1923-1934: Von „roaring twenties“ nichts zu spüren
Nach dem großen Sterben des Ersten Weltkrieges kam der Boom. Die Nachkriegsinflation, die erst ab 1922 in eine Hyperinflation überging, beeinflusste die Binnenkonjunktur positiv und war ein erheblicher Wettbewerbsvorteil für den Außenhandel. Allerdings verringerte die positive Wirtschaftsentwicklung auch notwendige Anpassungsschritte. Die Internationale Wirtschaftsentwicklung schlug in den ersten Nachkriegsjahren kaum auf Österreich durch.Als die Geldentwertung zusehends außer Kontrolle geriet, entschied sich die konservative Bundesregierung unter Bundeskanzler Johann Schober und in ihrem Gefolge jene unter Ignaz Seipel für eine Sanierung durch Auslandskredite. Weil die Geldgeber ausgabenseitige Sanierungsauflagen zur Bedingung machten, konnte die Bundesregierung jene Austeritätspolitik, die sie ohnehin hatte betreiben wollen, als von außen aufoktroyiert darstellen – mitsamt ihren negativen sozialen Konsequenzen, die wesentlich zur gesellschaftlichen Polarisierung der folgenden Jahre beitrug.
Im Augenblick spricht man von einer
Krise der Demokratie – zahlreiche
Erscheinungen scheinen dieses
Wort zu rechtfertigen.
Karl Renner, Arbeit&Wirtschaft, 21/1926
Im Zuge der „Stabilisierungskrise“, also der strikten Deflationspolitik, die Wachstumsimpulsen weitgehend den Boden entzog, wurden auch die Probleme überdeutlich, die der Strukturanpassung beim Übergang von der europäischen Regionalmacht zum Kleinstaat geschuldet waren. In Erinnerung geblieben sind vor allem Turbulenzen in einem überdimensionierten Finanzsektor, besonders der Crash der Bodencredit 1929 und in weiterer Folge 1931 der Zusammenbruch der Creditanstalt als größter Bank des Landes.
1923-1934: Harte Zeiten, wenig Arbeit
Das vergangene Jahr brachte
den Höhepunkt der Kohlekrise.
Hermann Heindl, Arbeit&Wirtschaft, 7/1931
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten blieben jedoch nicht auf die Geldhäuser beschränkt. Die Wachstumsraten lagen während der ganzen 1920er Jahre unter dem europäischen Schnitt, Österreich war ein Niedriglohnland, die Abschottung der Binnenmerkte in den Sukzessionsstaaten der Monarchie tat ein übriges, um ein Verharren auf niedrigem Niveau sicher zu stellen. Mit der Weltwirtschaftskrise folgten ab 1929 tiefe Einbrüche, so sank bis 1933 die Produktion in der Metallindustrie um über 60 %, in der verhältnismäßig günstig davongekommenen chemischen Industrie immer noch um 20%.
So kann niemand, der eine Spur von Verstand und Gewissen hat,
ernstlich behaupten, dass eine Herabsetzung
des gesetzlichen 50-prozentigen Überstundenzuschlags
eine Entlastung der Wirtschaft
herbeizuführen geeignet wäre.
Otto Leichter, Arbeit&Wirtschaft, 10/1926
Die Arbeitslosigkeit explodierte folgedessen förmlich, was eine Abwärtsspirale in Gang setzte, so sank die Konsumgüterproduktion bis 1938 kontinuierlich, zugleich brachte die soziale Misere die kommunalen Finanzen (die für die Bedeckung der Fürsorgeleistungen verantwortlich waren) an ihre Grenzen. Das wirkte wiederum negativ auf deren Bautätigkeit zurück: bis 1933 erfuhr das Baugewerbe ein Minus von mehr als 50%.
Der Staatsstreich 1933
Lange Schlangen drängten sich vor den Suppenküchen, als sich am 12. Mai 1932 das Parlament auflöste. Die Weltwirtschaftskrise in den 1930ern hatte jede vierte Person arbeitslos gemacht, vor allem Jugendliche waren betroffen. Durch das Einsparen der Staatsausgaben wollten die an der Macht stehenden Christlichsozialen die Krise überwinden. Der „revolutionäre Schutt“ sollte weggeräumt werden: Löhne und Sozialleistungen sollten gekürzt, die Kollektivverträge und selbst verwalteten Krankenkassen abgeschafft werden. Unterstützt wurden sie von den Heimwehren, einer bewaffneten Einheit. Diese kritisierten bereits 1931 scharf:
Wir verwerfen den westlichen
demokratischen Parlamentarismus
und den Parteienstaat!
Die Strategie von Kanzler Dollfuß war es, keine Neuwahlen stattfinden zu lassen. Eine Panne in der Nationalratssitzung am 4. März 1933 bot Dollfuß schließlich den willkommenen Anlass, Nägel mit Köpfen zu machen. Er überführte die Republik in eine Diktatur, wenngleich er von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ sprach. Denn nach einem Streit im Parlament, traten alle drei Präsidenten des Nationalrats zurück. Das Parlament war nicht mehr beschlussfähig. Quelle: Was bisher geschah | Die Ausschaltung des Parlaments 1933
Von Brotnehmern und Brotgebern

Redakteur Stephan Huppert berichtete am 1. 2. 1925, die Regierung Seipel hätte mit der Einsetzung einer Antiteuerungskommission nun die Inflationsbekämpfung in Angriff genommen. Und damit auch die Revision des Brotpreises. Denn die Nachwehen des Ersten Weltkrieg beschäftigten die österreichische Bevölkerung. Die neue Republik war flächen- und einwohnermäßig stark geschrumpft, sodass Agrar- und Industriegebiete nicht mehr im Staatsgebiet lagen und der Brotpreis stieg.
