLOBAL 2000, Greenpeace, der Verkehrsclub Österreich oder Attac PartnerInnen von ÖGB und Arbeiterkammern. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918417 ÖGB kämpft für AK Die Beschlussfassung über die Gründung eines einheitlichen überparteilichen Gewerkschaftsbundes am 15. April 1945 fand noch vor der „Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs“ der provisorischen österreichischen Staatsregierung unter Staatskanzler Karl Renner am 27. April 1945 statt. Eine der ersten Forderungen des ÖGB unter dem Vorsitz von Johann Böhm, der dem Kabinett Renner als Staatssekretär für soziale Verwaltung angehörte, war die Wiedererrichtung der von den Nationalsozialisten liquidierten Arbeiterkammern.

Die Gründung des ÖGB

Am 7. April 1945 drangen die sowjetischen Truppen von Süden und Westen in das Stadtgebiet von Wien vor. Am Mariahilfer Gürtel leisteten SS-Verbände erbitterten Widerstand. Baugewerkschafter Josef Battisti traf sich mit seinen Kollegen der ehemaligen Freien Gewerkschaften in den Vormittagsstunden des 11. April in seiner Wohnung in der Kenyongasse 3, wie er selbst später erzählte. Die Baugewerkschafter Johann Böhm, Anton Vitzthum und der Holzarbeitergewerkschafter Franz Pfeffer sondierten mit Battisti die Lage angesichts des Vormarsches der sowjetischen Truppen. Die Befreiung Wiens schien unmittelbar bevorzustehen. Nun galt es, die Pläne für eine Rekonstruktion der Gewerkschaftsbewegung in Angriff zu nehmen. Jedenfalls vereinbarte man für den nächsten Tag ein erneutes Treffen. Wiederum wurde beschlossen, sich in einem größeren Kreis über das Vorhaben zu besprechen. Auch der kommunistische Lederarbeiter Gottlieb Fiala und der frühere Obmann der christlichen Eisenbahner Franz Haider erfuhren von dem Treffen und kamen am 13. April ebenfalls in die Kenyongasse. Dies wurde von Johann Böhm zum Anlass genommen, die bereits in den vorangegangenen Gesprächen ventilierte Gründung eines unabhängigen, überparteilichen Gewerkschaftsbundes vorzuschlagen, was denn auch einstimmig beschlossen wurde. Am folgenden Tag wurde der Entwurf eines Statutes des „Österreichischen Gewerkschaftsbundes“ zur Vorbereitung einer für den 15. April angesetzten „Plenartagung der österreichischen Gewerkschaften“ ausgearbeitet.
Im Direktionsgebäude des Westbahnhofs fanden sich am 15. April 1945 33 Gewerkschafter ein, sechs von ihnen waren der ÖVP zuzuordnen, fünf der KPÖ, Lois Weinberger agierte als „Führer der christlichen Fraktion“, die übrigen Personen zählten zum sozialdemokratischen Lager. Schon im Vorhinein war ein erster Entwurf für die Statuten erarbeitet worden, der von den Anwesenden einstimmig angenommen wurde. Als Nächstes stand die Personalfrage auf der Tagesordnung: Johann Böhm wurde als Vorsitzender des ÖGB vorgeschlagen. Nachdem dies sowohl bei Lois Weinberger wie auch bei Leopold Luhan, dem von den Sowjets eingesetzten kommunistischen „Bezirksbürgermeister“ von Penzing, auf Zustimmung stieß, entfiel eine Abstimmung.
Nachdem der ÖGB am 30. April von der sowjetischen Militärkommandantur die formale Genehmigung erhalten hatte, ging es den Wiener Gewerkschaftern vorerst darum, endlich Kontakt zu den KollegInnen aus den Bundesländern aufzunehmen. Nahezu in jedem Bundesland hatten sich im Laufe des Mai 1945 GewerkschafterInnen zusammengefunden und – vielfach unabhängig von Wien – versucht, Grundstrukturen einer einheitlichen überparteilichen Organisation zu schaffen. Allein die notwendige Genehmigung durch die Besatzungsmächte ließ vielerorts auf sich warten und die Verbindungen zwischen den Zonengrenzen konnten erst im Laufe des Frühsommers mühsam hergestellt werden. Es war der Wille aller drei „Gründungsfraktionen“, mit dem ÖGB eine einheitliche Organisation zu schaffen, die alle ArbeiterInnen und Angestellten umfassen sollte. Nach den Erfahrungen der Ersten Republik und in Weitsicht wurde die Gründung von parteigebundenen Richtungsgewerkschaften sowie auch die Etablierung von sich allenfalls bekämpfenden Spartengewerkschaften vermieden. Damals wie heute und in Zukunft galt und gilt, dass nur ein politisch einheitliches Auftreten der ArbeiterInnenschaft die Durchsetzung von ArbeitnehmerInnen-Interessen garantiert. Dazu gehörte es, jenen ExpertInnenapparat wieder zu begründen, der die Durchsetzung von ArbeitnehmerInnen-Interessen in der Gesetzgebung gewährleisten kann.

Die Wirtschaft prescht vor

Für Staatskanzler Karl Renner war die Wiedererrichtung einer Kammerorganisation, bestehend aus den drei großen Kammern für Arbeiter und Angestellte, für Industrie, Handel und Gewerbe und für die Land- und Forstwirtschaft, eine Selbstverständlichkeit, die er mit einem „Kammergrundgesetz“ angehen wollte. Allein, es kam nicht dazu, da die Wirtschaft mit ihrem Wunsch, die ehemaligen nationalsozialistischen „Gauwirtschaftskammern“ wieder in Handelskammern zu überführen, vorpreschte. Wiewohl im Mai 1945 im Kabinettsrat Staatssekretär Johann Böhm den Wunsch äußerte, mit der Errichtung der Handelskammern zuzuwarten, zumal ein Arbeiterkammergesetz in Ausarbeitung war, wurde dem Ansinnen der Wirtschaft mit dem am 25. Mai 1945 beschlossenen „Handelskammer-Überleitungsgesetz“ Rechnung getragen.

Erster Entwurf des AKG

Der erste Entwurf eines Arbeiterkammergesetzes (AKG) 1945 orientierte sich am Gesetz aus dem Jahr 1920, enthielt jedoch vier bedeutende Änderungen: Zum einen wurde nur eine Arbeiterkammer mit Dependancen in den Bundesländern für das gesamte Bundesgebiet vorgeschlagen; zum Zweiten wurden die Land- und Forstarbeiter sowie die Hausgehilfinnen in den Wirkungsbereich der AK miteinbezogen; zum Dritten wurde der Aufgabenbereich durch die Überwachung von Arbeitsschutzvorschriften und die Befugnis, Lehrlings- und Jugendschutzstellen zu errichten, erweitert; zum Vierten sollte die Arbeiterkammer die Arbeitszeiten in den Betrieben überwachen und bei Übertretung der entsprechenden Bestimmungen die Befugnis erhalten, Ordnungsstrafen gegen Arbeitgeber, aber auch gegen ArbeitnehmerInnen zu verhängen. Wie sich alsbald herausstellte, fand der angestrebte Zentralismus nicht die Zustimmung der VertreterInnen der Bundesländer, die „ihre Arbeiterkammer“ und keine Außenstelle haben wollten. Äußerst skeptisch war man auch bezüglich der Befugnis, dass die Kammer Strafen gegen ArbeitnehmerInnen bei Arbeitszeitangelegenheiten verhängen könnte. In den Kreisen der Land- und Forstarbeiter warb man vehement für eine Einbeziehung der Land- und Forstarbeiter in den Wirkungskreis der Arbeiterkammern. Dagegen wehrten sich jedoch die Agrarier mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Böhms Rücktrittsdrohung

Am 3. Juli 1945 legte der ÖGB-Vorsitzende und Staatsrat für soziale Verwaltung dem Ministerrat den Entwurf eines Arbeiterkammergesetzes zur Beschlussfassung vor, in dem die Land- und Forstarbeiter umfassend in das AKG einbezogen waren. Ausgenommen von der Kammerzugehörigkeit sollten nur die „mittätigen Familienangehörigen sowie überhaupt Dienstnehmer in Kleinbetrieben“ sein. Böhm betonte: „Die Arbeiter und Angestellten warten mit Sehnsucht darauf, dass ihnen die Interessenvertretung gegeben wird, auf die sie Anspruch erheben können.“ Der Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft Rudolf Buchinger sah damit jedoch die ArbeitnehmerInnen einer Reihe von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben entzogen und verlangte eine Vertagung, welcher Böhm „nur schwersten Herzens“ zustimmte, „weil ich mir dessen bewusst bin, dass morgen der gesamte Gewerkschaftsbund mich fragen wird, was mit dem Kammergesetz ist“.
Am 10. Juli 1945 wurden ohne längere Diskussion die früheren österreichischen Rechtsvorschriften über die Landwirtschaftskammern wieder in Wirksamkeit gesetzt. Dennoch versuchten die Agrarier weiterhin, das AKG zu verzögern. Als Staatssekretär Leopold Figl im Ministerrat am 20. Juli 1945 erneut die Vertagung der Beschlussfassung über das AKG forderte, platzte Johann Böhm, der wohl nicht zu Unrecht eine „systematische Verschleppung“ der Angelegenheit vermutete, der Kragen: „Ich gehe da nicht mehr mit. Entweder wird das Kammergesetz verabschiedet oder ich lege meine Stelle als Staatssekretär für soziale Verwaltung zurück.“ Nach einem ungewohnt scharfen Wortwechsel zwischen Figl und Böhm wurde das AKG 1945 unter Einbeziehung von ArbeitnehmerInnen von Großbetrieben und Genossenschaften der Land- und Forstwirtschaft beschlossen.

Die Rache der Agrarier

Während in der Wiener Arbeiterkammer ein Ausschuss für land- und forstwirtschaftliche Belange eingerichtet wurde, wollten sich die Agrarier mit dem Verlust ihrer DienstnehmerInnen nicht zufriedengeben. 1946 gliederten die Vorarlberger die landwirtschaftliche Arbeiterschaft in ihre Bauernkammer ein. Ein Antrag der Bundesregierung auf Aufhebung dieser Bestimmung dieses Vorarlberger Landesgesetzes wurde vom Verfassungsgerichtshof abgewiesen, denn nach der im Oktober 1945 wieder in Kraft getretenen Bestimmung der Bundesverfassung 1929 fielen berufliche Vertretungen auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet in die Kompetenz der Länder. In der Folge kam es denn auch in allen Bundesländern mit Ausnahme von Wien und dem Burgenland zur Gründung von zum Teil selbstständigen Landarbeiterkammern.

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Klaus-Dieter Mulley (Institut für Geschichte der Gewerkschaften und AK) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919152 Warten auf die Schuhausgabe vor dem AK-ÖGB-Gebäude in der Wiener Ebendorferstraße 1946. AK und ÖGB organisierten in den Nachkriegsjahren mit ausländischer Hilfe Lebensmittel und Bekleidung für ArbeitnehmerInnen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918408 EGB - quo vadis? Als der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) im Jahr 1973 aus der Taufe gehoben wurde, entsprachen die politischen Rahmenbedingungen in Europa nicht ansatzweise den heutigen. Das Ziel war damals, die (westeuropäischen) Gewerkschaftsbünde aus der Europäischen Gemeinschaft und der EFTA unter einem Dach zu vereinen, um die Interessen der ArbeitnehmerInnen in beiden Wirtschaftsräumen koordinierter zu vertreten. Am Ende waren es 17 Gewerkschaftsbünde aus 15 Staaten, die sich am 8. und 9. Februar 1973 bei der Gründungsversammlung in Brüssel zum EGB zusammengeschlossen hatten, darunter von Beginn an der ÖGB. Erstmals konnte im EGB auch die Spaltung in verschiedene Richtungsgewerkschaften überwunden werden – eine Errungenschaft, die sich bis heute gehalten hat. So ist der EGB die einheitliche Dachorganisation, in der sich alle demokratischen Gewerkschaftsbünde Europas sammeln, von christlich orientierten bis zu linkssozialistischen.

ÖGB stark vertreten

Seit 1984 ist der ÖGB stets mit zwei Mitgliedern im Vorstand des EGB vertreten, zunächst durch seinen Leitenden Sekretär Alfred Ströer und den Internationalen Sekretär Karl-Heinz Nachtnebel. Ab 1987 saßen für den ÖGB der damalige Präsident Fritz Verzetnitsch und Karl-Heinz Nachtnebel im EGB-Vorstand, wobei Verzetnitsch zunächst Vizepräsident (1988–1993) wurde und anschließend von 1993 bis 2003 als Präsident des EGB amtierte. Bis heute spielt der ÖGB eine wichtige Rolle im EGB und ist seit 2008 durch seinen Präsidenten Erich Foglar ununterbrochen im EGB-Präsidium vertreten, dem engsten Führungsgremium des EGB.

Gewerkschaftlichen Einfluss sichern

Heute ist der EGB eine ganz andere Organisation als 1973 und vertritt weit über 50 Millionen ArbeitnehmerInnen aus ganz Europa. Ihm gehören inzwischen 90 Mitgliedsbünde aus 39 Ländern sowie 10 europäische Branchengewerkschaftsbünde an.
Spätestens mit dem EU-Beitritt hat sich auch die Rolle des ÖGB im EGB deutlich gewandelt. Weichenstellungen für die Wirtschafts- und Sozialpolitik erfolgen zunehmend in Brüssel, auch der europäische Soziale Dialog gab einige Jahre wichtige Impulse. Damit war aber klar, dass sich die Mitarbeit im EGB nicht länger in der Verabschiedung von Resolutionen erschöpfen kann. Vielmehr müssen Positionen und Strategien erarbeitet werden, mit denen der EGB sich gegenüber Kommission, EU-Parlament und Rat einbringt, damit die Interessen der ArbeitnehmerInnen im Binnenmarkt nicht gänzlich untergehen.
Was aber ebenso wichtig ist: Viele Gewerkschaftsbünde und auch der EGB selbst schauen immer wieder mit großem Respekt auf den 70 Jahre alten ÖGB. Immerhin ist er bis heute eine schlagkräftige und geeinte Gewerkschaftsbewegung, die – gemeinsam mit der Arbeiterkammer – über einen politischen Einfluss verfügt wie kaum eine Gewerkschaft in einem anderen Land. Die erfolgreiche Kampagne für eine Steuerreform hat dies wieder einmal bewiesen. Von diesem Einfluss können die ArbeitnehmerInnen in vielen Ländern nur träumen, wo sich die Gewerkschaften seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise häufig gegen zunehmende Angriffe auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen wehren müssen. Und schließlich ist es der EGB selbst, der derzeit seine Rolle in einer EU sucht, die durch konservativ-liberale Regierungen geprägt ist und in der Entscheidungen häufig an den Sozialpartnern vorbei getroffen werden.

EGB sucht seine Rolle

Der EGB wird vom 29. September bis 2. Oktober seinen 13. Kongress in Paris abhalten. Neuer Generalsekretär soll der Italiener Luca Visentini werden, der seit 2011 dem EGB-Sekretariat als politischer Sekretär angehört. In einer Teamlösung soll Visentini den EGB gemeinsam mit seinen StellvertreterInnen Peter Scherrer (Deutschland) und Veronica Nilsson (Schweden) führen. Ebenso intensiv wird derzeit über die künftige Rolle des EGB diskutiert. Soll er weiter den Anspruch erheben, sich mit möglichst allen Themen zu befassen, die für ArbeitnehmerInnen relevant sind? Oder soll er sich schwerpunktmäßig auf einige Kernthemen konzentrieren, die gemeinsam auf europäischer Ebene vertreten werden können? Welche Instrumente soll der EGB nutzen: Demonstrationen und europaweite Aktionstage, Kampagnen? Oder soll er sich auf die Interessenvertretung (das „Lobbying“) gegenüber den Institutionen beschränken?
Aus Sicht des ÖGB wäre es jedenfalls wünschenswert, dass der EGB gegenüber den EU-Institutionen zu einem größeren Machtfaktor wird, an dem man nicht einfach „vorbeiregieren“ kann. Dazu wäre aber eine Stärkung des EGB notwendig, die nur durch seine Mitgliedsbünde erfolgen kann. Der EGB sollte auch durch Gewerkschaftsvorsitzende aus den Mitgliedstaaten repräsentiert werden, die gegenüber der Kommission oder dem Parlament auftreten. Das Ziel muss eine echte europäische Sozialpartnerschaft sein, in der die europäischen Sozialpartner eng in die Entscheidungsfindung eingebunden werden. Leider sind wir von diesem Ziel noch weit entfernt: Obwohl die neue Kommission kürzlich einen „Neustart“ für den Sozialen Dialog angekündigt hat, lässt die Praxis häufig zu wünschen übrig.

Zunehmende soziale Unterschiede

Eine weitere Hürde für gemeinsame politische Ziele, für die der EGB in der EU kämpfen könnte, sind die zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Gemeinsame „soziale Mindeststandards“ galten einst als bestes Instrument gegen einen Wettlauf um die niedrigsten Standards im Binnenmarkt. Sie sind aber immer schwerer auf einem ambitionierten Niveau durchsetzbar in einer EU, die von Bulgarien bis Schweden reicht – noch dazu in einer EU, deren nationaler Mindestlohn von kaum mehr als 1(!) Euro pro Stunde in Bulgarien bis über 11 Euro in Luxemburg reicht. Niemand sollte deshalb erwarten, dass der EGB mit seinen begrenzten Ressourcen in absehbarer Zeit eine Art gemeinsame Sozialunion durchsetzen kann. Die wichtigste Aufgabe des EGB bleibt weiterhin, ein einheitliches und solidarisches Handeln der europäischen Gewerkschaften zu gewährleisten, gerade in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen in einigen Mitgliedstaaten. Die 1973 erreichte Geschlossenheit der europäischen Gewerkschaftsbewegung innerhalb des EGB muss weiter gesichert werden.

Gleicher Stellenwert für Soziales

Politisch sollte der EGB sich in den nächsten Jahren auf einige wichtige Kernthemen und Ziele konzentrieren, die national nicht zu erreichen sind. Hierzu gehört an allererster Stelle der Kampf gegen grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping.
Gerade Österreich zeigt, dass flächendeckende Kollektivverträge und ein Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping viel bewirken können, aber häufig an den nationalen Grenzen haltmachen müssen. Hier ist die EU gefordert, damit nationale soziale Standards endlich auch gegenüber ausländischen Unternehmen durchgesetzt werden können. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ darf nicht länger nur auf dem Papier stehen, sondern muss auch in der Praxis garantiert werden, zum Beispiel durch eine Verschärfung der Entsenderichtlinie.

Sozialprotokoll durchsetzen

Mittelfristig geht an einer Änderung der EU-Verträge kein Weg vorbei: In einem Sozialprotokoll muss festgeschrieben werden, dass die sozialen Grundrechte den wirtschaftlichen Marktfreiheiten im Binnenmarkt nicht länger untergeordnet werden dürfen.
Erst kürzlich haben ÖGB, DGB und der schwedische Gewerkschaftsbund LO eine gemeinsame Initiative mit den sozialdemokratischen Parteien ihrer Länder gestartet, um konkrete Schritte auf diesem Weg zu vereinbaren. Auch diese Initiative wird aber am Ende nur dann erfolgreich sein, wenn sie vom EGB und allen europäischen Gewerkschaften gemeinsam getragen wird.

Internet:
ÖGB Europabüro:
www.oegb-eu.at
Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB):
www.etuc.org

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Oliver Röpke (Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel und Mitglied im EGB-Vorstand) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919118 Am 9. Februar 1973 fand in Brüssel die Gründungsversammlung des Europäischen Gewerkschaftsbundes statt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918405 Mit kleinen Schritten Sich für Frauenfragen zu engagieren bedeutet auch heute noch, gegen Vorurteile, Klischees, Witzeleien und mehr oder weniger deutliche Ressentiments ankämpfen zu müssen. So galt etwa bis vor wenigen Jahren noch Bildung als eine Art „Sesam, öffne dich“ für die gläserne Decke. Jetzt haben Frauen bildungsmäßig zwar aufgeholt, aber Top-Managerinnen und weibliche Vorstandsmitglieder sind längst noch nicht Alltag, und auch den Gender Pay Gap gibt es nach wie vor. Unter anderem, weil wir angeblich die falschen Berufe wählen, uns nicht für Technik interessieren oder einfach zu zurückhaltend, zu bequem oder zu harmoniebedürftig sind für Top-Jobs …
Immerhin, seit dem ersten ÖGB-Frauen-Kongress im Jahr 1951 hat sich einiges verändert: Mutterschutz und Karenz- bzw. Kinderbetreuungsgeld sind längst selbstverständlich, seit 1989 ist auch die Väter-Karenz möglich. 2002 wurde das 1969 eingeführte Nachtarbeitsverbot für Frauen entsprechend dem Gleichbehandlungsgesetz abgeschafft, 2004 wurde die Elternteilzeit eingeführt.

Gleich oder gleichwertig?

Doch Einkommensgerechtigkeit ist nach wie vor nicht erreicht. Bereits 1953 wurde das ILO-Abkommen „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ vom österreichischen Parlament ratifiziert – und ist bis heute noch nicht in allen Bereichen umgesetzt. Ist es tatsächlich schwieriger oder verantwortungsvoller, eine Abteilung mit zehn MitarbeiterInnen zu leiten, als eine Kindergruppe zu betreuen? Ist die Arbeit von KrankenpflegerInnen weniger wert als die von PolizistInnen? Aufgrund der sowohl im Alltagsverständnis als auch in der Arbeitswissenschaft geltenden Annahme, Frauen seien für „leichte“ Arbeit besser geeignet als Männer, wird meist der Umkehrschluss gezogen, Frauenarbeit sei generell leichte Arbeit. Schwere Arbeit wird nach wie vor mit typisch männlichen Tätigkeiten wie etwa im Straßen- oder Wohnungsbau gleichgesetzt. Emotionale Anstrengungen wie Freundlichkeitsdruck oder die Arbeit im sozialen Bereich werden gemeinhin kaum als schwere Arbeit angesehen. Diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung und -organisation – für die es im Übrigen bereits innovative Methoden und Instrumente gibt – ermöglichen tatsächliche Einkommensgerechtigkeit. Edeltraud Ranftl, Soziologin und Expertin für Gleichstellungspolitik an der Johannes Kepler Universität Linz, plädiert dafür, Tätigkeiten gezielt mittels standardisierter Systeme zu analysieren und zu vergleichen: „In Belgien etwa sind die Interessenvertretungen seit 2012 gesetzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Evaluierung und Klassifizierung von Funktionen zu setzen.“
Sinnvoll seien auch einheitliche Bewertungssysteme für ArbeiterInnen und Angestellte. In Österreich gebe es allgemein noch einigen Informationsbedarf, was gleichwertige Arbeit überhaupt bedeutet. Viele Unternehmen wären überzeugt, ohnehin nur nach objektiven Kriterien zu beurteilen und einzustufen und erkennen Diskriminierungspotenziale nicht. „Dieses komplexe Thema sollte nicht nur im Rahmen der üblichen Kollektivvertragsverhandlungen abgehandelt werden. Um es wirklich voranzubringen, wären nationale sektorale Konferenzen sinnvoll.“

Wichtiger Schritt

Im März 2011, eine Woche vor dem 100. Weltfrauentag, trat das neue österreichische Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Seitdem muss in Stelleninseraten der Mindestlohn laut KV angeführt werden und Betriebe müssen die Durchschnittseinkommen von Frauen und Männern offenlegen. Anfangs waren nur Unternehmen mit mehr als 1.000 MitarbeiterInnen zu Einkommensberichten verpflichtet, seit 2014 müssen die Berichte von allen Betrieben mit mehr als 150 Beschäftigten erstellt werden.
Eine IFES-Umfrage zu den Einkommensberichten Anfang 2012, also kurz nach der Gesetzesänderung, bestätigte nicht nur den Handlungsbedarf, sondern auch den Gender Pay Gap. Demnach war jede dritte Arbeitnehmerin falsch eingestuft. Während rund 50 Prozent der Männer ihr Gehalt beim Eintritt mit dem Dienstgeber verhandelt hatten, waren es bei den Frauen nur circa 25 Prozent.
2014 befragten AK und ÖGB BetriebsrätInnen zu ihren Erfahrungen mit Einkommensberichten. In jeweils einem Drittel der Fälle wurden Frauen entweder schlechter eingestuft oder in der gleichen Entlohnungsstufe schlechter entlohnt. Viele BetriebsrätInnen wünschten sich zusätzliche Informationen, etwa über die Aufgliederung der Gehaltsbestandteile. Erfreulich ist, dass sich in 23 Prozent der Fälle die Arbeitgeber jetzt stärker mit der Einkommensschere auseinandersetzen, in fast 21 Prozent besteht außerdem die Bereitschaft zu Maßnahmen wie Schulungen, besserer Vereinbarkeit und Frauenförderplänen. Für Ingrid Moritz, Leiterin der Frauenabteilung der AK Wien, reicht es nicht aus, Einkommensunterschiede bloß festzustellen: „Wir brauchen einen verpflichtenden Maßnahmenplan zum Abbau von Einkommensunterschieden.“

Wunschzettel für 2050

Zum ÖGB-Jubiläum fragte Arbeit&Wirtschaft die ÖGB-Bundesfrauensekretärin Isabella Guzi, welche Veränderungen sie sich bis zum Jahr 2050 wünscht. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist auch für sie ein wichtiges Anliegen. „Dass HTL-AbsolventInnen deutlich mehr verdienen als KindergartenpädagogInnen, ist nicht gerecht. Sind technisches Know-how und die Arbeit mit Maschinen tatsächlich mehr wert als die Arbeit mit Menschen?“ Außerdem auf der Wunschliste: flächendeckendes und leistbares Angebot an Kinderbildungseinrichtungen (entsprechend den VIF-Vereinbarkeitskriterien der Statistik Austria) ab dem 1. Lebensjahr, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und 50 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten. „Leider bin ich eher skeptisch, dass all das in den nächsten 35 Jahren tatsächlich Wirklichkeit wird.“
Auf jeden Fall gibt es bis dahin noch einiges zu tun. Laut aktuellem Frauen.Management.Report der AK Wien beträgt der Anteil von Aufsichtsrätinnen etwa in den ATX-Unternehmen knapp 17 Prozent (EU-Durchschnitt 20 Prozent). Europäische Spitzenreiter sind Island (45 Prozent) und Norwegen mit 38 Prozent, in beiden Ländern gibt es Quotenregelungen.

Gläserne Decke

„Noch viele offene Baustellen“ konstatierte auch ÖGB-Frauenchefin Renate Anderl erst kürzlich anlässlich des Internationalen Frauentages. Die aktuellen Forderungen des ÖGB: kollektivvertraglicher Mindestlohn von 1.500 Euro, bezahlter Papamonat, das Recht auf Elternteilzeit für alle sowie nachhaltige Maßnahmen, um die „gläserne Decke“ zu durchbrechen. Die hohe Teilzeitquote bei Frauen erhöhe nicht nur das Risiko für Altersarmut, sondern wäre auch ein Bremsklotz für die Karriere.
Derzeit liegt der Frauenanteil in den Führungsetagen der Top-200-Unternehmen bei 5,9 Prozent (2005: 3,7 Prozent). Nur jeweils ein Unternehmen wird von einer Vorstandsvorsitzenden (Infineon) beziehungsweise einer alleinigen Geschäftsführerin (IBM) geleitet. Selbst in Branchen mit hoher Frauenbeschäftigung wie im Handel oder bei Banken und Versicherungen ist die Spitze männerdominiert. Mit einem Frauenanteil von elf Prozent schneidet der Dienstleistungssektor noch am besten ab.
Eindeutig positive Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie auf die Gleichstellung weiblicher Beschäftigter hat übrigens die Tätigkeit von BetriebsrätInnen (Strukturwandelbarometer 2014). Hier schnitten Unternehmen mit steigender Betriebsrats-Bedeutung deutlich besser ab: Verbesserung der Gleichstellung von Frauen (19 Prozent zu fünf Prozent gesamt), Verbesserung der Vereinbarkeit (15 Prozent zu vier Prozent gesamt).

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.oegb.at/frauen

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Astrid Fadler (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919029 "Gewerkschaftsarbeit ist eine Knochenarbeit. Die gewerkschaftlichen Ziele sind immer mühsam und langsam zu erreichen, aber auch in unserer Frage müssen wir diese Knochenarbeit auf uns nehmen." (Lore Hostasch am 10. ÖGB-Frauenkongress 1987) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919040 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918399 Das Gscher um die Lehr’ Schon Ende der 1940er-Jahre war es ein Anliegen der Gewerkschaftsjugend, die Mitbestimmung junger ArbeitnehmerInnen an ihrem Arbeitsplatz gesetzlich zu verankern. Doch damit stieß sie jahrzehntelang auf Widerstand. „Jugendvertrauensmänner“ konnten nur gewählt werden, wenn der Betrieb die Einwilligung gab. Das war dementsprechend selten der Fall, denn besonders in den Nachkriegsjahren war die österreichische Gesellschaft autoritär strukturiert – das elterliche Züchtigungsrecht etwa wurde erst Mitte der 1970er-Jahre abgeschafft.
Autoritäre Verhältnisse gab es auch an Arbeitsstätten. Die „g’sunde Watschn“ wurde schon einmal vom „Lehrherrn“ ausgeteilt, die MitarbeiterInnen häufig einem militärischen Drill ausgesetzt. Lehrlinge im Wiener Hotel Imperial mussten jeden Tag zur Sauberkeitskontrolle antreten und ihre hoffentlich reinen Fingernägel und Hände präsentieren. Allgemein herrschte die Einstellung: „Der Lehrling ist zur Arbeitsamkeit, Ordnung, Ehrlichkeit und zum anständigen Betragen anzuhalten und hat sich der betrieblichen Ordnung zu fügen.“

Mitbestimmung endlich im Gesetz

Die Zeiten änderten sich nur langsam, erst mit der absoluten Mehrheit der SPÖ (1971) war für die Lehrlinge endlich mehr möglich. 1971/72 wurde die „Aktion M wie Mitbestimmung“ von der ÖGJ ins Leben gerufen. Mehr als 50.000 Unterschriften wurden in Betrieben, aber auch auf der Straße für dieses Recht auf Mitbestimmung gesammelt – mit Erfolg: Das Jugendvertrauensrätegesetz wurde schließlich im Parlament verabschiedet und trat mit 1. Jänner 1973 in Kraft.
Ab nun sollte ein guter Jugendvertrauensrat oder eine gute Jugendvertrauensrätin Lehrlinge und alle anderen jugendlichen ArbeitnehmerInnen vertreten. Er/Sie kümmert sich um die Arbeitsbedingungen im Betrieb, unterstützt bei Freizeitangeboten. Oder wie es das Gesetz ausdrückt: „Der Jugendvertrauensrat ist berufen, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der jugendlichen ArbeitnehmerInnen des Betriebes wahrzunehmen.“ Die „Aktion M wie Mitbestimmung“ diente auch bei späteren Kampagnen als Vorbild. Mit der Online-Kampagne „The Big Jay“ wurde etwa 30 Jahre später versucht, Jugendliche für die Position des Jugendvertrauensrats zu begeistern.

Ausweitung der Rechte

Auch das Gesetz wurde regelmäßig adaptiert, vor Kurzem durch die Erweiterung des Begriffs „jugendliche ArbeitnehmerInnen“: Vor 2011 galt dies für ArbeitnehmerInnen bis zum 18. Lebensjahr, nun gehören auch alle Lehrlinge bis zum 21. Lebensjahr dazu. Sie können jetzt auch den JVR wählen. Das passive Wahlalter erhöhte sich sogar auf die Vollendung des 23. Lebensjahres. Inzwischen ist es üblich, dass relativ viele Menschen nach der Matura oder nach dem Abbruch einer weiterführenden Schule in die Lehre einsteigen. Seit Kurzem können auch in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen JugendvertrauensrätInnen gewählt werden.
Überbetriebliche Einrichtungen wie „Jugend am Werk“ oder das bfi bilden immer mehr Lehrlinge aus, denn die Zahl der Unternehmen, die Lehrstellen anbieten, ist gering. Einerseits ist dieses Faktum durch den Wandel der Wirtschaftsstruktur begründet. Andererseits sind viele Firmen nicht mehr bereit, die Kosten für die Ausbildung eines jungen Menschen zu tragen, was sie aber „offiziell“ selten zugeben. Vielmehr wird gemosert, dass es keine geeigneten und qualifizierten Jugendlichen für die Lehrlingsausbildung gibt – sie könnten nicht schreiben, nicht lesen und würden nur mit ihrem Handy spielen.

Weniger Ausbildungsplätze als früher

Fakt ist: Früher wurden weit mehr Lehrlinge in Betrieben ausgebildet. Im Jahr 1980 war die Zahl der betrieblichen Lehrstellen in Österreich um 70.000 höher als heute. Die ÖGJ macht seit Jahren auf diese Lücke aufmerksam. „Es müssen wieder mehr Unternehmen Lehrlinge von Anfang an selbst ausbilden. Sonst wird den Jugendlichen ihre Zukunft geraubt“, fordert Sascha Ernszt, Vorsitzender der ÖGJ. Auf den „Ausbildungsverweigerern“ muss größerer Druck lasten. Ernszt hat dafür auch Vorschläge parat: „Man könnte öffentliche Aufträge und Förderungen nur mehr an Firmen vergeben, die Lehrlinge ausbilden.“ Ziel ist es, eine seit Jahren bestehende ÖGJ-Forderung endlich umzusetzen. Die sogenannte Fachkräftemilliarde soll die Ausbildungsfinanzierung auf eine gerechtere Grundlage stellen. Alle Unternehmen, die in der Lage wären, Lehrlinge auszubilden, müssten in einen Topf einzahlen. Von dem gesammelten Geld würden jene Firmen, die tatsächlich Lehrlinge ausbilden, gefördert werden.

Qualität der Lehre

Die Qualität der Lehre ist seit jeher ein Kernthema der Gewerkschaftsjugend. Denn manche Unternehmen sehen Lehrlinge als billige Arbeitskräfte. Schon zu Beginn der 1980er-Jahre gab es die Aktion „ÖGJ deckt auf“. Dabei wurden extreme Fälle offengelegt, etwa Lehrlinge, die 70 Stunden in der Woche arbeiteten, oder Kellner, die regelmäßig in der Arbeit Holz hacken mussten. Oder Jugendliche, denen ihr Chef befahl, nur im Jänner auf Urlaub zu gehen. „Dem Hund geht’s besser als uns. Wenn die Chefleute auf Urlaub fahren, geben sie ihn in ein Heim und zahlen viel Geld dafür. Wir müssen in der Nacht arbeiten und kriegen nicht einmal was dafür“, zitierte die „Hallo“ anno 1980 einen Betroffenen.
Auch heute gibt es Firmen, de nicht adäquat ausbilden. Viele Jugendliche lernen die in ihrem Beruf benötigten Fertigkeiten gar nicht erst kennen. Mit dem Ergebnis, dass die Lehrabschlussprüfung für einige zum unüberwindbaren Hindernis wird. In manchen Berufen gab es Jahrgänge mit einer Durchfallsquote von 30 Prozent. Hier fordert die ÖGJ Änderungen. Sascha Ernszt: „Die Qualität der Ausbildung in den einzelnen Betrieben muss laufend überprüft werden. Derzeit kontrollieren sich die AusbildnerInnen im Wesentlichen selbst, und das ist uns zu wenig.“
Eine ihrer zentralen Aufgaben sieht die ÖGJ in ihrer Aufklärungsarbeit gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Faschismus. Bereits 1966 erschien die Broschüre „Was geht uns Mauthausen an“. Sie brachte jungen Menschen den Hintergrund der Nazi-Tötungsmaschinerie in Oberösterreich nahe. Gerade damals wollten die Menschen von diesem Thema nichts mehr hören. Seit Jahren findet auch das ÖGJ-Antifaschismus-Seminar in Mauthausen statt und eine jährliche Ge-denkreise nach Auschwitz. Eine Woche lang setzen sich die TeilnehmerInnen dabei intensiv mit dem Thema Holocaust und Zweiter Weltkrieg auseinander. Verschiedene Städte und Schauplätze des Geschehens werden auf dieser Reise besucht.

Symbole, Runen, Zahlencodes

Faschismus ist allerdings nicht nur ein historisches Thema, denn auch die Rechten gehen mit der Zeit. Vor allem in der Jugendbewegung versuchen Rechtsradikale immer wieder Fuß zu fassen. Für viele Junge, die von zu Hause nicht sensibilisiert sind, lässt sich nicht unterscheiden, was mit Symbolen, Runen oder Zahlencodes verbunden ist. Rechte treten durchaus geschickt in Designerkleidung auf, die nur für KennerInnen sofort zu dechiffrieren sind. Verwirrend ist, dass sie immer wieder auch Symbole der Linken, etwa die geballte Faust oder Che Guevara, zitieren. Die Österreichische Gewerkschaftsjugend klärt mit Referaten in Berufsschulen und in Betrieben auf.

Frauenförderung

Unter den Nägeln brennt aber auch, dass Mädchen von etwa 200 möglichen Lehrberufen in der Regel nur drei Berufe wählen: Friseurin, Sekretärin oder Verkäuferin. Die ÖGJ will Personalverantwortliche für dieses Thema sensibilisieren und junge Mädchen über ihre Berufsmöglichkeiten besser aufklären.
Andererseits erzählen Mädchen, die in die Technik gehen wollen, dass sie aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt wurden. Etwa ein Kfz-Mechanikermeister, der meint, dass Mädchen zu schwach für den Job sind und sich nicht schmutzig machen wollen. Frauen werden schon in der Lehre benachteiligt. Ihr Anteil an der überbetrieblichen Lehrausbildung ist deutlich höher als in der Lehrlingsausbildung insgesamt. Freilich, die ÖGJ selbst ist bisher auch vermehrt männlich geprägt. In ihrer Geschichte gab es weder ein Mädchen als Jugendvorsitzende noch als Jugendsekretärin.

Internet:
Weitere Informationen finden Sie unter:
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Christian Resei (Freier Journalist) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919003 Eine Jugenddelegation auf dem Weg ins Bundeskanzleramt. Der Forderungskatalog an die Regierung enthielt unter anderem die Erhöhung von Lebensmittelrationen für Jugendliche, den 4-Wochen-Urlaub oder die 40-Stunden-Woche. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919017 <a href="http://tinyurl.com/klkkbn3" target="_blank">tinyurl.com/klkkbn3</a> http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918390 Im Gehen lernen … Stadtspaziergänge haben sich einen fixen Platz in der öffentlichen Erinnerungskultur erobert. Anders als die klassischen touristischen Führungen beschreiten die TeilnehmerInnen Wege abseits jener Pfade, die sich der Herrschaftskultur widmen. Was bisher noch fehlte, ist ein spezieller Rundgang zur Geschichte des ÖGB. Was lag daher näher, als zum 70. Geburtstag des ÖGB einen solchen zu entwickeln?

Jubiläumsspaziergang

Passend zum Jubiläum widmet sich der erste Spaziergang den Anfängen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes im April 1945. Ausgangspunkt ist der Westbahnhof, an dem die Gründungsversammlung stattfand. Nächster Schauplatz ist das ehemalige Wohnhaus des Baugewerkschafters Josef Battisti, in dem die ersten Vorbereitungstreffen vonstattengingen. Weiter geht es zur ersten ÖGB-Zentrale in der Ebendorferstraße hinter der Universität Wien, den Abschluss bildet das Denkmal der Republik neben dem Parlament.
Der Weg vom Westbahnhof durch den siebenten Wiener Gemeindebezirk bis zum Parlament ist geradezu dafür prädestiniert, exemplarisch Wirkungsstätten und Ereignisse gewerkschaftlichen Engagements zu verknüpfen und einen Bogen von den Anfangszeiten bis in die Gegenwart zu spannen.

Die Stationen im Detail:

Westbahnhof
Während in Wien noch gekämpft wurde, organisierten einige Gewerkschafter innerhalb weniger Tage eine Versammlung von sozialistischen, kommunistischen und christlichen Gewerkschaftern, die am 15. April 1945 stattfand.
Ein Eisenbahngewerkschafter hatte den einzigen noch benutzbaren Saal im Direktionsgebäude des schwer beschädigten Bahnhofs als Versammlungsort vorgeschlagen. Die Gewerkschafter (es waren tatsächlich lauter Männer) beschlossen dort die Gründung eines überparteilichen Gewerkschaftsbundes und ein erstes Statut. Zum provisorischen ersten Vorsitzenden wurde der ehemalige Vorsitzende der freien Baugewerkschaft, Johann Böhm, vorgeschlagen. Am 30. April 1945 erteilte die sowjetische Militärkommandantur die offizielle Bewilligung (siehe auch „Immer herausgefordert“ sowie „ÖGB kämpft für AK“).
Für zahlreiche GewerkschafterInnen endeten in diesen Tagen jahrelange Verfolgung und Illegalität. Viele von ihnen bezahlten ihre politische Gesinnung mit ihrem Leben: Am 1. April 1938 fuhr vom Westbahnhof der erste Transport mit österreichischen Häftlingen – zynischerweise als „Prominententransport“ bezeichnet – ins Konzentrationslager Dachau ab. Unter ihnen waren Gewerkschafter wie Franz Olah, Robert Danneberg und Johann Staud. Ab Mai 1938 begann hier auch für Tausende Juden und Jüdinnen die Reise in den Tod.
Der Bahnhof gibt auch Einblick in die Geschichte der Bahn in Österreich, der Gewerkschaft der Eisenbahner und ihre Rolle im Widerstand vor und während der Nazidiktatur.

Kenyongasse 3
Nicht weit vom Westbahnhof liegt die Kenyongasse. Im Haus Nummer 3 befand sich die Wohnung des Sekretärs der ehemaligen freien Baugewerkschaft, Josef Battisti. Am 11. April 1945 wurde er von Johann Böhm besucht. Der wollte wissen, wie das Ehepaar Battisti die Kämpfe in Wien überstanden hatte. Bald darauf trafen zwei weitere Mitarbeiter der ehemaligen Baugewerkschaft, Franz Pfeffer und Anton Vitzthum, ein. Aus diesem Besuch wurden tägliche Zusammenkünfte mit einer stetig steigenden Anzahl an Teilnehmern. Schließlich wurde hier die Gründungsversammlung am Westbahnhof vorbereitet. Wer an dem Spaziergang teilnimmt, erfährt auch etwas über die Hintergründe eines keineswegs friktionsfreien parteiübergreifenden Zusammenschlusses und die Positionierung Johann Böhms.

Schottenfeldgasse 24
Wir bleiben in Neubau. Im 19. Jahrhundert war der Bezirk noch Vorstadt, das Stadtbild war geprägt von Gewerbebetrieben und Fabriken. Damit war das Gebiet auch der Lebensmittelpunkt vieler ArbeiterInnen. Folgerichtig wurde er damit zum Standort mehrerer Gewerkschaftshäuser mit sehr wechselvoller Geschichte.
Exemplarisch ist hier das Haus der Österreichischen Baugewerkschaft in der Schottenfeldgasse 24 zu nennen. Die freie Baugewerkschaft (Vorsitzender Johann Böhm) schlug hier im Jahr 1929 ihre Zelte auf. Fünf Jahre später wurden die sozialdemokratischen Gewerkschaften verboten und in die Illegalität gedrängt. 1934 musste das Haus an den Einheitsgewerkschaftsbund abgetreten werden und von 1938 bis 1945 waren hier Büros der nationalsozialistischen „Deutschen Arbeitsfront“. Am 13. April 1945 klärte Josef Battisti mit einem Schild, auf dem „Eigentum der Gewerkschaft“ stand, die Besitzverhältnisse nach dem Krieg. Bis 1960 waren diese Mauern der Sitz der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter. Franz Olah, Vorsitzender ab 1949, hatte hier sein Büro, als er im Zuge des Oktoberstreiks 1950 die Gegenmaßnahmen organisierte.

Ebendorferstraße 7
Bereits in der Ersten Republik wurde dieses Haus von der 1920 gegründeten Arbeiterkammer sowie der Gewerkschaftskommission bzw. dem Bund der Freien Gewerkschaften Österreichs genutzt. Von den ÖGB-Gründungstagen bis 1948 diente es als erste ÖGB-Zentrale und Sitz der Arbeiterkammer. Auch diese Räumlichkeiten wurden zwischen 1934 und 1945 vom „Einheitsgewerkschaftsbund“ sowie der nationalsozialistischen DAF usurpiert. Am 30. April 1945 konstituierte sich hier der erste provisorische ÖGB-Bundesvorstand, der aus 27 Personen bestand (Siehe Bild oben)
Mit dem gewerkschaftlichen Stadtspaziergang soll ein Verbindungsstück zwischen privater und öffentlicher Erinnerungskultur geschaffen werden. Uns wohlbekannte Gebäude, Straßen, Denkmäler oder Parks, also das vertraute Erinnern im Alltäglichen macht noch keine Erinnerungskultur aus. Die Chance, die ein Stadtspaziergang bietet, ist die Antwort auf die Frage „Was hat das mit mir zu tun?“. Das Verorten Einzelner in einen größeren – in diesem Fall politischen – Zusammenhang soll eine Brücke schlagen zwischen der persönlichen Betroffenheit und einem kollektiven Geschichtsbewusstsein.
Lernen führt über viele Wege, macht Schleifen und manchmal Umwege, aber eines steht fest: Wir lernen im Vorwärtsgehen!

Die Vorgeschichte

In Kooperation von KollegInnen aus dem ÖGB (VÖGB, Kommunikation, Archiv, Internationales und ÖGB-Verlag) entstand die Idee, all jene Orte in Wien zusammenzutragen, die Vergangenheit und Gegenwart der Gewerkschaftsbewegung in einen Kontext stellen. Um die zahlreichen Informationen zu strukturieren, wurden Orte, Plätze und Straßen in einer Datenbank zusammengefasst. Diese Datenbank wird im Lauf des heurigen Jahres weiter ausgebaut und bildet die Basis für unterschiedliche Routen, die später über die Website des VÖGB abrufbar sein sollen. Damit können zukünftig auch individuelle Routen – etwa für einen speziellen Stadtteil oder nach Schwerpunkten – erstellt werden.

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Info&news
Die Gründungsroute können Interessierte entweder im Alleingang erkunden oder in einer Gruppe, die der VÖGB mit Guides organisiert. Zu dieser speziellen Route gibt es einen eigenen Stadtplan mit Erläuterungen sowie Online-Beschreibungen und Hintergrundinfos auf der VÖGB-Website.
Gewerkschaftliche Spaziergänge – die Angebote im Überblick:
Ab 15. April 2015:

Geführte Gründungsroute 70 Jahre ÖGB – Termine über kultur@oegb.at
Online-Route unter www.voegb.at
Kommentierter Stadtplan zur Gründungsroute als Download auf www.voegb.at oder als Druckversion zu bestellen unter kultur@oegb.at

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Alexa Jirez (Leitung ÖGB Kommunikation), Sabine Letz (Geschäftsführerin des VÖGB), Friederike Scherr (Mitarbeiterin ÖGB Kommunikation, Bereich Archiv, Bildarchiv und Dokumentation) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918982 Haus Ebendorferstraße 7 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918990 Mahnmal für das Kind, Wien-Westbahnhof http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918363 Kern des wirtschaftlichen Erfolgs Um 2,3 Prozent: So stark stiegen 2014 im Durchschnitt die kollektivvertraglich ausgehandelten Löhne und Gehälter. Angesichts der matten Wirtschaftslage und einer Inflationsrate von 1,7 Prozent kann sich diese Lohnerhöhung sehen lassen. Vor allem wurde sie in bewährter Weise in Hunderten Kollektivvertragsverhandlungen erzielt, die den Kern der österreichischen Sozialpartnerschaft ausmachen.

Spitzenwert

Das System der Kollektivvertragsverhandlungen ist in den Grundprinzipien seit Jahrzehnten unverändert. 98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten unterliegen einem Kollektivvertrag. Das ist ein Spitzenwert in Europa. In Deutschland, das noch in den 1990er-Jahren ein ähnliches System wie Österreich hatte, unterliegen heute nur noch 60 Prozent aller Löhne Kollektivverträgen. Das hat dazu geführt, dass in manchen Branchen und Gegenden die Stundenlöhne auf drei bis vier Euro gesunken sind. Erst durch massiven Druck der SPD konnte mit 1. Jänner 2015 ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt werden. Österreichs ArbeitnehmerInnen haben diesen Stundenlohn schon erreicht: In fast allen Kollektivverträgen liegen die monatlichen Mindestlöhne über 1.300 Euro, was einem Stundenlohn von 8,70 Euro entspricht. Das nächste Ziel heißt 1.500 Euro Mindestlohn für alle. Viele Industriebranchen, aber auch der Handel haben diese Marke bereits überschritten.

Gesamtwirtschaftlich bewährt

Seit Jahrzehnten lautet die gewerkschaftliche Lohnleitlinie: Inflationsrate (Prognose 2015: 1,3 Prozent) plus Arbeitsproduktivität, also das mittelfristige Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion je Beschäftigten (etwas unter ein Prozent pro Jahr). Wird diese Lohnleitlinie in solidarischer Weise in allen Branchen ähnlich eingehalten, dann erfüllt die Lohnpolitik in idealer Weise ihre gesamtwirtschaftlichen Aufgaben, weil damit die Löhne ihrer wirtschaftlichen Doppelrolle gerecht werden:

  • Löhne und Gehälter sind einerseits Kosten für die Unternehmen und damit ist Rücksicht auf deren Wettbewerbsfähigkeit zu nehmen,
  • andererseits sind sie Einkommen für die ArbeitnehmerInnen und bestimmen damit die Konsumnachfrage.
  • Bei einem Anstieg der Löhne und Gehälter in der Gesamtwirtschaft in genanntem Ausmaß würden sich die realen Lohnstückkosten nicht erhöhen. Die Lohnkosten je Beschäftigten steigen genau gleich rasch wie die Produktion je Beschäftigten. Arbeit wird also gesamtwirtschaftlich nicht teurer.
  • Weil in der Exportindustrie das Wachstum der Arbeitsproduktivität im langfristigen Durchschnitt viel höher als in der Gesamtwirtschaft, nämlich bei etwa drei Prozent pro Jahr, liegt, sinken dort die Lohnkosten pro erzeugter Einheit und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit steigt.
  • Gleichzeitig steigen in der Gesamtwirtschaft die Realeinkommen pro Kopf. Damit ist die Basis für einen Anstieg der Konsumnachfrage gelegt.

Die Leitlinie der österreichischen Lohnpolitik ist also in idealer Rücksichtnahme auf gesamtwirtschaftliche Erfordernisse darauf ausgerichtet, sowohl die Exportnachfrage als auch die Konsumnachfrage zu beleben, die zusammen 85 Prozent der Gesamtnachfrage ausmachen. Sie ist damit auch in besonderem Ausmaß auf möglichst starke Beschäftigungsförderung orientiert.

Europäische Dimension

Diese Lohnleitlinie sollte auch Vorbild für die Europäische Union sein. Sie wäre die Voraussetzung für ein gleichgewichtiges Wachstum von Export- und Binnennachfrage und könnte so jene hohen Außenhandelsungleichgewichte vermeiden, die die Währungsunion vor eine Zerreißprobe stellen: Wenn in Deutschland die Löhne in Relation zur Arbeitsproduktivität dauerhaft langsamer steigen als in Spanien, dann baut Deutschland einen Exportüberschuss und Spanien einen Importüberschuss auf. Dies hält eine Währungsunion nicht aus. Kollektivvertragliche Lohnverhandlungen, die sich an einer gesamtwirtschaftlich vernünftigen Lohnleitlinie orientieren, wären auch ein wirkungsvolles Instrument gegen das Problem der Deflation, das Europa derzeit plagt.
Während in Österreich das kollektivvertragliche Lohnverhandlungsmodell weitgehend hält, sind in anderen europäischen Ländern massive Rückschritte erkennbar. Vor allem in Südeuropa hat die EU im Rahmen ihrer Politik der Sozialkürzungen und Einschränkung von Rechten der ArbeitnehmerInnen auch eine Zerschlagung von Kollektivvertragsverhandlungen und die Verlagerung der Lohnverhandlungen auf Betriebsebene durchgesetzt. Dort stehen die ArbeitnehmerInnen oft machtlos den UnternehmerInnen gegenüber, gerade wenn die Zahl der Arbeitsuchenden so hoch ist wie heute.

Exportindustrie profitiert besonders

In Österreich profitiert die Exportindustrie von der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung der Lohnpolitik in besonderem Ausmaß. Die Löhne steigen dort langsamer als die Produktivität. Arbeit wird für die Exportindustrie deshalb, gemessen an den Lohnstückkosten, immer billiger, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Handelspartnern stieg in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich. Umso unverständlicher ist es also, dass gerade von den exportorientierten Branchen im Metallbereich der Versuch unternommen wird, das bewährte System der Branchenverhandlungen zu zerschlagen.

Einheitliche Lohnstandards

Dies ist vor allem deshalb erstaunlich, weil es für die Unternehmen selbst erhebliche Zusatzkosten mit sich bringen würde. Denn je stärker dezentral verhandelt wird, desto weniger werden die Gewerkschaften auf gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen Rücksicht nehmen können. Tendenziell würden die Abschlüsse in den Betrieben mit hohen Produktivitätszuwächsen, die auf den Export ausgerichtet und meist gewerkschaftlich gut organisiert sind, höher ausfallen als in der Vergangenheit. Zudem haben dezentralisierte Verhandlungen für die Unternehmen den Nachteil, dass sie sich bezüglich der Löhne erst kundig machen müssen, was die Konkurrenz zahlt. Sie müssten Billigkonkurrenz ebenso fürchten wie einen Lohnwettlauf um Facharbeitskräfte – in jeder Richtung ein erhebliches Risiko.
Sowohl die Verzerrung des Wettbewerbs als auch diese Informations-kosten entfallen beim Abschluss eines Kollektivvertrages: Es gibt einheitliche Lohnstandards, somit können sich die Unternehmen auf volkswirtschaftlich vernünftige Aktivitäten konzentrieren, nämlich die Entwicklung, Erzeugung und den Verkauf hochwertiger und innovativer Güter und Dienstleistungen.
In jüngster Zeit sind im traditionellen System der Kollektivvertragsverhandlungen auch erfreuliche Innovationen feststellbar. Sie betreffen die Aufteilung des Verteilungsspielraumes auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung. In den Kollektivverträgen der Elektro- und Elektronikindustrie, in den Branchen Bergbau und Stahl sowie in der Fahrzeugindustrie ist es gelungen, eine „Freizeitoption“ kollektivvertraglich zu verankern. Sie ermöglicht den ArbeitnehmerInnen, Lohnerhöhungen in Form kürzerer Arbeitszeiten in Anspruch zu nehmen. Das ermöglicht höhere Lebensqualität und bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Bildung. Gleichzeitig sind neue Formen der Arbeitszeitverkürzung auch das griffigste Instrument, um Beschäftigung zu sichern und die Arbeitslosigkeit zu verringern. So kann die bewährte kollektivvertragliche Lohnpolitik, innovativ interpretiert, auch in Zukunft dazu beitragen, den Wirtschaftsstandort und die Lebensqualität Österreichs an Europas Spitze zu halten.

Nachlese:
Zum Thema Freizeitoption siehe auch „Mehr Zeit statt Geld“, A&W 2/2015

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Markus Marterbauer (Leiter Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918948 Das System der Kollektivvertragsverhandlungen ist in den Grundprinzipien seit Jahrzehnten unverändert. 98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten unterliegen einem Kollektivvertrag. Das ist ein Spitzenwert in Europa. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918962 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918352 Rückkehr aus dem Exil Stefan Wirlandner (1905–1981) war einer der renommiertesten und einflussreichsten WirtschaftsexpertInnen der ArbeiterInnenbewegung in der Zweiten Republik. Ab Juni 1945 war er maßgeblich am Aufbau der Arbeiterkammer Wien beteiligt, wurde schließlich ihr stellvertretender Direktor und später Vizedirektor der Österreichischen Nationalbank. Wirlandner stammte aus einer Wiener Arbeiterfamilie, im Jahr 1934 hatte er auf Druck der Austrofaschisten seine Stellung in der Wiener Arbeiterkammer verloren, im Jahr 1938 war er einer der führenden illegalen Gewerkschafter, die nach England flüchteten.
Im Exil beschäftigte sich Wirlandner zeitweise intensiv mit Fragen sozialistischer Wirtschafts- und Finanzpolitik im Nachkriegseuropa. Er sog die Lehren von Keynes auf und lernte das Wohlfahrtsstaatskonzept der Labour Party kennen. Viel davon transferierte er nach Österreich. Er wurde hier – wie einige andere Remigranten, etwa Kurt W. Rothschild – zu einem der einflussreichsten Verkünder des Keynesianismus.

Wirlandner war wohl einer der aktivsten Österreicher im Exil-Widerstand. Ab 1943 leitete er eine Gruppe von österreichischen Exil-Sozialisten innerhalb des britischen Kriegsgeheimdienstes Special Operations Executive (SOE), der u. a. der Sozialwissenschafter Theo Neumann, der Journalist Walter Hacker und der Gewerkschafter Hans Hladnik angehörten. Diese versuchte von Istanbul, der Schweiz und Italien aus Kontakte zu GenossInnen in Österreich herzustellen1.

Anfang Mai 1945 kehrte Wirlandner als erster Sozialist und Gewerkschafter aus dem Exil nach Österreich zurück. Durch seine frühe Rückkehr konnte er bereits an der Gründungsphase der AK und des ÖGB mitwirken. Als Vermittler zu den westlichen Alliierten machte sich Wirlandner in dieser Zeit unverzichtbar, in der SPÖ jedoch fand er keinen ausreichenden Rückhalt für die von ihm angestrebte politische Karriere. Es blieb ihm die ExpertInnenebene: Er verhandelte für die Arbeiterkammer zunächst die fünf Lohn- und Preisabkommen (1947–1951) und stellte schließlich die Weichen für eine koordinierte Lohn- und Preispolitik im Rahmen der Paritätischen Kommission, des Kernelements der österreichischen Sozialpartnerschaft.
Stefan Wirlandner hat über sein vielfältiges Engagement im Exil und über seine Rückkehr zu Lebzeiten kaum erzählt. Um einen authentischen Eindruck zu vermitteln, wird im Folgenden erstmals ein Auszug aus seinen unveröffentlichten Erinnerungen vorgestellt, die in seinem privaten Nachlass enthalten sind. Der Textauszug setzt mit der Ankunft in Wien Anfang Juni 1945 ein:

(...) In den Jahren der „Emigration“ hatte ich oft das Problem gewälzt, wie man mich als Emigranten nach der Rückkehr aus dem „Westen“ in der Partei wieder aufnehmen würde. Meine Befürchtungen, daß es dabei Hemmungen geben könnte, erwiesen sich als unbegründet; man hatte zu mir Vertrauen (...). Nun mußte ich versuchen, in sogenannte „geregelte Bahnen“ zu kommen. Natürlich bot sich die Idee an, dort fortzusetzen, wo ich im März 1934 aufgehört hatte. (...) Ich begann mich also um die Arbeiterkammer zu kümmern, und mit (Josef) Staribacher, dessen Bekanntschaft ich über Bruno Pittermann gemacht hatte, begab ich mich in das alte Kammergebäude in der Ebendorferstraße 7, um uns einmal klar zu werden, wie die Wiederbelebung dieser Institution in die Wege zu leiten wäre. Pittermann war dabei sehr rührig und der zusammengetrommelte Restbestand des früheren Kammervorstandes betraute ihn mit der Funktion des Ersten Sekretärs. Arbeitsrechtler fanden sich, die sich um den Aufbau der sogenannten Rechtsabteilung, der sozialrechtlichen Abteilung bemühten, während ich mit Staribacher es übernahm, die Volkswirtschaftliche und Statistische Abteilung wieder auf die Beine zu stellen. Die erste Arbeit bestand allerdings darin, mit Hilfe einiger anderer williger Genossen, das Haus zu säubern, das zuletzt irgendeiner Kommandoeinheit der deutschen Luftwaffe als Quartier gedient hatte. (...)

Im Juni waren die Voraustruppen der britischen, französischen und amerikanischen Streitkräfte in Wien eingetroffen. Walter Hacker, Theo Neumann und ich gehörten unserem Status nach dem britischen Besatzungskorps an, und wir nahmen für uns in Anspruch, die ersten Angehörigen der westlichen Alliierten in Wien gewesen zu sein. (...) Für mich blieb bis zum Dezember 1945 manches offen. Ich hatte mich, ohne auf Formalitäten Rücksicht zu nehmen, vom britischen Armeeverband losgelöst, agierte selbstständig, stand dem ÖGB unter anderem auch als Dolmetscher zur Verfügung (...) und hatte mir schließlich im Kammergebäude selbst ein kleines Zimmer so ausgestattet, daß ich dort notdürftig leben konnte. (...)
Ich hatte hinter mir nichts als die Ausbildung in der Arbeiterhochschule, meine etwa siebenjährige Berufstätigkeit in der Statistischen Abteilung der Wiener Arbeiterkammer, meine Prüfungszeugnisse aus dem Ausbildungskurs der Hochschule für Welthandel (Buchprüfer) und recht gute Kenntnisse der Keynes’schen Lehre und jener Gruppe anerkannter Professoren, die sich zum Keynesianismus bekannten. Das konnte für eine Karriere in der Kammer ausreichen, musste es aber nicht. (...)

Wenige Wochen später waren die Vorbereitungen weit genug gediehen, um die Volkswirtschaftliche und Statistische Abteilung der Arbeiterkammer offiziell zu etablieren. Ich wurde zum Abteilungsleiter ernannt. Staribacher teilte sich mit mir die Arbeit. Von da ab gelang es mir, in einem immer stärkeren Maße die Position der Kammer und damit natürlich auch unsere eigene zu festigen. Die ersten wirtschaftlichen Orientierungsgespräche fanden statt zwischen der Leitung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammer und den Alliierten, insbesondere den amerikanischen Stellen auf der einen Seite und den neu entstehenden Organisationen der Arbeitgeber (Industriellenvereinigung, Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft) auf der anderen Seite.
Durch mein Verhalten in der Zeit nach dem Februar 1934 hatte ich mir das uneingeschränkte Vertrauen der Gewerkschaftsführer, insbesondere des Genossen (Johann) Böhm gesichert. Meine Englischkenntnisse waren gut genug, um als Verbindungsmann zwischen den Arbeitnehmerorganisationen und den maßgeblichen britischen und amerikanischen Stellen zu fungieren. Von dieser Seite wurde ich aber wieder deshalb rückhaltlos akzeptiert, weil ich als Angehöriger der britischen Armee meine Einsatzbereitwilligkeit gegen das nazistische Regime unter Beweis gestellt habe. Ich konnte also auf beiden Seiten vermittelnd und erklärend wirken.

