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Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427669 Kulturtipps zum Gedenkjahr Die erkämpfte Republik. 1918/19 in Fotografien

12. November 1918: Hunderttausende sind auf die Wiener Ringstraße gekommen, um das Ende der Habsburgermonarchie und den demokratischen Neubeginn zu feiern. An diesem Tag wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Das Frauenwahlrecht wurde eingeführt, Zensur und Versammlungsverbote wurden aufgehoben, der 8-Stunden-Tag etabliert. Diese  Errungenschaften  kamen  nicht  von  selbst:  Sie  sind  hart  erkämpft worden. Dieser politische und gesellschaftliche Umbruch fand erstmals vor den Augen von Fotojournalisten statt. Das Wien Museum erzählt davon, wie der neue Staat entstand und welche Folgen die Wendezeit 1918/19 hatte.
Wien Museum Karlsplatz
25. Oktober 2018 bis 3. Februar 2019
www.wienmuseum.at

Photo/Politics/Austria

Das mumok unternimmt eine Zeitreise mit Fotos. Je ein Bild für die vergangenen 100 Jahre seit der Republiksgründung plus eines für das Jahr 2018 erinnern punktuell an Ereignisse, die mit genau einem Jahr verbunden sind: Justizpalastbrand (1927), Menschen auf der Flucht aus Ungarn (1956), der Tschechoslowakei (1968) oder Syrien (2015), Jörg Haiders alkoholbedingter Unfalltod (2008). Aber sie erinnern auch an politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die über Jahre hinweg wirken: Heimkehr aus dem Weltkrieg, Faschismus, Krieg, Wiederaufbau, Motorisierung, Tourismus.
Museum moderner Kunst Wien
bis 3. Februar 2019
www.mumok.at

Frauen wählet! – 100 Jahre Frauenwahlrecht

Am 12. November 1918 wurde Frauen das aktive und passive Wahlrecht zuerkannt. 1919 konnten sie erstmals gleichberechtigt mit Männern ihr Wahlrecht wahrnehmen. Statt Infos auf Plakate zu drucken und diese als Ausstellung zu zeigen, hat die Nationalbibliothek eine virtuelle Ausstellung zusammengestellt. Beginnend mit der Revolution von 1848 wird der Weg bis zum Wahltag am 16. Februar 1919 anhand von Illustrationen, Zeitungsausschnitten, Fotos, Plakaten und Flugblättern nachgezeichnet.
Online-Ausstellung der
Österreichischen Nationalbibliothek
www.onb.ac.at/ariadne

Der Staat, das sind wir

Nicht die „große Politik“ im Gründungsjahr der Republik 1918 steht im Mittelpunkt der Vortragsreihe an der VHS Ottakring. Vielmehr sind es die Erfahrungen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Was hat die Menschen in dieser kurzen, aber aus heutiger Sicht revolutionären Zeit geprägt? Von November 2018 bis April 2019 ist auch die sehenswerte Posterausstellung „Der Staat, das sind wir“ zu sehen. Im Zentrum der Ausstellung steht die Geschichte der österreichischen Demokratie.
VHS Ottakring
November 2018 bis April 2019
www.vhs.at/de/e/ottakring

Marx in Wien. Nachgezeichnet von P. M. Hoffmann

Im August 1848 reiste Karl Marx nach Wien, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Für den Waschsalon hat der deutsche Illustrator P.M. Hoffmann die einzelnen Stationen in Szene gesetzt. 
Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof
bis 20. Dezember 2018
www.dasrotewien-waschsalon.at

Wer war 1968? Kunst, Architektur, Gesellschaft

Im LENTOS dreht sich alles um das Jahrzehnt der Ausbrüche, Aufbrüche und Umbrüche in der Stahlstadt Linz. Zentrale und oft bis heute unbekannte Figuren und Momente der lokalen Geschichte finden darin Platz.
LENTOS Kunstmuseum Linz
bis 13. Jänner 2019
www.lentos.at

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Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427644 Die Verstaatlichung der Verluste Während des Wirtschaftsbooms zu Beginn der 2000er-Jahre schien die Welt noch in Ordnung. Der Wohlstand nahm nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern zu, wenngleich nicht alle davon – in gleichen Maßen – profitierten. Mit dem Neoliberalismus schien die inhärente Krisenanfälligkeit des Kapitalismus überwunden.
So erklärte beispielsweise der britische Schatzkanzler Gordon Brown in seiner letzten Budgetrede 2007: „Wir werden niemals in den alten Krisenzyklus zurückfallen.“ Knapp ein Jahr später, im September 2008, meldete Lehmann Brothers, vormals eine der weltweit größten Investmentbanken, Konkurs an. Die US-Immobilienblase war geplatzt und löste infolge die stärkste Rezession der Nachkriegszeit aus.

Die Ursachen der Krise
Während das Platzen der US-Immobilienblase als Auslöser der weltweiten Finanzkrise gilt, sind ihre Ursachen weiter zurück in der Geschichte zu suchen. Mit Beginn der 1980er-Jahre setzten sich zunächst in den USA, später auch in Europa vermehrt neoliberale Vorstellungen der Wirtschaftspolitik durch: Das Ziel der Vollbeschäftigung geriet in den Hintergrund, der Sozialstaat wurde zurückgebaut und gewerkschaftliche Handlungsspielräume eingeengt. Gleichzeitig wurden Staatsbetriebe privatisiert und die Finanzmärkte dereguliert. Letzteres gilt als die erste von drei wesentlichen Ursachen, die maßgeblich zur Finanzkrise beitrugen: Die Liberalisierung der Finanzmärkte führte zum Abbau von Kontrollmechanismen und einer zunehmenden Instabilität, also höheren Schwankungen bei Wechselkursen und Finanzmarktanlagen.
Durch die verstärkte Ausrichtung auf den Shareholder-Value kam es zu einer Spirale der wechselseitigen Überbietung von – kurzfristigen – Gewinnzielen. Dies wiederum beförderte riskantere Anlagestrategien.

Steigende Ungleichheit
Zweitens beförderte die steigende wirtschaftliche Ungleichheit das enorme Wachstum der Finanzmärkte. Zum einen polarisierte sich die Einkommensverteilung und erreichte etwa in den USA ähnliche Werte wie vor der Großen Depression in den 1920er-Jahren. Zum anderen sank die Lohnquote (der Anteil der Löhne am gesamtwirtschaftlichen Einkommen) zugunsten der Unternehmensprofite. Die höheren Profite führten jedoch nicht zu höheren Investitionen der Unternehmen, sondern wurden vermehrt auf den Finanzmärkten angelegt.
So stieg das Weltsozialprodukt von 1980 bis 2006 von 10,1 Billionen US-Dollar auf 48,3 Billionen US-Dollar, während das akkumulierte Finanzvermögen im gleichen Zeitraum von zwölf Billionen US-Dollar auf 167 Billionen US-Dollar anwuchs.Drittens führte die zunehmende Ungleichheit zu einer Nachfrageschwäche, denn der Konsum wird zu wesentlichen Teilen aus Lohneinkommen gespeist. Diese Nachfrageschwäche versuchten einige Länder (etwa Deutschland, Öster­reich) über Exportüberschüsse auszugleichen. Diesen durch Exporte generierten Leistungsbilanzüberschüssen stehen jedoch entsprechende Defizite in anderen Ländern wie etwa den USA gegenüber.
In diesen Ländern stiegen der Konsum und folglich auch das Wachstum aufgrund einer zunehmenden Verschuldung der privaten Haushalte weiter an.

Neoliberale Probleme
Die Finanzkrise förderte die Probleme des neoliberalen Wirtschaftssystems offen zutage. In Europa versuchten die Eliten die Krise als amerikanisches Problem darzustellen. Die hausgemachten Probleme etwa im spanischen und irischen Immobilienmarkt oder die hohe Verschuldung in Griechenland werden dabei jedoch ebenso ignoriert wie die Involvierung europäischer (Groß)Banken in das Spekulationscasino rund um die US-Hypothekarkredite. Schlussendlich waren die Auswirkungen der Krise sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks gravierend.   
Um die vollständige Implosion des Finanzsystems zu verhindern und den Konjunktureinbruch abzumildern, wurden riesige Bankenrettungspakete geschnürt und Konjunkturstützungsmaßnahmen eingeleitet. Allein die Kosten für die Bankenpakete beliefen sich im Euroraum bislang auf 219,3 Milliarden Euro bzw. 644 Euro je EinwohnerIn. Für Österreich ist die Belastung mit 14,1 Milliarden Euro bzw. 1.607 Euro je EinwohnerIn mehr als doppelt so hoch.

Fatal, aber notwendig
Die umfassenden und prompten Staatsstützen für den Finanzsektor waren ebenso fatal wie notwendig: Einerseits konnte 2008 niemand abschätzen, welche Konsequenzen ein vollständiger Zusammenbruch des Finanzsektors auf Wirtschaft und Gesellschaft haben würde. Andererseits wurden den VerursacherInnen der Misere relativ rasch enorme Summen an Steuergeldern zur Verfügung gestellt. Die Finanzkrise wurde zur Staatsschuldenkrise und trieb einige Staaten – wie etwa Griechenland, Irland oder Spanien – an den Rand des wirtschaftlichen Ruins.
Die politische Macht des Finanz­sektors und seiner ProfiteurInnen zeigte sich im Umgang mit den Krisenfolgen weitaus stärker als in der unmittelbaren Krisenbekämpfung. Zum überwiegenden Teil wurden jene, die die Krise verursacht hatten, weder juristisch noch wirtschaftlich zur Verantwortung gezogen.
Mittels Steuern auf große Vermögen oder Finanztransaktionen hätten nicht nur die KrisenverursacherInnen, sondern auch jene, die in den Boomjahren davor vom anschwellenden Finanzsektor profitierten, zur Kasse gebeten werden können. In Österreich müsste die eingeführte Bankenabgabe allerdings noch weitere 90 Jahre eingehoben werden, um die budgetären Kosten der Krise auszugleichen.
Stattdessen wurde die Krise in Europa vor allem über öffentliche Sparmaßnahmen an die große Mehrheit der Bevölkerung weitergegeben. Angesichts schwacher Investitionen dämpfte die Sparpolitik das Wirtschafts­wachstum und erhöhte die Arbeitslosigkeit. Auf dem Finanzsektor wurden die Regulierungen in der EU im Zuge der Krisenbekämpfung verschärft, ein grundlegender Paradigmenwechsel blieb jedoch aus. So müssen Banken nun höhere Eigenkapitalquoten erfüllen, wodurch sie ihre Geschäfte mit einem höheren Anteil ihrer eigenen Einlagen tätigen müssen. Allerdings fehlt weiterhin eine Strukturreform mit einer stärkeren Trennung der Risiken des Investmentbankings vom Geschäftsbankenbetrieb.
Wie viel die Änderungen tatsächlich bewirken, wird sich aber wohl erst mit der nächsten Finanzkrise herausstellen. Seit 2016 gewinnt die Konjunktur in Österreich wieder an Fahrt und lässt die Steuereinnahmen kräftig ansteigen. Dadurch sinkt die Staatsschuldenquote und wird bereits in drei Jahren wieder unter dem Vorkrisenniveau von 2007 liegen.

Lügen gestraft
Während die budgetären Effekte der Finanzkrise in Österreich langsam überwunden werden, bleibt die erhöhte Arbeitslosigkeit bestehen. Für Österreich wie für den gesamten Euro­raum gilt: Nach wie vor liegt die Zahl der Arbeitslosen – auch im aktuellen Konjunkturhoch – über dem Niveau vor der Wirtschaftskrise 2008.
Die Finanzkrise strafte das neoliberale Paradigma vom krisenfreien Kapitalismus Lügen. Der Höhenflug der Finanzmärkte wurde durch eine Bruchlandung beendet, deren realwirtschaftliche Folgen bis heute sichtbar sind. Was bleibt, ist nicht nur ein niedrigeres Wohlstandsniveau für breite Teile der europäischen Bevölkerung, sondern auch eine politische Krise in Europa, wie der Brexit und der Aufstieg rechter und reaktionärer Parteien zeigt.

Weitere Informationen:
Blogtipp:
Thomas Zotter: Zehn Jahre Bankenpaket
tinyurl.com/y7hd42fy
John Lanchester: Die große Wut: Zehn Jahre Finanzkrise
tinyurl.com/yd3g3s75

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin romana.brait@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Romana Brait, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427635 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427567 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427626 Revolution light New York im April 1967: 300.000 Menschen protestieren gegen die amerikanischen Bombenangriffe auf Nordvietnam. Rund ein halbes Jahr später finden in der Hauptstadt Washington Großdemonstrationen statt. Im Frühling 1968 erreicht die Protestwelle auch in Europa ihren Höhepunkt. In Frankreich eskalieren die Studentenproteste, Barrikaden werden errichtet und Autos in Brand gesteckt. Die Polizei geht derart brutal gegen demonstrierende StudentInnen vor, dass sich die Bevölkerung und ArbeiterInnen mit ihnen solidarisieren. Ein Generalstreik, an dem sich zwei Millionen Menschen beteiligen, lähmt wochenlang das Land.

Unter den Talaren …
Während also in Frankreich bürgerkriegs­ähnliche Zustände herrschen, in Deutschland ein Student von einem Polizisten erschossen wird (der sich später als Stasi-Mitarbeiter entpuppt) und aus manchen protestierenden Studierenden später (RAF-)TerroristInnen werden, lauft in Österreich alles vergleichsweise friedlich ab. Proteste sind hauptsächlich auf Wien beschränkt. Für Aufregung (und Publicity) sorgt vor allem ein Teach-in an der Universität im Hörsaal 1 im Juni 68, das bis heute auch als „Uni-Ferkelei“ bekannt ist. Unter dem Titel „Kunst und Revolution“ zeigen Wiener Aktionisten, darunter Günter Brus, Otto Mühl und Peter Weibel, Nacktheit, Masturbation, „Verrichten der großen Notdurft“ und Auspeitschen – und dies alles auch noch unter Verwendung staatshoheitlicher Symbole wie der Nationalflagge und der Bundeshymne.
Fritz Keller, Jahrgang 1950, war damals im Verband Sozialistischer Mittelschüler (VSM) aktiv. „Happenings und ähnliche Aktionen hatte es in Wien ja auch vor 1968 schon einige gegeben“, erinnert er sich. „Für mich war das weniger politische Aktion als bloße Provokation. Doch vielleicht war es ja die einzige Möglichkeit, breite Aufmerksamkeit zu erregen und das österreichische Neurosenfeld zu sprengen.“

… der Mief von tausend Jahren
Tatsächlich waren die Unruhen im Mai 1968 nicht die ersten in Österreich, denn Reformen waren längst überfällig. Das Familienrecht stammte aus dem vorigen Jahrhundert, Ehebruch und Homosexualität waren strafbar, Wehrdienstverweigerung unmöglich, das Bildungssystem war veraltet. Die 1950er-Jahre waren eine politisch und gesellschaftlich bleierne Zeit. „Österreich war erstarrt, fast undemokratisch“, schreibt der Historiker Manfried Rauchensteiner in seinem aktuellen Buch. Vor allem junge Gebildete kritisierten die autoritären Strukturen und den repressiven Staat.
Die Jugendbewegung erwachte: Bereits 1965 kam es zu Demos gegen den Vietnamkrieg und gegen den WU-Professor Taras Borodajkewycz, der in seinen Vorlesungen Nazi-Sprüche lieferte und der Liebling der rechten Studentenverbindungen war, die damals die Studentenschaft dominierten. Vor allem an den Unis gärte es also auch hierzulande schon seit längerem. Beim Opernball 1968 warf die KPÖ-Jugend während der Eröffnungspolonaise Flugblätter auf die Tanzfläche. Doch man ließ sich damals die Stimmung (noch) nicht verderben. Ungerührt tanzten die Paare über Papiere mit dem Text: „Ein Abendkleid ist so viel wert wie zwei große Kisten hochwertiger Medikamente für napalmversengte Kinder“.

Repressionen
Das Attentat auf den StudentInnenführer Rudi Dutschke, die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Paris, der Prager Frühling und der Vietnamkrieg – all das wollte die Jugend auch bei Großveranstaltungen thematisieren. Beim Fackelzug 1968 wurde ein Teil der Demonstran­tInnen wegen Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Rufen von Polizei und Parteifunktionären abgedrängt und umgeleitet. Am nächsten Tag beim Mai-Aufmarsch wurden die Transparente sehr genau kontrolliert. Nachmittags kam es zu Tumulten, als die TeilnehmerInnen einer Kundgebung ein Blasmusikkonzert der Gemeinde Wien störten. Sie verlangten von Bürgermeister Bruno Marek unter anderem eine Diskussion über den Beschäftigtenstand der Elektronikfirma Elin.

Trau keinem über 30
Die StudentInnenbewegung bewirkte eine massive Entfremdung zwischen Studierenden und Parteien. Um und nach 1968 entstanden immer wieder neue Splittergruppen, Aktionskomitees etc. Eine rege Szene links der SPÖ entstand. Der VSM, eigentlich als Kaderschmiede der SPÖ gedacht, stand immer häufiger im Gegensatz zur Mutterpartei. Neben dem gegenüber der SPÖ loyalen VSStÖ entstand der Sozialistische Österreichische Studentenbund SÖS (Organisator der „Uni-Orgie“). Stärker als etwa in Deutschland engagierte sich in Österreich auch die künstlerische Avantgarde. Robert Schindel, Schriftsteller und aktives KPÖ-Mitglied, war Mitbegründer der „Kommune Wien“, dem radikalsten Teil der Studentenbewegung.
Es brodelte allerorts: In Happenings, Teach-ins, Sit-ins etc. wurde gefeiert, diskutiert und provoziert. Slogans der neuen Jugendbewegung wie „Trau keinem über 30“ zeigten nicht nur allgemeine Unzufriedenheit, sondern auch, dass Respekt vor Älteren nicht mehr selbstverständlich war.
Die Aufbruchstimmung hielt noch bis weit in die 1970er-Jahre an. Obwohl die 68er Tabuthemen wie Sexualität öffentlich machten, waren die Frauenrechte damals noch kaum Thema. Die in Wien legendäre linke Buchhändlerin Brigitte Salanda war damals beim SÖS aktiv: „Zumindest dort war es nicht so, dass Frauen nur für Hilfsdienste wie Kochen und Tippen eingesetzt wurden. Da gab es durchaus Frauen, die sich immer wieder zu Wort gemeldet und weder gestrickt noch gekocht haben.“
Was von damals geblieben ist? „Es war eine schöne Zeit“, so Salanda, die vielen noch unter ihrem früheren Namen Herrmann bekannt ist. „Alle haben viel gelesen, was für mich als junge Buchhändlerin auch sehr positiv war. Das Gemeinschaftsgefühl war groß. Wir hatten fast täglich Kontakt und haben über alles diskutiert. Natürlich hatten wir auch viele Illusionen, was wir alles bewirken können, doch das ist normal. Ich gehöre nicht zu denen, die beklagen, dass wir kaum etwas erreicht hätten.“

Revolutionsharlekine
Auch Fritz Keller ist keiner, der mit nostalgisch-verklärtem Blick zurückschaut. Auch klagt er nicht über mangelnde Erfolge. Erfreulich ist für ihn, dass sich durch die 68er-Bewegung der Umgang mit der NS-Zeit verändert hat.
Und er findet sogar in der jüngeren Vergangenheit eine positive Spätfolge, denn für ihn waren die Studierendenproteste 2009 eine logische Fortsetzung von 1968. „Die Audimax-Besetzung 2009 mit 24-Stunden-Streaming und Berichten in internationalen Medien hat gezeigt, dass Wien nicht mehr Krähwinkel ist.“
Und er erwähnt ein weiteres Novum: „Damals ist Sabine Oberhauser im Audimax gewesen und hat dort ihre Solidarität bekundet. Ich kenne sonst kein studentisches Ereignis, bei dem ein Spitzenfunktionär des ÖGB anwesend war.“ Es hat ja eigentlich schon fast Tradition, dass studentische Anliegen und Proteste bei den etablierten Parteien, PolitikerInnen, Gewerkschaften und meist auch beim Rest der Bevölkerung nicht so gut ankommen. Bruno Kreisky, der an sich der Studierendenbewegung nicht negativ gegenüberstand, bezeichnete sie dann auch schon mal als Revolutionsharlekine.
 
Repressive Toleranz
Österreich sei, so Fritz Keller, schon immer ein Ort der ausgeprägten repressiven Toleranz gewesen. Und Bruno Kreisky war Großmeister darin, Revolutionä­rInnen in ReformistInnen zu verwandeln. Er habe damals „auffällige“ Personen zu sich nach Döbling eingeladen.
Dort hat er dann von seiner Bekanntschaft mit Che Guevara oder Ho Chi Minh erzählt. Und nach der Frage: „Und was machen wir jetzt mit dir?“, habe er eine Visitenkarte gezückt und gemeint: „Geh dorthin und sag, dass du von mir kommst“. Auf diese Weise wurden revolutionäre Wogen elegant geglättet. Immerhin folgten irgendwann tatsächlich Reformen, allerdings erst nach einigen Jahren: die Fristenlösung kam 1973, die Familienrechtsreform, das Zivildienst- und Universitätsorganisationsgesetz 1975.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427617 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427559 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427605 Verantwortungsverlagerung Arbeitslosigkeit sei vor allem selbstverschuldet: So lautet ein oft gehörtes Dogma, welches von Regierung, Industriellenvereinigung und vielen Medien regelmäßig verbreitet wird. Wer nicht arbeitet, mit dem oder der muss etwas nicht in Ordnung sein. Wahrscheinlich ist er oder sie faul. Folgerichtig müssen Menschen, die derzeit keiner Erwerbsarbeit nachgehen, durch Druck auf den rechten Pfad zurückgeholt werden.

Vollbeschäftigung als Ziel
Diese Auffassungen sind heute politischer Mainstream. Das aber war nicht immer so. Im Jahr 1968 wurde nach langen, erbitterten politischen Debatten das Arbeitsmarktförderungsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz sollte die staatliche Arbeitsmarktverwaltung dazu verpflichten, für die Aufrechterhaltung der Vollbe­schäf­tigung in Österreich zu sorgen und neue Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Tauziehen
Der damalige Ansatz war ein anderer als heute: Arbeitslosigkeit wurde als ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Phänomen verstanden und nicht als das private Problem der von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen. Darüber, wie die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu definieren sind und wessen Schultern deren Last zu tragen haben, wurde im Vorfeld des Inkrafttretens des Gesetzes heftig gestritten.
Damals ging es, wie heute auch, im Wesentlichen um Verteilungsfragen: Wer soll für die Kosten der Arbeitskräftevermittlung aufkommen? Wer hat die gesellschaftliche Kontrolle darüber, wie diese vonstattengehen soll? Bis in die 1960er-Jahre hinein versuchten die österreichischen Gewerkschaften mehr Einfluss auf die Arbeitsvermittlung zu bekommen und sie somit der Zuständigkeit der UnternehmerInnen zu entreißen.
In diese Richtung zielten auch Forderungen nach einer Meldepflicht für offene Arbeitsplätze durch die Unternehmen. Außerdem wollten die Gewerkschaften, dass die „wirtschaftliche Entwicklung“ als eine Ursache für Massenarbeitslosigkeit im Gesetz festgeschrieben werden sollte. Beides wurde durch Interventionen des Unternehmerlagers in der ÖVP verhindert. Ebenso wurde verhindert, dass der Staat Budgetmittel lockermachen durfte, um öffentlich geförderte neue Jobs zu schaffen.
Das Arbeitsmarktförderungsgesetz des Jahres 1968 war ein Spiegelbild damaliger Kräfteverhältnisse. In den folgenden Jahrzehnten sollten diese immer weiter zuungunsten in Österreich arbeitender Lohnabhängiger verschoben werden. In den 1970er-Jahren gerieten die europäischen Staaten wirtschaftlich ins Schleudern. Die Unternehmerseite nutzte diese Krise, um die soziale Verantwortung für Erwerbslosigkeit auf die Betroffenen abzuwälzen. Arbeitslosigkeit war laut der damals aufkommenden neoliberalen Sichtweise nicht mehr das Ergebnis struktureller Defizite, sondern das Resultat individuellen charakterlichen Versagens.

