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Symbolbild zum Bericht Amazon lehnt Gewerkschaften aggressiv ab und glaubt, Arbeitsbedingungen und Löhne willkürlich und einseitig diktieren zu können. Die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hält dagegen.
Buchtipp

Arbeit à la Amazon für alle?

Schwerpunkt

Die Auseinandersetzung bei Amazon ist ein Grundsatzkonflikt über die künftige Gestaltung der Arbeitsbedingungen einer ganzen Branche.

Amazon, der weltweit größte Versandhändler aus den USA mit einem Umsatz von rund 30 Milliarden US-Dollar im 4. Quartal 2014, wälzt die Branche (und nicht nur diese) durch seine Marktmacht um und setzt Standards, die den gesamten Einzel- und Versandhandel nicht nur in Deutschland prägen werden. Deswegen ist es nicht nur für die Beschäftigten bei Amazon, sondern der gesamten Branche von Bedeutung, dass beim Versandriesen ein Tarifvertrag durchgesetzt wird und das Unternehmen die Rechte der ArbeitnehmerInnen respektiert.

Verschleierung
Amazon lehnt Gewerkschaften aggressiv ab und glaubt, Arbeitsbedingungen und Löhne willkürlich und einseitig diktieren zu können. Um das zu verschleiern, verweist das Unternehmen in der Öffentlichkeit immer wieder darauf, man orientiere sich an der Bezahlung der Logistikbranche und sei kein Händler. Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sie ist vor allem ein Ablenkungsmanöver. Der Grundsatzkonflikt kreist nicht um die Frage Logistik oder Einzelhandel (eine Zuordnung, die Amazon je nach Land durchaus unterschiedlich beantwortet, wie ein Blick in die USA zeigt). Es geht vielmehr darum, dass das Unternehmen sich bis heute weigert, Löhne und Arbeitsbedingungen mit der Gewerkschaft auszuhandeln – ein Kurs, der direkt aus der Amazon-Firmenzentrale in den USA gesteuert wird. Die Organisierung der ArbeiterInnen an den mittlerweile acht Versandhandelsstandorten, die in Deutschland existieren, begann im Jahr 2009. Dabei wurde auch auf klassische Ansätze des Organizing zurückgegriffen. Im Frühjahr 2013 kam es in Leipzig und Bad Hersfeld zu ersten Streiks. Seither sind die Streiktage und Streikstandorte kontinuierlich ausgeweitet worden: Im letzten Weihnachtsgeschäft 2014 legten z. T. über 2.600 Beschäftigte an sechs (Bad Hersfeld, Leipzig, Graben, Rheinberg, Werne und Koblenz) der acht Standorte für mehrere Tage die Arbeit nieder. Streiks sind nur das sichtbarste Zeichen der Organisierung im Betrieb. Darüber hinaus kommt es regelmäßig zu unterschiedlichen, kreativen Protestaktionen. Es werden Flyer oder Betriebszeitungen verteilt, die über die Rechte und Forderungen der Beschäftigten aufklären. Über Umfragen wird erfragt, wo der Schuh besonders drückt. Oder es werden kreative Aktionen zum Thema Pausenklau oder Urlaubsgeld veranstaltet. Bei Streiks demonstrieren Beschäftigte in den Innenstädten und klären BürgerInnen über die Arbeitsbedingungen bei Amazon auf. Auch medienwirksame Aktionen wie etwa die Verwendung einer Drohne im letzten Weihnachtsstreik, mit der die Beschäftigten in Leipzig ihre Forderung nach einem Tarifvertrag einfliegen ließen, kommen zum Einsatz.

Unverzichtbar für all dies sind gewerkschaftliche Strukturen und betriebliche Mitbestimmungsrechte: An allen Standorten wurden gewerkschaftliche Vertrauensleute und BetriebsrätInnen gewählt. Letztere wurden von Amazon so lange bekämpft, bis eine Wahl nicht mehr zu verhindern war. Heute stehen die Betriebsratsgremien vor einer Fülle von Aufgaben: Sie müssen versuchen, ihre Mitbestimmungsrechte in zahlreichen Fragen wie etwa Gesundheits- und Arbeitsschutz, Befristungen oder Neueinstellungen wahrzunehmen, oder begleiten KollegInnen zu den berüchtigten Feedback-Gesprächen, die Amazon regelmäßig durchführt, um Beschäftigte wegen angeblich zu schlechter Leistung unter Druck zu setzen. Bei Amazon geht es nicht um einen Boykott des Unternehmens, der Arbeitsplätze gefährden würde, sondern darum, gerechte Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Wichtig dafür ist auch die Mobilisierung sichtbarer Solidarität aus der Bevölkerung. So können BürgerInnen z. B. mit ver.di-Postkarten, die an den Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber adressiert sind, in Online-Petitionen oder auch per Retourenaufkleber die Forderung nach einem Tarifvertrag bei Amazon unterstützen.1