Natürlich waren die Beamten in den verschiedenen Ministerien bestrebt, dort wieder zu beginnen, wo sie 1934 aufgehört hatten. Ich schreckte nicht davor zurück, diesen Personengruppen klar zu machen, dass von nun ab mit der Existenz einer sehr einflussreichen wirtschaftlichen und politischen Vertretung der Arbeitnehmer gerechnet werden muß.
Die Karriere eines Abgeordneten blieb mir (...) versagt (...). Ich war enttäuscht, als ich diesen Durchfall zur Kenntnis nehmen mußte, hatte mich aber sehr rasch auf die Stellung eines Experten zurückgezogen, hatte dabei einiges Ansehen gewonnen, wurde einer ökonomischen Arbeitsgruppe zugezogen, die sich aus den zuständigen sozialistischen Ressortministerien, den Sprechern des Abgeordnetenklubs und einigen anderen Fachleuten zusammensetzte, und hatte damit auch die Zuziehung zu Klausurtagungen durchgesetzt.
Beruflich konnte ich meine Stellung in den folgenden Jahren festigen und ausbauen. Im Juni des Jahres 1948 wurde ich durch die Bundesregierung in die Kreditlenkungskommission berufen, einige Monate später in den Generalrat der Notenbank. Nun kam mir das Studium der Geld- und Kreditpolitik, das ich nach dem Verlassen der Arbeiterhochschule als „Hobby“ aufgenommen hatte und das ich [...] bis 1938 in Wien und später auch in der Emigration, sobald sich dazu Gelegenheit fand, fortgesetzt hatte, sehr zustatten. Im Jahr 1952 begann ich in der Arbeiterkammer mit dem Aufbau einer Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung.“

Der Text zeigt anschaulich, mit welch zwiespältigen Gefühlen der Vertriebene aus dem Exil zurückkehrte, aber auch welche Enttäuschungen er erlebte: sprich welche Grenzen seinem Engagement gesetzt wurden und mit welchem Enthusiasmus und welcher Tatkraft er dennoch an die politische Arbeit heranging. Der Autor dankt Susanne Wirlandner für die Erlaubnis, den Textauszug zu veröffentlichen.

Internet:
Weiterführende Literatur:
www.peterpirker.at

Schreiben Sie Ihre Meinungan den Autor
peter.pirker@univie.ac.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

1 Peter Pirker (2009). „Whirlwind“ in Istanbul. Geheimdienste und Exil-Widerstand am Beispiel Stefan Wirlandner. In: DÖW-Jahrbuch 2009 – tinyurl.com/n9cbsy2

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Peter Pirker (Historiker und Politikwissenschafter) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918931 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918346 Der Unterschied ist der Mensch „1945 fing bei uns die Arbeit unter schwierigen Verhältnissen an – überall Hunger“, erinnerte sich der Betriebsratsvorsitzende des Arbeiter-Angestellten-Betriebsrates der Perlmooser Zementfabrik, Walter Koss, in einem von A&W-Mitarbeiterin Brigitte Pellar dokumentierten Interview. Als bei geringen Lebensmittelrationen die Werkskantine eröffnet wurde, fand Koss einen gefährlichen Weg. Er tauschte Zementsäcke bei den Bauern gegen Mehl und riskierte es, mit der Polizei in Konflikt zu geraten.

Die Geschichte

Bereits am 15. Mai 1919 war von der konstituierenden Nationalversammlung für Deutschösterreich das Gesetz zur Einrichtung von Betriebsräten beschlossen worden. Es war das wichtigste Ergebnis der „Sozialisierungskommission“ unter Otto Bauer. Bekannt wurden vor allem die Beispiele der Mitterberger Kupfer AG in Salzburg und des Alpine-Stahlwerks in Donawitz, wo die Arbeiter ihr eigenes Direktorium wählten und den Betrieb übernahmen. Mit dem Ende des Sozialisierungsprojektes 1920 fiel zwar die ideologische und politische Basis der Idee eines Betriebsrates weg, das Gesetz blieb jedoch – als einziges „Überbleibsel“ – erhalten.
„Es war das Erziehungsprogramm zum neuen Menschen, die Wirtschaft selber in die Hand zu nehmen“, schreiben Sepp Wall-Strasser und Beate Gotthartsleitner in der Studie „Zur Entstehung des Betriebsrätegesetzes. Österreich in revolutionärer Stimmung – die Hintergründe“.
Allen Anfeindungen zum Trotz entwickelten sich die Betriebsräte als feste Einrichtung in vielen Betrieben.
Die christliche Ständestaatregierung unter Engelbert Dollfuß verbot schließlich nicht nur die Freien Gewerkschaften, auch alle Betriebsräte verloren ihr Mandat.
1947 wurde die Einrichtung wiederbelebt und unter Bruno Kreisky mit wesentlichen Neuerungen im Jahr 1973 in das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) aufgenommen. Seit Beginn der 1980er-Jahre geht es wieder um die Frage des Eigentums, allerdings von der anderen Seite, nämlich um die Enteignung von Staatsunternehmen und öffentlichen Einrichtungen. „Unbemerkt von vielen stand in der Programmatik der sogenannten Väter des Neoliberalismus die Bekämpfung, ja Zerschlagung der Gewerkschaften und damit aller kollektiven ArbeitnehmerInnenvereinigungen am Programm“, heißt es in besagter Studie.

Sündenbock

Wurde bisher von Ausbau des Sozialstaates, von Humanisierung der Arbeitswelt und von Fortschritt geredet, so rückten nun die Themen „Rückbau“, „Übersozialisierung“, „Übertreibung der Mitbestimmung“ in den Vordergrund. Und die BetriebsrätInnen waren – neben anderen mehr – die Schuldigen für den Rückgang der Prosperität. Den BetriebsrätInnen wehte nun ein deutlich kälterer Wind entgegen. „Seit es im Gebälk des kapitalistischen Systems wieder einmal ordentlich kracht, also seit Herbst 2008, ist alles wieder möglich, auch der Versuch, die Rechte der Betriebsräte zusammenzustutzen oder sie gar ganz abzuschaffen“, meinte der Kenner der Gewerkschaftsbewegung Hans Hartmann 2009 in einem Referat vor dem ÖGB-Landesbildungsausschuss.

Hauptanliegen Arbeitsplätze

Wie steht es um die Betriebsratstätigkeit heute? Die Arbeit von Ilse Fetik, Betriebsrätin der österreichischen Sparkassen AG, ist vor dem Hintergrund der umfassenden strukturellen Umwälzungen im Bankensektor äußerst komplex und vielfältig.
„Wir haben immer höhere Auflagen der Regulatoren, einen sehr hohen Kostendruck, unsere Geschäftsmodelle erodieren“, sagt Fetik, auch Mitglied des Bundesrates und stellvertretende ÖGB-Frauenvorsitzende. „All das hat Auswirkungen auf die Frage der Beschäftigungen in der Branche.“ Immer mehr Aufgaben werden ausgelagert. „Das heißt, Arbeitsplätze gehen verloren, die Anforderungen an die Beschäftigten steigen enorm.“ Die KundInnen erwarten bestqualifizierte Beratungen, viele Tätigkeiten fallen weg, weil ganz andere Anbieter in die Geschäftsmodelle eindringen. „Das ist meine derzeitige Hauptbeschäftigung: der Versuch, Arbeitsplätze zu sichern und die Beschäftigten dabei zu unterstützen, sich in ihrer Tätigkeit weiterzuentwickeln oder – notgedrungen – in andere Tätigkeiten umgeschult zu werden. Dort liegt mein Schwerpunkt: hinzuschauen, mit welchen Maßnahmen es uns gelingt, eine Arbeit zu erhalten und zu gestalten, von der Mann und Frau selbstbestimmt leben kann.“
Eine weitere Herausforderung stellt die Gestaltung der Arbeitsplätze dar. Immer mehr Beschäftigte sind nicht wie früher an fixen Arbeitsplätzen zu finden. „Immer mehr Mitarbeitende müssen mobil sein, wir müssen uns hier auch als Gewerkschaft interessen- und organisationspolitisch überdenken. Bereits jetzt gibt es innerhalb der GPA-djp Interessengemeinschaften, wo auf neue Art und Weise Menschen – unabhängig davon, in welchem Betrieb sie tätig sind – zusammengebracht werden, die sich in der gleichen Situation befinden, etwa Führungskräfte oder Beschäftigte in Sozialbereichen. Hier müssen wir mutig ausprobieren und entscheiden, ob es gute Wege sind oder ob wir sie wieder verlassen müssen.“

Gegen Ausverkauf

Werner Luksch, stellvertretender Zentralbetriebsrat bei A1 Telekom Austria AG, hat im Laufe seiner Betriebsratstätigkeit seit 1997 eine wechselvolle Geschichte erlebt. Trotz größter Finanz- und Wirtschaftskrise, eines harten Marktverdrängungswettbewerbs und hoher Umsatzverluste gab es in den letzten Jahren nur vier Arbeitgeberkündigungen. „Dass in einem Unternehmen, in dem seit Jahren massiv abgebaut wird, keine Jubelstimmung herrscht, ist klar. Das ist aber eine der größten Leistungen: Modelle gefunden zu haben, mit denen die Kollegenschaft auch leben kann.“ Trotz widrigster Umstände wurde vieles erreicht: So gab es über 40 Betriebsvereinbarungen mit Vorteilen für die Beschäftigten und Verbesserungen im Kollektivvertrag, wie dienstfreier 8., 24. und 31. Dezember.
Werner Luksch, auch im Aufsichtsrat in der ÖIAG, kämpft nicht nur für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Auch die Verhinderung einer weiteren Privatisierung des Telekomriesen ist ihm ein Herzensanliegen. „Die Telekom ist einer der wenigen großen Leitbe-triebe und für die gesamte Wirtschaft wichtig. Vielleicht ähnlich bedeutend wie Wasser“, ist Werner Luksch überzeugt.
Ein weiteres Anliegen ist dem kämpferischen Betriebsrat das Thema Gesundheit. „Ohne Gesundheit ist alles nichts: Es geht um Richtlinien, die auch eingehalten werden“, meint Luksch. „In Zukunft wird man sich nur mehr mit gesunden, qualifizierten Mitarbeitern vom Mitbewerber abheben. Irgendwann werden wir alle die gleichen Netze haben, der Unterschied wird einfach der Mensch sein.“

Neue Kommunikationswege

Blogs sind in der Betriebsratspraxis ein relativ neues Werkzeug. Sie können das persönliche Gespräch nicht ersetzen, wurden aber dennoch zu einem der wichtigsten Medien der MitarbeiterInnen-Information. Web-2.0-Dienste sind, im Vergleich zur Betriebsratszeitung, keine Einbahnstraße.

Neue Protestkanäle

Mit der „Wir verzichten nicht“-Demo im Mai 2009 fand erstmals eine Gewerkschaftskundgebung auf BR-Blogs, Flickr und YouTube ihren Niederschlag.
Aufgerufen hatten die ArbeitnehmervertreterInnen mehrerer Branchen, da die Arbeitgeber die Verhandlungen zu den Kollektivverträgen blockierten. Schon im Vorfeld waren Aufrufe zur Demo auch auf BR-Blogs erschienen. Der Betriebsratsvorsitzende der Papierfabrik SCA Laakirchen: „Wir dokumentieren unsere Sitzungen im Blog, und so können die KollegInnen die aktuellen Themen im Betrieb jederzeit abfragen. Seither kommen die MitarbeiterInnen gezielt und häufiger auf uns zu, um Näheres zu erfahren. Der Blog fördert bei uns also die direkte Kommunikation zwischen Beschäftigten und Betriebsrat.“

Internet:
Sepp Wall-Strasser, Beate Gotthartsleitner
„Zur Entstehung des Betriebsrätegesetzes“:
tinyurl.com/pw73jvy

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Gabriele Müller (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918919 Den BetriebsrätInnen weht ein deutlich kälterer Wind entgegen. Seit Herbst 2008 ist alles wieder möglich, auch der Versuch, ihre Rechte zusammenzustutzen oder sie gar ganz abzuschaffen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918336 Immer herausgefordert Im April 1945 wurde die österreichische Gewerkschaftsbewegung nach Diktatur, Faschismus und Krieg wieder „aktiviert“. Hier sollen nur zwei der Herausforderungen angesprochen werden, denen sie sich von Anfang an zu stellen hatte – vielleicht ein Beitrag zu weiterer Diskussion und weiterem Nachdenken.
Die eine Herausforderung bestand darin, die bestmögliche Organisation zur Vertretung der Interessen von ArbeitnehmerInnen zu schaffen. Ihr begegneten die GewerkschafterInnen von 1945 mit einem Konzept, das noch immer das Prädikat „weltweit einmalig“ verdient. Es mussten Verletzungen geschluckt und Traditionen aufgegeben werden, um dieses Konzept eines überparteilichen, einheitlichen Gewerkschaftsbundes zu verwirklichen. Immerhin hatten christliche GewerkschafterInnen unter dem austrofaschistischen Regime 1934 bis 1938 führende Positionen, während sozialistische und kommunistische GewerkschafterInnen in die Illegalität gedrängt worden waren. Ohne die gemeinsame Ablehnung des Nationalsozialismus und die Erfahrungen unter dem NS-Regime hätte das „Projekt ÖGB“ wohl keine Chance gehabt. ÖGB-Generalsekretär Anton Proksch betonte diesen Umstand noch 1951: Die in der österreichischen Gewerkschaftsbewegung von heute führenden Männer waren zum großen Teil schon früher hervorragende Funktionäre und haben für die Befreiung der Arbeiterschaft auch im illegalen Kampf schwere Opfer auf sich genommen. Die „führenden Frauen“ aus dem Widerstand vergaß Proksch allerdings zu erwähnen.

Die sehr schwierigen Verhandlungen in Wien dauerten vom 11. bis zum 30. April, die Chefverhandler waren für die ehemaligen Freien Gewerkschaften der Bauarbeiter Johann Böhm, für die Christlichen GewerkschafterInnen Lois Weinberger von den Angestellten und für die kommunistische Seite der Lederarbeiter Gottlieb Fiala. Auch Vertreter der EisenbahnerInnen, der ChemiearbeiterInnen, der Land- und ForstarbeiterInnen und der Buchdrucker gehörten dem Verhandlungsteam an. Als die Verhandlungen begannen, wurde in manchen Bezirken noch gekämpft. Als die Einigung erreicht war, hatte die Rote Armee Wien bereits von der NS-Herrschaft befreit, die Sozialistische Partei und die Volkspartei hatten sich konstituiert und mit der Kommunistischen Partei am 27. April die Zweite Republik ausgerufen. Am 30. April genehmigte die sowjetische Kommandantur die provisorischen ÖGB-Statuten. Die in ihnen festgeschriebenen, auch nach 70 Jahren noch geltenden Grundsätze sind:

  • Überparteilichkeit: statt Richtungsgewerkschaften eine überparteiliche, aber nicht unpolitische Organisation.
  • Einheitlichkeit: statt vieler nur locker verbundener Vereine ein einheitlicher Gewerkschaftsbund, der alle Einzelgewerkschaften einschließt.
  • Flexibles Industriegruppenprinzip: Es gibt keine Fachgewerkschaften. Das heißt: In einem Betrieb sind die ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrem Beruf in einer oder, soweit es die Angestellten in der Privatwirtschaft betrifft, in zwei Gewerkschaften organisiert.

Der erste ÖGB-Kongress erhob diese Prinzipien 1948 zum gültigen Beschluss und auch die Organisation in damals 16 Gewerkschaften wurde festgelegt. Fraktionen gab es offiziell bis in die 1980er-Jahre keine, aber sie bildeten sich in Nachfolge der alten Richtungsgewerkschaften trotzdem heraus. Das Prinzip der Überparteilichkeit blieb dabei anerkannt, trotz mancher Verlockungen, es aufzugeben – zuletzt unter den rechtskonservativen Regierungen nach dem Jahr 2000.

Eine der entscheidenden Leistungen des ÖGB war es, die in den Parteien durchaus umstrittene rasche Wiedererrichtung der 1934 gleichgeschalteten und 1938 abgeschafften Arbeiterkammern durchzusetzen. Ihre in den 1920er-Jahren wichtige Funktion des politischen Interessenausgleichs übernahm zwar ab dem April 1945 der ÖGB selbst, aber im Rahmen des sich entwickelnden Konfliktregelungsmechanismus der Sozialpartnerschaft wurden sie neuerlich unverzichtbar. Gerade wegen der engen Verbindungen kam es öfter zu Spannungen, etwa hinsichtlich der Anerkennung der politischen Vorrangstellung der Gewerkschaftsbewegung. Aber alle Versuche, AK und ÖGB gegeneinander auszuspielen, misslangen. Der Schulterschluss bei der Verteidigung des Sozialstaats, vor allem gegen die Sozialabbaupläne ab 2000, brachte den österreichischen ArbeitnehmerInnen immerhin die Abwehr von ähnlichen Maßnahmen, wie sie in Deutschland unter den Schlagworten „Hartz IV“ und „Riester-Rente“ umgesetzt wurden.

Die Kooperation zwischen der AK, dem ÖGB und seinen Gewerkschaften erhielt mit dem Arbeiterkammergesetz 1992 eine Rechtsgrundlage. Ihre Zusammenarbeit wurde aber über Jahrzehnte ohnehin als selbstverständlich akzeptiert. Das gilt auch für die Vernetzung von betrieblicher Interessenvertretung und Gewerkschaft, die 1974 mit dem Arbeitsverfassungsgesetz ihre Rechtsgrundlage erhielt. Seitdem dürfen GewerkschaftsvertreterInnen von den Betriebsräten zu ihren Beratungen beigezogen werden und im Notfall kandidieren, auch wenn sie nicht in dem betreffenden Betrieb arbeiten. Die sofort nach der Befreiung spontan und bis 1947 noch ohne Rechtsgrundlage gewählten Betriebsräte bildeten 1945 die Basis für den Aufbau der ÖGB-Organisation und blieben für die meisten Gewerkschaften die Organisationsbasis. Mit der Erschwernis der Errichtung von Betriebsräten in der neoliberalen Wirtschaft und/oder der häufigeren Wahl gewerkschaftsferner Betriebsräte steht dieses Konzept auf dem Prüfstand. Die konsequente Beteiligung von Betriebsratsmitgliedern an den Kollektivvertragsverhandlungen ist ein Ansatz, hier eine neue Kontakt- und Verantwortungsebene einzuziehen.

Die erste und allergrößte Herausforderung, der sich der ÖGB und seine Gewerkschaften wie jede Gewerkschaftsbewegung zu stellen hatten und haben, ist selbstverständlich das Sichern und Verbessern von Lebensgrundlagen und Lebenschancen für die ArbeitnehmerInnen. Unter der Vielzahl an Instrumenten, die genutzt werden können, um diese Ziele zu erreichen, war und ist der Abschluss von überbetrieblichen und möglichst flächendeckenden Kollektivverträgen das entscheidende. Die Betonung liegt auf „überbetrieblich“, denn was passiert, wenn auf Firmenverträge umgestiegen wird, zeigte sich im neoliberalen Großbritannien der Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren: Der Anteil der ArbeitnehmerInnen unter KV-Schutz sank innerhalb von zehn Jahren von 70 auf 47 Prozent – mit entsprechenden Folgen für Lohnniveau und Arbeitsbedingungen.
Dass der ÖGB die Existenz überbetrieblicher Kollektivverträge mit Zähnen und Klauen verteidigt, ist also auch volkwirtschaftlich sinnvoll, ebenso das Festhalten an der seit 1930 bestehenden „Außenseiterwirkung“ von Kollektivverträgen. Dadurch und weil die Verhandlungspartnerin Wirtschaftskammer für alle ihr zugehörigen Arbeitgeber abschließt, gelten in Österreich Kollektivverträge nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder. Dies half unter anderem bei der Kurzarbeitsregelung zu Beginn der Wirtschaftskrise 2009, fairere Bedingungen zu schaffen als etwa in Deutschland.

Das Zunehmen der Schere zwischen Arm und Reich und spürbare Reallohnverluste ab den 1990er-Jahren konnten trotz der Breitenwirkung der Kollektivverträge nicht verhindert werden, und das bei zum Teil durchaus gut verhandelten KV-Abschlüssen. Der Vorwurf einer zu lange zu zurückhaltenden Lohnpolitik mag für manche Bereiche sicher zutreffen, zeigt aber kaum den Kern des Problems auf. Ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre und massiv ab 2000 war eine Steuer- und Budget-Politik festzustellen, die die ArbeitnehmerInnen deutlich benachteiligte. Mit der seit 2014 laufenden Kampagne zur Senkung der Lohnsteuer, die den notwendigen Druck auf die politischen EntscheidungsträgerInnen erzeugte, um eine ArbeitnehmerInnen-freundliche Steuerreform zu erreichen, konnte der ÖGB diesen Trend stoppen. Er machte sich damit das richtige „Geburtstagsgeschenk“.

Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918902 Die Belegschaft der mittlerweile stillgelegten Glanzstofffabrik St. Pölten 2002 beim Kampf um einen fairen KV. Kollektivvertragsverhandlungen sind meistens sehr hart und oft geht es nicht ohne zusätzlichen Druck aus den Betrieben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918330 Solidarisch statt zersplittert Auf dem Papier ist es einfach, eine Gewerkschaft zu gründen. Als Rechtsform sind eine ganze Menge Konstruktionen denkbar, in erster Linie wird wohl ein Verein naheliegend sein. Da in Österreich grundsätzlich Vereinsfreiheit herrscht, muss eine Gründung nur angezeigt werden. Der Verein muss nicht genehmigt werden, könnte aber von der Behörde unter bestimmten, sehr engen Voraussetzungen untersagt werden. Etwa dann, wenn der Vereinszweck gegen Gesetze verstößt oder gar der nationalsozialistischen Wiederbetätigung dient.

Vereinszweck

Wenn sich dieser Verein nun in seinen Statuten die Vertretung der Interessen der ArbeitnehmerInnen zur Aufgabe macht, darf er sich sogar „Gewerkschaft“ nennen. Allein: Wenn dies nicht auch der Vereinszweck ist, kann die Behörde die Bezeichnung wegen Irreführung untersagen. Eine „HandynutzerInnen-Gewerkschaft“ als Vertretung der KonsumentInnen gegenüber der Telekommunikationswirtschaft wäre zum Beispiel nicht zulässig, ebensowenig eine „AutofahrerInnen-Gewerkschaft“.
Aber nur, weil es nicht verboten ist, sich „Gewerkschaft“ zu nennen, heißt das noch lange nicht, dass man auch eine Gewerkschaft ist. Interessenvertretung bedeutet nämlich mehr als nur das Kanalisieren von Unzufriedenheit, und eine Gewerkschaft ist mehr als ein Protestunterschriften-Sammelverein. Um die Interessen der Mitglieder wirksam vertreten zu können, braucht es Ressourcen und Strukturen: ExpertInnen, die mit rechtlichen Ratschlägen bereitstehen, finanzielle Mittel, um Studien und Analysen in Auftrag zu geben, die organisatorische Kraft, um viele Menschen laufend informieren zu können – und diese, wenn nötig, auch auf die Straße zu bringen. Wichtigste Voraussetzung für all das: viele Mitglieder.

Unabhängig von den Gegnern

Außerdem kann eine Gewerkschaft ihre Mitglieder nur glaubwürdig vertreten, wenn sie unabhängig von ihren Gegnern ist, also nicht etwa von den Arbeitgebern finanziert wird. Auch einen Branchenverband, der sowohl ArbeitnehmerInnen als auch Arbeitgeber einer Branche unter einem Dach versammelt, kann man nicht als Gewerkschaft bezeichnen.
Im Verständnis des ÖGB genügt es nicht, sich auf wenige Mitglieder in bestimmten Berufen oder Positionen zu konzentrieren, also zum Beispiel nur auf ÄrztInnen, FlugzeugpilotInnen oder AbteilungsleiterInnen. Vielmehr sollte es immer um die Interessen aller Beschäftigten in einer gesamten Branche gehen oder noch weiter gefasst: um einen Ausgleich der Interessen aller Beschäftigten innerhalb eines Unternehmens, innerhalb einer Branche – und letztlich um Solidarität in der gesamten österreichischen Gesellschaft.
Eine der zentralen Aufgaben in der Vertretung der Interessen von ArbeitnehmerInnen ist das Verhandeln über Arbeits- und Entgeltbedingungen. Das wesentliche Instrument dafür sind die Kollektivverträge. Eine „Gewerkschaft“, die keine Kollektivverträge verhandeln und abschließen kann, weil sie nicht kollektivvertragsfähig ist, ist wohl nicht mehr als ein Debattierklub.
Für kollektivvertragsfähig kann sich eine Gewerkschaft aber nicht selbst erklären, und erst recht können sich Arbeitgeber(vertretungen) nicht selbst aussuchen, mit welchem Verein sie am liebsten Kollektivverträge aushandeln würden. Der Gesetzgeber fordert – aus gutem Grunde – bestimmte Kriterien für die Zuerkennung einer Kollektivvertragsfähigkeit. Sie wird auf Antrag vom Bundeseinigungsamt zuerkannt, der ÖGB besitzt sie seit 1947.

Kollektivvertragsfähigkeit

Die Voraussetzungen für die Kollektivvertragsfähigkeit hat der Gesetzgeber genau geregelt. Im Arbeitsverfassungsgesetz (§ 4 ArbVG) stehen als Bedingungen „maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung“ durch entsprechende Zahl der Mitglieder und den Umfang der Tätigkeit, die Gegnerunabhängigkeit sowie dass sie „in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich tätig werden“. Damit ist gewährleistet, dass Gruppierungen die Kollektivvertragsfähigkeit verwehrt wird, die nur Splittergruppen darstellen und in der Gesamtsicht keine Brancheninteressen repräsentieren. Im Laufe der Jahre zeigte sich, dass diese Regelung auch sehr praktikabel ist, um die Einheit der ArbeitnehmerInnen innerhalb einer Branche zu erhalten.
Die Gewerkschaften im ÖGB vertreten auch 70 Jahre nach seiner Gründung alle Arten von ArbeitnehmerInnen, ob das nun ArbeiterInnen, Angestellte oder BeamtInnen sind. Und sie decken so gut wie alle Branchen und Wirtschaftsbereiche ab. Auf dem Papier hat es zwar immer wieder andere Organisationen gegeben, die sich als „Gewerkschaft“ bezeichnet haben – politische und wirtschaftliche Bedeutung oder gar Kollektivvertragsfähigkeit ist ihnen aber nie zugekommen.

Zersplitterte Gewerkschaften

In anderen europäischen Ländern ist die Gewerkschaftslandschaft um einiges zersplitterter. In Italien und Frankreich etwa gibt es jeweils mehrere Gewerkschaftsbünde mit unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung, also zum Beispiel sozialdemokratische, kommunistische oder christliche Richtungsgewerkschaften. Im Übrigen war dies in Österreich in der Zwischenkriegszeit auch der Fall. Zuletzt ging die FPÖ in diese Richtung, in ihrem Umfeld wurde 1998 die „Freie Gewerkschaft Österreichs“ gegründet, die vor allem im Bereich der Exekutive aktiv ist. Detail am Rande: Die FGÖ hat bis heute nicht die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit beantragt.
Auf andere Art zersplittert stellt sich die Lage in Deutschland dar. Dort gibt es neben den Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), also zum Beispiel IG Metall und ver.di, eine ganze Reihe von Gewerkschaften, die nur die jeweiligen Interessen kleiner, spezialisierter Bereiche haben – und nicht die gesamte Gesellschaft oder auch eine gesamte Branche. Da gibt es die „Gewerkschaft der Lokführer“ und die Pilotengewerkschaft „Cockpit“ oder den „Marburger Bund“, der sich ausschließlich um die Anliegen der Ärztinnen und Ärzte kümmert, aber nicht um die anderen Beschäftigten im Spitalswesen. In Kombination mit der Tatsache, dass deutsche Tarifverträge im Gegensatz zu österreichischen Kollektivverträgen keine Außenseiterwirkung haben, trägt diese Zersplitterung weiter zur sinkenden Tarifabdeckung in Deutschland bei.
Der ÖGB bekam die Kollektivvertragsfähigkeit am 4. September 1947 zuerkannt; zunächst war er in 18 Gewerkschaften gegliedert, heute sind es sieben. Kollektivvertragsfähige ArbeitnehmerInnen-Organisationen außerhalb des ÖGB gibt es nur in sehr kleinen Bereichen, wie etwa bei den evangelischen PfarrerInnen. „Elitengewerkschaften“ wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht.
Die Chancen auf Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit wären angesichts dessen, dass Kollektivverträge eher Gesamtinteressen als Einzelinteressen verfolgen sollen, auch denkbar gering. Somit ist davon auszugehen, dass der ÖGB und seine Gewerkschaften ein De-facto-Monopol für den Abschluss von Kollektivverträgen auf ArbeitnehmerInnenseite haben. Das hat den großen Vorteil, dass die ArbeitnehmerInnen innerhalb einer Branche nicht gegeneinander ausgespielt werden können, außerdem haben wir dadurch in Österreich eine Tarifabdeckung von etwa 98 Prozent.

Beste Aussichten

Nun könnte natürlich ein kleiner Verein, der sich „Gewerkschaft“ nennt, aber niemals auch nur in die Nähe der Kollektivvertragsfähigkeit kommt, die Aufnahme in den ÖGB anstreben. Dadurch, so ein möglicher Gedanke, könnte man doch über den ÖGB an die Verhandlungstische herankommen. Ein verlockender Gedanke, zweifellos. Jedoch auch ein verschwendeter Gedanke. Der ÖGB ist nämlich kein Verband, in dem andere Vereine Mitglied werden können. Dem ÖGB können nur natürliche Personen, also Menschen, beitreten. Die einzelnen Gewerkschaften sind Teilorganisationen und Bestandteil des ÖGB. Wer Mitglied des ÖGB werden will, kann einer Gewerkschaft beitreten und dadurch zu den Vorteilen der Mitgliedschaft des ÖGB kommen. Es wird also in der Praxis so bleiben wie bisher: Wer Lohn- und Arbeitsbedingungen verhandeln will, hat die besten Aussichten, wenn sie/er dem ÖGB beitritt.

Internet:
Bundeseinigungsamt:
tinyurl.com/or545ky

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oder die Redaktion
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Martin Müller (ÖGB Rechtspolitik), Florian Kräftner (ÖGB Kommunikation) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918881 Eine Gewerkschaft ist mehr als ein Sammelverein von Protestunterschriften. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918324 Recht der Frau auf Arbeit Am 25. Mai 1946 stand eine kleine Frau am Rednerpult des österreichischen Nationalrats. Sie machte sich zur Anwältin der Frauen, die Gefahr liefen, wieder „heim an den Herd“ geschickt zu werden, wenn die Männer aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt waren:

Wenn ich vom Recht auf Arbeit spreche, dann möchte ich … ganz besonders von dem Recht der Frau auf Arbeit sprechen. Es war bisher so, dass die Frauen immer dann zur Berufsarbeit herangezogen wurden, wenn es Not an Männern gegeben hat. Waren aber wieder halbwegs normale Verhältnisse zurückgekehrt, wurden sie als überflüssig abgebaut und vom Beruf entfernt. … Vergessen wir nicht, wenn wir die Frauenarbeit immer nur dann verwenden, wenn ein Mangel an Arbeitskräften vorhanden ist, so leisten wir der Frauenarbeit und der Ausbildung der Frauen keinen Dienst. Denn alle Eltern werden es sich überlegen, für die Berufsausbildung ihrer Mädel einen großen Aufwand zu machen, wenn sie wissen, dass die Zeit kommt, wo sie wieder aus dem Berufsleben ausscheiden müssen.

Die 52-jährige Rednerin wusste, wovon sie sprach. Die Tochter einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie, eine Weißnäherin, war schon früh engagierte Gewerkschafterin gewesen und 1921 von der Pionierin Anna Boschek als Mitarbeiterin in die Reichskommission der Freien Gewerkschaften geholt worden. Als die Kommission 1928 in den Bund der Freien Gewerkschaften umgewandelt worden war, hatten die beiden dessen Frauensektion aufgebaut. 1932 bis 1934, in den letzten beiden Jahren der demokratischen Republik, hatte sie dem Wiener Gemeinderat angehört. Ab 1934 hatte die mutige Frau die illegale „Sozialistische Arbeiterhilfe“ geleitet, die politisch Verfolgten und deren Angehörigen Hilfe und Unterstützung bot. Haftstrafen unter der austrofaschistischen Diktatur und zweieinhalb Jahre Haft in den Gefängnissen der Gestapo, der nationalsozialistischen Geheimen Staatspolizei, waren die Folge.
1945 gehörte Wilhelmine Moik zu dem noch kleinen Kreis jener GewerkschafterInnen, die nach der Gründung im April die praktische Aufbauarbeit beim Österreichischen Gewerkschaftsbund leisteten, ab September 1945 leitete sie das ÖGB-Frauenreferat. Nach den ersten Nationalratswahlen der Zweiten Republik zog sie ins Parlament ein und sollte bis 1963 Abgeordnete bleiben. Zusätzlich zu ihrer Funktion als Frauensekretärin wurde sie 1951 auch zur ÖGB-Frauenvorsitzenden gewählt.

Biografie über Wilhelmine Moik:
tinyurl.com/o3v7tg8

Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918867 Beim ÖGB-Frauenkongress 1959 legte Wilhelmine Moik ihre Funktion als Frauensekretärin nieder, Vorsitzende blieb sie bis 1963. Unter den Danksagenden war auch die spätere Sozialministerin Grete Rehor als Vertreterin der christlichen Gewerkschafterinnen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918264 Die Crowd organisieren Zur Person: Christiane Benner
Sie ist seit 2011 geschäftsführendes Vorstandmitglied der IG Metall. Nach ihrer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und ihrem Engagement als Jugendvertreterin und Mitglied des Betriebsrats bei Schenck studierte sie Soziologie in Frankfurt, Marburg und den USA und war danach in unterschiedlichen Funktionen für die IG Metall tätig. Die Soziologin ist verantwortlich für die Aktivitäten der IG Metall in der ITK-Branche und in Forschung und Entwicklung sowie für die Zielgruppen- und Kampagnenarbeit.

Die Herausgeberin des Buches „Crowdwork – zurück in die Zukunft?“, Christiane Benner, erzählt im Interview über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen eines neuen Phänomens digitaler Arbeitsweise.

Arbeit&Wirtschaft: Große Konzerne wie Amazon oder IBM arbeiten bereits damit, und es spricht vieles dafür, dass ihnen weitere folgen. Was kommt da auf uns zu? Wie funktioniert „Crowdworking“ in der Praxis?

Christiane Benner: In der Tat gibt es in zahlreichen unserer Unternehmen Suchbewegungen nach neuen Formen der Arbeitsorganisation, die agiler und effektiver als Linienorganisationen sind. Der Hintergrund sind steigender Wettbewerbsdruck, kürzere Innovations- und Entwicklungszyklen und geänderte Kundenanforderungen. Crowdsourcing ist eine dieser Strategien, die in einigen unserer Unternehmen bereits umgesetzt wird. Crowdworking nennen wir diese neue Form aus Sicht der Auftragnehmer.
Crowdworking funktioniert folgendermaßen: Aufträge werden mittels webbasierter Plattformen an eine mehr oder weniger definierte Menge von Menschen (Crowd) durch Einzelpersonen, Institutionen oder Unternehmen vergeben.
Literatur und betriebliche Praxis zeigen, dass sehr viele Aufgaben aus der Wertschöpfungskette zu Crowdsourcing-Projekten werden können. Komplexe Aufgaben werden oftmals in kleine Teilaufgaben zerlegt, bevor sie ausgeschrieben werden. Auf diese Weise können das Know-how zur Erledigung der Aufgaben und die Bezahlung gesenkt werden. Davor sind auch qualifizierte Tätigkeiten wie Softwareentwicklung vor Crowdsourcing nicht gefeit.

Was bedeutet Crowdworking für die Arbeitsbedingungen und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten?

Grundsätzlich kann Crowdworking nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Beschäftigte Chancen beinhalten. Zum Beispiel einen leichteren Zugang zu Arbeit für Menschen, die auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt – aus welchen Gründen auch immer – nicht ankommen, Selbstbestimmung durch Zeitsouveränität und Jobauswahl sowie mehr Freiräume für kreative Tätigkeiten. Diese Chancen wollen wir fördern.
Die Risiken für die Einzelnen: geringe Einkommen, mangelnder Gesundheitsschutz, fehlende soziale Absicherung, Entgrenzung von Arbeit – um nur einige zu nennen.
Darüber hinaus ist die rechtliche Basis dieser Arbeitsbeziehungen aktuell allein durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (ABG) der Plattform geregelt. Das heißt: Standards, die wir durch die Mitbestimmung in den Betrieben, Tarifverträge und das Arbeitsrecht haben, sind außer Kraft gesetzt.
Auf vielen Plattformen gibt es wie bei eBay Bewertungssysteme, die die Arbeitsleistung der Auftragnehmer (Crowdsourcees) bewerten, womit auch definiert wird, an welche Jobs sie über das Netz kommen. Während die Auftragnehmer zu gläsernen Akteuren werden, ist das Bewertungssystem der Plattform gänzlich intransparent, die eigentlichen Auftraggeber (Arbeitgeber) sind unsichtbar.

Welche Herausforderungen stellen sich, um mittelfristig eine faire Bezahlung zu gewährleisten?

Die Vergütungsmodelle sind abhängig von den Plattformen und den ausgeschriebenen Tätigkeiten und entsprechend sehr unterschiedlich. Studien zufolge, die sich auf den nordamerikanischen Markt beziehen, arbeitet ein Gros der Crowdworker unterhalb des amerikanischen Mindestlohns. Nach Aussagen des Deutschen Crowdsourcing Verbandes differieren die Verdienstmöglichkeiten stark: In Wettbewerben werden Preisgelder bis zu 10.000 Euro ausgelobt, für kleine Aufgaben (Mikrotasks) betragen die Stundenlöhne zwischen 5 und 40 Euro.
Die Plattform Amazon Mechanical Turk (AMT) bietet meist schlecht vergütete Mikroaufgaben an, mit monotonen Arbeitsabläufen, deren Erledigung wenig kognitive Anstrengung erfordert. Das durchschnittliche Stundeneinkommen beträgt hier 1,25 US-Dollar.
Es ist ein Unterschied, ob mit Crowdworking der gesamte Lebensunterhalt verdient werden muss oder ob es eher ein Freizeitjob ist, mit dem man nebenher ein paar Euro dazuverdient.
Wir als Gewerkschaft wollen natürlich, dass jede Arbeit fair bezahlt wird. Vor allem aber wollen wir, dass es mit einem Hauptjob möglich ist, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen.
Neben fairer Entlohnung wollen wir – gemeinsam mit den Crowdworkern – faire Standards setzen. Wir sind davon überzeugt, dass das auch in der digitalen Arbeitswelt möglich sein muss und kann.
Nicht die Crowdworker, sondern die Plattformen müssen transparent werden – anhand von Kriterien wie Entgelt, Zahlungsmoral oder realistischen Aufgabenstellungen. Unser Ziel ist, ein entsprechendes Reputationssystem auf den Plattformen zu programmieren und zu etablieren.

Es scheint schwierig, dass im rein virtuellen Raum überhaupt so etwas wie gewerkschaftliche Solidarität und Organisation entstehen kann. Sehen Sie Möglichkeiten?

Dass das Netz durchaus Potenziale für Solidarität und die Einleitung demokratischer Prozesse bietet, zeigen politische Ereignisse der jüngsten Geschichte und der Gegenwart. Auch wir wollen das Internet zur Selbstorganisierung der Crowdworker nutzen, gemeinsam mit ihnen ein Netzwerk aufbauen, das Austausch, Information und Beratung möglich macht. Das ist für uns auch eine Herausforderung, da hier unsere bewährten Organisierungs- und Kommunikationsformen nicht 1:1 greifen. Deshalb ist es uns auch wichtig, das gemeinsam mit den Crowdworkern anzugehen.
Wir wollen nicht vorschnell urteilen und ungefragt wissen, was ihre Bedürfnisse sind. Deshalb treten wir in den Dialog mit ihnen. Und wir bedienen uns wissenschaftlicher und empirischer Analysen, um ein für uns noch relativ junges und wenig entdecktes Feld und die darin handelnden Akteure besser zu verstehen.
Und sicher werden uns unsere Erfahrungen und die Durchsetzungsstärke, die wir in der analogen Arbeitswelt erreicht haben, von Nutzen sein.

Noch scheint Crowdsourcing die Mehrheit der Menschen nicht zu betreffen. Warum finden Sie es trotzdem wichtig, sich jetzt mit dem Thema zu beschäftigen?

Viele gesellschaftlich relevante Themen haben sich von den Rändern ins Zentrum gearbeitet. Wir haben als jüngstes Beispiel Leiharbeit und Werkverträge. Auch diese Formen veränderter Wertschöpfungsketten haben klein begonnen und sind dann – begünstigt durch gesetzliche Grundlagen – sehr schnell angewachsen.
Die Entwicklungen sind nicht einheitlich in den unterschiedlichen Betrieben und Branchen. Allerdings: Die technischen Möglichkeiten, die neben der Globalisierung Voraussetzung und Treiber der Umbrüche in der Arbeitswelt sind, verändern sich schnell. Das heißt, Veränderungen, die wir noch in weiter Ferne sehen, können viel rascher prägend werden, als wir es bisher gewohnt sind. Als Gewerkschaften ist es unser Anspruch, zumindest bezogen auf die Arbeitswelt Seismograf für zukünftige Trends zu sein, um (mit)gestaltend eingreifen zu können. Und nicht durch Entwicklungen überrascht und getrieben zu sein.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Das Interview führte Sylvia Kuba für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918834 Während die AuftragnehmerInnen zu gläsernen AkteurInnen werden, bleiben die eigentlichen Auftraggeber (Arbeitgeber) unsichtbar. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919171 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 13 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918217 Säuberung eines Berufsstands In den Nachkriegsjahren hieß es, mit dem breiten braunen Bodensatz zurechtzukommen, allzu viele liebäugelten damit, nur wenige hingegen schmähten ihn, so etwa der Gründer der Österreichischen Bühnengewerkschaft Aurel Nowotny und der Gewerkschafter und Widerstandskämpfer Karl Rössel-Majdan. Doch zu ihnen später.

Reintegration

Im Jahr 1947 gab es in Österreich 535.662 registrierte Nazis – damals 15 Prozent der Bevölkerung. Eine riesige Gruppe ohne Wahlrecht, die – zu Recht – mit Sühnefolgen bis hin zu Kriegsverbrecher- und Verbotsprozessen konfrontiert war. Trotz allem kam es zur Reintegration „minderbelasteter“ und „belasteter“ NSDAP-Mitglieder und damit zu Karrieren in Parteien und Institutionen, die längst nicht alle aufgearbeitet sind. Mit dem einsetzenden Kalten Krieg ging auch im ÖGB ein Orientierungswechsel in Richtung Reintegration vor sich. „Generell lässt sich sagen, dass die Sozialdemokratie den Kurs, den Adolf Schärf schon seit 1945 forcierte, nämlich Opportunisten den Wiedereintritt in die Partei zu ermöglichen, auf eine Art als Parteilinie übernahm, die über die Sozialdemokratische Fraktion zur Gewerkschaftslinie wurde“, erklärt Historiker und Publizist Fritz Keller. Die Geschichte der österreichischen und internationalen Gewerkschaftsbewegung gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten. Keller macht deutlich, wer hier überhaupt wieder eingegliedert wurde: „Die NSDAP war keine Organisation, wie wir uns heute eine Partei vorstellen. Es war eine Kaderorganisation, wo eine Aufnahmeprüfung mit einem theoretischen und einem praktischen Teil abgelegt werden musste. Mit Opportunisten hatte die Organisation keine Freude, im März 1938 Beigetretene erhielten etwa spezielle Parteimitgliedsnummern, an denen man sofort erkennen konnte, der ist ein Märzveigerl.“
Mit der Eingliederung von Nazis zerbrach der „Geist der Lagerstraße“, der für die Überwindung traditioneller Feindschaft zwischen den politischen Lagern nach 1945 steht und auch die Einheit des Antifaschismus. Fritz Keller: „Die Organisation des ÖGB splittete sich auf in eine kommunistische Fraktion der Gewerkschaftlichen Einheit, die weiterhin auf diesem Antifaschismus beharrte, und eine sozialdemokratische Fraktion, die dem internationalen Bund der freien Gewerkschaften angehörte und die verstärkt auf Elitenkontinuität und Antikommunismus setzte.“

Entnazifizierung

Einen deutlichen Gegenpol derartiger Bestrebungen bildet allerdings die spätere KMSfB (Kunst, Medien, Sport, freie Berufe). „Ein sehr signifikantes Beispiel der Entnazifizierung im ÖGB ist die Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe“, weiß Keller. Aurel Nowotny, Schauspieler und Gewerkschafter, baute erst die Sektion Bühnenangehörige neu auf und bereits am 15. Oktober 1945 fand die konstituierende Sitzung des ersten Vorstandes der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe statt. 1881 als Sohn eines Bauern in Sissek (heute Sisak, Kroatien) geboren, spielte Nowotny u. a. am Burgtheater und in zahlreichen Filmen, führte Regie in Berlin und kümmerte sich ab 1930 als Mitarbeiter der Radio Verkehrs AG (RAVAG) um Hörspiele. Während des Zweiten Weltkrieges musste er – seine Ehefrau entsprach nicht den „Rasse-Gesetzen“ des Nazi-Regimes – als Hilfsarbeiter in der Rüstungsindustrie arbeiten und löste nach Kriegsende sofort die österreichische Zweigstelle der Reichstheaterkammer auf. Die erste Vollversammlung wählte ihn 1947 zum Präsidenten der Österreichischen Bühnengewerkschaft.

„Rücksichtsloseste Säuberung“

Eine Resolution am ersten Gewerkschaftstag 1947 (Zentralorgan der Angestellten der Freien Berufe) erklärte: „Die hohe Kulturmission von Theater und Musik in einem demokratischen Staat erfordert jedoch kategorisch die rücksichtsloseste Säuberung des Berufsstandes von all jenen Elementen, die eine mit dieser unvereinbare Haltung im Dienste der nationalsozialistischen Ideologie eingenommen haben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört haben.“ Noch im gleichen Jahr verstarb Nowotny.

Bestrafung von Widerstandskämpfern

Fritz Keller: „In der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe verband sich ein konservativer Widerstand rund um die Gruppe 05 mit einer Gewerkschaftsidee, in der Substanz auch mit einer konservativen Ideologie. Diese Bündelung von Widerstand und Entnazifizierung fand seinen Niederschlag in der Resolution. Es wird gefordert, dass selbst die Sympathie für die Nazis bestraft wird.“ So weitreichend diese Positionierung war, so schnell verabschiedete man sich wieder davon: „Das wendet sich unheimlich schnell – auch in der Praxis – derart, dass die Widerstandskämpfer bestraft werden“, so Keller. Dies musste Karl Rössel-Majdan nach dem Zweiten Weltkrieg bitter zur Kenntnis nehmen. Er wurde 1916 als Sohn eines Opernsängers in Wien geboren, baute nach dem „Anschluss“ eine illegale Studentengruppe auf und begründete 1938 die „Großösterreichische Freiheitsbewegung“ (05) mit. Zur Wehrmacht eingezogen, setzte Rössel-Majdan seine Informationstätigkeit für die Widerstandsbewegung fort, wurde 1940 verhaftet und in einem Volksgerichtshof-Prozess 1944 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Der spätere Kulturwissenschafter konnte aus dem Zwangsarbeiterlager Wien-Lobau flüchten, bis Kriegsende als U-Boot überleben und sich an den Kämpfen in Wien beteiligen. Ab 1946 arbeitete Rössel-Majdan beim ORF, unter anderem als wissenschaftlicher Referent, später als Kurzwellendienst-Hauptabteilungsleiter. In seiner Funktion als Leiter des Personalreferats entließ er 1947 einen ehemaligen Nationalsozialisten, und zwar trotz sowjetischer Besatzungsmacht, bei der sich dieser rückversichert hatte. In einem gekränkten Brief wendet sich Rössel-Majdan im Juli 1947 ausgerechnet an den damaligen Bundespräsidenten Karl Renner: „Trotz meiner Eigenschaft als politisch gemaßregelter Professor und Besitzer der Amtsbescheinigung als Opfer des Freiheitskampfes bin ich heute, 2 1/2 Jahre nach der Befreiung, noch nicht pragmatisiert und beziehe immer noch einen Vertragsgehalt, der bedeutend niedriger ist als der meiner Kollegen, die als Pg (Anm. Parteigenosse) oder als Kollaborateur während der Hitlerzeit im Amt geblieben sind … Es liegt also die groteske Tatsache vor, dass ein aufrechter treuer Österreicher, der zugleich als Freiheitskämpfer zu den schwersten Naziopfern gezählt werden muss, in materieller und moralischer Hinsicht heute noch schlechter behandelt wird als ein Pg und somit förmlich für seine unwandelbare Treue bestraft wird, 2 1/2 Jahre nach der Befreiung!“ (Siehe Bild oben.) Ob der Widerstandskämpfer eine Antwort des Bundespräsidenten erhielt, ist unbekannt – an seiner Situation änderte sich nichts.
Für Historiker Keller ist allein der Adressat reichlich Anlass für Verwunderung: „Ich finde den Brief schon sehr eindrucksvoll, weil er das ganze Ambiente rundherum zeigt, wie man Widerstandskämpfer, die beim Volksgerichtshof waren, wirklich behandelt hat und auch nicht imstande war, etwas Produktives mit ihnen anzufangen, sondern versucht hat, sie an den Rand des ÖGB zu drängen.“

Grenzgänger

Unter Gerd Bacher wird Rössel-Majdan 1969 abgesetzt – die KMSfB hatte unter anderem eine Dokumentation über die Gesetzes- und Vertragsverletzungen von Bacher veröffentlicht. Ende 1970 wurde Karl Rössel-Majdan als Quereinsteiger Vorsitzender der KMSfB und blieb es 16 Jahre lang – er starb 2000.
„Für Grenzgänger zwischen diesen beiden Lagern – Kommunisten mit dem Weltgewerkschaftsbund auf der einen und Sozialdemokraten mit dem Internationalen Bund freie Gewerkschaften auf der anderen Seite – gab es kaum Platz“, erklärt Fritz Keller. „Die konservativen Widerständler in der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe wurden mehr und mehr isoliert und es war eigentlich kein Raum mehr für sie in der Struktur der Nachkriegszeit. Der Brief von Rössel-Majdan an Renner macht das deutlich, es wird gezeigt, wie die Isolation solcher Grenzgänger voranschreitet. Und die Normalität, die Elitenkontinuität, erhielt immer größeren Zulauf und Zuspruch.“

Internet:
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands/DÖW
Karl Rössel-Majdan: Handschlag genügt:
tinyurl.com/nsc73xd

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Sophia Fielhauer-Resei (Freie Journalistin) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918820 ZuwanderInnen haben oft mit sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen, weil sie nicht ausreichend über ihre Rechte und Pflichten informiert sind. Um dem entgegenzuwirken, bietet der ÖGB seit vielen Jahren Beratungen in verschiedenen Sprachen an. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089919097 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918205 (Sprach-)Barrieren abbauen Sieben Tage die Woche auf dem Hof arbeiten, ungefähr bis 20 Uhr abends. Wenn es notwendig ist, auch nachts. Nur jeden zweiten Samstag- oder Sonntagnachmittag frei haben zum Ausruhen. Der Lohn: in einem guten Monat 700 bis 750 Euro, und zwar bar auf die Hand“: Ein Erntehelfer aus Rumänien berichtete vergangenes Jahr über die Zustände bei seinem Arbeitgeber in Tirol. Jahrelang beteuerte der Hofbesitzer, dass der Lohn ordnungsgemäß bezahlt wurde und ihm nicht mehr zusteht. Erst als er sich überreden ließ, sich bei der Gewerkschaft zu informieren, erfuhr er, was sein Chef ihm und seinem Bruder vorenthalten hatte: Über die Jahre hinweg kamen ganze 57.000 Euro zusammen.

Fragwürdige Arbeitsbedingungen

ZuwanderInnen haben viel schlechtere Berufschancen als Menschen ohne Migrationshintergrund: Das bestätigen zahlreiche Studien. Das Beispiel des Erntehelfers zeigt aber auch deutlich, dass ZuwanderInnen oft mit sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben, weil sie nicht ausreichend über ihre Rechte und Pflichten hierzulande informiert sind. Um diesem Trend entgegenzuwirken, bietet der ÖGB seit vielen Jahren Beratungen in verschiedenen Sprachen an. In den Grenzregionen zu Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien gab es zudem Kooperationen bei Beratungen, Schulungen und Gewerkschaftsarbeit. Diese Projekte sind und waren auch jeweils zweisprachig. Es passiert auch immer wieder, dass Personen aus terminlichen Gründen nicht an einer Informationsveranstaltung teilnehmen oder zur Beratung gehen können, sich aber nichtsdestotrotz informieren wollen. Der ÖGB versucht auch hier zu helfen und legt immer wieder Informationsmaterial mehrsprachig auf. Eine Broschüre zur EU-Arbeitsmarktöffnung 2011 erschien zum Beispiel in sechs Sprachen. Weiters wurden innerhalb des ÖGB mit der Plattform work@migration und dem Kompetenzzentrum Migration im ÖGB Oberösterreich spezielle Interessengruppen gegründet.

Bosanski, Hrvatski, Türk …

„Es ist nicht immer leicht, mit der österreichischen Gesetzeslage zurechtzukommen. Vor allem dann nicht, wenn die notwendigen Deutschkenntnisse fehlen. Wir wollen helfen, diese Barrieren bei der Bewältigung des Arbeitsalltags durch muttersprachliche Beratung zu überbrücken“, sagt Zdravko Spajic, seit über 40 Jahren ÖGB-Berater in den Sprachen Bosnisch, Kroatisch und Serbisch. Dass es die Möglichkeit gibt, sich im ÖGB in der eigenen Muttersprache beraten zu lassen, hat sich in der Community schnell herumgesprochen. Immer wieder kontaktieren ArbeitnehmerInnen Spajic, weil sie Briefe und in Amtsdeutsch formulierte Schreiben nicht verstehen. Der Dolmetscher übersetzt diese, gibt Erstauskünfte im Arbeits- und Sozialbereich, bei größeren Ungereimtheiten vermittelt er weiter zu ExpertInnen im Haus. Neben den drei Sprachen wird in Wien die Beratung auch auf Türkisch und Kurdisch, Tschechisch und Slowakisch angeboten. Vor einigen Jahren haben auch die Landesorganisationen Tirol, Oberösterreich und Vorarlberg die muttersprachliche Beratung in ihre Angebotspalette aufgenommen. Die Tiroler ArbeitnehmerInnen etwa können sich auf Türkisch, Spanisch, Englisch, Serbisch, Kroatisch und Bosnisch beraten lassen. „Die Beratungen zu den Themen Arbeits- und Sozialrecht, Bildung, Familie, Aufenthaltsrecht, Jugend und Wohnen sollen die ArbeitnehmerInnen, die zugewandert sind, über ihre Rechte und Pflichten informieren, und Missverständnisse, die oft durch sprachliche Defizite entstehen, sollen beseitigt werden“, sagt Daniela Meichtry, MigrantInnensprecherin des ÖGB Tirol.
Der ÖGB Oberösterreich ging sogar einen Schritt weiter: Zusätzlich zur muttersprachlichen Beratung wurde ein eigenes Gremium für Menschen mit Migrationshintergrund eingerichtet: das Kompetenzforum Migration. BetriebsrätInnen mit ausländischen Wurzeln kümmern sich um die speziellen Probleme von MigrantInnen im Arbeitsleben. Das Kompetenzforum Migration veranstaltet immer wieder diverse Veranstaltungen wie Fußballturniere, um das Miteinander der Menschen aus verschiedenen Kulturen zu fördern.

Ein Projekt zieht Bilanz

Mit 2011 liefen die Übergangsbestimmungen für die neuen EU-Länder (Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland und Litauen) aus, und Personen aus diesen Staaten können seitdem uneingeschränkt in Österreich arbeiten. Bereits im Vorfeld hat sich der ÖGB Burgenland mit der Thematik „Grenzenloser Arbeitsmarkt“ auseinandergesetzt, vor sieben Jahren wurde das EU-Projekt „IGR ‒ Zukunft im Grenzraum“ gegründet. Das Ziel: einerseits die burgenländischen ArbeitnehmerInnen vor Lohndumping und Verdrängungswettbewerb und andererseits die ungarischen ArbeitnehmerInnen vor Ausbeutung zu schützen. Im März 2015 ging das Projekt zu Ende und der ÖGB Burgenland zog Bilanz.
Von 2008 bis 2015 wurden an fünf Standorten im Burgenland und sechs in Westungarn 76.000 ungarische Beratungen zu Themen wie Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht durchgeführt. Es fanden 170 Informationsveranstaltungen zu Fragen der grenzüberschreitenden Beschäftigung statt, 57 zweisprachige Publikationen und Broschüren wurden veröffentlicht. 114 Schulungsmaßnahmen für ArbeitnehmervertreterInnen aus dem Burgenland und Westungarn wurden durchgeführt – darunter auch ein Jugendschwerpunkt.

Netzwerktreffen

Immer wieder fanden Netzwerktreffen mit arbeitsmarktrelevanten Behörden wie dem Arbeitsmarktservice und der Finanzpolizei statt. „Durch kostenlose Beratung wollten wir UngarInnen in Österreich, aber auch ÖsterreicherInnen in Ungarn den Einstieg ins Arbeitsleben erleichtern“, sagt ÖGB-Landessekretär Gerhard Michalitsch. Bertold Dallos, IGR-Projektleiter, fügt hinzu: „Wir haben auch die Rolle des Vermittlers zwischen den arbeitsmarktrelevanten Behörden des Burgenlands eingenommen. Entwicklungen und Veränderungen konnten so relativ früh erkannt und diskutiert werden. Neben dem gegenseitigen Austausch wurde auch oft an gemeinsamen Lösungen gearbeitet.“ Für die Zukunft plant der ÖGB Burgenland ein Projekt, das sich mit PendlerInnen- und Migrationsbewegungen in der Grenzregion beschäftigen soll. „Derzeit sind wir noch in der Anfangsphase, ein Projektstart ist für das kommende Jahr geplant“, sagt Michalitsch.

Auch Hasan hat seine Vorteile

Wäre es für Hasan in der Arbeitswelt einfacher, wenn er Hans heißen würde? Viele ZuwanderInnen würden diese Frage mit großer Sicherheit bejahen. Das trifft besonders dann zu, wenn sie auf Jobsuche sind.
„Durch meine internationalen Erfahrungen, Studium und Arbeit in Brasilien, Spanien und Österreich, weiß ich, wie schwer es auch für gut ausgebildete MigrantInnen ist, einen adäquaten Job zu bekommen, akzeptiert und in das Berufsleben ordentlich integriert zu werden“, bestätigt auch Clara Chaves de Carvalho von der Interessengemeinschaft work@migration der Gewerkschaft GPA-djp und fügt hinzu: „Andererseits bietet gerade diese Internationalität heimischen Unternehmen enorme Vorteile, die leider zu oft nicht erkannt werden. Ich möchte daher gerade im Bereich der Weiterentwicklung und Weiterausbildung von MigrantInnen und stärkerer Sensibilisierung der heimischen Betriebe arbeiten und die Win-win-Situation für beide Seiten bewusst machen.“
work@migration ist eine Plattform von MigrantInnen, die sich für MigrantInnen und deren Unterstützung einsetzt. Sie soll dem Erfahrungsaustausch, der Kommunikation und der Verbindung mit anderen MigrantInnen dienen. Ähnlich wie bei allen anderen Aktionen des ÖGB und der Gewerkschaften reicht die Angebotspalette von der Rechtsberatung und Rechtsvertretung über die Betriebsratsgründung und -beratung bis hin zur Rassismus- und Antidiskriminierungsberatung. „Arbeit und Migration hatten immer einen gemeinsamen Weg, und davon abhängig war, ist und wird das Zusammenleben und letztendlich der Wohlstand unseres Landes sein“, hält Zoran Aleksic, stellvertretender Vorsitzender von work@migration, fest.

Internet:
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.gpa-djp.at
www.mitgliederservice.at
www.igr.at
www.undok.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Amela Muratovic (ÖGB Kommunikation) Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918805 ZuwanderInnen haben oft mit sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen, weil sie nicht ausreichend über ihre Rechte und Pflichten informiert sind. Um dem entgegenzuwirken, bietet der ÖGB seit vielen Jahren Beratungen in verschiedenen Sprachen an. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918201 GPA-djp: Nein zur Sonntagsöffnung! Eine klare Mehrheit von 95,9 Prozent der Wiener Handelsangestellten spricht sich gegen die Arbeit an Sonntagen aus. Das ergab eine vom Meinungsforschungsinstitut IFES durchgeführte Urabstimmung. „Das eindeutige Ergebnis ist für uns ein klarer Auftrag, keine Öffnungszeiten und rechtlichen Rahmenbedingungen zuzulassen, die nicht die Interessen der Betroffenen berücksichtigen. Wir gehen davon aus, dass auch die Stadt Wien nicht über die Köpfe der Wiener Handelsangestellten hinweg Entscheidungen treffen wird“, stellt der Vorsitzende der GPA-djp Wolfgang Katzian klar.

„Im Unterschied zur Wirtschaftskammer, die alle Mitglieder aus verschiedensten Branchen befragte, haben wir jene Beschäftigte im Wiener Handel abstimmen lassen, die unmittelbar von einer Sonntagsöffnung betroffen wären.“ An der brieflichen Abstimmung der GPA-djp nahm fast ein Viertel der Angestellten teil – damit deutlich mehr als bei der Befragung der Wirtschaftskammer vom Oktober 2014, bei der lediglich 16 Prozent ihre Meinung kundtaten.

Die Wirtschaftskammer Wien führt als Argument für die Einführung von Tourismuszonen in Wien Mehreinnahmen für den Handel und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze an. Allerdings wurden entsprechende Studien nie veröffentlicht, weshalb die kolportierten Zahlen nicht seriös nachzuprüfen sind. „Von jenen Teilen der Wiener Wirtschaft, die diese Frage unmittelbar betrifft, weil sie unser Ansprech- und Verhandlungspartner sind, nämlich von der Sparte Handel der Wiener Wirtschaftskammer, gab es bislang keine Aufforderung an die GPA-djp, über dieses Thema zu verhandeln“, hält Katzian fest. Sollte sie sich an die GPA-djp mit einem solchen Ansinnen wenden, werde diese dies „als verantwortungsvoller Sozialpartner selbstverständlich wahrnehmen“, so Katzian. Dies betrifft auch Verhandlungen über Rahmenbedingungen für geänderte Öffnungszeiten während des Eurovision Song Contests. „Sehr befremdend ist, dass offenbar bereits Wiener Unternehmen damit begonnen haben, die Angestellten für den Dienst am Sonntag in der Woche des Song Contests einzuteilen. Das ist nicht legal und die Betroffenen sollen sich dringend mit der GPA-djp in Verbindung setzen. Wir werden jeden Verstoß gegen das Öffnungszeitengesetz beim Song Contest zur Anzeige bringen“, sagt Katzian.