Neoliberale Umgestaltung
Es begann eine bis heute andauernde Umgestaltung der Sozialsysteme zuungunsten lohnabhängiger Menschen. Waren es bis Mitte der 1960er-Jahre die Gewerkschaften, die versuchten, ihre Interessen geltend zu machen und womöglich auch auf den privaten Sektor auszudehnen, traten nun Privat- und Marktinteressen auf den Plan. Die Sozialpolitik wurde zunehmend der Wirtschaft untergeordnet.
Das spiegelt sich selbst in der Sprache neuer, zu diesem Zweck erlassener Gesetze wider. 1994 wurde das sogenannte „Arbeitsmarktservicegesetz“ eingeführt. Aus der staatlichen Arbeitsmarktverwaltung wurde das „Arbeitsmarktservice“ AMS. Maßnahmen zur Sicherung der Vollbeschäftigung waren nun out. Bereits in den 1980er-Jahren wurde mit der auch in den Boulevardmedien befeuerten Kampagne gegen derlei Steuerungsinstrumente begonnen. Folgerichtig und ganz im Stil neoliberaler Politik war das 1994 gegründete AMS keine staatliche Behörde mehr, sondern ein ausgegliedertes Unternehmen. Unternehmenszweck war nicht mehr die Vollbeschäftigung, sondern die „Aufklärung“ der Arbeitslosen über deren angeblich verpasste Jobchancen.
Diese Politik ist bis heute durch eine stetig eskalierende Spirale aus Mittelkürzungen und Repression gekennzeichnet. Schon in den 1980er-Jahren wurden Lohnersatzleistungen für Erwerbslose beschnitten. Mit Gründung des AMS kam dieser Trend richtig in Fahrt. In einem Papier für das Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften von Thomas Lankmayer und Rudolf Moser heißt es: „Seit den 1990ern wurden Strategien der ‚Restriktion und Sanktionen‘ stärker ausgebaut und der Bezug von Arbeitslosengeld wurde dahingehend erschwert, dass verstärkte Eigeninitiative bei der Arbeitsplatzsuche eingefordert, die Zumutbarkeitsbestimmung für Arbeitslose erweitert und Sanktionen bei vermuteter Arbeitsunwilligkeit ausgeweitet wurden. Die Zahl der Sperren des Arbeitslosengeldes wegen Vereitelung der Arbeitsaufnahme aufgrund von Arbeitsunwilligkeit oder Versäumens eines Kontrolltermins hat sich zwischen 1995 und 2005 verfünffacht.“
Seit 2005 müssen sich Arbeitslose beim AMS zum „Nachweis aktiver Arbeitssuche“ verpflichten. 2011 wurde die „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ beschlossen; Teil des Gesetzes war es, „arbeitsfähige“ SozialhilfeempfängerInnen für den Arbeitsmarkt zu „aktivieren“. 2012 folgte das „Sozialrechts-Änderungsgesetz“, welches laut Lankmayer und Moser die Absicht verfolgt, „Menschen länger gesund im Erwerbsleben zu halten und krankheitsbedingte Pensionierungen zu vermeiden (…). Dabei soll vor allem die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verstärkt gefördert werden.“
Für derartige Förderungen werden seit Mitte der 1990er-Jahre verstärkt private Träger engagiert, die mit der Durchführung sowohl von Schulungen als auch Repressionsmaßnahmen beauftragt werden. Finanziert werden diese Träger zu großen Teilen aus dem AMS-Budget, welches allerdings immer mehr zusammengespart wird.

Kickls digitaler AMS-Betreuer
Schon die schwarz-blaue Regierung des Jahres 2000 nutzte Kürzungen beim AMS, um ein Nulldefizit zu finanzieren. Für 2018 hatte die neue Regierung angekündigt, das AMS-Budget von 1,94 Milliarden Euro auf 1,4 Milliarden Euro zusammenzustutzen. Erste Opfer hat die neue Politik bereits gekostet, nämlich Erwerbslose im Alter über 50 sowie junge Menschen bis 25. Die Aktion 20.000 zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt sowie die Ausbildungsgarantie bis 25 sind ersatzlos weggefallen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund werden zur Zielscheibe. Die Mittel für das sogenannte Integrationsjahr, mit dem unter anderem Deutschkurse und Qualifizierungsmaßnahmen finanziert werden, wurden von 100 Millionen auf 50 Millionen Euro gekürzt. Komplettiert wird dieses Bild durch die Legalisierung des 12-Stunden-Arbeitstages. Während Erwerbslosen das Leben schwer gemacht wird, lässt man jene, die noch einen Job haben, bis zur Erschöpfung arbeiten.

Spezialeinheit gegen Schwache
Trotz oder gerade wegen dieser Einsparungen wird weiter an der Repressionsschraube gedreht. Innenminister Herbert Kickl kündigte im Oktober die Gründung einer „Spezialeinheit“ an, die Jagd auf angebliche „Sozialbetrüger“ machen soll. Damit sind allerdings keine reichen Steuerhinterzieher, sondern auf staatliche Unterstützung angewiesene Menschen gemeint.
Auch das AMS rüstet auf. Ein neues Computerprogramm soll zukünftig Arbeitslose in drei Kategorien einteilen und automatisch beschließen, wer niedrige, mittlere oder hohe Chancen am Arbeitsmarkt hat. Dass ausgerechnet jene, die ohnehin schon schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben, dadurch geradezu abgeschrieben werden könnten, sorgte für einen Aufschrei. Fraglich ist aber insgesamt, ob die neue Politik geeignet ist, die Arbeitslosigkeit auch wirklich zu bekämpfen. Denn Fakt ist: Es gibt schlichtweg nicht genug offene Stellen, sodass wirklich alle Arbeitslosen einen Job finden könnten.

Weitere Informationen:
Eveline Wollner: Der Herr Handelsminister hat 100%ig njet gesagt
tinyurl.com/ydyz7wyj
Thomas Lankmayer und Rudolf Moser: Der Sozialstaat im Wandel
tinyurl.com/ya46n8kk
Roland Atzmüller: Die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in Österreich
tinyurl.com/ybtphols

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427599 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427587 Im Untergrund Im Jahr 1892 schlug in Österreich endlich die Stunde der Gewerkschaften. Nach vielen anfänglichen Gehversuchen wurde erstmals in der Geschichte der Monarchie eine zentrale sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsorganisation gegründet. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und Zusammenbruch der Habsburgermonarchie erlebte die Gewerkschaftsbewegung einen rasanten Aufstieg.

Bedeutende Erfolge
Zu Beginn der Republik spielten die Organisationen eine wesentliche sozialpolitische Rolle, denn sie konnten mit der Durchsetzung von Arbeitszeitbegrenzung, Sozialversicherung und der Einführung von Betriebsräten und Arbeiterschutz bedeutende Erfolge erzielen. Mit 1.079.777 Mitgliedern verzeichneten die Freien Gewerkschaften im Jahr 1921 zudem einen Rekordstand – eine derartig hohe Mitgliederzahl erreichte erst 1947 der Österreichische Gewerkschaftsbund wieder. 1928 wurden alle sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften im „Bund freier Gewerkschaften“ zusammengefasst. Organisiert wurde der Verband nach dem Industriegruppenprinzip – insgesamt gab es 38 Gewerkschaften und sieben lokale Gewerkschaften, die etwa 655.000 Mitglieder umfassten.
Als Gegenbewegung zu den sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften wurden 1928 in Leoben die „unabhängigen“ oder „gelben“ Gewerkschaften gegründet, die der christlich-konservativen Heimwehr nahestanden. Da die gelben Gewerkschaften auf Arbeitskämpfe wie Streiks verzichteten, wurden sie von österreichischen Großunternehmen wie beispielsweise der „Oesterreichischen-Alpinen Montangesellschaft“ unterstützt. Neben den beiden dominierenden Gewerkschaften existierten zudem noch kleinere Gewerkschaftsverbände wie jene Organisationen der Deutschnationalen, die „Rote Gewerkschaftsopposition“ der Kommunistischen Partei Österreichs und die NSBO – die nationalsozialistischen Betriebszellenorganisationen – der Nationalsozialisten.

In den Untergrund
Im Zuge der Februarkämpfe 1934 wurden nicht nur die sozialdemokratische Partei, sondern alle sozialdemokratischen Gewerkschaften und deren Arbeiterorganisationen verboten und aufgelöst. Somit war die Opposition völlig ausgeschaltet und der Weg zur offiziellen Errichtung des austrofaschistischen Regimes geebnet. Statt dem Bund freier Gewerkschaften wurde der „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ geschaffen, eine öffentlich-rechtliche und staatsnahe Einheitsgewerkschaft, die autoritär geführt wurde und das gesamte konfiszierte Vermögen der Freien Gewerkschaften erhielt. Sie galt als „Feigenblatt der Diktatur gegenüber der Arbeiterschaft“.

Illegale Führung
Die sozialistischen Freigewerkschafter verstanden es jedoch, sich im Untergrund zu organisieren und richteten in Betrieben sogenannte „Gewerkschaftszellen“ ein. Diese waren vorerst auf sich selbst gestellt, bevor am 18. Februar 1934 Mitglieder der freien Gewerkschaften im Wiener Gemeindebezirk Hernals das „Siebenerkomitee“ gründeten. Das sogenannte SK galt als illegale Führung der sozialistischen Arbeiterbewegung.
Weitere Gewerkschaftsgruppen im Untergrund waren die kommunistische „Wiederaufbaukommission“ sowie die „Illegale freie Angestelltengewerkschaft“ (FRAGÖ). Letztere wurde im September 1934 von den ehemaligen Gewerkschaften der Industrie, des Handels, der Versicherungen, Banken und Gemeindebediensteten gegründet. Ein Jahr später vereinigten sich die drei Organisationen zum illegalen „Bund der freien Gewerkschaften“.
In Brünn wurde eine internationale Verbindungsstelle eingerichtet und in der Tschechoslowakei fanden Konferenzen in regelmäßigen Abständen statt. Innerhalb der illegalen Gewerkschaften gab es allerdings ein ständiges Streitthema: die Position zu den regierungstreuen Gewerkschaftsorganisationen.
Es wurde lange eine Mitarbeit bei diesen diskutiert, um so die Interessen der ArbeitnehmerInnen vertreten zu können. Gegenstimmen warnten davor, dass dies wiederum zur Festigung des Regimes beitragen könnte.
Das SK beispielsweise übte anfangs sehr zurückhaltend Kritik gegenüber dem Regime und man überlegte zeitweise sogar, am austrofaschistischen Staat mitzuwirken. Es dauerte einige Jahre, bis das SK alle staatlichen Institutionen boykottierte. Die FRAGÖ und vor allem die Wiederaufbaukommission hingegen wollten das System so weit wie möglich infiltrieren. Diese Taktik des „Trojanischen Pferds“ war erfolgreich. Der sozialistische Widerstand gegen das Dollfuß-Schuschnigg-Regime legte die Basis für den Widerstand gegen das NS-Regime. Mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 wurde die Situation für die illegalen und staatlichen Gewerkschaften deutlich verschärft.
Der austrofaschistische „Gewerkschaftsbund“ wurde aufgelöst, die Mitglieder in die „Deutsche Arbeitsfront“, eine gemeinsame Organisation der ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber, eingegliedert. Eine Verhaftungswelle erschütterte das Land, nicht nur die Führer des Austrofaschismus, Kleriker und Juden und Jüdinnen, sondern auch alle bekannten Funktionäre der illegalen Freien Gewerkschaften und der illegalen Revolutionären Sozialisten wurden verhaftet, sofern sie nicht rechtzeitig flüchten oder untertauchen konnten.
Das Zentralkomitee der „Revolutionären Sozialisten“ gab im März 1938 die Weisung, alle Aktivitäten für drei Monate zu unterlassen. Die Flucht und Auswanderung belasteter Funktionä­rInnen, die Verhaftung vieler SozialistInnen sowie die Einstellung der Aktivitäten führten zu einem Zusammenbruch und Niedergang der Organisation.

Widerstand
ArbeiterInnen, ehemalige SozialdemokratInnen, Revolutionäre SozialistInnen und GewerkschafterInnen, die sich im Widerstand aktiv engagieren wollten, schlossen sich mangels eigener Organisation den KommunistInnen an.
Die Verfolgungen und das Abreißen der Verbindungen zum sozialdemokratischen Exil nach dem Kriegsausbruch 1939 ließen den sozialistischen Widerstand in einzelne Gruppen zerfallen, die voneinander isoliert waren.
In den Haftanstalten der Nazis sowie im Untergrund verschmolzen die bis dahin verfeindeten sozialdemokratischen und konservativen Gewerkschafte­rInnen im gemeinsamen Kampf gegen die Nationalsozialisten. In den Konzentrationslagern trafen Funktionäre der Einheitsgewerkschaft auf jene des illegalen Bundes Freier Gewerkschaften. Der gemeinsame Widerstand gegen die Nationalsozialisten legte den Grundstein für die Schaffung einer einheitlichen und überparteilichen, demokratischen Gewerkschaftsorganisation nach dem Krieg. Sozialdemokratische, kommunistische und christlicher GewerkschafterInnen gründeten am 15. April 1945, elf Tage vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, den Österreichischen Gewerkschaftsbund.

Wiederaufbau
Das von den Nazis beschlagnahmte Vermögen der Freien Gewerkschaften wurde an die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter zurückgestellt.
Nach dem Krieg unterstützte der ÖGB die unter Armut und Hunger stark leidende Bevölkerung mit Verteilaktionen von Lebensmitteln und Kleidung. Schulen und Jugendfürsorgestellen wurden errichtet und neuer Wohnraum geschaffen.
Der ÖGB fand jedoch schnell in das sozialpolitische Tagesgeschehen zurück: Das größte Vermächtnis aus der Nachkriegszeit ist das im Jahr 1947 verabschiedete Kollektivvertragsgesetz, im selben Jahr überschritten die Mitgliederzahlen des ÖGB die Millionengrenze – die österreichische Gewerkschaftsbewegung hatte zu ihrer sozialpolitischen Stärke zurückgefunden.

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Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427581 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427554 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427536 Wer die Wahl hat … Im März 1894 ging eine Einladung zum sozialdemokratischen Parteitag auf den Postweg von Wien nach London. Ihr Empfänger war Friedrich Engels. Er hatte keine Zeit, sagte seine Teilnahme ab und sandte eine Grußbotschaft zurück an die Delegierten in Wien.
„Der diesjährige Parteitag hat besonders wichtige Aufgaben zu erfüllen. Es handelt sich in Österreich um die Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechtes, jener Waffe, die in der Hand einer klassenbewußten Arbeiterschaft weiter trägt und sicherer trifft als das kleinkalibrige Magazinsgewehr in der Hand des gedrillten Soldaten“, schrieb Engels martialisch.

Keine direkte Wahl
In ganz Europa wurde damals von Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien für ein allgemeines Wahlrecht gestritten. Denn das gab es fast nirgends auf dem Kontinent. In der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie galt seit 1848 ein Kurien- und Zensuswahlrecht, bei dem die Abgeordneten über die Landtage gewählt wurden.
Direkt gewählt wurden die Mitglieder des Reichsrats erst ab 1873. Und zwar ausschließlich von Männern, die mehr als zehn Gulden Steuer entrichteten, bestimmten Berufsgruppen angehörten oder Bildungstitel erworben hatten. Das Wahlrecht schloss damit einen Großteil der Bevölkerung von den Wahlen aus – Frauen sogar völlig.
In Wien waren im Jahr 1880 gerade einmal 3,5 Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt. „Der Kampf wird langwierig und heftig sein. Aber wenn die Arbeiter die politische Einsicht, die Geduld und Ausdauer, die Einmütigkeit und Disziplin beweisen, denen sie nun schon so viele schöne Erfolge verdanken, so kann der endliche Sieg ihnen nicht entgehen“, war sich Engels sicher.

Erster Fortschritt
Geduld brauchten die österreichischen ArbeiterInnen tatsächlich noch, bis das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht eingeführt wurde. Der Parteitag von 1894 beschloss die Forderung nach einer fünften Wählerkurie für alle Männer ab dem 24. Lebensjahr; weitere Voraussetzungen waren: Sie mussten schreiben und lesen können, eine ständige Beschäftigung ausüben oder eine direkte Steuer bezahlen. Zwei Jahre später wurde diese fünfte Kurie tatsächlich geschaffen. Doch ein wirkliches, allgemeines Wahlrecht für Männer wurde erst 1907 eingeführt. Und bis auch Frauen an die Wahlurnen gelassen wurden, war eine ganze Revolution vonnöten.
Erst am 12. November 1918 erlangten Frauen in Österreich erstmalig das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Ein paar Monate später, am 16. Februar 1919, fand schließlich die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung statt – die erste freie Wahl der Republik. In der Verfassung vom März 1919 wurde die parlamentarische Demokratie mit direkten, freien, gleichen und geheimen Wahlen als Staatsform festgeschrieben. Für einen massiven Gewinn an Mitbestimmung sollte auch die Gründung der Arbeiterkammern im Jahr 1920 sorgen. Ferdinand Hanusch hatte jenes Gesetz in die Nationalversammlung eingebracht, das die Gründung der Kammer für Arbeiter- und Angestellte vorsah und am 26. Februar 1920 beschlossen wurde. Die Forderung nach einer fest verankerten Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter war nicht neu. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie erhoben – schließlich gab es seit 1849 auch Handelskammern, in denen die Unternehmer Pflichtmitglieder waren.

Mitbestimmung der Beschäftigten
Im Jahr 1886 hatte der liberale Reichsratsabgeordnete Ernst von Plener einen Antrag auf die Einrichtung von Arbeiterkammern gestellt, über den auch jahrelang beraten wurde. Doch am Ende waren sich sozialdemokratische Partei und Gewerkschaften einig. Sie lehnten den Antrag des Liberalen ab. Ihre Befürchtung: Eine Arbeiterkammer könnte am Ende als Argument gegen ein allgemeines Wahlrecht dienen, ohne dass sich an den verbrieften Rechten der Arbeite­rInnen viel änderte. Darauf wollte man sich nicht einlassen.

Unter den Erwartungen
Als sie dann in den 1920er-Jahren schließlich doch etabliert worden war, blieb der Einfluss der Arbeiterkammer allerdings unter den Erwartungen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Die AK hatte einfach zu wenig mitzureden. Ein paar Jahre lang probierten die ÖsterreicherInnen in der Ersten Republik ein bis dahin nicht gekanntes Maß an demokratischen Mitbestimmungsrechten aus.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis die erste parlamentarisch geprägte Demokratie ein jähes Ende fand. Die Verfassungsnovelle von 1929 wertete die Rolle des Bundespräsidenten zulasten des Parlaments auf, und nur vier weitere Jahre später, genauer gesagt im Jahr 1933, wurde das Parlament de facto ganz ausgeschaltet. Die Arbeiterkammern waren zur Zeit des austrofaschistischen Regimes ab 1934 nicht viel mehr als unter Regierungsaufsicht stehende Geschäftsstellen der Einheitsgewerkschaft. Im Jahr 1938 wurden sie gänzlich aufgelöst.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Arbeiterkammer mit Gründung der Zweiten Republik wieder eingerichtet, und zwar formal schon am 20. Juli 1945. Und auch beim Wahlrecht tat sich in der Zweiten Republik einiges. Wer mindestens 20 Jahre alt war, durfte ab 1949 wählen. Wer 26 oder älter war, durfte sich auch selbst zur Wahl stellen. 1968 wurden das aktive Wahlalter auf 19 und das passive auf 25 Jahre abgesenkt. 1992 schließlich fielen die Mindestalter auf 18 bzw. 19 Jahre, im Jahr 2007 wurde das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt.
Und auch sonst wurden die Möglichkeiten, sich an Wahlen zu beteiligen, Schritt für Schritt für immer mehr Menschen erweitert. Im Jahr 1989 konnten sich AuslandsösterreicherInnen zum ersten Mal an Wahlen beteiligen, allerdings ausschließlich in den diplomatischen Vertretungen der Republik. Erstmalig 2002 erhielten auch Menschen ausländischer Staatsbürgerschaft das Wahlrecht und zwar auf kommunaler Ebene, aber nur in Wien. Zwei Jahre später allerdings kippte der Verfassungsgerichtshof diese Regelung wieder, da er allein in der österreichischen Staatsbürgerschaft die Grundvoraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts erkannte.

Demokratiedefizit
Seit dem Jahr 1995 dürfen zumindest EU-BürgerInnen, die in Österreich leben, auf kommunaler Ebene wählen. Auf Landesebene oder bei Wahlen zum Nationalrat sind sie von der demokratischen Mitbestimmung weiterhin ausgeschlossen. So dürfen allein in der Bundeshauptstadt über 400.000 Wiene­rInnen an den Wahlen zum Gemeinderat – der ist in Wien schließlich ein Landtag –, Nationalrat und Bundespräsidenten nicht teilnehmen. KritikerInnen erkennen darin ein gewaltiges Demokratie­defizit, das im Widerspruch zur politisch forcierten Mobilität innerhalb Europas steht. Demokratische Mitbestimmung unabhängig von der Staatsbürgerschaft gibt es allerdings dennoch und zwar bei den Wahlen zur Arbeiterkammer. „Wahlberechtigt sind ohne Unterschied der Staatszugehörigkeit alle am Stichtag kammerzugehörigen Arbeitnehmer“, heißt es in § 10 des Arbeiterkammer-Gesetzes.

Ausnahmewahl
Auf das passive Wahlrecht mussten zugezogene AK-Mitglieder allerdings lange warten. Erst nachdem im Jahr 1999 eine Gruppe von fünf türkischen AK-Mitgliedern als Kandidaten zur AK-Wahl antreten wollten und von der Wahlkommission strikt abgelehnt wurden, sorgte ein Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof schließlich für die Einführung des passiven Wahlrechts für Migran­tInnen bei den AK-Wahlen.

Weitere Informationen:
Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie
tinyurl.com/ybx3w4bu
Der Standard, „Jeder vierte Wiener darf nicht wählen“
tinyurl.com/yckgypxh

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Thomas Stollenwerk, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427530 Im Jahr 1918 war es so weit: Österreichische Frauen erhielten das Wahlrecht. Hier zu sehen: die ersten Frauen im Parlament in Wien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427544 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427516 Die Republik, die sie wollten Es wird aller Kräfte bedürfen, den freien Volksstaat lebensfähig zu machen. Das große Werk kann aber nur dann glücken, wenn für alle schaffenden Bewohner des Staatswesens die Möglichkeit gegeben ist, ‚auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen‘, aber nicht nur als politisch Freie, sondern auch als wirtschaftlich Freie. Nur soziale Einsicht und soziale Gerechtigkeit können diesen Staat begründen und zu einer Heimstätte glücklicher Menschen machen.“ Diese Zeilen stammen aus dem Jahr 1919, und sie stammen aus der Feder von Ferdinand Hanusch, Gewerkschafter und Staatssekretär für soziale Verwaltung. Sie vermitteln sehr gut, welches Auf und Ab der Gefühle die Gründung der österreichischen Republik begleitete.
Der Staat, den keiner wollte: So wird die demokratische Republik der Jahre 1918 bis 1933 oft charakterisiert. Als Begründung dient der Verweis darauf, dass sie als „Republik Deutsch-Österreich“ proklamiert wurde und erst der Friedensvertrag von St. Germain mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs 1919 den Anschluss an die Deutsche Republik verbot.
Die GewerkschafterInnen, die in der „österreichischen Revolution“ von 1918 und in der Zeit der Gründungsregierung eine führende Rolle spielten, beurteilten aber ihren neuen Staat nach einem anderen „Wertesystem“, wie es Ferdinand Hanusch so berührend formulierte.