Amazon reagiert auf den Widerstand mit einer Mischung aus vielfältigem Druck und dem Versuch, einen Teil des Unmuts zu befrieden. So werden einerseits nach Gutsherrenart seit zwei Jahren kleinere Lohnerhöhungen verkündet. Andererseits werden die befristeten Verträge von Beschäftigten, die gewerkschaftlich aktiv sind, nicht mehr verlängert, oder solche Beschäftigte auffällig häufig zu Feedback-Gesprächen gerufen. Dem Unternehmen spielt dabei in die Karten, dass es durch den Einsatz hochmoderner Handscanner genau nachverfolgen kann, wann ein Beschäftigter sich gerade einmal nicht bewegt bzw. der Scanner inaktiv ist. Aufgrund dieser prinzipiell lückenlosen Überwachungsmöglichkeit und der Arbeitshetze (Laufwege von 15 bis 25 Kilometern am Tag) haben die Beschäftigten den Slogan „Wir sind keine Roboter“2 populär gemacht und verweisen auf extrem hohe Krankenquoten von 15 bis sogar 25 Prozent, die an einzelnen Standorten existieren.

Hinhaltetaktik
Mittlerweile versucht Amazon auch, die Zutrittsrechte der Gewerkschaft zum Betrieb zu beschneiden, indem das Unternehmen auf absurd lange Ankündigungsfristen im Voraus pocht. Das Unternehmen enthält BetriebsrätInnen zudem Informationen vor, auf die diese Anspruch haben. Und in Bad Hersfeld weigerte sich Amazon, einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat mit externen GewerkschaftsvertreterInnen einzurichten. Ein Gerichtsverfahren dazu haben der Betriebsrat und ver.di mittlerweile gewonnen, für vier weitere Amazon-Standorte laufen derzeit sogenannte Statusverfahren.
Amazon behauptet immer wieder, die Proteste und Streiks zeigten keine Wirkung. Berichte von Bestellungen, die nicht rechtzeitig ausgeliefert werden können, oder die Tatsache, dass Amazon im Weihnachtsgeschäft die Warenströme kostenträchtig umorganisieren muss, sprechen jedoch eine andere Sprache. Die Streiks treffen Amazon, und das Unternehmen kann auch nur bedingt Bestellungen aus Deutschland über die relativ jungen Versandhandelszentren in Polen umleiten. Aufgrund des kurzfristigen Lieferversprechens sind einer Verlagerung per se gewisse Grenzen gesetzt. Trotzdem wird das Unternehmen versuchen, diese Karte stärker zu spielen, um Ängste und Konflikte in der Belegschaft zu schüren. Hier gilt es, das Gespräch mit denen zu suchen, die wirkliche Sorgen umtreiben, und klar Position zu beziehen gegen jene, die die berechtigte Forderung der Beschäftigten unterlaufen wollen und – ob freiwillig oder nicht – das Lied des Arbeitgebers singen. Außerdem ist es nötig, die Vernetzung, die bereits zu GewerkschafterInnen und Beschäftigten von Amazon in Großbritannien, den USA, Frankreich oder Polen existiert, weiter auszubauen. Auch da hat sich ver.di für 2015 viel vorgenommen.

Etappensiege
Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon hat bereits zu Etappensiegen geführt. Amazon sah sich gezwungen, die Löhne zu erhöhen, in den kaum belüfteten Hallen, in denen im Sommer KollegInnen immer wieder umkippen, Klimaanlagen einzubauen und Wasserspender aufzustellen. Aber klar ist auch: Das Ziel ist und bleibt ein Tarifvertrag sowie ein Ende der sachgrundlosen Befristungspraxis. Dafür braucht es einen langen Atem.
Auch die BürgerInnen sind dazu aufgerufen, Amazon unter Druck zu setzen. Denn es ist ein gesellschaftlicher Skandal, dass ein Unternehmen in Deutschland Millionen Euro an öffentlichen Subventionen kassiert, aber zugleich sämtliche legalen Tricks ausschöpft, um hierzulande kaum Steuern zu bezahlen, und seinen Beschäftigten elementare Rechte verweigert. Auch die Politik muss dazu stärker Stellung beziehen. Es geht um einen fundamentalen Konflikt: Lassen wir es zu, dass uns ein Unternehmen seine Vorstellung von Unternehmenskultur aufzwingt – oder verteidigen wir unsere ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsrechte?

1 Die Postkarten können unter handel.verdi.de bestellt werden. Der Retourenaufkleber kann unter amazon-verdi.de/4486 ausgedruckt werden. Eine aktuelle Online-Petition findet sich unter www.change.org/amazon-sei-fair
2 Siehe dazu auch tinyurl.com/l6t7nck

Webtipp:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.amazon-verdi.de
Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen
eva.voelpel@verdi.de und stefan.najda@verdi.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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