Mehr Infos unter:
tinyurl.com/nd8vdak

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Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918192 AK: Unternehmen finanziell gut gerüstet Solide finanzielle Basis, stabile Ertragslage und ein neuerlicher Rückgang bei den Dividendenausschüttungen: So lassen sich die Ergebnisse des AK-Unternehmensmonitors zusammenfassen. Vor allem bei der finanziellen Stabilität können die Betriebe punkten, die Zahlungsfähigkeit kann sich sehen lassen und die Gewinnsituation ist stabil. Leicht positiv entwickelte sich auch die Beschäftigung, sie nahm um 0,6 Prozent auf 573.347 Vollzeitbeschäftigte zu. Untersucht wurden die Jahresabschlussdaten für das Wirtschaftsjahr 2013 von 1.370 Unternehmen.
Erfreulich ist die Entwicklung der Dividendenausschüttungen, diese lagen zum zweiten Mal in Folge unter den Investitionen in Sachanlagen. Abzuwarten bleibt, ob die Unternehmen diese begrüßenswerte Strategie fortsetzen. Die Eigentümer dürfen sich im Übrigen weiterhin über beachtliche Renditen auf ihr eingesetztes Kapital freuen, die bei 11,2 Prozent lagen – Renditen, von denen Otto-Normal-SparerInnen nicht einmal träumen können.
Investitionen gehen insgesamt zurück und liegen noch sehr deutlich unter den Vorkrisenjahren. Um die Konjunktur wieder anzukurbeln, bedarf es jedenfalls eines deutlichen Anstiegs der Investitionstätigkeit der Unternehmen.
AK-Präsident Rudi Kaske zum Ergebnis: „Die sinkenden Dividendenausschüttungen lassen hoffen, dass bei den Unternehmen ein Umdenken einsetzt. Wir fordern jedenfalls, dass mehr Geld in die Betriebe gesteckt als ausgeschüttet wird, um für eine nachhaltige positive wirtschaftliche Entwicklung und den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu sorgen.“

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tinyurl.com/qfuzr8q

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Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918183 ÖGB: Wesentliche Ziele umgesetzt Die ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen werden sich ihre Entlastung nicht selbst bezahlen: Diese zentrale Forderung der „Lohnsteuer runter!“-Kampagne hat der ÖGB-Bundesvorstand im März erneut bekräftigt. Einschnitte in Sozial- und Pensionssysteme lehnt der ÖGB-Bundesvorstand klar ab. Mit Bedauern sieht der ÖGB, dass es nicht zu mehr Maßnahmen für größere Verteilungsgerechtigkeit gekommen ist. „Die wirtschaftliche Entwicklung ist alles andere als positiv“, sagte ÖGB-Präsident Erich Foglar in der Sitzung des ÖGB-Bundesvorstands. „In dieser Situation war es die einzig richtige Entscheidung, die Lohnsteuern zu senken. Denn eines der Kernprobleme ist, dass wir im Wachstum zurückgefallen sind. Österreich gehört zu den wachstumsschwächsten Ländern der EU. Und eine Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen kurbelt den Konsum an und stärkt das Wachstum.“
Der ÖGB wird die Umsetzung der Steuerreform genau im Auge behalten. Dabei wird es auf die konkrete Ausgestaltung der Gesetze ankommen, mit denen die Steuerreform 2015/2016 zu geltendem Recht wird. „Die Menschen brauchen nicht nur eine Steuerentlastung, sondern auch soziale Absicherung. Deshalb darf es bei den Nachverhandlungen zu keinen Angriffen auf Arbeit und Beschäftigung sowie auf das Gesundheits- und Pensionssystem oder das AMS kommen“, warnt der ÖGB.

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Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918169 Kunst auf der Straße gegen TTIP Der Aufruf der ÖGJ Oberösterreich wurde über Facebook verbreitet: Eine Woche lang malten Jugendliche das „Stop TTIP“-Logo mit Straßenmalkreiden auf Gehsteige, in Hauseinfahrten, Straßen und auf öffentliche Plätze. Das Ziel: Sie wollen möglichst viele Menschen darauf aufmerksam machen, was die Freihandelsabkommen mit den sperrigen Namen für uns bedeuten. TTIP (mit den USA) und CETA (mit Kanada) werden hinter verschlossenen Türen verhandelt, werden aber Auswirkungen auf unseren Alltag haben.

Sie sind eine Gefahr für unsere Sozialstandards und unsere Art des Zusammenlebens: „Die Handelsabkommen TTIP, CETA und TiSA gefährden unsere Umwelt, unsere Demokratie, unsere Lebensmittel, unsere Arbeitsrechte und unsere sozialen Errungenschaften. Die Abkommen sind ein Angriff der Konzerne auf die Demokratie“, sagt ÖGJ-Jugendsekretärin Michaela Kramesch. „Verhandelt wird geheim. Besonders kritisch sehen wir es, dass Konzerne Staaten verklagen können sollen, wenn sie sich in ihrem Gewinnstreben behindert fühlen. Standards für Umwelt- und Verbraucherschutz könnten aufgekündigt werden, aber auch gewerkschaftliche Erfolge sind in Gefahr, weil sie einem Konzern Kosten verursachen könnten. Hier steht das große Geld im Vordergrund, die Menschen bleiben auf der Strecke.“ Die Jugendlichen hoffen, dass sie möglichst viele Menschen mit ihren Malereien und via Facebook aufgerüttelt haben.

Mehr Fotos finden Sie auf Facebook unter „Stop TTIP ART-WEEK“:

tinyurl.com/pyydtkt

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Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918846 Jugendliche aus Leonding mit ihrem Straßenkunstwerk gegen das Handelsabkommen TTIP - Transatlantic Trade and Investment Partnership. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918851 Auch bei der ÖGJ-Landeskonferenz in Hörsching bei Linz machten Jugendliche mit einem selbst gemalten Transparent gegen die Aushöhlung der Demokratie durch TTIP mobil. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 07 Apr 2015 00:00:00 +0200 1426089918151 Standpunkt | Im Erinnern nach vorne blicken Ein ehrendes Angedenken allen Opfern und Toten der Gewerkschaftsbewegung 1934–1948“: Diese bewegenden Worte sind dem Bericht des ÖGB-Zentralsekretariats aus dem Jahr 1948 vorangestellt. Sie laden zum Innehalten ein, zum Erinnern an jene Verbrechen, die noch kurz zuvor auf österreichischem Boden begangen worden waren, zum Gedenken an jene Menschen, die diesen Verbrechen zum Opfer gefallen waren, sowie an jene, die im Kampf für die Freiheit ihr eigenes Leben gegeben haben. Wir widmen uns der Zeit nach 1945, dennoch möchte ich an dieser Stelle auch jene Menschen würdigen, die in dieser Zeit keine Rolle mehr im ÖGB gespielt haben oder spielen konnten. Ihrem Engagement – ob vor 1934 oder im Widerstand – ist es schließlich zu verdanken, dass die Gründer des ÖGB an die lange Geschichte der Gewerkschaftsbewegung wieder anknüpfen konnten.

Gedenken an jüdische Opfer

Die Gewerkschaften haben viele Persönlichkeiten verloren. Nicht alle sind heute noch namentlich bekannt, viele von ihnen waren es auch damals nicht, weil sie in ihren Betrieben oder im Alltag Widerstand leisteten. Ihnen ist es zu verdanken, dass das NS-Regime auch im Inneren immer wieder herausgefordert wurde und letztlich zusammenbrach. Vor allem aber sei hier an die Jüdinnen und Juden erinnert, die sich in der Gewerkschaft engagierten. Stellvertretend für die jüdischen Opfer der Gewerkschaftsbewegung sei an Viktor Stein gedacht. Er war einst Redakteur der Arbeit&Wirtschaft, Angestellter der Metallarbeitergewerkschaft sowie der Arbeiterkammer und später Abgeordneter des Nationalrats. Im Jahr 1938 wurde er verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt, er wurde zwar – nach fünzehnmonatiger Haft – im Dezember 1939 freigesprochen, beim Verlassen des Gerichts jedoch von der Gestapo verhaftet. Stein wurde zunächst ins KZ Buchenwald und dann nach Sachsenhausen verschleppt, wo er nach offiziellen Angaben „verstorben“ ist.
Manchen gelang die Flucht, einige kehrten nicht mehr nach Österreich zurück. Anders Otto Leichter, der 1946 nach Wien zurückkam. Er arbeitete bei der AK und schrieb ebenfalls für die A&W. Nach parteiinternen Querelen übersiedelte Leichter allerdings im Jahr 1948 wieder zurück nach New York.
Keine Frage, im Jahr 1945 standen Gewerkschaften vor völlig anderen Herausforderungen als heute. Dennoch kann ein Blick in die Geschichte sehr aufschlussreich sein. Oft genug stellt man dabei nämlich fest, dass sich viele der heutigen Probleme gar nicht so sehr von jenen aus der Vergangenheit unterscheiden, auch wenn sie sich heute natürlich in modernerem Gewand zeigen. So kann man sich aus der Historie so manchen Input für die Zukunft holen.

Selbstkritik und Blick in die Zukunft

Nicht nur in die Vergangenheit zu blicken, sondern auch über Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft nachzudenken: Das haben wir und für diese Ausgabe vorgenommen. Schließlich ist ein Jubiläum immer verführerisch. Man kann Abstand nehmen von der Tagespolitik und sich über errungene Erfolge freuen. Gerne schiebt man dabei Misserfolge weg, immerhin will auch ein Geburtstag einer Institution gefeiert werden.
Das hat auch seinen guten Grund, denn wir alle brauchen solche Momente, um uns zu vergegenwärtigen, wo wir in der Tat etwas vorangebracht haben. Genau daraus schöpfen wir immer wieder die Kraft, um im Alltagsgeschäft auch die schwierigeren Herausforderungen motiviert anzugehen. Der selbstkritische Blick darf dabei aber nicht fehlen, denn dieser hilft dabei, sich der noch offenen Baustellen zu besinnen und sich ihnen vielleicht sogar mit einem etwas anderen Blick erneut zu nähern. Entstanden ist ein sehr abwechslungsreiches Heft, das hoffentlich Ihnen ebenso viel Freude beim Lesen bereiten wird wie uns beim Schreiben – und hoffentlich auch Stoff zum Nachdenken bietet.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 07 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089918132 "Keimzelle der Gewerkschaft" Zur Person
Erich Foglar wurde am 19. Oktober 1955 in Wien geboren. Der gelernte Werkzeugmacher arbeitete ab 1975 als Facharbeiter bei der Firma Philips und war dort auch Betriebsrat. Von 1981 bis 1983 absolvierte Foglar die Gewerkschaftsschule und im Anschluss daran die Sozialakademie. Im Jahr 1987 trat Erich Foglar als Sekretär in die Gewerkschaft Metall-Textil (GMT) ein, ein Jahr später wechselte er als Zentralsekretär-Stellvertreter in die Abteilung Finanz und Personal, 1992 wurde er Zentralsekretär. Im Jahr 2006 wurde Erich Foglar Leitender Sekretär des ÖGB und Zentralsekretär der GMT. Als Rudolf Hundstorfer im Jahr 2008 Sozialminister wurde und als Gewerkschaftsvorsitzender zurücktrat, folgte ihm Erich Foglar in der Funktion des ÖGB-Präsidenten nach.

Arbeit&Wirtschaft: Haben Sie ein Vorbild?

Erich Foglar: Vorbilder gibt es viele. Es muss ja nicht immer nur eine Person sein oder ein vormaliger Präsident. Ich persönlich habe zum Beispiel Sepp Wille in vielen Themenbereichen und in Stil, Art und Weise sehr geschätzt. Auch Heinz Fischer ist ein Mensch, bei dem ich sehr viele Orientierungspunkte finde.

BetriebsrätInnen spielen im ÖGB eine zentrale Rolle. Doch sind sie im Bewusstsein der Menschen noch so verankert, wie dies einst der Fall war?

Ich denke schon. Betriebsrätinnen und Betriebsräte waren immer das Kernelement der Gewerkschaftsbewegung, und zwar durch alle Epochen in der langen Geschichte. Unsere Geschichte ist ja deutlich älter als die 70 Jahre, die wir jetzt feiern, auch wenn das ein wichtiges Datum für die Zweite Republik ist.
Ohne Beriebsrätinnen und Betriebsräte ist die organisierte Interessenvertretung nicht möglich. Der Betrieb war und ist die Keimzelle der Gewerkschaftsbewegung, weil man dort natürlich Antworten und Lösungen für die vielen Missstände gesucht hat, unter denen man gelitten hat. Und es waren vor allem Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die sich dafür eingesetzt haben, dass diese Missstände abgestellt werden. Das ist heute nicht anders, auch wenn sich die Rahmenbedingungen und Problemfelder im Lauf der Zeit verändert haben.

Sollten Betriebsrätinnen und Betriebsräte mehr Anerkennung bekommen?

Ja, natürlich. Wir haben 65.000 Betriebsrätinnen und Betriebsräte, Personalvertreterinnen und Personalvertreter, Jugendvertrauensrätinnen und Jugendvertrauensräte – also 65.000 Menschen, die sich in Wahrheit freiwillig und ehrenamtlich einem ganz, ganz wichtigen Thema widmen und nach einer Überzeugung handeln, nämlich Arbeits- und Lebensbedingungen speziell im Betrieb zu verbessern – und das für andere Menschen. Zudem handeln sie überbetrieblich, wenn ich an die vielen Kollektivvertragsverhandlungen denke. Letztendlich regeln sie auch die Arbeitswelt ein gutes Stück vertraglich, Stichwort Betriebsvereinbarungen. Und sie sind ein wesentlicher Teil der Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene.

Die „Lohnsteuer runter!“-Kampagne wurde von sehr vielen Menschen unterstützt. Zugleich ist die Steuerreform natürlich ein Kompromiss. Eine schwierige Gratwanderung?

Ja und nein. Dieses Spannungsfeld haben wir permanent: Wir stellen eine Situation fest, die nachteilig ist oder eine Ungerechtigkeit darstellt – wie kürzlich bei der Steuer – und leiten daraus Forderungen ab. Das ist unsere Kernaufgabe. Bei der Forderung allein kann es natürlich nicht bleiben, sondern man versucht sie auch umzusetzen. Nachdem wir aber eine Interessenvertretung sind und kein Gesetzgeber, ist unser Handlungsspielraum begrenzt. Natürlich ist das ein Spannungsfeld, wenn wir eine so große Unterstützung für eine Forderung bekommen – über 882.000 Unterschriften – und Regierung und Nationalrat diese umsetzen müssen.
Dieses Spannungsfeld ist aber auch
bei Kollektivvertragsverhandlungen gegeben, und da sind wir selber Vertragspartner in Form der Branchenvertreter. Da weiß ich auch im Vorhinein nicht, was rauskommt, weil sich letztendlich zwei Partner zu einem Abschluss durchringen müssen.
Das ist eigentlich Business as usual bzw. das macht Interessenvertretung halt aus.

In der EU scheinen die Interessen von ArbeitnehmerInnen eher nachrangig behandelt zu werden. Sehen Sie das auch so?

Ja, in der Europäischen Union sicher. Natürlich war und ist die EU auch ein Friedensprojekt, entstanden vor dem Hintergrund der Weltkriege und der Notwendigkeit, Europa wiederaufzubauen. Aber von Anfang lag der Fokus eher auf wirtschaftspolitischen Interessen, um Europa innerhalb der globalen Weltwirtschaft besser zu positionieren. Das zieht sich wie ein roter Faden bis in die Gegenwart durch, bis man langsam draufgekommen ist: ‚Hallo, da gibt es ja auch noch Menschen, die arbeiten.‘ Das ist in den Köpfen der Eliten und vor allem der Wirtschaftseliten immer nur dann drinnen, wenn man Beruhigungszuckerln und Belobigungen an die Mitarbeiter austeilt. Wenn es aber um die Rechte, um Ansprüche und Mitbestimmung geht oder um Entgelt, Arbeitnehmerschutz und dergleichen, sinkt das in der Priorität.
Nachdem aber die Europäische Union von diesen Wirtschaftseliten dominiert wird und von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern leider nicht im gleichen Ausmaß mitgestaltet werden kann, haben wir dort einige sozialpolitische Defizite.

Ein beliebter Vorwurf gegenüber der Gewerkschaft lautet, dass sie zu weit weg von den alltäglichen Problemen sei. Was sagen Sie dazu?

Dieses Argument will ich gar nicht in Abrede stellen, aber das ist so alt wie die Gewerkschaftsbewegung selbst. Weil die, die sagen: „Die Gewerkschaft ist weit weg vom Alltag“, sind in vielen Fällen ident mit jenen, die sagen: „Jetzt habe ich ein Alltagsproblem und möchte, dass das irgendwer da oben für mich regelt.“
Wir sind durch die vielen Betriebsrätinnen und Betriebsräte, deren Handlungsbereich unmittelbar der Betrieb ist, im Alltag präsent. Wir haben dementsprechend vielfältige Möglichkeiten, in Verhandlungen mit Geschäftsführern oder der Unternehmensleitung Ungerechtigkeiten oder Gesetzesverstöße abzustellen und saubere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Von der Basis kommen berechtigte Forderungen wie: „Das sollte gesetzlich geregelt sein, das gehört geändert und darf nicht sein oder das wollen wir haben. Das sollte man in den Kollektivvertrag hineinschreiben.“
Wenn man die Gesetze und Kollektivverträge dann hat und am Arbeitsplatz wird deren Einhaltung aber nicht überwacht – hier kommen wieder die Betriebsrätinnen und Betriebsräte ins Spiel –, dann sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind.
Es gibt also ein ständiges Wechselspiel zwischen Alltag am einzelnen Arbeitsplatz bis hinauf zur Gesetzwerdung. Daher ist das Argument wie immer nicht ganz falsch, weil es dem persönlichen Empfinden des Einzelnen entspricht, bei dem gerade etwas nicht geregelt ist. Auf der anderen Seite engagieren wir uns ja genau dort, deshalb finde ich den Vorwurf nicht wirklich gerechtfertigt.

Wann wird es eine Frau an der Spitze des ÖGB geben?

Wenn der Souverän, das ist in dem Fall der ÖGB-Kongress, eine weibliche Kandidatin zur Präsidentin wählt.

Müsste man bei der Nachwuchsförderung noch mehr tun, um Frauen verstärkt zu fördern?

Grundsätzlich braucht es schon eine Förderung von Frauen – das haben wir auch in unseren Betriebsvereinbarungen –, weil sie, bedingt durch die männerdominierte Welt, in der wir noch immer leben, einen Startnachteil haben und ein schwierigeres Umfeld vorfinden. Wir haben in vielen Bereichen immens kompetente Frauen. Wenn bei uns sowohl eine Frau als auch ein Mann mit gleicher Qualifikation und geeigneter Persönlichkeit für eine Position zur Wahl stehen, dann haben wir die Zielsetzung, dass Frauen so lange bevorzugt werden, bis entsprechend viele Frauen Führungs- und Leitungspositionen innehaben. Das ist angesichts der bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine gerechtfertigte Maßnahme.

Welche frauenpolitischen Herausforderung sehen Sie auf Kollektivvertrags-Ebene?

Das Wesenselement eines Kollektivvertrags ist es ja, Mindeststandards zu regeln – ich sage bewusst: Mindeststandards! Unsere Lohngruppen sind, was den Betrag betrifft, absolut geschlechtsneutral. Da ist nicht mehr viel möglich.
Der Kernpunkt ist die betriebliche Praxis: Warum werden Frauen mit ihrer Tätigkeit so bewertet und in eine untere Gruppe eingestuft und warum werden Männer mit ihrer Tätigkeit höher bewertet und in die höhere Gruppe eingestuft? Der entscheidende Aspekt ist, dass weibliche Arbeit in vielen Fällen unbegründet schlechter bewertet wird als männliche.

Wie steht’s um die Vielfalt im ÖGB?

Wir sind eine der vielfältigsten Organisationen, die es überhaupt gibt. Wenn man sich den ÖGB mit seinen 70 Jahren anschaut, dann ist es mit der Entscheidung im Jahr 1945, den gemeinsamen, überparteilichen, aber nicht unpolitischen Gewerkschaftsbund zu gründen, gelungen, eine Vielfalt unter einem Dach zu vereinen, die kaum übertroffen werden kann.
Alleine wenn man die Vielfalt der unterschiedlichsten Berufsgruppen hernimmt. Unser gemeinsames Ziel ist, die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also der unselbstständigen Erwerbstätigen zu vertreten und vor allem jene der Mitglieder. Aber sind denn die Interessen des Arbeitnehmers Richter wirklich die gleichen wie jene der Arbeitnehmerin in der Krankenpflege? Sind die Interessen des Polizisten die gleichen wie die einer Verkäuferin im Handel? Sind die Interessen des Facharbeiters, der irgendwo auf der Welt auf Montage ist, wirklich die gleichen wie die Interessen des Verwaltungsbeamten im Rathaus?
Wir haben die Vielfalt der unterschiedlichen Traditionen und historisch gewachsenen Identitäten. Auch die Interessen der gesellschaftspolitischen Ausrichtungen sind sehr vielfältig: Mit dem Grundprinzip Überparteilichkeit haben wir alle unter einem Dach vereint: Sozialdemokraten, Christdemokraten, Freiheitliche, Parteiunabhängige, grüne Gewerkschafter, kommunistische Gewerkschafter und so weiter.
Stellen Sie sich vor, wie herausfordernd es ist, in so einer großen Organisation mit dieser Vielfalt einen Interessenausgleich herbeizuführen und dann zu einer gemeinsamen Position, zu einem gemeinsamen Arbeitsprogramm und zu gemeinsamen Zielsetzungen des ÖGB zu kommen, die von allen mitgetragen werden können.

Angenommen, in der Arbeitswelt der Zukunft gibt es nur noch EinzelunternehmerInnen. Welche Rolle hätte dann der ÖGB noch?

Wir haben in dieser neuen Form der Arbeitswelt diese – ich nenne es so, obwohl es ein sperriges Wort ist – Prekarisierung, also ungesicherte Arbeitsverhältnisse. Das ist eine der größten Herausforderungen. Zum Teil arbeiten Menschen als Neue Selbstständige, weil sie das selbst so wollen. Wenn ein Unternehmen daraus erwächst, dann ist das gut, denn es gibt viele Menschen, die nicht selbstständig sein wollen und ganz gerne und sehr erfolgreich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.
Ich glaube aber nicht, dass es im Extremfall fast nur mehr Neue Selbstständige geben wird und keine Arbeitnehmer. Umgekehrt müssen wir genauso zur Kenntnis nehmen, dass das ausschließliche Arbeitnehmertum ergänzt wird durch sehr viele Neue Selbstständige und dass diese Menschen auch ein Recht auf soziale Absicherung haben.
Da wäre es von größter Bedeutung, dass man für diese genauso ein gesetzliches Rahmenwerk schafft, damit sie existenzsichernd arbeiten können und nicht das volle Risiko allein tragen müssen.

Das ist ja oft verbunden mit Individualisierung, was eine Organisierung schwierig macht. Wie damit umgehen?

Unser Gegenüber, unser Vertragspartner ist der Arbeitgeber, etwa wenn es darum geht, einen Arbeitsvertrag zu verhandeln oder Rahmenbedingungen für einen Arbeitsvertrag zu vereinbaren. Aber das gibt es bei den Neuen Selbstständigen nicht. Wie regele ich als Gewerkschaft einen Werkvertrag, der zwischen zwei Selbstständigen abgeschlossen wird? Das wäre eigentlich Aufgabe der Wirtschaftskammer, immerhin betrifft das die Hälfte ihrer Mitglieder.
Was war der oder was waren die größten Erfolge der letzten 70 Jahre?

Einer der größten Erfolge ist, dass wir mit den 70 Jahren Zweite Republik 70 Jahre sozialen Frieden in Österreich haben. Gerade wenn man es an der Zwischenkriegszeit misst, dann weiß man, welch hohen, hohen Wert dieser soziale Friede hat.
In diesen letzten 70 Jahren haben wir uns aus dem Trümmerhaufen des Zweiten Weltkrieges zu einem der wohlhabendsten, sozial sichersten und wirtschaftlich erfolgreichsten Staaten der Welt hinaufgearbeitet. Das war der Fleiß aller Österreicherinnen und Österreicher.
Und es ist uns gelungen, den Interessenausgleich in einer anderen Art und Weise zu organisieren und zustande zu bringen als in der Ersten Republik oder davor. Das ist zu einem Gutteil das Verdienst der Sozialpartnerschaft und da ist der Österreichische Gewerkschaftsbund, gemeinsam mit der Arbeiterkammer, ein unverzichtbares Element, dem die Verbände der Arbeitgeberseite gegenüberstehen. Den wirtschaftlichen und sozialen Interessenausgleich friedlich organisiert zu haben: Das ist die Erfolgsstory der letzten 70 Jahre.
Eine der wesentlichsten Ziele ist es jetzt, diesen erfolgreichen Weg weiterzugehen. Was nicht heißt, dass man das eine oder andere adaptieren und der Zeit anpassen muss oder dass man nicht ändern sollte, was nicht erfolgreich war. Es ist eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben, den Weg unter neuen Rahmenbedingungen in den nächsten 70 Jahren weiterzugehen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 3/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089918787 ÖGB-Präsident Erich Foglar http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089895775 "Nicht zuletzt" ... Gegen die Erosion des Rechtsstaats Notlage
In der Baubranche werden ArbeitnehmerInnen auf irgendwelche Arbeitgeberkonten bei der Gebietskrankenkasse angemeldet. Unkenntnis der Rechtslage, Sprachprobleme und in vielen Fällen auch schlichte Notlage lassen ArbeitnehmerInnen in eine Falle tappen, aus der sie mit den vorhandenen rechtlichen Mitteln des Rechtsstaats nicht mehr befreit werden können. Sie leisten auf Baustellen wertvolle Arbeit, die mangels Feststellbarkeit des Arbeitgebers auch nicht mit gerichtlicher Hilfe befriedigend entlohnt wird.
Die Preise für jene Bauleistungen, die nicht abgegolten werden, werden den Bauherren natürlich verrechnet. Damit erhalten jene Unternehmen an der Spitze der Arbeitgeberpyramide jedenfalls ihren kalkulatorisch ermittelten Preis, die betroffenen ArbeitnehmerInnen gehen weitgehend leer aus. Dass diese Situation unhaltbar ist, wird auf zunehmend breiterer Basis erkannt und muss einer vernünftigen Regelung zugeführt werden. Die Haftung des Generalunternehmers, also jenes Unternehmens, das letztendlich auch den Preis für das Bauwerk vereinnahmt, scheint die einfachste und gerechteste Lösung dafür zu sein.

Ganz anders stellen sich die Probleme im Gastgewerbe dar. Die meisten beklagten Arbeitgeber führen schlicht zwei Verrechnungskreise. In der offiziellen, auch den Abgabenbehörden bekannt gegebenen Version des Arbeitsverhältnisses werden ArbeitnehmerInnen als Teilzeit-, manchmal sogar geringfügig Beschäftigte auf KV-Basis geführt. Die Realität sieht freilich ganz anders aus. So sind gelegentlich „geringfügig Beschäftigte“ anzutreffen, deren wöchentliche Arbeitszeit jenseits zulässiger Arbeitszeitgrenzen liegt. Pro forma werden Lohnkonten entsprechend der „offiziellen Sozialversicherungsmeldung“ geführt.

Zitat aus einem Urteil des OLG Wien – beklagter Unternehmer: „Das ist ja nicht in die Buchhaltung gekommen.“ Die Buchhaltung wurde daher nur zum Schein mit den im KV enthaltenen Sätzen geführt, die tatsächliche Entlohnung weicht davon im aufgezeigten Sinne ab. Untersuchungen von aktenkundigen Sachverhalten von AK und Gewerkschaft vida haben vor nicht allzu langer Zeit gezeigt, dass dieses Phänomen im Kollektivvertragsbereich Gastgewerbe jedenfalls 2,5-fach häufiger anzutreffen ist als im Durchschnitt aller Akten. Die betroffenen ArbeitnehmerInnen erleben ein böses Erwachen. Beweiskräftige Unterlagen gibt es meist nur für den offiziellen Teil des Arbeitsverhältnisses, der „Schwarzanteil“ lässt sich oft nur unter größten Schwierigkeiten oder gar nicht beweisen.

Schwarzgeldseen
Damit wird für die einzelnen Betroffenen sowohl das negative Schicksal sozialrechtlicher Anwartschaften (Arbeitslosen- und Krankengeld sowie Pension) als auch arbeitsrechtlicher Ansprüche besiegelt. Im Hintergrund dieser Systeme – es handelt sich nicht um bedauerliche Einzelfälle – stehen wahre Schwarzgeldflusslandschaften. Den betroffenen ArbeitnehmerInnen ist meist nicht erkennbar, ob und in welchem Ausmaß das gelebte Arbeitsverhältnis vom „offiziell verzeichneten“ abweicht.

In diesem Bereich erscheint die einzig effiziente Maßnahme die Trockenlegung der „Schwarzgeldseen“ durch fälschungssichere Registrierkassen. Ein Arbeitgeber, der seine Umsätze nur im vollen Ausmaß in seinen Büchern führen kann, wird schwer Gelegenheit haben, seinen ArbeitnehmerInnen die versprochenen Löhne schwarz auszuzahlen. Die in den letzten Monaten zu beiden Bereichen auf politischer Ebene geführten Diskussionen lassen die Hoffnung zu, dass der Erosion des Rechtsstaats endlich gegengesteuert wird.

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Hans Trenner, Leiter des Bereichs arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz, AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089895766 Frisch gebloggt Webtipps der Woche

Wir legen Ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Griechenland auf gutem Weg? (Heiner Flassbeck)
  • Arbeitskräfteangebot zählt (Markus Marterbauer)
  • Atypische für Frauen die Norm (Christa Schlager)

Griechenland auf gutem Weg?

Der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck zeigt, warum die Krisenpolitik der EU Griechenland in den letzten Jahren alles andere als geholfen hat. Im Gegenteil, so Flassbeck: Im Mai 2010 wurde das erste Memorandum of Understanding mit der Troika unterzeichnet und Griechenland bekam zum ersten Mal Geld, um seine Zahlungsfähigkeit zu erhalten.
Die gesamtwirtschaftliche Produktion und das Einkommen sanken im Folgenden von Mai 2010 bis Ende 2013 real zusätzlich um fast 20 Prozentpunkte. Die neue griechische Regierung sei gewählt worden, um die Wirtschaftspolitik, die solche Ergebnisse mit sich gebracht hat, zu beenden.
Warum, so fragt Flassbeck vor allem in Richtung der deutschen Regierung, sei es so schwer zu begreifen, dass sich die Mehrheit der Griechen zu Recht weigert, ein Hilfsprogramm weiterzuführen, das niemals so funktioniert hat, wie es die Geldgeber versprochen haben, und das der Masse der griechischen Bevölkerung offenkundig gewaltigen Schaden zugefügt hat und weiter zufügen wird? Die Fortführung desselben Programms sei gegen jede Vernunft und werde in den anderen von der Krise und ähnlichen Programmen betroffenen Ländern einschließlich Italien und Frankreich den radikalen Anti-Europäern auf der rechten Seite des politischen Spektrums enormen Auftrieb geben.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/flassbeck-griechenland/

Arbeitskräfteangebot zählt

Österreich und Deutschland weisen die niedrigsten Arbeitslosenquoten in der EU auf. Doch während bei uns die Arbeitslosigkeit steigt, fällt sie beim Nachbarn. Warum ist das so?
Der Wirtschaftswissenschafter Markus Marterbauer zeigt, dass die üblichen Erklärungen über Arbeitsmarktreformen und wirtschaftlichen Erfolg den Unterschied nicht erklären. Denn obwohl sich das Bruttoinlandsprodukt und die Zahl der Beschäftigten in Österreich wie in Deutschland entwickelten, stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen in Österreich um ein Drittel, während sie in Deutschland um ein Viertel zurückging. Damit bricht die Erklärung auf Basis der erfolgreichen Arbeitsmarktreformen Deutschlands, die Gesamtwirtschaft und Arbeitsmarkt auf die Überholspur brachten, in sich zusammen.
Denn die Arbeitskräftenachfrage war nicht die entscheidende Determinante der Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Vielmehr war es die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots, die den Unterschied ausmacht. Denn die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schrumpfte in Deutschland zwischen 2000 bis 2008 um 2,7 %, während sie in Österreich um 4 % wuchs. Die Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: Ohne Verkürzung der Arbeitszeit rückt Vollbeschäftigung in Österreich in weite Ferne.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/oesterreich-und-deutschland-angebot-arbeitskraeften-praegt-arbeitslosenquote/

Atypische für Frauen die Norm

Wie weit ist die Atypisierung von Beschäftigungsverhältnissen in Österreich fortgeschritten und welche Konsequenzen hat das auf die Einkommen der Menschen?
Die Ökonomin Christa Schlager gibt anhand des Einkommensberichts des Rechnungshofs eine überraschende Antwort: Für die Mehrheit der Frauen ist die sogenannte „atypische“ Arbeit die Norm. Als atypisch gelten: Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, Befristung, Leih- oder Zeitarbeit. 60 % der Frauen und 23 % der Männer sind in solchen Beschäftigungsverhältnissen tätig. Für Frauen ist es also „normal“, kein Normalarbeitsverhältnis zu haben.
Eine teilzeitbeschäftigte Frau verdiente im Jahr 2013 im Mittel rund 16.000 Euro brutto im Jahr, das sind monatlich rund 990 Euro netto. Ein „normales“ Fraueneinkommen liegt damit nur knapp über der Armutsgrenze. Zeit für eine Erwerbsarbeit, von der Frau und Mann „gut leben“ können, und eine gleichere Verteilung der unbezahlten Haus-, Betreuungs- und Pflegearbeiten, die das ermöglicht.
Lesen Sie mehr:
blog.arbeit-wirtschaft.at/einkommen-zum-leben/

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Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893985 Der Kreis schließt sich 2012 war es so weit: Der langersehnte und mit viel Freude erwartete, aber auch etwas respekteinflößende Praktikumsmonat in Hamburg begann. Die Asklepios Kliniken in Hamburg wurden vor Jahren privatisiert, und es war eine spannende Aufgabe, zu ergründen, wie die dortigen PersonalvertreterInnen auf diese Herausforderung reagiert haben.
Dienstbeginn war um 8.30 Uhr, und noch heute weiß ich: Ich stand um 7 Uhr vor einem riesigen Klinikkomplex mit einem beeindruckenden Verwaltungshaus aus roten Backsteinziegeln. Schnell die ersten Fotos geschossen, und dann ab in die Kantine auf einen Tee mit Brötchen. Ich wurde von Alexandra Pleger mit einem herzlichen „Moin, ich bin die Alex“ empfangen und das Eis war gebrochen. Nach und nach lernte ich die gesamte Truppe kennen, an der Spitze die Konzernbetriebsratsvorsitzende (KBR) Katharina Ries-Heidtke, weiters die von ver.di entsandte Vertreterin Lisa Merla und Thomas Haupt vom Gesamtbetriebsrat (GBR).

Powertruppe
Diese Powertruppe zeigte mir die so typische deutsche freundliche, aber auch sehr bestimmte Art und Weise, wie man Betriebsratsarbeit auf höchstem Niveau professionell leisten kann. Eine Sitzung jagte die nächste. Mir wurde sehr schnell klar, dass GBR und KBR ineinander verzahnt sind und sich gegenseitig vorantreiben. Im GBR konnte ich an BR-Sitzungen vor Ort und an taktischen Sitzungen teilnehmen, die die verschiedensten Themen betrafen. Im KBR wurde ich von Katharina Ries-Heidtke zu Besprechungen der Konzernspitze mitgenommen. Ein paar Zahlen, um zu veranschaulichen, in welchen Dimensionen hier gedacht wird: Die Entscheidungen, die dort ausverhandelt werden, betreffen ca. 34.500 Vollzeitarbeitskräfte, der Konzern hatte 2013 weltweit einen Umsatz von 2,9 Milliarden Euro. 

Bei Streik dabei
In Hamburg, also auf GBR-Ebene, werden von den PersonalvertreterInnen ca. 11.240 Personen vertreten. Hier konnte ich an einer Schlichtungskommission teilnehmen, eine Betriebsratswahl in einem Krankenhaus mitverfolgen, und auch bei einem Streik war ich dabei.
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wurde ich als „Ösi“ um meine Meinung gefragt bzw. wie wir in Österreich dieses Problem lösen würden. Jetzt ergab alles einen Sinn. Das Rhetoriktraining, die Stimmbildung, vor Leuten sprechen, eine Meinung haben und diese vertreten, in Lösungen denken, sich vernetzen usw. Rechtlich haben die deutschen KollegInnen mehr Mitbestimmung und diese wird auch konsequent, meistens sogar im Beisein eines eigenen Rechtsanwaltes gefordert und klargestellt. Neben der profunden Ausbildung in der SOZAK war der Praktikumsmonat eine der wichtigsten Erfahrungen in meinem Berufsleben. Durch den ständigen Kontakt mit meinen „HamburgerInnen“ entstand neben einem hervorragenden Netzwerk zu einer BR-Körperschaft auch eine sehr schöne Freundschaft.

INTERVIEW:
Zur Person: Thomas Haul
Wohnort: Hamburg
Momentane Tätigkeit: Betriebsratsvorsitzender der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg
Anzahl der Beschäftigten: 1.600
Gewerkschaft: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Seit wann im Betriebsrat: seit 2000

Was bedeutet für Sie Arbeit?
Macht Spaß, ist notwendig zum Geldverdienen.

Wie sehen Sie die Wirtschaft?
Die Wirtschaft boomt, das hat zur Folge, dass es in den Krankenhäusern Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung gibt.

Was bedeutet Ihnen Gewerkschaft?
Die Gewerkschaft ist eine zwingende Voraussetzung für eine gute Arbeitnehmervertretung.

Was bedeutet Ihnen die EU?
Ich bin Europäer, nicht Deutscher!

Ihr Lieblingsland in Europa?
Großbritannien. Dort bin ich oft und gern. Mich beeindrucken diese tollen Menschen und die wirklich großartige  Landschaft!

Welche Funktion soll aus Ihrer Sicht der Betriebsrat erfüllen?
Der Betriebsrat ist eine Haltelinie zwischen Arbeitgeber-Vorstellungen und den Beschäftigten. Der Betriebsrat vertritt die Interessen der MitarbeiterInnen. Und der Betriebsrat schaut aufs Ganze und hat die Menschen im Auge. Dabei muss man immer abwägen, dass es Einzelinteressen gibt, die manchmal auch im Konflikt zu Teaminteressen stehen. 

Was sind die aktuellen Herausforderungen?
Die vom Arbeitgeber geplanten Zentralisierungen von Abläufen und die Zerschlagung des Betriebes in Tochterunternehmen.

Gewerkschaft kann …
… dafür sorgen, dass Tarifbewegungen zusammengelegt werden. Sie kann dafür sorgen, dass ein Verständnis dafür entsteht, dass wir ein Betrieb sind. Gewerkschaft soll sich um betriebliche Themen kümmern und nicht um die Elbvertiefung!

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?
Einen branchenübergreifenden Tarifvertrag – sowohl für die Krankenhausbeschäftigten als auch für die MitarbeiterInnen der Tochterbetriebe.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gerald.hautz@auva.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gerald Hautz, Teilnehmer des 61. SOZAK-Lehrgangs Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1378462060916 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893974 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893960 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893939 ÖGB öffnet seine Türen In allen Landeshauptstädten sind zahlreiche Veranstaltungen geplant. Der Tag der offenen Tür findet in Kärnten am 9. April, in Salzburg am 17. April, in allen anderen Bundesländern am 16. April 2015 statt.

Salzburg
Salzburg feiert am 17. April:
Am Vormittag führen die MitarbeiterInnen von ÖGB, Gewerkschaften und AK interessierte Besucher durch die Wanderausstellung zum Thema „70 Jahre ÖGB“. Zusätzlich wird am ÖGB-Infostand über das breite Angebot von ÖGB und Gewerkschaften informiert. Am Nachmittag wird dann gefeiert. Nach der Begrüßung durch den ÖGB-Landesvorsitzenden Siegfried Pichler und die ÖGB-Landesgeschäftsführerin Heidi Hirschbichler wartet auf die Besucher ein buntes Programm. Die eingeladenen Zeitzeugen berichten von den Anfängen der Gewerkschaftsbewegung in Salzburg, es wird ein Gedicht präsentiert und die Geburtstagstorte angeschnitten. Für Verpflegung ist ebenso gesorgt wie für kleine Überraschungen im Laufe des Tages.
Wo: ÖGB, Markus-Sittikus-Straße 10,
5020 Salzburg

Vorarlberg
Beratung und Infomesse:
Zwischen 15 und 18 Uhr findet eine Info-Messe in Kooperation mit allen Gewerkschaften und Partnerorganisationen statt. Interessierte haben die Möglichkeit, die ArbeitnehmerInnenveranlagung vor Ort zu machen oder Vorträge zu bestimmten Themen zu besuchen. Ab 19 Uhr wird gefeiert.
Wo: Arbeiterkammer Feldkirch,
Widnau 2–4, 6800 Feldkirch

Tirol
Info und Kabarett:
Neben einem Kabarett mit Markus Linder (ab 19 Uhr) bekommen BesucherInnen auch einen Einblick in das reichhaltige Angebotsspektrum der Gewerkschaften (ab 15 Uhr: Kollektivvertrag, Steuer, Gesundheits-Check, Gewinnspiel und vieles mehr). Für Verpflegung ist gesorgt.
Wo: ÖGB, Südtiroler Platz 14–16,
6020 Innsbruck

Oberösterreich
Großes  Geburtstagsfest:
Die Festveranstaltung in Oberösterreich beginnt am 16. April um 16 Uhr mit einer kulinarischen Zeitreise am Buffet. Im Anschluss daran hält der ÖGB-Landesvorsitzende Johann Kalliauer seine Eröffnungsrede, und die Revue „70 Jahre ÖGB – The Show Must Go on!“ wird gezeigt. Um 19 Uhr fängt das Geburtstagsfest mit Livemusik von der Band TR&B an.
Wo: Arbeiterkammer – Kongresssaal, Volksgartenstraße 40,
4020 Linz

Niederösterreich
Viel Information in St. Pölten:
Im Saal der Arbeiterkammer in St. Pölten können sich Interessierte an den Infoständen der Gewerkschaften, des bfi, der AK, der PVA und AUVA informieren und mit den KollegInnen unterhalten. Im Freien bieten der ÖAMTC, der ARBÖ und der Samariterbund eine kleine Leistungsschau an. Für Unterhaltung ist in Form von Musik und am Abend mit einer Kabarettvorstellung gesorgt. Die Festveranstaltung fängt in Niederösterreich um 14 Uhr an und endet gegen 20 Uhr.
Wo: Arbeiterkammer – Kongresssaal, Gewerkschaftsplatz 2,
3100 St. Pölten

Kärnten
Viele Prominente am 9. April:

Die Festveranstaltung findet in Kärnten am 9. April in der Zeit von 11 bis 12.30 Uhr mit anschließendem Buffet statt. Anlässlich 70 Jahre ÖGB werden viele prominente Gäste auf die Bühne gebeten und interviewt, unter anderem ÖGB-Präsident Erich Foglar, der Landesvorsitzende Hermann Lipitsch und die Landesfrauenvorsitzende Silvia Igumnov. Die Band „Talltones“ sorgt für die musikalische Untermalung.
Wo: Konferenzsaal der Arbeiterkammer, Bahnhofplatz 3,  
9021 Klagenfurt

Steiermark
Open End in Graz:
In Graz tagt der Landesvorstand ab 12.30 Uhr, danach findet die Festveranstaltung zu „70 Jahre ÖGB“ im Innenhof des ÖGB-Hauses statt. Besucherinnen und Besucher können sich austauschen – und zwar so lange, wie sie Lust und natürlich Zeit haben.
Wo: ÖGB, Karl-Morre-Straße 32,
8020 Graz

Wien
Vorträge und Gesundheitsstraße:
Der Tag der offenen Tür findet in Wien am 16. April von 13 bis 18 Uhr statt. Neben Fachvorträgen zu arbeitsrechtlichen und steuerlichen Themen wird es auch Referate, etwa zur „Einbruchsprävention,“ geben.
Weiters präsentieren die Gewerkschaften, Referate des ÖGB, aber auch andere Organisationen ihre Leistungen.
Für alle Interessierten steht auch eine „Gesundheitsstraße“ zur Verfügung und natürlich wird auch für das leibliche Wohl gesorgt.
Wo: ÖGB, Johann-Böhm-Platz 1,
1020 Wien

Burgenland
Durch das ÖGB-Haus wandern:
Der Vormittag gehört ganz der Jugend: Rund 200 Jugendliche haben die Gelegenheit, den ÖGB und seine Gewerkschaften kennenzulernen, mit Pionieren zu diskutieren und die Wanderausstellung „70 Jahre ÖGB“ zu besuchen. Ab 14 Uhr beginnt der Festakt mit Ehrengästen, es gibt ein Impulsreferat mit anschließender Podiumsdiskussion unter dem Motto „Gestern – Heute – Morgen“. Interessierte haben die Möglichkeit, sich durch das Haus zu bewegen, die Wanderausstellung zu besichtigen sowie eine Vernissage mit Bildern des ÖGB-Künstlerworkshops „Arbeit mit Farbe“ und vieles mehr.
Wo: ÖGB, Wiener Straße 7,
7000 Eisenstadt

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Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893877 Das Recht auf Inklusion „Gleich“ ist nicht gleich „gleich“. Das 1979 in Kraft getretene Gleichbehandlungsgesetz regelte zunächst ausschließlich die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz. Erst 2004 wurde das Gesetz durch eine Novelle erweitert – seither ist Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, der sexuellen Orientierung oder des Alters verboten. Im Artikel 4 der 2007 von Österreich ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD – Convention of the Rights for Persons with Disabilities) soll das Recht von Menschen mit Behinderungen auf eine unabhängige Lebensführung sowohl bei Bildung als auch bei Arbeit gewährleistet werden.
In Österreich leben 600.000 Menschen mit Behinderungen. Viele von ihnen sehen sich Diskriminierungen und Vorurteilen ausgesetzt – in der Arbeitswelt, aber auch im Alltag. Verschiedene Institutionen wie der Behindertenanwalt, Arbeiterkammer, Gewerkschaften, der Klagsverband sowie weitere NGOs bieten intellektuell und körperlich beeinträchtigten Menschen im Kampf gegen die Diskriminierung Unterstützung – mit Beratung und rechtlichem Beistand.

Unzureichende Barrierefreiheit
Im Klagsverband nennt man Behinderung als zweithäufigsten Diskriminierungsgrund, hinter ethnischer Zugehörigkeit (53 Prozent) und noch vor der Religion (6 Prozent). „Überwiegend geht es dabei um die Barrierefreiheit“, sagt Volker Frey, Generalsekretär des Klagsverbands, „um den barrierefreien Zugang von Geschäften, Wohnungen und Verkehrsanlagen, aber auch seitens des ORF.“ Denn viele Sendungen sind für seh- oder hörbehinderte Menschen nicht adaptiert, daher können die Betroffenen das Angebot, für das sie zahlen, nicht in Anspruch nehmen.

Sonderschulen statt Inklusion
Als größte Diskriminierung für behinderte Personen nennt Frey die Exklusion im Schulbereich: „Sonderschulen existieren weiter, und die Anzahl an SchülerInnen ist in den letzten Jahren sogar gestiegen, obwohl das ganz deutlich gegen die CRPD verstößt.“ Während es sehr wenige Menschen mit Behinderungen gibt, die studieren, besuchten 2014 insgesamt 2,6 Prozent mehr Kinder Sonderschulen als im Vorjahr. Obwohl der Bedarf an sonderpädagogischer Betreuung kontinuierlich zunimmt, reichen die Mittel dafür jedoch bei Weitem nicht aus. „Inklusive Bildung ist weder im Schulbereich noch bei Fachhochschulen und Universitäten gegeben“, kritisiert Frey.
„Wien hat sich in seinem Etappenplan etwa verpflichtet, die Wiener Schulen bis 2042 barrierefrei zu gestalten.“ Als großes Problem sieht Frey jedoch auch das ungenügende Angebot von persönlicher Assistenz wie beispielsweise Ausbildungs- und Arbeitsassistenz. „Diese ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben, sowohl im Privatbereich als auch im Bildungs- und Arbeitsbereich“, sagt Frey.

Besorgniserregend sieht Volker Frey die Entwicklung am Arbeitsmarkt, denn die Arbeitslosenrate von Menschen mit Beeinträchtigungen stieg mit 21,6 Prozent doppelt so schnell wie die Rate von Menschen ohne Behinderungen (9,1 Prozent). Obwohl im Jänner 2015 die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderungen um 7,6 Prozent geringer war, ist die Tendenz steigend – und das, obwohl in vielen Unternehmen Stellen für beeinträchtigte MitarbeiterInnen unbesetzt bleiben. Einerseits finden Arbeitgeber für den freien Arbeitsplatz kaum BewerberInnen mit Behinderung, da diese aufgrund von Defiziten in der schulischen Integration oder spezifischen Ausbildung keine adäquaten Qualifikationen nachweisen können. Aber selbst wenn die BewerberInnen eine entsprechende Ausbildung abgeschlossen haben, können sie aufgrund der Behinderung nicht jeden Beruf vollständig ausüben. Zudem befürchten Arbeitgeber, dass beeinträchtigte ArbeitnehmerInnen aufgrund des Kündigungsschutzes einen „pragmatisierten“ Arbeitsplatz im Betrieb erhalten. „Der besondere Kündigungsschutz ist ein umstrittenes Thema“, sagt Frey. „Er hilft Menschen, die schon in Beschäftigung stehen, und ist ein Problem für die Neuaufnahme.“

Vorurteile schüren Diskriminierung
Die größte Hürde stellen die Berührungsängste seitens der Unternehmen dar. Oft haben Arbeitgeber Angst, dass behinderte MitarbeiterInnen das Arbeitsklima negativ beeinflussen oder dass sie ihren Job nicht vollständig ausüben könnten.
Volker Frey sieht den Hauptgrund für die hohe Arbeitslosenrate in den Vorurteilen der Arbeitgeber gegenüber behinderten Menschen. Denn Berührungsangst, Unsicherheit und Informationsmangel schüren Vorurteile. „Daraus resultiert dann Diskriminierung“, sagt Frey. Dabei bedenken Arbeitgeber häufig nicht, dass behinderte Menschen oft Fähigkeiten mitbringen, die auf den ersten Moment nicht klar erkennbar sind. „Menschen mit Sehbeeinträchtigungen werden meist nur im Telefondienst eingesetzt. Dabei haben sie ein vielfach besser geschultes und trainiertes Gehirn und wären bestens für einen Programmierjob qualifiziert“, sagt Herbert Pichler von „Chancen Nutzen“.
Beim „Chancen Nutzen“-Büro, einer Initiative der Sozialpartner, finden nicht nur beeinträchtigte ArbeitnehmerInnen, sondern auch Unternehmen und BetriebsrätInnen Beratung und Informationen. Denn es fehlt nicht nur an Problembewusstsein zur Beschäftigung von MitarbeiterInnen mit Behinderungen seitens der Arbeitgeber. Es fehlt vor allem an externer Unterstützung, um notwendige organisatorische Maßnahmen übernehmen, Hilfestellung bei der Einschätzung des Leistungspotenzials der BewerberInnen leisten oder Adaptierungen am Arbeitsplatz gewährleisten zu können. Allein in den Jahren 2003 bis 2013 wurden vom „Chancen Nutzen“-Büro insgesamt 1.911 Betriebsbesuche und 611 Vorträge und Seminare durchgeführt.

Handlungsbedarf
Volker Frey sieht noch viel Handlungsbedarf, vor allem vonseiten der Gesetzgebung. Die Wunschliste des Klagverbands ist lang. „Die wichtigsten Verbesserungswünsche an die Bundes-Gesetzgeber wären zunächst ein Recht auf Beseitigung von Barrieren und Unterlassung von Diskriminierung“, sagt Frey. „Derzeit gibt es nur einen Anspruch auf Schadenersatz.“ Außerdem fehle ein effektives Verbandsklagerecht, auch für Organisationen wie den Klagsverband. Zudem soll im Falle einer Diskriminierung – derzeit ist es nur bei Belästigung der Fall – ein Mindestschadenersatz von 1.000 Euro ermöglicht werden und ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch, so wie er im Behinderteneinstellungsgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz existiert.
Auf Landesebene fordert Frey Etappenpläne zur Beseitigung von Barrieren bei Landes- und Gemeindegebäuden, derzeit ist das nur in Wien und in der Steiermark möglich. Zudem bemängelt Frey, dass in der Grundausbildung von RichterInnen kaum auf Beschäftigung mit Diversität eingegangen werden würde.

Sensibilisierung nötig
Am meisten ist jedoch weitere Sensibilisierung notwendig – vor allem in Betrieben. „Was nicht bekannt ist, führt zu Unsicherheit“, sagt Herbert Pichler, der selbst Sensibilisierungsseminare hält. „Durch Unsicherheit entstehen Angst und Vorurteile. Dadurch entsteht Ablehnung. Und Ablehnung führt zu Diskriminierung.“
Die richtige Kommunikation, offen darüber reden, zuzugeben, dass man keine Erfahrung hat, und der beeinträchtigten Person seine Unterstützung anbieten, ist der richtige Weg, Berührungsängste zu überwinden, und sie richtig kennenzulernen. „Denn als Mensch“, sagt Pichler, „spielt die Behinderung keine Rolle.“

Webtipps:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.behindertenanwalt.gv.at
www.klagsverband.at
www.bizeps.or.at
Broschüre „Selbstbestimmt leben mit Persönlicher Assistenz“ zum Download:
www.bizeps.or.at/broschueren/pa

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net  der die Redaktion aw@oegb.at

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893872 Die größte Diskriminierung für behinderte Personen ist die Exklusion im Bildungsbereich. Während es sehr wenige Menschen mit Behinderungen gibt, die studieren, besuchten 2014 insgesamt 2,6 Prozent mehr Kinder Sonderschulen als im Vorjahr. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893805 Gold bei gutem Arbeitsklima Geld allein macht viele österreichische ArbeitnehmerInnen nicht glücklich. Zumindest wenn es um die eigene Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz geht, spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Den ersten Platz belegt in den meisten Umfragen das Arbeitsklima, gefolgt von einem erfüllenden Aufgabengebiet und dem Einkommen. Ganz so überraschend ist diese Reihung nicht, denn Konflikte – egal ob mit Vorgesetzten oder KollegInnen – können einem das Leben schwer machen und sind oft Auslöser, dass sich MitarbeiterInnen nach einem neuen Job umsehen.

Unsicherheit
Die AK beschäftigt sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Arbeitszufriedenheit, die in den vergangenen Jahren stetig abnimmt. Sichtbar wird das zum Beispiel, wenn man sich die Zufriedenheit der österreichischen Beschäftigten mit ihren Aufstiegs- und Entwicklungschancen ansieht: Vor fünf Jahren – also mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise – waren noch 57 Prozent mit ihren Karrieremöglichkeiten zufrieden. Mittlerweile ist es nicht einmal mehr die Hälfte (48 Prozent). ArbeiterInnen (39 Prozent), MigrantInnen (35 Prozent) und Niedrigqualifizierte (37 Prozent) sind besonders unzufrieden. Und rund jede/r Fünfte in diesen drei Bereichen schätzt seinen/ihren Arbeitsplatz als unsicher ein. Ob Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreisindex oder Börsenindex: Die wirtschaftliche Entwicklung wird in vielen Kennzahlen gemessen. Was diese Zahlen jedoch nicht erfassen, ist, wie es den direkt Betroffenen, den österreichischen Beschäftigten, geht. Ihre Sicht, ihre Erwartungen und Befürchtungen werden in wirtschaftlichen und sozialpolitischen Diskussionen viel zu wenig berücksichtigt.
Der österreichische Arbeitsklima Index (AI) liefert seit mehr als 15 Jahren diese Daten. Die AK Oberösterreich hat diesen im Jahr 1997 gemeinsam mit dem Institut für empirische Sozialforschung (IFES) und dem Institut for Social Research and Analysis (SORA) entwickelt.
Der Index misst die Arbeitszufriedenheit der ArbeitnehmerInnen in Österreich, sowohl in der privaten Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst. Er untersucht die subjektive Einschätzung der Beschäftigten hinsichtlich Gesellschaft, Betrieb, Arbeit und Erwartungen. Der Index wird zweimal jährlich berechnet, und die Berechnung beruht auf vierteljährlichen Umfragen unter den österreichischen ArbeitnehmerInnen. Ergänzend dazu gibt es Sonderauswertungen.

(Un-)Zufriedenheit in Zahlen
Doch was bedeutet es, wenn der österreichische Arbeitsklima Index 107 Punkte beträgt? Was sagt dieser Wert über die Arbeitszufriedenheit aus? Liegt der eigene Wert unter oder über diesem österreichischen Gesamtwert? Und wie liegt der persönliche AI im Vergleich mit der eigenen sozioökonomischen Gruppe? Auf
www.arbeitsklima.at kann ein Selbsttest durchgeführt werden, alle diese Fragen lassen sich in wenigen Minuten mit zehn einfachen Fragen beantworten, und so kann man die persönliche Arbeitszufriedenheit ausrechnen.
Die Fragen lauten zum Beispiel: Wie zufrieden sind Sie mit den Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten in Ihrem Betrieb? Oder: Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Weiterbildungsmöglichkeiten? Die Antworten können auf einer Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 5 (gar nicht zufrieden) abgegeben werden. Für die Berechnung des eigenen AI wird nicht nur nach Zufriedenheit, sondern auch nach Belastungen, wie etwa Stressfaktoren, gefragt. Die errechnete Zahl zeigt, ob man unter oder über dem Österreich-Wert liegt. Das Ergebnis des Selbsttests ist anonym, die Daten werden nicht gespeichert.

Schlechte Aussichten
Seit 2010 bewegt sich der Arbeitsklima Index zwischen 107 und 108 Punkten. Aktuell ist er gegenüber 2014 um einen Punkt auf 107 gesunken. Der letzte Höhepunkt des AI wurde im Herbst 2007 mit 112 Punkten verzeichnet. Dann ging es bedingt durch die Krise schnell bergab.
Vor allem sind die Teilindizes „Gesellschaft“ und „Erwartungen“ in den letzten Jahren gesunken. Eine echte Erholung des AI ist nicht in Sicht: Die Arbeit wird von immer mehr Menschen als fordernder und anstrengender empfunden. Als Folge nimmt die Belastung durch Stress zu. Die Subdimension „Psychischer Stress“ ist im Vergleich zum Vorjahr um zwei Punkte gestiegen, ebenso die körperlichen Belastungen. 46 Prozent der Beschäftigten geben an, sich durch Zeitdruck sehr bis mittel belastet zu fühlen, ein Jahr zuvor waren es 43 Prozent. Auch die Belastungen durch schlechte Gesundheitsbedingungen am Arbeitsplatz sind um drei Prozentpunkte auf 27 Prozent gestiegen.
Besonders Männer spüren wieder höhere Belastungen durch Stress: Bei männlichen Beschäftigten liegen die psychischen Belastungen um vier Punkte und die physischen Belastungen um 15 Punkte höher als bei weiblichen.

Zufriedenere Führungskräfte
Auf der Homepage des AI finden sich alle aktuellen Ergebnisse und Hintergrundinformationen, etwa zu Themen wie Kinderbetreuung, Gewalt am Arbeitsplatz, Ältere ArbeitnehmerInnen oder auch LeiharbeiterInnen. Ebenfalls online ist der Führungskräfte-Monitor: Er beantwortet die Frage, wie es um die Arbeitszufriedenheit der österreichischen Führungskräfte steht.
Eine erste Auswertung belegt, dass Führungskräfte generell zufriedener in ihrem Job sind als die übrigen ArbeitnehmerInnen. Zwar werden sie im Umgang mit den MitarbeiterInnen gefordert, unter anderem dabei, dass sie harte Entscheidungen treffen müssen und dadurch in persönliche Konflikte geraten. Dennoch kommen sie derzeit auf 112 Punkte im AI, ohne Führungsaufgaben sind es 109 Indexpunkte. Personen in Führungspositionen werden aber auch physisch sehr gefordert. 23 Prozent geben an, pro Woche mehr als 45 Stunden zu arbeiten, weitere 22 Prozent kommen auf mehr als 40 Stunden pro Woche.
Nicht nur die Arbeit wird in Teilbereichen als stressiger und belastender empfunden, auch die Zukunftsaussichten der Beschäftigten werden immer trüber. Laut dem AI haben sich seit dem vergangenen Frühjahr die „Arbeitsmarktchancen“ um drei Punkte verschlechtert. In den letzten fünf Jahren sind sie sogar noch deutlicher zurückgegangen. Bestimmte Anreize für MitarbeiterInnen, eine gute Kommunikation im Unternehmen und ein gutes Arbeitsklima können helfen, die Zufriedenheit zu steigern. Denn wie oft gesagt und vielen bekannt: Unzufriedenheit am Arbeitsplatz führt auch zu geringerer Produktivität.

Neuer Internetauftritt
Vor rund 15 Jahren ging die Arbeitsklima-Index-Homepage online. Seitdem haben sich die Software, aber auch die Bedürfnisse der an den Arbeitsklima-Index-Daten Interessierten, etwa BetriebsrätInnen, JournalistInnen, WissenschafterInnen und Studierende, geändert und weiterentwickelt. Aus diesem Grund wurde die Online-Datenbank neu gestaltet, Ziel waren ein modernes und übersichtliches Design und mehr Auswertungsmöglichkeiten. So bietet die AK Oberösterreich nun Zugang zu rund 70.000 Datensätzen, die halbjährlich aktualisiert werden. Mit personenbezogenen Variablen wie Alter, Geschlecht und Bildung können bestimmte Gruppen unter die Lupe genommen werden.

Analyse und Vergleich
Die unterschiedlichsten Elemente des AI helfen, spezifische Bereiche des Berufslebens zu untersuchen. Über die Definition bestimmter Betrachtungszeiträume bleibt die Übersicht gewahrt.
Die Ergebnisse können als Tabellen oder Grafiken heruntergeladen oder direkt verwendet werden. Somit steht allen Interessierten eine moderne, leicht nutzbare und komplette Online-Datenbank zur Verfügung, die Analysen und Vergleiche über viele Jahre hinweg ermöglicht. Für die Nutzung der Datenbank ist auch keine Anmeldung oder Installation nötig.

Webtipp:
Weitere Infos und Downloads zum Thema finden Sie unter:
www.arbeitsklima.at

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Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893794 Konflikte - egal ob mit Vorgesetzten oder KollegInnen - können einem das Leben schwer machen und sind oft Auslöser, dass sich MitarbeiterInnen nach einem neuen Job umsehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893705 Mehr Zeit statt Geld Work-Life-Balance wird für immer mehr Menschen wichtig. Sie suchen sich ihre Arbeitgeber auch danach aus, wie sehr diese auf die individuellen Arbeitszeitwünsche der ArbeitnehmerInnen eingehen. Einerseits möchten ArbeitnehmerInnen ihre Arbeitszeit flexibel gestalten, anderseits erfordern familiäre Verpflichtungen oftmals Flexibilität. Dieser Entwicklung haben sich die Sozialpartner der Elektro- und Elektronikindustrie (Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie, Produktionsgewerkschaft und Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) im Jahr 2013 aktiv angenommen und erstmals die Wahlmöglichkeit zwischen kollektivvertraglichen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen und regelmäßigen Zeitgutschriften geschaffen. Im gleichen Jahr übernahm ein Teil der Metallindustrie diese neue Option und im Jahr 2014 konnte die sogenannte „Freizeitoption“ bereits mit drei Fachverbänden der österreichischen Industrie vereinbart werden.