Soziale Demokratie
Ob der erhoffte „Anschluss“ kommen sollte oder nicht, entscheidend blieb das Ziel einer parlamentarischen Demokratie, ergänzt um demokratische Mitbestimmung in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und mit sozialer Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. „Soziale Demokratie“ nannte man das damals, heute würden wir „Sozialstaat“ dazu sagen. Die Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg, sein Zerfall und die Transformation Österreichs zu einer echten Demokratie schienen die Chance zu bieten, dem Ziel ein gutes Stück näher zu kommen. Die Gewerkschaftsbewegung verfolgte es konsequent, obwohl die Rahmenbedingungen alles andere als günstig waren.
Österreich hatte seine wichtigsten Industriezentren und Kohlereviere an die neue tschechoslowakische Republik verloren, auch die ungarischen Lebensmittellieferungen blieben aus, die Menschen hungerten und froren, viele Betriebe mussten die Produktion einstellen und wegen des Kohlemangels fuhren kaum Züge. Am schlimmsten war die Lage in Wien, denn am Land konnten sich die Bewohner nicht gut, aber doch selbst versorgen.
Dass nicht noch mehr Menschen verhungerten und froren, verdankte Wien in hohem Maß gelebter internationaler Solidarität. Edo Fimmen, der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds, startete eine Hilfsaktion in den IGB-Mitgliedsgewerkschaften. Die skandinavischen ArbeiterInnen machten freiwillig Überstunden und spendeten den so erarbeiteten Lohn, in den Niederlanden wurde am freien zweiten Weihnachtsfeiertag für Österreich gearbeitet und auch die englischen ArbeiterInnen beteiligten sich an der Hilfsaktion. Selbst in Deutschland sammelte der Gewerkschaftsbund trotz der eigenen Not Geld für die ArbeitnehmerInnen im Nachbarland.

Licht am Horizont
Dass die junge Republik trotz aller Schwierigkeiten schon nach wenigen Jahren Licht am Horizont sah, hatte sie nicht zuletzt den Gewerkschaftern zu verdanken, die immer wieder entscheidenden Einfluss nahmen. Das galt für Ferdinand Hanusch als Leiter des Sozialressorts ebenso wie für den Metallarbeiter Franz Domes, der Hanusch als Vorsitzendem der Reichskommission der Freien Gewerkschaften nachfolgte und ab 1921 erster Präsident der Arbeiterkammer für Wien und Niederösterreich war.
Domes war als Gewerkschaftsvertreter Mitglied des Staatsrats. Dieser war vom Gründungsparlament, der provisorischen Nationalversammlung, bestellt worden, ihm unterstanden die Staatsämter und auch Staatskanzler Karl Renner. Jakob Reumann, der als junger Arbeiter die Drechsler organisiert hatte, leitete als Bürgermeister die Entwicklung des „Roten Wien“ zum sozialstaatlichen Modellland ein.
Nach den ersten demokratischen Parlamentswahlen 1919 erhielten viele sozialdemokratische freie GewerkschafterInnen ein Abgeordnetenmandat in der konstituierenden Nationalversammlung. Unter den Mandataren der christlichsozialen Partei befanden sich nur wenige christliche Gewerkschafter. Bei diesen Wahlen durften Frauen erstmals wählen und kandidieren, weil der Metallarbeiter Johann Schorsch als Gewerkschaftsvertreter gegenüber dem zögernden Staatskanzler Renner darauf bestanden hatte. Im sozialdemokratischen Klub bildeten die GewerkschafterInnen eine eigene Fachsektion zur Ausarbeitung von Gesetzesanträgen.
Sie mischten ganz bewusst in der Politik mit, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Denn München und Ungarn waren zu Räterepubliken geworden, die den Kapitalismus als Gesellschafts- und Wirtschaftssystem sofort beseitigen wollten. Die Profiteure einer unkontrollierten Marktwirtschaft fürchteten ein Überschwappen dieser Revolution auf Österreich und betrachteten Zugeständnisse bei arbeits- und sozialrechtlichen Eingriffen in die Marktfreiheit und in ihre „Herrenrechte“ als das kleinere Übel.
Anton Hueber, der leitende Sekretär der freigewerkschaftlichen Kommission, beschrieb die Rolle, welche die Gewerkschaften in der Epoche des demokratischen Aufbruchs für sich sahen so: „Mit der Vergangenheit müssen wir brechen und müssen den Weg gehen, der uns durch die Entwicklung gewiesen ist, um endlich mit Hilfe der gewerkschaftlichen Organisation zur wirtschaftlichen Demokratie zu gelangen. Wir haben uns nicht organisiert, um bloß höhere Löhne zu bekommen, unsere Arbeit muss einem höheren Ziel dienen.“

Volle Gleichberechtigung
Noch während des Krieges hatte Hueber zusammen mit Karl Renner als Mitglied des „Ausschusses für Kriegs- und Übergangswirtschaft“ im kaiserlichen Handelsministerium die Errichtung einer „Paritätischen Industriekommission“ durchgesetzt.
Diese sollte die industrielle Abrüstung und den wirtschaftlichen Aufbau der Nachkriegszeit vorbereiten und steuern. In dieser Kommission verhandelten „die freien Kampforganisationen der Arbeiter und Industriellen“, also die Vertreter der Industriellenvereinigung und der Gewerkschaftskommissionen, in voller Gleichberechtigung. Die schon lange bestehenden gesetzlichen Interessenvertretungen der Unternehmer, die Handelskammern, waren nicht eingebunden, weil es die Arbeiterkammern als ihr Gegenstück noch nicht gab und damit eine gleichberechtigte Verhandlungsposition beider Seiten nicht gewahrt gewesen wäre. Die Kommission bereitete zum Beispiel die Einführung der Arbeitslosenunterstützung und des Achtstundentags vor. Sie sorgte so dafür, dass man sich in den Unternehmen auch an die neuen Gesetze hielt.

Revolutionäres Arbeitsrecht
Der Achtstundentag war eine der ersten Forderungen der Gewerkschaftsbewegung, die Arbeitslosenversicherung ein neuer Weg, aber für ihre Ausformung spielten Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Arbeitslosenunterstützung eine wichtige Rolle. Die beiden Gesetze waren Teil der sozialpolitischen Offensive, die 1918 bis 1920 vom Hanusch-Ministerium ausging und die Grundlage für den Ausbau des österreichischen Sozialstaats nach 1945 legte. Etliche der Sozialgesetze – wie das Krankenversicherungsgesetz – gab es schon in der Monarchie, sie wurden jetzt modernisiert und galten endlich für fast alle ArbeitnehmerInnen.
Als „revolutionär“ kann das neue kollektive Arbeitsrecht bezeichnet werden: Rechtsverbindlichkeit von Kollektivverträgen, Betriebsräte als gewählte Belegschaftsvertretung und Arbeiterkammern mit dem Recht auf Selbstverwaltung, das bisher nur den Unternehmern zugestanden worden war.
Anhänger der „Marktfreiheit“ bekämpften diese Mitbestimmungsrechte schon bald als „sozialen Schutt“. Sie fanden ab 1921 in den rechten Koalitionsregierungen Verbündete, die das Experiment „soziale Demokratie“ vorläufig stoppen konnten. Ein rigoroses Sparprogramm vernichtete den gerade beginnenden Aufschwung.

Literaturtipp:
Julius Deutsch, Geschichte der Gewerkschaftsbewegung.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin brigitte.pellar@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427501 Zwei Büsten am Republik-Denkmal zeigen Gewerkschafter: den Wiener Bürgermeister Jakob Reumann und den Sozialstaatssekretär Ferdinand Hanusch. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427448 Zurück zu den oberen 100.000 Es mag bei der hitzigen Debatte, die rund um den von der Regierung geplanten Umbau der Sozialversicherungen aufgeflammt ist, ein wenig untergehen. Aber es hat einen handfesten Grund, warum ArbeitnehmerInnen in der Selbstverwaltung bisher den Ton angegeben haben. Immerhin handelt es sich etwa bei der Gebietskrankenkasse um „ihre“ Versicherung. So war ihnen die Mitsprache darüber gesichert, was mit jenen Beiträgen geschieht, die sie Monat für Monat in die Hände der Versicherung legten.  
Die Regierung legt nun die Sozialversicherung der ArbeitnehmerInnen in die Hände des Wirtschaftsbundes. Durch die paritätische Besetzung (gleiches Stimmenverhältnis von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern) des Verwaltungsrates der Österreichischen Gesundheitskasse bestimmen 100.000 Wirtschaftstreibende über die Gesundheitsversorgung von rund 3,6 Millionen   ArbeitnehmerInnen und ihren Angehörigen, insgesamt rund sieben Millionen Versicherte.

Auf das Wohlwollen angewiesen
Das ist ein Rückschritt ins 18. Jahrhundert, als das Wohlwollen der „Diensthälter“, „Fabrikanten“ und „Gewerbetreibenden“ die Krankenversorgung der „Dienstnehmer“ bestimmte.
Es war immer schon für das Selbstverständnis der ArbeitnehmerInnen wichtig, sich von Abhängigkeiten vom Arbeitgeber und dessen Bevormundungen zu befreien. Bis zum Spätmittelalter war es „traditioneller Brauch“ und „alte Gewohnheit“, dass Dienstherren für ihre kranken Dienstpersonen zu sorgen hatten.
Dieser Grundsatz entsprach dem sogenannten Schutz-Treue-Verhältnis zwischen Vater und Kind, Herr und Diener im patriarchalischen Hausverband, egal, ob es sich bei den Dienstherren um Fürsten, Grundherren, Beamte, Kaufmänner, Handwerker oder Bauern handelte.
Bereits im 14. und 15. Jahrhundert emanzipierten sich die Handwerksdiener aus dieser „Schutzgewalt“ des Meisters und wurden mehr und mehr als selbstständige Arbeiter angesehen. Sie waren unter der Bezeichnung „Geselle“ gegen Lohn bei der Ausführung eines Werkes behilflich und nicht mehr im patriarchalisch-häuslichen Sinn dienstbar.

Selbst zu unterhalten
Demzufolge war beispielsweise in der General-Handwerksordnung aus 1527 für Niederösterreich festgelegt, dass sich der Handwerksgeselle im Krankheitsfall selbst zu unterhalten habe.
Damit die Gesellen in diesem Fall nicht vor dem Nichts standen, errichteten Handwerker unter anderem sogenannte „Gesellenbüchsen“, in die sie einzahlten, um im Krankheitsfall daraus versorgt zu werden. Das ist nichts anderes als eine selbstorganisierte Krankenversicherung.
Im 17. und 18. Jahrhundert kam es allgemein in der ständischen Gesellschaft zu einem Rückfall in patriarchalische Ge-pflogenheiten. In der Zeit des „Vormärzes“ bis zur Revolution von 1848 kam die Gesetzgebung generell zum Stillstand. Ins-besondere die Untätigkeit und Gleichgültigkeit des „absoluten“ Staates gegenüber der „sozialen Frage“, die durch die sich auch in Österreich ausbreitende industrielle Revolution immer drängender wurde, forderte die Selbsthilfefähigkeiten der ArbeiterInnen heraus.
Noch im Juni 1848 wurde der „Allgemeine Arbeiterverein“ gegründet, der ein Arbeiterparlament und die Errichtung von Kranken- und Invalidenkassen mit Beihilfe des Staates forderte.

Verpflichtung für Unternehmer
Der nächste Schritt war die Gewerbeordnung von 1859, die von liberalen Strömungen geprägt war. Sie regelte Fabrikskrankenkassen und verpflichtete die Unternehmer, ab einer bestimmten Firmengröße für Arbeitsunfälle und Erkrankungen eine Unterstützungskasse einzurichten. Als Alternative waren auch Genossenschaftskassen vorgesehen. Ein wichtiger Fortschritt aus damaliger Sicht: Ausdrücklich wurde den Gehilfen ein angemessener Einfluss auf die Verwaltung eingeräumt.
Für die selbstorganisierte Krankenversicherung der ArbeitnehmerInnen war das Vereinsgesetz von 1867 ein wesentliches Datum. Damit war die rechtliche Grundlage für die freie Bildung von Unterstützungskassen geschaffen. Im Dezember 1867 nahm der Wiener Arbeiterbildungsverein seine Tätigkeit auf. Zum Gründungszeitpunkt gehörten ihm 16 Kassen mit 30.000 Mitgliedern an. Rückenwind erhielten die KämpferInnen für den Sozialstaat damals durch eine Wirtschaftskrise. Denn der Börsenkrach von 1873 brachte den Glauben an die Selbstregelungsfähigkeit des Marktes auch bei führenden Vertretern des Liberalismus ins Wanken. Es war damit nämlich bewiesen, dass eine schrankenlose wirtschaftliche Betätigung schwere volkswirtschaftliche und soziale Schäden anrichten kann.

Beginnender Sozialstaat
Die Zeit des Nachtwächterstaates, der sich auf den Schutz des Privateigentums und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beschränkte, war vorerst vorbei. Der Sozialstaat begann sich durchzusetzen. Eine seiner ersten Errungenschaften war das Krankenversicherungsgesetz (KVG) von 1888. Nach dem Bismarck’schen Modell wurde auch in Österreich die Pflichtversicherung in der Kranken- und Unfallversicherung eingeführt.
Die Hauptleistung dieses Gesetzes war das Festschreiben von Mindestleistungen wie die freie ärztliche Behandlung oder die Verpflegung in einem Krankenhaus auf Kosten der Krankenkasse. Den ArbeiterInnen stand Krankengeld in der Höhe von 60 Prozent des ortsüblichen Taglohns zu, und zwar vom Tag der Erkrankung an, wenn diese mehr als drei Tage dauerte und der Erkrankte erwerbsunfähig war. Das Krankengeld konnte man mindestens 20 Wochen beziehen.
Im Jahre 1901 gab es in Österreich (Zisleithanien) insgesamt 2.935 Krankenkassen, sie hatten eine Mitgliederzahl von 2,5 Millionen (neun Prozent der Bevölkerung). Und: Sie wurden in Selbstverwaltung mit Arbeitnehme­rInnenmehrheit geführt. Diese rief auch damals schon Widerstand hervor. So sollte nur wenige Jahre später, im Jahr 1905, ein stark ausgeprägtes Aufsichtsrecht des Staates eingeführt werden. Der Krankenkassentag erklärte daraufhin: „Gelingt es die Selbstverwaltung auch auf dem Gebiet der Arbeiterversicherung zu vernichten (…) dann wäre die Arbeiterversicherung nur zu einer Armenversorgung auf Kosten der Arbeiter umgestaltet (…) Nie und nimmer wird die Arbeiterschaft es dulden können, dass ihr der wohlbegründete Anspruch auf entscheidenden Einfluss (…) in den Krankenkassen entrissen und in der UV (Unfallversicherung) und IV (Invalidenversicherung) vorenthalten wird.“

Zwingendes Gebot
Die – derzeit noch – bestehende Selbstverwaltung der Sozialversicherung steht in engem Zusammenhang mit dem Wiederaufbau von demokratischen Strukturen in der Zweiten Republik. Es wurde als „zwingendes Gebot“ angesehen, möglichst breite Kreise der Versicherten in die Selbstverwaltung einzubeziehen.
Genau das war in den von 1935 bis 1945 in Österreich herrschenden Dik­taturen nicht geschehen. Entsprechend hat man danach festgelegt, dass Verwaltungskörper der Sozialversicherungs­träger streng nach dem demokratischen Prinzip zu besetzen waren.
Seit es die Selbstverwaltung der ArbeitnehmerInnen in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt – immerhin seit 1888 –, waren die Vorstände und Generalversammlungen immer mehrheitlich mit ArbeitnehmerInnen besetzt.
In der Monarchie lag das Verhältnis bei 2:1, in der Ersten und Zweiten Republik bei 4:1. Übrigens, selbst im autoritären Ständestaat lag das Verhältnis bei 2:1. Im Gegenzug hatten die Arbeitgeber immer in der Kontrollversammlung das Sagen und damit in wirtschaftlich bedeutenden Fragen (Gebäude, Stellenplan, Besoldung etc.) ein Vetorecht.
Die nun vorliegende Regierungsvorlage zur Kassenzentralisierung bringt ein undemokratisches Verhältnis von 1:1. Ohne Zustimmung und Wohlwollen der Arbeitgeber kann künftig in der Krankenversicherung der ArbeitnehmerInnen nicht einmal ein Pflaster bestellt werden. Das ist ein Rückschritt hin zu den Abhängigkeiten des 18. Jahrhunderts.

Literaturtipp:
Harald Steindl, Wege zur Arbeitsrechtsgeschichte.
Blogtipp:
tinyurl.com/yc8ffqxf
 
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Wolfgang Panhölzl, Abteilung Sozialversicherung der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427442 Zum Vergrößern auf die Abbildung klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427422 100 Jahre Achtstundentag Es ist bald genau 100 Jahre her, dass sich Gewerkschaften über einen bahnbrechenden Erfolg freuen konnten. Am 19. Dezember 1918 beschloss die provisorische Nationalversammlung der Republik Deutsch-Österreich das Gesetz „über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabrikmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen“. Ein enormer Fortschritt, wenn auch nur für die IndustriearbeiterInnen, für die seit 1885 der Elfstundentag die Regel war. Für die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen galt noch immer die 6-Tage-Woche mit höchstens durch Kollektivverträge begrenzter Tagesarbeitszeit. Der erste gesetzliche Normalarbeitstag von acht Stunden mit kürzeren Arbeitszeiten für Frauen und Jugendliche war ein eindeutiges sozialpolitisches Signal.

Kompromiss
Das Gesetz war ein Kompromiss, ausgehandelt im „Industriekomitee“, dem Gremium, in dem Vertreter des „Hauptverbands der Industrie“, der „Reichskommission der Freien Gewerkschaften“ und der Staatsregierung das Krisenmanagement in der Übergangsphase von der Monarchie zur Republik koordinierten.
Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Übergangsparlament konnte vorerst nicht mehr erreicht werden – selbst die kürzere Arbeitswoche für Frauen und Jugendliche war nur nach sehr zähen Verhandlungen durchzusetzen. Die von der provisorischen Nationalversammlung beschlossenen Gesetze waren so provisorisch wie sie selbst. Es sollte der am 16. Februar 1919 gewählten konstituierenden Nationalversammlung, der ersten wirklich demokratisch von Männern und Frauen gewählten Volksvertretung Österreichs, vorbehalten bleiben, unbefristet geltendes Recht zu schaffen.
Die WählerInnen machten die sozialdemokratische Vereinigung mit ihrem starken Gewerkschaftsflügel zur stärksten Einzelfraktion, aber Christlichsoziale und Großdeutsche, bei denen die Interessen der Arbeitgeberseite dominierten, behielten zusammen die Mehrheit.

Bessere Chancen
Als die Republik nach dem Friedensvertrag von St. Germain ab September 1919 nur mehr „Österreich“ hieß und die Sieger des Ersten Weltkriegs einen Anschluss an die deutsche Republik verboten hatten, verließen die Großdeutschen die Koalition. Gleichzeitig erhielt der kleine ArbeitnehmerInnenflügel in der christlichsozialen Fraktion für kurze Zeit mehr Gewicht.
Außerdem wurde Österreich nach dem Friedensvertrag Mitglied der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation. Die ILO-Konferenz von Washington beschloss im November 1919 ein Übereinkommen „über die Begrenzung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich und achtundvierzig Stunden wöchentlich“. Unter diesen Bedingungen stiegen die Chancen, ein neues Gesetz zur Arbeitszeitverkürzung zu beschließen, wenn auch der Verabschiedung durch die Nationalversammlung heftige Auseinandersetzungen vorangingen. Die Kritik kam vor allem von der großdeutschen Opposition und hier besonders von den Industriellen, die mittlerweile jeden sozialpartnerschaftlichen Interessenausgleich ablehnten. Industriellenchef Viktor Wutte hielt statt einer Arbeitszeitverkürzung eine Arbeitszeitverlängerung für angemessen. Die ArbeiterInnen würden ohnehin zu viel feiern, meinte er. Die neuen Staatsfeiertage, der Republiktag am 12. November und der 1. Mai, seien höchst überflüssig.
Wuttes Fraktionskollege Leopold Stocker forderte sogar die Einführung von  Zwangsarbeit in Krisenzeiten. Trotz dieser und anderer Widerstände beschloss die konstituierende Nationalversammlung am 17. Dezember 1919 das Gesetz, das den Achtstundentag und den freien Samstagnachmittag für Frauen und Jugendliche in (fast) allen Wirtschaftszweigen und Betriebsformen außerhalb der Landwirtschaft ab Juli 1920 einführte.

Riegel vorgeschoben
Als Kaufpreis für die weitreichende Arbeitszeitverkürzung mussten zahlreiche Ausnahmebestimmungen im Gesetz selbst und durch Sonderverordnungen zugestanden werden. Allerdings schob die Bestimmung, dass die Ausnahmeverordnungen in einer paritätischen Kommission von Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern verhandelt werden mussten, einem kompletten Unterlaufen des Achtstundentagsgesetzes einen Riegel vor. In der Praxis kaum wirksam wurde aber die 44-Stunden-Woche für Frauen und Jugendliche und es dauerte etliche Jahre, bis die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Kollektivverträge durch bessere, dem neuen Standard entsprechende ersetzt werden konnten. Bis zum Ende der demokratischen Republik vereinbarten die meisten Verträge die 46-Stunden-Woche und damit auch für erwachsene Arbeitnehmer einen früheren Arbeitsschluss am Samstag.

Meilenstein
Trotz etlicher Mängel kann das Arbeitszeitgesetz vom Dezember 1919 als Meilenstein der Sozialgesetzgebung angesehen werden – und die ZeitgenossInnen empfanden das auch so. Denn ab 1890 hatte die ArbeiterInnenbewegung „acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden freie Zeit“ gefordert.
Nur selten war es den Gewerkschaften gelungen, in Kollektivverträgen eine kürzere Arbeitszeit oder gar den Achtstundentag durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund waren die Arbeitszeitgesetze der Republikgründungsjahre ein sozial- und demokratiepolitischer Durchbruch.
So beurteilte sie 1932 im Rückblick auch Richard Robert Wagner, der Organisator der Wiener Gewerkschaftsschule: „Das Achtstundentagsgesetz, Einschränkung der Arbeit von Frauen und Jugendlichen auf 44 Stunden in der Woche, Einschränkung und Verbot für Nachtarbeit, dann das Arbeiterurlaubsgesetz, Kulturgesetze ersten Ranges, schufen der Arbeiterschaft erst die nötige Freizeit und die Ausgeruhtheit, um die vielen Aufgaben demokratischer Selbstverwaltung in der Republik auf sich nehmen zu können …“ Als Wagner diese Zeilen schrieb, stand Österreich auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit war schon mehrere Jahre extrem hoch. Vor allem auch als Maßnahme im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit forderte der Kongress der Freien Gewerkschaften 1931 die 40-Stunden-Woche – ein Ziel, das erst nach Jahrzehnten erreicht werden konnte.
Der „Zeitgeist“ wies in die Gegenrichtung. Das austrofaschistische Regime, das 1933 die demokratische Republik zerstörte, schaffte zwar den Achtstundentag formal nicht ab. Aber er stand nur mehr auf dem Papier, unter anderem weil die Unternehmensleitungen jetzt unbegrenzt Überstunden anordnen konnten.

Täuschung
Die nationalsozialistische Arbeitszeitverordnung von 1938 bestätigte den Achtstundentag und die zehnstündige Höchstarbeitszeit und verbesserte sogar den Schutz für Jugendliche und Frauen.
Der Faschismus „gab sich in marktschreierischer Weise als (…) Sozialstaat, um darüber hinwegzutäuschen, dass er aufgehört hatte, Rechtsstaat zu sein“, wie Bundespräsident Karl Renner dreißig Jahre nach der Republikgründung anmerkte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde aber der Elfstundentag wieder die Regel und so blieb es vorerst auch noch zu Beginn der Zweiten Republik ab 1945. Die Gewerkschaften im neuen Österreichischen Gewerkschaftsbund kämpften am Verhandlungstisch und wenn das nicht ausreichte auch mit Streiks darum, an die fortschrittlichen Arbeitszeitstandards von 1918 und 1919 anzuknüpfen.
Bis 1950 wurde der Achtstundentag durch Kollektivverträge flächendeckend wieder eingeführt und es galt in der Regel die 48-Stunden-Woche; einige Berufsgruppen erreichten aber schon mehr. 1948, im Jahr des ersten ÖGB-Kongresses, setzten die SchuhmacherInnen mit dem größten Streik der Nachkriegszeit etwa die 44-Stunden-Woche durch, während der 1959 zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer abgeschlossene Generalkollektivvertrag flächendeckend nur die 45-Stunden-Woche vorsah.