Doch Unternehmen machten sich eine andere Erklärung zugute. So wurde der Brotpreis auf die angeblich hohen Löhne der Bäckereiarbeiter:innen und das Nachtbackverbot zurückgeführt.
Käthe Leichter: Frauenarbeit und Wirtschaftskrise (Zum Gewerbeinspektorenbericht 1925), Arbeit&Wirtschaft, 23/1926

Für Käthe Leichter war klar: Die Krise trifft Frauen. In ihrem Artikel von 1925 für die Arbeit&Wirtschaft widmete sie sich den besonderen Herausforderungen, die Wirtschaftskrisen für Frauen bedeuten.
Der Gewerbeinspektorenbericht sagt selbst, dass gerade der verminderte Arbeiterstand das Bestreben der Unternehmer steigert, die Arbeitsleistung der einzelnen Arbeitskraft zu erhöhen. Die Arbeiterin aber wird von dem Gespenst des Abbaues, von der Notwendigkeit, mit ihrem Verdienst auch den anderer arbeitslos gewordener Familienmitglieder zu bestreiten, zu immer rascherer Arbeit getrieben.
So erzählt der Bericht, dass das Streben der Unternehmer, die Lohnkosten möglichst Herabzusetzen, dazu führt, dass sogar jugendliche Hilfsarbeiterinnen, zu gefährlichen Maschinenarbeiten herangezogen werden.
Hier können wir wieder einmal Festellen, wie die erbärmlich niedrigen Frauenlöhne die Frauen geradezu antreiben, ihre gesetzlich begrenzte Arbeitszeit durchbrechen zu lassen, um den kargen Arbeitsverdienst ein wenig zu erhöhen. So wird im Gast- und Schankgewerbe von 80- bis 100 stündigen Arbeitswochen berichtet, von 70 bis 74 Stunden im Kleinhandel, in der Vorarlberger Stickereiindustrie wechseln Zeiten der Kurz- mit solchen der Überarbeitszeit.
Der Bericht ist vor allem eine Anklage, eine scharfe Anklage gegen dieselbe kapitalistische Gesellschaft, die von der Heiligkeit der Frau phantasiert und doch die schwersten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schädigungen der Frauen ruhig hinnimmt, sobald sie ein Mittel bedeuten, die Betriebskosten zu senken. Sie sind aber auch eine Mahnung für uns selbst: den arbeitenden Frauen immer wieder zu zeigen, dass die Wirtschaftskrise für die arbeitenden Frauen noch ganz andere Gefahren hat als die der Arbeitlosigkeit, dass sie nur zu leicht der Ausgangspunkt des Lohndruckes, der Durchbrechen der sozialpolitischen Schutzgesetzgebung für die gesamte Arbeiterbewegung werden können.
Den gesamten Artikel finden Sie hier.
Otto Neurath: Demokratie unter Feinden, Arbeit&Wirtschaft, 20/1926
Otto Neurath bewies hingegen in seinem Artikel für die Arbeit&Wirtschaft ein gutes Gespür für die Fragilität der bürgerlichen Demokratie.
Im Hinblick auf die Klassenschichtung Österreichs sowie auf die gesamte, geschichtliche Situation strebt die sozialdemokratische Partei die Umgestaltung der politischen Machtverhältnisse ohne Bürgerkrieg an.
Der Entwurf des neuen Parteiprogramms drückt dies mit aller Deutlichkeit aus, er erweckt aber dabei keine Illusionen über den Parlamentarismus an sich, sondern tritt für die Wehrhaftmachung des Proletariats ein, damit das Proletariat, ohne vom Bürgertum physisch abhängig zu sein, die Demokratie zunächst innerhalb der alten, dann aber in neuer, seinem Dasein voll angepaßter Form innerhalb der sozialistischen Ordnung erleben könne.
Erst wenn die kapitalistische Wirtschaftsordnung überwunden ist, gibt es in der klassenlosen Gesellschaft soziale Demokratie.
Die Demokratie ist aber nicht nur eine gute Chance für das Proletariat, sie bringt auch Befreiung der Gesinnung und des persönlichen Daseins, trotz allen Leiden des bürgerlichen Zeitalters, und ist die Vorbereitung für die Zu[1]kunftsdemokratie. Bürgerliche Demokratie ist ein Frfoig gegenüber bürgerlicher und feudaler Undemokratie!
Wem gleicht die moderne Demokratie der bürgerlichen Gesellschaftsordnung? Wohl mehr einer Demokratie unter Feinden!
Wenn die Bürgerlichen über die parlamentarische Mehrheit verfügen, benützen sie ihre Macht, um eine widerstrebende, feindliche Klasse zu zwingen, sich ausbeuten zu lassen, und siegte innerhalb der heutigen Gesellschaftsordnung das Proletariat im Wahlkampf, so würde es, soweit es dies vermag, die Ausbeuter zu hindern suchen, ihre ertragreiche Tätigkeit fortzusetzen.