Hürde Betriebsvereinbarung
Voraussetzung für diese „Freizeitoption“ ist lediglich eine freiwillige Betriebsvereinbarung – wobei sich diese vermeintlich niedere Schwelle als größte Hürde herausgestellt hat. Die einzelnen MitarbeiterInnen stehen sodann vor der Wahl zwischen der jeweils ausverhandelten Lohn- bzw. Gehaltserhöhung oder zusätzlicher Freizeit in entsprechendem Ausmaß.
Beim Kollektivvertragsabschluss der Elektro- und Elektronikindustrie 2013 wurde eine Erhöhung der Ist-Löhne und -Gehälter zwischen 2,8 und 3 Prozent vereinbart. Als Alternative standen bis zu fünf monatliche Freistunden beziehungsweise eineinhalb zusätzliche freie Wochen pro Jahr zur Auswahl. Im Jahr 2014 bedeutete die (Ist-)Lohn- und Gehaltserhöhung von 2,35 Prozent eine Freizeit von 3 Stunden und 56 Minuten. Dieser Zugewinn an Freizeit ist logischerweise nicht einmalig, sondern gebührt Monat für Monat und Jahr für Jahr. Die Art der Inanspruchnahme kann individuell vereinbart werden, prinzipiell jedoch stündlich, täglich oder wochenweise erfolgen.

Quergelegt
In 21 Betrieben wurde die Freizeitoption im zweiten Jahr eingeführt. Unter den Unternehmen mit Freizeitoption finden sich sowohl große Betriebe mit über 500 Angestellten (bspw. Siemens AG, Infineon, Zumtobel) als auch mittlere Betriebe mit 100 bis 200 Angestellten (bspw. AT&S, ATB, BECOM) sowie auch kleinere Betriebe mit weniger als 100 Angestellten (bspw. CMS, DELPHI, VAPC). Nach dem ersten Jahr sind fast nur positive Rückmeldungen zur Freizeitoption gekommen. Warum also haben nicht alle Betriebe in der Elektro- und Elektronikindustrie im zweiten Jahr dieses von ihrem eigenen Fachverband als „überaus innovativ“ gelobte Modell übernommen? Immerhin lautete die Kritik vieler Arbeitgeber im ersten Jahr, dass die Zeit nicht ausreichend war, um sich mit dem Instrument auseinanderzusetzen. Viele Betriebe wollten die Erfahrungen der anderen abwarten, um dann im nächsten Jahr zu entscheiden. Während die ArbeitnehmerInnenschaft sofort von der neuen Möglichkeit begeistert war, waren es auch im zweiten Jahr die Arbeitgeber, die sich querlegten. Bei über zwei Dritteln der Betriebe führte die ablehnende Haltung der Geschäftsführung dazu, dass die Freizeitoption nicht gemacht wurde. Bei einem Drittel der Betriebe haben sich Betriebsrat und Geschäftsführung darauf verständigt, die Freizeitoption nicht zu machen.

Großes Interesse
Fakt ist: Nur in der Hälfte der Betriebe, in denen sich MitarbeiterInnen für die Freizeitoption interessieren, wurden auch entsprechende Verträge abgeschlossen. Wer sind diese Menschen? Es ist der junge Arbeiter, der weiß, dass er in fünf Jahren mit dem Hausbau beginnen möchte und dann sehr viel Zeit brauchen wird. Es ist der ältere Kollege aus dem Vertrieb, der sich das eine oder andere Wochenende verlängern möchte, um mit seiner Frau mehr auf Reisen zu gehen. Es ist der junge Techniker, der am Freitag gerne seine beiden Kinder vom Kindergarten abholen will und nicht nur jedes Mal davon reden möchte. Es ist die Lohnverrechnerin, die mit Leidenschaft auf ihre Enkerln schaut und damit auch ihrem Sohn hilft. Es ist der Instandhalter, der endlich mehr Zeit zum Segeln haben möchte.
Sowohl Männer als auch Frauen zählen zu den NutznießerInnen, faktisch besteht eine Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern: 81,90 Prozent der Männer haben die Freizeitoption in Anspruch genommen und nur 18,11 Prozent der Frauen. Diese ist allerdings der Branchenstruktur geschuldet, denn in der Elektro- und Elektronikindustrie arbeiten nur 18 Prozent Frauen. Aufgeteilt auf die Beschäftigungsgruppen zeigt sich, dass die Freizeitoption vor allem in der Mitte (Beschäftigungsgruppen F & G) sehr stark in Anspruch genommen wird (50,57 Prozent), durchaus jedoch auch am unteren (21,26 Prozent bei Stufe D & E) sowie oberen Ende (28,16 Prozent bei den Stufen H bis K). Interessant ist auch die Altersverteilung der FreizeitoptionsnehmerInnen: Knapp die Hälfte (46,10 Prozent) ist unter 40, etwas mehr als die Hälfte (53,90 Prozent) über 40 Jahre alt. Anders als vielleicht erwartet, finden auch junge Arbeitskräfte Gefallen an mehr Freizeit. Immerhin 15,58 Prozent der FreizeitoptionsnehmerInnen sind unter 30.

Mehr Freizeit für zehn Prozent
Insgesamt kamen somit im ersten Jahr fast zehn Prozent aller Beschäftigten in den Genuss von mehr Freizeit. Da die Arbeitgeber-Seite in den Kollektivvertragsverhandlungen darauf bestanden hat, dass die Freizeitoption nur einmal je ArbeitnehmerIn in Anspruch genommen werden kann, ging die Anzahl der Anträge im zweiten Jahr erwartungsgemäß stark zurück: Im zweiten Jahr waren es nur rund fünf Prozent aller Beschäftigten.
Warum erhalten nicht alle die Freizeitoption, die sie gerne hätten? Die Gründe für abgelehnte Anträge lauten: „das Veto der Vorgesetzten“ (34 Prozent) und „zu viele Anträge der gleichen Abteilung“ (17 Prozent). Weniger problemrelevant schienen „fehlende Überzahlung“ und der „Ablauf der Bewerbungsfrist“. Das große Chaos bei der Umsetzung der Freizeitoption blieb also weitestgehend aus. Nimmt man 2013 und 2014 zusammen, gaben weniger als ein Drittel der Betriebe (31,58 Prozent) an, bei der Umsetzung Probleme gehabt zu haben.
Die meisten verwenden die neue Freizeit wie ein Sparkonto und haben noch gar keine angesparte Freizeit verbraucht (87 Prozent). Auch sehr beliebt ist es, die Fenstertage freizunehmen oder den Urlaub zu verlängern (82 Prozent). Für die Hälfte der Befragten ist es auch interessant, die Zeit für das Ansparen für die Pension zu nutzen, während es für die andere Hälfte gar nicht infrage kommt.

Eindeutiger Auftrag
Die „Freizeitoption“ ist bei den Beschäftigten der Elektro- und Elektronikindustrie sehr beliebt. Unsicherheiten bei der Umsetzung verschwanden im zweiten Jahr fast gänzlich. Dass der mit Abstand größte Hinderungsgrund für eine flächendeckendere Einführung das Veto der Geschäftsführungen war, zeigt: Solange kein Anspruch auf die Freizeitoption besteht, wird sich daran nicht so leicht etwas ändern lassen. Für die Gewerkschaft liefern die vielen positiven Rückmeldungen jedenfalls den eindeutigen Auftrag, auch weiterhin für „Freizeitoptionen“ in ausgewählten Branchen zu stehen und zu kämpfen.

Anmerkung: Alle Zahlen beziehen sich auf eine Studie in der Elektro- und Elektronikindustrie, die die GPA-djp unter allen Betriebsratsvorsitzenden der Elektro- und Elektronikindustrie im Herbst 2014 durchgeführt hat. Geantwortet haben insgesamt 51 Betriebsratsvorsitzende, die im Namen der von ihnen vertretenen Betriebe teilgenommen haben.

Webtipp:
PRO-GE „So funktioniert die Freizeitoption“: tinyurl.com/pm3f3ku
Kompetenz: tinyurl.com/pqodv5q
Die Freizeitoption in Kollektivverträgen als pdf zum Download: tinyurl.com/pp2cju5

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen eva.scherz@gpa-djp.at und m.schwendinger@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Eva Scherz, Geschäftsbereich Interessenvertretung GPA-djp | Michael Schwendinger, Ökonom Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893700 Während die ArbeitnehmerInnenschaft sofort von der Freizeitoption begeistert war, waren es auch im zweiten Jahr die Arbeitgeber, die sich querlegten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893518 Streik: Ja, dürfen die das denn? In Österreich wird kaum gestreikt, wie uns auch ein Blick auf die vom ÖGB geführte Streikstatistik zeigt. Viele der Nullerjahre kamen sogar ohne eine einzige Streikstunde aus. Einzig 2003 ist aufgrund weitläufiger Streiks gegen die schwarz-blauen „Reformen“ mit über zehn Millionen Streikstunden der Ausreißer. Einer der Gründe dafür, dass es in Österreich selten notwendig ist, zum Streik als Kampfmaßnahme zu greifen, ist eine im Großen und Ganzen funktionierende Sozialpartnerschaft und eine nahezu 100-prozentige Kollektivvertragsabdeckung. Doch gerade in dieser konfliktarmen Grundsituation wird das Recht zu streiken nach wie vor massiv infrage gestellt.

Gespenst fehlendes Streikrecht
2014 streikten die Beschäftigten der KBA Mödling gegen den geplanten Abbau von bis zu 460 Stellen. Bereits im Vorfeld ließ der Vorstand der KBA die Beschäftigten wissen: Wer streikt, hat neben hohen Schadenersatzforderungen auch mit einer fristlosen Entlassung zu rechnen. Man berief sich darauf, dass dies keine Drohung sei, sondern lediglich eine Information. Schließlich gebe es in Österreich im Gegensatz zu Deutschland kein Streikrecht. Die Entlassung – die fristlose Beendigung des Dienstverhältnisses – und damit der Verlust wesentlicher Ansprüche wie zum Beispiel der Abfertigung als logische Konsequenz einer Streikteilnahme?
Das Informationsschreiben des KBA-Vorstands ist kein Einzelfall: Auch auf der Website der Wirtschaftskammer Österreich wird darauf hingewiesen, dass streikende ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsvertrag brechen und daher unter Umständen auch entlassen werden können.
Tatsächlich herrschte in Österreich unter ArbeitsrechtsexpertInnen lange die sogenannte „Trennungstheorie“ vor: Das Recht auf Streik – also das grundrechtlich abgesicherte Recht, an einem rechtmäßigen Streik teilzunehmen – sei streng von den arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu trennen. In der Gewerbeordnung (für ArbeiterInnnen) sowie im Angestelltengesetz (für Angestellte) sind die Bedingungen festgehalten, unter denen das Dienstverhältnis fristlos beendet werden kann. So unter anderem auch dann, wenn der/die ArbeitnehmerIn unberechtigterweise der Arbeit fernbleibt. Diese Bestimmungen werden nun herangezogen, wenn es darum geht, Angst zu verbreiten und ArbeitnehmerInnen sowie Gewerkschaften an der Ausübung ihrer Rechte zu hindern.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Österreich in der Tat kein gesetzlich festgeschriebenes „Streikrecht“. Man spricht davon, dass sich der Staat als Gesetzgeber dem Streik gegenüber neutral verhält. Er trifft lediglich in Randbereichen Regelungen, wie beispielsweise das gesetzliche Verbot, bestreikten Betrieben Leiharbeitskäfte zu überlassen oder für solche Betriebe Beschäftigungsbewilligungen zu erteilen. „Es gibt kein Streikrecht. Dieses Recht ist verfassungsrechtlich nicht abgesichert“, wurde Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer noch 2014 von der APA zitiert. Vor allem aufgrund der Entwicklungen auf internationaler Ebene sind die Ansichten, Streik wäre entweder nicht erlaubt oder aber zulässig, jedoch jederzeit mit Disziplinarmaßnahmen sanktionierbar, überholt.

Volle Geltung
Eines der wichtigsten Instrumente zum Schutz der Menschenrechte ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). In Österreich gilt sie seit 1958 und steht seitdem in Verfassungsrang. Art. 11 der EMRK garantiert neben der Versammlungsfreiheit auch die sogenannte Koalitionsfreiheit, das Recht, Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Zwar ist es dem Gesetzgeber möglich, dieses Grundrecht einzuschränken, soweit dies in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.
Ist nun die Rede davon, dass es in Österreich kein „Streikrecht“ gibt, kann dies nur bedeuten, dass der Gesetzgeber von seinen – engen – Möglichkeiten, das Grundrecht einzuschränken, bis dato keinen Gebrauch gemacht hat und dieses daher voll zur Geltung kommt. Über die Einhaltung der Konvention wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg. Bereits in der Vergangenheit hat er wiederholt festgehalten, dass ein wesentlicher Bestandteil der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften das Recht ist, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Das ist nun weiter nicht spektakulär, schließlich wäre das Recht auf Gewerkschaftsbildung andernfalls recht hohl. Unmittelbar stellt sich aber nur die Frage: Was sind denn die legitimen Mittel, um diese Interessen effektiv vertreten zu können? Gehört hier Streik – als äußerstes Mittel – genauso dazu und ist er damit also grundrechtlich geschützt? In mehreren älteren Entscheidungen hat der EGMR dies bewusst offengelassen. Er hatte die komfortable Position, dass er Fälle aus Schweden und Großbritannien beurteilen musste – Länder, in denen die gewerkschaftlichen Rechte sehr stark verankert sind und wo nach Meinung des EGMR auch andere Wege (abseits des Streiks) zur Interessenvertretung offen blieben.

Verstoß gegen Grundrechte
2009 hatte sich der EGMR allerdings innerhalb kurzer Zeit mit mehreren Vorwürfen aus dem öffentlichen Dienst in der Türkei auseinanderzusetzen. Bis vor wenigen Jahren war es hier nicht einmal zulässig, Gewerkschaften zu gründen. Nach einer Gesetzesänderung wurde dies zwar erlaubt, die Gewerkschaften durften aber weiterhin keinen Kollektivvertrag abschließen. Dagegen reichten Herr Demir und Frau Baykara von der Gewerkschaft Tüm Bel Sen erfolgreich Beschwerde beim EGMR ein.
Noch im selben Jahr lag der nächste türkische Anlassfall auf den Tischen der Menschenrechts-RichterInnen: Mitglieder der ebenfalls im öffentlichen Dienst tätigen Gewerkschaft Enerji Yapi-Yol Sen wurden aufgrund einer Streikteilnahme disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen. Ein Verstoß gegen die Grundrechte des Art. 11, wie der EGMR feststellte.
Diese Entscheidungen wurden auch in Österreich viel diskutiert, da der EGMR erstmals nicht nur das Recht auf kollektive Verhandlungen, sondern insbesondere auch das Recht auf Streik als Teil des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit nannte. Welche gewerkschaftlichen (Kampf-)Mittel menschenrechtlich geschützt sind, ist im internationalen Kontext bereits wiederholt beantwortet worden. Sowohl die entsprechende Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als auch die Europäische Sozialcharta anerkennen eine ganze Bandbreite dieser Rechte: vom Kollektivvertragsabschluss bis hin zum Streik. Genau in diesem Lichte müsse auch die EMRK gesehen werden, um ein Auseinanderklaffen von Menschenrechten im internationalen Kontext zu verhindern.

Während hierzulande noch diskutiert wird, welche Auswirkungen die türkischen Entscheidungen auf die österreichische „Trennungstheorie“ haben, hat der EGMR seine Position, dass Streik ein Grundrecht nach Art. 11 der EMRK ist, weiter bekräftigt. Im Fall der Ukrainin Yekaterina Trofimchuck hat er explizit die Entlassung aufgrund einer Streikteilnahme als unmittelbaren Eingriff in die Versammlungsfreiheit angesehen. 2014, just in jenem Jahr, in dem die KollegInnen der KBA unter Entlassungsandrohung um ihre Arbeitsplätze kämpften, wurde in Straßburg ein weiteres wesentliches Urteil gefällt: Die britische Transportgewerkschaft RMT hatte gegen eine Anzahl von in Großbritannien geregelten Einschränkungen zur Ausübung des Streikrechts Beschwerde eingereicht. Deutlich wie nie zuvor hielt der EGMR auch hier fest: Streik ist ein von Art. 11 geschütztes Grundrecht und darf nur unter sehr engen Voraussetzungen eingeschränkt werden.

Nicht mehr haltbar
Die österreichische „Trennungstheorie“ ist damit nicht mehr haltbar. Es ist an der Zeit, den vermeintlichen Richtungsstreit zu begraben und die Grund- und Menschenrechte der ArbeitnehmerInnen endlich anzuerkennen. Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik darf weder zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen oder gar der Entlassung führen, noch können durch die bloße Teilnahme Schadenersatzforderungen, zum Beispiel wegen eines Produktionsausfalls, entstehen.

Webtipps:
Kampagne: Hände weg von unserem Streikrecht
www.ituc-csi.org/18feb

Buchtipp:
www.arbeit-recht-soziales.at/das-ende-streikrechts 
 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
susanne.haslinger@proge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Susanne Haslinger, Rechtsschutzsekretärin PRO-GE Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893494 In Österreich wird kaum gestreikt. Gerade in dieser konfliktarmen Grundsituation wird das Recht zu streiken massiv infrage gestellt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893476 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089893446 Arbeit à la Amazon für alle? Amazon, der weltweit größte Versandhändler aus den USA mit einem Umsatz von rund 30 Milliarden US-Dollar im 4. Quartal 2014, wälzt die Branche (und nicht nur diese) durch seine Marktmacht um und setzt Standards, die den gesamten Einzel- und Versandhandel nicht nur in Deutschland prägen werden. Deswegen ist es nicht nur für die Beschäftigten bei Amazon, sondern der gesamten Branche von Bedeutung, dass beim Versandriesen ein Tarifvertrag durchgesetzt wird und das Unternehmen die Rechte der ArbeitnehmerInnen respektiert.

Verschleierung
Amazon lehnt Gewerkschaften aggressiv ab und glaubt, Arbeitsbedingungen und Löhne willkürlich und einseitig diktieren zu können. Um das zu verschleiern, verweist das Unternehmen in der Öffentlichkeit immer wieder darauf, man orientiere sich an der Bezahlung der Logistikbranche und sei kein Händler. Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sie ist vor allem ein Ablenkungsmanöver. Der Grundsatzkonflikt kreist nicht um die Frage Logistik oder Einzelhandel (eine Zuordnung, die Amazon je nach Land durchaus unterschiedlich beantwortet, wie ein Blick in die USA zeigt). Es geht vielmehr darum, dass das Unternehmen sich bis heute weigert, Löhne und Arbeitsbedingungen mit der Gewerkschaft auszuhandeln – ein Kurs, der direkt aus der Amazon-Firmenzentrale in den USA gesteuert wird. Die Organisierung der ArbeiterInnen an den mittlerweile acht Versandhandelsstandorten, die in Deutschland existieren, begann im Jahr 2009. Dabei wurde auch auf klassische Ansätze des Organizing zurückgegriffen. Im Frühjahr 2013 kam es in Leipzig und Bad Hersfeld zu ersten Streiks. Seither sind die Streiktage und Streikstandorte kontinuierlich ausgeweitet worden: Im letzten Weihnachtsgeschäft 2014 legten z. T. über 2.600 Beschäftigte an sechs (Bad Hersfeld, Leipzig, Graben, Rheinberg, Werne und Koblenz) der acht Standorte für mehrere Tage die Arbeit nieder. Streiks sind nur das sichtbarste Zeichen der Organisierung im Betrieb. Darüber hinaus kommt es regelmäßig zu unterschiedlichen, kreativen Protestaktionen. Es werden Flyer oder Betriebszeitungen verteilt, die über die Rechte und Forderungen der Beschäftigten aufklären. Über Umfragen wird erfragt, wo der Schuh besonders drückt. Oder es werden kreative Aktionen zum Thema Pausenklau oder Urlaubsgeld veranstaltet. Bei Streiks demonstrieren Beschäftigte in den Innenstädten und klären BürgerInnen über die Arbeitsbedingungen bei Amazon auf. Auch medienwirksame Aktionen wie etwa die Verwendung einer Drohne im letzten Weihnachtsstreik, mit der die Beschäftigten in Leipzig ihre Forderung nach einem Tarifvertrag einfliegen ließen, kommen zum Einsatz.

Unverzichtbar für all dies sind gewerkschaftliche Strukturen und betriebliche Mitbestimmungsrechte: An allen Standorten wurden gewerkschaftliche Vertrauensleute und BetriebsrätInnen gewählt. Letztere wurden von Amazon so lange bekämpft, bis eine Wahl nicht mehr zu verhindern war. Heute stehen die Betriebsratsgremien vor einer Fülle von Aufgaben: Sie müssen versuchen, ihre Mitbestimmungsrechte in zahlreichen Fragen wie etwa Gesundheits- und Arbeitsschutz, Befristungen oder Neueinstellungen wahrzunehmen, oder begleiten KollegInnen zu den berüchtigten Feedback-Gesprächen, die Amazon regelmäßig durchführt, um Beschäftigte wegen angeblich zu schlechter Leistung unter Druck zu setzen. Bei Amazon geht es nicht um einen Boykott des Unternehmens, der Arbeitsplätze gefährden würde, sondern darum, gerechte Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Wichtig dafür ist auch die Mobilisierung sichtbarer Solidarität aus der Bevölkerung. So können BürgerInnen z. B. mit ver.di-Postkarten, die an den Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber adressiert sind, in Online-Petitionen oder auch per Retourenaufkleber die Forderung nach einem Tarifvertrag bei Amazon unterstützen.1

Amazon reagiert auf den Widerstand mit einer Mischung aus vielfältigem Druck und dem Versuch, einen Teil des Unmuts zu befrieden. So werden einerseits nach Gutsherrenart seit zwei Jahren kleinere Lohnerhöhungen verkündet. Andererseits werden die befristeten Verträge von Beschäftigten, die gewerkschaftlich aktiv sind, nicht mehr verlängert, oder solche Beschäftigte auffällig häufig zu Feedback-Gesprächen gerufen. Dem Unternehmen spielt dabei in die Karten, dass es durch den Einsatz hochmoderner Handscanner genau nachverfolgen kann, wann ein Beschäftigter sich gerade einmal nicht bewegt bzw. der Scanner inaktiv ist. Aufgrund dieser prinzipiell lückenlosen Überwachungsmöglichkeit und der Arbeitshetze (Laufwege von 15 bis 25 Kilometern am Tag) haben die Beschäftigten den Slogan „Wir sind keine Roboter“2 populär gemacht und verweisen auf extrem hohe Krankenquoten von 15 bis sogar 25 Prozent, die an einzelnen Standorten existieren.

Hinhaltetaktik
Mittlerweile versucht Amazon auch, die Zutrittsrechte der Gewerkschaft zum Betrieb zu beschneiden, indem das Unternehmen auf absurd lange Ankündigungsfristen im Voraus pocht. Das Unternehmen enthält BetriebsrätInnen zudem Informationen vor, auf die diese Anspruch haben. Und in Bad Hersfeld weigerte sich Amazon, einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat mit externen GewerkschaftsvertreterInnen einzurichten. Ein Gerichtsverfahren dazu haben der Betriebsrat und ver.di mittlerweile gewonnen, für vier weitere Amazon-Standorte laufen derzeit sogenannte Statusverfahren.
Amazon behauptet immer wieder, die Proteste und Streiks zeigten keine Wirkung. Berichte von Bestellungen, die nicht rechtzeitig ausgeliefert werden können, oder die Tatsache, dass Amazon im Weihnachtsgeschäft die Warenströme kostenträchtig umorganisieren muss, sprechen jedoch eine andere Sprache. Die Streiks treffen Amazon, und das Unternehmen kann auch nur bedingt Bestellungen aus Deutschland über die relativ jungen Versandhandelszentren in Polen umleiten. Aufgrund des kurzfristigen Lieferversprechens sind einer Verlagerung per se gewisse Grenzen gesetzt. Trotzdem wird das Unternehmen versuchen, diese Karte stärker zu spielen, um Ängste und Konflikte in der Belegschaft zu schüren. Hier gilt es, das Gespräch mit denen zu suchen, die wirkliche Sorgen umtreiben, und klar Position zu beziehen gegen jene, die die berechtigte Forderung der Beschäftigten unterlaufen wollen und – ob freiwillig oder nicht – das Lied des Arbeitgebers singen. Außerdem ist es nötig, die Vernetzung, die bereits zu GewerkschafterInnen und Beschäftigten von Amazon in Großbritannien, den USA, Frankreich oder Polen existiert, weiter auszubauen. Auch da hat sich ver.di für 2015 viel vorgenommen.

Etappensiege
Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon hat bereits zu Etappensiegen geführt. Amazon sah sich gezwungen, die Löhne zu erhöhen, in den kaum belüfteten Hallen, in denen im Sommer KollegInnen immer wieder umkippen, Klimaanlagen einzubauen und Wasserspender aufzustellen. Aber klar ist auch: Das Ziel ist und bleibt ein Tarifvertrag sowie ein Ende der sachgrundlosen Befristungspraxis. Dafür braucht es einen langen Atem.
Auch die BürgerInnen sind dazu aufgerufen, Amazon unter Druck zu setzen. Denn es ist ein gesellschaftlicher Skandal, dass ein Unternehmen in Deutschland Millionen Euro an öffentlichen Subventionen kassiert, aber zugleich sämtliche legalen Tricks ausschöpft, um hierzulande kaum Steuern zu bezahlen, und seinen Beschäftigten elementare Rechte verweigert. Auch die Politik muss dazu stärker Stellung beziehen. Es geht um einen fundamentalen Konflikt: Lassen wir es zu, dass uns ein Unternehmen seine Vorstellung von Unternehmenskultur aufzwingt – oder verteidigen wir unsere ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsrechte?

1 Die Postkarten können unter handel.verdi.de bestellt werden. Der Retourenaufkleber kann unter amazon-verdi.de/4486 ausgedruckt werden. Eine aktuelle Online-Petition findet sich unter www.change.org/amazon-sei-fair
2 Siehe dazu auch tinyurl.com/l6t7nck

Webtipp:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.amazon-verdi.de
Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen
eva.voelpel@verdi.de und stefan.najda@verdi.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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Stefan Najda, ver.di-Bundesebene, zuständig für den Online- und Versandhandel | Eva Völpel, Pressesprecherin ver.di-Bundesvorstand Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893437 Amazon lehnt Gewerkschaften aggressiv ab und glaubt, Arbeitsbedingungen und Löhne willkürlich und einseitig diktieren zu können. Die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hält dagegen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089893459 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089892906 Fairness im Arbeitsvertrag? Besondere Klauseln in Verträgen sind an sich nichts Ungewöhnliches. Grundsätzlich dienen sie dazu, Vertragstypen für besondere Bedingungen zu adaptieren und an den Einzelfall anzupassen. Stehen sich jedoch zwei ungleiche VertragspartnerInnen gegenüber, so kann aus einer Anpassung an den Einzelfall sehr leicht ein Aushebeln von Schutznormen werden. Ein Beispiel dafür sind unfaire Vertragsklauseln im Arbeitsvertrag. Nicht immer sind solche Klauseln unzulässig. Solange Vertragsbestandteile nicht gegen zwingendes Recht verstoßen, sind sie grundsätzlich gültig. Doch auch, wenn diese Klauseln unzulässig und ungültig sind, entfalten sie zwar keine rechtliche, sehr wohl aber eine faktische Wirkung.

Konflikte vermeiden
Viele ArbeitnehmerInnen wissen nicht über deren Unzulässigkeit Bescheid und gehen davon aus, dass sie gültig sind. Jedoch selbst wenn sie es wissen, akzeptieren sie diese oftmals. Schließlich wollen sie ein Dienstverhältnis eingehen oder einen Konflikt im bestehenden Dienstverhältnis vermeiden. In der Regel sind Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages gegenüber dem/der ArbeitnehmerIn in der stärkeren Position. Der/Die ArbeitnehmerIn kann den Vertrag als Ganzes annehmen oder ablehnen. Das Herausverhandeln einzelner Klauseln aus dem Vertrag wird in der Regel nur selten möglich sein. Außerdem liegt dem konkreten Vertrag oftmals eine Vertragsschablone zugrunde, die den Regelvertrag im Unternehmen darstellt, von dem der Arbeitgeber im Einzelfall nicht abweichen wird.
Ein in der Praxis häufig anzutreffendes Phänomen sind sogenannte „All-in“-Verträge. Bei ihnen wird ein Pauschalentgelt festgesetzt, mit dem neben dem Grundgehalt auch alle eventuellen Zulagen, Zuschläge und Mehrleistungen, insbesondere Überstunden, abgegolten sein sollen. Was auf den ersten Blick verlockend scheinen mag, entpuppt sich bei näherer Betrachtung in vielen Fällen als Mogelpackung. Meistens ist es schon ein Problem, festzustellen, welcher Betrag nun das Grundgehalt darstellt und daher die Basis für die Berechnung für die Vergütung von Mehrleistungen bildet. Oftmals stellt sich beim konkreten Nachrechnen anhand des kollektivvertraglichen Mindestlohnes heraus, dass von der „großzügigen Überzahlung, mit der alle Mehrleistungen mit abgegolten sind“, keine Spur mehr ist. Vielmehr bleibt durch die tatsächlich geleisteten Überstunden oftmals nichts von einer Überzahlung übrig. In einigen Fällen stellt sich beim Nachrechnen sogar heraus, dass das Entgelt unter jenem liegt, das laut Kollektivvertrag gebühren würde. Das Problem könnte zumindest ein Stück weit entschärft werden, wenn im Dienstzettel das vereinbarte Grundgehalt jedenfalls ausdrücklich anzuführen ist. Somit ist für den/die ArbeitnehmerIn wenigstens ersichtlich, wie hoch die Überzahlung tatsächlich ausfällt und wie viel Mehrarbeit damit abgegolten ist. Eine weitere ArbeitnehmerInnen benachteiligende Vertragsbestimmung ist eine Verfallsklausel. Grundsätzlich verjähren nicht bezahlte Ansprüche wie Lohn, Gehalt oder Überstunden nach drei Jahren. Verfallsklauseln in Arbeitsverträgen zielen darauf ab, diese gesetzliche Verjährungsfrist zu verkürzen. Solche Verfallsklauseln können sehr weitreichend sein und alle arbeitsrechtlichen Ansprüche betreffen. So kommt es recht häufig vor, dass geleistete, aber nicht bezahlte Überstunden nach dem Ablauf von wenigen Monaten nicht mehr eingeklagt werden können. Derartige Klauseln sind grundsätzlich zulässig, solange sie die Frist nicht auf eine sittenwidrig kurze Dauer begrenzen.

Stark benachteiligend
Besonders problematisch sind Verfallsklauseln vor allem dann, wenn sie den Verfall der Ansprüche nicht nach Beendigung des Dienstverhältnisses, sondern bereits im bestehenden Dienstverhältnis vorsehen. Mag dies für die Geltendmachung von Mehrleistungen noch nachvollziehbar erscheinen, ist die Vereinbarung eines Verfalls auf alle Ansprüche im laufenden Dienstverhältnis jedenfalls stark benachteiligend für den/die ArbeitnehmerIn.
Häufig kommt es auch zur Vereinbarung unfairer Klauseln im Bereich des Ausbildungskostenrückersatzes. Es ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen des Arbeitgebers, Beschäftigte länger im Unternehmen zu halten, in deren Ausbildung sie Geld investiert haben. Jedoch sind Vereinbarungen zum Ausbildungskostenrückersatz nur zulässig, wenn sie sich innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens bewegen. Eine allfällige Rückzahlung darf etwa nur für maximal fünf, in Ausnahmefällen für acht Jahre vereinbart werden und muss vom Ende der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer aliquotiert werden. Oftmals werden diese Bestimmungen jedoch umgangen. So wird ein Ausbildungskostenrückersatz schon für bloße Einschulung verlangt. Oder es werden Bindungsfristen über das zulässige Ausmaß hinaus vereinbart. Oder es fehlt an Vereinbarungen zur Aliquotierung. Derartige Vereinbarungen sind zwar unzulässig, nichtsdestotrotz wird mit Hinweis auf diese Klauseln bei Beendigung des Dienstverhältnisses Druck auf die ArbeitnehmerInnen ausgeübt. Sie werden etwa zu für sie unvorteilhaften, einvernehmlichen Lösungen gedrängt oder das Geld aus der Endabrechnung wird zurückgehalten.  

Problemfeld Konkurrenzklauseln
Ein weiteres Problemfeld stellen Konkurrenzklausen dar. Auch die Zulässigkeit solcher Klauseln, also der Vereinbarung eines Zeitraumes, innerhalb dessen ein/e ArbeitnehmerIn nicht im Geschäftsbereich des Arbeitgebers arbeiten darf, ist gesetzlich klar geregelt. Unterhalb eines bestimmten Mindestentgelts –2.635 Euro im Jahr 2015 – ist eine Konkurrenzklausel jedenfalls unzulässig. Auch darüber ist sie nur wirksam, wenn sie sich auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin im Geschäftszweig des Arbeitgebers beschränkt und den Zeitraum eines Jahres nicht übersteigt. Auch darf eine derartige Klausel keine „unbillige Erschwernis des Fortkommens des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin bedeuten“. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Konkurrenzklausel so weit formuliert ist, dass dem/der ArbeitnehmerIn praktisch jede gleichwertige Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen versagt würde. Auch hier werden unzulässige Vereinbarungen oftmals benutzt, um Druck auf ArbeitnehmerInnen auszuüben, etwa indem ihnen angedroht wird, man werde mit Verweis auf die Konkurrenzklausel die Aufnahme einer anderen Tätigkeit erschweren oder verhindern. Auch Vereinbarungen einseitiger Gestaltungsrechte für den Arbeitgeber stellen unfaire Vertragsklauseln dar. Darunter fällt etwa die Möglichkeit des Arbeitgebers, die Arbeitszeit einseitig festzulegen. Damit schafft sich der Arbeitgeber einen Gestaltungsspielraum, der vom Gesetzgeber des Arbeitszeitgesetzes im Grunde nur für den Ausnahmefall gedacht war. Ähnlich verhält es sich bei einem im Arbeitsvertrag sehr weit gefassten Arbeitsort. Selbst wenn im Vertrag das gesamte Bundesgebiet als Einsatzort vorgesehen ist, können ArbeitnehmerInnen nicht willkürlich versetzt werden. Dennoch schafft eine derartige Formulierung für den Arbeitgeber so doch einen wesentlich größeren Gestaltungsspielraum als die Festlegung einer bestimmten Gemeinde oder zumindest eines bestimmten politischen Bezirks als Arbeitsort. 
Besondere Beachtung verdienen auch Klauseln, die dem Arbeitgeber das einseitige Festlegen der Höhe oder gar das jederzeitige einseitige Widerrufen bestimmter Entgeltbestandteile ermöglichen. Derartige Bestimmungen stellen im Grunde den zweiseitigen Charakter des Arbeitsvertrages infrage, der in seinem Kern den Austausch von Arbeitsleistung gegen Entgelt darstellt. Wenn dem Arbeitgeber ein Recht zugestanden wird, die Höhe von Entgeltteilen selbst festzusetzen oder diese gänzlich zu beseitigen, müsste nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit den ArbeitnehmerInnen im Gegenzug das Recht zur einseitigen Gestaltung bestimmter Teile ihrer Arbeitsleistung zugestanden werden. Derartige Vertragsbestimmungen, die etwa das einseitige Reduzieren der Arbeitszeit ohne Entgeltverlust zum Inhalt haben, wird man jedoch vergeblich suchen.

Rechtspolitisches Problem
Wiewohl in vielen Fällen rechtlich zulässig, stellen arbeitsvertragliche Klauseln, die die ArbeitnehmerInnen benachteiligen, durchaus auch ein rechtspolitisches Problem dar. Das Arbeitsrecht ist geprägt von zumeist einseitig zwingenden Schutznormen zugunsten der ArbeitnehmerInnen. Benachteiligende arbeitsvertragliche Klauseln konterkarieren nun genau diese Schutzwirkung und bringen den Arbeitgeber in eine Machtposition, die durch das Arbeitsrecht ja gerade hätte ausgeglichen werden sollen. Eine bessere Regulierung in einigen Bereichen könnte das Problem unfairer Klauseln wenigstens eingrenzen. Dann nämlich wären viele der erwähnten Klauseln zumindest nicht mehr zulässig.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.mueller@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Martin Müller, ÖGB Sozialpolitik Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089892877 Viele ArbeitnehmerInnen akzeptieren selbst unzulässige Klauseln. Schließlich wollen sie ein Dienstverhältnis eingehen oder einen Konflikt im bestehenden Dienstverhältnis vermeiden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089892846 Druck am Arbeitsplatz Arbeitsverträge gleichen eher den allgemeinen Geschäftsbedingungen von großen Unternehmen ohne Verhandlungsspielraum für die ArbeitnehmerInnen.
Die dramatische Arbeitsmarktlage bekommen nicht nur die Menschen zu spüren, die auf Arbeitsuche sind, sondern auch die, die Arbeit finden. Die ArbeitnehmerInnen unterschreiben – unabhängig von ihrer Qualifikation – so gut wie alles, um den begehrten Arbeitsplatz zu erhalten, und gehen dann sogar noch krank in die Arbeit.

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Ausgewählt und zusammengestellt von Christian Dunst, AK Wien. Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089892580 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089892165 Asylsuchende: Bitte warten In der Luft hängen: So lässt sich die Situation für viele AsylwerberInnen in Österreich wohl am besten beschreiben. Über Monate, oft sogar über Jahre hinweg ist ihnen nämlich der Weg in die österreichische Arbeitswelt versperrt. Die Folge: Viele haben nichts zu tun, auch das Deutschlernen beschränkt sich auf den Sprachkurs, dabei könnten sie die Sprache am Arbeitsplatz wohl am besten lernen. Dabei sollen sie sich möglichst rasch integrieren, sobald der langersehnte positive Asylbescheid endlich da ist.
„Warten ist massiv angstbesetzt und oftmals ein Auslöser für traumatische Erinnerungen“, weist Barbara Preitler von Hemayat, dem Beratungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende, auf die negativen Folgen der derzeitigen Lage hin. „Die Betroffenen erleben ein weiteres Mal die Umstände ihrer Flucht, die Lebensgefahr der überfüllten Boote, ihre Folterungen, die Bombardements.“

Zwang zum Nichtstun
Wie bei allen Menschen führt der Zwang zum Nichtstun zu schweren psychologischen Belastungen. Schließlich ist Arbeit eine zentrale Säule der Identität in unserer Welt – und sie verankert Menschen im Alltag. „Viele unserer KlientInnen wollen dringend arbeiten. Denn es ist für sie ein großes Bedürfnis, dem Land, das für sie Zufluchtsort geworden ist, etwas zurückzugeben“, so Preitler. AsylwerberInnen wollen die Opferrolle überwinden, in die sie Flucht und Abhängigkeit von Schleppern gebracht haben. „Keine Bittsteller mehr sein, sondern sich in die Gesellschaft einbringen: Das macht Arbeit so wichtig“, fasst die Beraterin zusammen.
Gerade Männer leiden unter der verordneten Untätigkeit, was zu enormen Spannungen führen kann. Denn Kinder finden sich durch den Schulbesuch meist schnell in die neuen Strukturen hinein, den Frauen bleibt zumindest ihre Identität als Haushaltsmanagerin (und Mutter).

Lesen Sie das Kleingedruckte!
Auf den ersten Blick sieht das Ausländerbeschäftigungsgesetz recht offen aus: Bereits nach drei Monaten darf während eines laufenden Asylverfahrens eine Beschäftigungsbewilligung beantragt werden. Allerdings beschränkt der sogenannte Bartenstein-Erlass1 die Jobmöglichkeiten auf Saisonarbeit in Tourismus und Landwirtschaft. Dann erfolgt eine Arbeitsmarktprüfung durch ein „Ersatzkraftverfahren“, die beweisen muss, dass keine in Österreich beim AMS gemeldete Person diese Arbeit ausfüllen kann. Selbst wenn dem nicht so ist, braucht es noch die einhellige Zustimmung des AMS-Regionalrats. Ausgenommen von diesen Bestimmungen sind gemeinnützige Hilfstätigkeiten für Bund, Land und Gemeinden oder Hilfsarbeiten im Zuge der Unterbringung. Sozialrechtlich gilt das nicht als Entgelt, sondern als Anerkennungsbetrag für Putzen, Schneeschaufeln oder Parkbetreuung – was eine geschäftstüchtige Gemeinde in Tirol auf die Idee brachte, die angestellten Reinigungskräfte durch AsylwerberInnen zu ersetzen. Die „Entlohnung“ für diese Tätigkeit: zwischen drei und fünf Euro netto.
Gemäß gängiger Rechtspraxis ließe sich auch ein Gewerbeschein lösen. Wie realistisch es ist, dass sich AsylwerberInnen selbstständig machen – nach einer recht kostspieligen Flucht, meist noch mit mangelhaften Deutschkenntnissen, ohne Geschäftskontakte und ohne zu wissen, ob man bleiben darf –, steht auf einem anderen Blatt.

Falsche Rechnung 
Grundsätzlich sind Flüchtlinge im Asylverfahren in der Grundversorgung. Wenn sie privat eine Wohnung gemietet haben, erhalten sie 120 Euro für Miete sowie weitere 200 Euro für Verpflegung – mit Zuschlägen für Familien. Wenn sie in betreuten Unterkünften wohnen, bekommen sie 40 Euro Taschengeld pro Monat. Unter den bereits beschriebenen Bedingungen dürfen sie einer Arbeit nachgehen. Ein armenisches Ehepaar weist auf ein weiteres Problem hin: „Wir haben beide eine Arbeitsstelle, aber wenn wir zu viel verdienen, zieht uns der Fonds Soziales Wien alles ab.“2 Denn für AsylwerberInnen gelten Zuverdienstgrenzen, je nach Bundesland liegen diese zwischen 100 Euro und der Geringfügigkeitsgrenze. Verdienen sie mehr, verlieren sie die finanzielle Unterstützung. Wenn jemand im Monat zum Beispiel 900 Euro verdient, werden für eine bestimmte Zeit alle Leistungen gestrichen. Argumentiert wird dies so: Ein Einkommen von 900 Euro entspricht etwa drei Monaten Grundversorgung, und so lange könne man mit dem verdienten Geld auskommen. Zum Vergleich: Die Mindestsicherung beträgt mindestens 620 Euro – im Monat. Sind die drei Monate vorbei, können AsylwerberInnen wieder um Aufnahme in die Grundversorgung ansuchen. Allerdings ist die Situation derzeit so angespannt, dass man etwa in Wien bis zu drei Monate auf einen Termin für ein neuerliches Ansuchen warten muss. Für die Betroffenen heißt es in diesem Fall also wieder Zittern.

Zwei-Euro-Jobs
Diese Beschränkungen führen Asylwerbende oftmals in die undokumentierte Arbeit (siehe auch „Faule Früchtchen“, S. 18–19). „Es gibt genug Zwei-Euro-Jobs in Österreich – ohne arbeitsrechtliche Standards mit großem Schaden für die sozialen Sicherungssysteme“, kritisiert Arbeitsmarktexperte Johannes Peyrl von der AK Wien. Mit einem Beispiel macht er deutlich, wie wenig Geld dies ist: „Da bekommt jemand als Bezahlung ein Packerl Zigaretten pro Woche.“ In der Wissenschaft spreche man von „zufriedenen Betrogenen“, sagt Peyrl: „Sie lassen sich lieber ausbeuten, als nichts zu tun.“
Zurzeit erhalten 32.000 Menschen Grundversorgung. Je nach Einschätzung stehen dem Arbeitsmarkt zwischen 4.000 und 10.000 Menschen zur Verfügung. Durch die jetzigen Beschränkungen nutzen nur einige Hundert die Erwerbsmöglichkeit. Das ist nicht nur für den Einzelnen schlecht, sondern auch für die Gesellschaft. „Zuwanderung erfolgt durch Familienzusammenführung und Asyl, ohne Zugang zum Arbeitsmarkt ist diese Maßnahme dumm“, bringt es Herbert Langthaler von der Asylkoordination auf den Punkt. Über 60 Prozent der Menschen, die in Grundversorgung waren, bleiben in Österreich, weil sie Asyl, subsidiären Schutz oder Bleiberecht bekommen. Auch wenn die Verfahrensdauer beschleunigt wurde und die Anerkennung etwa syrischer Flüchtlinge derzeit recht schnell sein kann, dauert es mitunter Jahre, bis der Bleibestatus geklärt ist. „Für AsylwerberInnen verschärfen die restriktiven Regelungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt Armut und gesellschaftlichen Ausschluss. Viele ausgebildete bzw. früher im Erwerbsleben stehende Personen verlieren über das jahrelange ‚inaktive‘ Warten nicht nur ihre Motivation, sondern auch ihre praktischen Fähigkeiten“, gibt Andrea Eraslan-Weninger, Geschäftsführerin des Integrationshauses, zu bedenken.

Handlungsbedarf
Für FlüchtlingsexpertInnen gibt es schon jetzt keine faktenbasierten Argumente mehr gegen eine Arbeitsmarktöffnung. Beim Bad Ischler Dialog im Jahr 2011 einigten sich die SozialpartnerInnen: AsylwerberInnen sollen nach sechs Monaten einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang bekommen. Demnächst sollte das Warten für die AsylwerberInnen ein Ende haben: Bis 20. Juli 2015 nämlich läuft die Deadline, bis zu der die neue EU-Aufnahmerichtlinie umgesetzt werden muss, zu der auch Österreich seinen Sanktus gegeben hat. Diese sieht einen effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt nach spätestens neun Monaten vor. Allein: Gesetzesvorschlag gibt es noch keinen. Flüchtlingsorganisationen geht aber auch dies nicht weit genug, sondern sie fordern auch den Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Bildungsmaßnahmen, um die realen Jobchancen zu erhöhen. „Wichtig wäre die im Regierungsprogramm angekündigte, aber immer noch nicht erfolgte Verbesserung des Übergangs zwischen Grundversorgung und Beschäftigung“, so Eraslan-Weninger.
Jetzt warten alle auf Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Dieser lehnte Änderungen nämlich bisher ab, da er die derzeitige Lage für ausreichend hält. Und für die Betroffenen heißt es weiterhin: „Bitte warten.“

1 Der Name geht auf den Wirtschaftsminister der zweiten schwarz-blauen-Regierung zurück.
2 Konrad Hofer: „Ohne Arbeit: Über die eingeschränkten Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten von AsylwerberInnen“ (IQUAL), 2013.

Webtipps:
FAQ zum Arbeitsmarktzugang für AsylwerberInnen:
arbeitsmarktzugang.prekaer.at
Studie „Ohne Arbeit: Über die eingeschränkten Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten von AsylwerberInnen“ zum Download:
tinyurl.com/pwuxcd6

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Beatrix Beneder, Sozialwissenschafterin Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089892144 Ein Packerl Zigaretten als Bezahlung: Das ist nur einer der Auswüchse, die Beschränkungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890977 Arbeiter sind ungleicher Das österreichische Arbeitsrecht ist durch eine starke Kategorisierung gekennzeichnet. Dass es freie DienstnehmerInnen, Neue Selbstständige und die Flucht aus dem Arbeitsvertrag gibt, wissen viele. Weniger bekannt ist wohl, dass es zwischen den ca. 1,3 Millionen ArbeiterInnen und den ca. 1,7 Millionen Angestellten weiterhin gravierende Unterschiede gibt.

Unterschiedliche Rechtsgrundlagen
Schon von der Rechtsgrundlage her besteht ein Unterschied, denn für ArbeiterInnen gibt es kein eigenes Gesetz ähnlich wie das Angestelltengesetz (AngG). Vielmehr sind arbeitsrechtliche Regelungen auf mehrere Gesetze verstreut. Im Zentrum steht das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB), das die Arbeitsverhältnisse von ArbeiterInnen grundlegend regelt – und das mit verhältnismäßig wenigen Änderungen schon seit der III. Teilnovelle im Jahr 1916.
Das ABGB sieht zudem vor, dass es nur dann gilt, wenn es keine spezielleren Regeln gibt. Für ArbeiterInnen sind das insbesondere die Gewerbeordnung von 1859 (GewO), das Entgeltfortzahlungsgesetz, aber auch Sondergesetze wie zum Beispiel das Hausbesorgergesetz, Bäckerarbeitergesetz, oder das für alle ArbeitnehmerInnen geltende Urlaubsgesetz. Die Differenzierung zwischen ArbeiterInnen und Angestellten ist zunehmend sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Es ist sicherlich einmal einfach gewesen, Arbeitsverhältnisse mit stark körperlicher Beanspruchung und vorwiegend einfachen oder manuellen Tätigkeiten, also die klassischen Handwerksberufe, von jenen Tätigkeiten zu unterscheiden, die vor allem in Büros, oft sitzend ausgeführt werden.
Für Menschen des 19. Jahrhunderts waren die Regelungen des IV. Hauptstücks der Gewerbeordnung von 1859, die mit kleinen Änderungen bis heute die Bestimmungen für das gewerbliche Hilfspersonal („ArbeiterInnen“) enthalten, sicherlich ein Fortschritt. Heute ist es völlig anachronistisch, InstallateurgesellInnen, die nur mit umfassenden IT-Kenntnissen die Steuerungsanlage einer Einfamilienhausheizung programmieren können, als ArbeiterInnen zu klassifizieren, KassierInnen an der Kasse eines Supermarktes hingegen als Angestellte. Worin soll die nicht nur im Einzelfall gravierende Ungleichbehandlung zusätzlich zu den Unterschieden bei der Entlohnung im heutigen Arbeitsleben sachlich gerechtfertigt sein?

Verbesserung
Dass Angestellten durch das AngG besondere, über die Regelungen des ABGB weit hinausgehende Rechte eingeräumt wurden, war zumindest für diese Gruppe eine entscheidende Verbesserung. Nicht nur das: Es stellt bis heute, bald 100 Jahre nach dessen Inkrafttreten, einen arbeitsrechtlichen Standard her, der als Maß der Dinge gilt. Dieser Standard scheint sogar so gut zu sein, dass Arbeitgeber versuchen, ihn wo nur möglich zulasten der Angestellten abzuändern (siehe auch „Fairness im Arbeitsvertrag?“). Konsequenterweise wollen die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen für alle unselbstständig Beschäftigten das Schutzniveau des AngG erreichen. Einen einheitlichen arbeitsrechtlichen Standard könnte man leicht durch Novellierungen der einzelnen Spezialgesetze erreichen, ohne dabei kritische Punkte wie zum Beispiel die grundsätzliche Gliederung der Betriebsverfassung wie getrennte ArbeiterInnen- und Angestelltenbetriebsräte antasten zu müssen.
Eine insgesamt neue und systematische Kodifizierung des Arbeitsrechtes, also die Schaffung eines einheitlichen, im Sinne von alle Arbeitsverhältnisse gleich regelnden Rechtsbestandes, der in einem Gesetz übersichtlich dargestellt ist, wäre interessenpolitisch wünschenswerter denn je zuvor. Diskutiert wird eine solche Kodifikation seit den 1970er-Jahren.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Arbeitsverhältnisse der LandarbeiterInnen (ca. 30.000 Beschäftigte, ca. 80.000 Neubegründungen jährlich) im Landarbeitsgesetz und neun Landarbeitsordnungen geregelt sind – im Zuge von Kodifikationsgesprächen aber nicht diskutiert werden. Zur Novellierung des Landarbeitsgesetzes laufen Sozialpartnergespräche, weil auch hier eine Modernisierung dringend notwendig wäre.

Bestrebungen zur Kodifikation
Eine einheitliche Kodifizierung, wie sie im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts mit der Arbeitsverfassung im Jahr 1974 sozialpartnerschaftlich erreicht wurde, scheint im Bereich des individuellen Arbeitsrechts heute realpolitisch ferner denn je. Der aussichtsreichste Versuch, eine solche Kodifikation zu erreichen, stellte das unter Sozialministerin Lore Hostasch ausgearbeitete und 1999 im Parlament verhandelte Arbeitsverhältnisgesetz dar. Dieses war sozusagen der in Gesetzesworte gegossene ÖGB-Forderungskatalog „Aktion Fairness“, der unter anderem eine echte Vereinheitlichung bei Entgeltfortzahlungs- und Kündigungsfristen vorsah.
Was wurde daraus? Die Regierung  Schüssel I gab zwar vor, die „Aktion Fairness“ umzusetzen. Faktisch kam es aber zu einer massiven Schlechterstellung. Noch im Herbst 2000 wurde eine Angleichung der Entgeltfortzahlungsfristen für ArbeiterInnen an das AngG beschlossen. Allerdings wurden nur die Fristen angeglichen, nicht aber die Anwartschaftsbezugsräume. Sprich weiterhin erwerben ArbeiterInnen nur in jedem Arbeitsjahr einen neuen Anspruch, während dies bei Angestellten nach sechs Monaten nach Ende der Ersterkrankung der Fall ist.

Ungleichbehandlung blieb
Gleichzeitig wurde der sogenannte Entgeltfortzahlungsfonds abgeschafft, aus dem sich ArbeitgeberInnen bis dahin den Aufwand für Krankenstände zum Teil ersetzen lassen konnten. Die Folge: ein sprunghafter Anstieg einvernehmlicher Lösungen im Krankenstand, womit Arbeitgeber die Entgeltfortzahlungspflicht umgehen, die sie im Falle einer Arbeitgeberkündigung gehabt hätten. Die Ungleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten blieb also unverändert bestehen. Für faire ArbeitgeberInnen, die kranke MitarbeiterInnen nicht gleich einvernehmlich lösen wollen, stellt die Abschaffung des Entgeltfortzahlungsfonds bis heute eine massive Verschlechterung dar.

Teilerfolge
Anlassbezogen bringt der interessenpolitische Einsatz von Gewerkschaften und Arbeiterkammern für die Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten immer wieder Teilerfolge. 2013 wurde die für ArbeiterInnen im Vergleich zu den Angestellten wesentlich schlechtere Regelung der Dienstverhinderungsgründe verbessert: Angesichts der Hochwasserkatastrophe konnte man sozialpartnerschaftlich durchsetzen, dass zumindest bei persönlicher Betroffenheit durch eine Katastrophe ein entgeltpflichtiger Dienstverhinderungsgrund für ArbeiterInnen vorliegt – für Angestellte selbstverständlich.
Im aktuellen Regierungsprogramm ist eine Kodifikation des Individualarbeitsrechtes kein Thema, es sieht nicht einmal etwaige Vorarbeiten für eine solche vor. In Aussicht gestellt sind zahlreiche Maßnahmen, die z. B. den Schutzrahmen wiederherstellen sollen, der durch das Gesetz zwar ursprünglich gegeben war, der im Berufsalltag aber zunehmend ausgehöhlt wurde: durch den Druck am Arbeitsmarkt und die starke Position der Arbeitgeber (Einbürgerung unfairer Vertragsklauseln), aber auch durch die Judikatur oder aber durch die bloße Tatsache, dass sogenannte „Lebensarbeitsverhältnisse“ weitgehend der Vergangenheit angehören.
Im Regierungsprogramm ist allerdings in einem Punkt die Angleichung von ArbeiterInnen und Angestellten verankert: Es soll zu einer „aufkommensneutralen Angleichung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ kommen. Die Wiedererkrankung und der Arbeitsunfall sollen nach dem transparenten und einfacheren ArbeiterInnenmodell auch für Angestellte geregelt werden. Dazu laufen Vorbereitungsarbeiten für diesen sogenannten 2. Teil des Arbeitsrechtspakets, konkrete Gespräche der SozialpartnerInnen sind jedoch zu diesen Punkten noch nicht erfolgt.

Lieber Kompromiss beizeiten
Da die Gespräche hinsichtlich des 1. Teils des Arbeitsrechtspakets im Regierungsprogramm derzeit ins Stocken geraten sind, wird es nötig sein, einen gordischen Knoten zu durchschlagen, um auch nur einen Teil der geplanten Vorhaben in absehbarer Zeit im Rahmen eines sozialpartnerschaftlichen Kompromisses umzusetzen – von dieser Legislaturperiode zu sprechen scheint mir fast schon zu optimistisch. Kompromisse beizeiten zu schließen wäre allerdings die bessere Wahl, als in gegenseitige Starre zu verfallen und auf andere parlamentarische Mehrheiten nach der nächsten Wahl zu hoffen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin silvia.hruska-frank@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Silvia Hruška-Frank, ÖGB Rechtspolitik Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890972 Worin soll die nicht nur im Einzelfall gravierende Ungleichbehandlung zusätzlich zu den Unterschieden bei der Entlohnung im heutigen Arbeitsleben sachlich gerechtfertigt sein? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890960 Erfolgsgeschichte fortsetzen! Am 1. Juli 1974 ist das Arbeitsverfassungsgesetz in Kraft getreten, es ist also inzwischen stolze 40 Jahre alt. Für die SozialhistorikerInnen ist es neben dem ASVG die tragende Säule, auf dem das Gebäude der Arbeitsrechts- und Sozialrechtsordnung der Zweiten Republik steht. Dass das nicht nur eine abstrakte Idee aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft ist, erlebt tagtäglich ein Großteil der ArbeitnehmerInnen in diesem Land, auch wenn ihnen die enorme Bedeutung des Arbeitsverfassungsgesetzes für ihr Einkommen, für ihre Arbeitsqualität in ihrer ganzen Tragweite oft gar nicht so bewusst ist.

Besser mit Betriebsrat
Viele ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit Betriebsrat vergessen leicht, dass sie es in vielerlei Hinsicht deutlich besser haben als ihre KollegInnen in Betrieben ohne betriebliche Interessenvertretung. Dies mag daran liegen, dass sie – erfreulicherweise – gar nichts anderes kennen. Vielleicht ist ihnen auch nicht klar, dass ihre Arbeitsbedingungen erst von ihrem Betriebsrat durch Verhandlungen, durch Ausübung seiner Kontroll- und Regelungsmöglichkeiten (Stichwort Betriebsvereinbarungen!) nach dem Arbeitsverfassungsgesetz oder durch gemeinsam mit der betreuenden Gewerkschaft aufgebauten Druck erreicht wurden.
Die Unterschiede zwischen Betrieben mit und ohne Betriebsrat werden deutlich, wenn man sich den Beratungsalltag in den arbeitsrechtlichen Beratungsabteilungen von Gewerkschaften und Arbeiterkammern ansieht. Dort sprechen vergleichsweise wenige Personen aus Betrieben mit Betriebsrat vor und in der Regel haben sie mit weit weniger dramatischen Problemen zu kämpfen als die Vielzahl von KollegInnen aus betriebsratslosen Betrieben. Diese gewerkschaftlich nicht organisierte Hauptklientel schildert leider häufig Arbeitsrechtsverletzungen einer Art und Intensität, die auch erfahrene – fast möchte man sagen abgebrühte – BeraterInnen immer noch sprachlos machen. Aber auch wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Arbeitsbedingungen in Betrieben mit Betriebsrat objektiv besser sind: Jüngst hat etwa eine von ÖGB und AK beauftragte Studie der Fachhochschule Wiener Neustadt offenbart, dass ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit Betriebsrat weit weniger nachteilige Vertragsklauseln in ihren Arbeitsverträgen vorfinden.

Betriebsräte – ihr Entstehen, ihre Kompetenzen und Wirkungsmöglichkeiten und der Schutz dieser Wirkungsmöglichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber: Das ist der eine große Regelungsgegenstand des Arbeitsverfassungsgesetzes. Das zweite große Regelungsthema ist wohl weniger anschaulich als das unmittelbar am eigenen Arbeitsplatz erlebte persönliche Wirken von BetriebsrätInnen und läuft daher vielleicht noch mehr Gefahr, von den Menschen vergessen zu werden, die davon profitieren: die Rechtsetzung, insbesondere die Lohn- und Gehaltsregelungen durch die kollektiven Instrumente des Arbeitsverfassungsgesetzes, allen voran durch den Kollektivvertrag.

Vorzügliches System
Was für ein vorzügliches System wir im 40 Jahre alten Arbeitsverfassungsgesetz haben, zeigt uns ein vergleichender Blick nach Deutschland. Während in Österreich nahezu 100 Prozent der unselbstständig Beschäftigten auf ein solides, von den Gewerkschaften erkämpftes kollektives Fundament ihrer Einkommen vertrauen können, sind nur mehr knappe 60 Prozent der deutschen Kolleginnen und Kollegen von einem Tarifvertrag geschützt. Dank dem österreichischen Kammersystem, an das das Arbeitsverfassungsgesetz andockt, sind immer noch die allermeisten in der Privatwirtschaft tätigen Unternehmen von den mit den Wirtschaftskammern abgeschlossenen Kollektivverträgen erfasst, und dank der vom Arbeitsverfassungsgesetz normierten „Außenseiterwirkung“ gelten die Kollektivverträge für alle ArbeitnehmerInnen in den betreffenden Branchen. In den wachsenden Bereichen außerhalb der Wirtschaftskammerorganisation wie etwa den Sozialberufen, den privaten Bildungseinrichtungen und Ähnlichen ist es den Gewerkschaften in Österreich gelungen, Kollektivverträge mit neuen freiwilligen Arbeitgebervereinigungen zu schließen. Um die wenigen verbleibenden blinden Flecken zu füllen, stehen mit der „Satzung“ eines für ähnliche Verhältnisse abgeschlossenen Kollektivvertrages sowie mit dem „Mindestlohntarif“ im Arbeitsverfassungsgesetz zwei Instrumente zur Verfügung und werden auch immer wieder eingesetzt, die auf vergleichbare Lohnregelungen abstellen. Das Ergebnis ist, dass fast 100 Prozent der österreichischen ArbeitnehmerInnen bereits einen geregelten Mindestlohnanspruch haben.

Nötige Anpassungen
Das Arbeitsverfassungsgesetz ist ein bewährtes System. Auch hier gilt wie überall der Grundsatz: Verändert sich ein System nicht, obwohl sich seine Umwelt verändert, so sinkt sein Erfolg. Vielfältig sich ändernde Umfeldbedingungen stellen die Arbeitsverfassung trotz diverser Reformen der letzten vier Jahrzehnte vor zahlreiche Veränderungs- und Anpassungsnotwendigkeiten. So müssen Betriebsräte neue Informationsrechte und Mitbestimmungsinstrumente erhalten, wenn sich Betriebe und Unternehmen in einer Weise umstrukturieren, die sich der Gesetzgeber vor 40 Jahren nicht auszudenken vermochte. Gleiches gilt, wenn die Unternehmen ihre Entscheidungen – absichtlich oder quasi als Nebeneffekt ihres Wunsches, sich „international aufzustellen“ – durch Transfer der Entscheidungszentralen in internationale Gefilde der betriebsrätlichen Mitbestimmung entziehen.
Natürlich müssen wir uns Anpassungen der kollektiven Rechtsinstrumente überlegen, wenn immer mehr Menschen, die in höchst profitablen Wertschöpfungsketten arbeiten, etwa als freie DienstnehmerInnen oder Neue Selbstständige, dem kollektivvertraglichen Schutz überhaupt entzogen werden oder wenn ArbeitnehmerInnen durch juristisch geschickt angelegte Verfrachtung in den Geltungsbereich eines Kollektivvertrags einer weniger gewinnträchtigen Sparte um ihren fairen Anteil an den Früchten des wirtschaftlichen Erfolgs gebracht werden sollen.