Von 38 auf 60 Stunden
Ein neuer Generalkollektivvertrag und dann das lange geforderte Arbeitszeitgesetz legten 1969 den Stufenplan zur Einführung der 40-Stunden-Woche fest, die 1975 für die überwiegende Mehrheit der ArbeitnehmerInnen Wirklichkeit wurde.
Angesichts enormer Produktivitätssteigerungen setzte die Gewerkschaftsbewegung auch im folgenden Jahrzehnt auf Arbeitszeitverkürzung und 1985 wurde in einem ersten Kollektivvertrag die 38-Stunden-Woche vereinbart.

Weitere Informationen:
www.neinzum12stundentag.at/Auswirkungen

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427413 Zum Vergrößern auf die Abbildung klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427385 Wiens roter Oktober Als die kaiserlichen Truppen im Oktober 1848 vor den Toren Wiens standen, bereit, die demokratische Revolution zu vernichten, gestattete man endlich auch den Arbeitern das Tragen von Waffen. Sie wurden in „Mobilgardecorps“ organisiert und ihre „Uniform“ bestand in irgendeinem roten Kennzeichen.
Später berichtete ein Augenzeuge: „Überhaupt konnte ich bemerken, dass jeder von den Mobilen etwas Rotes zu tragen bereit war; der eine Feder, der andere eine Blume, der dritte ein Band.“ Rot war das politische Symbol der Oktoberkämpfer, und von ihnen übernahmen es zwanzig Jahre später die junge sozialdemokratische ArbeiterInnenbewegung und die ersten gewerkschaftlichen Fachvereine.

ArbeiterInnen ausgeblendet
Ein Aufstand des Bürgertums und besonders der Studenten gegen die Kaiserdiktatur – so lautet das gängige Bild von der Revolution des Jahres 1848. Die Rolle der ArbeiterInnen (ja, viele Frauen beteiligten sich aktiv) wird ausgeblendet. Höchstens als primitive „MaschinenstürmerInnen“ und mörderischer Pöbel, vielleicht noch als Hilfskräfte beim Barrikadenbau finden sie Erwähnung.
Besonders die Burschenschaften pflegen bis in das 21. Jahrhundert die Legende, die Studentenverbindungen von 1848 seien ihre direkten Vorläufer und hätten praktisch allein für das Recht auf Meinungsfreiheit, Demokratie und Deutschtum gekämpft. Das reicht bis zur Namensgebung „Aula“ für eine vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als rechtsextrem eingestufte und inzwischen eingestellte Zeitschrift aus ihrem Umfeld. Es handelt sich um eine Anspielung auf die Aula, also die Eingangshalle der alten Universität, 1848 Organisationszentrum der „Akademischen Legion“.

Mehr Dichtung als Wahrheit
Diese Legende besteht mehr aus Dichtung denn aus Wahrheit. Es stimmt, Burschenschaften zählten mit der Forderung nach einer demokratischen Verfassung, sozialen Verbesserungen und der Einigung Deutschlands zu den fortschrittlichen Kräften in den diktatorischen Monarchien auf dem Gebiet des früheren römisch-deutschen Kaiserreichs.
An dessen Stelle hatte sich ab 1815 ein lockerer Staatenzusammenschluss gebildet: der „Deutsche Bund“, in dem das „Kaisertum Österreich“ den Vorsitz führte. Im „Deutschen Bund“ waren die Burschenschaften viele Jahre verboten. Erst die Revolution von 1848 brachte ihnen die Chance, ihre Ideen offen zu verfolgen. Aber damit endet auch schon die Wahrheit und die Dichtung beginnt.
Die meisten Burschenschafter in der „Akademischen Legion“ verstanden „deutsch“ nicht rassistisch. Dr. Anton Füster, der Kaplan der Legion, fasste ihre Grundhaltung mit den Worten zusammen: „Zuerst Freiheit, dann Nationalität.“ Viele Verbindungen hatten auch jüdische Mitglieder, erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mutierten sie zu deutschnationalen, antisemitischen und elitären Organisationen. Die Burschenschaften von 1848 waren dagegen alles andere als elitär: Über ein Drittel der Studenten kam aus armen Familien, ihre Väter waren Handwerker und Gesellen, kleine Beamte, Bauern, Taglöhner und Arbeiter. Die „radikalen“ Demokraten unter ihnen, vor allem Mediziner und Techniker, suchten von Anfang an den Kontakt zu den ArbeiterInnen, wohl weil ihnen bewusst war, dass sie sich auf das besitzende Bürgertum nicht verlassen konnten. Dieses wollte so rasch wie möglich wieder „Ruhe und Ordnung“, setzte seine Nationalgarde gegen streikende ArbeiterInnen ein und erkaufte sich dann mit dem Verzicht auf Demokratie von der kaiserlichen Regierung wirtschaftliche Handlungsfreiheit.

Dreifache Rettung
Die ArbeiterInnen dagegen retteten dreimal die Revolution. Zum ersten Mal im März, wenn auch nur indirekt: Der Feuerkranz um Wien, den sie mit heraus­gerissenen Gaskandelabern legten, beschleunigte die Entscheidung des kaiserlichen Hofs, die von BürgerInnen und Studenten geforderte Pressefreiheit zu gewähren und eine Verfassung zuzusagen. Im Mai griffen die ArbeiterInnen zweimal direkt ein: Sie verhinderten damit erstens die von der Regierung geplante Auflösung der „Akademischen Legion“, zweitens einen Rückzieher bei der Zusage demokratischer Wahlen in die verfassunggebende Versammlung. Sie und nicht die Studenten bauten die Barrikaden, die dem alten Regime Widerstandsbereitschaft signalisierten. Aber sie wurden betrogen. Die Arbeiter (von Frauenwahlrecht war noch lange keine Rede) erhielten zwar das Recht, ihre Stimme abzugeben. Aber sie durften keine eigenen Kandidaten nominieren. Zudem wurde die Wahl so organisiert, dass sie praktisch keine Chance hatten, ihre Stimme abzugeben.
Die ArbeiterInnen des Revolutionsjahres werden oft als wilder Haufen dargestellt, noch unfähig, sich zu organisieren. Das Urteil von Karl Marx nach seinem Wienbesuch im August und September 1848, das Proletariat sei hier noch nicht reif für die Revolution, trug sicher zu diesem Image bei. Es stimmt, dass die Mitglieder des revolutionären „Ersten allgemeinen Arbeitervereins“ mit dem Vortrag von Marx über „Lohnarbeit und Kapital“ wenig anfangen konnten. Aber sie konnten sich sehr wohl organisieren. Selbst die „MaschinenstürmerInnen“ der ersten Revolutionsphase wählten Sprecher, die sie gegenüber Fabrikherren und Bürgermeistern vertraten, und viele Berufsgruppen schlossen sich zusammen, um ihre soziale Lage zu verbessern.

10-Stunden-Tag
Die tausend Maschinenarbeiter der Wien-Gloggnitz-Eisenbahngesellschaft, die „Kerntruppe der Demokratie“ in den Mai- und Oktoberkämpfen, erreichten vor den ArbeiterInnen vieler anderer Branchen den Zehnstundentag.
Die Maurer setzten neben einer Lohnerhöhung auch die Verwaltung ihrer Bruderlade ohne Einmischung der Unternehmer durch. Die Buchdrucker erreichten schon einen Kollektivvertrag für das ganze Kaiserreich und die Lehrlinge das Erlassen der Schulgebühren. Das sind nur wenige Beispiele von vielen Erfolgen durch solidarischen Zusammenschluss. Im Jahr 1848 beginnt die Geschichte der modernen österreichischen Gewerkschaftsbewegung.
Als immer mehr BürgerInnen der Revolution den Rücken kehrten, das kaiserliche Regime beschloss, das demokratische Experiment mit Gewalt zu beenden und der Wiener Gemeinderat die VerteidigerInnen im Stich ließ, war das Ende abzusehen. Die Reihen der VerteidigerInnen hatten sich außerdem stark gelichtet: In der Nationalgarde waren nur mehr die ärmeren Bürger verblieben, die „Akademische Legion“, die im Frühjahr noch 6.000 Mann zählte, war auf 900 Mann geschrumpft.
Die Hauptlast des blutigen Abwehrkampfs lag auf den ArbeiterInnen, die auch durch übergelaufene kaiserliche Soldaten unterstützt wurden. Ein Augenzeuge erinnerte sich an einen Arbeiter, der nach der Niederlage „blass und verwundet die Alserstraße herabkam“ und murmelte: „Es ist alles umsonst, wir sind wieder verraten und verkauft.“

Einschüchterungsterror
Die Rache der Sieger war grausam, doch der Einschüchterungsterror funktionierte nicht vollständig. Während der folgenden Jahre kam es immer wieder zu – wieder verbotenen – Streiks für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Das ebenfalls verbotene Gedenken an die Opfer der Revolution lebte trotz Strafdrohung im Untergrund weiter. Es wurde später nur mehr von der jungen ArbeiterInnenbewegung hochgehalten, sie machte die Märzfeiern zu ihrem größten Feiertag. Adelheid Popp, die Pionierin der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen, beschrieb, wie viele Gefühle und Hoffnungen bei diesen Feiern mitschwangen: „Auch wenn es vorkam, wie beispielweise 1893, dass man auf dem weiten Weg über die Simmeringer Hauptstraße Schneemassen und Eisschollen zu überwinden hatte und wenn der Wind eisig tobte, man ließ sich nicht zurückhalten, bei dem Märzgefallenen-Obelisk zu erscheinen und mit zu geloben, die Ideale, für welche die unter dem Obelisk Begrabenen ihr Leben gelassen, weiter zu pflegen und in Ehren zu halten.“
Nicht umsonst berief sich die provisorische Nationalversammlung 1918 auf diese Ideale: politische und soziale Gleichberechtigung aller BürgerInnen.

Literaturtipp:
Wolfgang Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848.

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Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427379 Mai 1848: "Ihr nennt uns Gesindel, wir nennen uns von jetzt an Bürger." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 14 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542164427289 Reportage: Das Judentum (fast) hinter sich gelassen Auf den ersten Blick mag es verwundern. Doch wenn man es sich genauer überlegt, ist es gar nicht mehr so erstaunlich, dass das Thema jüdische GewerkschafterInnen vor 1938 in Österreich kaum aufgearbeitet ist. Wissenschaftliche Arbeiten dazu sind kaum vorhanden, wenn überhaupt finden sich Informationen dazu als Nebenaspekte in Abhandlungen über andere Themen. Das erstaunt, wähnt man doch 80 Jahre nach dem Beginn des Nationalsozialismus in Österreich diesen Teil der Geschichte hierzulande besonders gut aufgearbeitet.

Identitäten
Um es vorwegzunehmen: Es lassen sich durchaus einige Gewerkschafter mit jüdischer Herkunft vor der NS-Zeit finden. Darunter sind Männer wie Manfred Ackermann oder Julius Bermann, an die heute Wiener Gemeindebauten in der Brigittenau und in der Leopoldstadt erinnern. Ackermann (1898–1991), der sich im Zentralrat der kaufmännischen Angestellten Österreichs engagierte, 1938 fliehen musste und sich in den USA ein neues Leben aufbauen konnte; und Bermann (1868–1943), der 1892 den Verein kaufmännischer Angestellter, den Vorläufer der Gewerkschaft der Privatangestellten, mitbegründete und schließlich in Theresienstadt ermordet wurde. Die beiden blieben allerdings vorrangig als Sozialdemokraten und Gewerkschafter im Gedächtnis.
Selbstbestimmung und Fremdzuschreibung: Ohne sich mit dieser Fragestellung auseinanderzusetzen, ist keine Antwort auf die Ursachen für diese Lücke in der historischen Aufarbeitung möglich. Es ist ein Unterschied, ob man einer Religionsgemeinschaft angehört, oder ob man diesen Glauben auch tatsächlich praktiziert und sich diesem zugehörig fühlt. Laut jüdischem Religionsgesetz, der Halacha, ist Jude oder Jüdin, wer von einer jüdischen Mutter zur Welt gebracht wurde. Alternativ kann man konvertieren, was in diesem Zusammenhang aber keine bedeutende Rolle spielt.
Beschäftigt man sich nun mit der Zeit vor 1938, so geht dies nicht, ohne sich die Rassenpolitik der Nationalsozialisten zu vergegenwärtigen. Immerhin waren viele Juden und Jüdinnen assimiliert, weshalb die Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben für sie keine oder keine wesentliche Rolle spielte. Sie wurden von den Nazis sozusagen erst wieder zu Juden und Jüdinnen gemacht oder besser gesagt: gebrandmarkt – mit der beispiellosen Verfolgung, Deportation und Ermordung als Folge. Mit welchem Recht markiert man also rückwirkend GewerkschafterInnen als jüdisch, die diese Bezeichnung für sich vielleicht sogar zurückgewiesen hätten?

Jüdische GewerkschafterInnen?
Anders gefragt: Wer ist aus heutiger Perspektive ein jüdischer Gewerkschafter, eine jüdische Gewerkschafterin? Nicht umsonst scheiden sich auch unter ExpertInnen die Geister. „Ich weiß nicht, ob man von jüdischen Gewerkschaftern sprechen kann, außerhalb eines jüdischen Kontexts, einer jüdischen Arbeiterbewegung“, betont der Politikwissenschafter und Soziologe John Bunzl im Gespräch mit der Arbeit&Wirtschaft.
Nach Lektüre seiner 1975 erschienenen Arbeit „Klassenkampf in der Diaspora. Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung“ wird klar: Eine solche gab es vor allem in Osteuropa, zur Zeit der Monarchie in Österreich daher fast nur in Galizien. Die jüdische Arbeiterbewegung bezog ihre Identität weniger aus der Religionszugehörigkeit, sondern vielmehr aus der Sprache, dem Jiddischen, erklärt Bunzl. Anders als ZionistInnen wollte man sich im bisherigen Lebensumfeld behaupten. Das beschreibe der jiddische Begriff „Doigkeit“, was so viel bedeutet wie „hier sein, da sein“.
Eine zentrale Rolle kam dabei der 1897 gegründeten Bewegung „Bund“ zu. Im heutigen Österreich hat der Bund allerdings kaum nachhaltige Spuren hinterlassen. Bunzls These dazu hat mit Sprache zu tun: „Weil Jiddisch dem Deutschen so ähnlich ist, war der Übergang vom Jiddisch sprechenden in den Deutsch sprechenden Kontext viel leichter.“ Aufgrund der sprachlichen Nähe haben sich Juden und Jüdinnen hierzulande also nicht in eigenen Jiddisch sprechenden Gewerkschaften zusammengeschlossen, sondern in bestehende integriert.
Aber es gab auch in Wien kleine Gruppen, die sich als Vertretung der jüdischen Arbeiterbewegung verstanden. Ihnen spürte der Historiker und Judaist Thomas Soxberger in seinem 2013 erschienenen Buch „Revolution am Donaukanal“ nach. Demnach standen sich in Wien zwei Gruppen gegenüber: Jene, die dem Bund nahestanden und jene, die für die Auswanderung nach Palästina eintraten (die Poale-Zion-Ideologie). Gemeinsam war den beiden Bewegungen, dass sie für jüdische Autonomie und die Anerkennung der jiddischen Sprache eintraten. In beiden Fraktionen gab es Kräfte, welche die Annäherung oder das Aufgehen in der kommunistischen Partei anstrebten. Ansonsten konkurrierte man ideologisch.

Linker Rand
Für Poale Zion war etwa auch der Schriftsetzer Leo Rothziegel (1892–1919) aktiv. Er erhielt beim Druckerstreik 1913 die erste von vielen Gefängnisstrafen, wie Peter Haumer in seinem 2017 erschienenen Band mit dem Titel „Bitte schicken Sie uns einige Maschinengewehre und Zigaretten“ festhält. 1918 stieß der Revolutionär zur radikal linken Wehrgruppe „Rote Garde“, die von Egon Erwin Kisch und Bernhard Förster gegründet worden war und nach russischem Vorbild eine Rätediktatur anstrebte.
Grundsätzlich hält Soxberger aber fest: „Die jüdische Arbeiterbewegung in der Leopoldstadt und in der Brigittenau beschränkte sich auf kleine Zirkel, die ideologisch eher am linken Rand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei angesiedelt waren.“
In der Sozialdemokratie selbst finden sich einige jüdische VertreterInnen und ebenso in den freien Gewerkschaften. Sie lebten meist aber kein religiöses Leben, waren assimiliert und einige von ihnen verstanden sich auch nicht mehr als Juden und Jüdinnen. Für Bunzl stellt sich daher die Frage, „warum man auf die jüdische Identität hinweist. War es ihre eigene Identität?“
Denn an jenen, die mit der Fremdzuschreibung arbeiten, mangelt es nicht: Neben den Antisemiten, die dies aus niederen Motiven tun, gibt es auch jüdische PatriotInnen oder Nationalis­tInnen, „die unbedingt überall herausfinden wollen, ob er oder sie Jude oder Jüdin war, um ihn oder sie für das Judentum zu vereinnahmen“, so Bunzl. Er ergänzt: „Ich glaube, beides ist nicht ganz koscher.“ Man müsse also klarstellen: Er oder sie war von der Herkunft her jüdisch, nicht aber vom Selbstverständnis. Die Historikerin Brigitte Pellar kommt zu einem anderen Schluss. Zwar betont auch sie, dass sich die meisten GewerkschafterInnen jüdischen Glau­bens nicht als solche wahrnahmen, es von daher problematisch ist, sie nun rückwirkend als jüdisch zu definieren. Zugleich betont sie aber: „In der historischen und politischen Einschätzung können wir auf jeden Fall nicht mehr hinter den Holocaust zurück.“ Dem ist viel abzugewinnen, sieht man sich die Biografien von Gewerkschaftern wie Bermann oder Ackermann an.

Der Nationalsozialismus brachte einen Bruch in den jeweiligen Biografien. Bloß eins muss auch festgehalten werden: Ihre Verfolgung war nicht, wie dies in historischen Abrissen der Gewerkschaftsbewegung, aber auch auf entsprechenden Gedenktafeln bis heute insinuiert wird, nur auf ihr politisches Engagement als Sozialdemokraten oder Gewerkschafter zurückzuführen. Diese Männer wurden auch rassisch verfolgt. Pellar verweist zudem auf den Umstand, dass auch Gewerkschafter wie Hugo Breitner (1873–1946), der sich weder zum religiösen noch zum zionistischen Judentum bekannte, antisemitischen Angriffen ausgesetzt waren. Die jüdische Herkunft spielte also im Umfeld sehr wohl eine Rolle.
Die Historikerin Anna Staudacher publizierte 1988 unter dem Titel „Sozialrevolutionäre und Anarchisten“ zu frühen ArbeiterInnenorganisationen in der Monarchie. Darin hielt sie fest: „Jüdische Arbeiter hatten in dieser Zeit noch keine eigenen Organisationen, sie traten den lokalen Arbeitervereinen und Gewerkschaften bei. Manche verließen ihre Religionsgemeinschaft, legten ihre jüdische Identität ab, andere behielten sie. Der Anteil jüdischer Arbeiter am Aufbau der frühen österreichischen Arbeiterbewegung wurde bis jetzt – wohl aus politischen Gründen, in der Befürchtung, man könne dadurch der Sache schaden – kaum untersucht.“

Erkleckliche Anzahl
Im Jahr 2017 riss Historikerin Brigitte Pellar das Thema in einem Beitrag mit dem Titel „Organisatoren, Kommunikatoren, Kämpfer – Juden als Funktionsträger der Freien Gewerkschaften“ grob an. Der Beitrag war Teil einer Festschrift des DÖW. Pellar spürte dafür bereits eine erkleckliche Anzahl von Gewerkschaftern jüdischer Herkunft auf – Frau befindet sich keine darunter, was nicht bedeutet, dass es keine gab. Hier bedarf es ebenso wie zu dem gesamten Thema noch eingehender wissenschaftlicher Recherchen.
Bereits Pellars Beitrag konterkariert allerdings die Darstellung, wonach Juden und Jüdinnen in der Arbeiter- beziehungsweise Gewerkschaftsbewegung keine Rolle gespielt hätten. So heißt es etwa in der Victor-Adler-Biographie von Max Ermers aus dem Jahr 1932: „Die österreichische Arbeiterbewegung war sonderbarer Weise bis zur Zeit Victor Adlers fast ganz judenfrei.“ Diese These war auch noch in den Jahrzehnten nach 1945 lange verbreitet. Noch im Jahr 1982 habe sie der Publizist Leopold Spira in seiner Arbeit „Feindbild ‚Jud‘“ übernommen, in der er „100 Jahre politischen Antisemitismus in Österreich“ thematisierte. Neben der Frage nach Selbst- und Fremdzuschreibung spielt noch ein weiteres Missverständnis, um nicht zu sagen Vorurteil, eine Rolle. Denn im Rückblick werden Juden und Jüdinnen meist als Selbstständige und nicht in erster Linie als ArbeiterInnen gesehen. Auch dieses Bild bedarf einer Korrektur.

Vorurteile
Historikerin Pellar etwa verweist auf einen Vergleich der Berufsstrukturen der jüdischen und nichtjüdischen Erwerbstätigen Wiens im Jahr 1910. Tatsächlich sei der Anteil der Selbstständigen in der jüdischen Bevölkerung höher gewesen. „Aber immerhin sind doch fast 62 Prozent Unselbstständige unter den Erwerbstätigen in Industrie und Handwerk ausgewiesen“. Und in der Leopoldstadt, dem Bezirk mit dem höchsten Anteil an jüdischer Bevölkerung, seien um 1900 ein Fünftel bis ein Viertel der Menschen ArbeiterInnen gewesen.
Und daher gab es sie auch, die jüdischen ArbeiterInnenvertreter. Die Suche nach ihnen gestaltet sich allerdings wie eine Schnitzeljagd. Die jüdische Herkunft bleibt oftmals unerwähnt, erst bei Konsultation verschiedener Quellen kommt man ihr auf die Spur. Julius Weiss (1880–1939) beispielsweise war ab 1918 Obmann der Gewerkschaft der Chemiearbeiter. Nach 1934 betätigte er sich illegal in der Gewerkschaftsbewegung. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde er nach Buchenwald deportiert, wo er ermordet wurde. In der Metallergewerkschaft finden sich gleich zwei bedeutende Männer, die jüdischer Herkunft waren. Einer von ihnen war Paul Johannes Schlesinger (1874–1945).

Gedenktafel ohne Glauben
Auch er wurde schließlich von den Nazis ermordet. Nach Wanderjahren als Geselle in mehreren europäischen Ländern kam der Feinmetaller im Jahr 1905 nach Wien zurück und wurde hier zum Sekretär des Österreichischen Metallarbeiterverbandes gewählt. Später wurde er Bezirksvertrauensobmann für die Metall­arbeiter der Bezirke Mödling, Baden und Wiener Neustadt. In Wiener Neustadt ist ihm denn auch der Paul-Johannes-Schlesinger-Hof gewidmet, in dem er jahrelang wohnte. Das Erstaunliche: Auf einer Gedenktafel am Gemeindebau bleibt seine jüdische Herkunft unerwähnt. Auch auf der Parlamentshomepage – er war Nationalratsabgeordneter – fehlt diese Information bis heute. In Wiener Neustadt wurde dem von den Nazis Ermordeten allerdings ein Stolperstein gewidmet. Auf der historischen Seite zur jüdischen Gemeinde Wiener Neustadt wird als Begründung für dieses Denkmal „jüdischer Bürger“ angegeben.
Einer der Gründer der Metallarbeitergewerkschaft war der Schlosser Heinrich Beer, dem es am Ende nichts nutzen sollte, dem Judentum den Rücken gekehrt zu haben. Er wurde in Theresienstadt ermordet. Er war zuvor Präsident der Metallarbeitergewerkschaft gewesen und – wie Schlesinger – sozialdemokratischer Politiker: Er gehörte dem Reichsrat als Abgeordneter an.

Gründer
Aber natürlich gab es auch die anderen, die intellektuellen und Angestellten­gewerkschafter wie den Buchhalter Karl Pick (1867–1938), auch er Sozialdemokrat. Er war an der Gründungsversammlung des Vereins kaufmännischer Angestellter beteiligt.
Er kämpfte in der Folge für den Zusammenschluss der verschiedenen Gewerkschaftsvereine, was 1904 zur Gründung des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten Österreichs führte, dessen Obmann er bis zum Verbot 1934 blieb. 1938, bereits nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland, stürzte er und brach sich eine Hüfte. Er wurde im Kaufmännischen Spital, das er Jahre zuvor mitbegründet hatte, aufgenommen, durfte jedoch, da er Jude war, nur am Gang liegen. Pick starb nach zwei Wochen in dem Hospital.
Richard Robert Wagner (1888–1941), der Staatswissenschaften und Literatur studiert hatte, war Redakteur des „Aufstieg“, der Zeitschrift der Gewerkschaft der Bekleidungsarbeiter. Außerdem unterrichtete er an der Wiener Gewerkschaftsschule, wie die Theodor Kramer Gesellschaft in einem Eintrag festhält. Viktor Stein (1876–1940) war Redakteur der Wochenzeitung „Der Metallarbeiter“, er war sowohl bei der Metallarbeitergewerkschaft als auch der Arbeiterkammer angestellt und saß laut Parlamentshomepage viele Jahre für die Sozialdemokraten im Nationalrat. Und dann war da noch Heinrich Allina (1878–1953), der mit Hugo Breitner an der gewerkschaftlichen Organisierung der Bank- und SparkassenbeamtInnen beteiligt war, wie das Wien Geschichte Wiki dokumentiert. Allina konnte in der NS-Zeit nach London emigrieren und kehrte später nach Österreich zurück, wo er auch erneut in den Nationalrat gewählt wurde.
Alfred Magaziner würdigte 1985 in seinem Band „Die Bahnbrecher“ VertreterInnen der ArbeiteInnenbewegung in kurzen Porträts. Der letzte Eintrag, „Die Entstehung einer Gewerkschaft“, ist Julius Bermann gewidmet. Geschildert wird sein Kampf um kürzere Sonntagsarbeit für die Handelsangestellten, aber auch sein Bemühen um einen gemeinsamen gewerkschaftlichen Kampf von ArbeiterInnen und Angestellten.
Wie bei den meisten anderen hier Vorgestellten findet sich der Hinweis auf Bermanns Judentum in Magaziners Buch lediglich rund um seinen Tod. „Nach dem Untergang der Ersten Republik hat Julius Bermann zurückgezogen im 2. Wiener Bezirk gelebt. Im Jahre 1949 kam er in das jüdische Altersheim in der Seegasse im 9. Wiener Bezirk. Von dort wurde er am 24.9.1940 mit einem Massentransport in das Konzentrationslager Theresienstadt überführt. Dort ist er 1945 umgekommen.“

Jüdisches Erbe?
Wie empfanden er und Ackermann, Allina und Wagner, Schlesinger und Beer die jüdische Herkunft? War sie Last, war sie Selbstverständlichkeit? Wie floss das jüdische Erbe in das Wirken als Kämpfer für ArbeitnehmerInnenrechte ein? Wie waren ihre Erfahrungen mit Antisemitismus, wie wurden sie von ihrer Umwelt wahrgenommen: als Sozialdemokraten, als Gewerkschafter, auch als Juden, oder wurde dieser Aspekt ausgeblendet? Eine wissenschaftliche Arbeit dazu wäre wünschenswert.

Assimilierung
Otto Bauer, der große Vordenker der Sozialdemokratie, der selbst bis zu seinem Tod dem Judentum verbunden blieb, plädierte lange für die Assimilation. In seiner Arbeit „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“ schrieb er zur Frage einer nationalen Autonomie von Juden und Jüdinnen: „So vermag die heutige Wissenschaft nicht zu entscheiden, ob das Aufgehen der Juden nicht nur in der Kulturgemeinschaft, sondern auch in der Naturgemeinschaft der anderen Nationen für die folgenden Geschlechter vorteilhaft sein wird oder nicht.“
Ähnliches hat höchstwahrscheinlich für das Gros der anderen sozialdemokratischen PolitikerInnen und auch GewerkschafterInnen jüdischer Herkunft gegolten. Bauer starb 1938. Das Wissen um die Schoa hat alles verändert.

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Text: Alexia Weiss Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427273 Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Hugo Breitner konnte Österreich 1938 mit seiner Familie in Richtung USA verlassen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427278 In der Leopoldstadt erinnert der Julius-Bermann-Hof an den 1943 in Theresienstadt ermordeten Gewerkschafter, einen der Väter der heutigen GPA-djp. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542164427283 Der Manfred-Ackermann-Hof in Wien-Brigittenau. Er leitete ab 1923 die Jugendsektion der heutigen GPA-djp. Er konnte in die USA fliehen und kehrte in den 1960er-Jahren nach Österreich zurück. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 13 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542078008072 Interview: Die 70er waren eine sehr, sehr spannende Zeit Arbeit&Wirtschaft: Wie weit hat Sie das diesjährige Gedenkjahr beschäftigt bzw. betroffen?
Ferdinand Lacina:
Wichtig war für mich erstens 100 Jahre Gründung der österreichischen Republik am 12. November. Zweitens das Jahr 1968 in der Tschechoslowakei, ein beeindruckender Versuch, einen Kommunismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen – der dann ja unter den Panzern zermalmt wurde. Ich habe damals eine Reportage für die A&W über die Veränderungen in der Stahlindustrie gemacht.
Da war ich unter anderem in Košice, in der Slowakei und in den Stahlwerken in Mährisch-Ostrau. Die Eindrücke waren sehr unterschiedlich: In der Slowakei war alles sehr offen, in Mähren dagegen sehr stalinistisch geprägt. Dort hatten die alten Funktionäre auch zur Zeit Dubčeks noch sehr viel Macht.
In den Werken in Mährisch-Ostrau war neben jedem Arbeitsplatz eine Messlatte angebracht, wo für alle sichtbar die Produktivität und die Fehlzeiten jedes Arbeiters aufgelistet waren. Der dortige Belegschaftsvertreter hat mir erklärt, das diene dazu, den „sozialistischen Wettbewerb“ voranzutreiben. Die leistungsfähigsten Arbeiter bekamen dann Prämien, durften auf Urlaub fahren etc.

Wie haben Sie 1968 in Wien erlebt?
Das waren im Prinzip Ausläufer von dem, was in Deutschland oder Frankreich passierte. Man hat versucht, das hier nachzumachen. Das grenzte manchmal schon ans Absurde, etwa wenn vor dem Büro der Programmzeitschrift HörZu, dem einzigen hier ansässigen Medium der reaktionären  Springer-Presse, demonstriert wurde. Ich habe damals zwar auch an der Demonstration teilgenommen, aber es war doch schwer zu vermitteln, denn die Fernseh-Illustrierte hatte nichts mit Politik zu tun.
Immerhin sind in Wien alle möglichen neuen Organisationen und Gruppen entstanden. Die meisten wurden von Frauen und Männern gegründet, die aus einem kommunistischen Elternhaus stammten. Im VSStÖ, der immer eher zum rechten Flügel der Partei gehört hatte, gewannen die „Linken“, zu denen auch ich gehörte, die Mehrheit.

Wie viele Menschen waren damals bei diesen Demos?
Ein paar hundert vielleicht, das waren keine Massendemos. Aber es hat sich danach doch einiges verändert, auch an den Universitäten. Fast bedeutender war eigentlich 1965 mit der Borodajkewycz-Affäre, die Heinz Fischer und ich ausgelöst hatten. Ich hatte noch während meiner Studienzeit die antisemitischen Aussagen bei den Vorlesungen mitgeschrieben. Was außerdem erwähnenswert ist: 1968 haben sich nicht nur linke Studenten, sondern auch die bürgerlichen radikalisiert.

1968 hat ja die ÖVP allein regiert …
Bruno Kreisky hat mit einem großen Team – er sprach immer von 1.400 Experten, ich habe nie nachgezählt – einen Gegenentwurf versucht. Ich war damals in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK. Es wurden Reformprogramme ausgearbeitet, unter anderem in den Bereichen Justiz, Soziales, Bildung und Wirtschaft, die dann unter dem Motto „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“ präsentiert wurden. Es war das erste Mal, dass die SPÖ ein komplettes Wirtschaftsprogramm, nicht nur für die Verstaatlichte und die Infrastruktur, präsentierte. Die ÖVP hat die SPÖ ja nach wie vor als Schreckgespenst dargestellt, mittels der legendären roten Katze, die sich leise ins Haus schleicht und so unauffällig den Kommunismus mit sich bringt.

Was waren danach die wichtigsten Veränderungen?
Das Wirtschaftskonzept der ÖVP stammte von Stephan Koren, der 1968 Finanzminister wurde. Dieser Koren-Plan ist insofern erwähnenswert, weil es für die ÖVP eigenartig war, ihr Konzept einen „Plan“ zu nennen. Das klang ja geradezu nach der von ihr kritisierten Planwirtschaft. Koren versuchte damit, zur Modernisierung und Restrukturierung der österreichischen Wirtschaft beizutragen. Man wollte auch den Proporz abschaffen, daher waren etwa in dem neu gegründeten Entwicklungs- und Erneuerungsfonds nur Vertreter der Kammern, aber keine Parteienvertreter. Damals wurde also trotz ÖVP-Mehrheit versucht, den Dialog aufrechtzuerhalten, während heute die Arbeiterkammer fast überall hinausgedrängt wird. Ab 1970 mit der Regierung Kreisky wurde versucht, die günstige Konjunktur für Reformen und sozialpolitische Maßnahmen zu nutzen: Steuerreformen, Familienrechtsreform, Mutter-Kind-Pass usw. Nicht immer waren alle einverstanden – im Zuge der Diskussion um die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs in der Strafrechtsreform gab es viele Demonstrationen.
Die 70er waren eine sehr, sehr spannende Zeit. Kreiskys Ziel war die Durchflutung der Gesellschaft mit Demokratie. Später, besonders ab den 1990er-Jahren entstand international die Tendenz, die Gesellschaft mit dem Wirtschaftlichkeitsprinzip, mit Kommerz zu durchfluten.

Und die 1980er-Jahre, wo Ihre politische Karriere begann?
Der Strukturwandel und die Energiekrise brachten Ende der 1970er-Jahre wesentliche Veränderungen in vielen Bereichen. Die Auswirkungen waren in Österreich durch die Sozialpartnerschaft und die paritätische Kommission nicht so gravierend, doch auch die verstaatlichte Grundstoffindustrie kam unter hohen Anpassungsdruck. Das war für die Sozialdemokratie, die stark mit der Verstaatlichten identifiziert wurde, eine große Herausforderung. Die Arbeitslosigkeit nahm zu.
Damals fiel auch das berühmte Kreisky-Zitat, dass ihm ein paar Milliarden Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten würden als ein paar hunderttausend Arbeitslose.
Ich wurde 1980 Kabinettschef von Bruno Kreisky und 1982 Staatssekretär. Um Arbeitsplätze zu erhalten, gab es mitunter konkrete Eingriffe – zum Teil gemeinsam mit dem Land Steiermark –, um Betriebe zu retten. Heute klingt das absurd, als Staat Unternehmen aufzukaufen, um diese und damit Arbeitsplätze zu retten. Überhaupt wäre das heute schwieriger, denn in den letzten Jahren ist in der EU etwas passiert, was eigentlich so nicht absehbar war.
Früher war die EU mehr oder weniger neutral gegenüber dem Eigentümer, in den letzten Jahren wurde es immer öfter als verbotener staatlicher Eingriff angesehen, wenn der Staat sich an einem Unternehmen beteiligt oder dessen Kapital erhöht.

Die Entwicklung ging ja dann in die andere Richtung, nämlich Richtung Privatisierung ...
Ja, die Sache mit Intertrading, wo mit öffentlichen Mitteln spekuliert worden war, hat dann den entscheidenden Anstoß geliefert. Andererseits, die Verstaatlichung hatte seinerzeit ja zwei Ziele, nämlich die wichtigen Industrien dem Zugriff der Besatzungsmächte zu entziehen, insbesondere der sowjetischen, was im Übrigen ohnehin nicht gelungen ist. Der zweite Grund war, die Kommandohöhen der Wirtschaft zu neutralisieren. Spätestens in den 1980er-Jahren war beides nicht mehr aktuell. Die Verstaatlichte hat nicht mehr die Kommandohöhen der Industrie repräsentiert.

Was waren die wichtigsten Ereignisse während Ihrer Ministerzeit?
Als Verkehrs- und Verstaatlichtenminister: Wir haben mit regionalen Initiativen in den Industriegebieten versucht, den Strukturwandel der Wirtschaft möglichst glatt über die Bühne zu bringen. Wir wollten Zustände wie in der Wallonie, in England oder den Rust Belts der USA mit hoher Arbeitslosigkeit vermeiden. Natürlich konnte man nicht alles retten, aber mehr als man früher für möglich gehalten hätte. Die Obersteiermark etwa ist heute alles andere als ein Krisengebiet.

Wie ist das gelungen?
Durch verschiedenste Maßnahmen, zum Teil mit Forschungs- oder Investitionsförderungen, zum Teil hat man Partner hereingeholt. In der Nähe von Leoben und Graz sind Elektronikfabriken entstanden, für die das Know-how ausländischer Partner transferiert wurde.

Sie haben ja einige Reformen durchgeführt und sind deswegen 1992 als weltweit bester Finanzminister ausgezeichnet worden.
Wir haben im Wesentlichen zwei Dinge gemacht: eine durchgreifende Steuerreform, durch die das Steuersystem, vor allem die Einkommensteuer, wesentlich vereinfacht wurde. Die Negativsteuer wurde eingeführt, sodass auch jene, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohnsteuer zahlen müssen, von der Reform profitieren konnten.
Wir haben die Lohnsteuerkarten und die Kfz-Steuermarken abgeschafft. Nicht zu vergessen die Unternehmenssteuerreform mit einer massiven Investitionsförderung, die unter Grasser abgeschafft wurde. Danach ist die Investitionskurve deutlich nach unten gegangen. Die Unternehmen sind dann stärker in die Finanzanlagen gegangen, von denen man damals mehr profitieren konnte als von produktiven Investitionen.
Das war ja einer der Gründe für die später überbordende Bedeutung der Finanzwirtschaft, die letztlich in die Krise geführt hat. Diese Vernachlässigung der Realwirtschaft wirkt bis heute nach.

Was hat Sie in dieser Zeit persönlich am meisten bewegt?
Erstens die Ostöffnung, wo wir versucht haben, österreichische Unternehmen zu unterstützen, damit sie sich dort niederlassen können. Und zweitens die Vorbereitungen zum EU-Beitritt, wo vieles erst möglich war durch die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow. Wir waren damals mit Bundeskanzler Vranitzky in Moskau und fanden ein ganz anderes Gesprächsklima vor als früher mit Andropov. Gorbatschow war sehr interessiert und hat viele Fragen gestellt, das war nicht nur ein Austausch von Phrasen. Und es war klar, dass die Sowjetunion gegen die Integration Österreichs in die Europäische Gemeinschaft keinen Widerstand leisten würde.

Ich nehme an, der Rücktritt als Finanzminister war ebenfalls ein denkwürdiges Ereignis?
1982 war Staatssekretär Nussbaumer im Amt verstorben und da Wahlen bevorstanden, hat Bruno Kreisky mich gefragt. Ich war ja seit 1980 sein Kabinettschef. Eigentlich habe ich damals mit ein paar Monaten in der Politik gerechnet, tatsächlich war das dann sehr viel länger. Prinzipiell bin ich sowieso der Meinung, dass jeder vor und nach einem politischen Amt auch etwas anderes machen sollte. Und ich habe immer vorgehabt, den Zeitpunkt meines Ausscheidens selbst zu bestimmen.
Das Bad in der Menge habe ich nie gebraucht und mir war klar, dass man die Wertschätzung des politischen Amtes mit persönlicher nicht verwechseln darf. So war mein Rücktritt keine große Geschichte. Wenn man längere Zeit in einem Amt ist und besonders als Finanzminister, dann muss man oft Nein sagen. Am Anfang wird das noch als Teil der Rolle akzeptiert, später nehmen das viele persönlich. Auch die Gewerkschaft war manchmal nicht zufrieden mit mir, insbesondere als der BAWAG riskante Geschäfte untersagt wurden.

Das ist wahrscheinlich sehr häufig so, dass die Menschen mit dem Finanzminister nicht sehr zufrieden sind, oder?
Vielleicht sind die Österreicher masochistisch – man ist eigentlich gar nicht so unbeliebt als Finanzminister. Ja, die ÖVP hat sich beschwert, dass ich mich in alles einmische. Natürlich muss man sich als Finanzminister in alles Mögliche einmischen und trifft auf Widerstand. So hat zum Beispiel Innenminister Blecha vor den Budgetverhandlungen in den Medien angeprangert, dass die Polizeihunde hungern müssten. Verteidigungsminister Lichal ist einmal mit 30 Offizieren bei mir aufmarschiert und hat sechs Milliarden Schilling mehr Budget für das Bundesheer verlangt – wobei das Bundesheer damals vergleichsweise mehr bekommen hat als heute.

Ein weiteres bedeutsames Jahr war 2008.
Europa hat auf die Krise zu spät und zu zögerlich reagiert. Im Fall Griechenland ist die europäische Solidarität verletzt worden. An der griechischen Krise haben letztendlich viele verdient: Banken, AnlegerInnen und Staatshaushalte der Euro-Länder. Griechenland ist in der Zwischenzeit verelendet. Heute ist Italien zwar hoch, aber vor allem im Inland verschuldet. Trotzdem möchte ich mir die wirtschaftlichen und politischen Folgen einer akuten Krise dieses Landes nicht ausmalen. Die alarmierendste Folge der Krise ist der Trend zu rechtspopulistischen Antworten auf Probleme – das reicht vom Brexit über Trump bis nach Italien. Und bei uns unterscheidet sich der Wahlverein Kurz, die ÖVP, kaum mehr von der FPÖ. Man muss schon einen guten Magen haben, um optimistisch zu sein.

Welche Lehren lassen sich aus der Krise ziehen?
Ideen zur Einschränkung der Finanzwirtschaft gibt es viele und bereits länger, etwa die Finanztransaktionssteuer oder auch die Aufteilung der Banken in jene, die Spareinlagen annehmen und Kredite vergeben und jene, die riskante Finanzgeschäfte tätigen. Für die Harmonisierung von Körperschaftsteuern in der EU sehe ich keine Chance, weil das einstimmig beschlossen werden müsste. Im Gegenteil, so sagt ja beispielsweise der irische Finanzminister, die 13 Milliarden, die Apple mir an Steuern hätte zahlen müssen, die will ich gar nicht. So machen Irland und andere Steueroasen Standortpolitik.

Österreich hat ja jetzt auch bald das Standort-Entwicklungsgesetz …
Die Regierung will eben unter allen Umständen eine Politik für die großen Unternehmen  machen, deshalb werden Umweltorganisationen behindert. Sicher ist es sinnvoll, dass bei manchen Projekten Entscheidungen schneller fallen. Aber andererseits hängt die Zukunft Österreichs nicht davon ab, dass die dritte Piste des Flughafens Wien möglichst schnell gebaut wird. Ich selbst habe da auch einiges gelernt. Ich habe zum Beispiel damals der Elektrizitätswirtschaft wirklich geglaubt, dass es ohne Hainburg nicht geht, und davor hieß es, ohne Zwentendorf geht’s nicht. Und siehe da, es geht doch, ohne dass wir übermäßig viel Strom importieren müssen. Es ist einfach so, dass die Lobbys viel, ja zu viel Macht haben. Natürlich nicht nur in Österreich, sondern etwa auch in der EU sind ja wesentlich mehr Lobbyisten für Industrie und Wirtschaft als für Gewerkschaften oder NGOs tätig.

Was ist wichtig für die Zukunft Österreichs?
Fast 50 Prozent der Österreicherinnen sind teilzeitbeschäftigt, auch weil es zu wenig Kinderbetreuung gibt. In Deutschland droht Altersarmut, bei uns sind die Pensionen zwar höher, aber sie kann auch hier ein Problem werden. Ich kann mich erinnern, dass wir mit Johanna Dohnal den Bundesländern eine Kindergarten-Milliarde angeboten haben. Die haben geantwortet – übrigens nicht nur die ÖVP-dominierten Bundesländer –, dass sie das nicht brauchen. Das kommt selten vor, dass Länder Geld vom Bund ablehnen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Bildung, die in Österreich noch immer vererbbar ist. Ich will nicht behaupten, dass die Ganztags- oder Gesamtschule die Allheilmittel sind, aber das wäre ein wichtiger Ansatz. Und eigentlich beginnt es ja schon im Kindergarten. Ich bin jetzt keineswegs dafür, dass dort schon das Leistungsprinzip herrschen soll. Aber eine Pädagogin für 20 bis 25 Kinder: Wie soll das gehen? Wir müssen sehr aufpassen, dass sich das Bildungssystem nicht genauso wie das Gesundheitssystem in zwei Klassen aufteilt.

Darf ich Sie zum Abschluss noch um einen Buchtipp bitten?
Der Falter-Chefredakteur Florian Klenk und Konrad Pesendorfer, Chef der Statistik Austria, haben ein Buch geschrieben: Zahlen, bitte! Interessanterweise hat Markus Marterbauer vor einigen Jahren ein Buch mit dem gleichen Titel veröffentlicht (Zahlen bitte! Die Kosten der Krise tragen wir alle, Deuticke 2011), das ich auch sehr empfehlen kann.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Zur Person
Ferdinand Lacina
wurde 1973 Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien und 1980 Kabinettschef von Bruno Kreisky. Von 1982 bis 1984 war er als Staatssekretär im Bundeskanzleramt u. a. für Wirtschaftsfragen zuständig. Als Minister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr (1984–86) beschäftigte ihn auch die Krise der verstaatlichten Unternehmen. 1986 wurde Lacina Finanzminister unter Vranitzky, nach seinem Rücktritt 1995 war er bis 1997 Generaldirektor der GiroCredit Bank AG der Sparkassen.

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Interview: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542078008061 Ferdinand Lacina war 1986 bis 1995 Finanzminister unter Franz Vranitzky. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542078008066 "Ich habe damals der Elektrizitätswirtschaft wirklich geglaubt, dass es ohne Hainburg nicht geht und davor hieß es, ohne Zwentendorf geht’s nicht. Und siehe da, es geht doch." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 13 Nov 2018 00:00:00 +0100 1542078008041 Coverstory: Vorwärts und nicht vergessen Wer aus dem Süden in die Hauptstadt pendelt, kommt an ihnen vorbei. Tagein, tagaus stehen sie an Werktagen Gehsteig der Triester Straße und bieten ihre Arbeitskraft an. Sie kommen aus anderen Ländern und sind nach Österreich in der Hoffnung auf ein besseres Leben gewandert. Gelandet sind sie am sogenannten Arbeiterstrich, von wo aus sie wiederum auf Baustellen gekarrt werden, um dort ihre Arbeit zu verrichten.
Es ist fast wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass diese modernen Tagelöhner ausgerechnet in dieser Gegend stehen, nicht unweit des Wienerbergs, wo sich schon im 19. Jahrhundert die damaligen ArbeiterInnen verdingten und vor allem ausgebeutet wurden – und wo zugleich die ArbeiterInnenbewegung ihre Ursprünge hat. Jene ArbeiterInnenbewegung, deren größte Errungenschaft der moderne Sozialstaat ist.