Aber ganz unabhängig von damit angesprochenen Bestrebungen der Wirtschaft oder einzelner Arbeitgeber stellen auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen die BetriebsrätInnen vor neue Herausforderungen. Eine davon ist die Heterogenisierung der Belegschaften, also das Deutlichwerden und die Artikulation unterschiedlicher Interessenlagen zwischen verschiedenen ArbeitnehmerInnengruppen in ein und demselben Betrieb – oder der Umgang mit Beschäftigtengruppen, die nicht so dem Bild der klassischen Kernbelegschaft entsprechen, die der Gesetzgeber im Jahr 1974 noch vor Augen hatte. Dies macht es anspruchsvoller, sie in Zielsetzungen der Betriebsratspolitik zu integrieren und mit ihnen erfolgreich zu kommunizieren: LeiharbeitnehmerInnen, Beschäftigte in vielleicht noch dazu sehr flexiblen Teilzeitmodellen mit wenigen Stunden und zu atypischen Zeiten, stark in die eigene Community hinein orientierte Gruppen von MigrantInnen mit geringen Deutschkenntnissen usw.
Wir wissen, dass „kollektiv“ nicht das Modewort der Stunde ist. Eine immer größere Bandbreite individueller Lebensentwürfe und in vielen Bereichen immer stärker individualisierte Arbeitsplätze und Arbeitsplatzbedingungen könnten noch mehr als sonst dazu führen, dass Menschen auf den Wert kollektiver Schutz- und Sicherungssysteme vergessen – zum Beispiel also darauf, wie ungemein vorteilhaft es sein kann, in einer durch einen Betriebsrat vertretenen Belegschaft zu arbeiten; oder vergessen, wie wichtig es ist, dass Gewerkschaften mit dem ihnen vom Arbeitsverfassungsgesetz zur Verfügung gestellten Instrument des Kollektivvertrages erfolgreiche Lohnpolitik und kollektive Gestaltung der Arbeitsbedingungen betreiben.

Gemeinsames Bewusstsein
Wenn wir daher die 40-jährige Erfolgsgeschichte des österreichischen Arbeitsverfassungsgesetzes weiterschreiben wollen und es uns gelingen soll, in der Politik die erforderlichen Anpassungen dieses Gesetzes an die sich stetig ändernden Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Arbeitswelt durchzusetzen, dann gehört auch dazu, den ArbeitnehmerInnen verstärkt die außerordentliche Bedeutung der Arbeitsverfassung und der darauf aufbauenden Tätigkeit der BetriebsrätInnen und Gewerkschaften ins Bewusstsein zu rufen – nicht nur anlässlich eines Jubiläums des Arbeitsverfassungsgesetzes, sondern kontinuierlich und konsequent, weil sich gewerkschaftliche und betriebliche Solidarität vom gemeinsamen Bewusstsein ihrer Wichtigkeit nährt.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen dwora.stein@akwien.at und christoph.klein@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Dwora Stein, AK-Vizepräsidentin und Geschäftsführerin der GPA-djp |Christoph Klein, Stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890955 Das Arbeitsverfassungsgesetz ist eine tragende Säule, auf dem das Gebäude der Arbeitsrechts- und Sozialrechtsordnung steht. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890936 Guter Rat lohnt sich Drei Wochen, teilte der Arzt Herrn P. mit, würde er nach der Operation Ruhe brauchen. Drei Wochen nicht in der Arbeit sind eine lange Zeit und zur Sorge um die Gesundheit gesellte sich die um den Arbeitsplatz: Sein Arbeitgeber schlug ihm vor, selbst zu kündigen. Herr P. weigerte sich, der Chef lockte nun mit einer einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses, plus einem Monatsgehalt. Auch das kam für den pharmazeutischen Assistenten nicht in Frage. Kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus meldete ihn sein Chef bei der Sozialversicherung ab. Begründung: Das Arbeitsverhältnis sei zeitlich befristet gewesen. Herr P. wehrte sich mithilfe der Arbeiterkammer. Erfolgreich, denn der Arbeitgeber konnte weder die Befristung beweisen, noch hatte er sich an die Kündigungsfrist gehalten. Herr P. erhielt eine Kündigungsentschädigung von fast 3.700 Euro. 

Streitwert: 370 Millionen
Österreichweit hat die AK im Jahr 2013 mehr als zwei Millionen Beratungen durchgeführt und für ihre Mitglieder über 370 Millionen Euro vor Gericht und außergerichtlich zurückgeholt. Der Großteil der Beratungen findet zu den Themen Arbeits- und Sozialrecht statt. Aber auch in Konsumenten- und Steuerrechtsfragen helfen die AK-BeraterInnen weiter.
Knapp 200.000 Anrufe verzeichnete allein die Rechtsabteilung der AK Wien im Vorjahr. Sie führte rund 44.000 persönliche Beratungsgespräche durch und beantwortete fast 9.000 Anfragen, die per E-Mail eingegangen waren, Tendenz steigend. Die Themenbereiche der Beratungen sind so umfassend wie der Arbeitsalltag selbst, berichtet Irene Holzbauer, Leiterin der AK-Rechtsabteilung Wien. Die meisten Ratsuchenden sprechen im Zuge oder rund um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vor. „Sehr viele Streitfälle werden nicht im laufenden Arbeitsverhältnis, sondern erst nach Beendigung aufgegriffen. Die Angst um den Arbeitsplatz ist in Zeiten wie diesen sehr groß.“ Ob ausstehende Lohnansprüche, ungerechtfertigte Kündigungen, Mobbing, unbezahlte Überstunden, strittige Arbeitsverhältnisse: Die Juristen und Juristinnen der AK-Rechtsberatung sind um keinen Rat verlegen. Sie haben das Gerichtsjahr absolviert und verfügen über umfassende rechtliche Kenntnisse, die in permanenten Schulungen aktualisiert werden. „Die Basis ist das rechtliche Wissen“, sagt Holzbauer, „denn bei einer falschen Auskunft haften wir.“ Mit Menschen umzugehen, die unter großem Druck stehen, ist nicht einfach. So werden die MitarbeiterInnen auch in „Soft Skills“, Kommunikationstechniken und Konfliktfähigkeit, unterrichtet.

Ein Grundsatz der Beratung ist die Hilfe zur Selbsthilfe, etwa durch ein Gespräch mit dem Arbeitgeber oder dem Betriebsrat. Erst wenn keine Lösung auf dieser Ebene in Sicht ist, schreitet die Arbeiterkammer ein. Häufig kommt es dann zu Vergleichsverhandlungen oder zu außergerichtlichen Lösungen. Im Vorjahr konnten rund 52 Prozent der Akten bereits in der Abteilung für Arbeitsrecht erledigt werden, berichtet Irene Holzbauer. „Das heißt: Die Unternehmen können davon ausgehen, dass sie sich auf unser Know-how verlassen können.“ Wer einen Anspruch einklagt, muss ihn auch begründen können. Selbst die Bezahlung von 300 Überstunden kann ohne Aufzeichnungen nicht erfolgreich bei Gericht eingefordert werden. „Das Spannungsverhältnis zwischen recht haben und recht bekommen besteht immer“, sagt Holzbauer. „Gerechtigkeit heißt auch nicht immer, recht zu bekommen.“ Hier mit den unterschiedlichen Gefühlen der Ratsuchenden zurechtzukommen erfordert Fingerspitzengefühl. Es gilt, keine allzu hohen Erwartungen zu wecken, wenn die Beweislage dürftig ist. Die häufigsten Fehler der ArbeitnehmerInnen? „Es werden leichtfertig Erklärungen abgegeben. Etwa, dass der Lohn zufriedenstellend ausbezahlt wurde.“ Häufig werden – unter Umgehung der Kündigungsfristen – einvernehmliche Lösungen unterzeichnet, der/die ArbeitnehmerIn verliert die Ansprüche. Es gilt also: nichts leichtfertig unterschreiben, denn (fast) jede Unterschrift zählt.
Die Sachlage: Die Verkäuferin einer Palmers-Filiale hatte sich einer Knieoperation unterzogen und war danach wieder zur Arbeit gegangen. Danach fiel sie auf ihr operiertes Knie und ließ sich von ihrer Ärztin krankschreiben. Die Firma schickte ihr einen Detektiv auf die Fersen, der sie in einem Café beobachtete. Die Folge war die fristlose Entlassung. Mithilfe der AK zog die Arbeitnehmerin vor das Arbeits- und Sozialgericht. Dieses entschied, dass die Entlassung ungerechtfertigt war. Die Ärztin hatte bestätigt, dass keineswegs Bettruhe bestand und die Patientin oft entgegen ihrem Rat zur Arbeit gegangen war. Der Arbeitgeber musste der Verkäuferin 15.000 Euro bezahlen.

Erfolge für alle
Erfolge, so meint die Expertin Holzbauer, sind allerdings relativ zu sehen. „Wenn eine Reinigungsfrau mit einem Monatslohn von 800 Euro ihre Mehrstunden nicht bezahlt bekommt und sie erhält schließlich 300 Euro Nachzahlung, so ist das ebenfalls ein großer Erfolg. Am schönsten aber ist es, wenn wir durch einen Einzelfall Missstände im Betrieb für alle Arbeitnehmer abstellen können.“ So wurde die AK im Vorjahr auf einen Betrieb aufmerksam, der das Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht korrekt abrechnete. Für den Betroffenen bedeutete die Korrektur des Fehlers ein paar Hundert Euro. „Aber hier haben wir für alle etwas erreicht, selbst für die, die noch nicht in der Firma arbeiten.“

Wie wichtig Beratung ist, zeigen auch die zahlreichen Irrtümer in Bezug auf das Arbeitsrecht, denen ArbeitnehmerInnen unterliegen. Hartnäckig hält sich der Mythos, im Krankenstand nicht gekündigt werden zu können. Das kann fatale Folgen haben. Dabei genügt ein Anruf bei der Firma, am besten bei Arbeitsbeginn oder davor. Anschließend sollte man sofort den Arzt aufsuchen und sich krankschreiben lassen. Denn eine Kündigung ist auch im Krankenstand möglich, wobei der Arbeitgeber Fristen und Termine einhalten muss. Verbreitet ist des Weiteren die Annahme, dass immer schriftlich gekündigt werden muss. Aber: Meist gilt auch die mündliche Kündigung, selbst wenn sie von einem Dritten überbracht wird. Im Rahmen ihrer Rechtsschutztätigkeit verhilft die GPA-djp jährlich Tausenden ihrer Mitglieder durch Rechtsberatung, Intervention beim Arbeitgeber, Vertretung bei Gericht oder Sozialplanverhandlungen zu ihrem Recht. Im Jahr 2014 konnte die GPA-djp über 165 Millionen Euro „erstreiten“.
Birgit Ivancsics, Regionalsekretärin der GPA-djp: „Sehr stark merkbar ist der steigende Arbeitsdruck, den man allerdings schwer messen kann. Wir weisen darauf hin, sich die Arbeitsaufzeichnungen anzuschauen, da gibt es oft sehr viele unbezahlte Überstunden.“ Häufig mehren sich in ihrer Beratung auch Fragen, die im Zuge von Umstrukturierungen des Betriebes entstehen. „Als Beraterin versuche ich in erster Linie auf betrieblicher Ebene zu verhandeln. Erst wenn alles ausgeschöpft ist, wenden wir uns an das Gericht.“ Vor allem am Telefon ist die Sprache sehr wichtig, meint Ivancsics: „Hier ist die Herausforderung, den rechtlichen Aspekt herauszufiltern, bei dem man ansetzen und strategisch vorgehen kann.“
„Ein Spezifikum von uns als Produktionsgewerkschaft ist das Thema Arbeitszeit“, berichtet die Juristin der PRO-GE-Rechtsabteilung, Susanne Haslinger: „Wir haben viele Industrie- und Schichtbetriebe mit speziellen einschlägigen Regelungen. Die sind alles andere als leicht verständlich.“ Viele Anfragen betreffen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder Fragen rund um das Entgelt. Einen größeren Anteil als die Beratung nehmen bisweilen Kündigungsanfechtungen ein. „Fast immer enden diese Verfahren mit einem Vergleich und mit einer freiwilligen Abfertigung.“ Ein großer Erfolg wurde unlängst auch im Burgenland erzielt. Rumänische Erntehelfer hatten vor Gericht ihr volles Entgelt eingeklagt und recht bekommen. Ein Verfahren wegen Menschenhandels gegen den Arbeitgeber ist noch anhängig.

Keinerlei Unrechtsbewusstsein
Sehr viele Anfragen erhält die Rechtsabteilung der PRO-GE im Bereich Arbeitskräfteüberlassung, in dem es meist keine Betriebsräte gibt. „Oft wird eine einvernehmliche Lösung zum Unterschreiben vorgelegt. Manche glauben, sie können sich nachher zur Wehr setzen.“ Als skurril empfindet die Juristin, wenn ein Arbeitgeber „keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigt, etwa wenn er nur den halben Stundenlohn abrechnet und mich dann fragt, was ich eigentlich will“.

Webtipp:
Arbeitsrecht ABC: tinyurl.com/nx9jukh

Buchtipp:
www.arbeit-recht-soziales.at/arbeitsrecht4

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890922 Ob ausstehende Lohnansprüche, ungerechtfertigte Kündigungen, Mobbing, unbezahlte Überstunden, strittige Arbeitsverhältnisse: Die AK-JuristInnen sind um keinen Rat verlegen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890914 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890905 Selbstständig abhängig Die Massenproduktion von Kleidung als Konfektionsware begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie erfolgte im „Verlag“, das heißt, die Produktion wurde an eine große Zahl von KleinstunternehmerInnen, die „Zwischenmeister“ oder „Stückmeister“, ausgelagert. Sie arbeiteten entweder in einem Hinterzimmer mit ein paar GehilfInnen oder vergaben die Produktion wieder im „Verlag“ an einzelne HeimarbeiterInnen. Die als „Konfektionäre“ bezeichneten Großunternehmer behielten sich nur die Organisation und den profitablen Vertrieb vor. 1879 berichteten die Delegierten am ersten Allgemeinen österreichischen Schneidertag, wie dieses System funktionierte:
In Wien arbeiten in der Herrenschneiderei etwa 4.000 Gehilfen, davon kaum mehr als 700 bei Kundenmeistern. Alle anderen stehen im Dienst der Konfektion. ... Die Arbeit wurde schließlich geteilt und an Stückmeister außer Haus gegeben. … In Prag gibt es noch weniger Stückmeister als in Wien, aber es gibt doch schon 100 Meister dort, die aufgehört haben, Handwerksmeister zu sein, keine Werkstätte mehr halten und alle Arbeit den „Sitzgesellen“ nach Hause geben, die wieder Knaben für ihre Stückarbeit zu Hilfe nehmen.

Die Großunternehmer konnten durch das Verlagssystem die Produktionskosten sehr niedrig halten und die ohnehin wenigen Arbeiterschutzbestimmungen für „fabrikmäßige Betriebe“ umgehen:
Die Stückmeister sind nur das Werkzeug, um die Arbeiter recht ordentlich ausbeuten zu können. Sie … sind wirtschaftlich schwach, so dass sie den Lohndrückereien der Konfektionäre keinen namhaften Widerstand leisten können. So wurden denn die Löhne immer mehr herabgedrückt, so dass sie gegenwärtig einen Stand erreicht haben, der Stückmeister wie Arbeiter mit völligem Ruin bedroht.

Aus dem Plan der Gewerkschaft wurde zunächst (fast) nichts. Die überwiegende Mehrheit der StückmeisterInnen wollte gerade wegen des eigenen sozialen Abstiegs den Abstand zu den GehilfInnen gewahrt wissen und die eigenständige Stellung am Arbeitsmarkt betonen. Zu einer gemeinsamen großen Aktion kam es erst 1903 beim Streik in der Wiener Herrenkonfektion, als 3.000 Arbeiter und 1.500 Stückmeister dreieinhalb Wochen in den Ausstand traten und einen annehmbaren Kollektivvertrag durchsetzten. Danach organisierte sich eine Gruppe von Stückmeistern der Herrenkonfektion erstmals in einer Gewerkschaft, aber nach wie vor nicht gemeinsam mit ihren Arbeitern, wie es 1895 erhofft worden war.

Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890896 Im Streiklokal der Stückmeister der Wiener Herrenkonfektion 1903. Damals wie 2015 war sich die Gewerkschaft darüber im Klaren, dass die formale Selbstständigkeit nichts über die reale Situation von Abhängigkeit im Wirtschaftssystem aussagt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890883 GPA-djp: Löhne und Gehälter bleiben ungleich „Der aktuelle Gender Pay Gap von Eurostat bestätigt zweifelsfrei, was viele Arbeitgeber nicht gerne hören: Die Einkommensschere ist alles andere als ein Mythos, Frauen verdienen in Österreich weiterhin rund ein Viertel, nämlich 23 Prozent, weniger als Männer“, betonte Ilse Fetik, Frauenvorsitzende in der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) anlässlich des Internationalen Frauentags. „In der EU rangieren wir damit an der blamablen vorletzten Stelle. Umso wichtiger ist es, den Hebel dort anzusetzen, wo er nützt: bei den Einkommensberichten.“
Der Einkommensbericht zeige vor allem dann gute Wirkung, wenn sich Geschäftsführung und Betriebsrat gemeinsam damit auseinandersetzen, so Fetik. So gut wie in allen Branchen, für welche die GPA-djp zuständig ist, waren Verhandlungen von Betriebsratskörperschaften für bessere Einstufungen, für Karriereentwicklungen in höhere Gehaltsgruppen oder schlicht für Gehaltserhöhungen für Frauen erfolgreich, wenn die Dienstgeberseite ernsthaft bereit dazu ist. „Wir fordern deswegen erzwingbare betriebliche Angleichsverhandlungen, das ist der beste Weg, um Frauen und Männer hinsichtlich Karriere und Gehalt endlich gleichzustellen“, fordert Fetik.

Der Praxisratgeber zu den Einkommensberichten: tinyurl.com/o74gynb 

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Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890679 AK: Sag mir, wo die Frauen sind Frauen in Führungspositionen: Nach ihnen muss in Österreich weiterhin mit der Lupe gesucht werden. Wie der jüngste Frauen.Management.Report der AK Wien zeigt, bleibt der Anteil von Frauen in Geschäftsführung und Aufsichtsrat auf einem konstant niedrigen Niveau. In den Top-200-Unternehmen liegt der Frauenanteil in der Geschäftsführung bei 5,9 Prozent – und hat sich seit 2005 nur um 2,2 Prozentpunkte erhöht. Nur ein Unternehmen (Infineon) wird von einer Vorstandsvorsitzenden geleitet, ein weiteres von einer alleinigen Geschäftsführerin (IBM). Selbst in Branchen mit hoher Frauenbeschäftigung wie im Handel oder bei Banken und Versicherungen ist die Spitze männerdominiert. Am besten schneidet noch der Dienstleistungssektor mit elf Prozent ab. In den börsennotierten Unternehmen beträgt der Anteil ebenfalls schwache 5,8 Prozent – und das, obwohl sich diese per Corporate Governance Kodex zu guter Unternehmensführung verpflichten. Im Leitindex ATX beträgt der entsprechende Prozentsatz 5,3. „Etwas besser, aber ebenso noch verbesserungswürdig ist die Situation in den Aufsichtsratsgremien“, sagt Studienautorin Christina Wieser. Bei den Top-200-Betrieben beträgt der Anteil von Frauen in den Kontrollgremien derzeit 16,2 Prozent – ein Fortschritt, denn vor zehn Jahren lag dieser noch bei 7,7 Prozent. Auch in den börsennotieren Unternehmen beläuft sich der Prozentsatz mittlerweile auf 16.

„Deutlich besser als die Privatwirtschaft schneiden die staatsnahen Unternehmen mit einem Frauenanteil von 37 Prozent in den Aufsichtsräten ab. Hier gibt es allerdings seit 2011 eine Selbstverpflichtung mit definierten Zielwerten“, erklärt Wieser. Trüber wird das Bild wieder, wenn man in andere EU-Länder blickt. Hier liegt Österreich mit einem Anteil von 17 Prozent unter dem EU-Schnitt von 20 Prozent. An der Spitze: Island mit 45 und Norwegen mit 38 Prozent. Allerdings gibt es in diesen beiden Ländern verbindliche Quotenregelungen. „Wird eine solche Quotenregelung eingeführt – wie zuletzt in Frankreich und Italien –, zeigt sich ein rascher Fortschritt“, so Wieser. Bereits seit zehn Jahren erstellt die AK Wien die Studie über die Repräsentanz von Frauen an der Unternehmensspitze. Erhoben werden die Zahlen sowohl für die umsatzstärksten Top-200-Unternehmen als auch für die börsennotierten Unternehmen.

Der Report als PDF: tinyurl.com/p4qz3td

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Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890624 ÖGB: Teilzeit ist Bremsklotz für Karriere Ende Februar ist die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um 23.000 Personen gestiegen. Dass neben der steigenden Arbeitslosigkeit ein Beschäftigungsplus verzeichnet werden konnte, ist eine gute Nachricht. Weniger erfreulich ist aus Sicht der ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzenden Renate Anderl, dass es vor allem schlecht bezahlte Teilzeitjobs sind, die sich positiv auf die Beschäftigungsquote auswirken. „Laut aktuellem Sozialbericht arbeitet gerade einmal die Hälfte der ArbeitnehmerInnen Vollzeit – zwei Drittel davon Männer, ein Drittel Frauen“, erklärt Anderl zu den Anfang März veröffentlichten Arbeitsmarktdaten.

Grundsätzlich zeigt sich ein fataler Trend in Richtung Teilzeitbeschäftigung bei Frauen. Immer mehr Frauen arbeiten nur noch halbtags. Anderl warnt: „Teilzeit ist nicht nur ein Bremsklotz für die Karriere, sondern schmälert auch die spätere Pension. Niedriglöhne führen zu Niedrigpensionen und damit zu Altersarmut, von der vor allem Frauen stark betroffen sind.“ Um möglichst vielen Frauen Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen, fordert der ÖGB seit Langem ganztägige und leistbare Kinderbildungseinrichtungen. „Der Ausbau von Kindergärten und Schulen wäre ein wichtiger Beitrag zur Chancengleichheit von Männern und Frauen und die effizienteste Möglichkeit, um Frauen ein Einkommen zu sichern, von dem sie auch leben können.“ Aber auch bei Frauen, die Vollzeit arbeiten, gibt es in Sachen Einkommensgerechtigkeit noch viel zu tun. Laut dem letzten Bericht von Eurostat zum Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen bekommen Frauen für die gleiche Arbeit im Schnitt fast ein Viertel weniger Geld als ihre männlichen Kollegen: „Im EU-Vergleich rangiert Österreich damit an vorletzter Stelle. Das können wir nicht akzeptieren. Die ÖGB-Frauen bekräftigen daher einmal mehr ihre Forderung nach Einkommensberichten und mehr Einsatz seitens der Unternehmer, um diese Ungerechtigkeit ein für alle Mal zu beseitigen“, so Anderl.

ÖGB-Frauen im Netz: tinyurl.com/pzbcz26

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Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890440 Es gibt noch viel zu tun „Trotz zahlreicher Erfolge in den vergangenen Jahren gibt es noch viel zu tun. Vor allem, wenn es darum geht, Frauen eine Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen und Beruf und Privatleben zu vereinbaren“, sagte Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende, anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März. Die Zahl der in Teilzeit arbeitenden Frauen steigt ständig. „Teilzeit schmälert nicht nur die Chancen auf Karriere, sondern führt auch in späterer Folge zu Altersarmut“, so Anderl.   
Unter dem Motto „Gewinn mit uns“ machten die ÖGB-Frauen im Vorfeld des heurigen Frauentags eine Verteilaktion. Dabei verliehen sie auch ihren Forderungen nach einem kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1.500 Euro, einem bezahlten Papamonat, Elternteilzeit für alle sowie nachhaltigen Maßnahmen, um die „gläserne Decke“ zu durchbrechen, Nachdruck.
Mit einer Rose und einem kleinen Gewinnspiel wollten sich die Gewerkschafterinnen aber auch bei jeder einzelnen Frau für die geleistete Arbeit – bezahlt oder unbezahlt –, die sehr oft für selbstverständlich erachtet wird, bedanken. Rund drei Viertel der anfallenden Haushaltstätigkeiten werden heute noch immer von Frauen erledigt, das bestätigt eine aktuelle Umfrage von marketagent.com. „Wir brauchen dringend ein Umdenken der Gesellschaft und eine intensive Diskussion über den Wert der Arbeit, die Frauen leisten. Die Arbeit der Frauen muss viel mehr wert sein“, sagt ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende Anderl.

Mehr Infos unter:
www.oegb.at/frauen

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Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890451 ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende Renate Anderl, Isabella Guzi (ÖGB-Bundesfrauensekretärin), Karin Gerik (ÖGB) und Sabine Herold (GdG-KMSfB-Frauen) bei der Verteilaktion in der Millennium City in Wien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890459 Zahlreiche Frauen (und auch viele Männer) beteiligten sich am Gewinnspiel, berichteten aus ihrer langjährigen Berufserfahrung und diskutierten über die aktuellen Forderungen der ÖGB-Frauen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890399 Standpunkt | Recht gegen Macht Es war purer Zufall. Denn eigentlich waren wir auf der Suche nach Literatur über die weiterhin bestehende Ungleichbehandlung zwischen ArbeiterInnen und Angestellten. Als wir also die entsprechenden Stichworte in die Datenbank von www.besserewelt.at eingaben, stolperten wir über ein interessantes Buch: „Die Angestellten und die Klassengesellschaft“. Es wirft einen Blick zurück in die Erste Republik und behandelt unter anderem die Frage, wie sich Angestellte organisierten und welche Position sie gegenüber den ArbeiterInnen-Gewerkschaften einnahmen. Vermutlich waren Angestellte schon damals in einer besseren Position, heute sind sie es immer noch. Und doch hat sich die Lage deutlich verändert.

Gedankenexperiment
Ausgehend von diesem Buch lässt sich ein spannendes Gedankenexperiment anstellen, das mit dem Blick in die Vergangenheit mitten in die Gegenwart führt. Heute sind Angestellte eine wichtige Gruppe innerhalb der Gewerkschaft, ArbeiterInnen spielen weiterhin eine wichtige Rolle, doch zugleich sind neue ArbeitnehmerInnen-Gruppen entstanden. Zum Teil gehören sie diesen aus eigener Entscheidung an, zum größeren Teil aber werden sie in diese prekären Verhältnisse gedrängt. 
Der Kern des Arbeitsrechts war, dass es einst sehr bewusst und umsichtig Grenzen gezogen hat, um einen Ausgleich zwischen unterschiedlich starken PartnerInnen zu erreichen. Diese werden bis heute auch zu Recht verteidigt, immerhin sind die PartnerInnen ungleicher denn je zuvor. Die neue Arbeitswelt bzw. vor allem die (inzwischen gar nicht mehr so) neuen Kommunikationsmittel haben es mit sich gebracht, dass man dauernd erreichbar ist. Diese Grenzüberschreitung, die den MitarbeiterInnen allzu billig als Erleichterung verkauft wird (oder die sich immer mehr ArbeitnehmerInnen allzu billig als solche abkaufen lassen), lässt sich kaum noch rückgängig machen.

Vielleicht ist die allzu strenge Abgrenzung von Arbeit und Beruf auch kontraproduktiv, weil auch sie wieder Stress erzeugen kann? Vielleicht ist es für die Einzelnen tatsächlich besser, nicht mehr stur „9 to 5“ arbeiten zu müssen, sondern dann, wenn es etwas zu tun gibt? Vielleicht ist es in der Tat ein Gewinn an Lebensqualität, wenn sich die ArbeitnehmerInnen selbst aussuchen können, ob sie ihre Aufgaben im Büro oder im Kaffeehaus erledigen?
So und ähnlich lauten nur einzelne Vorteile, die von den Betroffenen selbst gerne angeführt werden. In der Tat haben sie auch einiges für sich. Zugleich kann man ihnen auch einiges entgegenhalten: In welchen Angestellten-Verhältnissen hat man denn noch den Luxus, nur Zeit abzusitzen? Welcher Gewinn ist es, wenn man zusätzlich zur stressigen Arbeit im Büro auch noch in der Freizeit immer wieder an die Arbeit geholt wird? Und wie lässt sich ein Gegengewicht schaffen, wenn Arbeitgeber über alle Grenzen hinausschießen?

Übers Ziel hinaus
Wie sehr Arbeitgeber übers Ziel hinausschießen und wie hässlich die neue Arbeitswelt in der Realität ist, zeigen wir in dieser Ausgabe. Angefangen von der bereits angesprochenen, weiterhin bestehenden Ungleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten über die Versuche, Angestelltenverhältnisse zu durchlöchern, bis hin zur puren Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen, die auch in Österreich leider passiert: Mit all diesen Herausforderungen sind Gewerkschaften und Arbeiterkammer im Alltag konfrontiert.
Sie belegen vor allem, wie wichtig es weiterhin ist, mit dem Arbeitsrecht Hebel zu haben, um die ungleiche Machtverteilung zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen zumindest ein bisschen auszugleichen. Allerdings ist dieser Hebel vielleicht an der einen oder anderen, vielleicht sogar an vielen Stellen verbesserungswürdig.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089890089 Scheinbar selbstbestimmt UnternehmerInnen und ArbeiterInnen sind out, SubunternehmerInnen und selbstständige ArbeiterInnen sind in: Zumindest könnte man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich die Baubranche genauer ansieht. Diese ist in ganz Europa in komplexe Wertschöpfungsketten mit einem immer verworrener werdenden Geflecht an Subunternehmen unterteilt. Und das geht so: Ein Generalunternehmen beauftragt ein Subunternehmen, das dann selbst wieder Aufträge an andere Firmen erteilt – und auf der Baustelle selbst werken immer öfter Selbstständige. Diese gerne als „Neue Selbstständige“ bezeichneten ArbeitnehmerInnen sind dies nicht aus dem Wunsch heraus, flexibler zu arbeiten. Vielmehr sind sie aus reiner Not in diese Arbeitsform gezwungen. Einige sind diese „abhängige Selbstständigkeit“ auch wider besseres Wissen eingegangen. Für viele aus dem Ausland stammende ArbeitnehmerInnen ist auch das österreichische Arbeitsrecht mit seinen Kollektivverträgen schlicht unbekannt oder schwer zu durchschauen. Die Folge: Sie werden um Ansprüche und Zahlungen betrogen, seien dies Sonderzahlungen, Entgeltfortzahlung im Krankenstand oder etwa bezahlte Urlaube und Feiertage.

Graubereiche
Die FORBA-Studie „Arbeitnehmer bist du irgendwie trotzdem …“ im Auftrag der AK befasst sich mit den Grenzbereichen von Selbstständigkeit, Unselbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit in der österreichischen Bauwirtschaft. Regelmäßige Kontrollen auf Baustellen haben gezeigt, dass es dort eine große Anzahl an Selbstständigen gibt. Mehr als drei Viertel von ihnen sind als Trockenbauer, Fassadenarbeiter und Eisenbieger oder -leger beschäftigt, üben also einfache Tätigkeiten aus, die nach gängiger Rechtsprechung nicht als selbstständiges Werk gelten. Als Einzelunternehmen werden auch „selbstständige“ Gerüstbauer, Bauschuttentferner und Verspachtler angetroffen – am Bau werden sie meist in Bereichen eingesetzt, wo es vorrangig um die Arbeitsleistung geht und mit wenig Ausrüstung und leicht erhältlichen Materialien gearbeitet werden kann. Handwerkliche Tätigkeiten wie etwa Fliesenlegen werden zumeist nicht von den Generalunternehmen selbst ausgeführt, sondern an Sub-AuftragnehmerInnen weitergegeben. Ein in die Studie einbezogenes österreichisches Bauunternehmen beschäftigt nach Auskunft des Betriebsrats indirekt 1,5-mal so viele ArbeitnehmerInnen über Subfirmen, wie es selbst Beschäftigte hat.

Die Scheinselbstständigen erhalten monatlich Geld und auch Weisungen von ihren Auftraggebern – diese „selbstständigen ArbeitnehmerInnen“ sind ebenso ausschließlich für die überprüfte Firma tätig. Vor allem in den letzten Jahren hat sich die Scheinselbstständigkeit immer mehr im Arbeitsleben etabliert. Mit der Arbeitsmarktöffnung im Mai 2011 kam es zunächst zu einem Rückgang selbstständiger Erwerbstätigkeit von StaatsbürgerInnen aus den EU-8. Doch kurz nach der Arbeitsmarktliberalisierung stieg die Zahl wieder an. Zwar gibt es regelmäßige Kontrollen, doch rentiert sich die systematische Beschäftigung von Scheinselbstständigen für Unternehmen, die nicht auf längerfristigen Bestand ausgerichtet sind, so die ExpertInnen der FORBA-Studie. Diese Unternehmer wollen grundsätzlich Abgaben hinterziehen und gehen absichtlich in Konkurs. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies in der Baubranche öfters passiert.

Unseriöse Firmen
Yilmaz Kadir ist einer, der unter diesen Machenschaften leidet. Der Inhaber einer Kaminbaufirma weiß: „Wenn Betriebe in Konkurs gehen, sind zwar die Eigentümer für einige Zeit gesperrt und dürfen dann keine Firma aufmachen. Doch dann ist es halt ein Verwandter mit dem gleichen Hintergedanken.“ In der Praxis sind vielen Auftraggebern unseriöse Firmen egal. Für eine Baustelle veranschlagte Kadir vor einiger Zeit 95.000 Euro, bei Selbstkosten von 80.000 Euro ein sehr guter Preis. Den Zuschlag bekam eine Firma, die bloß 45.000 Euro verlangte. Eineinhalb Jahre später rief der Bauherr an und bat um Hilfe. Als Kadir zur Baustelle kam, stand immer noch das Baugerüst. „Die billige Firma hat einfach die Anzahlung kassiert und war dann weg.“ Inzwischen hat sich diese Billig-Baufirma aufgelöst, der Bauherr hat seine Anzahlung verloren. Um einen Missbrauch von „abhängigen Selbstständigen“ bei den Bauaufträgen zu verhindern, fordern AK und ÖGB eine effizientere Haftung der Auftraggeber für Arbeitnehmerforderungen. Die derzeit bestehenden Haftungsbestimmungen reichen nicht aus. Noch viel zu oft verlieren gerade die bei kleinen Subunternehmen am Bau Beschäftigten ihre Lohnansprüche, weil die Subunternehmen nicht mehr greifbar sind und die Auftraggeber nicht haften müssen.

Moderne LastenträgerInnen
Auch im Kurier-, Paket- und Expressdienst gibt es vergleichbare Zustände. Wie auch in der Baubranche wird der Preiskampf über die Arbeitsbedingungen geführt. Unter dem Titel „Des anderen Last“ beschrieb der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff die untragbaren Zustände in dieser Branche. Dieses Mal arbeitete er undercover als Paketfahrer und -auslieferer bei GLS Germany. Wallraff heuerte kurz vor Weihnachten an, weil er sich damit die schlimmste Zeit erwartete – er irrte, der Job kennt keine guten Tage. Drei Textauszüge aus einem Beitrag, den Wallraff in einem Artikel im „Zeit-Magazin“ veröffentlichte: „… GLS stellt die Fahrer nicht selbst ein, sondern schließt Verträge mit Subunternehmern, die wiederum die Fahrer anstellen. Damit kann GLS sämtliche Risiken auslagern …“. „… Diese Arbeit ist Raubbau am Körper. 12- bis 15-Stunden-Schichten, ohne geregelte Pausen, eigentlich überhaupt ohne Pausen, machen krank …“. „… In der Branche sind etwa 11.000 Subunternehmer tätig. Viele von ihnen kommen aus der Türkei, aus arabischen Ländern oder sind Russlanddeutsche. Oder sie kommen aus besonders strukturschwachen Gegenden Deutschlands und hoffen, als selbstständige Unternehmer ihrer Misere endlich entfliehen zu können …“.

Die von der vida 2012 in Auftrag gegebene Studie „Prekäre Arbeitsbedingungen bei den Paketdiensten“ erforschte auch das Arbeitsumfeld bei den Paketzustellern in Österreich – mit dem Fazit, dass sie auch hierzulande immer prekärer werden. Rund 15.000 Betroffene werden nach dem Kollektivvertrag für das Kleintransportgewerbe bezahlt, allerdings häufig ohne Einhaltung der Regelungen. Scheinselbstständige, schlechte Arbeitsbedingungen und Subfirmen von Subfirmen sind keine Ausnahme. Genau wie überladene Fahrzeuge, überhöhte Geschwindigkeit, um die Touren zeitgerecht abzuarbeiten. Der Onlinehandel führt zu „einer Proletarisierung der Handelsmitarbeiter“, stellte Peter Schnedlitz, Vorstand des Instituts für Handel und Marketing an der WU, Mitte Februar im Ö1-Wirtschaftsjournal „Saldo“ fest. Zudem könnten LogistikmitarbeiterInnen im Lager der Onlinehändler und Paketzusteller kaum von ihrer Arbeit leben. Auch Doris Lutz, Expertin in der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien, hält fest: „Obwohl keine zufriedenstellenden statistischen Daten vorliegen, gibt es Hinweise darauf, dass sich in einzelnen Branchen eher zu Prekarität neigende neue Formen der Selbstständigkeit entwickeln. Und zwar in all jenen Branchen, in denen es vereinfachten Zugang zu freien Gewerben gibt, wie etwa der Personenbetreuung, IT-Branche oder den Creative Industries.“

Wirtschaftliche Abhängigkeit
Längst muss auch der ArbeitnehmerInnen-Begriff an die realen Verhältnisse angepasst werden – seit Jahren fordern ÖGB und AK, dass nicht nur die üblichen arbeitsrechtlichen Kriterien (etwa Weisungsgebundenheit, persönliche Pflicht zur Arbeitsverrichtung etc.) allein entscheiden sollen, sondern auch die wirtschaftliche Abhängigkeit als Kriterium hinzukommt. Eine Beweislastumkehr ist erforderlich: Derzeit müssen die ArbeitnehmerInnen beweisen, dass tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vorliegt. In der Praxis ist das oft schwierig und birgt ein hohes Prozessrisiko für die Betroffenen. Eine Beweislastumkehr würde helfen, Scheinselbstständigkeit einzudämmen. Wenn es starke Indizien für ein Arbeitsverhältnis gibt, wie etwa die Abhängigkeit von nur einem Arbeitgeber oder Vorgaben bezüglich Arbeitszeiten, soll der Arbeitgeber beweisen müssen, dass kein reguläres Arbeitsverhältnis besteht.

Webtipps:
Günter Wallraff im Interview:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/guenther-wallraff-auspressen-von-arbeitskraft/
Studie „Arbeitnehmer bist du irgendwie trotzdem …“:
tinyurl.com/jwtxukk

Buchtipp:
www.arbeit-recht-soziales.at/die-lastentraeger

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sophia T. Fielhauer-Resei und Christian Resei, Freie/r JournalistIn Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890026 Die Baubranche ist in komplexe Wertschöpfungsketten mit einem immer verworrener werdenden Geflecht an Subunternehmen unterteilt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089890115 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089889990 Scharfe Schere gegen schwarze Schafe Wegen Unterentlohnung mit einem Strafvolumen von insgesamt knapp 20 Millionen Euro gab es 1.044 Anzeigen. Davon betroffen: 575 inländische und 469 ausländische Unternehmen. So lautet die Bilanz der Kontrollen, die bis Ende 2014 auf Basis des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSDB-G) durchgeführt wurden. Werden die „schwarzen Schafe“ erwischt, wird ordentlich geschoren, sprich es kann richtig teuer werden: Leisten Arbeitgeber ihren in Österreich beschäftigten ArbeitnehmerInnen nicht das zustehende Entgelt, folgen Verwaltungsstrafen in Höhe von 1.000 bis 10.000 Euro, im Wiederholungsfall sogar 2.000 bis 20.000 Euro – und das pro ArbeitnehmerIn. Sind mehr als drei ArbeitnehmerInnen betroffen, erhöhen sich die Strafen auf 2.000 bis 20.000 Euro (im Wiederholungsfall 4.000 bis 50.000 Euro) je ArbeitnehmerIn.

Druck abfedern
Wesentlicher Hintergrund für dieses Gesetz, das in- wie ausländische ArbeitnehmerInnen vor Ausbeutung schützen soll, waren die letzten EU-Erweiterungsrunden. Um den Druck auf die ArbeitnehmerInnen abzufedern, der im Falle einer sofortigen Arbeitsmarktöffnung befürchtet wurde, beschlossen die EU-Staaten nicht zuletzt auf Druck von Österreich Übergangsregelungen. Im Mai 2011 sind diese Regelungen für acht Staaten ausgelaufen, die 2004 der EU beigetreten waren. Seither dürfen Personen aus Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland und Litauen in Österreich uneingeschränkt arbeiten, seit 1. Jänner 2014 gilt dies auch für ArbeitnehmerInnen aus Rumänien und Bulgarien. Im Mai 2011 ist das Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping in Kraft getreten, das gleiche Lohnbedingungen für alle in Österreich tätigen ArbeitnehmerInnen sichern soll. Außerdem soll es gewährleisten, dass für inländische und ausländische Unternehmen die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten. Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der AK Wien, kommentiert: „Seit Mai 2011 konnten zahlreiche Erfahrungen gesammelt werden. Diese zeigten, dass das LSDB-G an einigen Stellen noch Nachbesserungsbedarf aufwies. Das führte in Folge zu einer Novellierung des Gesetzes, die mit 1. Jänner 2015 in Kraft getreten ist. Somit konnten wesentliche Lücken geschlossen werden.“

Ein Mangel des alten LSDB-G war, dass lediglich der Grundlohn kontrolliert werden konnte. Somit konnten ArbeitnehmerInnen weiterhin um Sonderzahlungen wie das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld oder um Zulagen wie Gefahren-, Nachtarbeits- oder Überstundenzuschläge geprellt werden. Seit Anfang des Jahres können die Behörden alle Entgeltbestandteile kontrollieren. Für den AK-Experten Gagawczuk ist diese Ausweitung der Lohnkontrollen einer der entscheidenden Punkte der Novelle: „Dies ist ein wesentlicher Schritt in die Richtung, dass ArbeitnehmerInnen tatsächlich das erhalten, was ihnen auch zusteht.“ Kontrolliert wird im Übrigen durch die Finanzpolizei, die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) als Kompetenzzentrum für die Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfung (LSDB), die örtlich zuständigen Krankenversicherungsträger sowie die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK). Wann und wo kontrolliert wird, entscheiden die Behörden selbst, wobei Anregungen von ArbeitnehmerInnen oder BetriebsrätInnen erwünscht sind. „Wichtig ist, bei möglichen Verstößen und bei Verdacht nicht wegzuschauen, sondern die Fakten an die Kontrollbehörden weiterzuleiten. BetriebsrätInnen müssen bei Auffälligkeiten aktiv werden!“, kommentiert Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. Gagawczuk über die Arbeit der „Kontrollore“: „Die kontrollierenden Stellen wollen natürlich keine Systematik erkennen lassen, sie greifen auf Erfahrungswerte zurück, wo die größten Missstände zu erwarten sind und Überprüfungen das meiste bringen. Es ist kein Geheimnis, dass die Baubranche besonders oft von Sozialdumping betroffen ist.“

Hintertür geschlossen
Ein weiterer Eckpunkt der Novelle: Die Verwaltungsstrafen bei fehlenden Lohnunterlagen wurden erhöht. Lohnunterlagen mussten bereits laut altem Gesetzestext jederzeit bei Kontrollen einsehbar sein. War das nicht der Fall, wurden Strafen in der Höhe von 500 bis 5.000 Euro verhängt. Das Problem dabei: Diese Strafen waren deutlich geringer als jene bei nachgewiesener Unterentlohnung. Mit anderen Worten, es kam den Unternehmen billiger, die Unterlagen gar nicht erst bereitzustellen. Diese Hintertür ist jetzt verschlossen: Das Strafniveau wurde angehoben und macht zwischen 1.000 und 10.000 Euro aus. Die Strafe wird außerdem pro ArbeitnehmerIn verhängt, für den/die Lohnunterlagen nicht bereitgehalten werden. Zuvor ist die Strafe in der Regel pauschal pro Arbeitgeber ausgesprochen worden, weshalb sie meist nicht mehr als 1.000 Euro ausmachte – praktisch ein Bagatellbetrag für die Unternehmen.

Höhere Strafen im Zentrum
Michaela Windisch-Graetz, Arbeitsrechtsexpertin der Uni Wien, bezeichnet deshalb die Anhebung der Strafen als ein wesentliches Element der Novelle: „Dass die Nichtbereitstellung von Unterlagen jetzt genauso streng bestraft wird wie Unterentlohnung, ist überaus zu begrüßen und hat das Potenzial, kriminelle Energie einzudämmen.“ Mit der Höhe der Strafen zeigt sich Windisch-Graetz
 zufrieden, für Muchitsch können hingegen „die Strafen nicht hoch genug sein“. Weitere Forderungen des Gewerkschafters, der sich prinzipiell über die Novelle freut, reichen von der Aufstockung der Finanzpolizei auf 600 Kontrollorgane über eine Baustellendatenbank, bei der die Auftraggeber verpflichtet werden, Baustellen und Beschäftigte zu melden, bis zu einer Novelle des Bundesvergabegesetzes, wodurch die Firmen mit Verstoß gegen Lohn- und Sozialdumping von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. „Außerdem sollen öffentliche Auftraggeber für nicht geleistete Abgaben und Steuern von Firmen haften, welche sie beauftragt haben“, fordert Muchitsch. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Ausdehnung der sogenannten Sicherheitsleistung. Inländische AuftraggeberInnen konnten laut altem Gesetz bei Verdacht einer Unterentlohnung dazu verpflichtet werden, einen Teil des Auftragsentgelts als Sicherheit zu hinterlegen. Laut Novelle soll dies in allen Fällen des begründeten Verdachtes einer Verwaltungsübertretung – zum Beispiel wenn die Lohnkontrolle vereitelt wird – erfolgen. Die kontrollierenden Stellen sollen bereits unmittelbar nach der Kontrolle bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung beantragen können. Gagawczuk erklärt: „Die Sicherheitsleistung war auch im alten Gesetz enthalten, es dauerte aber zu lange, bis die Behörden einen Bescheid erließen. Das soll jetzt deutlich schneller gehen und Kapital als Sicherheit gebunden werden.“

Neu ist auch die Informationspflicht gegenüber ArbeitnehmerInnen. Wenn aufgrund von Unterentlohnung ein Strafbescheid gegen Arbeitgeber vorliegt, müssen die betroffenen ArbeitnehmerInnen darüber informiert werden. Außerdem wurde die Verjährungsfrist neu geregelt. Bisher verjährte das Delikt der Unterentlohnung kaum, da die Verjährungsfrist von einem Jahr erst begann, wenn nachgezahlt wurde. Nun wurde die Verjährungsfrist mit drei Jahren festgelegt und beginnt mit Fälligkeit des Entgelts. Ein letzter Punkt sei erwähnt: Bei öffentlichen Auftragsvergaben können AuftraggeberInnen Auskunft verlangen, ob gegen die AuftragnehmerInnen oder die Subfirmen bereits eine rechtskräftige Bestrafung nach dem LSDB-G vorliegt. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, notorische „Sozialdumper“ bereits im Vorfeld auszusieben.

Information ist Trumpf
In Unternehmen, in denen BetriebsrätInnen tätig sind, gibt es laut ExpertInnen wie Gagawczuk weniger Probleme mit Lohn- und Sozialdumping. Dennoch ist es natürlich auch für BetriebsrätInnen und die ArbeitnehmerInnen selbst wichtig, hier laufend informiert zu sein. In diesem Zusammenhang entsteht gerade in Kooperation von Sozialministerium, BUAK und ÖGB-Verlag eine Plattform („Entsendeplattform“), die sich mit grenzüberschreitender Beschäftigung und Sozialdumping befasst.
In die gleiche Richtung geht das Projekt „Lohn- und Sozialdumping – Grundlagen und Bekämpfungsmöglichkeiten im internationalen Vergleich“ der heimischen Sozialakademie und der Europäischen Akademie der Arbeit. Die Ergebnisse des Projekts sollen Ende Juni präsentiert werden. Denn ohne umfassende Hintergrundinformation schweben selbst die besten Gesetze und schärfsten Kontrollen in der Luft.

Webtipp:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.buak.at

Schreiben Sie Ihre Meinung  an den Autor harald.kolerus@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Harald Kolerus, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089889971 Werden "Lohn- und Sozialdumper" erwischt, kann es für sie richtig teuer werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089889891 Faule Früchte Über der Ebene liegt dichter Nebel, nur hin und wieder schauen unter der Nebeldecke die Füße der Windräder heraus, die sich entlang der Autobahn in Richtung Bratislava aneinanderreihen. Von daher kann man nur erahnen, über welch großes Äckermeer man normalerweise blicken würde, das sich rund um den Neusiedler See erstreckt. Auf dem Weg in den Seewinkel lichtet sich der Nebel langsam und somit wird der Blick frei auf Äcker, Gewächshäuser und Weingärten, so weit das Auge reicht. Noch hat die Saison nicht begonnen, lediglich in den Weingärten werken vereinzelt Menschen an den Weinstöcken. Ansonsten aber herrscht noch Vorfrühlingsruhe.

Verdorbener Appetit
Genuss-Region: Mit diesem Label wirbt nicht nur der Seewinkel. Doch Berichte über die Arbeitsbedingungen von ErntehelferInnen in so manchen Betrieben der Region können einem oder einer den Appetit auf Obst, Gemüse und Wein schon ordentlich verderben.
Im Jahr 2013 erhob die PRO-GE Burgenland schwere Vorwürfe gegen einen Gemüseanbaubetrieb im Seewinkel: Die dort beschäftigten ArbeitnehmerInnen arbeiteten 17,5 Stunden am Tag, 336 Stunden im Monat, und das für gerade einmal 100 Euro in der Woche. Umgerechnet ergibt dies einen Stundenlohn von einem Euro. Untergebracht waren die Betroffenen „in menschenverachtenden, eher pferchähnlichen Containern“, berichtete der burgenländische Landessekretär Anton Wesselich in einer Aussendung. Im Herbst 2013 berichteten Medien über Kontrollen durch die Finanzpolizei im Burgenland. Sie statteten 54 Weinbaubetrieben in 37 Gemeinden einen Besuch ab mit dem Ergebnis, dass jede/r dritte ErntehelferIn nicht angemeldet war.

Neue Anlaufstelle
Um ArbeitnehmerInnen, die unter solch unmenschlichen Arbeitsbedingungen arbeiten, zu unterstützen, wurde Anfang Juni 2014 im ÖGB die neue Anlaufstelle für undokumentierte ArbeitnehmerInnen eröffnet. Undokumentiert: So werden MigrantInnen bezeichnet, die in Österreich arbeiten, ohne eine gültige Aufenthaltsgenehmigung oder Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben. Karin Jović ist eine von zwei Beraterinnen der UNDOK-Stelle. „Uns kontaktieren viele Personen allgemein wegen Informationen“, berichtet sie aus dem Beratungsalltag. „Dabei geht es oft um aufenthaltsrechtliche Fragen und den Zugang zum Arbeitsmarkt.“ Dass diese grundsätzlichen Fragen eine so große Rolle spielen, hat seinen guten Grund: In Österreich wird es MigrantInnen nicht gerade leicht gemacht, die Regeln in Sachen Aufenthalt und Arbeit zu durchschauen, wie Jović illustriert: „Es gibt 28 verschiedene Aufenthaltstitel.“ Selbst für Menschen, die sich für das Thema interessieren, fällt es alles andere als leicht, den Durchblick zu bewahren. Auch hier steht die UNDOK-Stelle den Betroffenen zur Seite und vermittelt sie an die für die jeweilige Frage zuständige Stelle weiter.
Das zentrale Thema der Anlaufstelle aber sind natürlich arbeitsrechtliche Fragen undokumentierter MigrantInnen. Und hier gilt es, viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn nur wenige wissen, dass jeder Mensch, der in Österreich arbeitet, gewisse Rechte hat – und zwar ganz unabhängig davon, ob er oder sie sich legal hier aufhält oder nicht. Genau dies zu vermitteln hat sich die UNDOK-Stelle zum Ziel gemacht. Was sind nun die gängigsten arbeitsrechtlichen Fälle? „Oft erhalten die Personen von den Arbeitgebern den Lohn nicht – entweder gar nicht oder nur zum Teil“, erzählt Jović. „In allen Fällen passt das, was sie erhalten haben, nicht mit den kollektivvertraglich vereinbarten Mindestlöhnen zusammen. Auch Sonderzahlungen werden ihnen vorenthalten, und wir hatten ein paar Fälle, wo es zu Arbeitsunfällen gekommen ist“, berichtet die Beraterin weiter. Da die Betroffenen nicht offiziell angemeldet sind, wird von Arbeitgebern bisweilen versucht, an den offiziellen Behörden vorbei zumindest die Notfallversorgung zu gewährleisten. All diese Fälle sind im Übrigen im Tätigkeitsbericht der UNDOK-Stelle unter tinyurl.com/m7pbwz3 dokumentiert.

Mundpropaganda
Wenig überraschend scheint die Liste der Berufsfelder, in denen undokumentierte ArbeitnehmerInnen am häufigsten eingesetzt werden: Bau, Reinigung, Gastronomie und Privathaushalt. Doch wie finden Menschen, die in so schwer zugänglichen Jobs arbeiten, überhaupt zu UNDOK? Eine wichtige Rolle spielt dabei die Mundpropaganda: „Teilweise haben wir Fälle, wo Kollegen und Kolleginnen, die undokumentiert gearbeitet haben, ihre Ansprüche geltend gemacht und auch durchgesetzt haben. Und danach haben uns Bekannte dieser Personen kontaktiert“, erzählt Jović. Andere finden ihren Weg übers Internet, wieder andere werden von den verschiedenen UNDOK-KooperationspartnerInnen, die MigrantInnen zu unterschiedlichen Themen beraten, in die Anlaufstelle geschickt.

Wichtige Rolle der BetriebsrätInnen
Für Sandra Stern, eine der MitbegründerInnen von UNDOK, gibt es eine weitere Gruppe, die eine zentrale Rolle spielt: die BetriebsrätInnen. Immerhin sind diese tagtäglich vor Ort, kennen von daher die Umstände nur allzu gut und wissen auch um die Problemfelder in den eigenen Betrieben. „Sie haben außerdem den Vorteil, dass sie die KollegInnen direkt ansprechen können“, so Stern. Deshalb will die UNDOK-Stelle BetriebsrätInnen verstärkt als MultiplikatorInnen gewinnen. „Wir sind immer für Fragen da, zum Teil wenden sich BetriebsrätInnen auch schon an uns“, freut sie sich. „Das wollen wir auf jeden Fall ausbauen.“ Schließlich ist eine der schwierigsten Aufgaben, zu den Betroffenen Vertrauen aufzubauen. Wie sensibel dies ist, weiß Jović aus dem Alltag. Es gebe viele Anfragen am Telefon oder per Mail, erzählt die Beraterin. Doch auch wenn die Fälle von UNDOK jedenfalls anonym behandelt werden, ist es für viele Betroffene eine große Überwindung, persönlich vorzusprechen, schließlich befinden sie sich meist in einer mehr als unsicheren Situation. Ebendiese wird von manchen ruchlosen Arbeitgebern leider ausgenutzt.

Gratwanderung
In der UNDOK-Stelle werden die Betroffenen beraten. Zwar bietet UNDOK selbst keinen Rechtsschutz an, sie vermittelt die undokumentierten ArbeitnehmerInnen aber an jene Stellen weiter, die ihnen bei der Rechtsdurchsetzung zur Seite stehen, und begleitet die Betroffenen auf diesem Weg. Bisweilen ist dies auch eine Gratwanderung, denn manchmal ist es für die Betroffenen langfristig aussichtsreicher, auf die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche zu verzichten, um einen regulären Aufenthaltstitel zu bekommen. Eine schwierige Herausforderung, weil man die Betroffenen möglicherweise erst recht der Willkür rücksichtsloser ArbeitgeberInnen aussetzt? Sandra Stern widerspricht vehement: „Das macht das Gesetz. Migrationsgesetze beschränken den Arbeitsmarktzugang und drängen Leute in informelle Sektoren, in Wahrheit weiß das auch jeder – und dann wundert man sich über die Konsequenzen.“ Vor allem aber ist ihr wichtig, dass es immer um die Nicht-Einhaltung von Kollektivverträgen geht, wovon letztlich alle ArbeitnehmerInnen bedroht sind, egal, woher sie kommen. Deshalb hält sie fest: „Es reicht nicht, nur ArbeitgeberInnen zu strafen, sondern es braucht die Unterstützung von den Kolleginnen und Kollegen, da die Standards sonst generell unterlaufen werden.“
Demnächst beginnt nicht nur im Burgenland die Saison, und damit steht der Einsatz von ErntehelferInnen kurz bevor. Um der Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen vorzubeugen, laufen in der PRO-GE die Vorbereitungen gerade auf Hochtouren. Info-Folder in vier Sprachen sind gedruckt und warten nur darauf, an die Betroffenen verteilt zu werden. Und wenn die Genuss-Regionen tatsächlich etwas darauf geben, dass diese Qualitätsbezeichnung hält, was sie verspricht, werden sie hoffentlich ein schärferes Auge darauf haben, dass ihr Obst und Gemüse unter menschenwürdigen Bedingungen geerntet wird.
Das haben nämlich nicht nur die hiesigen KonsumentInnen verdient, sondern vor allem jene Menschen, die unter schweren Bedingungen jene Früchte ernten, von denen wir uns ein gesundes Leben versprechen.

Webtipps:
Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender:
undok.at
Das Informationsportal für SaisonarbeiterInnen:
www.sezonieri.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089889885 Horrormeldungen über unmenschliche Arbeitsbedingungen von ErntehelferInnen in Spanien oder Italien brachten viele dazu, kein Obst und Gemüse mehr aus diesen Ländern zu kaufen. Das Herkunftssiegel "Österreich" ist allerdings dafür auch keine Garantie. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 13 Mar 2015 00:00:00 +0100 1426089889772 "Die Trennung ist überholt" Zur Person: Anna Ritzberger-Moser
Sie ist Leiterin der Sektion „Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat“ im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Johannes-Kepler-Universität Linz arbeitete sie als Studienassistentin und Vertragsassistentin am Institut für Verwaltungsrecht und -lehre der Universität Linz. In der oberösterreichischen Hauptstadt absolvierte sie auch ihre Gerichtspraxis. Seit 1986 arbeitet sie im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, von 1992 bis 2012 war sie Leiterin der Abteilung Kollektives Arbeitsrecht.

 

Arbeit&Wirtschaft: Das Arbeitsverfassungsgesetz hat vergangenes Jahr den 40. Geburtstag gefeiert. Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Errungenschaft?

Anna Ritzberger-Moser: Das sind gleich mehrere Punkte, nämlich die 29-Punkte-Novelle von Minister (Alfred, Anm.) Dallinger. Damals wurden im Zuge einer Generalrevision mehrere Aspekte der Mitbestimmung geregelt: die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates wurden ausgebaut, seine Funktionsperiode verlängert und die Bildungsfreistellung verbessert.
Wichtig waren außerdem die Anpassungen, die mit der Einführung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit notwendig wurden. Vorher waren eigene Behörden, nämlich die Einigungsämter, etwa für Kündigungsanfechtungen zuständig. Daran erinnert sich heute gar kein Mensch mehr. Es war wirklich eine Errungenschaft, dass diese durch Gerichte ersetzt wurden.

Worin besteht der Unterschied?

Die Wertigkeit: Ein Gericht ist ein Gericht und keine Verwaltungsbehörde. Ein weiteres wichtiges Element der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ist die Laienbeteiligung, sprich beim Arbeits- und Sozialgericht wirken Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Beisitzer durch ihre Sachkunde an der Entscheidung mit.
Die dritte Errungenschaft waren die Änderungen, die infolge des EU-Beitritts notwendig wurden. Auf europäischer Ebene gibt es zwar nur wenige Regelungen zum Thema Mitwirkung und Mitbestimmung, aber es gibt sie. Zu nennen ist der Europäische Betriebsrat, der zwar nur Informationsrechte hat und keine echten Mitwirkungsrechte wie Betriebsräte in Österreich. Aber es ist ein Ansatz.

Arbeitsrechtler René Schindler kritisierte in der A&W 9/2014, dass das Arbeitsverfassungsgesetz nicht mehr sein ursprüngliches Ziel erfüllt, das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen auszugleichen. Eine berechtigte Kritik?

Zum Teil ist diese Kritik berechtigt. Bei vielen Unternehmen – kleinen, mittelständischen –, trifft sie nicht zu, da ist meines Erachtens das Arbeitsverfassungsgesetz durchaus noch passend. Aber mit der Globalisierung und der damit einhergehenden Verlagerung von Entscheidungen auf Ebenen, auf denen der österreichische Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte hat, passt es nicht mehr zusammen. Wobei die Frage ist, ob der österreichische Gesetzgeber allein eine Antwort darauf geben kann oder ob nicht die europäische Ebene gefragt wäre – sprich ein Europäischer Betriebsrat mit wirklichen Mitwirkungsmöglichkeiten.

Immer mehr junge Menschen sehen ihre Zukunft nicht mehr im klassischen Angestelltenverhältnis. Welche Rolle kann das Arbeitsrecht in Zukunft überhaupt noch spielen?

Das ist eine spannende Frage, um die wir seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten herumkreisen. So neu ist das nämlich gar nicht, denn in manchen Branchen gibt es das schon lange. Vielmehr kommen immer neue Phänomene dazu wie beispielsweise Arbeiten in der Crowd. Im Arbeitsrecht fokussieren wir aber immer noch sehr auf das klassische Arbeitsverhältnis in persönlicher Abhängigkeit, möglichst Vollzeit und an einem Arbeitsplatz innerhalb einer Betriebsorganisation. 
Allerdings ist auch die Frage, was eine richtige Antwort wäre. Wenn wir uns zum Beispiel das Phänomen Praktikum anschauen: Da steigen viele, gerade gut ausgebildete, junge Menschen mit einem mehr oder minder langen Praktikum ins Berufsleben ein – und irgendwann einmal, am Ende des Tages, wenn sie lange genug gedient haben, wartet vielleicht ein Arbeitsvertrag. Aber würde es Sinn machen, dafür eine eigene gesetzliche Regelung zu schaffen? Oder wäre das dann ein Arbeitsrecht light, das erst recht wieder Differenzierungen schafft? Die wirkliche Herausforderung besteht darin, einerseits angepasste Regelungen zu finden, die sowohl den Bedürfnissen der Betriebe, aber auch vor allem jenen der Beschäftigten Rechnung tragen – aber andererseits keine Auswahlmöglichkeiten zu schaffen, wo sich der Arbeitgeber das billigste Modell aussuchen kann. Ich gebe ganz offen zu: Auf diese Fragen haben wir sicher noch keine Antwort gefunden.