130 Jahre ist es her, dass der Arzt Victor Adler in der Zeitschrift „Gleichheit“ seine Reportage über die menschenunwürdigen Bedingungen der „Ziegelböhmen“ veröffentlichte, genauer gesagt am 1. Dezember 1888. Sein Bericht ist grundlegend für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, denn damit wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, unter welchen harschen Bedingungen jene Menschen arbeiteten und lebten, welche die Rohstoffe für jene Häuser herstellten, in denen andere lebten. Und gebaut werden musste auch damals in großem Stil, denn es zog immer mehr Menschen in die Hauptstadt, sodass der Bedarf an Wohnungen massiv gewachsen war. Dies brachte vielen ArbeiterInnen Beschäftigung auf dem Wienerberg. Zugleich ließ es den Reichtum der Unternehmer wachsen, die man auch Ziegelbarone nannte. Die steigende Kluft zwischen den verarmten ArbeiterInnen und den Ziegelunternehmern: Sie sorgte für Unmut. Dabei hatten die Unternehmer anfangs sogar Wohnraum für ihre ArbeiterInnen geschaffen. Rund 100 ArbeiterInnenwohnhäuser ließen sie Mitte des 19. Jahrhunderts errichten.
Neben dem großen Zuzug nach Wien sorgte ein weiteres Ereignis dafür, dass sich die Wohnsituation massiv verschlechterte: Die Ziegelwerke gingen an die Börse. „Was Victor Adler vorfand, war unvorstellbares Massenelend. Kaputte, eingeschüchterte Menschen, die wie Sklaven behandelt wurden“, schreibt etwa Wolfgang Slapansky in dem neu erschienen Buch „Reise in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Wien“. In den Unterkünften fand Adler menschenunwürdige Bedingungen vor: „In großen Schlafsälen waren bis zu 70 Personen zusammengepfercht: Männer, Frauen, Kinder ohne Privatsphäre und Intimität.

Organisation trotz Repression
Schmutz, Gestank und Lärm begleiteten die Arbeit und die restliche Zeit. Adlers Schilderungen sorgten zwar für Empörung, doch statt sich an eine Verbesserung der Bedingungen zu machen, ging man gegen Adler und angebliche Rädelsführer vor. Einschüchtern aber ließen sich die ArbeiterInnen nicht mehr. Vielmehr begannen sie sich zu organisieren – obwohl dies, wie Slapansky betont, „zumindest im Ziegelwerk“ verboten war. Im Jahr 1890 gründeten tschechische ArbeiterInnen in Inzersdorf einen Bildungsverein für ArbeiterInnen. Vertrauensleute formulierten Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen.

Trauriges Symbol
Heute ist von all dem am Wienerberg nichts mehr zu spüren. Hochhäuser überragen das Gelände, auf dem inzwischen auch ein Naherholungsgebiet entstanden ist. Die Spuren der ArbeiterInnenbewegung lassen sich in Favoriten aber weiterhin finden. So steht das Gebäude des Arbeiterbetriebsrates nach wie vor, inzwischen wird es vom örtlichen Kleingartenverein genutzt. An den früheren Verwendungszweck erinnert eine Büste von Victor Adler an der Hausmauer. Auch das Gasthaus, in dem sich die ZiegelarbeiterInnen oft zu Versammlungen getroffen haben, gibt es noch – inzwischen ist es ein schickes Lokal. Einen traurigen Anblick gibt das Haus in der Favoritenstraße ab, das einst ein Vorzeigebau der Arbeiterschaft war: das frühere Arbeiterheim Favoriten, auch Rotes Haus genannt. Man ist versucht zu sagen, dass dieses Haus geradezu symbolisch für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung steht. Denn das Jugendstilhaus wirkt heruntergekommen, lange Zeit war es ein Hotel, dann eine Flüchtlingsunterkunft, inzwischen steht es leer.
Der Gedanke liegt nahe, dass es so auch ein Symbol dafür ist, wie es um den mühsam errungenen Einfluss der ArbeitnehmerInnen heute steht. Einst jedenfalls war es ein Zentrum der ArbeiterInnen. Es war das erste Volksheim Wiens. Es gab darin nicht nur einen großen Versammlungssaal, in dem auch Victor Adler einst Reden schwang. Auch war es einst Unterkunft verschiedener Organisationen, es gab eine Bibliothek, eine Filiale der Konsumgenossenschaft und die Zahlstelle der Allgemeinen Arbeiterkrankenkasse war darin ebenso untergebracht. Über die Bedeutung des Hauses schreibt Slapansky: „Das Arbeiterheim Favoriten war ein deutliches Signal einer selbstbewussten Arbeiterschaft, die nun erstmals eine eigene Heimstätte hatte.“ Auch Unterhaltung wurde den ArbeiterInnen geboten, von Orchester über Theater bis hin zum Kino.

Dem Gedenken gewidmet
Szenenwechsel an einen anderen Ort der ArbeiterInnenbewegung, der anders als das Arbeiterheim heute noch glänzt: das Vorwärts-Haus an der Rechten Wienzeile. Jahrzehntelang hatte hier die Arbeiterzeitung ihren Sitz, es war somit auch der Arbeitsplatz von Victor Adler. Schon wenn man das Haus betritt, spürt man die Geschichte, was nicht nur an den historischen Plakaten liegt, die dort ausgestellt sind. Die Wände im Erdgeschoß sind mit Holz vertäfelt, im ersten Stock ist eine Bibliothek untergebracht, die Regale sind mit unzähligen historischen Ausgaben von Zeitungen befüllt. Inzwischen ist in den früheren Redaktionsräumlichkeiten der Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA) untergebracht. In einer hübschen alten Glasvitrine findet man Devotionalien, darunter auch eine Büste der historischen Leitfigur Victor Adler. Michaela Maier ist Vorsitzende des Vereins, nicht ohne Stolz hält sie fest: „Er ist international die älteste Institution dieser Art.“
Wenn es also um die Frage geht, wie es um das Gedenken an die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung steht, so ist sie jedenfalls eine perfekte Ansprechpartnerin. Denn wann hat es denn eigentlich begonnen, dass man sich auch in der etablierten Geschichtswissenschaft für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung zu interessieren begonnen hat? „Das ist in den späten 1960er- und 1970er-Jahren aufgekommen, dass man nicht mehr nur „Geschichte von oben“ erzählen wollte, sondern sich auch anschauen wollte, was unten passiert ist“, sagt Maier. Denn dass Geschichte nicht nur die Geschichte von Herrschenden und ihrer Kriege sein muss: Diese Einsicht hat sich auch in der Geschichtswissenschaft erst etablieren müssen. Dass sie sich durchgesetzt hat, davon kann freilich keine Rede sein. Das Interesse für die „Geschichte von unten“ komme und gehe in Wellen, so Maier. „Es war eine Zeit lang moderner, um die Jahrtausendwende herum war es auf einmal überhaupt nicht mehr interessant.“ Blinde Flecken: Sie begleiten nicht nur die Wahrnehmung der Geschichte, sondern auch jene der tagesaktuellen Berichterstattung. So war ein Medium wie die Arbeiterzeitung für den Einfluss, den Gewerkschaften erreichen konnten, von essenzieller Bedeutung. Denn in Medien wie in dieser früheren Traditionszeitung wurden andere Themen aufgegriffen als in der bürgerlichen Presse – es gab Platz für andere Meinungen und Zugänge. Freilich blieb auch sie nicht von blinden Flecken verschont, genauso wenig wie die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung selbst.

Vergessene AkteurInnen
Dafür kann man beispielsweise einen Blick zurück nach Favoriten werfen. Denn wer weiß schon, nach wem das Amalienbad – auch ein Vorzeigebau des Roten Wiens – benannt ist? Es ist aufschlussreich, sich auf Wikipedia auf die Suche nach der Namensgeberin zu begeben. Denn erst nach Nennung unzähliger Männer, vom Baumeister bis zum Bürgermeister, der den Bau veranlasst hatte, wird man fündig: Es ist die 1924 verstorbene Amalie Pölzer, Arbeiterin, sozialdemokratische Abgeordnete aus Favoriten und Frauenrechtlerin.

Sich in die Geschichte einschreiben
Dass Frauen in der Geschichte zu kurz kommen, liege nicht nur daran, dass sie in der patriarchalen Gesellschaft nur selten in Machtpositionen zu finden waren, erläutert Maier. „Die damaligen Frauen waren sich ihrer eigenen Geschichte nicht so bewusst. Und sie haben nicht das Gefühl gehabt, dass sie sich so in die Geschichte einschreiben müssen oder gar verschriftlichen müssen.“ Die Folge: Es gibt wenig Material, das aus den Federn von Frauen selbst stammt. Doch es musste sich erst durchsetzen, dass auch Oral History, also Interviews mit ZeitzeugInnen, eine wertvolle, wissenschaftlich verwertbare Quelle sein kann. Lächelnd erzählt Maier von Friedrich Adler, Sohn von Victor Adler: „Der hat sogar die Entlehnzettel von den Büchern aufgehoben, die er gelesen hat, weil er gewusst hat, irgendwann wird jemand kommen und sich das ansehen.“
Keine Frage, die ArbeiterInnenbewegung hat viel weitergebracht, seitdem sich die ArbeiterInnen Ende des 19. Jahrhunderts zu organisieren begonnen haben. Blickt man zurück auf die Themen, um die sie gerungen haben, so wird deutlich: Diese sind nicht Teil von Geschichtsbüchern. Ob faire Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten: Bis heute müssen Gewerkschaften und BetriebsrätInnen den Arbeitgebern dahingehend Fortschritte abringen. Bei so manchem Thema kämpft man inzwischen sogar gegen Rückschritte, etwa wenn man an das Arbeitszeitgesetz und die damit verbundene Arbeitszeitverlängerung denkt. Bis vor kurzem war im Haus Niederösterreich in der Wiener Herrengasse die Ausstellung über die „vergessene Revolution 1848“ vom VGA ausgerichtet. Unter anderem waren dort die verschiedenen Forderungen der ArbeiterInnenbewegung dargestellt. „Da wird dir manchmal schlecht, weil genau diese Forderungen, die streckenweise erfüllt worden sind, jetzt wieder untergraben oder rückgängig gemacht werden“, so Maier.
Die Anliegen der frühen ArbeiterInnenbewegung reichen weit über die reine Gestaltung der Arbeitsplätze hinaus. Leistbares Wohnen ist damit ebenso untrennbar verbunden wie leistbare Lebensmittel. Nicht umsonst zählen Wohnen und KonsumentInnenschutz bis heute zu zentralen Anliegen der ArbeitnehmerInnenvertretung.

Die Arbeitszeit, sprich jene Lebenszeit, die ArbeitnehmerInnen neben ihrer Arbeitskraft den Unternehmen gegen Bezahlung zur Verfügung stellen: Sie ist und bleibt ein heißes Thema. Spannend dabei ist, welches Bild der ArbeitnehmerInnen bei den Diskussionen darüber oftmals zu Tage tritt. Natürlich hat es sich gewandelt und doch sind Parallelen zu erkennen. So machten sich Arbeitgeber im 19. Jahrhundert „Sorgen“ darum, wie ihre ArbeiterInnen deren Freizeit verbrachten – und dass diese Vergnügungen nur ja nicht auf Kosten der Arbeit gehen. So verständlich dies ist, so absurd erscheint es, wenn man sich überlegt, wie spärlich die Freizeit bei einer 80- oder 66-Stunden-Woche ausfallen musste.
Vorurteile gegenüber ArbeiterInnen, sich in der Freizeit gehen zu lassen, dem Alkohol, dem Glücksspiel und sinnlosen Konsumgewohnheiten zuzusprechen: Sie sind tief in unserer Gesellschaft verankert, auch wenn sie heute in anderer Form daherkommen: die Familienbeihilfe, die angeblich nur in den Kauf eines neuen Handys fließt, statt den Kindern zugutezukommen; die Sozialleistungen, die ebenso falsch verwendet würden, ob von inländischen Arbeitslosen oder Flüchtlingen, weshalb man sie durch Sachleistungen ersetzen müsse; die ArbeitnehmerInnen, die sich nicht verantwortungsvoll verhalten würden, weshalb man ihnen Mitbestimmung nur unter großen Vorbehalten zugestehen dürfe. Dazu gesellt sich das Feindbild des „Funktionärs“ (in dem Fall männlich), dem nicht an den Interessen der Beschäftigten gelegen ist, die er zu vertreten hat, sondern nur an der eigenen Gage.

Widersprüche
Freilich ist das Bild nicht ohne Widersprüche, denn nur allzu gerne betonen VertreterInnen der aktuellen Regierungsparteien oder auch der Wirtschaft, wie wichtig ihnen das Bild der autonomen ArbeitnehmerInnen sei. Wie wichtig es sei, dass sie selbst entscheiden können, weshalb man sie auch von der Bevormundung von FunktionärInnen befreien müsse.
Für eine Institution, die sich bis heute versteckt am Wienerberg gehalten hat, waren Vorurteile wie diese ein Segen: der Böhmische Prater, in dem sich einst die ZiegelarbeiterInnen in ihrer spärlichen Freizeit vergnügten. Seiner Lage vor den Toren von Wien verdankt er seinen Aufschwung: Im Jahr 1886 wurde in Wien ein Verbot öffentlicher Tanzveranstaltungen erlassen. Begründet wurde dies mit Ausschreitungen und Ausschweifungen bei sogenannten „Fünf-Kreuzer-Tanzunterhaltungen“.
In seinem Buch zitiert Slapansky aus dem damaligen Polizeierlass: „Nachdem sich nicht verkennen lässt, daß abgesehen von Ausschreitungen durch die häufige Abhaltung von Tanzunterhaltungen die unteren Classen der Arbeiter und Dienstleute von ihrer Beschäftigung abgezogen werden und dem Müßiggange und der Lüderlichkeit Vorschub geleistet wird, tritt die Pflicht an die Behörde heran, diesen Uebelständen wirksam abzuhelfen.“ Ein Schelm, wer anmerkt, dass „Ausschweifungen“ offenbar nur bei Angehörigen der früher als „unten“ bezeichneten Gesellschaftsschichten vor­­gekommen sind.
Der Böhmische Prater jedenfalls erlebte nach dem Verbot einen ungeahnten Aufschwung, befand er sich doch damals noch knapp vor den Toren Wiens. Freilich wurde hier nicht nur Vergnügungen nachgegangen, sondern auch eigene Erfolge gefeiert. Denn die Anstrengungen der ZiegelarbeiterInnen, die letztlich bis zum Streik führten, bevor die Arbeitgeber Zugeständnisse gemacht haben, lohnten sich.
Slapansky zitiert aus einem Bericht der Arbeiterzeitung von einer Maifeier: „Am Laaerberg (…) ging´s Nachmittags lustig zu. Feierten doch die Ziegelarbeiter nicht nur das Weltfest des Proletariats, sondern auch den Sieg, den sie ohne Streik, nur durch die Macht ihrer Organisation erreicht haben“. Und weiter: „Grund genug also für die Ziegelarbeiter, sich ihres Sieges zu freuen. Bedeutet doch für sie dieser Sieg nicht nur eine Besserung ihrer Lebenshaltung, eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit und eine Erhöhung ihres Lohnes, sondern auch eine Anerkennung ihrer Organisation durch die Unternehmer.“

Grundstein für Fortschritte
In der Tat hatten die ArbeiterInnen einiges erreicht: Eine Lohnerhöhung, die Einhaltung des Elfstundentages sowie die Sonntagsruhe wurden ihnen garantiert. Auch war somit der Grundstein für die gewerkschaftliche Organisation gelegt, und zwar nicht nur für jene der ZiegelarbeiterInnen. Denn es hatte sich in der Tat gezeigt, wie sehr es sich lohnen kann, sich zusammenzuschließen, um für die eigenen Rechte einzutreten.
Wie viel die ArbeiterInnenbewegung erreicht hat: Dieses Bewusstsein fehlt heute allzu oft, wie auch Michaela Maier bemerkt. Dabei nimmt sie auch die heutigen VertreterInnen historischer ArbeiterInnen in die Pflicht: „Das ist ein bisschen verloren gegangen, auch der Sozialdemokratie selbst, das muss man auch ehrlich sagen. Also diese Rückbesinnung oder das Stolzsein darauf, was man erkämpft hat.“
Es ist wohl eine Erklärung dafür, warum sich viele Menschen gar nicht bewusst sind, welche Errungenschaften dazu zählen, sind diese heute für viele geradezu selbstverständlich geworden. Es ist ein Umstand, den auch Michaela Maier bedauert. Denn gerade bei jungen Menschen trifft dies häufig zu: „Die haben ein Geschichtsbild, das davon ausgeht, dass alles Status quo ist, der irgendwann einfach in die Verfassung eingegangen ist.“ Sie nimmt allerdings eine positive Entwicklung wahr: Das Interesse an dieser Geschichte steigt bei den jungen Menschen.
In die Geschichte blicken, um Erkenntnisse für die Gegenwart zu finden: Das ist sicherlich eine komplexe Angelegenheit. Wenn man aber heute durch die Triesterstraße fährt und den heutigen Arbeiterstrich bewusst vor den historischen Hintergründen wahrnimmt, so ist eines völlig klar: So unterschiedlich die Zeiten sind, auf dem Weg zu fairer Arbeit gilt es, noch viele Herausforderungen zu bewältigen und Hürden zu überwinden. Damit eines Tages der Anspruch für alle Menschen Realität wird, ein gutes Leben führen zu können.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Text: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542078008021 "Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht. Beim Hungern und beim Essen: Die Solidarität", dichtete Bertolt Brecht in seinem berühmten Solidaritätslied. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542078008013 Im Arbeiterheim Favoriten fand die junge ArbeiterInnenbewegung eine Heimstätte. ArbeiterInnen konnten sich dort nicht nur bilden, sondern auch günstig einkaufen oder aber ihre Freizeit verbringen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1542078008029 Der Name des Böhmischen Praters erinnert an die berühmten "Ziegelböhmen", die in den Ziegelwerken am Wienerberg gearbeitet haben. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 12 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619272 ÖGB: Im Schneckentempo In der Serie „Mad Men“ forderte die Figur Peggy Olson schon in den 1960er-Jahren von ihrem Chef gleiche Bezahlung. Bis heute ist die Einlösung dieser Forderung noch offen.
Die Lohnschere zwischen Frauen und Männern schließt sich zwar seit Jahren, aber viel zu langsam, kritisieren die ÖGB-Frauen. Heuer fand der Equal Pay Day (EPD) österreichweit am 20. Oktober statt.
An diesem Tag haben Männer bereits das Einkommen erhalten, für das Frauen noch bis zum Jahresende arbeiten müssen. Statistisch gesehen verdienen Frauen also um satte 19,9 Prozent weniger als Männer. „Die Gratisarbeit von Frauen ist unfair, einer modernen Arbeitswelt nicht gerecht und darf nicht länger toleriert werden“, betonte Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende. Um die Situation von Frauen in der Arbeitswelt wesentlich zu verbessern und somit auch die Altersarmut von Frauen zu reduzieren, ist ein Bündel an Maßnahmen notwendig. „Es ist höchste Zeit, dass die Regierung Frauen und ihre Arbeit, die sie täglich leisten, ernst nimmt und Maßnahmen setzt, die ihre soziale Situation sowie die Bedingungen am Arbeitsmarkt wesentlich verbessern.
Es liegen genug Handlungsvorschläge auf dem Tisch. Die Regierung muss sie nur angehen – und zwar rasch“, sagt Schumann. Dazu zählen unter anderem die volle gesetzliche Anrechnung der Karenzzeiten, ein kollektivvertragliches Mindesteinkommen von 1.700 Euro brutto bei Vollzeitbeschäftigung, ein Anspruch auf einen Kinderbildungs- bzw. Betreuungsplatz sowie ein Lohntransparenzgesetz. Letzteres wurde zum Beispiel in Island eingeführt: Seit 1. Jänner 2018 müssen Unternehmen mit einer Größe von mehr als 25 MitarbeiterInnen gegenüber der Regierung nachweisen, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden.
Tun sie es nicht, wird eine Geldstrafe fällig. Ziel: Bis 2020 soll die Lohnlücke komplett geschlossen sein. In Österreich scheint man davon noch weit weg zu sein. Zwar spricht sich Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) für mehr Lohngerechtigkeit und Einkommenstransparenz aus, aber von einem Lohntransparenzgesetz ist keine Rede.
 
Mehr Info: www.oegb.at/frauen

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Mon, 12 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619269 AK: Entmachtung der Beschäftigten Mit zahlreichen Maßnahmen verschiebt die Bundesregierung das Gleichgewicht zulasten der ArbeitnehmerInnen. Das ist eine Abkehr vom langjährigen österreichischen Erfolgsprinzip des Ausgleichs zwischen Wirtschaft und Arbeit. Das markanteste Beispiel ist der von der Regierung vorgelegte Entwurf einer Sozialversicherungsreform.
In den Gebietskrankenkassen sind sieben Millionen ArbeitnehmerInnen und ihre Angehörigen versichert. Gemäß dem Prinzip der Selbstverwaltung haben dort ihre demokratisch legitimierten VertreterInnen das Sagen. In der neu fusionierten Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) soll ihnen diese Entscheidungshoheit genommen werden.
Mit der nun geplanten Parität werden sieben Millionen Versicherte unter die Kuratel von 155.000 Arbeitgebern gestellt. Letztere haben ihre eigene Sozialversicherung und damit kein Eigeninteresse an guten Leistungen in der ÖGK. Vielmehr bestehen gleich mehrere negative Anreize: Die UnternehmerInnen haben ein Interesse daran, die Arbeitskosten niedrig zu halten, also womöglich die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, was tendenziell zu einer Verschlechterung der Leistungen führt.
Ebenso haben sie ein Interesse an Geschäften mit der Sozialversicherung, also der Übernahme von Gesundheitsleistungen und -einrichtungen durch Private. Dabei geht es naturgemäß nicht um die bestmögliche Versorgung der Versicherten, sondern um das Gewinninteresse der Gesundheitsbranchen in der Wirtschaftskammer.
Wie sehr die sieben Millionen Versicherten an den Rand gedrängt werden, zeigt sich bei einem Schlüsselthema der Sozialversicherung: den Selbstbehalten. Beim Arztbesuch beispielsweise mussten die GKK-Versicherten bislang nichts aus eigener Tasche dazuzahlen. Das neue Gesetz enthält nun einen eigenen Paragraphen zu den Selbstbehalten. Laut ihm soll das „Kostenbewusstsein“ der Versicherten geschärft werden.
Die bisherigen finanziellen Voraussetzungen für die Einführung von Selbstbehalten werden geschwächt. Zudem sind die Mehrheitsverhältnisse im neuen Dachverband so gestaltet, dass die VertreterInnen der sieben Millionen ÖGK-Versicherten überstimmt werden können. Diesen könnten also bald gegen ihren Willen und ohne finanzielle Notwendigkeit Selbstbehalte beim Arztbesuch drohen.