Worin sehen Sie aktuell die größte Herausforderung?

Eine wichtige Frage ist die Aufhebung der arbeitsrechtlichen Trennung von ArbeiterInnen und Angestellten, denn diese ist überholt. Ich hätte drauf gehofft, dass sich der Verfassungsgerichtshof einmal damit beschäftigen würde, ich glaube, er würde sagen: Das ist gleichheitswidrig. Denn einen hochqualifizierten Arbeiter, der am Computer sitzt und von dort aus komplexe Maschinen bedient, rechtlich anders zu behandeln als einen Angestellten im kaufmännischen Bereich: Das ist heute nicht mehr argumentierbar. 

Sie sind quasi die „oberste Arbeitsinspektorin Österreichs“. Das Wort selbst weckt Assoziationen an Krimis. Wie muss man sich die Arbeit vorstellen?

(Lacht) Das sind ungefähr 300 Kolleginnen und Kollegen in ganz Österreich, ganz normale Menschen, die ganz ohne Uniform in den Betrieb gehen und dort  die Arbeitsbedingungen kontrollieren. Die Aufgabe des Arbeitsinspektorats ist es – und da gibt es oft einen Irrtum –, sich die Arbeitsbedingungen in Bezug auf den technischen Arbeitnehmerschutz und die Arbeitszeit anzuschauen. Was nicht in der Kontrollbefugnis des Arbeitsinspektorats liegt, ist das Entgelt. Das Arbeitsinspektorat muss sich zwar anschauen, ob die Arbeitszeit-Höchstgrenzen inklusive Überstunden eingehalten werden. Es kontrolliert aber nicht, ob eine Überstunde bezahlt worden ist oder nicht.

Können Sie praktische Beispiele nennen, wo das Arbeitsinspektorat zuständig ist?

Aufgabe des Arbeitnehmerschutzes ist es, das Leben und die Gesundheit der Menschen bei der Arbeit zu schützen. Dazu gehört der technische Arbeitnehmerschutz, damit sind die sichere Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsvorgängen sowie der Umgang mit Arbeitsmitteln und Arbeitsstoffen gemeint, wie z.B. Regelungen über Belichtung und Belüftung von Arbeitsplätzen. Der technische Arbeitnehmerschutz gilt im Übrigen für alle, die im Unternehmen beschäftigt sind, egal, ob sie einen echten Arbeitsvertrag haben, Leiharbeiter sind oder Praktikanten.
Anders ist es beim sogenannten Verwendungsschutz, das heißt Arbeitszeit-, Mutter- oder Jugendlichenschutz. Diese Bestimmungen gelten für Menschen mit einem echten Arbeitsvertrag. Freie Dienstnehmer unterliegen zum Beispiel nicht dem Arbeitszeitgesetz.

Sollten sie einbezogen werden?

Ja. Man kann drüber diskutieren, in welchem Umfang, weil der freie Dienstvertrag an sich ja schon eine Bedeutung hat. Aber bestimmte Grundprinzipien sollten für freie Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen genauso gelten. Dabei denke ich zum Beispiel an den Mutterschutz: Warum soll eine freie Dienstnehmerin nicht wie jede andere Arbeitnehmerin einen bezahlten Anspruch darauf haben, acht Wochen vor und nach der Geburt von der Arbeit freigestellt zu sein?
Ein anderes Beispiel ist der Schutz vor bestimmten Arbeiten, also etwa Beschäftigungsverbote für Schwangere: Diese müssen wohl auch für freie Dienstnehmerinnen gelten. Dazu sind wir gerade in Diskussion, das ist ein Punkt im Regierungsübereinkommen.

Wie muss man sich die Arbeit der ArbeitsinspektorInnen konkret vorstellen?

Der Arbeitsinspektor/die Arbeitsinspektorin geht in den Betrieb und schaut sich die Arbeitsbedingungen an, entweder im Rahmen einer routinemäßigen Überblickskontrolle oder – etwa bei Schwerpunktaktionen – vertieft bestimmte Aspekte, z. B. Arbeitszeit. Wenn es gravierende Verletzungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften gibt, straft das Arbeitsinspektorat allerdings nicht selber, sondern erstattet Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde – und darauf folgt ein Verwaltungsstrafverfahren. Stellt der Arbeitsinspektor weniger gravierende Verletzungen fest, wird der Arbeitgeber aufgefordert, die Mängel zu beheben. Dafür wird ihm eine Frist gesetzt. Wenn der Mangel korrigiert wird, ist die Sache erledigt. Wird der Mangel nicht beseitigt, wird Strafanzeige erstattet. Das primäre Ziel ist allerdings nicht die Strafe, sondern vielmehr, dass sich in dem Betrieb etwas ändert. Bei jeder Kontrolle geht es daher auch darum, die Betriebe zu beraten und zu überzeugen.
Vor allem: Es werden nie die Beschäftigten kontrolliert, sondern die Arbeitgeber. Wir kontrollieren ja auch oft aufgrund von Beschwerden einzelner Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer oder eines Betriebsrats. Die Arbeitsinspektion geht jeder Beschwerde nach. Dabei wird darauf geachtet – und das ist strikt einzuhalten –, dass bei der Kontrolle niemals gesagt wird, dass sie durch eine Beschwerde veranlasst wurde. 
 
Erst kürzlich wurde kritisiert, dass die Betriebe ihren Verpflichtungen in Bezug auf psychische Erkrankungen nicht nachkommen. Ihr Kommentar dazu?

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber seit 1995 jeden Arbeitsplatz daraufhin evaluieren, welche Risiken und Gefahren dieser birgt. 2013 hat man klargestellt, dass es nicht nur um physische Risken geht, sondern auch um psychische. Implizit war das immer schon drinnen, aber jetzt steht es explizit im Gesetz. Darauf ist auch die aktuell große Diskussion zurückzuführen. Die Informations- und Aufklärungsarbeit war sehr aufwendig, sowohl für Arbeitnehmer- als auch für Arbeitgeberorganisationen – und auch für die Arbeitsinspektorate. Eine Herausforderung bestand darin, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, warum das sinnvoll ist. Und: Verändert es auch was?
Wenn man es ernst nimmt –  und nur dann hat es Sinn –,  ist es durchaus anspruchsvoll, aber nutzt sowohl den Beschäftigten als auch dem Betrieb. Denn man überprüft die Risiken am Arbeitsplatz: Aufgabenanforderungen und Tätigkeiten, Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation, Sozial- und Organisationsklima und Arbeitsumgebung Mit zur Evaluierung gehört die Entwicklung von geeigneten Maßnahmen, mit denen man Risiken, die man festgestellt hat, mindern oder vermeiden kann. Es geht bei dem Ganzen nicht – und das ist zu betonen – um den psychischen Gesundheitszustand der Arbeitnehmer, sondern um den Arbeitsplatz und die daraus resultierenden Risiken.
Das läuft nun seit zwei Jahren und ist noch nicht vollständig umgesetzt, das muss man zugeben. Umgekehrt ist vieles schon passiert und es gibt mittlerweile ein Bewusstsein und auch geeignete und einfache Verfahren, die gratis angeboten werden, wie etwa auf
www.eval.at.

Welche Rolle spielen dabei die Arbeitsinspektorate?

Sie kontrollieren im Rahmen ihrer Tätigkeit, ob die Arbeitsplatzevaluierung stattgefunden hat und ob darin auch die psychischen Belastungen evaluiert wurden und Maßnahmen abgeleitet wurden. Wenn nicht, gibt es eine Aufforderung, das zu machen, und wenn dieser Aufforderung nicht Rechnung getragen wird, gibt es eine Strafanzeige. Mittlerweile haben wir auch einige Strafanzeigen gemacht.
Da ist es auch wichtig, die Betriebsräte mit an Bord zu haben und Bewusstsein zu schaffen. Ein Betrieb, der das gut macht, macht das logischerweise nur mit Einbeziehung des Betriebsrats. Sprich er geht das strukturiert an und bezieht seine arbeitsmedizinische Betreuung, die Sicherheitsfachkräfte, den Betriebsrat und Sicherheitsvertrauenspersonen mit ein.
Die besondere Herausforderung besteht ja darin, Maßnahmen abzuleiten, um den Gefahren zu begegnen und diese möglichst zu minimieren – abschaffen wird man sie vielleicht nicht ganz können – und diese Maßnahmen auch umzusetzen. Denn ich habe schnell einmal festgestellt, dass es in einem Arbeitsraum zu laut ist und dies die Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastet, weil sie bei der Kommunikation schreien müssen und Ähnliches mehr. Aber was ist dann die geeignete Maßnahme, um diese Belastung zu minimieren?

Der Druck auf ArbeitnehmerInnen ist enorm gestiegen, weshalb immer mehr Leute zum Teil freiwillig auf ihre Rechte verzichten. Welche Handhabe hat man denn da überhaupt?

Dieses Phänomen gibt es. Wenn z. B. das Kind krank ist, wird man statt die Pflegefreistellung in Anspruch zu nehmen vielleicht lieber einen Urlaubstag nehmen. Weil es einfacher ist, in der Personalabteilung besser ankommt oder weil von dieser vielleicht sogar signalisiert wird, dass das gewünscht wird. Außerdem ist es nicht mit der Abwertung verbunden: „Jetzt ist die – und meistens ist es ja eine Arbeitnehmerin - schon wieder zu Hause wegen der Kinder.“ Das fängt da an und geht natürlich bis dahin, dass auf Entgeltansprüche verzichtet wird, beispielsweise dass Urlaub nicht genommen wird und dann verfällt.
Da wird auch die Bedeutung von Betriebsräten und Gewerkschaften als Interessenvertretung deutlich. Denn für den Einzelnen ist es schwierig, sich im aufrechten Arbeitsverhältnis zu exponieren. Solchen Fällen kann man vermutlich wirksam nur mit kollektiven Maßnahmen begegnen. 

Mir scheint, dass viele ihre Rechte gar nicht kennen. Ist da vielleicht auch mehr Aufklärungsarbeit nötig?

Das gehört sicher dazu. Die Frage ist, wie man die Leute erreicht. Aber gerade in Berufsschulen sollte man zumindest einmal gehört haben, dass es Urlaub oder Kündigungsfristen gibt.

Nur wie erreicht man jene, die nie eine Lehre gemacht haben?

Das ist sicher ein Punkt. Wobei gerade gut ausgebildete Menschen der Illusion anhängen: Ich kann’s mir eh richten, denn ich bin gut. Aber es stimmt sicher, dass das Basiswissen fehlt.
Eine Schwäche in Österreich war lange Zeit, dass die Kollektivverträge viel zu wenig bekannt waren. Jetzt gibt es die Website
www.kollektivvertrag.at, und das halte ich für eine wirklich große Errungenschaft. Immerhin kann ich jetzt nachschauen, was wirklich drinnen steht. Und wenn ich etwas nicht verstehe, komme ich vielleicht auf die Idee, zum Hörer zu greifen und bei der Arbeiterkammer, der Gewerkschaft oder beim Betriebsrat nachzufragen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 2/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1426089889701 Die Herausforderung bestehe darin, Regelungen zu finden, die an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst sind, ohne dass sich der Arbeitgeber das billigste Modell aussuchen kann. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082528 "Nicht zuletzt" ... Die EU und das liebe Geld Der EU-Haushalt nimmt sich mit einer Höhe von einem Prozent des EU-weiten Bruttosozialprodukts bescheiden aus.
Zum Vergleich: Die Staatsausgabenquote Österreichs lag 2013 bei rund 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
In absoluten Zahlen ausgedrückt, ändert sich hingegen das Bild: Das EU-Budget belief sich im Jahr 2013 auf 150 Milliarden Euro und lag damit in etwa bei den Gesamtausgaben des österreichischen Staates. Für einzelne kleine, aber insbesondere ärmere EU-Mitgliedstaaten können Zahlungen der EU hingegen eine hohe Wirkung erzielen.

Die Schwierigkeit des EU-Haushalts liegt speziell darin, dass er der Minimalkonsens der Interessen der 28 Mitgliedstaaten ist. Durch das Einstimmigkeitsprinzip ergibt sich eine Pattstellung. Die reichen EU-Staaten wollen „daheim“ vorweisen, dass Mittel zurückkommen. Besonders einfach gelingt das mit dem Agrarbudget, das noch immer 40 Prozent des Gesamthaushalts ausmacht. Auch Österreichs Bauern profitieren: Nach wie vor fließen 75 Prozent der Zahlungen aus Brüssel in die Landwirtschaft. Ärmere Staaten hoffen dagegen auf Ausgleichszahlungen für hohe Arbeitslosigkeit, Armut und strukturschwache Gebiete. Dies kann die EU aufgrund der Höhe und der längerfristig zweckgebundenen Ausgabekategorien des Budgets aber nur sehr eingeschränkt leisten.

Das Dilemma des EU-Budgets wurde in der Finanz- und Wirtschaftskrise vollends offenbar: Es gibt keine Töpfe und Spielräume, um wirksam bei Wirtschaftsabschwüngen gegenzusteuern, und es gibt keine Ausgabenbereiche, die diese Abschwünge dämpfen würden. Zudem kann sich die EU nicht selbst verschulden. Parallel zum Haushalt wurden daher Rettungsschirme außerhalb der EU-Regeln beschlossen. Anstatt den EU-Haushalt einer gründlichen Reform zu unterziehen, wird seit einiger Zeit auch über ein eigenes Eurozonen-Budget nachgedacht.

Was muss geändert werden?

Wichtig wäre, parallel die Einnahmen- und die Ausgabenstruktur der EU zu verändern. Die größten Profiteure des Binnenmarktes – Finanzindustrie und Unternehmen – sollten durch eine Finanztransaktionssteuer und Teile einer harmonisierten Körperschaftssteuer einen wesentlichen Teil des Aufkommens zum Budget leisten. Damit könnte man das Gegeneinander-Ausspielen von Staaten durch Großkonzerne beenden. Luxemburgische Steuersparkonstruktionen, die zeigen, wie Konzerne Steuern vermeiden, und die durch „Lux-Leaks“ bekannt wurden, würden damit verhindert.

Auf der Ausgabenseite muss auf die gestiegene Arbeitslosigkeit – insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit – reagiert werden. Derzeit werden die Sozialfondsmittel, die magere acht Prozent des Gesamthaushalts ausmachen, auf eine immer größere Anzahl von Menschen aufgeteilt. Parallel dazu müssen öffentliche Investitionen durch das EU-Budget ermöglicht werden. Bei der Finanzierung von Infrastruktur wurde bisher stark auf die Europäische Investitionsbank (EIB) und auf Public-private-Partnerships zurückgegriffen. Da private Investoren Profite machen wollen, sind diese sogenannten Partnerschaften teurer als rein öffentliche Finanzierungen. Das „Juncker-Paket für Investitionen“ ist dagegen eine unzureichende Hilfskonstruktion von privaten und EIB-Geldern, weil das Budget einer seiner Kernfunktionen, der Stabilisierung von Volkswirtschaften, in seiner aktuellen Verfasstheit nicht nachkommen kann.

Besonders aber sollten der soziale Zusammenhalt und Ausgleich wieder stärker ins Zentrum – auch der Haushaltspolitik – rücken. Dieser Eckpfeiler der Römischen Verträge erinnert daran, warum die Europäische Union eigentlich gegründet wurde: zum Wohle aller mittlerweile 507 Millionen Menschen, die in der Gemeinschaft leben. Schlussendlich wird der Erfolg des europäischen Einigungsprozesses an der Erfüllung dieses Versprechens zu messen sein. 

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Christa Schlager, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1366956643535 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082523 Frisch gebloggt Webtipps der Woche

Wir legen Ihnen diese drei Beiträge besonders ans Herz:

  • Die Wiedergeburt der Ein-Promille-Gesellschaft (Matthias Schnetzer)
  • Kapitaldeckung als Pensionssackgasse (Norbert Blüm)
  • Herausforderungen 2015 (Markus Marterbauer)

Wiedergeburt der Ein-Promille-Gesellschaft

Vergesst das reichste Prozent, argumentiert der Ökonom Matthias Schnetzer. Denn tatsächlich sind es die reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung, die den Rest rasant abhängen. Damit nähert sich die Ungleichheit jener Ein-Promille-Gesellschaft an, wie sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts bestand. 1910 erzielte das reichste Promille der Wiener Bevölkerung 12 Prozent der Einkommen. Heute steht die Gesellschaft vor einer ähnlichen Spreizung der Vermögensverteilung. So zeigt die aktuelle Vermögenserhebung der ÖNB: Das reichste Prozent lukriert etwa 37 Prozent allen privaten Vermögens und 52 Prozent aller Kapitaleinkommen. Derweil kämpft die breite Masse mit den Folgen der Krise, und die Mittel für notwendige Ausgaben im Pflege- und Gesundheitsbereich fehlen. Die Analyse der Zahlen führt Schnetzer zu dem Schluss, dass eine Entlastung der Arbeitseinkommen, gegenfinanziert durch Steuern auf große Vermögen und Erbschaften, das Gebot der Stunde ist, wenn wir nicht zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts wollen.
Lesen Sie mehr:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/ein-promille-gesellschaft/

Kapitaldeckung als Pensionssackgasse

Auch in der Politik bestehe die Gefahr, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, schreibt der ehemalige deutsche Sozialminister Norbert Blüm (CDU). Der Lobbyismus für ein kapitalgedecktes Pensionssystem, das in Deutschland zur Einführung der sogenannten „Riester-Rente“ geführt hat, sei nun auch in Österreich verstärkt aktiv. Fehler sollte man allerdings nicht wiederholen: Das Umlagesystem ermögliche höhere Pensionen und/oder niedrigere Beiträge für die Versicherten, ein privates System erhöhe vor allem die Gewinne der Versicherer. Weltweit brechen Privatsysteme wie Kartenhäuser zusammen, weil sich deren Versprechen als unrealistisch erweisen und sie zu sehr von der Flatterhaftigkeit der Finanzmärkte abhängen. Zudem hätten sie keine ausreichende Antwort auf das Risiko von Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder Krankheit und keinen Sinn für Familie. Denn es fehle der Mechanismus des Solidarausgleiches. Am Ende komme man nicht darum herum, dass die Beschäftigungslage entscheidend für die Sicherheit der Renten ist und auch viel wichtiger als die demografische Entwicklung: „Die Chancen der Arbeit entscheiden die Chancen der Alterssicherung, das ist die einfache Wahrheit, die dem Rentensystem zugrunde liegt.“
Lesen Sie mehr:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/kapitaldeckung-als-pensionssackgasse/

Sparpolitik beenden, Arbeitslosigkeit senken

Die Konjunktur leidet in ganz Europa unter den Sparbemühungen der öffentlichen Hand und dem anhaltend labilen Finanzsystem, was sich in schwacher Konsum- und Investitionsnachfrage äußert. Das droht in eine gefährliche Deflationsspirale zu führen, schreibt Markus Marterbauer. Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist ein nachhaltiger Aufschwung nicht denkbar und die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Die geltenden EU-Budgetregeln verschlimmern die Situation noch, weil sie die Politik systematisch zum falschen Handeln drängen und zu weiterem Sparen in der Krise führen. Für Österreich sei nun vor allem wichtig, dass die Regierung nicht den Fehler macht, wegen der Abwärtsrevision der Prognose ein neues Sparpaket zu schnüren. Dies würde die Konjunktur zusätzlich bremsen und zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Zweitens sollte Österreich endlich eine Kehrtwende in seiner Position im Rat der FinanzministerInnen vollziehen: Die Regierung unterstützt bislang alle harten Sparauflagen für Länder mit zu hohem Budgetdefizit und Massenarbeitslosigkeit. Dagegen gelte es im gemeinsamen Interesse einer Stabilisierung der europäischen Wirtschaft besonders jenen Ländern beizustehen, denen wegen der schlechteren Wirtschaftslage verschärfter Spardruck der Kommission droht. Die wichtigste unmittelbare Herausforderung bildet auch bei uns die Rekordarbeitslosigkeit. Hier heißt es handeln: Zusätzliche Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für Jugendliche, Umschichtung öffentlicher Ausgaben zugunsten beschäftigungsintensiver Dienstleistungen wie zum Beispiel Bildung, Pflege oder Sozialarbeit und Erhöhung der öffentlichen Investitionen für sozialen Wohnbau, öffentlichen Verkehr, Breitband- und Energienetze. Nur so könne der Konjunktur der dringend notwendige Impuls gegeben werden.
Lesen Sie mehr:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/wirtschaftspolitische-herausforderungen-2015/

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Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998672062 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082521 Wenn einer eine Reise tut ... Für meinen Auslandsaufenthalt im Rahmen der SOZAK wählte ich nicht etwa deshalb das Land der 1.000 Seen aus, weil ich gebürtiger Kärntner bin oder im Sternzeichen Fisch geboren wurde. Vielmehr wollte ich wissen, wie ein Land funktioniert, dessen gewerkschaftlicher Organisationsgrad bei 70 Prozent liegt. Unterstützt wurde ich bei meinen Recherchen von der Gewerkschaft Metalliliitto, in der die Arbeiter aus dem Metallbereich organisiert sind, die sich wiederum in der Dachorganisation „SAK“ wiederfinden. Die ersten Tage verbrachte ich in der Zentrale, um den Aufbau der finnischen Gewerkschaft kennenzulernen. Ich staunte nicht schlecht, als ich erfuhr, dass es nicht nur eine Dachorganisation gibt, sondern neben der „SAK“ noch zwei weitere. Allein die kleinste dieser Dachorganisationen vereint 21 Fachgewerkschaften. Insgesamt gibt es in Finnland knapp 2,3 Millionen Gewerkschaftsmitglieder, was auch auf das System der Arbeitslosenunterstützung zurückzuführen ist. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden mit dem Gewerkschaftsbeitrag eingehoben und im Anspruchsfall von der Gewerkschaft ausbezahlt.

Dank des Engagements meines Betreuers in der Gewerkschaft hatte ich die Möglichkeit, sehr viele Betriebe zu besichtigen und mit BetriebsrätInnen und Sicherheitsvertrauenspersonen in Kontakt zu treten. Auch an Finnland gingen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nicht spurlos vorüber, sei es in der Stahlindustrie, der Papierindustrie oder im Bereich des Schiffbaus. Überall waren BetriebsrätInnen mit Personalabbau, Streichungen von Sozialleistungen oder Gehaltskürzungen konfrontiert. Ein weiteres Problem, das durch die Krise noch verstärkt wurde, bringt der Einsatz von ausländischen Subfirmen mit sich. Beispielsweise werden Arbeitskräfte aus fast allen Teilen der Erde ins Land geholt und weit unter den kollektivvertraglichen Mindeststandards beschäftigt und entlohnt. Schwierig ist diese Situation vor allem für BetriebsrätInnen und Gewerkschaften. Um gegen dieses Lohndumping vorgehen zu können, müssten sie betroffene ArbeiterInnen finden, die bereit sind, mit der Gewerkschaft ihre ausstehenden Ansprüche einzuklagen. Dies ist jedoch fast ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man bedenkt, dass viele dieser Beschäftigten trotz Nichteinhaltung der kollektivvertraglichen Mindeststandards teilweise noch immer doppelt so viel verdienen wie in ihren Heimatländern.

Gesundheitsförderung

Sehr beeindruckt war ich von der Funktion der Sicherheitsvertrauensperson. Diese Person stammt aus dem Kreis der Beschäftigten und wird von diesen alle zwei Jahre gewählt. Ausgestattet mit vielen gesetzlichen Rechten und durch die enge Zusammenarbeit mit der Betriebsratskörperschaft ist es ein sehr wirksames Instrument zugunsten der Gesundheit und Arbeitssicherheit der Belegschaft. Generell spielt Gesundheitsförderung im Arbeitsalltag für Betriebe und Beschäftigte eine sehr wichtige Rolle. So gibt es fast in jedem größeren Betrieb eine eigene Kantine mit vorwiegend gesunder und ausgewogener Küche. Aber auch betriebseigene Fitnessräume, Wellnessbereiche und ein abwechslungsreiches Freizeitangebot sind keine Seltenheit.

Für mich als Jugendsekretär spielte natürlich das Thema Bildung eine bedeutende Rolle. Hier setzen die finnischen Schulen vor allem auf gemeinsame und ganztägige Schulformen, ihr wiederholt ausgezeichnetes Abschneiden in der PISA-Studie bescherte ihrem Schulsystem internationale Anerkennung. Auch die Berufsausbildung erfolgt in einem rein schulischen System. Der Nachteil im Vergleich zu unserer dualen Berufsausbildung liegt darin, dass den AbsolventInnen bzw. FacharbeiterInnen die am Arbeitsmarkt gewünschte Berufspraxis fehlt. Dieses Problem ist auch ein Grund dafür, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland bei über 20 Prozent liegt.
Die schönsten Erfahrungen, die ich aus dieser Zeit mitnehmen konnte, sind die Offenheit und die Gastfreundlichkeit der Menschen in Finnland. Durch viele Gespräche konnten wir feststellen, dass wir über 1.000 km voneinander getrennt leben, unsere Sprache eine völlig andere ist und auch sonst viele Gegebenheiten unterschiedlich sind, wir aber trotzdem ein gemeinsames Ziel haben: die Welt für alle Beschäftigten ein Stück weit gerechter zu machen!

INTERVIEW
Zur Person: Sini Partinen

Alter: 25
Wohnort: 100 km nördlich von Helsinki
Arbeitsplatz: Angestellte der finnischen Baugewerkschaft

Was bedeutet für Sie Arbeit?
Ich wollte schon immer in einer Gewerkschaft arbeiten. Bevor ich in der Baugewerkschaft angefangen habe, war gewerkschaftliches Engagement wie ein Hobby für mich. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich nun tatsächlich bei einer Gewerkschaft beschäftigt bin. Ich denke, dass es wichtig für faire Arbeitsbedingungen für alle ist, für bessere Löhne für die Arbeiter und für eine Senkung der Lebenshaltungskosten zu kämpfen. Alle müssen gleich sein. Arbeiter und Angestellte brauchen eine Stimme – und das ist die Gewerkschaft.

Wie schätzen Sie die Lage der finnischen Wirtschaft ein?
Für Arbeiter am Bau ist die aktuelle wirtschaftliche Situation sehr schlecht und unsere Regierung hat nicht die geeigneten Instrumente, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Wir brauchen mehr Bautätigkeiten, doch die Regierung investiert nicht genug. Das ist das größte Thema im Moment. Die Arbeitslosigkeit in diesem Sektor ist sehr hoch und wird auch nicht besser. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze.

Welche politischen Schwerpunkte setzt Ihre Gewerkschaft?
Dieses Jahr stehen die Wahlen zum Gewerkschaftsparlament an. Wir haben viele junge KandidatInnen und ich hoffe, dass viele von ihnen den Einzug ins Gewerkschaftsparlament schaffen.

Welche Bedeutung hat die EU für Sie?
Die EU ist wie ein Schirm für mich, der über uns allen aufgespannt ist. Ich finde, dass die EU gute Qualitäten hat, aber manche Entwicklung geht in die falsche Richtung, zum Beispiel die Wirtschaftspolitik der EU. Aber die EU ist okay.

Welches europäische Land mögen Sie am liebsten und warum?
Neben Finnland mag ich Dänemark. Ich mag die DänInnen, denn ich finde sie sehr freundlich. Und ich mag den dänischen Lebensstil, ich finde es immer sehr erholsam, in Dänemark zu sein.

Wie und wie oft machen Sie Urlaub?
Wenn ich nicht gerade arbeite, versuche ich die ganze Zeit zu reisen. Zwei- bis dreimal im Jahr fahre ich ins Ausland.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Arbeit zu haben, glücklich zu sein – und ich möchte weiterhin für die Menschen kämpfen!

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor thomas.kloesch@proge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Thomas Klösch, Bundesjugendsekretär der PRO-GE, SOZAK-Teilnehmer des 61. Lehrgangs Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1378462060916 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658083803 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082519 Reality Bites Seit genau zwanzig Jahren ist Österreich EU-Mitglied, zwei Jahrzehnte, in denen sich die Lebenswirklichkeit der Menschen drastisch verändert hat. Die europäische Integration ist mit der Euro-Einführung, drei Erweiterungsrunden, dem Ende von Pass- und Grenzkontrollen, der Liberalisierung nationaler Arbeitsmärkte oder dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon weit vorangeschritten. Zugleich waren die letzten Jahre vom Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise mit ihren dramatischen sozialen Verwerfungen überschattet. Beschleunigte Globalisierung und Digitalisierung sowie ein verändertes geopolitisches Umfeld als Folge von Extremismus und expansivem Nationalismus zwingen zu einer ständigen Neuorientierung und machen die Interdependenz der handelnden AkteurInnen deutlich.

Neue Möglichkeiten

Österreichs Weg in die EU war lange versperrt, erst der Fall des Eisernen Vorhangs öffnete der europäischen Integration neue Möglichkeiten. Die Aussicht auf gesteigerten wirtschaftlichen Wohlstand im „neu entstandenen“ Zentrum Europas sowie das Zusammenwirken von Regierung und Sozialpartnern führten zu einer Zweidrittelmehrheit für die EU-Mitgliedschaft. Das Versiegen des Dialogs nach dem Beitritt ließ jedoch viele Fragen offen und manche Meinungen, Widersprüche und (Vor-)Urteile über die EU entstehen, die sich teils bis heute halten.
Das „EUropa“-Bild der ÖsterreicherInnen ist seither ambivalent, die Mitgliedschaft selbst jedoch unbestritten. Zwei von drei Befragten sind heute der Meinung, dass unser Land in der EU bleiben soll, ein Viertel ist für den Austritt. 57 Prozent sagen, dass die Beitrittsentscheidung richtig gewesen sei, 36 Prozent halten sie für falsch. Diese Ergebnisse folgen einem Trend, der sich seit 1995 im Großen und Ganzen hält.

Vor- und Nachteile

Etwa die Hälfte sieht für unser Land mehr Vorteile aus der Mitgliedschaft, ein Drittel mehr Nachteile. Am meisten hätten große Unternehmen profitiert („mehr Vorteile“: 86 Prozent) sowie SchülerInnen, Studierende und Lehrlinge (52 Prozent). Für ArbeitnehmerInnen würden sich Vor- und Nachteile die Waage halten (je 40 Prozent). Klare Verlierer wären kleine und mittlere Unternehmen („mehr Nachteile“: 58 Prozent) und LandwirtInnen (56 Prozent). PensionistInnen hätten nur für 17 Prozent der Befragten profitiert, für 34 Prozent jedoch Nachteile erfahren.
Die EU wird überwiegend für wirtschaftlich wichtig, Frieden stiftend, demokratisch, solidarisch und sozial gehalten. Für neun von zehn ÖsterreicherInnen ist sie aber auch kompliziert, sechs von zehn empfinden sie als fern, mehr als die Hälfte charakterisiert sie als schwach und unsicher und verbindet sie mit Zwang.
Differenziert
erweist sich die Beurteilung der wichtigsten Integrationsschritte. So stellte die Euro-Einführung 2002 für viele eine Zäsur dar. Dennoch hielten ein halbes Jahr vor der Währungsumstellung fast zwei Drittel die Euro-Teilnahme für richtig. Allerdings rechnete schon damals eine Mehrheit mit Preiserhöhungen. Seitdem muss der Euro als Sündenbock für Teuerungen und eine fehlende gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik herhalten. Demgegenüber stehen die wahrgenommen Vorteile, etwa der Wegfall des Geldwechsels sowie die positive Rolle des Euro für die Stellung der EU in der globalen Wirtschaft.
In den Krisenjahren hat das Euro-Vertrauen stark gelitten und sank von Frühjahr 2010 bis Ende 2012 von 70 auf 38 Prozent. Heute hat sich das Meinungsbild stabilisiert. Knapp die Hälfte zeigt wieder Vertrauen, rund zwei Drittel glauben konstant an die langfristige Zukunft des Euro und sehen seine Einführung positiv. Der Euro macht Europa an-greifbar – im doppelten Sinne. Er emotionalisiert die Debatte und trägt – über seine geldpolitische Funktion hinaus – zur Ausbildung einer europäischen Identität bei.

Positive Bilanz

Eine weitere zentrale Integrationsetappe war die große EU-Erweiterung 2004: Die Mitgliedschaft Ungarns wurde in Österreich stets mehrheitlich begrüßt, auch die Aufnahme Sloweniens wurde akzeptiert. Zu Tschechien und der Slowakei war das Meinungsbild geteilt, doch fand sich nie eine Mehrheit gegen ihren Beitritt. Heute ziehen die ÖsterreicherInnen eine positive Bilanz über die Integration unserer Nachbarn. Künftigen Erweiterungen stehen sie allerdings skeptisch gegenüber. Die Aufnahme Kroatiens wurde noch begrüßt, die Konsolidierung der EU sollte gegenwärtig jedoch im Vordergrund stehen, so die mehrheitliche Meinung.
Polarisierend
erweist sich das sukzessive Ende von Pass- und Grenzkontrollen bis Ende 2007: Etwa die Hälfte (49 Prozent) sieht dies positiv, 43 Prozent negativ. „Offene Grenzen“ werden zum einen als großes Plus der EU gesehen, zum anderen aber auch als Ursache für steigende Kriminalität, zunehmenden Verkehr und die Gefährdung von Arbeitsplätzen. Gerade vor der Liberalisierung des heimischen Arbeitsmarktes 2011 befürchtete rund die Hälfte einen Ansturm von Arbeitskräften aus den Nachbarländern, ein knappes Zehntel hatte Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Ein Jahr danach sah eine Mehrheit jedoch keinen starken Arbeitskräftezuzug – ein Hinweis darauf, dass die siebenjährige Übergangszeit vor der Arbeitsmarktöffnung genutzt wurde, um etwaige Folgen abzufedern.
Bis heute haben
sich viele Befürchtungen aus der Vor-Beitrittszeit gehalten. Zwar hätte sich der heraufbeschworene Verlust der heimischen Identität oder der Ausverkauf von Grund und Boden nicht bestätigt. Eine Mehrheit bilanziert jedoch, dass Szenarien wie die Gefährdung von Arbeitsplätzen und kleinen landwirtschaftlichen Betrieben, der Aus-verkauf von Firmen oder die Zulassung genmanipulierter Lebensmittel zumindest „zum Teil“ eingetreten wären.

Fehlende politische Visionen

Dieses EU-Stimmungsbild prägen systemische Probleme der EU und politische Divergenzen, aber eben vor allem auch gravierende Kommunikationsmängel auf nationaler wie europäischer Ebene und fehlende politische Visionen. Ziel muss es daher sein, nunmehr auf jene verstärkt einzugehen, die dieser EU kritisch gegenüberstehen, weil sie die Union momentan eben nicht als Schutz vor der Globalisierung, sondern als ihren Motor betrachten. Hierzu zählen vor allem die Ältesten, aber auch Personen, die über eine niedrigere formelle Ausbildung verfügen. Gemeinsam ist dieser Gruppe das Gefühl, nicht von den Vorteilen der Integration zu profitieren und der zunehmenden Vernetzung der Welt ohnmächtig gegenüberzustehen. Dieses Empfinden teilen sie mit vielen: „Meine Stimme ändert nichts“ zählte zu den meistgenannten Motiven bei jenen, die nicht an den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament teilnahmen. Nachdenklich stimmt ebenfalls, dass zwar die Jugend der europäischen Integration positiver gegenübersteht, sich aber bisher in einem geringeren Ausmaß an den Wahlen beteiligt.

Normalzustand

Dennoch: Bei aller Kritik ist die EU letztlich zum Normalzustand geworden. Die Gesamtperformance Österreichs in der EU kann sich sehen lassen – vor allem die heimische Wirtschaft konnte von der Mitgliedschaft profitieren. Der neu gewonnene europapolitische Spielraum wurde bisher nur begrenzt genutzt. Österreich muss die europäische Integration aktiver mitgestalten, muss die heimische Politik stärker europäisieren und die öffentlichen Debatten intensivieren. Gesucht sind entschiedene Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung sowie die Demokratisierung von Entscheidungsprozessen, um Vertrauen wiederherzustellen und KritikerInnen und Demokratieverdrossene in den gesellschaftlichen Diskurs zurückzuholen. Gefragt ist weniger nationale Selbstverzwergung, sondern eine mutige, selbstbewusste und proaktive Europapolitik. Einen Fehlstart in das dritte Jahrzehnt der österreichischen EU-Mitgliedschaft könnten wir damit vermeiden.

Webtipp:
Österreichische Gesellschaft für Europapolitik:
tinyurl.com/p2c45mw

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor paul.schmidt@oegfe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658083776 Der Euro muss immer wieder als Sündenbock für Teuerungen und eine fehlende EU-Wirtschaftspolitik herhalten. Insgesamt wird die EU überwiegend für wirtschaftlich wichtig, Frieden stiftend, demokratisch, solidarisch und sozial gehalten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082517 Schachmatt! Private Schiedsgerichte entscheiden unter anderem darüber, ob Umweltschutz- und Sozialgesetze im Rahmen von Entschädigungsklagen multinationaler Konzerne zulässig sind. Möglich ist dies durch Sonderklagerechte für europäische Investoren auf Grundlage von Investitionsschutzabkommen. Ursprünglich gegen Drittstaaten gerichtet, bereiten diese Privilegien auch der Europäischen Union zunehmend Probleme. Dies wiederum erzeugt Unbehagen bei der Europäischen Kommission.
Die EU-Kommission misst
mit zweierlei Maß: Im Binnenmarktverhältnis sollen die nationale Gerichtsbarkeit und die EU-Gerichtsbarkeit gelten. Im Außenverhältnis aber vertritt sie die Interessen europäischer Konzerne und möchte weiterhin privilegierte Sonderklagerechte für europäische Investoren vor privaten Ad-hoc-Schiedsgerichten in EU-Handelsabkommen durchsetzen. Die Strategie geht aber nicht auf. Die Klagen europäischer Unternehmen richten sich vermehrt gegen EU-Mitgliedstaaten. Nicht nur das: Sie drohen, das EU-Recht an sich auszuhebeln.

Privilegierte Klagerechte

Die Investitionsschutzabkommen sind keine neue Erfindung. Ab den 1970er-Jahren wurde es gang und gäbe, mit Entwicklungs- und Transformationsländern bilaterale Investitionsabkommen (BITs) abzuschließen. Insgesamt gibt es mehr als 3.000 BITs, Österreich hat 62 davon unterzeichnet. Lange wurde dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt, weil die Schiedssprüche kaum publik wurden. Gewerkschaften und Zivilgesellschaft haben indes sehr gute Arbeit geleistet: Denn die Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) und die private Schiedsgerichtsbarkeit werden nun in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, insbesondere seit den Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Kritisiert wird, dass Investoren die Gaststaaten unmittelbar vor privaten Ad-hoc-Schiedsgerichten auf Schadenersatz klagen können, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Waren die Bestimmungen ursprünglich als Schutz vor Enteignung durch staatliche Willkür gedacht, so wird dieser Investitionsschutz heute sehr großzügig interpretiert. Es ist zu gängiger Spruchpraxis geworden, dass ausländischen Investoren bei geänderten Rahmenbedingungen, zum Beispiel bei Novellen von Umwelt-, Gesundheits- oder Sozialgesetzen, Schadenersatz wegen „indirekter Enteignung“ zugesprochen wird. Die Begründung: Die „legitimen Erwartungen“ auf stabile Rahmenbedingungen wurden enttäuscht. Ja, selbst entgangene zukünftige Gewinne sind zu entschädigen.
Auch die Schiedsgerichte selbst sind in die öffentliche Kritik geraten, da ihre Arbeit vollkommen intransparent ist, ihre Urteile inkonsistent sind und als SchiedsrichterInnen meist gewinnorientierte AnwältInnen aus einer Handvoll spezialisierter Kanzleien fungieren.
Haben im vorigen Jahrhundert nur wenige Konzerne Staaten verklagt, so werden in jüngster Zeit weit mehr als 50 Klagen jährlich registriert. Derzeit gibt es insgesamt 568 bekannte Fälle. Die neue Dynamik erfasst immer mehr die hochentwickelten Rechtsstaaten wie Deutschland, Kanada und Australien. Sie werden von multilateralen Unternehmen verklagt, um für sie „lästige“ Gesetze zu bekämpfen. InvestorInnen machen aber auch vor dem staatlichen Schuldenschnitt zur Restrukturierung der Staatshaushalte europäischer Krisenländer nicht Halt, sondern machen dahingehend ihre Verluste geltend.

Private Sonderrechte

Es geht also inzwischen um das Durchsetzen von privaten Sonderrechten, die massiv in die nationalen Regulierungsspielräume eingreifen und nationale Gesetze aushebeln können. Dies wird zunehmend ein Problem für den europäischen Binnenmarkt. Möglich machen diese Entwicklung unter anderem auch die Energy Charter und rund 190 Intra-EU-BITs zwischen den „alten“ und „neuen“ Mitgliedstaaten. So hat der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland bereits zweimal wegen Umweltschutzmaßnahmen (Atomausstiegsgesetz und Umweltauflagen beim Kohlekraftwerksbau) auf Schadenersatzzahlungen von insgesamt 4,9 Milliarden Euro verklagt. Allein heuer haben mindestens zwei Dutzend Photovoltaik-Investoren EU-Mitgliedstaaten verklagt, die Alternativenergieförderungen aus Budgetgründen reduziert hatten. Die slowakische Postavá Bank will den Schuldenschnitt bei griechischen Staatsanleihen nicht akzeptieren. Sie hatte zuvor Staatsanleihen im Wert von 500 Millionen Euro gekauft und verklagt nun Griechenland, obwohl die Papiere zum Zeitpunkt ihres Kaufs von Ratingagenturen bereits als „Schrott“ eingestuft worden waren. Ähnlich ergeht es Zypern, das von der Marfin Bank nach dem Schuldenschnitt auf 823 Millionen Euro Entschädigungszahlungen geklagt wurde.

Wer ist stärker: „I oder I“?

Gegenüber Drittstaaten soll ISDS also um jeden Preis ein fixer Bestandteil in EU-Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP2  oder CETA3 sein – und zwar unabhängig davon, ob es sich um entwickelte Rechtsstaaten handelt oder nicht. Hingegen sind der Kommission innerhalb der EU Abkommen mit ISDS ein „Dorn im Auge“. Sie unternimmt alles in ihrer Macht stehende, die Schiedsgerichte in ihren Entscheidungen davon zu überzeugen, dass Unionsrecht vorgeht. Dies geschieht nicht ohne Grund. Denn zunehmend wird die EU-Energie-, Umwelt- und Steuerpolitik durch die ISDS-Verfahren auch innerhalb der Union infrage gestellt, wie das Fallbeispiel „Micula“ zeigt.
Im Jahr 2008 klagte der schwedische Investor Micula Rumänien. Anlass waren die vormals gewährten Investitionsanreize (Mehrwert- und Gewinnsteuerbefreiung sowie Beihilfen), die Rumänien als Bedingung für den EU-Beitritt 2003 streichen musste. Die Kommission beteiligte sich an dem mehrjährigen Verfahren. Sie argumentierte, dass Rumänien mit seinem Beitritt den EU-Rechtsbestand übernommen hätte und entsprechend dem Beihilfenverbot derartige Steuerprivilegien nicht zulässig seien. Die privaten Schiedsrichter ließen dieses Argument nicht gelten und verurteilten Rumänien zu Schadenersatzzahlungen in der Höhe von 250 Millionen Dollar. Daraufhin forderte die EU-Kommission Rumänien auf, die Zahlung nicht zu leisten, da diese eine unerlaubte Beihilfe für das Unternehmen Micula darstelle. Rumänien ist nun in der Zwickmühle: Geht EU-Recht oder Völkerrecht vor? Soll es Investitionsschutzverpflichtungen oder aber EU-Recht verletzen? Rumänien hat jedenfalls den „Schearm auf“, denn die Kommission leitete bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unerlaubter Beihilfen ein. 
Auch Beihilfeverfahren der Kommission stehen unter dem Damoklesschwert der Sonderklagerechte. So bewies die Kommission Mut, als sie gegen Apple, Starbucks und Fiat Finance im Sommer des vergangenen Jahres ein Verfahren wegen möglicher unzulässiger Steuervergünstigungen eröffnet hat. Die Konzerne könnten einem Negativentscheid, verbunden mit Steuernachzahlungspflicht in Millionenhöhe, jedoch entgegenhalten, dass dies einem indirekten Eingriff in ihre Erwerbsfreiheit gleichkomme. Sie hätten sich auf die Zusagen der nationalen Finanzbehörden verlassen. Gute Argumente, um ein ISDS-Verfahren einzuleiten. Die Tatsache, dass multinationale Konzerne EU-Recht aushebeln könnten, liefert der hitzigen Diskussion über ISDS zusätzliche Nahrung und führt zur zentralen Frage nach der Legitimation der involvierten privaten Schiedsgerichte. KritikerInnen sind der Ansicht, dass die Schiedsgerichtsbarkeit weder mit dem nationalen Rechtsprechungsmonopol noch mit EU-Recht vereinbar ist. So beschränkt der EuGH die Zulässigkeit von Gerichten, die außerhalb der europäischen Gerichtshierarchie stehen. Solche Schiedsgerichte dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie verpflichtet sind, strittige Fragen dem EuGH vorzulegen. Dies ist bei den infrage stehenden Schiedsgerichten nicht der Fall.

Widersprüchliche Haltung

Das Argument der Kommission, dass im Binnenmarkt Konzernklagen die Rechtmäßigkeit von Regelungen im öffentlichen Interesse nicht infrage stellen dürfen, ist vollinhaltlich zu unterstützen. Wie können dann aber privilegierte Klagerechte im Außenverhältnis der EU gerechtfertigt werden? Warum soll U.S.-Steel die Slowakei – bei identem Sachverhalt wie im Fall Micula gegen Rumänien – verklagen können, während die Kommission dies bei Micula bekämpft? Die widersprüchliche Haltung der EU-Kommission zeigt klar, dass sie im Außenverhältnis die Interessen der europäischen Industrie, Finanz und Anwaltskanzleien vertritt, während sie bei demselben Sachverhalt im Binnenmarkt ein völlig anderes Lied singt.

1 Siehe hierzu: Recent developments in investorstate dispute settlement, in: UNCTAD IIA Issue Note No 1, April 2014. Die registrierten ICSID-Fälle sind aber nur die Spitze des Eisbergs, da andere Schiedsgerichtsverfahren keine Transparenz vorsehen.
2 TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership und wird zwischen der EU und den USA derzeit verhandelt.
3 CETA steht für Canadian European Trade Agreement, also für das EU-Kanada-Handels- und Investitionsabkommen, die Verhandlungen zwischen Kanada und der EU wurden Ende September als abgeschlossen erklärt.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen elisabeth.beer@akwien.at und susanne.wixforth@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Elisabeth Beer, Susanne Wixforth, Abteilung EU und Internationales AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658083718 Sonderklagsrechte ermöglichen die Durchsetzung von privaten Sonderrechten, die massiv in die nationalen Regulierungsspielräume eingreifen und nationale Gesetze aushebeln können. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082515 Notwendiger Tabubruch Im Jänner hat die EZB beschlossen, in großem Ausmaß Staatsanleihen zu kaufen. Sie begründet dies mit der Notwendigkeit, den geldpolitischen Transmissionskanal und damit die Konjunktur zu stärken. Jeder Verdacht, sie betreibe „verbotene Staatsfinanzierung“, wird hingegen abgewehrt. Dennoch wird diese Maßnahme insbesondere von deutscher Seite heftig kritisiert. Die direkte Staatsfinanzierung gilt vor allem bei konservativen ÖkonomInnen im Euroraum als absolutes Tabu. Die „Disziplinierung“ der Regierungen durch die Finanzmärkte wird hingegen weiterhin als sinnvoll und notwendig angesehen.

Andere Rezepte

Ein anderes Rezept der Krisenbekämpfung hat man hingegen in den USA eingesetzt – und war damit deutlich effektiver als im Euroraum. Die Regierung ließ dort hohe Defizite zu und stabilisierte so die Konjunktur. Die Zentralbank wiederum kaufte große Mengen von Staatsanleihen und hielt dadurch die Zinsen niedrig. Im englischsprachigen Raum wird dieses Instrument daher auch weniger voreingenommen diskutiert als hierzulande. Adair Turner, ehemaliger Vorsitzender der britischen Finanzmarktregulierungsbehörde FSA, betonte die Notwendigkeit, während der Krise auf das Instrument der direkten Staatsfinanzierung zurückzugreifen1. Er berief sich dabei auf die Monetaristen Irving Fisher und Milton Friedman sowie auf Ben Bernanke, der eine ähnliche Politik in den 1990er-Jahren für Japan gefordert hatte. Auch post-keynesianische ÖkonomInnen wie Abba P. Lerner oder L. Randall Wray befürworten seit Langem die direkte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank – und das nicht nur in Krisenzeiten.

Öffentliche Ausgaben

In der aktuellen Krise gibt es einige gute Gründe dafür, öffentliche Defizite über die Zentralbank zu finanzieren.Die Konjunktur kommt unter anderem deshalb nicht in Gang, weil Haushalte und Unternehmen in einigen Ländern hoch verschuldet sind und versuchen, ihre Vermögens- bzw. Eigenkapitalpositionen zu verbessern. Zusätzliche öffentliche Ausgaben wären daher dringend notwendig, um die fehlende Nachfrage zu kompensieren.
Der
Fiskalpolitik sind jedoch mehrfach die Hände gebunden. Neben den Einschränkungen durch die EU-Fiskalregeln sorgt vor allem die Angst vor höheren Zinsen dafür, dass Staaten keine zusätzlichen Ausgaben tätigen. Die Geldpolitik der EZB ist bei dem Versuch, die Konjunktur zu stärken, längst an ihre Grenzen gestoßen. Der Leitzinssatz hat die Nullprozentmarke erreicht und kann nicht mehr weiter gesenkt werden. Unkonventionelle Maßnahmen wie gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und Ankäufe forderungsbesicherter Wertpapiere zielen auf eine Ausweitung des Kreditangebots. Wenn, wie in der aktuellen Situation, die Unternehmen und Haushalte kaum Kredite nachfragen, laufen diese Maßnahmen allerdings ins Leere.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten daher nur zusätzliche öffentliche Ausgaben – finanziert über die EZB. So würde unmittelbar Nachfrage geschaffen,
ohne dass die Gefahr eines neuerlichen Anstiegs der Zinsen auf Staatsanleihen entsteht. Turner sieht in dieser Kombination aus expansiver Fiskalpolitik und Finanzierung über die Zentralbank, wie sie von den USA vorgemacht wurde, sogar die einzige Möglichkeit, die Konjunktur zu stärken.
Vieles spricht allerdings dafür, öffentliche Defizite auch abseits von Krisen teilweise durch die EZB zu finanzieren. Erstens zeigt gerade die Eurokrise, dass Finanzmärkte die ihnen unterstellte Stabilisierungsfunktion nicht wahrnehmen. Sie tendieren vielmehr dazu, prozyklisch zu agieren und dadurch Booms und Krisen zu verstärken. Die Finanzierungskosten für Staaten neigen zu übertriebenen Schwankungen, die eine langfristige Planbarkeit öffentlicher Aus-gaben erschweren.

Macht der Minderheit

Zweitens repräsentieren Finanzmärkte vor allem den reichsten Teil einer Gesellschaft. Menschen mit niedrigen oder mittleren Einkommen haben kaum überschüssiges Geld, das sie in Finanzanlagen investieren können. Sie tragen jedoch zum allgemeinen Steueraufkommen bei, aus dem die Staatsanleihen bedient werden. Staatsfinanzierung über die Finanzmärkte bedeutet somit eine Umverteilung von Arm zu Reich. Darüber hinaus ordnet die Finanzierung öffentlicher Aufgaben über Finanzmärkte das Gemeinwohl privaten Kapitalinteressen unter. InvestorInnen haben auf diesem Weg die Möglichkeit, Druck auf demokratisch legitimierte Regierungen auszuüben und sie im Interesse einer kleinen Minderheit zu beeinflussen.
Drittens ist der Finanzsektor in den vergangenen Jahrzehnten viel schneller gewachsen als die Realwirtschaft und die Häufigkeit von Finanzkrisen hat zugenommen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Restrukturierung und Verkleinerung des Finanzsektors. Jede Transformation in diese Richtung ist nur möglich, wenn die Regierungen an fiskalischer Bewegungsfreiheit gewinnen und sich vom Finanzsektor emanzipieren.

Zusammenspiel

Damit diese Ziele erreicht werden können, ist ein Zusammenspiel der Institutionen erforderlich. Die unabhängige Zentralbank sollte in Abstimmung mit den Regierungen der Mitgliedstaaten die Höhe der von ihr finanzierten Defizite festlegen. Sie sollte sich dabei an einem Mandat orientieren, das neben Preisstabilität auch Vollbeschäftigung umfasst. Wenn Konjunktur und Inflation schwach sind, würde das Finanzierungsvolumen höher ausfallen als bei gut ausgelasteten Kapazitäten. So wäre sichergestellt, dass Regierungen ihre Ausgaben nicht in beliebiger Höhe über die Zentralbank finanzieren und sie keinen Zugriff auf die sprichwörtliche Notenpresse haben.
Die – ohnehin erratische – Disziplinierung durch die Finanzmärkte würde in diesem Szenario durch eine abgestimmte Finanzplanung ersetzt. Die Finanzierung sollte zinsfrei und direkt über den Primärmarkt erfolgen. So wird ein Anstieg der Zinsen der über den Markt gehandelten Staatsanleihen und der Belastung der öffentlichen Haushalte verhindert.
Die institutionelle Teilung der Entscheidungskompetenz zwischen Regierungen und EZB stellt sicher, dass die Finanzierung öffentlicher Defizite durch die Zentralbank keine unkontrollierte Inflation auslöst. Das monetaristische Argument, dass eine Erhöhung der Zentralbankgeldmenge in jedem Fall stark steigende Preise bewirkt, ist falsch. Solange Kapazitäten unterausgelastet sind und die Arbeitslosigkeit hoch ist, bleibt der Preisauftrieb niedrig. Wenn sich die Zentralbank entsprechend ihrem Mandat an solchen realwirtschaftlichen Indikatoren orientiert, dann ist sichergestellt, dass die Inflation nur geringfügig von ihrem Zielwert abweicht. Ob Staatsausgaben über die EZB oder über die Finanzmärkte finanziert werden, spielt für ihre Wirkung auf die Preise keine Rolle.

Vorbeugung

Das Zusammenspiel zwischen den Institutionen bewahrt jedoch nicht davor, dass Staaten im gegenseitigen Wettbewerb ihre Steuern senken und die fehlenden Einnahmen durch EZB-Geld ersetzen. Um einer solchen Entwicklung vorzubeugen, könnte die Inanspruchnahme von EZB-Geldern an die Verpflichtung zur Stärkung der staatlichen Einnahmenbasis geknüpft werden. So könnten Mindeststeuersätze und ein Mindestanteil von Steuern auf Vermögen, Kapitalgewinnen und Unternehmensgewinnen am Gesamtaufkommen als Bedingung festgeschrieben werden. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und eine europäische Steuerkooperation zur Bekämpfung von Steuerbetrug könnten ebenso als Voraussetzungen festgelegt werden.

Sinnvolle Maßnahme

Die Finanzierung öffentlicher Defizite durch die Zentralbank ist eine wirksame und sinnvolle Maßnahme zur Krisenbekämpfung. Sie eröffnet jedoch auch über die Krise hinaus die Möglichkeit, die Finanzierung öffentlicher Aufgaben vom Diktat der Finanzmärkte zu befreien und die Stabilität des Wirtschaftssystems zu erhöhen. Auch wenn diese Art der Finanzierung heute noch ein Tabu darstellt, ist es höchste Zeit, die Debatte darüber in Gang zu bringen.

Dieser gekürzte und überarbeitete Beitrag wird im Debattenforum der Ausgabe 1/2015 der Zeitschrift „Kurswechsel“ erscheinen. Eine Vorabversion wurde bereits am BEIGEWUM-Blog veröffentlicht. 
 
Webtipp:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.beigewum.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor stefan.ederer@wifo.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Stefan Ederer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658083552 Die Finanzierung öffentlicher Defizite durch die Zentralbank ist ein Tabu. Höchste Zeit, die Debatte darüber in Gang zu bringen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082513 Von der Kür zur Pflicht Im Jahr 1999 sah es in Österreich in Sachen rechtlicher Gleichstellung, ob in der Arbeitswelt oder beim Zugang zu alltäglichen Leistungen, ziemlich traurig aus. Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) enthielt Diskriminierungsverbote aufgrund des Geschlechts in der Arbeitswelt, in wenigen versteckten und auch unter JuristInnen wenig bekannten Verwaltungsstrafbestimmungen gab es Diskriminierungsverbote beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. Das sollte sich ab dem Jahr 2000 ändern.

Startpunkt

Auf Grundlage des Artikels 13 des EG-Vertrags (heute: Art. 19 AEUV) verhandelten die EU-Mitgliedstaaten bereits mehrere Jahre lang einen Vorschlag der Europäischen Kommission über weiter gehende Diskriminierungsverbote. Einerseits sollte es weitere Diskriminierungsgründe geben, andererseits sollten Benachteiligungen auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, also etwa Geschäften oder Lokalen, verboten werden.
Die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich brachte schließlich den Durchbruch. Parallel zu den sogenannten Sanktionen der anderen EU-Mitgliedstaaten gab es plötzlich einen breiten Konsens für eine umfassende Antirassismus-Richtlinie (RL 2000/43/EG). Diese wurde im Juni 2000 beschlossen und trat am 19. Juli 2000 in Kraft. Sie verbot Diskriminierung aufgrund der „Rasse“ und ethnischen Herkunft in der Arbeitswelt und beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum.
In den folgenden Monaten ließ der Enthusiasmus jedoch merklich nach und die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) enthielt nur mehr ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Alters, der Behinderung, der Religion und Weltanschauung sowie der sexuellen Orientierung in der Arbeitswelt. Die Mitgliedstaaten konnten sich dagegen bei diesen Diskriminierungsgründen nicht mehr auf einen Schutz außerhalb der Arbeitswelt einigen. Es handelt sich dabei um sogenannte Mindestrichtlinien – der Mindeststandard muss erfüllt werden, ein höherer Schutz ist aber möglich.

Mühsame Umsetzung

In Österreich hatte das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte bereits im Jahr 1998 mit der Arbeit an einem Antidiskriminierungsgesetz begonnen. Die Arbeiten wurden von zwei Gruppen – eine bestehend aus VertreterInnen der Zivilgesellschaft, eine bestehend aus VertreterInnen von Ministerien – begleitet. Schon bald zeigten sich massive Meinungsverschiedenheiten und besonders Frauenorganisationen und die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung verabschiedeten sich. Der Entwurf wurde trotzdem im Frühling 2001 abgeschlossen und veröffentlicht – aber von der Bundesregierung bei der Umsetzung der Antidiskriminierungs-Richtlinien nicht weiter verwendet. Die beiden Richtlinien waren im Jahr 2003 ins österreichische Recht umzusetzen. Diese Frist verstrich ungenutzt. Erst im Jahr 2004 wurde das Gleichbehandlungsgesetz novelliert, mit 1. Jänner 2006 trat das Behindertengleichstellungspaket – bestehend aus einer Novelle des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) und dem neu geschaffenen Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) – in Kraft. Die Länder erließen zwischen 2004 und 2006 die entsprechenden Gesetze. Österreich wurde wegen dieser verspäteten Umsetzung zweimal vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt.

Umsetzungsstrategien

Auf Bundesebene wurde der europarechtlich verpflichtende Mindeststandard erfüllt. Das GlBG wurde durch Diskriminierungsverbote aufgrund des Alters, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion und Weltanschauung sowie der sexuellen Orientierung ergänzt. Ein Diskriminierungsverbot beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen gab es nur aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit (und seit 2008 wegen einer weiteren EU-Richtlinie aufgrund des Geschlechts). Einzig beim Diskriminierungsschutz aufgrund der Behinderung wurde der europarechtlich vorgeschriebene Mindeststandard überschritten.
Die Länder warteten die Bundesregelung ab, bevor sie die Diskriminierungsverbote in ihrem Kompetenzbereich umsetzten. Sechs Bundesländer entschlossen sich, alle Gründe im Dienstrecht und beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen dem Diskriminierungsverbot zu unterwerfen. Vorarlberg und Wien haben inzwischen den Diskriminierungsschutz bei allen Gründen angeglichen, nur in Niederösterreich gibt es bis heute beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen nur einen Schutz aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit und des Geschlechts.

Einzelfall oder System?

Diese Hierarchisierung – also der unterschiedliche Diskriminierungsschutz und die Verbesserungen der rechtlichen Situation – erfolgt gerade auf Bundesebene vielfach nur auf Druck von außen. Das ist im Fall des Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsrechts oder beim passiven Wahlrecht für Drittstaatsangehörige (das aufgrund eines EuGH-Urteils seit 2006 besteht) die EU. Bei der Gleichstellung homosexueller Menschen oder beim Abbau von Diskriminierungen gegenüber transsexuellen Menschen mussten nationale Gerichte oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Machtwort sprechen. Fazit: Ohne den Druck der EU hätte Österreich wohl keinen so weitgehenden Diskriminierungsschutz eingeführt.
Der EuGH betonte schon lange, dass die Europäische Menschenrechtskonvention zur gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten gehöre. Deshalb berief er sich in vielen Urteilen auf diese Grundrechte. Trotzdem wurde immer wieder ein eigener Grundrechtskatalog der EU gefordert. Schließlich wurde ein Konvent mit dessen Erarbeitung beauftragt. Die Grundrechtecharta (GRC) wurde bereits im Jahr 2000 feierlich proklamiert, sie trat aber erst am 1. Dezember 2009 in Kraft. Überwiegend fasst sie bereits bestehende Grundrechte zusammen. Sie enthält einen eigenen Teil Gleichheit. Dieser enthält das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz, eine Bekräftigung der Kulturen, Religionen und Sprachen und spezielle Artikel zur Gleichheit von Männern und Frauen und zu den Rechten von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen. Die GRC ist immer anwendbar, wenn EU-Recht im Spiel ist, egal wer dieses anzuwenden hat.

Art. 21 verbietet Diskriminierungen aufgrund aller sieben oben genannten Gründe, ergänzt aber noch Hautfarbe, soziale Herkunft, genetische Merkmale, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit.
Insbesondere der Art. 21 GRC hat Hoffnungen geweckt. Wird der europarechtliche Diskriminierungsschutz ausgebaut? Kann daraus etwas für die Armutsbekämpfung abgeleitet werden? Was bedeutet diese Bestimmung bei chronischen Krankheiten, die genetisch bedingt sind?
Die Debatten um die Auswirkungen der GRC dauern noch an. Inzwischen hat sich bezüglich Art. 21 GRC Ernüchterung durchgesetzt. Es handelt sich nach überwiegender Meinung um eine Unionszielbestimmung, die einzelnen Menschen keine durchsetzbaren Rechte verleiht. Es ist aber nicht zu leugnen, dass die GRC den Stellenwert der Grund-rechte gestärkt hat. Das ist unter anderem ein Verdienst der in Wien ansässigen EU-Grundrechteagentur (FRA).
Abschließend lässt sich sagen, dass das Europarecht die Initialzündung für die österreichische Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik war. Die Richtlinien stärkten auch die österreichische Zivilgesellschaft, der bei der Unterstützung von Diskriminierungsopfern und bei der Rechtsdurchsetzung eine bedeutende Rolle zukommt.

Lücken

Im Jahr 2008 präsentierte die Europäische Kommission den Vorschlag einer Richtlinie, um die Lücken des Diskriminierungsschutzes außerhalb der Arbeitswelt zu schließen. Leider blockieren einige große Staaten – allen voran Deutschland – die Verabschiedung. Derzeit sind Impulse daher eher von der UNO zu erwarten. Insbesondere die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) hat zu weitreichenden Diskussionen geführt. Auch in diesem Fall wartet Österreich in vielen Bereichen auf Kritik und Anregungen von außen.

Webtipp:
Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern:
www.klagsverband.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor volker.frey@klagsverband.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Volker Frey, Generalsekretär des Klagsverbands, Diversity-Trainer Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658083373 Erst die EU gab den entscheidenden Anstoß für das Verbot von Diskriminierungen in Österreich. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082503 EU - Was geht mich das an?! Es erscheint manchmal als eine kaum zu realisierende Aufgabe, den arbeitenden Menschen die Europäische Union, ihre Politik, ihren Aufbau und ihre Verbindung mit Österreich in objektiver Form näherzubringen. Auch dann, wenn die Informationen weit entfernt von plumper Propaganda sind und die kritische Haltung der österreichischen Gewerkschaften zur derzeitigen europäischen Politik in klarer Form vermittelt wird. Das Interesse am Thema Europa ist gerade unter der ArbeitnehmerInnenschaft sehr begrenzt bzw. die Haltung oft grundsätzlich ablehnend. Dies hat natürlich zahlreiche Gründe, die individuell sehr oft nachvollziehbar sind.

Abwanderung von Betrieben

Wenn man z. B. von gewissen Vorteilen der EU-Mitgliedschaft berichtet, einer der Zuhörer allerdings Betriebsrat ist, dessen Firma gerade vor dem Absiedeln nach Rumänien steht, dann wird man, auch bei sehr sachlicher und objektiver Darstellung der Fakten, schnell an argumentative Grenzen stoßen. Dieser Wettbewerb um den billigsten Produktionsstandort trifft Länder mit höheren Lohnkosten sehr oft. Die Abwanderung von Betrieben gehört auch in Österreich mittlerweile zum Alltag. Natürlich sind es meistens klassische Industrieunternehmen mit einer wenig spezialisierten und innovativen Produktion, die aufgrund der Kosten in andere EU-Staaten, meist in den Osten bzw. Südosten, übersiedeln. Den ArbeitnehmerInnen aus solchen Betrieben fehlt es oft an höherer fachlicher Qualifikation, und es wird dadurch umso schwieriger, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes eine neue Anstellung zu finden.
Es sind vor allem Menschen mit schlechter Ausbildung, die unter dem gerade stattfindenden globalen Verdrängungswettbewerb leiden. Die oft als „Globalisierungsverlierer“ Bezeichneten zählen zur Gruppe jener, die gegenüber der Europäischen Union die meisten Ressentiments haben. In dieser Bevölkerungsgruppe ist die Zahl der EU-Austrittsbefürworter am höchsten, und der Anteil jener, die populistische und in Österreich insbesondere rechtspopulistische Parteien und Bewegungen unterstützen, ist ebenfalls auffallend hoch. Die Menschen sehnen sich nach einem geschlossenen und national geschützten Markt und stehen damit der Marktöffnungs- und Liberalisierungspolitik der EU diametral gegenüber. Diese Entwicklung, die vermehrte Skepsis zu allen Entscheidungen, die aus Brüssel kommen oder vermeintlich mit der EU in Verbindung gebracht werden, war und ist in der Gewerkschaftsbewegung stark spürbar. Die Mitglieder des ÖGB sind das Spiegelbild der österreichischen ArbeitnehmerInnenschaft und damit verbunden radikalisieren sich die Haltungen gegenüber europapolitischen Themen zunehmend.

Reagieren im Bildungsbereich

Bisher ist das Thema Europa nicht in geeigneter Form in den Schulen angekommen. Noch immer ist Europa kein eigener Unterrichtsbestandteil, sondern wird bestenfalls im Geschichts- bzw. Geografieunterricht mitbehandelt. Der ÖGB hat diesen Mangel schon mehrfach aufgezeigt, doch bisher ist es zu keiner entscheidenden Verbesserung im Unterricht gekommen. Da also die SchülerInnen hier bis jetzt ein Wissensdefizit haben, ist es verständlich, dass die heutige Generation der ArbeitnehmerInnen ab 40 überhaupt keine entsprechende schulische Vorbildung über Europa besitzt. Dieses Unwissen führt unweigerlich dazu, dass gewisse Behauptungen geglaubt und populistische Argumentationen gerne aufgegriffen werden.
Der ÖGB hat nun vor vier Jahren begonnen, vor allem im Bereich der FunktionärInnenausbildung einen wichtigen und positiven Schritt nach vorne zu machen. Das Bildungsreferat des ÖGB hat nach gewissenhafter Vorbereitung, in Kooperation mit vielen ExpertInnen, begonnen, dem Themenkomplex EU einen entsprechenden Platz in der Ausbildung einzuräumen. Es ist nun eine Selbstverständlichkeit, dass sich die Gewerkschaftsschulen in ganz Österreich mehrere Abende mit Europa auseinandersetzen. Darüber hinaus wurde bewusst viel Geld investiert, und sämtliche Gewerkschaftsschulklassen besuchen während ihrer zweijährigen Ausbildung Brüssel, um direkt vor Ort mehr Erfahrungen und Wissen über die Europäische Union zu bekommen. So reisen Jahr für Jahr bis zu 400 GewerkschaftsfunktionärInnen für mehrere Tage in die europäische Hauptstadt und diskutieren mit VertreterInnen der verschiedenen Gremien (Europäische Kommission, Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäisches Parlament, Europäischer Gewerkschaftsbund, ÖGB und AK-Brüssel-Büros etc.) europäische Politik.
Die dabei gesammelten Informationen und Erkenntnisse führen zu einem nachhaltigen Zugang zur Europäischen Union, ihrer Struktur und ihrer Politik. Die Reisen haben ganz klar nicht das Ziel, die BetriebsrätInnen zu PropagandistInnen der EU zu machen, sondern sie werden dank der Reise zu aufgeschlossenen EU-BürgerInnen. Viele, die schon vorher EU-SkeptikerInnen waren, sind oftmals noch klarer in ihrer Kritik, andere haben mehr Verständnis für die Gründe mancher EU-Entscheidungen, wieder andere erkennen nun die Wichtigkeit der Teilnahme am demokratischen Prozess wie z. B. der Wahl zum Europäischen Parlament. Die Ergebnisse dieser Bildungsmaßnahmen (mehr Kurse, mehr Unterricht, Besuchsreise nach Brüssel) sind eindeutig positiv. Die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen unterstreichen die Wichtigkeit der Reisen und deren inhaltliche Vorbereitung. Die schon bald zweitausend MultiplikatorInnen werden in Zukunft einen wichtigen Anteil an einer objektiveren Information über die EU in den Betrieben haben.
Wichtiges Ziel der Ausbildung ist es auch, die europäische Standortbestimmung des ÖGB klar zu machen. Viel zu oft wissen die eigenen FunktionärInnen nicht, dass Österreichs Gewerkschaften zu den kritischsten Stimmen in Europa zählen. Die anhaltende wirtschaftslastige Liberalisierungspolitik aus Brüssel ist für den ÖGB nicht länger tragbar. Die Ignoranz der EU gegenüber den Lehren aus der immer noch anhaltenden Wirtschaftskrise muss sich ändern. Europas ArbeitnehmerInnen werden der derzeitigen Politik nicht ewig passiv gegenüberstehen.

Politikwechsel

Den arbeitenden Menschen muss nun vermehrt vermittelt werden, wie wichtig die EU-Parlamentswahl und andere Formen der demokratischen Beteiligung sind. Gerade die vorher angesprochenen Globalisierungsverlierer beteiligen sich kaum an diesen so wichtigen Prozessen. Es gilt, den Glauben, wonach man ohnehin nichts ändern kann, zu überwinden. Es muss den ArbeitnehmerInnen auch gezeigt werden, dass ihre Unterstützung für plumpe Anti-EU-Kräfte nicht Teil eines positiven Politikwechsels in Europa sein wird.
Neben der EU-Parlamentswahl können sich die Menschen bei europäischen Bürgeranliegen (z. B. jenes gegen die Privatisierung des Wassers) oder bei der kritischen Bewegung gegen die derzeitigen Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada engagieren. Tausende Werktätige tun dies inzwischen und haben begonnen, auf Betriebsebene, in ihrer Gemeinde und auch im privaten Umfeld aktiv zu werden. Die Erfolge dieses Engagements sind bereits spürbar, die Haltung der europäischen Regierungen wird zunehmend kritischer und ein Abschluss der Freihandelsabkommen in der geplanten Form erscheint aufgrund der BürgerInnenproteste mehr und mehr undenkbar.
Der ÖGB wird hier auch weiter seinen Beitrag leisten, um immer mehr Mitglieder und ArbeitnehmerInnen aus der bisherigen Passivität zu holen. Schon bei den vergangenen EU-Parlamentswahlen gab es viel mehr an Materialien und Veranstaltungen als bei den vorherigen Wahlgängen. Eine kleine Informationsbroschüre mit einem kompakten Überblick über die EU wurde mehr als 12.000-mal angefordert. In jedem Bundesland hatte der ÖGB Informationsveranstaltungen abgehalten, die ebenfalls von Hunderten ArbeitnehmerInnen besucht wurden. Eine konsequente Haltung der Gewerkschaften, verbunden mit einer objektiven Informationspolitik des ÖGB zu Europa, wird in Zukunft mit Sicherheit zu einem Umdenken in der ArbeitnehmerInnenschaft führen. Dann wird auch eine kritische, aber dennoch positive Haltung zum europäischen Einigungsprozess nicht als Propaganda ausgelegt werden.

Webtipp:
Mehr Infos unter:
www.oegb.at/internationales

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor marcus.strohmeier@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Marcus Strohmeier, Internationaler Sekretär des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082480 Jahr für Jahr reisen bis zu 400 GewerkschaftsfunktionärInnen für mehrere Tage in die europäische Hauptstadt und diskutieren mit VertreterInnen der verschiedenen Gremien europäische Politik. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082491 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082462 20 Jahre EU in Zahlen Steigende Arbeitslosigkeit, erhöhtes Armutsrisiko, Verschärfung sozialer Schieflagen – das ist die triste „Sozialbilanz“ in vielen EU-Mitgliedstaaten!
Angesichts dieser sozialen Verwerfungen und des Scheiterns des bisherigen neoliberalen „Krisenlösungsmodus“ (z. B. Massenarbeitslosigkeit und Nicht-Erreichung der EU-2020-Ziele) sollte endlich klar sein, dass es einen Kurswechsel braucht, der die soziale Frage in Europa auch mit „sozialen“ Antworten adressiert!

Zahlen, Daten, Fakten zum Thema anbei zum Downloaden!

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Ausgewählt und zusammengestellt von Adi Buxbaum, AK Wien. Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082422 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082403 Angst vor den anderen? Die Anfang 2015 veröffentlichten Zahlen des AMS versprechen keinen guten Start ins neue Jahr: Ende Dezember 2014 waren 393.674 Personen ohne Beschäftigung – insgesamt lag die Arbeitslosigkeit somit um 32.395 bzw. neun Prozent über dem Vorjahresniveau. Welche Ursachen sind für diese dramatische Verschlechterung verantwortlich? Eine populäre, weil einfache Erklärung, die vor allem von Boulevardmedien gerne gefunden wird, lautet: Die EU ist schuld! Genauer gesagt: Arbeitskräfte aus osteuropäischen Staaten, die den heimischen Arbeitsmarkt „überfluten“. Ein Beispiel dafür zeigt eine Karikatur in der Kronen Zeitung vom 11. Jänner 2015. Anlässlich der 20-jährigen Mitgliedschaft Österreichs in der EU zeigt sie verwahrloste Gestalten, die in einem Müllberg herumstochern. Im Vordergrund ist das Logo des AMS zu sehen, im Hintergrund die zerzausten Flaggen Österreichs und der EU. Ganz offensichtlich ist „Zuwanderung“ also nach wie vor ein Thema, mit dem zu „spielen“ sich für Boulevardmedien lohnt.

Vorsichtige Schritte

Dabei hat die heimische Politik vieles daran gesetzt, dass die Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung EU in „homöopathischen Dosen“ erfolgt. Von Österreich wurden gemeinsam mit Deutschland Übergangsbestimmungen für jene acht Länder (EU-8) ausverhandelt, die 2004 der EU beigetretenen sind. Auf sieben Jahre angesetzt, sind diese Bestimmungen am 1. Mai 2011 ausgelaufen. Seither dürfen Personen aus den EU-8, (Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland und Litauen) in Österreich und Deutschland ohne Einschränkungen arbeiten. “Österreich hat sich auf die Arbeitsmarktöffnung gut vorbereitet. Seit 2011 gilt das Gesetz gegen Lohn-und Sozialdumping, Unterentlohnung ist strafbar“, sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. Mit 1. Jänner 2014 trat dann die nächste „Öffnungsrunde“ in Kraft, seit mittlerweile einem Jahr haben auch ArbeitnehmerInnen aus Rumänien und Bulgarien das Recht auf uneingeschränkten Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt.

Von anderen EU-Staaten wurde diese schrittweise Öffnung oftmals als zu zögerlich kritisiert. Migrationsforscherin Gudrun Biffl von der Donau-Universität Krems widerspricht: „Ich habe die Übergangsbestimmungen immer unterstützt. Sie wurden durch die geografische Nähe Österreichs zu EU-Staaten mit deutlich geringerem Lohnniveau notwendig. Außerdem war der heimische Arbeitsmarkt auch während dieser Zeit nicht hermetisch abgeschlossen. Personen mit entsprechender Qualifikation haben sehr wohl Arbeitsgenehmigungen bekommen, so erfolgte eine behutsame Öffnung ohne Verdrängungsprozesse am Arbeitsmarkt.“ Auch maßgebliche internationale wie heimische Organisationen sehen den „österreichischen Weg“ als den richtigen an: „Die stufenweise Öffnung hat sich bewährt - zusätzlicher Druck wurde durch eine bedarfsgerechte Steuerung der Zulassung von EU-8-BürgerInnen, etwa durch die Fachkräfteverordnung für Mangelberufe, abgefangen“, ist auf www.arbeitsmarktoeffnung.at zu lesen, einem Gemeinschaftsprojekt von Europäischer Kommission, Europäischen Parlament, BMASK, AK und ÖGB.

EuropäerInnen wandern

Die Zahl der EU-AusländerInnen, die in Österreich arbeiten, ist seit 2010 um 136.000 Personen auf heute 336.00 angestiegen. Dazu zählen jedoch nicht nur die OsteuropäerInnen, die seit der Ostöffnung zuwandern, sondern auch Personen aus Nord- und Südeuropa. Erwerbs- und Niederlassungsfreiheit zählen zu den Grundprinzipien der EU, immer mehr Menschen wandern aus und arbeiten in EU-Nachbarstaaten. So auch David Gandert aus Dresden, Deutschland. Im vergangenen Jahr erzählt er im ORF-Report, dass er bereits zum dritten Mal in Lech als Saisonarbeiter tätig ist. Er ist nicht der einzige: 160.000 Deutsche leben und arbeiten in Österreich, sie bilden die größte Einwanderergruppe.
In die Alpenrepublik zieht es auch viele GriechInnen und SpanierInnen, die in ihrer Heimat keinen Job finden. Griechenland steht seit 2010 unter der Aufsicht der Troika, bestehend aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Massive Einsparungen im Sozial- und Gesundheitsbereich haben große Teile der Bevölkerung in Armut gestürzt. Die Jugendarbeitslosigkeit betrug im November 2014 61,4 Prozent. Besonders junge, gut ausgebildete Menschen – viele mit Uni-Abschluss – flüchten ins Ausland, weil sie in ihrem Land keine Zukunftsperspektiven sehen.
Jüngsten Berichten zufolge ist aber vor allem die Migration aus Rumänien und Bulgarien nach Österreich stark ausgefallen. Seit der vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes im Jänner des Vorjahres hat sich die Zahl um 11.000 auf knapp 40.000 erhöht, so die aktuellen Zahlen des Hauptverbandes. Das weckt in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit Angst vor Lohn- und Sozialdumping, immer mehr Menschen fürchten, aus ihrem eigenen Job verdrängt zu werden.

Für IHS-Arbeitsmarktexperten Helmut Hofer sind aber auch diese Zahlen noch locker verkraftbar, wie er in der Tageszeitung Kurier sagt. Dass aber ein Verdrängungsprozess am Arbeitsmarkt stattfindet, da sind sich viele ExpertInnen einig. Jedoch findet dieser nicht zwischen Einheimischen und ZuwanderInnen statt. Vielmehr kämpfen ZuwanderInnen untereinander um jeden Arbeitsplatz. Junge, gut ausgebildete ZuwanderInnen verdrängen ältere, schlecht ausgebildete. Dass die Ostöffnung nur minimale Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen hat, bestätigt auch ein Vergleich mit den Zahlen aus dem Jahr 1995. Die Arbeitslosenquote hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht wesentlich verändert, obwohl die Ostöffnung und die Finanz- und Wirtschaftskrise dazwischen liegen. 1995 lag sie bei 7,1 Prozent, im vergangenen November bei 8,7 Prozent.    

Es gibt kein Patentrezept

ÖGB-Präsident Erich Foglar hat angesichts der Rekordarbeitslosigkeit in Österreich bei einer Podiumsdiskussion in der Österreichischen Nationalbank darauf hingewiesen, auch das Beschäftigungsplus zu berücksichtigen. Denn ein Blick auf die Zahlen zeigt: Seit 2011 sei die Zahl der Erwerbstätigen um 100.000 Personen gestiegen, aber nur 60.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, so Foglar. Der überwiegende Teil der neuen Erwerbstätigen sei aus den 2004 beigetretenen osteuropäischen EU-Mitgliedsländern gekommen, aber auch mehr Frauen hätten auf den österreichischen Arbeitsmarkt gedrängt. Der Begriff Vollbeschäftigung müsse unter den „völlig veränderten“ europäischen Rahmenbedingungen neu definiert werden, so der ÖGB-Präsident.
Angesichts der Wachstumsschwäche, der historisch hohen Arbeitslosigkeit und einem seit sieben Jahren andauernden Nettoreallohnverlust für die ArbeitnehmerInnen in Österreich, ortet Foglar an vielen Stellen einen Änderungsbedarf: „Es gibt kein Patentrezept, wir müssen an 1.000 Schrauben drehen. Die einfachen Antworten gibt es nicht mehr.“ Der ÖGB-Präsident plädierte auch erneut für einen Richtungswechsel auf europäischer Ebene. „Europa ist der Wachstumszwerg, in vielen Ländern der EU auch Arbeitslosenkaiser.“ 

Schon lange fordert der ÖGB, dass Europa sich aus dem Würgegriff des Stabilitäts- und Wachstumspaktes befreit. In seiner aktuellen Ausrichtung führt dieser dazu, dass es in Europa kaum Wachstum gibt, Armut und Arbeitslosigkeit zunehmen und der Druck auf die Sozialsysteme steigt. Zur Förderung von Beschäftigung müssen sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf europäischer Ebene beschäftigungswirksame Investitionen erhöht werden – besonders im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, fordern die Sozialpartner-Präsidenten Ende 2014 bei einem gemeinsamen Besuch in Brüssel. Und „in Österreich fehlt es an Konsum und Investitionen“, sagt Foglar. Aufgrund der Politik der Europäischen Zentralbank gebe es „Geld wie Sand am Meer“, es komme aber nicht in der Realwirtschaft an. „Die Geldschwemme hat wieder zum Boom der Börsen geführt“, kritisiert er. Finanzprodukte wie Derivate würden aber keine Arbeitsplätze schaffen. Und diese werden europaweit dringend benötigt.

Webtipps:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.arbeitsmarktoeffnung.at
www.igr.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen harald.kolerus@gmx.at und amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Harald Kolerus, Freier Journalist | Amela Muratovic, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082376 Seit mittlerweile einem Jahr haben auch ArbeitnehmerInnen aus Rumänien und Bulgarien uneingeschränkten Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082391 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082355 EU-Sozialpolitik auf dem Prüfstand Europa befindet sich in einer schweren Krise. Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosenzahlen erreichen Rekordhöhen. Auch Österreich ist davon nicht verschont: Unter Einrechnung der TeilnehmerInnen an AMS-Schulungen waren Ende Dezember 2014 mehr als 450.000 Menschen in unserem Land arbeitslos. Und in den meisten EU-Ländern ist die Situation noch um einiges schlimmer. Wenngleich die Ursachen der Krise nicht in der Sozialpolitik liegen und damit auch die Bekämpfung dieser Ursachen im Kern an einer anderen Stelle ansetzen muss, stellt sich mehr denn je auch die Frage, wie die Europäische Union eigentlich in der Sozialpolitik agiert.

Ausgangslage

Wie der ursprüngliche Name Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) signalisiert, zielte die europäische Einigung von Anfang an auf eine wirtschaftliche Integration der Mitgliedsländer. Sozialstaatliche Regelungen sollten im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verbleiben. Von Beginn an bestand damit auf Gemeinschaftsebene ein Spannungsverhältnis zulasten des Sozialen. Mit der Vertiefung des Binnenmarktes, der Einführung der gemeinsamen Währung und der Festlegung rigider Finanzziele wurde das seither mehr und mehr zum Problem.
Gemeinschaftsrechtliche Regelungen gab es anfangs nur zur sozialen Flankierung der bereits in den Gründungsverträgen verankerten Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen und in Form der Zielbestimmung „Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“.
Abgesehen von einer kurzen Phase des Aufbruchs zu Beginn der 1970er-Jahre kam es erst im Vorfeld des Maastricht-Vertrages (1993) zu einer Ausweitung der sozialpolitischen Aktivitäten der Gemeinschaft. Eines der zentralen Instrumente war dabei die Festlegung von Mindeststandards. Das Sozialprotokoll von Maastricht öffnete dazu unter anderem Mitwirkungsmöglichkeiten der Sozialpartner. Auf Vereinbarungen der Sozialpartner gestützte Mindeststandards konnten beispielsweise für Teilzeitbeschäftigte, für befristet Beschäftigte und für Telearbeitskräfte erreicht werden. Wie schwierig es oft ist, zu halbwegs tragbaren Mindeststandards zu kommen, zeigt die bewegte Vorgeschichte der Entsenderichtlinie. Erst als unter Führung der Gewerkschaften europaweiter Protest organisiert wurde, wurde von der ursprünglich geplanten, ultraliberalen Auslegung der „Dienstleistungsfreiheit“ Abstand genommen. Für Österreich bewirkten etliche EU-Mindeststandards – anders als oft vermutet – einen Anpassungsbedarf nach oben.
Im vergangenen Jahrzehnt haben die Bemühungen der EU-Kommission zur Nutzung dieses Instruments merklich nachgelassen. Eine der wenigen neueren Regelungen ist die Leiharbeitsrichtlinie aus dem Jahr 2008. Zu hoffen ist, dass der Weg der Festlegung von Mindeststandards wiederbelebt wird und auch in anderen Bereichen als dem Arbeitsrecht verstärkt zum Einsatz kommt. Mit ambitionierten Mindeststandardregelungen könnte die Europäische Union ein Stück sozialer gemacht und diversen Dumpingstrategien („Standortwettbewerb“) ein Riegel vorgeschoben werden.

Andere Variante der Sozialpolitik

In den späten 1990er-Jahren tauchte mit gemeinsam formulierten Leitlinien und (Umsetzungs-)Empfehlungen eine andere Variante der EU-Sozialpolitik auf. Der damit verbundene Verzicht auf eine unmittelbare Rechtsetzung durch EU-Organe ermöglichte eine massive thematische Ausweitung. Die „Methode der offenen Koordinierung“ kam zuerst im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und bald darauf auch in anderen Bereichen zum Einsatz. Besonders umfangreiche Aktivitäten setzte die EU zum Thema Pensionen mit oftmals verfehlten Empfehlungen wie der „Koppelung des Ruhestandsalters an die steigende Lebenserwartung“ oder dem „Ausbau der Förderung kapitalgedeckter Zusatzpensionen“. Auf dem Pfad der „offenen Koordinierung“ bewegt sich auch die 2010 beschlossene EU-2020-Strategie mit ihren Zielsetzungen zur Steigerung der Beschäftigung und zur Reduktion der Armut. Die bisherigen Ergebnisse sind mehr als ernüchternd: Inzwischen zweifelt niemand mehr daran, dass die Ziele dramatisch verfehlt werden. Das zeigt in aller Deutlichkeit die Schwächen einer Strategie, die auf unverbindliche soziale Zielsetzungen setzt. Dazu kommt, dass schon die EU-2020-Strategie als solche viele Defizite aufweist. So wurden zum Beispiel fundamentale Ansätze zur Erreichung der angesprochenen Ziele wie bessere Verteilung der Arbeit, der Einkommen und der Vermögen erst gar nicht in Erwägung gezogen.

Sozialpolitik durch die Hintertür

Die Finanzkrise 2008/2009 wurde durch gewaltigen Einsatz öffentlicher Mittel aufgefangen. Den daraus resultierenden Anstieg der Staatsschulden nutzten neoliberale Ökonomen und Politiker sehr geschickt zu einer Uminterpretation der Krise in eine „Staatsschuldenkrise“. Schnell war auch ausgemacht, wie diese in erster Linie zu bekämpfen sei – durch Zurückhaltung bei den Löhnen und durch Einsparungen bei den Sozialausgaben.
Besonders hart traf die neoliberale Krisenbewältigungspolitik die Menschen in den zentralen Krisenländern im Süden Europas. Die Troika verordnete dort neben den oft drastischen Kürzungen bei Sozialleistungen auch sogenannte „Strukturreformen“ zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Der neoliberalen Orientierung folgend, waren dies Lohnkürzungen, „Liberalisierung“ des Arbeitsrechts, Zurückdrängung der Gewerkschaften etc.
Unübersehbar sind die Anstrengungen der Neoliberalen, Sozialleistungskürzungen und Strukturreformen dieser Art Schritt für Schritt auch in den anderen EU-Ländern durchzusetzen. In Österreich ist es bisher gelungen, ziemlich gut dagegenzuhalten. Selbst bei vielen grundsätzlichen Befürwortern von Zielsetzungen wie dem Nulldefizit kommen Zweifel auf, ob es Sinn macht, dem gesamten Euroraum in einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation drastische Einsparungen zu verordnen. Der Sozialbereich ist eines der Felder, in denen in einer Phase der Stagnation Investitionen mehr denn je geboten sind. Kinderbetreuung, Qualität der Ausbildung etc. sind Bereiche, in denen dringender Bedarf gegeben ist. Voraussetzung für ein Gelingen dieser Strategie ist, dass das viel zu enge und zu wenig flexible Finanzkorsett im Euroraum gelockert wird.
Aktuell wird in Brüssel viel über eine neue Variante einer EU-Sozialpolitik diskutiert: die Schaffung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung (EU-ALV). Im Hintergrund des Vorhabens steht vor allem das Bestreben, das makroökonomische Krisenmanagement im Euroraum zu verbessern. Die Befürworter führen ins Treffen, dass über das Instrument einer EU-ALV der zur Eindämmung von Krisen notwendige Finanztransfer in die betroffenen Länder zum einen gesichert und zum anderen in sinnvolle Bahnen gelenkt werden könne. Über die konkrete Ausgestaltung sind mehrere Vorschläge in Diskussion. Gemeinsam ist ihnen die Idee einer relativ niedrig angesetzten europäischen Basisabsicherung. Ergänzende Zusatzleistungen sollen in nationaler Verantwortung bleiben.
Unstrittig ist, dass Europa (und insbesondere der Euroraum) dringend Instrumente zur besseren Krisenbewältigung braucht. Ob die Errichtung einer EU-ALV dafür der sinnvollste Weg ist, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Viele Fragen sind offen: Wie ist zu vermeiden, dass es zu ungewünschten Dauertransfers zwischen Ländern mit und ohne aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik kommt? Wie ist sicherzustellen, dass die Finanzierung von Krisenkosten nicht allein den beitragszahlenden ArbeitnehmerInnen aufgebürdet wird? Solange diese und andere Fragen nicht in zufriedenstellender Form geklärt sind, ist ein hohes Maß an Skepsis angebracht.
Welche Wege auch immer gegangen werden – klar ist, dass ein sozialeres Europa dringend geboten ist! Starke Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen und der sozial Schwachen, auch auf internationaler Ebene, sind eine Grundvoraussetzung dafür, dass es in die richtige Richtung geht. Der Europäische Gewerkschaftsbund braucht volle Rückendeckung, um diese Rolle wahrnehmen zu können.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor josef.woess@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Josef Wöss, Leiter der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082338 Besonders hart traf die neoliberale Krisenbewältigungspolitik die Menschen in den Krisenländern im Süden Europas. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082346 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082183 20 Jahre Europäischer Betriebsrat Als die EU-Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat (EBR) nach jahrzehntelangem Ringen des Europäischen Gewerkschaftsbundes 1994, knapp vier Monate vor dem Beitritt Österreichs zur EU, verabschiedet wurde, war nicht nur eine zentrale gewerkschaftliche Forderung zum Schutz der ArbeitnehmerInneninteressen in multinationalen Konzernen eingelöst.
Die Perspektive, in europäischen Konzernen transnationale Mitwirkungsrechte der Belegschaftsvertretungen zu schaffen, war für viele BetriebsrätInnen, den ÖGB und die Gewerkschaften zu Recht ein oft bemühtes Argument, das den damals so vielfach besprochenen Risiken auch die Chancen einer EU-Mitgliedschaft für Beschäftigte gegenüberstellte. So schaffte es der Euro-Betriebsrat in den Debatten vor und rund um den EU-Beitritt zu einiger Prominenz. Grund genug für eine kurze Bilanz.

Positive Bilanz

  • Heute verfügen in der EU an die 1.100 Unternehmensgruppen mit circa 20 Millionen Beschäftigten über eine transnationale Interessenvertretung. Mehr als 18.000 BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen sind heute als Mitglieder in einem EBR tätig.
  • In zahlreichen Konzernen konnte der EBR sein Standing im Rahmen der Corporate Governance stärken. Neben der materiellen Substanz kommt der 20-jährigen EBR-Praxis auch entscheidende Bedeutung bei der Europäisierung der Gewerkschaften selbst zu.
  • Der EBR war auch Ausgangspunkt für eine breitere EU-Rechtsetzung zu Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung. Auch wenn der Rechtsbestand dazu in 15 Richtlinien zersplittert ist, so ist er heute fester Bestandteil des EU-Rechts.

Bedeutung in Österreich

  • Das EGB-Forschungsinstitut listet knapp 50 Konzerne mit Hauptsitz in Österreich auf, in denen ein EBR errichtet werden kann. In knapp 20 davon wurde bislang ein EBR etabliert.
  • Daneben existiert eine EBR-Betroffenheit einer ungleich höheren Anzahl von BetriebsrätInnen, die in Tochterunternehmen internationaler Konzerne tätig sind und mit wesentlichen Entscheidungen konfrontiert sind, die nicht im Inland getroffen werden.
  • In etwa 180 ausländischen Konzernen sind zum Teil mehrere österreichische BetriebsrätInnen in einen EBR delegiert. Diese nichtösterreichischen EBR gibt es in allen Branchen vom Industrie- bis zum Dienstleistungssektor, in hoher Anzahl mit Sitz der Konzernzentrale in Deutschland.
  • Insgesamt sind in Österreich etwa 230.000 ArbeitnehmerInnen in Konzernen in ausländischem Besitz beschäftigt, in mehr als 160.000 gibt es einen EBR.
  • Mit der EU-Erweiterung zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab hin zu einem aktiven Player in Sachen EBR-Gründungen, gilt es doch die österreichischen Investitionen durch Export mitbestimmungsfreundlicher Unternehmenskulturen in die Länder Mittel- und Osteuropas zu begleiten.

Bleibende Defizite

Der Positivbilanz stehen ernüchternde Erfahrungen bei der Umsetzung der Richtlinie sowie der realen Einflussmöglichkeiten des EBR gegenüber:

  • Einen EBR gibt es derzeit nur in etwa 36 Prozent jener Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der EU-Richtlinie fallen. Viele etablierte EBR stehen immer noch in den Lehrjahren und durchlaufen eine bisweilen mühsame Entwicklung zu einem effizienten Player im Unternehmen.
  • In zahlreichen Konzernen mit eingerichtetem EBR wird auf die Einbeziehung der Belegschaftsvertretungen wenig Wert gelegt. In immer noch zu vielen Fällen findet eine zeitgerechte Unterrichtung und Anhörung vor allem bei Umstrukturierungen überhaupt nicht statt, obgleich dies in EBR-Vereinbarungen explizit festgeschrieben ist. Oft wird die ArbeitnehmerInnenseite erst informiert, nachdem das Management die Umstrukturierung bereits beschlossen hat. Genau an diesen Defiziten setzte auch das Ringen der Gewerkschaften in der EU für eine Revision der EBR-Richtlinie an. Dazu kam es schließlich im Jahr 2009, wobei vom EGB Verbesserungen und Klarstellungen in wichtigen Punkten durchgesetzt werden konnten, so u. a.
  • beim Verfahrensrecht zur Einrichtung künftiger Euro-Betriebsräte,
    bei der Definition von Unterrichtung und Anhörung sowie zur Transnationalität und Abstimmung der ArbeitnehmerInnenbeteiligung auf nationaler und EU-Ebene,
  • bei der Schaffung eines eigens aus dem EBR-Mandat erwachsenden Anspruchs auf Qualifizierung,
  • bei der Schaffung des Rechts zur Neuverhandlung bei wesentlichen Veränderungen in der Unternehmensstruktur,
  • bei zusätzlichen Vorgaben hinsichtlich der Inhalte, die in einer EBR-Konzernvereinbarung enthalten sein müssen.

Verbesserungen

Die Neufassung der Richtlinie brachte jedenfalls wichtige Verbesserungen. Dennoch blieben Kernforderungen der Gewerkschaften unerfüllt, etwa die nach wirksamen und durchsetzbaren Sanktionen, falls sich Unternehmen nicht an die rechtlichen Verpflichtungen halten. Eine umfassende Revision der EBR-Richtlinie bleibt daher weiter auf der Tagesordnung. Die Schaffung des EBR-Rechts war ein elementarer Schritt, um der zunehmend grenzübergreifenden Unternehmenspolitik ein Äquivalent für die Belegschaften gegenüberzustellen. Auch die seit 2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft setzte Meilensteine bei der Unternehmensmitbestimmung. Doch die Weiterentwicklung der Mitbestimmung ist kein Selbstläufer. So fordert heute vor allem die Dynamik beim EU-Gesellschaftsrecht die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen in Unternehmen und Kapitalgesellschaften zunehmend heraus.
So birgt etwa der aktuelle Kommissionsvorschlag für eine „Europäische Ein-Personen-Gesellschaft“ – und hier vor allem die geplante freie Wahl des Satzungssitzes – großes Missbrauchspotenzial in sich. Es droht Flucht aus der Mitbestimmung in EU-Länder mit niedrigeren Standards. Zu Recht lehnt daher der EGB die aktuellen Vorschläge für diese „Euro-GmbH light“, die in Konkurrenz zu nationalen Unternehmensformen tritt, strikt ab.

Hohe Standards

Bedingung für neue europäische Gesellschaftsformen, die den Unternehmen Möglichkeiten der Mobilität über Grenzen hinweg bieten, bleibt die Einführung verpflichtender Regeln zur Sicherstellung bestehender Mitbestimmungsrechte. Diese dürfen nicht hinter das Modell des EBR und der Europa-AG zurückfallen. Grenzübergreifende Fusionen und der Wechsel des Unternehmenssitzes dürfen nicht zur Umgehung höherer Standards führen.
Vor dem Hintergrund zunehmender Intensität an Umstrukturierungen und eines aggressiver gewordenen Umfelds der Unternehmensfinanzierung sind weitere Schritte gefordert, die ArbeitnehmerInnen effektive Mitwirkungsmöglichkeiten an der Unternehmenspolitik bieten.
Um soziale und wirtschaftliche Kosten bei Veränderungen in Konzernen zu minimieren, braucht es in diesem Sinn Initiativen für einen EU-Rechtsrahmen, um Mindeststandards bei Restrukturierungen zu schaffen, so etwa:

  • Verpflichtungen zur Weiterbildung sowie zur strategischen Planung präventiver Qualifizierung aller Beschäftigtengruppen im Unternehmen,
  • Maßnahmen, die bei Restrukturierungen dem Erhalt von Arbeitsplätzen Vorrang einräumen,
  • verbindliche Grundlagen für Kompensationen im Fall von Kündigungen (inklusive Sozialplänen),
  • Bestimmungen, die Unternehmen zum präventiven Zusammenwirken mit regionalen Stellen und lokalen Zulieferketten anhalten.

Vermehrte Mitbestimmung wäre jedenfalls eine Sicherstellung, die Unternehmensführung wieder mehr auf Nachhaltigkeit hin zu orientieren. Über Fragen der ArbeitnehmerInnen-Beteiligung im EBR würde damit eine auf Langfristigkeit gerichtete Unternehmensführung am europäischen Binnenmarkt wieder gefördert.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor wolfgang.greif@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Wolfgang Greif, Leiter der Abteilung Europa, Konzerne & Internationale Beziehungen in der GPA-djp, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082178 Zu Recht lehnt der EGB die aktuellen Vorschläge für die "Euro-GmbH light", die in Konkurrenz zu nationalen Unternehmensformen tritt, strikt ab. Es droht Flucht aus der Mitbestimmung in Länder mit niedrigeren Standards. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082168 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658082106 Im Dschungel der Lobby Wer kennt sie nicht, die Berichte über die LobbyistInnen von Multis und Großfinanz, die in Brüssel hinter jeder Straßenecke lauern, um Abgeordneten und KommissionsbeamtInnen im Vorbeigehen schnell ein diskretes Papierchen in die Hand zu drücken. Auch wenn das Bild überzeichnet ist, sprechen die Zahlen Bände. Bereits 2012 zeigten AK und ÖGB in einer eigenen Studie, dass sich rund 20.000 LobbyistInnen in Brüssel tummeln. Knapp drei Jahre später schätzen KennerInnen der Szene die Zahl bereits auf rund 30.000. Mit etwa ein bis zwei Prozent kommt nur ein verschwindend kleiner Teil davon aus dem gewerkschaftsnahen Lager.

Brüsseler Parkett

Wer überhaupt auf dem Brüsseler Parkett wann und wo welche Klinken putzt, kann dabei nur schätzungsweise ermittelt werden – und das auch erst seit 2011, als Europäische Kommission und Europäisches Parlament nach immer wiederkehrenden Skandalen und auf Druck der Öffentlichkeit in einem gemeinsamen Abkommen das sogenannte „Europäische Transparenzregister“ gründeten. Was auf den ersten Blick vielversprechend klingt, ist bei näherem Hinsehen allerdings nicht viel mehr als eine Datenbank, in die sich professionelle LobbyistInnen und sonstige Organisationen, die am politischen Entscheidungsprozess in Brüssel mitwirken, eintragen können. Die Betonung liegt auf „können“. Denn niemand ist gezwungen, sich in das Transparenzregister einzutragen. Folgerichtig gibt es auch keine wirksamen Sanktionen oder Strafen für jene, die lieber im Schatten bleiben möchten. Nicht nur beruht die Eintragung in das Register auf Freiwilligkeit. Auch die Angaben jener, die sich registrieren lassen, werden so gut wie nie auf bewusste oder irrtümliche Fehlerhaftigkeit hin überprüft. Kein Wunder, schließlich beschäftigt das gemeinsame Register-Sekretariat von Kommission und Parlament dem Vernehmen nach nur eine Handvoll von MitarbeiterInnen. So finden sich immer wieder absurde Stilblüten im Register, wie die jüngst bekannt gewordene Registrierung eines europäischen Dachverbandes der Hersteller von Zahnprothesen, der angab, 250.000 LobbyistInnen zu beschäftigen.
Freiwillige Eintragung und fehlende Kontrolle ergeben in Summe einen mehr als unbefriedigenden Zustand mit erheblichen politischen Konsequenzen. Beispiel Finanzlobby: 2014 untersuchten AK, ÖGB und Corporate Europe Observatory in einer gemeinsamen Studie die Szene der Brüsseler FinanzlobbyistInnen. In den fünf Jahren nach Ausbruch der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1945 war eines immer wieder besonders auffällig: dass nämlich sämtliche politischen Vorhaben, die Finanzjongleure an die kurze Leine zu legen, entweder von Haus aus im Keim erstickt oder auf ihrem Weg durch das Europäische Parlament und den Rat der Mitgliedstaaten bis zur Unkenntlichkeit verwässert wurden.
Das liegt, so wurde aus der Studie deutlich, zu einem erheblichen Teil auch an der Feuerkraft der Brüsseler FinanzlobbyistInnen. Mehr als 700 Organisationen lobbyieren in der EU-Hauptstadt für die Finanzlobby, rund 450 davon (darunter große Player wie die London Stock Exchange, HSBC, UBS, Royal Bank of Scotland, Goldman Sachs, Santander) waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie nicht im EU-Lobbyregister eingetragen. Mehr als 1.700 LobbyistInnen sind Tag für Tag in Brüssel damit beschäftigt, die Interessen von Banken und FinanzmarktakteurInnen zu vertreten. Damit kommen auf eine/n KommissionsbeamtIn, die/der mit Finanzmarktthemen beschäftigt ist, vier LobbyistInnen. Und die Branche lässt sich ihren Einfluss Jahr für Jahr mindestens 123 Millionen Euro kosten.

Wo ein Wille, da ein Weg

AK und ÖGB, die im Übrigen seit langem im Europäischen Transparenzregister eingetragen sind, fordern zusammen mit starken europäischen BündnispartnerInnen aus der Lobbykontrollszene seit Jahren ein Ende dieser gewerkschafts- und demokratiepolitisch bedenklichen Schieflage. Erster Meilenstein auf dem Weg dahin wäre ein strenges und verpflichtendes Lobbyregister mit effektiven Kontrollen und abschreckenden Sanktionen. Über Jahre vertrat die Europäische Kommission die umstrittene Auffassung, dass die bestehenden EU-Verträge ein verpflichtendes Lobbyregister unmöglich machen. Ein Argument, das allerdings von AK und ÖGB in einem 2012 veröffentlichten und im Europäischen Parlament präsentierten Rechtsgutachten widerlegt wurde. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Die Unzulänglichkeiten des Lobbyregisters sind allerdings nur ein Teil eines wesentlich vielschichtigeren Problems. So lässt sich die Europäische Kommission im Tagesgeschäft, von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, von mehr als 800 sogenannten „ExpertInnengruppen“ beraten. AK und ÖGB haben in den vergangenen Jahren zusammen mit verbündeten NGOs mehrfach mit Studien, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit auf eklatante Missstände in ExpertInnengruppen wichtiger Generaldirektionen der Europäischen Kommission hingewiesen.
Bereits 2009 wies ALTER-EU, ein Zusammenschluss von Lobbytransparenz-Organisationen, bei dem auch die AK Mitglied ist, in einem aufsehenerregenden Bericht auf die überwältigende Dominanz der Finanzlobby in den ExpertInnengruppen der für Finanzmarktregulierung zuständigen Generaldirektion der Europäischen Kommission hin. Im Juli 2012 setzte ALTER-EU mit einem weiteren Bericht, der von AK und ÖGB in Brüssel präsentiert wurde, nach. Diesmal ging es um die BeraterInnengruppen in der einflussreichen Generaldirektion für Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission. Von den 83 untersuchten Gruppen waren 57 Prozent aller ExpertInnen den Gruppen der Industrie zuzurechnen, nur ein Prozent den Gewerkschaften.
Innovative und konsequente Medienarbeit und begleitende Maßnahmen wie beispielsweise Beschwerden an den Europäischen Ombudsmann oder offene Briefe an politische EntscheidungsträgerInnen zeitigten erste politische Erfolge. So fror der Budgetausschuss des Europäischen Parlaments im November 2011 und im März 2012 die Haushaltsmittel zur Finanzierung der ExpertInnengruppen ein und knüpfte die Freigabe der Mittel an Bedingungen, die für Ausgewogenheit und Transparenz sorgen sollten.

Gebrochene Versprechen

Die Kommission gelobte Besserung. Doch hat sie tatsächlich gehalten, was sie versprochen hatte? Um diese Frage zu beantworten, präsentierten AK, ÖGB und ALTER-EU im November 2013 einen weiteren Folgebericht, der alle seit 2012 neu gegründeten ExpertInnengruppen analysierte. „A Year of Broken Promises“ lautet der bezeichnende Titel der Studie, denn geändert hatte sich so gut wie nichts. In allen neu gegründeten ExpertInnengruppen der Kommission dominierten nach wie vor Wirtschaftsinteressen mit 52 Prozent aller ExpertInnen, Gewerkschaften waren mit drei Prozent aller ExpertInnen marginalisiert. Die Mehrzahl der Gruppen wird ohne öffentliche Ausschreibung still und heimlich ins Leben gerufen. Und was während der Sitzungen besprochen wird, bleibt weitgehend im Dunkeln, da Tagungsdokumente entweder gar nicht oder viel zu spät veröffentlicht werden.
Ohne dauerhaften Druck und die Mobilisierung der öffentlichen Meinung gehören mühsam erkämpfte Teilerfolge für eine gerechtere und demokratischere Ausgestaltung der Lobbyregeln schnell wieder der Vergangenheit an. Aus diesem Grund entschlossen sich AK und ÖGB auch dazu, mit einer Vielzahl europäischer BündnispartnerInnen vor der Wahl zum Europäischen Parlament 2014 die Online-Kampagne „Politics for People“ ins Leben zu rufen. Europäische BürgerInnen konnten bei dieser Kampagne sämtlichen KandidatInnen aller wahlwerbenden Gruppierungen das Versprechen abverlangen, sich im Falle ihres Einzuges in das neue Europäische Parlament für sauberes Lobbying und gegen die Lobby-Übermacht von Multis und Finanzkonzernen einzusetzen. Es war eine Kampagne mit beachtlichem Erfolg: Insgesamt gaben 1.344 KandidatInnen dieses Versprechen ab, davon allein 163 aus Österreich. Von den 751 aktuellen Mitgliedern des Europäischen Parlaments hatten vorher 180 ihr Versprechen abgegeben, darunter 13 der 18 erfolgreichen österreichischen EU-ParlamentarierInnen. Eine starke Gruppe im Europäischen Parlament, auf der die Hoffnungen für die weitere politische Arbeit für sauberes Lobbying in Brüssel ruhen.
Die ersten Signale der neuen Juncker-Kommission sind mit vorsichtigem Optimismus zu sehen. Immerhin werden zum ersten Mal sämtliche Treffen von KommissarInnen und ihren KabinettsmitarbeiterInnen mit LobbyistInnen dokumentiert und veröffentlicht. Ein Vorschlag für ein verpflichtendes Lobbyregister wurde von der neuen Kommission für 2015 in Aussicht gestellt.

Webtipp:
„Europäisches Kräftemessen – europäische Kräfte messen“:
tinyurl.com/pgsakx3

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor amir.ghoreishi@akeuropa.eu oder die Redaktion aw@oegb.at

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Amir Ghoreishi, Leiter AK EUROPA (Büro Brüssel der Österreichischen Bundesarbeitskammer) Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658082089 Über 1.700 LobbyistInnen sind Tag für Tag in Brüssel damit beschäftigt, die Interessen von Banken und FinanzmarktakteurInnen zu vertreten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658081860 Und jährlich grüßt das Murmeltier Und jährlich grüßt das Murmeltier: Nach wirtschaftlichem Optimismus, worauf im nächsten Jahr ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufschwung einsetzen würde, folgt im Herbst die Ernüchterung. Die Erwartungen für Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum werden gesenkt. Jetzt müsse man noch konsequenter die „notwendigen Strukturreformen“ umsetzen und den Konsolidierungskurs fortführen, so die Botschaft des „europäischen Reformbündnisses“.

Hoffnung

2014 gab es kurz Grund zur Hoffnung. Zumindest kurzfristig hat es danach ausgesehen, als ob sich die wirtschaftspolitische Ausrichtung etwas ändern könnte. Mit dem moderaten Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, der bereits im Wahlkampf eine Investitionsoffensive zur Überwindung der Stagnation in den Raum stellte, keimte Hoffnung auf. Es schien im „europäischen Reformbündnis“ angekommen zu sein, dass der einseitige Kurs weder politisch noch ökonomisch erfolgreich ist. Mit der Veröffentlichung des jährlich erscheinenden Jahreswachstumsberichts der EU-Kommission, der gemeinsam mit seinen Begleitunterlagen den wichtigsten Orientierungspunkt für die kurzfristige wirtschaftspolitische Ausrichtung darstellt, folgte prompt die Enttäuschung. Das Herzstück war zwar, wie von Kommissionspräsident Juncker versprochen, ein neues Investitionspaket. Anstelle der erhofften, groß angelegten öffentlichen Investitionsoffensive enthielt es jedoch praktisch keine neuen Mittel. Stattdessen soll ein neuer Europäischer Fonds für strategische Investitionen (EFIS), der vergünstigte Finanzierungsinstrumente in erster Linie für private InvestorInnen bereitstellt, zig Milliarden an zusätzlichen Investitionen auslösen. Ein ähnliches Modell wurde aber bereits Mitte 2012 beschlossen – mit offensichtlich ausbleibendem Erfolg.
Ansonsten gibt der Jahreswachstumsbericht vor, die bisherige Politik fortzuführen, lediglich mit einer stärkeren Betonung von – zumeist recht unbestimmt bleibenden – Strukturreformen und graduell abgeschwächter Budgetkürzungspolitik. Zusammen mit der Investitionsoffensive ergeben sich so drei Säulen, auf denen die kurzfristige wirtschaftspolitische Ausrichtung nun fußt. Damit steht die europäische Wirtschaftspolitik weiterhin auf tönernen Füßen, die durch den neuerlich verschlechterten wirtschaftlichen Ausblick bereits wieder brüchig geworden sind. Ohne schwächeren Euro und fallenden Ölpreis wäre eine neuerliche Rezession in der Eurozone wahrscheinlich schon eingetreten.

Alternativen

Mit dem Ziel, Alternativen aufzuzeigen, wurde im Dezember heuer bereits zum dritten Mal der unabhängige Jahreswachstumsbericht (iAGS) veröffentlicht. Dieser wurde von einem europäischen Konsortium keynesianisch orientierter Forschungsinstitute, erstmalig unter Mitarbeit der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien, verfasst. Darin werden die anhaltenden ökonomischen, sozialen und politischen Probleme thematisiert. Als zentraler Lösungsansatz wird darin ein expansiver Impuls mittels öffentlicher Investitionen vorgeschlagen. Bleibt ein solcher aus oder wird er von Kürzungen an anderer Stelle wieder zunichtegemacht, werde die Arbeitslosigkeit in der Eurozone auch noch 2016 über zehn Prozent liegen, wird im Bericht gemahnt.

Nachfrageschwäche

Als Hauptgrund für den schleppenden Rückgang der Arbeitslosigkeit wird die selbst hervorgerufene Nachfrageschwäche ausgemacht. So wird insbesondere in Ländern wie Spanien der Druck auf die Löhne erhöht, was den privaten Konsum als wichtigste Nachfragekomponente schwächt. Außerdem sorgen die europäischen Fiskalregeln dafür, dass auch die öffentlichen Haushalte als Impulsgeber ausfallen. 2015 und 2016 könnte sich die restriktive Wirkung sogar wieder verstärken, da der eigentlich erforderliche weitere Defizitabbau nur mehr vorsichtig umgesetzt wird.

Drohende Deflation

Insgesamt leidet die Eurozone nach wie vor an den Folgen der Krise und ist weit von einer dynamischen Erholung entfernt. Ungleichheit und Armutsrisiken steigen. Zudem droht eine langwierige Phase zu niedriger Inflation, wobei für etliche Länder die drohende Deflation bereits Realität geworden ist. Dadurch schränkt sich aber auch die Möglichkeit zum Schuldenabbau ein. Die europäische Wirtschaftspolitik führt sich so ad absurdum. Ob die EZB durch den massiven Aufkauf von Staatsanleihen daran ausreichend etwas ändern kann, ist noch nicht abzusehen.
Weitere Kritikpunkte zum Jahreswachstumsbericht der Kommission: Die wirtschaftlichen Unterschiede der Mitgliedstaaten werden ausgeblendet und somit das europäische Projekt insgesamt gefährdet. Der anscheinend vorbereitete Versuch, die Mitgliedstaaten zu „Strukturreformen“ zu verpflichten, die beispielsweise auf den Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten beziehungsweise Arbeitsmarktstandards sowie Kürzungen im Pensions- und Gesundheitsbereich hinauslaufen, sei mehr eine gefährliche Drohung denn eine Lösung. Auch der von Juncker angekündigte Investitionsplan wäre nicht nur zu wenig, sondern in Teilen sogar kontraproduktiv, da er sich durch die Kombination von Deregulierung und Orientierung an den Interessen privater InvestorInnen als neoliberales trojanisches Pferd erweisen könnte.
Einen weiteren Schwerpunkt im iAGS bildet die langfristig steigende Konzentration der Vermögen in Europa, die durch die bahnbrechende Arbeit von Thomas Piketty nun weltweit als strukturelles Problem diskutiert wird. Seit Aus-bruch der Wirtschafts- und Finanzkrise hat man zudem erkannt, dass die Vermögensverteilung für die finanzielle Stabilität volkswirtschaftliche Bedeutung hat. In der Eurozone besitzt die Hälfte der Haushalte ein Nettovermögen (Ver-mögen abzüglich der Schulden) von weniger als 109.000 Euro. Der Durchschnitt liegt allerdings mehr als doppelt so hoch bei rund 231.000 Euro. Dieser große Unterschied ist ein starker Ausdruck für die ungleiche Verteilung der Vermögen innerhalb der Eurozone. Die ärmsten zehn Prozent haben ein Nettovermögen von unter 1.000 Euro, während die reichsten zehn Prozent mehr als 500.000 Euro besitzen.

Expansive Budgetpolitik

Ohne Änderung des makroökonomischen Rahmens werden sich Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut weiter verfestigen. Während der Geldpolitik weiterhin eine wichtige Rolle zukommt, braucht es eine expansive Budgetpolitik. Zumindest braucht es eine goldene Investitionsregel, sodass öffentliche Investitionen nicht mehr in Konflikt mit den europäischen sowie nationalen Fiskalregeln geraten können. Sozialen und ökologischen Investitionen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Bei Unterauslastung der Wirtschaft kann die Erholung nur durch einen Nachfrageimpuls gelingen, nicht durch Strukturreformen. Angesichts unsicherer Absatzerwartungen wird dieser nicht von den privaten Investitionen kommen, aufgrund der Massenarbeitslosigkeit ebenso wenig vom Konsum. Bleiben die öffentlichen Investitionen, wo der Bedarf (sozialer Wohnbau, öffentlicher Verkehr, Energieeffizienz, ökologische Transformation, Kommunikationstechnologien, Bildung, Sozialarbeit, Kinderbetreuung, Pflege) hoch und die Finanzierung günstig ist.

Vermögensungleichheit

Die lang anhaltende Schwäche der Nachfrage ist auch durch steigende Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen bedingt. Die sparfreudigen oberen Gruppen verzeichnen kräftige Zuwächse, die konsumfreudigen unteren Gruppen Verluste. Dies droht sich weiter zu verschärfen, weil die steigende Arbeitslosigkeit die Entwicklung der Leistungseinkommen aus Arbeit dämpft, während die leistungslosen Kapitaleinkommen nach ganz oben fließen. Deshalb sind die Steuern auf Vermögen anzuheben und Steuervermeidung zu bekämpfen, nicht zuletzt, um langfristig höhere Ausgaben für Kindergärten, Bildung, Sozialarbeit und Pflege zu ermöglichen.

Weitere Infos finden Sie unter:
tinyurl.com/obnc439

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Georg Feigl, Abteilung Wirtschaftswissenschaft AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658081854 Die EU-Wirtschaftspolitik wird weiterhin Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut produzieren. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658081916 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658081833 Europa ist auf die Probe gestellt Am 1. Jänner 1995 wagte die Republik Österreich den großen Schritt und trat der Europäischen Union bei. Im Jahr zuvor, im Juni 1994, sprachen sich zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher im Rahmen der EU-Volksabstimmung für den Beitritt aus. Große Hoffnungen wurden in dieses Projekt gesetzt. Es waren vor allem die jungen Menschen, die den Beitritt mit der Freude verbanden, frei reisen und im europäischen Ausland studieren, arbeiten und leben zu können. Mittlerweile ist genau das und vieles mehr zur Realität geworden: Reisen ohne Passkontrolle am Grenzübergang, billiges Telefonieren im Ausland, die Möglichkeit, sich überall in der Union niederzulassen, unsere gemeinsame Währung, das Bewusstsein über gemeinsame europäische Werte, die EU-Grundrechtecharta und ein hohes Maß an KonsumentInnenschutz in allen Mitgliedstaaten, um einleitend nur einige Punkte zu nennen.

Enorme Aufwertung

Seither hat sich die Europäische Union institutionell massiv verändert. Durch den Vertrag von Lissabon – das Überbleibsel der angestrebten, aber gescheiterten EU-Verfassung – wurde das EU-Parlament im Jahr 2009 enorm aufgewertet, dem Rat der Mitgliedstaaten in weiten Teilen gleichgestellt und seine Handlungsfähigkeit ausgebaut. Auch das Jahr 2014 war ein demokratiepolitischer Meilenstein. Durch die Wahl zum Europäischen Parlament am 25. Mai 2014, bei dem erstmals SpitzenkandidatInnen der Parteien auch für das Amt des Kommissionspräsidenten antraten, erfuhr die Union eine neue demokratische Qualität. Zum ersten Mal in der Geschichte der Union ist der Präsident der EU-Kommission durch eine Wahl demokratisch legitimiert. Am Beispiel der SpitzenkandidatInnen bei der EU-Wahl 2014 zeigt sich, wie Demokratisierung abseits der Entscheidungsmacht der Staats- und RegierungschefInnen funktionieren und Erfolg haben kann.
Fakt ist, dass Österreich in den vergangenen 20 Jahren vom Rand in die Mitte der Union gerückt ist. Der Beitritt und die neue volkswirtschaftliche Ausrichtung Österreichs auf den europäischen Binnenmarkt bescherten unserem kleinen Land eine Verdoppelung unserer Exporte, an denen Hunderttausende Arbeitsplätze hängen. Jeglicher Kritik zum Trotz: Österreich hat wirtschaftlich in hohem Maße davon profitiert.
Seit dem Beitritt ist viel Wasser die Donau, die Weichsel und den Rhein hinabgeflossen. Die Welt, in der wir leben, wurde mehr und mehr zu einer globalisierten. Und während die Zahl der EU-Mitgliedstaaten auf 28 anwuchs, wurde jenes Szenario zur Realität, das das gesamte europäische Projekt mitsamt ihrer Zukunftsfähigkeit auf die Probe stellt. Probleme auf den unkontrollierten Finanzmärkten liefen auf die Weltmärkte über und trafen Europas Wirtschaft mit voller Wucht. Seit nunmehr sieben Jahren steckt die Europäische Union – ausgehend von der Finanzkrise in den USA – in der schlimmsten wirtschaftlichen Krise ihrer Geschichte. Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Teilen der Union so hoch wie nie zuvor – rund 24 Millionen Menschen in der EU waren Ende 2014 ohne Job –, und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Ein Leben in Armut wurde für zu viele Menschen zum Alltagskampf. In Griechenland leben mehr als 500.000 Kinder unter der Armutsgrenze und die öffentliche Gesundheitsversorgung wurde in die Funktionslosigkeit gespart.

Sparen ist der falsche Weg

Gleichzeitig werden die Stimmen all jener lauter, die das europäische Projekt samt unserer Gemeinschaftswährung auf dem Boden liegend sehen und längst zum Scheitern verurteilt haben. Klar ist, dass die einseitige Sparpolitik als konservativ-neoliberales Rezept für die krisengebeutelten Mitgliedstaaten der falsche Weg war. Viele der auf EU-Ebene ins Leben gerufenen Maßnahmen und Initiativen erwiesen sich als unwirksam und haben Probleme in weiten Teilen der Union zusätzlich verschärft. Vielerorts bleibt die wirtschaftliche Nachfrage nach wie vor aus. Sinkende Einnahmen und gekürzte Löhne einerseits, Staatsschulden und gedrosselte öffentliche Sozialausgaben andererseits sind die Konsequenzen der Sparauflagen.
Dass daraus kein Wachstum resultiert, ist wenig überraschend. Sparzwang verhindert sinnvolle Investitionen in die Realwirtschaft und macht Wachstum unmöglich. Sparzwang schmälert Löhne und beschneidet die Verhandlungs-macht der Beschäftigten. Solange sich die Staaten im Würgegriff des Fiskalpakts befinden und an die strengen Defizitregeln gebunden sind, haben sie innerhalb des EU-Rechts keine Möglichkeit, die dringend notwendigen Investitionen in beschäftigungsintensive und nachhaltige Zukunftsprojekte zu tätigen.

Richtungsweisende Investitionen

Die im Herbst vergangenen Jahres neu besetzte EU-Kommission unter der Führung des Luxemburgers Jean-Claude Juncker hat sich nach massivem sozialdemokratischem Druck zum Ziel gesetzt, „es diesmal anders zu machen“. Anders bedeutet für Juncker und Co., sich künftig um die großen Probleme in Europa zu kümmern und Europas Wirtschaft mit neuen Investitionen aus der Krise heraus und zurück in die Wachstumsphase zu führen.
Nicht nur Juncker und seine KommissarInnen, sondern auch die Staats- und RegierungschefInnen der Mitgliedstaaten wissen, dass die nächsten zwei, drei Jahre entscheidend dafür sein werden, ob das europäische Projekt seine trotz allem hohe Legitimation behält. Nach sieben Jahren der Krise ist der im vergangenen Herbst präsentierte Investitionsplan in Höhe von 315 Mrd. Euro richtungsweisend, um die EU zurück auf Kurs zu bringen – auch um das verloren gegangene Vertrauen der BürgerInnen zurückzugewinnen. Der Investitionsplan wurde nach langem Drängen der europäischen SozialdemokratInnen vorgebracht und ist auch ein Zugeständnis an all jene Kräfte, die die politischen Krisenrezepte der letzten Jahre als dysfunktional und grundlegend falsch einstufen. Ob der geplante Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) tatsächlich funktioniert und der Hebeltrick zur Akquirierung der rund 300 Mrd. Euro aufgeht, wird sich zeigen. Ausständig ist leider immer noch die sogenannte „Golden Rule“, um Direktinvestitionen der öffentlichen Hand – etwa in Infrastruktur, Bildung oder Forschung – aus den Defizitregelungen auszunehmen.