Mehr Info: tinyurl.com/y8vnuef2

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Mon, 12 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619229 Frisch gebloggt Integration wird gefordert, Mittel dafür werden gestrichen
Oliver Gruber & Vucko Schüchner

Der Konjunkturaufschwung sollte genutzt werden, um Menschen in Beschäftigung zu bringen, den Sozialstaat in den Bereichen Pflege, Bildung und Gesundheit auszubauen und mehr in leistbares Wohnen und eine nachhaltige (Verkehrs-)Infrastruktur zu investieren. Doch die Budgetpolitik der Bundesregierung ist von Reforminszenierungen sowie Steuergeschenken an Unternehmen und Vermögende geprägt. Obwohl die Zahl der Arbeitslosen – auch im aktuellen Konjunkturhoch – deutlich über dem Niveau vor der Wirtschaftskrise 2008 liegt und ab 2021 bereits wieder zu steigen droht, wurden die Aktion 20.000 für ältere ArbeitnehmerInnen gestrichen und die Mittel für das AMS gekürzt. Mit dem sogenannten „Arbeitslosengeld Neu“ plant die Regierung weitere tiefgehende Einschnitte ähnlich dem deutschen Hartz-IV-Modell. Obwohl die Mindestsicherung weniger als ein Prozent der Sozialausgaben ausmacht, plant die Regierung ein rigideres Modell, bei dem Familien weniger Geld erhalten sollen. Für Unternehmen ist hingegen ab 2020 eine Senkung der Körperschaftsteuer auf nicht entnommene Gewinne bzw. eine Senkung des allgemeinen Satzes angekündigt.
Lesen Sie mehr:
awblog.at/integration-wird-gefordert-mittel-dafuer-werden-gestrichen/

Wer gewinnt, wer verliert? Die Budgetpolitik der neuen Regierung in vier Punkten.
Romana Brait & Pia Kranawetter

Auf dem Rücken der SchülerInnen und auf Kosten der Integration wird Budget eingespart, während gleichzeitig lautstark Integration eingefordert wird. Konkret hat die Bundesregierung mit der Streichung des bislang mit jährlich 80 Millionen Euro dotierten Integrationstopfes wichtige Ressourcen für die Bewältigung der derzeit diskutierten Herausforderungen gestrichen. So fehlen Österreichs Schulen trotz Basisfinanzierung für Deutschförderklassen auf einen Schlag rund 400 Planstellen für Deutschfördermaßnahmen. Aber nicht nur im Sprachförderbereich, auch bei den IntegrationslehrerInnen fehlen ab diesem Schuljahr weitere Dienstposten, die bislang an Schulen mit besonderen Herausforderungen vergeben wurden. Trotz positiver Evaluation und nachgewiesener Verbesserung der Lernergebnisse bei den SchülerInnen durch diese IntegrationslehrerInnen, fallen diese dem Sparstift zum Opfer. Und das obwohl gerade hier – wie die aktuelle Debatte zeigt – von allen Seiten ein erhöhter Bedarf an Personal geortet wird.
Lesen Sie mehr:
awblog.at/budgetpolitik-neue-Regierung/

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Mon, 12 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619207 "Nicht zuletzt" ... Es ist nicht genug! Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend]]> Vor über achtzig Jahren haben die Nationalsozialisten das eigenständige Österreich ausgelöscht. Aber schon zuvor wurden freie Gewerkschaften strukturell zerstört, die Führung zerschlagen und Aktivisten und Aktivistinnen eingesperrt. Weil es die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen waren, die schon immer gegen den Faschismus und gegen die Zerstörung der Demokratie gekämpft haben. Sich an diese Zeit zu erinnern, der Opfer zu gedenken und sich bewusst zu machen, auf welchem Nährboden der Nationalsozialismus in Österreich entstehen konnte: Genau das ist heute wichtiger denn je.

Umso mehr unsere Aufgabe
Die Menschen, die uns als Zeitzeugen und Zeitzeuginnen darüber berichten können, werden bald nicht mehr leben. Umso mehr ist es unsere Aufgabe als GewerkschafterInnen, dafür zu sorgen, dass Warnsignale wahrgenommen und ernst genommen werden.
Und davon gibt es derzeit mehr als genug: Wir müssen aufmerksam sein, wenn eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft als Sündenbock für rechte Parteien herhalten muss und für alles, was in diesem Land und in Europa falsch läuft, verantwortlich gemacht wird. Wenn die Pressefreiheit in Ungarn, Polen, der Türkei und nicht zuletzt durch den österreichischen Innenminister infrage gestellt wird. Oder wenn über eine Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts gesprochen wird. Das sind Signale, die wir nicht ignorieren dürfen und die uns daran erinnern, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf. Auch wenn wir als Gewerkschaftsjugend immer wieder hören: „Jetzt reicht es dann auch mal. Könnt ihr die Geschichte nicht ruhen lassen?“ Nein, können und dürfen wir nicht!
Es waren die GewerkschafterInnen, die sich nach Ende des Naziregimes vom ersten Tag an für ein freies, demokratisches Österreich eingesetzt haben. Es waren GewerkschafterInnen, die unter Einsatz ihres Lebens für diese Werte gekämpft haben. Sie waren es, die schon vor hundert Jahren ein vorbildliches System der betrieblichen und überbetrieblichen Demokratie und Mitbestimmung für ArbeitnehmerInnen in Form des Betriebsrats- und Arbeiterkammergesetzes durchgesetzt haben. Sie waren es, die mit ihrem Handeln und nicht zuletzt mit der Gründung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes einen maßgeblichen Beitrag für eine freie Demokratie geleistet haben. Diese Leistung sehen wir mit Ehrfurcht und diesen Weg müssen wir als Jugend auch fortsetzen.
Freie Gewerkschaften sind ein Teil unseres demokratischen Systems. Wer diese infrage stellt oder gar zerstören will, hat noch viel Schlimmeres vor – das lehrt uns die Geschichte. Es fängt mit kleinen Schritten an, unscheinbar und harmlos wirkend. Aber genau das dürfen wir nicht unterschätzen. Unbedeutend und harmlos scheint das Vorhaben der derzeitigen Bundesregierung zur Mitbestimmung der Lehrlinge im Betrieb.

Nein zum Ende der Mitbestimmung
Politische Mitbestimmung und das Wahlrecht sind jedoch die zwei wichtigsten Merkmale einer Demokratie. Und genau diese Mitbestimmung will die Bundesregierung den Lehrlingen im Betrieb nehmen. Der Jugendvertrauensrat, als demokratisch gewähltes Vertretungsorgan der Lehrlinge und jungen ArbeitnehmerInnen, soll ersatzlos gestrichen werden.
Damit nimmt die Bundesregierung jungen Menschen nicht nur den Jugendvertrauensrat, sondern auch die Möglichkeit, Mitbestimmung und Demokratie kennenzulernen. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen sind für Demokratie und Freiheit gestorben, deshalb ist es unsere Aufgabe dafür zu kämpfen, dass diese Demokratie und Mitbestimmung – auch in scheinbar nebensächlichen Bereichen – erhalten bleibt. Als Gewerkschaften müssen wir den Menschen eine Stimme geben. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, etwas bewegen zu können. Nur wer die Geschichte kennt, kann die Zukunft beeinflussen!

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Susanne Hofer, Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1541991619201 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 13 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619174 Gedenken aus ArbeitnehmerInnensicht
  • Wandel in der Wirtschaft
    Beschäftigung in den Sektoren, 1951 bis 2016
  • Wöchentliche Arbeitszeit im Rückblick
    1950 bis 1985
  • Veränderung der Beschäftigung
    Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung, 1986 bis 2016
  • Wichtige Reformschritte für Beschäftigte und ihre Interessenvertretung
    1848 bis 1975
  • Infografiken dazu und noch viel mehr Fakten gibt es informativ und übersichtlich zum Downloaden.

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    Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1541991619160 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 13 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619132 Standpunkt: Das unmenschliche Gespenst Diesmal ist es anders, meinte der Schriftsteller Doron Rabinovic kürzlich in einer Rede bei der Donnerstagsdemonstration in Wien. Er bezog sich damit auf die Demos, die um die Jahrtausendwende zum ersten Mal stattfanden und von denen ein starkes Zeichen gegen die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ ausging.
    In der Tat ist es heute anders. Wie Rabinovic richtig anführt, war damals eine „Koalition mit den Rechtsextremen keine Normalität“. Die Koalitionäre mussten eine Präambel unterzeichnen, der damalige Bundespräsident machte klar, dass er mit Argusaugen über die Amtsgeschäfte der Regierung wachen würde. Und die Regierung stand unter europäischer Beobachtung.
     
    Zügellos
    Es ist besorgniserregend, wie zügellos der kleine Koalitionspartner dieses Mal sein darf. In Kabinetten finden sich Menschen, die keine klare Distanz zum rechten Rand erkennen lassen. So ist mit Alexander Höferl der frühere Chefredakteur eines Rechts-außen-Mediums Mitglied des Kabinetts von Innenminister Herbert Kickl. Kein Geringerer als der oberösterreichische Verfassungsschutz stellte fest, dass die Inhalte auf dieser Plattform „zum Teil äußerst fremdenfeindlich“ sind und man „antisemitische Tendenzen“ sowie „verschwörungstheoretische Ansätze“ erkennen kann. Auf Höferls Facebook-Profil fand „Der Standard“ Likes für die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ und stellte fest, dass der nunmehrige Mitarbeiter der Regierung „großteils Medien“ mit Likes versah, „die rassistische, verschwörungstheoretische oder antisemitische Inhalte aufwiesen“.
    Zwar gab es durchaus Proteste gegen diese Personalie, ihre Folgen aber hielten sich in Grenzen: Kickls Pressesprecher wurde Höferl zwar nicht, aber er ist immerhin Fachreferent für „operative Kommunikation“ im Innenministerium. Schlimmer noch: Hetzerische Medien dürfen sich über einen staatlichen Geldregen in Form von Inseraten freuen. Sieht sich die Kanzlerpartei ÖVP dazu berufen, einzugreifen? Leider nicht. Und der Fall ist bedauerlicherweise nur eines von mehreren Beispielen; wer tiefer in diese Untiefen eintauchen will, kann dies beim Standard tun – durch Eingabe des Suchbegriffs „Einzelfall“.
    Dazu kommt noch etwas anderes, was äußerst besorgniserregend ist: Die Politik und vor allem die Kommunikation der Regierung in den letzten Monaten richtete sich gegen sozial Schwache und MigrantInnen. InländerInnen gegen AusländerInnen ausspielen, die soziale Frage durch die nationale Frage ersetzen: diese Mechanismen sind aus der Geschichte nur allzu bekannt. Um an dieser Stelle mit Peter Turrini noch einen anderen Schriftsteller zu zitieren, der sich kürzlich zu Wort gemeldet hat: „Ein Gespenst geht um in Europa, nichts Unmenschliches ist ihm fremd. Es scheint, als sei ein Wettrennen darüber ausgebrochen, wer der größere Feind des Nächsten ist, wer die Schwächeren am besten verhöhnen kann.“

    Unwidersprochen
    Dieser Analyse fügt Turrini die berechtigte Kritik hinzu: „Eine demokratische Regierung, in welcher Zusammensetzung auch immer, müsste diesem grassierenden Fremdenhass entgegentreten, doch das explizite Gegenteil geschieht. Beinahe täglich sind von der jetzigen Regierung Vorschläge zu hören, was man den Flüchtlingen noch alles wegnehmen und welche Unterstützungen man immer weiter kürzen könnte.“
    Der Hetze gegen Schwache entgegenzutreten: Das ist allein schon ein Gebot der Menschlichkeit. Zudem lautet eine zentrale Lektion aus der Geschichte, dass über kurz oder lang alle Hemmschwellen fallen, wenn man nicht rechtzeitig etwas dagegen tut. Eine klare Distanz zum rechten und undemokratischen Rand: Das sollte sich eigentlich von selbst verstehen, wenn man sich die Verbrechen der Nazis und der Faschisten vor Augen hält. Traurig, dass eine solche Klarstellung im Jahr 2018 immer noch nötig ist. Noch trauriger, dass sie in Bezug auf eine Regierung erforderlich ist.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 13 Nov 2018 00:00:00 +0100 1541991619125 Historie: Eine Republik mit gleichen Rechten Oktober 1918. Die Soldaten an der Front und die Menschen im „Hinterland“ hungerten und froren, sie hatten genug vom Krieg des Kaisers. Soldaten schlugen sich in die Wälder, um irgendwie durchzukommen. In den Städten und in der Kriegsindustrie demonstrierten und streikten die Menschen für Nahrung, Frieden und Demokratie, manche auch für eine gerechtere Gesellschaft. Auf dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie bildeten sich neue Staaten und auch die deutschsprachigen Abgeordneten des 1911 gewählten Parlaments ergriffen die Initiative. Am 21. Oktober erklärten sie sich im Niederösterreichischen Landhaus in Wien (dem heutigen Palais Niederösterreich) zur „Provisorischen Nationalversammlung des selbständigen deutschösterreichischen Staates“. Am 30. Oktober wurde die neue, dem Parlament verantwortliche Organisation der staatlichen Verwaltung beschlossen. Unter den Abgeordneten befanden sich etliche Gewerkschafter, darunter der spätere AK-Präsident Franz Domes und Ferdinand Hanusch, der kurz darauf zum Staatssekretär für Soziales bestellt wurde.
    Doch die kaiserliche Regierung weigerte sich selbst nach der militärischen Kapitulation am 3. November zurückzutreten, und Kaiser Karl ließ sich erst am 11. November dazu bewegen, auf die „Staatsgeschäfte in Österreich“ zu verzichten. Damit konnte am 12. November 1918 endlich der neue Staat proklamiert werden:

    Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt. … Die politischen Vorrechte sind aufgehoben.

    Gleichzeitig wurde die demokratische Wahl einer „Konstituierenden Nationalversammlung“ für Anfang 1919 angekündigt:

    Das gesamte Volk, Männer und Frauen, werde zur Wahl schreiten und sein äußeres Schicksal wie seine innere Ordnung allein, frei und unabhängig bestimmen … Bürger, Bauer und Arbeiter haben sich zusammengetan, um das neue Deutschösterreich zu begründen.

    Ein revolutionärer Akt, auch wenn man dem Kaiser nicht den Kopf abschlug. Was bisher undenkbar schien, wurde Wirklichkeit: gleiche Rechte für ArbeitnehmerInnen, Gewerkschaftsvertreter als gleichberechtigte „Sozialpartner“ beim Überleiten auf Friedenswirtschaft und bei der Organisation des Arbeitsmarkts im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Das alles wurde trotz katastrophaler sozialer Zustände erreicht – ein Lied nannte Wien eine „sterbende Märchenstadt“. Um das Überleben der jungen Republik zu sichern, forderte die Provisorische Nationalversammlung Solidarität ein:

    Wer über Vorräte verfügt, öffne sie dem Bedürftigen! Der Erzeuger von Lebensmitteln führe sie denen zu, die hungern! Wer überschüssige Gewandung besitzt, helfe die frierenden Kinder bekleiden!

    Die „Republik Österreich“, wie sie nach dem Friedensvertrag mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs ab 1919 hieß, schuf mit der Gleichberechtigung von ArbeitnehmerInneninteressen die Grundlage für Österreichs modernen demokratischen Sozialstaat. Sie scheiterte daran, dass das Ziel einer sozialen Demokratie von rechten Regierungskoalitionen systematisch bekämpft wurde.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 9/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1541991619119 Auf Postkarten wie dieser wurden zentrale Botschaften der Republik-Proklamation, wie die Gleichheit aller BürgerInnen und der Appell zusammenzuhalten, verbreitet. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006533 ÖGB: Lohn- und Sozialdumping wirksam bekämpfen! Die Europäische Kommission hat in den vergangenen Jahren wichtige Maßnahmen für die Durchsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ gesetzt. Um den Stand der Dinge zu diskutieren, lud der ÖGB Anfang Oktober zu einer Diskussion unter dem Titel „Soziales Europa oder Freihandel für Konzerne?“. „Wir freuen uns, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit seinem Besuch einer Einladung des ÖGB zu einem öffentlichen Europadialog über die soziale Dimension der EU nachgekommen ist“, sagte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian vor rund 500 BelegschaftsvertreterInnen und interessierten TeilnehmerInnen in Wien.
    Kritik äußerte Katzian an der österreichischen Ratspräsidentschaft: „Anstatt wirkliche Probleme zu behandeln, fährt die Bundesregierung eine massive Verunsicherungspolitik. Die Schlagworte ‚Ein Europa, das schützt‘ sind nicht mehr als leere Worthülsen.“ Nach wie vor besteht ein massives Lohngefälle in der EU. Zusätzlich pendeln 1,7 Millionen Europäerinnen und Europäer täglich in einen anderen Mitgliedstaat, um dort zu arbeiten. „Lohn- und Sozialdumping sind damit in zahlreichen Branchen Tür und Tor geöffnet“, betonte der ÖGB-Präsident.
    Besonders betroffen sind beispielsweise Bauwirtschaft oder Transportgewerbe, wo teilweise mehr als die Hälfte aller Entsendeunternehmen Lohndumping betreiben. „Und das wird auch nach der österreichischen Ratspräsidentschaft weiter der Fall sein“, ärgerte sich Katzian über die Tatenlosigkeit der Bundesregierung. Dabei ist Österreich vom grenzüberschreitenden Lohn- und Sozialdumping europaweit am stärksten betroffen. „Diese direkte Betroffenheit reicht aber offenbar nicht, um das Thema auf die Agenda des österreichischen Ratsvorsitzes zu bringen“, wiederholte Katzian seine Kritik an der Bundesregierung. „Mehr noch: Die Soziale Säule kommt im Arbeitsprogramm mit keinem Wort vor.“
    Gerade im Hinblick auf die EU-Wahlen im kommenden Jahr ist es wichtig, dass Europa konkrete Angebote für die Menschen hat, betonte Katzian: „Es muss gelingen, ein Europa zu bauen, zu dem die Menschen Ja sagen können. Das kann nur funktionieren, wenn wir die soziale Säule endlich mit Leben erfüllen, zum Beispiel durch konkrete Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping.“

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    Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006515 ÖGB/AK: Herbert Tumpel (1948-2018) Mit tiefer Trauer und Bestürzung haben AK und Gewerkschaften auf die Nachricht reagiert, dass Herbert Tumpel verstorben ist. Tumpel, geboren am 9. März 1948, war von 1997 bis 2013 Präsident der AK Wien und der Bundesarbeitskammer. Zuvor war der Volkswirt Leitender Sekretär des ÖGB.
    In den 16 Jahren an der Spitze der AK hat Tumpel für zahlreiche Reformen sowie einen tiefgreifenden Um- und Ausbau der AK-Leistungen im Rahmen des Programms „AK plus“ gesorgt. Politisch stand Tumpel für den Ausgleich der Kräfte und Fraktionen in der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretung und einen kompromisslosen Kurs für die Rechte der ArbeitnehmerInnen.
    „Mein Mitgefühl gilt seiner Frau Gertrude Tumpel-Gugerell, der ich mein tiefes Beileid ausspreche“, sagt AK-Präsidentin Renate Anderl. „Ich habe Herbert für seinen Weitblick und seine politische Klarheit sehr geschätzt. Die Arbeiterbewegung hat Herbert Tumpel viel zu verdanken und wird ihn sehr vermissen.“
    Auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian zeigt sich tief betroffen: „Wir haben einen überzeugten Gewerkschafter und langjährigen, engagierten Mitkämpfer für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verloren. Unser ganzes Mitgefühl gilt seinen Hinterbliebenen und seiner Ehefrau.“ Tumpel habe sich in seinen vier Jahrzehnten aktiven Wirkens in der ArbeitnehmerInnenbewegung stets auf die Seite der Schwächeren gestellt und ihnen damit eine Stimme gegeben.
    „Er hat das Verbindende immer über das Trennende gestellt und mit viel Fachwissen und Engagement Österreich vielseitig mitgeprägt. Das reicht vom Beitritt Österreichs zur Europäischen Union bis zur Bewältigung der Wirtschaftskrise. Noch heute tragen viele unserer Forderungen und Erfolge seine Handschrift“, erinnert sich Katzian an das Wirken Tumpels. Tumpel war ab 1973 Mitarbeiter im volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB und übernahm 1983 dessen Leitung. Ab 1987 war er Leitender Sekretär für Grundsatz und Finanzen, 1997 wurde er AK-Präsident und bekleidete dieses Amt bis 2013.

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    Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006523 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006509 Frisch gebloggt Gute Arbeitslosenversicherung verhindert niedrige Löhne
    Silke Bothfeld

    Gute und faire Arbeits- und Lebensbedingungen, das war bisher das österreichische Erfolgsmodell. Soll dies nun wirklich nach deutschem Vorbild aufs Spiel gesetzt werden? Vor allem die Arbeitslosenversicherung ist ein Bollwerk gegen die Dynamiken des kapitalistischen Marktes und garantiert Rechte für ArbeitnehmerInnen. Sie bewahrt Menschen davor, unfaire Arbeits- und Lohnbedingungen akzeptieren zu müssen. Sie gewährleistet eine vorhersehbare finanzielle Absicherung während der Arbeitslosigkeit. Sie koppelt Lohnniveau und Sicherungsleistung aneinander und stabilisiert die Binnennachfrage. Die Pläne der österreichischen Regierung, die Notstandshilfe abzubauen und die Arbeitslosenversicherung zu kürzen, zielen auf den Abbau oder die Schwächung kollektiver und individueller sozialer Rechte ab. Zehn Jahre Erfahrungen mit den Hartz-Reformen zeigen: Der Abbau sozialer Rechte ist das falsche Rezept, um soziale Problemlagen zu vermindern. Vielmehr braucht es die Eindämmung von Niedriglohnbeschäftigung, die Bekämpfung verfestigter und „perforierter“ Langzeitarbeitslosigkeit und die Förderung beruflicher Qualifikation.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/yd69ywcz

    Leistbares städtisches Wohnen
    Lukas Tockner

    Seit einiger Zeit wächst die Bevölkerung in vielen österreichischen Städten und Ballungszentren stark. Ebenfalls gestiegen sind die Immobilienpreise. So ist in Wien bei den Nettomieten pro Quadratmeter für neu vermietet Wohnungen in den letzten acht Jahren im privaten Bereich ein Anstieg um rund 40 Prozent zu verzeichnen. In den westlichen Landeshauptstädten dürften die Wohnungskosten sogar noch stärker gestiegen sein. Mieten haben zudem einen umverteilenden Effekt: In der unteren Einkommenshälfte wohnen die Haushalte überwiegend zur Miete. Wohnungsbesitz über den Hauptwohnsitz hinaus ist stark auf die vermögendsten Haushalte konzentriert. Wenn die durch Mieten erzielten Vermögenseinkommen also stärker steigen als andere Einkommensarten, kommt es tendenziell zu einer Umverteilung von unten nach oben. Damit die Kosten für das Wohnen nicht einen noch höheren Teil des Einkommens der Haushalte verschlingen, braucht es ausreichend günstiges Bauland, mehr sozialen Wohnbau und eine Reform des Mietrechtsgesetzes.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y8vyx496

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    Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006497 "Nicht zuletzt" ... Kampf für mehr Rechte und Geld Bundesvorsitzender der PRO-GE]]> Die Herbstlohnrunde ist voll im Gange. Aufgrund der arbeitnehmerInnenfeindlichen Arbeitszeitnovelle sind in allen Branchen harte Kollektivvertragsrunden vorprogrammiert.
    Am 20. September läutete das Verhandlungsteam der Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp mit der traditionellen Übergabe des Forderungsprogrammes an die Arbeitgeber der Metallindustrie die Herbstlohnrunde ein. Die 192.000 „MetallerInnen“ kämpfen auch heuer gleich vom Start weg mit offenem Visier und fordern fünf Prozent mehr Lohn. Die Voraussetzungen für einen kräftigen Lohn- und Gehaltsabschluss sind sehr gut: Das Wirtschaftswachstum wird heuer laut Prognosen bei 3,2 Prozent liegen. In der Metallindustrie ist die Produktivität um über sechs Prozent gestiegen. Die für die Verhandlungen relevante Inflation liegt bei 2,1 Prozent. Vor allem die unteren Einkommensgruppen sollen heuer besonders angehoben werden, da gerade niedrige Einkommen stärker von den Preissteigerungen bei Wohnen, Einkauf oder Sprit betroffen sind. Darum fordern die Gewerkschaften neben einer prozentuellen Erhöhung von fünf Prozent auch einen fixen Mindestbetrag von 100 Euro.
    Die Gewerkschaften gewinnen mit der sehr unternehmerlastigen Politik der türkis-blauen Regierung noch stärker an Bedeutung. Die ArbeitnehmerInnen kommen immer mehr unter Druck, nicht zuletzt durch die viel kritisierte Arbeitszeitnovelle. Sie bedeutet im Klartext: Jeder und jede ArbeitnehmerIn kann zum 12-Stunden-Tag und zur 60-Stunden-Woche gezwungen werden. Der Schutz durch BetriebsrätInnen oder durch ArbeitsmedizinerInnen fällt weg und der Marketing-Gag namens „Freiwilligkeitsgarantie bei Überstunden“ ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Ein gutes Gegenmittel gegen dieses gesetzliche Drüberfahren der Regierung sind Kollektivverträge und Lohnverhandlungen. Alle Gewerkschaften haben in einer eigenen Konferenz beschlossen, in allen Branchen die Arbeitszeit auf das Tapet zu bringen.
     