Wohin geht Europa?

Neben den sozioökonomischen Folgen hat die Krise auch Konsequenzen institutioneller Natur mit sich gebracht und die EU gewissermaßen zu mehr Integration gezwungen. Dies äußerte sich etwa in der Schaffung der europäischen Bankenaufsicht, um das Pleitegehen systemrelevanter Geldinstitute künftig vorhersehen und verhindern zu können. Mögliche Kosten sollen künftig von den Banken selbst getragen werden.
Der nächste Integrationsschritt muss eine Harmonisierung in Teilen der Steuerpolitik sein, die derzeit nationalstaatlich geregelt ist. Die Enthüllungen der Lux-Leaks-Affäre haben einmal mehr aufgezeigt, wie schamlos sich internationale Konzerne der Tricks zur Vermeidung und Hinterziehung von Steuern bedienen. Nicht ohne Grund haben die europäi-schen SozialdemokratInnen das im EU-Wahlkampf immer wieder thematisiert. Denn jährlich gehen an die 1.000 Milli-arden Euro durch die Steuertrickserei verloren. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle, vor allem in der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der Handlungsbedarf ist bekannt: Gewinne sind dort zu besteuern, wo sie erwirtschaftet werden. Der Kampf gegen Steuerbetrug kann nur auf europäischer Ebene effektiv bestritten werden.

Gigantische Herausforderungen

Europa hat nun die gigantischen Herausforderungen – die Krisenbewältigung, die Schaffung von Steuergerechtigkeit und die Weiterentwicklung zur Sozialunion – erfolgreich zu meistern. Das verloren gegangene Vertrauen der Bürge-rInnen aufgrund von neoliberaler Sparpolitik muss wiedererlangt werden. Die BürgerInnen und insbesondere die Ar-beitnehmerInnen müssen den Nutzen der EU im täglichen Leben spüren können. Letztlich wird das europäische Pro-jekt an seinen Erfolgen gemessen und es ist höchst an der Zeit, die politische Arbeit nicht nur auf das Reagieren und Abfedern von Problemen, sondern auf eine proaktive Herangehensweise zum Nutzen aller auszurichten.

Webtipp:
EU-Homepage von Evelyn Regner:
evelyn-regner.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin evelyn-regner@europarl.europa.eu  oder die Redaktion aw@oegb.at

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Evelyn Regner, Abgeordnete zum Europäischen Parlament, geschäftsführende Delegationsleiterin der SPÖ im EU-Parlament Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658081819 Es ist höchst an der Zeit, die Arbeit nicht nur auf das Reagieren und Abfedern von Problemen, sondern auf eine proaktive Herangehensweise zum Nutzen aller auszurichten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658081727 Die soziale Dimension Der Europäische Gewerkschaftsbund EGB forderte 1988 mehrmals eine „EG-Charta für soziale Grundrechte“ – einklagbar vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Zeitpunkt kam nicht von ungefähr, denn in Europa begann die Hochphase der neoliberalen Wende. Es galt entgegenzusteuern und den Kampf um den europäischen Sozialstaat aufzunehmen.
Auch wenn beim europäischen Zusammenschluss immer die Wirtschaftsinteressen im Zentrum standen, sah man bis in die 1980er-Jahre hinein keinen Grund, das europäische Sozialstaatsmodell infrage zu stellen – im Gegenteil.
Um es in den Mitgliedstaaten zu stabilisieren, legten zum Beispiel schon die Römischen Verträge von 1957, die unter anderem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die ersten gemeinsamen europäischen Koordinationsorgane schufen, die Errichtung des Europäischen Sozialfonds (ESF) fest.

Als der französische Sozialdemokrat Jacques Delors 1985 die Präsidentschaft der Europäischen Kommission mit dem Ziel antrat, den Entwicklungsprozess von den „Europäischen Gemeinschaften“ zur Europäischen Union zu beschleunigen, ging er von der Notwendigkeit eines sozialen Europas aus und prägte den Begriff der „sozialen Dimension“:
Die soziale Dimension durchdringt alle unsere Diskussionen und Aktivitäten. Denken Sie, welche Stärkung es für Demokratie und soziale Gerechtigkeit wäre, wenn wir beweisen könnten, dass wir zur Zusammenarbeit fähig sind, um eine Gesellschaft mit besserer Integration für alle zu schaffen.

Die volle rechtliche Absicherung der „sozialen Dimension“ gelang allerdings nicht. Die Mehrheit der Staaten, die am Einigungsprozess teilnahmen, hatte bereits die neoliberale Wende vollzogen und Großbritannien blockierte 1989 die Verankerung einer „Charta der sozialen Grundrechte“ im EU-Vertrag, der 1991 in Maastricht unterzeichnet wurde.
Die anderen elf EU-Staaten vereinbarten daraufhin das sogenannte „Sozialprotokoll“ und das „Maastrichter Abkommen über die Sozialpolitik“. Dass wenigstens dies erreicht wurde, war angesichts der Umstände ein großer Erfolg des EGB, der durch eine Vereinbarung mit den europäischen Arbeitgeberverbänden im Rahmen des 1987 eingeführten „sozialen Dialogs“ möglich wurde.

Delors’ Nachfolger hatten keinerlei Interesse an der Stärkung der „sozialen Dimension“. Zwar wurde das Sozialprotokoll 1998 in den neuen EU-Vertrag von Amsterdam integriert und damit die sozialpolitischen Kompetenzen der EU-Ebene ausgeweitet, aber das hatte angesichts neoliberaler Politik wenig praktische Bedeutung. Immerhin konnten die europäischen Richtlinien zur Sozialpolitik im Rahmen des sozialen Dialogs verbessert und andere – wie die Grundlage für den Europäischen Betriebsrat – neu geschaffen werden.
Durch den Vertrag von Lissabon erfolgte dann doch ab 2009 die Anerkennung der neuen „Europäischen Grundrechtecharta“ als Teil des EU-Vertrags. Damit wurden die hier verankerten Gewerkschaftsrechte und sozialen Rechte einklagbar. Viele bezweifeln aber, ob das zur Verteidigung des europäischen Sozialstaats ausreicht.

Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Brigitte Pellar Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658081761 Der ÖGB befürwortete Österreichs EU-Beitritt mit dem Vorbehalt, dass soziale Verschlechterungen abgewehrt werden müssten. Die Währungsunion sah er, wie die gesamte europäische Gewerkschaftsbewegung, ohne soziale "Konvergenzkriterien" dagegen kritisch. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658080951 AK: Bedarf an mehr und besseren ganztägigen Schulen Der Ausbau der ganztägigen Schulen muss zügig fortgesetzt werden, und dabei muss vor allem die Qualität des Betreuungsangebots im Vordergrund stehen. Das zeigt eine AK-Befragung unter berufstätigen Müttern mit Schulkindern. 33 Prozent der Kinder von vollzeitbeschäftigten Frauen haben einen Platz in der schulischen Nachmittagsbetreuung, im Hort oder in einer Ganztagsschule – um vier Prozent mehr als bei einer AK-Befragung im Jahr 2009.
Viele Frauen können nur in Teilzeit arbeiten, weil ein durchgängiges Betreuungsangebot fehlt. Von den Kindern Teilzeitbeschäftigter haben 23 Prozent einen Platz in der schulischen Nachmittagsbetreuung, im Hort oder in einer Ganztagsschule. Entsprechend groß ist der Anteil der Eltern, die für ihre Kinder private Betreuung organisieren müssen, meist durch Großeltern oder ältere Geschwister. Für 38 Prozent der Kinder Vollzeitbeschäftigter gibt es am Nachmittag ausschließlich private Betreuung – immerhin um fünf Prozent weniger als 2009. Für Teilzeitbeschäftigte liegt dieser Wert fast bei der Hälfte (48 Prozent). 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten und 92 Prozent der Teilzeitbeschäftigten nutzen entweder ständig oder zumindest zeitweise private Betreuung. Am stärksten nehmen Alleinerzieherinnen und wenig Qualifizierte die private Betreuung im Familienkreis in Anspruch, weil ihnen die Kosten für die Betreuung in Schule oder Hort zu hoch sind. Zudem gibt es in ländlichen Regionen zu wenig Betreuungsangebote in Schule oder Hort.
Probleme haben die Eltern mit der Qualität der Betreuung ihrer Kinder in Schule oder Hort – ausgenommen ist die echte Ganztagsschule mit der Verschränkung von Unterricht und Freizeit über den ganzen Tag. Die echte Ganztagsschule übertrifft alle anderen Betreuungsformen von Schulkindern punkto Lernunterstützung und Erledigung der Hausübungen.

„Beim Ausbau der ganztägigen Schulen muss jetzt vor allem auf die Qualität des Angebots geachtet werden“, sagt AK-Präsident Rudi Kaske. Fortschritte sieht er in den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung: „Aber wir brauchen weitere Verbesserungen.“ Notwendig sei überdies eine soziale Schulfinanzierung. SchülerInnen, denen die Eltern nicht so gut beim Lernen helfen können, brauchen mehr Unterstützung durch die Schule. Kaske: „Auch das geht am besten durch ganztägige Schulen, in denen gezielt Förderung geboten wird.“

Mehr Infos unter:
tinyurl.com/qzwafuj

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Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658080948 GPA-djp: Dreiste Inserate veröffentlicht Bald 30.000 Klicks und inzwischen 150 konkrete Meldungen auf der „Watchlist Praktikum“ bestätigen den enormen Handlungsbedarf. „Es werden die unglaublichsten Erlebnisse von Nicht- und Unterbezahlung gemeldet“, berichtet Veronika Kronberger von „Plattform Generation Praktikum“. „Für eine Reihe von Unternehmen ist es offensichtlich ganz normal, BerufseinsteigerInnen auszubeuten. In vielen Fällen zeichnet sich das schon in den Inseraten ab, in denen ganz unverhohlen hohe Qualifikationen und Flexibilität zum Billigst- oder sogar zum Nulltarif gefordert werden.“
„Ausschreibungen lassen Rückschlüsse auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu, sind also ein erster Indikator dafür, ob PraktikantInnen angemessen und rechtskonform behandelt werden“, so Karl Proyer, stellvertretender Bundesgeschäftsführer der GPA-djp. Seit Kurzem werden auch Inserate genau unter die Lupe genommen.
„Es ist wirklich abenteuerlich, wie krass das Verhältnis zwischen Leistung und Entlohnung ist, während besonders findige Unternehmen auch noch von einer sogenannten marktüblichen Bezahlung sprechen. Wir haben uns deswegen dazu entschlossen, besonders dreiste Inserate öffentlich zu machen – die Unverfrorenheit, mit denen manche Arbeitgeber glauben, das Arbeitsrecht umgehen zu können, lässt uns ja gar keine andere Wahl“, so Proyer weiter. Ein Praktikum, das sich als verstecktes Arbeitsverhältnis entpuppt, muss selbstverständlich laut Kollektivvertrag oder zumindest laut ortsüblichem Entgelt entlohnt werden.

Mehr Infos unter:
www.watchlist-praktikum.at

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Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658080945 AK: Gesundheitsgefahr Ungleichheit Deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund klagen über „erhebliche Schmerzen im letzten Jahr“. Eine aktuelle Studie des Gesundheitsministeriums und der AK zeigt: Während dies bei 34 Prozent der Frauen und 34 Prozent der Männer ohne Migrationshintergrund zutrifft, liegt die Zahl bei Männern mit Migrationshintergrund bei 41 Prozent und bei Frauen bei 44 Prozent. Deutliche Unterschiede gibt es bei der Prävention: So nutzten etwa 70 Prozent der Frauen über 40 Jahre ohne Migrationshintergrund die Mammografie, bei den Frauen mit Wurzeln in der Türkei oder im ehemaligen Jugoslawien waren es nur 52 Prozent.
Zentral seien entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote für die Beschäftigten der Gesundheitsberufe, so AK-Präsident Rudi Kaske: Ansätze zu mehr Diversität im Gesundheitswesen gibt es bereits. „Solche Initiativen brauchen mehr Unterstützung und wir müssen jetzt den nächsten Schritt tun: mehr Studien zum Thema, die gesammelten Erfahrungen auswerten und dann eine umfassende Diversitätsstrategie für alle Beteiligten entwickeln“, so Kaske.
„Wer weniger verdient, hat weniger Zeit und Geld, um etwas für seine Gesundheit zu tun, und ist häufig auch noch im Beruf durch harte Arbeit besonders belastet“, sagt Kaske. „Das gilt gerade auch für Migrantinnen und Migranten, von denen viele eher zu den unteren Einkommensgruppen gehören“, so Kaske. „Wirksame Gesundheitsvorsorge fängt deshalb vor allem bei der Beseitigung von sozialer Ungleichheit an“, so der AK-Präsident.

Mehr Infos unter:
tinyurl.com/p8oxkbu

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Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658080918 Was uns Steueroasen kosten Steueroasen erfreuen sich nach wie vor größter Beliebtheit. Lange Zeit war nicht bekannt, wie viel Geld tatsächlich auf den Cayman Islands und Co. gehortet wird.
Nun hat der französische Wirtschaftswissenschafter Gabriel Zucman, Assistent Professor an der London School of Economics, nachgerechnet. Seine wichtigsten Ergebnisse, publiziert unter dem Titel „Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird“, hat er bei seiner Buchpräsentation in der AK Wien kurz skizziert.
Das weltweite private Finanzvermögen – also Bankguthaben, Spareinlagen, Aktien und Anleihen, Anteile an Investmentfonds und Versicherungsverträge von Privatpersonen abzüglich der Schulden – beträgt 73.000 Milliarden Euro. Davon lagern acht Prozent in den diversen Steueroasen, in Summe also 5.800 Milliarden Euro. Um diese Summe vorstellbar zu machen: Nimmt man an, dass der Bau eines Einfamilienhauses rund 400.000 Euro kostet, könnte man mit diesem Geld 14,5 Millionen Einfamilienhäuser bauen. Dabei handelt es sich sogar noch um eine Minimalschätzung, da Zucman etwa Bargeld, das in den Bankschließfächern liegt, nicht berücksichtigt.
Den Staaten rund um den Erdball entstehen dadurch unerträglich hohe Steuerverluste, nämlich weltweit 130 Milliarden Euro im Jahr. Viele Budgetlöcher könnten mithilfe dieser Summe ganz rasch gestopft werden.

Die Veranstaltung können Sie hier nachsehen:
tinyurl.com/me2n4ba

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Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658080923 Der französische Wirtschaftswissenschafter sieht Vermögenssteuern als "Teil eines optimalen Steuersystems" an. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658080909 Standpunkt | Soziales Europa längst überfällig Es kann doch nicht der Sinn von Europa sein, dass Diabetes-Kranke ihre Medikamente nicht mehr bekommen.“ Es ist inzwischen schon drei Jahre her, dass mein Mitbewohner und ich in unserem kleinen Pariser Appartement kopfschüttelnd eine entsprechende Nachricht aus Griechenland kommentierten. Dass wir dieses Gespräch überhaupt miteinander führen konnten, hat sehr viel mit der Europäischen Union zu tun. Immerhin habe ich es einem Programm namens Erasmus zu verdanken, dass es mich überhaupt erst nach Frankreich verschlagen hat. Vor drei Jahren verbrachte ich ein paar Monate in Paris, um die französische Präsidentschaftswahl aus der Nähe mitzuverfolgen – und landete in ebendiesem kleinen Appartement, in dem erwähntes Gespräch stattfand.

Übertönt

Erst kürzlich besuchte mich dieser ehemalige Mitbewohner in Wien, und als wir über die Wahlen in Griechenland diskutierten, fiel uns ebendiese Diskussion wieder ein. Es war für uns beide wie ein Schlag in die Magengrube, denn bekanntermaßen ist die Lage in Griechenland seither noch viel schlechter geworden. Seit Ausbruch der Krise sind die Schulden in Griechenland von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 175 Prozent gewachsen. Die Wirtschaft ist um ein Viertel zurückgegangen. Die Löhne und Einkommen wurden um 35 bis 40 Prozent gesenkt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 25,8 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 50,6 Prozent. Der Mindestlohn ist um 20 Prozent gesenkt worden. Ein Drittel ist offiziell nicht mehr krankenversichert, inoffiziell sollen es 50 Prozent sein. Die Kindersterblichkeit ist um 43 Prozent gestiegen und die Selbstmordrate um 45 Prozent. Und das in einem Land der Europäischen Union? Eine große Überraschung ist dies eigentlich nicht. Allein, die Stimmen der MahnerInnen wurden von den VertreterInnen des neoliberalen Sparkurses lautstark übertönt.
Die EU: ein Friedensprojekt, das die Länder Europas auf eine Art und Weise zusammengebracht hat, die einzigartig in der Geschichte der Menschheit ist. So zumindest lauten die Lobeshymnen, die anlässlich unterschiedlicher Jahrestage gerne gesungen werden – und dies auch zu Recht. Dass Österreich dieser Gemeinschaft im Jahr 1992 beigetreten ist, war eine richtige Entscheidung. Schon damals aber schienen die Bemühungen linker Kräfte für ein soziales Europa wie ein Kampf gegen Windmühlen. Heute trösten sich viele mit Strategien, die zukunftsweisende Namen wie „Europa 2020 – eine neue Wachstumsstrategie für Europa“ tragen. Kaum jemand will sich eingestehen, dass diese kaum mehr als die Funktion eines Feigenblatts erfüllen.
Nein, ein solches Europa ist nicht unser Europa, und schon gar nicht soll es das Europa der Zukunft sein: Darin sind sich mein ehemaliger Mitbewohner und ich einiger denn je. Es ist nicht unser Europa, wenn es Menschen in die Armut drängt, junge Menschen zur Arbeitslosigkeit verdammt und als einzige Zukunftsperspektive das Sparen anbietet. Stattdessen gehören wieder positive Perspektiven auf die Tagesordnung der EU. Europa muss wieder gleiche Chancen für alle anstreben und die gerechte Teilhabe der Menschen am Reichtum – und nicht die weitere Zuspitzung von Ungleichheiten, wie wir sie aktuell erleben. Unabdinglich dafür ist eine Änderung der aktuellen Wirtschaftspolitik.

Chancen

Nicht zuletzt darf Bildung in Europa nicht wieder zum Privileg werden, sondern muss endlich wieder als zentrales Instrument erkannt werden, um Chancengleichheit zu ermöglichen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass nicht nur Studierende, wie ich sie eine war, sondern auch Lehrlinge in den Genuss des europäischen Austausches und der damit verbundenen Chancen kommen. Auf dass auch sie eines Tages mit europäischen AltersgenossInnen an einem Tisch sitzen und gemeinsam darüber nachdenken, welches Europa das Europa der Zukunft sein soll – und sich vielleicht sogar dafür einsetzen, dass ihre Vision zur Realität wird.

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1399998668698 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658077752 Erasmus mit Gürkchen Breite Zustimmung: Am 12. Juni 1994 sagten 66,6 Prozent der Bevölkerung bei der österreichischen Volksabstimmung Ja zur EU. Meine Großmutter, Jahrgang 1906, zwar schon bettlägerig, aber geistig aktiv, nahm den offiziellen EU-Beitritt am 1. Jänner 1995 durchaus zur Kenntnis. Doch das Kürzel für die Europäische Union blieb bei ihr ein gesprochenes „Äui“. Fünf Jahre später verhängte die „Äui“ Sanktionen gegen Österreich – der schwarz-blauen Regierung wegen. Schwarz-Blau-Gegner fanden das mehrheitlich gut, konservative EU-Gegner fühlten sich in ihrer Meinung bestärkt. Jene, die den Euro immer noch in Schilling umrechnen, träumen von der Rückkehr der alten Währung. Die Umsetzung des Schengener Abkommens, das bei den beteiligten Staaten die Abschaffung der Grenzbalken mit sich brachte und ärgerliche Zollkontrollen vergessen ließ, schürte wiederum Ängste im Lande der Seligen – Stichwort „Ost- und Bettelmafia“ oder Pink-Panther-Bande. PolitikerInnen, die wieder geschlossene Grenzbalken – vor allem gen Osten – fordern, sind leider keine Seltenheit.

Beflügelt

Trotz allem: Im März 2014 gaben 64 Prozent an, in der EU bleiben zu wollen (Umfrage Österreichische Gesellschaft für Europapolitik, ÖGfE). Die höchste Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft erreichte 80 Prozent (2002), der stärkste Austrittswunsch lag 2008 bei 33 Prozent. Reise- und Arbeitsfreiheit haben die Europäer beflügelt. Aus dem südfranzösischen Toulouse kam Nathalie A. vor 16 Jahren nach Wien, um einerseits als Sprachassistentin zu arbeiten und andererseits über das Wien in der Jahrhundertwende für die Universität in Frankreich zu recherchieren. Die Französin blieb und erfuhr nach rund einem Jahr in Österreich, dass sie eine Bescheinigung benötigt. „Die Beamten bei der Behörde sagten mir, ich sei illegal hier – das war ein Schock, ich dachte, dass man in der EU gar nichts braucht. Ich musste beweisen, dass ich genug verdiene und sozialversichert bin.“ Einer Geldstrafe entging sie nur knapp. Heute arbeitet die 44-Jährige als Französischlehrerin, ihren französischen Mann, der erst viel später nach Österreich kam, hat sie hier kennengelernt. Für ihren Sohn, der in Wien auf die Welt kam, aber französischer Staatsbürger ist, musste Nathalie A. bei der MA 35 – Einwanderung und Staatsbürgerschaft – eine EWR-Anmeldebescheinigung und die Daueraufenthaltsbescheinigung beantragen. „Mit der Europäischen Union ist das Reisen einfacher und ich denke auch billiger geworden, aber für mich war vor allem die Einführung des Euro sehr wichtig, weil ich immer mit zwei Geldbörsen unterwegs war und stets Münzen vergessen habe“, erzählt die Französin. Ab 1. Jänner 2002 löste der Euro den Schilling als Zahlungsmittel ab.
Früher hat Nathalie A. immer viele Käsesorten von ihren Aufenthalten daheim in Frankreich nach Wien mitgebracht. „Jetzt gibt es in den Supermärkten gute französische Käsespezialitäten, Butter mit Salz und auch endlich Cornichons“, freut sich Nathalie A. über französischen Käse und die kleinen Gürkchen. Andere in Österreich haben mit der EU den Zuzug der süßen Nektarine oder des argentinischen Rindfleisches begrüßt. Bis zum EU-Beitritt wurde die Einfuhr von Waren nach Österreich reglementiert. Viele Produkte waren nur eingeschränkt verfügbar, vor allem, um die heimischen Produzenten vor allzu großer Konkurrenz zu schützen. Seit dem Beitritt können Supermarkt-Ketten nach Belieben zukaufen – das wirkt sich auf die Angebotsvielfalt und Preise aus. Brot ist bei uns etwa teurer als in Frankreich, und wenn Nathalie A. in Wien Kaffeetrinken geht, muss sie hier mehr bezahlen als in ihrem Heimatland.

Ungleichgewicht

Der AK-Monitor stellt regelmäßig ein Ungleichgewicht zwischen Preisen aus Deutschland und Österreich fest. Im vergangenen Jahr war ein Warenkorb mit 165 gleichen Drogeriewaren in Wien um durchschnittlich 53,2 Prozent teurer als in München (Verkauf in Super- und Drogeriemärkten). KonsumentInnen im benachbarten Ausland müssen für den Warenkorb durchschnittlich 457,79 Euro zahlen, in Wien aber stolze 701,40 Euro. „Der Österreich-Aufschlag lässt sich nicht wegleugnen“, weiß AK-Konsumentenschützerin Gabriele Zgubic. „Unfassbar, aber alle verglichenen Drogeriewaren sind in Wien im Schnitt teurer als in München.“ Auch bei Lebensmitteln ist die Lage vergleichbar.

Wanderungen

Während Nathalie A. nach Österreich gekommen ist, hat es 7.000 ÖsterreicherInnen nach Frankreich gezogen. In Deutschland leben 249.768, im Vereinigten Königreich (GB) 25.000, in Ungarn 5.153, in der Tschechischen Republik 3.435, in Litauen und Lettland aber nur je 30 und 40 AuslandsösterreicherInnen. Und anders herum: Lebten 1995 noch rund 18.000 EU-BürgerInnen in Österreich, sind es heute 518.000. Die größte Gruppe kommt mit 230.000 Menschen aus Deutschland (Zahlen Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres bzw. Statistik Austria). Der gebürtige Deutsche Moritz Ziegler, 35, übersiedelte vor sieben Jahren nach Wien. „In Österreich ist alles familiärer“, meint der Grafiker aus Bayern: „Die Kollegen bei der Zeitung sind nicht so distanziert wie in Deutschland.“
Wie viele Menschen hatte Ziegler erst seine Schwierigkeiten mit der Bürokratie: Als es in seiner Wiener Wohngemeinschaft, die nur aus Deutschen bestand, bei einem Fest ein bisschen lauter wurde, gab es von der Polizei gleich eine Anzeige. Die gängige Wiener Regelung „Drehen Sie halt ein bisschen leiser“ galt für die Deutschen offenbar nicht. Mit der Strafverfügung wegen Ruhestörung erhielt der Grafiker auch noch eine Strafe wegen Verstoßes gegen das Meldegesetz. Inzwischen hat sich Ziegler mit Österreich versöhnt. Er schätzt die Lebenskultur, Gemütlichkeit und: „In den letzten Jahren ist Wien etwas weltoffener geworden.“ In seiner Fußballrunde spielen neben Österreichern und Deutschen auch Männer aus Eritrea, dem Kosovo und Kroatien. Ziegler: „Wir sind ein richtiger Wohlfühlverein.“
Wer nicht wie Moritz Ziegler oder Nathalie A. aus den EU-Staaten zum Arbeiten nach Österreich kommt, ist oftmals StudentIn und nutzt das Erasmus-Programm. Jährlich werden Zigtausende europäische StudentInnen mithilfe dieser Förderung mobil, die Teilnehmerzahl steigt. Im Studienjahr 1995/1996 lernten rund 2.300 österreichische StudentInnen an anderen europäischen Hochschulen. Im Studienjahr 2012/2013 absolvierten bereits ganze 5.800 ÖsterreicherInnen (Zahlen des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, BMWFW) im Rahmen des LL-Programms (LLP – Lebenslanges  Lernen, von 2007 bis 2013) einen Studienaufenthalt oder ein Praktikum im Ausland.
Die beliebtesten Zielländer für österreichische StudentInnen im Studienjahr 2012/2013 waren Spanien, gefolgt von Frankreich, Schweden, dem Vereinigten Königreich (GB) und Deutschland. Studierendenpraktika wurden vor allem in Deutschland, dem Vereinigten Königreich (GB) und in der Schweiz absolviert. Insgesamt waren 2014 rund 74.000 Studierende mit einem Erasmus-Programm unterwegs. Auch Lehrlinge werden gefördert, wenn sie ins Ausland gehen möchten. Bislang absolvierten 5.000 österreichische Lehrlinge ein Praktikum in einem anderen EU-Land. Mit dem EU-Programm Leonardo da Vinci werden diese Auslandspraktika gefördert. Pro Jahr nutzen rund 450 österreichische Lehrlinge diese Möglichkeit. Kapazität gäbe es für knapp doppelt so viele.

Austausch

Seit 2014 läuft das neue EU-Programm Erasmus+ für Bildung, Jugend und Sport, das u. a. die fünf Drittstaatenprogramme „Erasmus Mundus“, „Tempus“, „Alfa“, „Edulink“ und „Programm für die Zusammenarbeit mit industrialisierten Ländern“ vereint. Neuerungen sind etwa: Studienbezogene Praktika können von zwei bis zwölf Monate absolviert werden; Ausweitung der Erasmus-Studierenden- und Personalmobilität, die nun auch außerhalb Europas stattfinden kann (erst ab SJ 2015/2016 möglich). Doch Bildung wird immer mehr zu einem Gut, das nicht länger gratis ist, denn es ist in Vorbereitung, dass Österreichs Studierende, die ihr gesamtes Masterstudium im europäischen Ausland absolvieren wollen, die Möglichkeit zu einem zinsgünstigen Bankdarlehen erhalten.

Webtipps:
KonsumentInnenschutz AK Wien:
tinyurl.com/qbfpg3m
Bildung und Jugend in der EU:
tinyurl.com/mgzr2cl

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Sophia T. Fielhauer-Resei, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658080847 Billigere Lebensmittel sollte der Beitritt zur EU bringen. Das Angebot wurde zweifellos größer, doch 2014 war ein Warenkorb mit 165 gleichen Drogeriewaren in Wien um durchschnittlich 53,2 Prozent teurer als in München. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658080898 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658077750 (Noch) keine Erfolgsgeschichte Die Jubelmeldungen der Wirtschaftskammer anlässlich des 20-jährigen Beitrittsjubiläums reißen kaum ab: mehr Wachstum, mehr Beschäftigung, geringere Arbeitslosigkeit, Innovationsmotor, beschleunigte Liberalisierung und Privatisierung sowie eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit. So oder so ähnlich wird die Erfolgsgeschichte des EU-Beitritts gefeiert. Und in der Tat zeigen viele wirtschaftliche Kennzahlen, dass die EU-Integration unserem Land Vorteile gebracht hat. Aber haben davon in gleichem Maße die breite Bevölkerung und vor allem die ArbeitnehmerInnen profitiert? Ist die EU auch für sie eine Erfolgsgeschichte?

Modernisierte Wirtschaft

Österreich hat von der Ostöffnung und vom EU-Beitritt ökonomisch stark profitiert. Österreichs Wirtschaft konnte ihr Produktions- und Außenhandelspotenzial deutlich steigern und ist wesentlich globalisierter und dynamischer geworden.

  • Die traditionell negative Handelsbilanz Österreichs wurde ausgeglichen bzw. konnte sogar positiv gestaltet werden.
  • Die Leistungsbilanz, die neben den Warenströmen auch Dienstleistungen und Transfers enthält, hat sich seit dem EU-Beitritt kontinuierlich verbessert und zeigt seit der Jahrtausendwende einen beachtlichen Überschuss, der sich zeitweilig im zweistelligen Prozentbereich bewegt.
  • Österreich entwickelte sich auch bei den Investitionen von einem Defizit- zu einem Überschussland.
    Mit anderen Worten: Österreichs ArbeitnehmerInnen haben die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen deutlich gestärkt.

Mehr Wachstum, aber …

Der Schub an wirtschaftlicher Modernisierung und Dynamik spiegelt sich auch im überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum wider. So konnte Österreich sein BIP seit dem EU-Beitritt jährlich um durchschnittlich 2,0 Prozent steigern – der jährliche EU-Durchschnitt betrug nur 1,6 Prozent (EU-15) bzw. 1,7 Prozent (einschließlich der neuen Mitgliedstaaten).1 Auch Deutschland und das Nicht-EU-Land Schweiz konnten von Österreich hinsichtlich des Wachstums deutlich abgehängt werden – allerdings nicht die USA, deren BIP seit 1995 sogar um 2,4 Prozent gewachsen ist.

… wenige profitieren

Stimmen die Jubelmeldungen der Wirtschaftskammer also doch? Sind die KritikerInnen allesamt nur EU-SkeptikerInnen und Ewiggestrige, die zurück zum Nationalstaat wollen? Nein, denn ein schlichter Blick auf die Arbeitslosenstatistik und die Lohnentwicklung zeigt, dass von der positiven ökonomischen Entwicklung einige sehr stark profitieren, während der Druck auf die ArbeitnehmerInnen, ihre Löhne und die sozialen Rechte deutlich zugenommen hat. Offensichtlich ist dies bei der Zahl der Arbeitslosen: Während die Zahl der Beschäftigten zwischen 2011 und 2014 um über 80.000 gestiegen ist, hat auch das Arbeitskräfteangebot um etwa 150.000 Menschen zugenommen. Die Arbeitslosenquote klettert währenddessen auf Rekordwerte: von 6,7 auf 8,2 Prozent bzw. nach EU-Berechnung von 4,2 auf fünf Prozent.
Der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten, in Österreich erwirtschafteten Volkseinkommen, der sogenannten Lohnquote, betrug Anfang der 1990er-Jahre noch fast 75 Prozent, geht aber seitdem kontinuierlich zurück. 2007 lag der Anteil nur noch bei 64,6 Prozent und ist anschließend nur wegen des krisenbedingten BIP-Rückganges wieder angestiegen. Fakt ist: Während 16 von 20 Jahren ist die Lohnquote gesunken, und sie wird auch im nächsten Jahr zurückgehen, so eine Studie der AK Oberösterreich.2 Die ArbeitnehmerInnen haben also immer weniger Anteil am Wohlstandszuwachs, den der EU-Beitritt gebracht hat. Das heißt aber, dass die Jubelmeldungen der Wirtschaftsver-bände über die Effekte des EU-Beitritts vor allem den Vermögenszuwachs ihrer Klientel betreffen, nicht aber den Großteil der Beschäftigten. Im Klartext:

  • Während sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das erwirtschaftete Volkseinkommen verdoppelt hat, stiegen die Gewinne und Vermögenserträge um mehr als 130 Prozent, die Löhne mit 86 Prozent aber nur unterdurchschnittlich.

Eine ähnlich dramatische Entwicklung zeigt die Entwicklung der Reallöhne: Sie haben in den vergangenen 20 Jahren nur halb so stark zugenommen wie das reale BIP pro Kopf. Obwohl das Einkommensniveau in Österreich eines der höchsten in der EU ist und nur von Luxemburg klar übertroffen wird, spüren die Menschen diese Umverteilung von unten nach oben tagtäglich. Denn die steigenden Gewinne werden zu einem Großteil nicht für produktive Investitionen verwendet (diese sind nur halb so hoch wie die Gewinne gestiegen), sondern fließen oft in spekulative Veranlagungen.
Eine wichtige Ursache der sozialen Schieflage ist – nicht nur in Österreich – im unfairen Steuerwettbewerb in der EU zu finden. Die größte Quelle des Steueraufkommens in der gesamten EU sind Steuern auf Arbeit, die im Jahr 2012 mit 51 Prozent bereits über die Hälfte des gesamten Steueraufkommens ausmachten. Dagegen haben Kapitalsteuern (20,8 Prozent) den geringsten Anteil am Steueraufkommen in der EU. Österreich liegt bei der Belastung von Arbeit mit über 54 Prozent im europäischen Spitzenfeld.

Dumping als „Geschäftsgrundlage“?

Der Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten in der EU hat dazu geführt, dass Großkonzerne oftmals praktisch steuerfrei sind, während bei den ArbeitnehmerInnen immer weniger von den Lohnerhöhungen ankommt, die die Gewerkschaften Jahr für Jahr verhandeln. Deshalb fordert der ÖGB ebenso wie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) seit Jahren nicht nur eine Harmonisierung der Berechnungsgrundlage der Körperschaftssteuer, sondern auch verbindliche europäische Mindestsätze für Unternehmenssteuern. Auch wenn die EU-Kommission nun ebenfalls eine Steuerreform in Österreich und eine Entlastung des Faktors Arbeit bereits 2015 fordert, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Steuerdumping im europäischen Binnenmarkt als eigentliche Ursache dieser Entwicklung viel zu lange gefördert wurde. Deshalb darf das ruinöse Lohn-, Sozial- und Steuerdumping nicht länger „Geschäftsgrundlage“ der EU bleiben.

Kurswechsel ist überfällig

Ein Blick auf die Entwicklung der sozialen Rechte der ArbeitnehmerInnen in der EU zeigt ebenfalls, dass dies leider keine Erfolgsgeschichte ist. Die Politik der „Troika“ in einigen Mitgliedstaaten ist nur die Spitze des Eisberges, auch allgemein lassen sich EU-weit ein Zurückdrängen von Kollektivverträgen, eine Ausweitung des Niedriglohnsektors und ein Ansteigen der Armut feststellen. ÖGB und EGB fordern deshalb seit Langem den längst überfälligen wirtschafts- und sozialpolitischen Kurswechsel in der EU. Die neue Kommission ist bislang über Ankündigungen nicht hinausgekommen, aber immerhin scheint sie vom einseitigen Dogma der Sparpolitik und neoliberalen Strukturreformen langsam abzurücken.
Es bedarf eines großen Bündels an Maßnahmen, damit ein grundlegender politischer Kurswechsel die EU endlich auch für die ArbeitnehmerInnen zu einer Erfolgsgeschichte macht, dazu gehören vor allem:

  • ein Kurswechsel für Wachstum und Beschäftigung,
  • ein sofortiges Ende des „Geschäftsmodells“ des Lohn-, Sozial- und Steuerdumpings in der EU,
  • ein nachhaltiges, nachfragebasiertes Wirtschaftsmodell, das auf gerechten Löhnen und sozialen Rechten beruht,
  • eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen zur Förderung der Binnennachfrage und
  • ein soziales Fortschrittsprotokoll in den EU-Verträgen, damit soziale Rechte in Zukunft den wirtschaftlichen Marktfreiheiten nicht länger untergeordnet sind.

Bei aller Kritik am derzeitigen Zustand der EU ist aber auch klar: Eine Rückbesinnung auf den alten Nationalstaat und neue protektionistische Grenzen ist nicht nur unrealistisch, sondern wäre für die Interessen der ArbeitnehmerInnen grundfalsch. Der Wohlstandszuwachs muss aber endlich gerecht verteilt werden. Eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte, eine Finanztransaktionssteuer oder ein grundlegender wirtschaftspolitischer Kurswechsel sind von einem kleinen Land im Alleingang nicht durchführbar, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Deshalb heißt es weiter, gemeinsam für eine andere politische Ausrichtung in der EU zu kämpfen.

1 Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 1995–2012. Details bei Fritz Breuss, Auswirkungen der Ostöffnung 1989 auf Österreichs Wirtschaft, Seite 79.
2tinyurl.com/mcaoc24

Webtipps:
Weitere Infos finden Sie unter
www.oegb-eu.at  
www.etuc.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor oliver.roepke@oegb-eu.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658080794 Von der positiven ökonomischen Entwicklung seit dem EU-Beitritt profitieren einige sehr stark, während der Druck auf die ArbeitnehmerInnen deutlich zugenommen hat. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658077748 An den Grundfesten rütteln! Mit der Neubesetzung wesentlicher europäischer Institutionen wurden noch 2014 die personellen und politischen Weichen auf europäischer Ebene für die kommenden Jahre neu gestellt. Dies bietet den ArbeitnehmerInnen neuerlich Anlass, ihre eigenen Vorstellungen zur europäischen Politik zur Geltung zu bringen. Sie würde in mehrfacher Weise in Widerspruch zur derzeitigen makropolitischen Ausrichtung der EU stehen. Der vorherrschende Methodenmix ist bekanntlich charakterisiert durch innere Abwertung, Austerität, externe Wettbewerbsfähigkeit, Außerachtlassung der Nachfrageseite sowie von Verteilungsfragen, neoliberal geprägten Strukturreformen, Zurückdrängung sozialpartnerschaftlicher, gewerkschaftlicher Handlungsformen bis hin zur Entwertung demokratischer Verfahren.

Gescheiterte Politik

Der Wunsch nach einer Änderung der politischen Grundausrichtung Europas ist groß. Denn klar ist mittlerweile auch, dass diese Politik nicht nur gegen die Interessen vieler ArbeitnehmerInnen in Europa gerichtet ist. Vielmehr ist sie insgesamt gescheitert, wie unlängst auch der IWF festgestellt hat. Ebenso äußerte sich die OECD zuletzt in Richtung einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Denn sieben Jahre nach Lehman ist Europas Wirtschaft gekennzeichnet durch enorme Arbeitslosigkeit, mangelndes Wachstum und mangelnde Investitionen, ja sogar das Schreckgespenst der Deflation taucht auf. Das Scheitern der Krisenpolitik muss als Auftrag für einen Kurswechsel begriffen werden. Aus einer Reihe unterschiedlicher Maßnahmen werden im Folgenden schlaglichtartig drei hervorgehoben, die aus Sicht der ArbeitnehmerInnen besonders dringlich erscheinen, um Europa wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Die geltenden Fiskalregeln haben sich als völlig ungeeignet erwiesen, Europa aus der Krise herauszuführen. Sie treiben vielmehr den Kontinent in eine Abwärtsspirale. So führt eine Senkung der Staatsausgaben eben auch zu einer Verringerung verfügbarer Einkommen und letztlich von Konsum und Produktion. Auf die sich daraus ergebenden Einnahmeausfälle würde dieser Logik zufolge mit neuerlichen Sparpaketen reagiert werden und so weiter.
Noch 2010 nahm sich die Europäische Union die Erreichung einer ganzen Reihe wirtschafts-, umwelt- und gesellschaftspolitischer Ziele vor. Eines dieser Ziele ist die Erreichung einer Beschäftigungsquote von 75 Prozent aller 20- bis 64-Jährigen oder auch die Senkung der Zahl der von Armut betroffenen oder bedrohten Menschen um 20 Millionen bis 2020. Diese hehren Ziele sind weiter denn je von ihrer Verwirklichung entfernt – und das liegt insbesondere am fiskalpolitischen Korsett der Wirtschafts- und Währungsunion.
Dabei sind die Finanzierungskosten für Staaten wie Österreich gegenwärtig historisch günstig, sodass der Weg gerade für jene Investitionen frei gemacht werden muss, von denen auch zukünftige Generationen erheblich Nutzen ziehen könnten. Zu diesem Zweck würde es eine sogenannte „goldene Investitionsregel“ den Staaten wieder erlauben, wichtige öffentliche Investitionen bis hin zur sozialen Infrastruktur aus dem Defizit herauszurechnen. Dies wäre eine vermutlich weit weniger komplizierte und verbürokratisierte Maßnahme als das derzeit in Verhandlung befindliche 315 Milliarden Investitionspaket Junckers, dessen Wirkung erheblich anzuzweifeln ist.

Dramatische Ungleichgewichte

In den vergangenen Jahrzehnten ist es in den meisten Industriestaaten zu dramatischen Ungleichgewichten in der Einkommens- und Vermögensverteilung gekommen. Es häuft sich immer mehr Vermögen bei einer immer kleiner werdenden Schicht reicher Menschen an, vergleichbar mit vorrepublikanischen, aber auch vordemokratischen Aus-maßen. Dieses Vermögen wird überwiegend nicht der Realwirtschaft (insbesondere durch Konsum) zugeführt, son-dern auf Finanzmärkten angelegt, wodurch diese weiter aufgebläht werden.
Diese Umverteilung nach oben muss wieder rückgängig gemacht werden. Es ist nicht nur eine grundsätzliche Frage der republikanischen Chancengleichheit, einem ArbeiterInnenkind die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben wie einem Kind aus reichen Verhältnissen. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, Banken und Vermögende an den Kosten ihrer eigenen Rettung angemessen zu beteiligen. Es ist zudem im Sinne der allgemeinen ökonomischen Genesung nur grundvernünftig, mit einer Umkehrung der Verteilungspolitik die generelle Nachfrage zu stabilisieren und wieder für ein investitionsfreundlicheres Gesamtklima zu sorgen.
All dies erfordert eine beherzte europäische Steuerpolitik. Es braucht eine starke Koordinierung bei den Steuern auf Vermögen, Erbschaften, Spitzeneinkommen, Kapitalerträgen und Unternehmensgewinnen sowie eine Finanztransaktionssteuer auf breiter Basis. Aber auch wirksame Maßnahmen gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung scheinen unentbehrlich, nachdem der daraus resultierende Entgang auf rund eine Billion Euro jährlich geschätzt wird.

Interesse der ArbeitnehmerInnen

Schon Jacques Delors, der frühere Kommissionspräsident, merkte einst treffend melancholisch an, dass sich kein Mensch in einen Binnenmarkt verlieben könne. Doch damit nicht genug. Die Binnenmarktpolitik der vergangenen Jahrzehnte war beinahe ausschließlich am Ziel orientiert, für Unternehmen optimale Verwertungs- und Gewinnbedin-gungen bereitzustellen. Die Interessen der ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen blieben entgegen früheren An-sätzen zunehmend auf der Strecke. Es konnte sich seither ein massiv verfälschender Wettbewerb etablieren, bei dem unterschiedliche Niveaus in vielen wichtigen Regelungsbereichen zu einer Art Standortfaktor geworden sind. Der europäische Binnenmarkt muss wieder als gemeinsamer Markt mit einem hohen Niveau an sozialen und ökologischen Standards verstanden werden – diese reichen von Mitwirkungsrechten von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen bis hin zur Wahrung der Bedeutung öffentlicher Dienstleistungen. Ganz entschieden muss der Ansicht des Europäischen Gerichtshofes entgegengetreten werden, wonach Marktfreiheiten prinzipiell über sozialen Rechten wie der Ausübung gewerkschaftlicher Grundrechte stehen.
Allen drei skizzierten Punkten ist gemeinsam, dass sie zugleich den Anliegen der ArbeitnehmerInnen folgen würden und in gleicher Weise dem derzeitigen Trend vollkommen entgegenlaufen. So finden sich in der europäischen Politik nur allzu selten Anspielungen auf soziale (Chancen-)Gleichheit. Einigen Fragen haften auch insoweit erhebliche Durchsetzungsprobleme an, als sie nur unter erschwerten Bedingungen zustande kommen können, beispielsweise erfordern Maßnahmen im Steuerbereich generell die Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten. Der Umstand, dass sie letztlich grundvernünftig erscheinen, nicht zuletzt, um Europa wieder in Gang zu bringen und die Identifikation mit dem europäischen Friedens- und Wohlstandsmodell hochzuhalten, enthält jenen Keim an Zuversicht, der die Durchsetzung der besseren und gerechteren Politik in offenen demokratischen Gesellschaften primär als Frage der Zeit erscheinen lässt.

Gehör verschaffen

Gewerkschaften und ähnliche Organisationen müssen sich europaweit wieder jenes Gehör verschaffen, das sie im Nachkriegseuropa auf einzelstaatlicher Ebene errungen haben. Wie stark indessen das Wirtschaftslager die Geschicke der EU-Politik derzeit für ihre Zwecke zu manipulieren vermag, zeigt das Machtungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit innerhalb der Lobbys und Interessenvertretungen, die in Brüssel auf Entscheidungen der EU-Institutionen einwirken. Schon nach offiziellen Angaben des europäischen Transparenzregisters stehen rund 150 Gewerkschaften etwa 4.500 Lobbys der Wirtschaftsseite gegenüber (Arbeit: Kapitalverhältnis rund 1:30).
Daran wird auch deutlich, dass ein neuer Konsens über Grundfragen der europäischen Integration auch eine Änderung der Kräfteverhältnisse in der europäischen Politik erfordern wird. Sowohl aus prinzipieller, aber ebenso aus strategischer Sicht sind Gewerkschaften und VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen daher gefordert, an allen Orten die gleiche Mitsprache zu fordern und die Demokratie zu stärken, egal ob im Betrieb oder in der Europäischen Union – und sich vor allem niemals mit dem konservativen Grundirrtum abspeisen zu lassen, die europäische Politik wäre in irgend einem Punkt alternativlos.

Blogtipps zum Weiterlesen:
blog.arbeit-wirtschaft.at/eu-investitionspaket-als-schleichende-neoliberalisierung/
blog.arbeit-wirtschaft.at/ungleichheit-in-der-krise/

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor valentin.wedl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Valentin Wedl, Leiter der Abteilung EU und Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658080392 Sowohl aus prinzipieller, aber ebenso aus strategischer Sicht sind Gewerkschaften und VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen gefordert, an allen Orten die gleiche Mitsprache zu fordern und die Demokratie zu stärken, egal ob im Betrieb oder in der EU. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 16 Feb 2015 00:00:00 +0100 1418658077727 "Zu wenig Investitionen" Zur Person: Brigitte Ederer
1983 zog Brigitte Ederer für die SPÖ als Abgeordnete in den Nationalrat ein. Von 1992 bis 1995 war sie Europa-Staatssekretärin in der Regierung Vranitzky und verhandelte als Vertreterin Vranitzkys gemeinsam mit Außenminister Alois Mock in Brüssel. Nach dem Ausscheiden als Staatssekretärin wurde sie SPÖ-Bundesgeschäftsführerin der SPÖ und danach Finanz- und Wirtschaftsstadträtin in Wien. Im Jahr 2000 wechselte Ederer zu Siemens, wo sie erst in Österreich und dann in Deutschland im Vorstand saß. Im September 2013 wurde sie vorzeitig abberufen. Seit September 2014 ist Ederer Aufsichtsratsvorsitzende der ÖBB.

 

Arbeit&Wirtschaft: Ihr erster Job war in der Arbeiterkammer. Diese zählte früher zu den EU-SkeptikerInnen. Sie auch?

Brigitte Ederer: Na ja, das hat weniger mit der AK zu tun. Ich war in jungen Jahren Aktivistin der Sozialistischen Jugend und sicherlich skeptisch. Auch in der AK hat von den Achtziger- auf die Neunzigerjahre eine Meinungsänderung stattgefunden und man ist zu dem Schluss gekommen, dass der EU-Betritt für die produzierende Wirtschaft und insgesamt für wirtschaftliche Themen von Vorteil ist.

Was ließ Sie zur Befürworterin werden?

Als ich Abgeordnete (im Nationalrat, Anm.) war, hat mich Heinz Fischer, der damals Klubobmann war, als Beobachterin in die Sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament geschickt. Da habe ich gesehen, was es an Möglichkeiten gibt, aber auch an guten Positionen. Und ich habe gemerkt, dass der Vorwurf, dass die EU eine Ansammlung von wirtschaftlichen Interessen ist, bei Europaparlamentariern damals auf keinen Fall gestimmt hat.

Woran haben Sie das festgemacht?

In der Sozialdemokratischen Fraktion gab es Positionen, die dem Wirtschaftssystem gegenüber weit kritischer waren als jene, die auch ich vertreten habe. Auch gewisse Kommissare, die ich kennenlernen durfte, haben sehr beeindruckende Positionen vertreten, wie man die Zusammenarbeit in Europa angehen muss, welche Rolle die Menschen spielen, welche Maßnahmen es zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit bräuchte et cetera. Der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors war mit Sicherheit ein großer Sozialdemokrat.

Große Hoffnungen wurden immer wieder in eine Sozialunion gesteckt. Zur Realität wurde sie nicht. Woran scheitert’s?

Da sind schon teilweise die Mitgliedstaaten selber schuld, weil sie – allen voran auch Österreich – der Meinung waren: Bei den Sozialstandards lassen wir keine europäischen Regelungen zu, sondern dort gelten weiterhin nationale Regelungen. Denn wir sind der Meinung, dass unsere Standards die besten sind. Das denkt sich jedes Mitgliedsland, so komisch das ist. Oder es denkt sich: Wir haben Regelungen, die es uns ermöglichen, vielleicht dadurch mehr Unternehmungen anzulocken – dass sich unsere Regelungen eben von hohen Regelungen in anderen Ländern unterscheiden.

Ein Konsens auch über die Parteigrenzen hinweg?

Sehr vereinfacht gesagt: Die Konservativen haben gemeint, die EU würde zu hohe Standards einführen, wenn man sie lassen würde. Die Sozialdemokraten wiederum haben geglaubt, die EU würde nach unten nivellieren. Aber die Sozialstandards sind nicht mein Thema. Was mein Thema ist und wo die Europäische Union zu wenig macht, ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das hat etwas mit Investitionen zu tun, und die finden in Europa einfach zu wenig statt.

Stichwort Austeritätspolitik?

Das hat mit Sicherheit mit der in Europa derzeit vorherrschenden, sicher notwendigen Sparpolitik zu tun. Aber es ist halt ein Unterschied, ob man Geld in einmalige Zahlungen investiert, die in Wahrheit keine Nachhaltigkeit haben, oder ob man Infrastruktur aufbaut. Erstens einmal ist die sehr lang da, zweitens ist sie für die wirtschaftliche Entwicklung sehr positiv, und drittens bringt das Arbeitsplätze und damit auch die Möglichkeit, Menschen Beschäftigung zu brin-gen. Und damit wiederum hat man einen Multiplikator, der in die richtige Richtung geht. Das Wirtschaftswachstum in Europa ist zu gering und damit haben wir vor allem das Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit.

Das „Europa der Konzerne“ wird aktuell wieder stark kritisiert. Zu Unrecht?

Ich will mir gar nicht ausmalen, wie die Wirtschaftskrise für die einzelnen Nationalstaaten ausgegangen wäre, wenn es nicht die Europäische Union und die Europäische Zentralbank gegeben hätte.
Natürlich muss es in den einzelnen Nationalstaaten Reformen geben. In allen besteht die Gefahr der Überdimensionierung der Bürokratie. Das ist schon alles richtig, aber es fehlt der zweite Teil, nämlich dass man investieren müsste, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Dem wird allerdings entgegengehalten, es seien nicht mehr Mittel da, weshalb nichts anderes übrig bleibe, als zu sparen.

Erstens einmal gibt es bei der Europäischen Investitionsbank sehr wohl Mittel. Dann ist ja der Schuldendienst bei einer Niedrigzinspolitik ein sehr geringer. Und man könnte die wirklichen Investitionen aus dem Maastricht-Defizit herausnehmen, und damit hätte man schon einen Spielraum.

Woran scheitert es?

Da sind einzelne Nationalstaaten, die ein großes Gewicht in der Europäischen Union haben, eben sehr skeptisch. Dann gibt es einen Mainstream – wenn man sich ansieht, wie Griechenland behandelt wurde –, der eben nur auf Sparpolitik setzt und keine ausgewogenen, auf längere Zeit orientierten Maßnahmen setzt. Kürzlich hat Karl Aiginger (Wifo-Chef, Anm.) – der ja nicht gerade den Ruf hat, ein Linksextremer zu sein – gesagt: Ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum würde allein Österreich zehn Milliarden Euro kosten. Das ist ungefähr das doppelte Volumen von dem, was jetzt an Steuerreform angedacht ist. Wirtschaftlich hängt eben bereits vieles zusammen und man muss versuchen, gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Diktate, wie die Troika dies in Griechenland gehandhabt hat, sind auf Dauer nicht zielführend, um gemeinsame Regelungen zu finden.

Wie haben Sie die Rolle von Gewerkschaften und AK im Vorfeld des EU-Beitritts wahrgenommen?

Die Sozialpartner und deren Aktivitäten waren ganz wichtig, damit wir die Volksabstimmung gewinnen konnten, weil sie eindeutig Aufklärungsarbeit getätigt haben. Gerade die Gewerkschaften und die Betriebsräte haben eine ganz wichtige Rolle gespielt.

Was hätten Gewerkschaften oder AK anders oder besser machen können?

Als die Freizügigkeit der Rumänen und Bulgaren verhandelt wurde, hat ein Teil der Arbeiterkammer-Funktionäre sehr, sehr skeptisch reagiert und es in der Öffentlichkeit meiner Meinung nach dramatisiert. Damit meine ich nicht, dass man nicht auf Probleme hinweisen kann. Aber im Endeffekt sind ja mehr Einwanderer aus Deutschland als aus Bulgarien gekommen.

Vor der Volksabstimmung führte das ganze Land permanent Diskussionen. Wie viel waren Sie selbst unterwegs?

Ich war viel unterwegs. Von 1992 bis zur Volksabstimmung war ich praktisch drei Tage in der Woche in Österreich unterwegs – zwei Tage war ich im Bundeskanzleramt, um Dinge vorzubereiten. Ich hab x Veranstaltungen absolviert, ich weiß gar nicht, wie viele es waren. So viele Einladungen hatte ich vorher und nachher nie wieder. Das Einzigartige daran war: Es waren nicht nur Veranstaltungen von politischen Parteien, sondern ich war oft in Unternehmungen, bei Betriebsversammlungen, in katholischen Mütterclubs, Sparkassen haben für ihre Kunden Veranstaltungen gemacht. Da waren wir eigentlich alle – die Regierungsmitglieder, aber auch die Sozialpartner – wirklich eingespannt, und das waren gute Diskussionen.

Der Ederer-Tausender hat Ihnen viel Spott beschert. Bereuen Sie diese Aussage?

Erstens einmal, auch wenn es niemand in dem Land glaubt: Ich habe damals gesagt, dass sich eine vierköpfige Familie 1.000 Schilling in einem Monat erspart – und es gibt x Untersuchungen von Wirtschaftsforschern, die belegen, dass das stattgefunden hat. Allerdings hat es zur gleichen Zeit, als wir der EU beigetreten sind, das erste Sparpaket gegeben, und die Leute – und das verstehe ich – haben das vermengt. Danach ist das zum Synonym geworden für: Die haben uns nicht überall die Wahrheit gesagt. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, werde ich immer noch angesprochen, viele fragen aggressiv: Wo ist der Tausender?

Welche Hoffnungen haben Sie damals in die EU gesteckt?

Ich habe in die Europäische Union sehr stark die Hoffnung gesteckt, dass damit eine gewisse Öffnung des Landes vor sich geht. Dass junge Leute in anderen EU-Ländern völlig problemlos studieren können oder man am Arbeitsmarkt ein paar Jahre Erfahrungen in einem anderen Land in der Europäischen Union sammeln kann. Das ist im Großen und Ganzen gelungen. Es gibt heute eine Generation der 20- bis 30-Jährigen, die diese Europäische Union ganz anders erlebt. Zugegebenermaßen hat das schon etwas mit einer gewissen Bildungsschicht zu tun. Ich glaube, ein Lehrling erlebt das weniger, außer im Urlaub. Aber es kann sich ja heute kein 25-Jähriger mehr vorstellen, was es bedeutet hat, nach Italien auf Urlaub zu fahren. Da ist man ja stundenlang an den Grenzen gestanden. Auch an der Grenze zu Deutschland, am Walserberg ist man zur Hauptreisezeit fünf, sechs Stunden gestanden.
Das war für mich der Hauptpunkt, denn dieses Land hat ja immer ein bisschen die Tendenz, sich abzuschotten. Meine Hoffnung war auch, dass es wirtschaftlich eine Öffnung geben würde. Und die österreichische Industrie hat ja die Chance, die die Ostöffnung geboten hat, beeindruckend wahrgenommen.

Wo sehen Sie Versäumnisse?

Es ist nicht gelungen, dass man von der Europäischen Union als „wir“ spricht. Man hat es nicht geschafft, zu kommunizieren, dass wir Teil der Europäischen Union sind und die Europäische Union ein Teil neuer österreichischer Innenpolitik. Wir sitzen ja immer am Tisch, egal, welche Entscheidung getroffen wird.
Vor der Volksabstimmung gab es diese enorme Informationsaktivität, danach war es anders. Wenn uns eine Regelung oder Entscheidung gepasst hat, wurde danach kommuniziert: „Wir haben uns durchgesetzt.“ Damit dokumentiert man ja auch ein Feindbild, weil wenn man sich wo durchsetzt, dann sitzt einem gegenüber ja kein Freund, sondern ein Gegner. Das heißt, man hat eine Grundstimmung aufgebaut, dass die EU eigentlich ein Gegner ist.
Wenn uns etwas nicht gepasst hat, dann haben wir gesagt: Das hat die Europäische Union beschlossen, damit haben wir nichts zu tun. Wenn Sie sich nur vorstellen, wie heftig das Rauchverbot in Österreich diskutiert wird. Da gibt es ja auch Pro und Kontra. Kein Mensch würde zum Beispiel sagen „die Oberösterreicher sind schuld“, sondern es ist ein innerösterreichischer Diskurs, wo es unterschiedliche Meinungen gibt und unterschiedliche Interessen. Jeder weiß das. Diese Erklärung, die bei einer nationalen Diskussion selbstverständlich ist, findet in Europa viel zu wenig statt. Da müsste man mehr erklären.

Zugleich ist es natürlich eine Mammutaufgabe, 28 verschiedene Länder an einen Tisch zu bringen. Muss man sich vielleicht mehr in Geduld üben?

Ich glaube, in den letzten 20 Jahren ist Europa schon mehr zusammengewachsen. Henry Kissinger hat ja einmal gesagt, er wisse gar nicht, wo er in Europa anrufen soll, weil er keine Telefonnummer hat. Die Telefonnummer gibt es mit Federica Mogherini (EU-Außenbeauftragte, Anm.) mittlerweile, die ist sehr aktiv und macht das gut.
Ich habe schon den Eindruck, dass es ein starkes Zusammenwachsen der Europäischen Union gibt, aber natürlich noch loser als die Vereinigten Staaten. Europa ist noch immer eine Ansammlung von 28 Ländern.

Vor zehn Jahren haben Sie in einem Interview gesagt: Die Leute müssen das Gefühl bekommen, dass diese EU für uns da ist. Ist das gelungen?

Vor zehn Jahren war es nicht besser oder schlechter. Schon damals hatte kein Mensch das Gefühl: Die Europäische Union, das sind wir. Man müsste sehr intensiv wie damals vor der Volksabstimmung informieren. Aber die Situation ist eine andere. Wie würden sich die Sozialpartner bei solch einer Informationskampagne positionieren? Notwendig wäre zu zeigen: Das sind wir und das wollen wir in der Europäischen Union und das ist unser Anliegen und wir müssen da zusammenwachsen. Ich glaub, das war vor zehn Jahren genauso wie jetzt.

Vor 20 Jahren gab es das gemeinsame Ziel Beitritt?

Gemeinsam statt einsam: Das war ja unser erfolgreichster Slogan, so banal er auch klingt. Das Gemeinsame ist aber jetzt zu wenig vorhanden.

Gegner der EU-Erweiterung meinen, dass diese die Europäische Union daran hindere, zu einem Gebilde zusammenzuwachsen. Wie sehen Sie das?

Bei der Erweiterung steht ja nicht mehr viel an, die restlichen Balkanländer noch. Die Türkei wird in absehbarer Zeit nicht beitreten, weil auch die politische Entwicklung dort nicht so ist, dass man sagen kann, dass das eine Annäherung an die Europäische Union fördert. Es ist wichtig, dass man mit der Türkei ein gutes Einvernehmen hat, dass man wirtschaftliche und politische Kontakte hat. Die Türkei könnte meiner Meinung nach aber wesentlich mehr machen im Konflikt mit Syrien und mit dem Problem „Islamischer Staat“. Aber das ist im Moment sicher schwierig, sodass eine Integration nicht so schnell vor sich geht.
Es muss jetzt einmal die Integrationsschritte geben, die noch anstehen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ja jetzt bei der Auswahl der Kommissare einen wichtigen Schritt gemacht. Es geht einfach nicht, dass 28 oder 29 oder 30 Länder jeweils einen Kommissar oder eine Kommissarin schicken. So wie möglicherweise nicht jedes österreichische Bundesland einen Minister hat, muss man einfach akzeptieren, dass es auch in der EU schrittweise eine Änderung gibt. Was nicht heißt, dass man nicht ein Gesicht für jedes Land braucht, der oder die in der Europäischen Union Themen für ein Land behandelt und den oder die man ansprechen kann. Man muss aufpassen, dass die Identität nicht verloren geht. Aber ich bin eigentlich optimistisch.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Das Interview führte Sonja Fercher für Arbeit&Wirtschaft. Arbeit&Wirtschaft 1/15 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1418658077712 Mangelndes Engagement bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Das ist der größte Kritikpunkt der früheren Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer. Das Problem sind die fehlenden Investitionen, bemängelt die Sozialdemokratin. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
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