    Wunsch nach 6. Urlaubswoche
    In der Metallindustrie wurde im Vorfeld der Lohnverhandlung zudem eine Mega-Umfrage unter den Beschäftigten abgehalten. Rund 60.000 ArbeitnehmerInnen wurden von ihren BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen mittels Fragebogen befragt. Konkret geht es vielen KollegInnen um Rechtssicherheit etwa bei einer 4-Tage-Woche oder bei Ablehnung von Überstunden. Vielen ist die persönliche Wahlfreiheit, sich Überstunden in Freizeit oder Geld abgelten zu lassen, sehr wichtig. Weit oben auf der Wunschliste der Beschäftigten steht auch die 6. Urlaubswoche. Jene, die Überstunden leisten, wollen dafür eine gute Entlohnung.
    Alle diese Punkte finden sich im heurigen Programm wieder. So sieht unser Forderungsprogramm unter anderem deutlich höhere Zuschläge für die 10. (75 Prozent), 11. und 12. Arbeitsstunde (100 Prozent) vor.

    Mehr Selbstbestimmung
    Dieser Anstieg der Zuschläge hat auch den Effekt, dass überlange Arbeitstage für Unternehmen teurer werden und so nicht zur gesundheitsgefährdenden Normalität werden. Ebenso wurde durch die Befragung bestätigt, dass sich die ArbeitnehmerInnen bei der Arbeitszeit mehr Selbstbestimmtheit wünschen. Werden Zuschläge in Geld ausbezahlt, kann jeder und jede selbst entscheiden, wann und wofür das Geld verwendet wird. Bei Zeitzuschlägen ist das bisher nicht so der Fall. Daher sollen ArbeitnehmerInnen künftig auch selbst entscheiden können, wann sie die zusätzliche Freizeit konsumieren.
    Die Durchsetzung dieser Forderungen wird nur in einer harten Auseinandersetzung gelingen. Aber wir sind gut vorbereitet, viele der im Frühsommer abgehaltenen Betriebsversammlungen können jederzeit wieder einberufen werden. Auch die Streikfreigabe des ÖGB wurde bereits erteilt. Die Solidarität aller wird entscheidend für unseren Erfolg sein.

    Glück auf!

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    Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der PRO-GE Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770830227 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006479 Risiken und Nebenwirkungen Der 12-Stunden-Tag ist aus arbeitswissenschaftlicher Sicht klar abzulehnen. Lange Arbeitszeiten belasten die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen und erhöhen das Unfallrisiko. Darüber hinaus entspricht die Erhöhung der Arbeitszeit nicht den Wünschen der Beschäftigten und führt folglich zu Unzufriedenheit.
    Eine Ausdehnung der zulässigen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden stellt eine besondere Belastung für die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dar. So reicht die verbliebene Freizeit bei einem 12-Stunden-Arbeitstag nicht, um sich gänzlich zu erholen. Eine aktuelle Studie der Uni Wien zeigt, dass nach zwei aufeinanderfolgenden 12-Stunden-Diensten, drei freie Tage benötigt werden, um sich vollständig zu erholen.
    Eine internationale Studie wiederum veranschaulicht die langfristigen Folgen von überlangen Arbeitszeiten: Beschäftigte, die regelmäßig mehr als 55 Stunden pro Woche arbeiten, haben ein etwa dreimal so hohes Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, als jene, die zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche arbeiten. Auch die Wahrscheinlichkeit von Herzerkrankungen steigt mit zunehmender Stundenanzahl.
    Nicht zuletzt steigt das Unfallrisiko ab der achten Arbeitsstunde exponentiell an und gefährdet damit die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen. Dies hat mit dem Leistungsknick zu tun, der bei jedem Menschen spätestens nach zehn Stunden auftritt. Besonders gefährlich wird es somit auch für all jene, die nach der Arbeit ein Fahrzeug lenken müssen, um nach Hause zu kommen.

    Letztlich steht das neue Gesetz im Widerspruch zu den Wünschen der Menschen. Eine aktuelle Eurofound-Studie etwa zeigt, dass die durchschnittliche Wunscharbeitszeit der österreichischen ArbeitnehmerInnen bei 31 Stunden pro Woche liegt. Selbst das Argument, dass durch Zeitausgleich auch kürzere Arbeitstage und sogar längere Freizeitblöcke möglich sein werden, hinkt. Die Arbeitszeit wird lediglich umverteilt, sodass auch Erholung, Besorgungen und private Termine geblockt werden müssen.
    Fraglich ist zudem die Freiwilligkeitsgarantie. Ob es in der Realität dann für den oder die Einzelne/n tatsächlich so einfach ist, die vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin angeordneten Überstunden abzulehnen, ist äußerst zweifelhaft. Tatsächlich werden bei dieser Entscheidung auch die Solidarität gegenüber den KollegInnen, die Angst vor Karrierenachteilen bis hin zur Angst vor dem Jobverlust eine wesentliche Rolle spielen. Dass es durchaus zu Konflikten zwischen privaten und beruflichen Interessen kommen wird, ist anzunehmen.

    Überstunden ≠ Zufriedenheit
    Auch aktuelle Ergebnisse des österreichischen Arbeitsklima Index zeigen, dass häufige Überstunden zu schlechteren Zufriedenheitswerten führen. Bei den Befragten, die selten oder nie Überstunden machen müssen, geben 50 Prozent an, mit ihrer beruflichen Tätigkeit sehr zufrieden zu sein. Bei jenen, die häufig Überstunden leisten, sind nur noch 39 Prozent der Befragten sehr zufrieden.

    Machtverschiebung zu Arbeitgebern
    Der 12-Stunden-Tag stellt somit eine besondere Belastung für die ArbeitnehmerInnen dar. Neben gesundheitlichen Risiken und einer steigenden Unfallgefahr ist besonders die „Freiwilligkeit“ kritisch zu betrachten. Das neue Arbeitszeitgesetz hat auf jeden Fall zu einer Machtverschiebung weg von den ArbeitnehmerInnen geführt. Dass sie unter diesen Rahmenbedingungen die Überstunden ohne Angabe von Gründen – wie es heißt – ablehnen, ist in der Praxis äußerst fraglich. Die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich ist aus arbeitswissenschaftlicher Sicht klar abzulehnen. Insbesondere stellt sie eine Gefahr für die Gesundheit und Zufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dar.

    Weitere Informationen:
    Studie der Universität Wien:
    tinyurl.com/mzz697f
    The Lancet „Long working hours and risk of coronary heart disease and stroke“:
    tinyurl.com/yatxx6mo
    AUVA „Die gefährliche neunte Stunde“:
    tinyurl.com/y9y3873s
    Arbeitsklima Index:
    ooe.arbeiterkammer.at/arbeitsklima

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin mandl.e@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Eva Mandl, Referentin der Abteilung Arbeitsbedingungen der AK Oberösterreich Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006467 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006454 Wie darf Streik? In Österreich ist es eher ein Ausnahmephänomen, dass in Betrieben die Arbeit niedergelegt wird. An sich ist es ein völlig legitimes Instrument, um die Interessen der ArbeitnehmerInnen zu verteidigen. Doch welche rechtlichen Bestimmungen gelten eigentlich? 

    Ist die Teilnahme an einem Streik erlaubt?
    Streik und die Teilnahme an einem Streik sind in Österreich grundrechtlich geschützt! Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der im Verfassungsrang steht, garantiert das Recht, Gewerkschaften zu bilden und sich als solche zu betätigen. Zu diesem Recht gehört es auch, in wichtigen Fällen Kampfmaßnahmen zu setzen. Der EGMR (Europäische Gerichtshof für Menschenrechte), dessen Urteile selbstverständlich auch für Österreich gelten, hat das in den letzten Jahren deutlich klargestellt.
    Zudem gewährt Artikel 8 des „Internationalen Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte“, dem Österreich beigetreten ist, sogar ausdrücklich ein Streikrecht.
    Die früher von manchen Rechtsprofessoren vertretene Ansicht, dass eine bloße Teilnahme an legitimen Streiks arbeitsrechtlich sanktioniert werden könne (z. B. durch Entlassung), gilt mittlerweile als überholt.

    Beendet ein Streik das Arbeitsverhältnis?
    Die Teilnahme an einem Streik führt zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Während eines Streiks ruhen die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, es besteht keine Pflicht zur Arbeitsleistung, der Entfall des Entgelts ist möglich.

    Gilt das auch für den öffentlichen Dienst oder die Daseinsvorsorge?
    Auch öffentlich Bediensteten und Bediensteten der Daseinsvorsorge steht das Streikrecht zu.

    Wie ist mit StreikbrecherInnen umzugehen?
    Es sollte versucht werden, durch sachliche Diskussionen Solidarität einzufordern und darauf hinzuweisen, dass auch sie/er bzw. ihre/seine Familie betroffen ist.

    Was tun, wenn ArbeitnehmerInnen entlassen oder gekündigt werden?
    Entlassungen oder Kündigungen wegen einer legitimen Streikteilnahme sind rechtswidrig. Auf jeden Fall werden diese bei Gericht angefochten. Es handelt sich um ein verpöntes Motiv im Sinne des § 105 Abs. 3 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG).

    Sind Kündigungen oder Entlassungen von BetriebsrätInnen oder PersonalvertreterInnen rechtswirksam?
    Bei BetriebsrätInnen sind Kündigungen bzw. Entlassungen rechtsunwirksam, da dafür die Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichtes notwendig ist. Lediglich bei Tätlichkeiten oder erheblichen Ehrverletzungen könnte vom Arbeitgeber eine nachträgliche Zustimmung zur Entlassung eingeholt werden.
    Daraus folgt, dass eine ausgesprochene Kündigung oder Entlassung das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Das Mandat des Betriebsrates bleibt weiterhin aufrecht und ihm ist auch der Zugang zum Betrieb zu gewähren.
    Bei PersonalvertreterInnen sind die jeweiligen Vorschriften zu beachten. Auch hier wird eine formgerechte Kündigung oder Entlassung oft nicht vorliegen, es wird somit angefochten werden können.

    Kann der Arbeitgeber eine Betriebsversammlung verhindern, weil diese zu spät einberufen oder während der Arbeitszeit und im Betrieb abgehalten wird?
    Nein, allein der Betriebsrat legt Ort und Zeit der Versammlung fest. Betriebsversammlungen dürfen selbstverständlich in den Räumen des Arbeitgebers und innerhalb der Arbeitszeit abgehalten werden (§ 47 ArbVG). Wenn dies in einem Ausnahmefall dem Arbeitgeber unzumutbar sein sollte, müsste er den Betriebsrat auf Unterlassung klagen; jedes eigenmächtige Eingreifen ist unzulässig und u. U. sogar gerichtlich strafbar (§§ 284, 285 StGB).
    Gruppen- bzw. Betriebsversammlungen sind vom Betriebsrat einzuberufen, Betriebshauptversammlungen vom Betriebsausschuss. Bei Bedarf ist in dringenden Fällen eine Betriebsversammlung auch ohne Einhaltung der einwöchigen Vorankündigungsfrist unverzüglich einzuberufen (§ 1 Abs. 3 Betriebsrats-Geschäftsordnung). Auch davon ist der Arbeitgeber zu verständigen.
    Ob für Betriebsversammlungen ein Entgeltanspruch besteht, kommt auf die bisher im Betrieb gehandhabte Vorgangsweise an.

    Was tun, wenn der Arbeitgeber die Sicherheitsbehörden zu Hilfe ruft?
    Die Betriebsstreikleitung informiert die Sicherheitsbehörden darüber, dass es sich um die Ausübung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts handelt. Führt das Gespräch mit den Beamten zu keinem Erfolg, ist die Zentrale Streikleitung zu kontaktieren: Diese führt das Gespräch mit den Sicherheitsbehörden weiter.

    Welche Besonderheiten bestehen bei der Beschäftigung von Lehrlingen bzw. überlassenen Arbeitskräften?
    Selbstverständlich nehmen auch Lehrlinge an Kampfmaßnahmen / Betriebsversammlungen teil, es sei denn, sie haben zu dieser Zeit Berufsschulunterricht.
    Wurde eine Betriebsversammlung einberufen, so können und sollen die überlassenen ArbeitnehmerInnen ebenfalls daran teilnehmen. Ebenso können sie an Kampfmaßnahmen teilnehmen. Werden sie vom Überlasser zurückberufen, haben sie allerdings dieser Rückberufung Folge zu leisten.
    Werden überlassene ArbeitnehmerInnen als „Streikbrecher“ eingesetzt und beschäftigt, so ist dies nicht zulässig. Eine Beschäftigung von überlassenen ArbeitnehmerInnen in bestreikten Betrieben ist gesetzlich ausdrücklich verboten.
    Auch die Vermittlung von Arbeitskräften durch das AMS in einen bestreikten Betrieb ist unzulässig.

    Wie laufen Aktionen in mehrschichtigen Betrieben ab?
    Die ArbeitnehmerInnen, während deren Arbeitszeit die Betriebsversammlungen bzw. Kampfmaßnahmen stattfinden, nehmen selbstverständlich daran teil. Auch ArbeitnehmerInnen in der dienstfreien Zeit können und sollen an den Betriebsversammlungen teilnehmen.

    Was geschieht mit ArbeitnehmerInnen, die aufgrund von Dienstverhinderungen (Urlaub, Krankheit) nicht an den Aktionen teilnehmen können?
    Diese haben weiterhin vollen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

    Was gilt bei einem Teilstreik?
    ArbeitnehmerInnen, deren Tätigkeitsbereich vom Teilstreik nicht betroffen ist und die arbeitsbereit sind, haben Anspruch auf ungeschmälertes Entgelt. Wenn sie durch den Teilstreik an ihrer Arbeitsleistung gehindert werden, besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Sinne des § 1155 ABGB bzw. kollektivvertraglicher Bestimmungen.

    Gibt es eine Verpflichtung zu Schadenersatzleistungen der einzelnen ArbeitnehmerInnen?
    Nein, für Schadenersatzforderungen des Arbeitgebers wegen Produktionsausfall haftet der/die Einzelne nicht!

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor michael.rovina@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Michael Rovina, Leiter Bereich Recht der Gewerkschaft younion Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006431 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006436 Zum Vergrößern aufs Bild klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006410 Streiks - eine globale Perspektive Die Veränderung der Arbeitswelt hat auch veränderte Strategien und Formen von Arbeitskämpfen mit sich gebracht. Technologische Entwicklungen in der Kommunikation und Produktion hatten ihre Auswirkungen auf Arbeitskonflikte. Historisch betrachtet hat etwa die Anzahl an Streiktagen in Europa abgenommen, während sie in Asien, insbesondere China, zunimmt. Die Verhandlungsstärke von Gewerkschaften, die staatliche Repräsentanz von ArbeiterInnen sowie die Entwicklung und Verlagerung von Wirtschaftssektoren nehmen Einfluss auf die Strategien, die im Falle von Arbeitskonflikten entwickelt und angewendet werden.

    Branchenabhängige Arbeitskonflikte
    Traditionell können Arbeitskämpfe im Industrie- und Transportsektor verhältnismäßig einfacher organisiert werden als beispielsweise im Dienstleistungssektor. Die Organisationsmacht von IndustriearbeiterInnen ist aufgrund des gemeinsamen Arbeitsplatzes an meistens teuren Maschinenanlagen höher. Hausangestellte wiederum haben vergleichsweise weitaus höhere Hürden, um kollektive Arbeitskämpfe zu organisieren. Sie arbeiten getrennt voneinander in verschiedenen Haushalten und oft informell ohne Arbeitsvertrag. Dementsprechend ist die Organisationsmacht von Hausangestellten – überwiegend Frauen – sehr gering. Die branchenspezifische Verhandlungsmacht von ArbeiterInnen hängt weiters von der Positionierung innerhalb der globalen Produktionskette ab: Wenn Dockarbeiter im Hafen von Mumbai streiken, kann damit die Fertigung von Waren international beeinträchtigt werden.

    Globale Verlagerung
    Die Soziologin Beverly Silver analysierte Streikvorkommen im 19. und 20. Jahrhundert nach Branchen und Ländern. Ihre Analyse zeigt, dass sich mit der Auslagerung von Branchen in andere Länder ebenfalls die Streikvorkommen verlagern. Weiters nehmen Streiks in jenen Branchen zu, in denen die globale Profiterwartung am höchsten ist: Während im 19. Jahrhundert Streiks in der Textilindustrie sehr häufig waren, haben sie sich im 20. Jahrhundert in die Automobilindustrie verlagert.
    Silver fasst ihre Untersuchungsergebnisse folgendermaßen zusammen: „Wenn sich Kapital verlagert (Land und Branche), verlagern sich auch Streiks.“ Arbeitskämpfe finden zunehmend in jenen Ländern statt, in denen die industrielle Produktion und Auslandsdirektinvestitionen gestiegen sind. Das sind beispielsweise China, Brasilien und Indien.
    Die Ziele von Arbeitskämpfen sind je nach sozialer Ungleichheit sehr unterschiedlich. Wirtschaftliche Entwicklung, gesetzliche Regelung für menschenwürdige Arbeit und gesellschaftlicher Wandel nehmen Einfluss auf die Ziele von Arbeitskämpfen. Während 2018 GewerkschafterInnen in Kolumbien, Mexiko und Brasilien für die Einhaltung von kollektivvertraglich festgelegten Löhnen verfolgt und ermordet werden, wurde im selben Jahr in Kanada, Island und Neuseeland für die Lohngleichheit von Männern und Frauen gekämpft. Je nachdem welche Gesellschaftsgruppen wofür kämpfen, lässt sich der Ausbeutungsgrad von ArbeiterInnen ableiten.

    Internationale Streikregeln
    Doch zurück zum Streik: Wie ist dieser eigentlich rechtlich geregelt? In den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) ist das Recht auf Streik im Übereinkommen 87 „Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes“, das 1948 verabschiedet wurde, inkludiert. Das Übereinkommen wurde von 155 Ländern ratifiziert, darunter auch Österreich. Das Streikrecht wurde bis ins 21. Jahrhundert von Arbeitgeberseite nicht infrage gestellt. Seit 2012 – im Gefolge der globalen Krise des Kapitalismus von 2008 – versucht nun die Arbeitgeberseite, das Recht auf Streik global zu torpedieren und damit Arbeitskämpfe zu illegalisieren. Daran lässt sich der globale Trend ablesen, dass Gewerkschaftsrechte weltweit unter Druck stehen. So wurde 2018 in 87 Prozent der Länder das Streikrecht verletzt.
    Streikstrategien werden je nach Ziel des Arbeitskampfes sowie der gesellschaftlichen Betroffenheit gewählt. So hat 2018 in Brasilien eine breite Bewegung einen Generalstreik unterstützt, da ein überwiegender Teil der Bevölkerung sich gegen die unzureichende Finanzierung des Gesundheits- und Bildungswesens sowie die Kürzungen im Pensionssystem aussprach. Aufgrund der breiten Betroffenheit der Bevölkerung und der sich verschärfenden Armut haben die Gewerkschaften Brasiliens zu einem Generalstreik aufgerufen, um gegen die Politik der illegitimen Regierung Brasiliens anzukämpfen.
    In Lateinamerika ist der sogenannte „social movement unionism“ sehr verbreitet, der ein gewerkschaftliches Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bezeichnet. Aufgrund eines solchen starken Bündnisses, das sogar von Kirchen unterstützt wurde, konnte 1985 die Militärdiktatur Brasiliens gestürzt werden. Das Beispiel des „social movement unionism“ macht auch zunehmend in den westlichen Ländern Schule: Gewerkschaften in Europa und den USA kämpfen gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen für verpflichtende Regeln und Haftbarkeit von Konzernen (UN Treaty Alliance) gegen den Widerstand von Unternehmen und RegierungsvertreterInnen.
    Obwohl es in der Vergangenheit bereits ähnliche Bemühungen für globale Konzernregeln gab, scheinen die Verhandlungen für „UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte“ aufgrund des starken Bündnisses und der Zunahme menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen nicht hoffnungslos zu sein.
    Wie bereits erwähnt, ist die Anzahl der Streiktage in Europa laufend gesunken, da bereits kurze Warn- oder Intervallstreiks Wirkung zeigen. In Ländern wie Südkorea, Nigeria oder Südafrika dauern Streiks viel länger, um Wirkung zu zeigen, und sie gehen zudem oft mit Gewalt einher: In Nigeria etwa wurden 2018 Proteste gegen das Verbot von Gewerkschaftsaktivitäten im Bildungswesen von der Armee niedergeschlagen und ein Arbeitnehmer erschossen.
    Für besonders viel Aufsehen hat die Verhaftung des südkoreanischen Gewerkschaftspräsidenten der KCTU Han Sangguyn gesorgt: Er wurde wegen der Organisation einer Massenkundgebung gegen geplante Arbeitsrechtsreformen 2015 verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund des breit getragenen, internationalen Solidaritätsdrucks auf die südkoreanische Regierung wurde Sangguyn frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen.

    Preisdruck wird exportiert
    Der Grad der internationalen Arbeitsteilung hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm erhöht. Die Macht über die Steuerung sogenannter Produktionsketten haben transnationale Konzerne aufgrund ihrer Finanzstärke. So übertragen Konzerne den Preisdruck an Zulieferfirmen weiter, wodurch sie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen forcieren.
    Für weltweites Aufsehen hat der Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ 2013 in Bangladesch gesorgt: Aufgrund der Missachtung von Bauvorschriften wurden über tausend ArbeiterInnen getötet. Durch den öffentlichen Druck und die Zusammenarbeit von internationalen Branchengewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde ein rechtskräftiges Brandschutzabkommen mit multinationalen Textilfirmen vereinbart. Damit wurden nicht nur die Fabrikbetreiber zur Verantwortung gezogen, sondern auch die Textilkonzerne, die aus den menschenunwürdigen Produktionsbedingungen Profit geschlagen haben.

    Internationale Solidarität
    Arbeitskämpfe haben sich in ihrer Form und Strategie verändert, ihr Ziel aber ist gleichgeblieben: menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen herzustellen oder zu schützen. Die zunehmende Verflechtung der globalen Produktion erfordert eine länder- und branchenübergreifende Solidarität, um dem Profitdruck von transnationalen Firmen standzuhalten.
    Auch wenn in vielen Ländern demokratische Spielräume und gewerkschaftliche Errungenschaften schwinden, zeigt die Geschichte, dass diese kollektiv wieder erkämpft werden können: „A luta continua“ – Der Kampf um menschenwürdige Arbeit global wird jedenfalls niemals enden.

    Weitere Informationen:
    Beverly J. Silver: Forces of Labor. Workers' Movements and Globalization Since 1870. Cambridge University Press
    IGB-Rechtsindex:
    tinyurl.com/y9bu5y9q
    Friedrich Ebert Stiftung:
    tinyurl.com/yc59k2qh

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin Sabine.Stelczenmayr@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sabine Stelczenmayr, Internationale Sekretärin des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006401 Im Mai 2018 hatten Lkw-Fahrer in Brasilien Verkehrsknotenpunkte blockiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006384 Angriff auf die Arbeitsrechte Gewerkschaften stehen europaweit unter Druck. Mit rigiden Gesetzen will man die Rechte der ArbeitnehmerInnen immer weiter aushebeln. Ungesicherte Arbeitsverhältnisse, Prekarisierung, drohende Arbeitsplatzverlagerung und Angst vor Entlassungen charakterisieren den modernen Arbeitsmarkt. Die Verstöße reichen von Untergrabung der Tarifverhandlungen bis zur Einschränkung des Streikrechts, die unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt wird. Weitere Maßnahmen sind eine Ausweitung der Arbeitszeit, die Herabsetzung der Mindestlöhne sowie die Einschränkung der Kollektivverträge.

    Verletztes Recht
    Diese Entwicklung ist keineswegs ein Phänomen, das nur außerhalb Europas stattfindet. Wirft man einen Blick in den globalen Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), so lautet die düstere Nachricht: In 58 Prozent aller europäischen Länder wurde das Recht auf Tarifverhandlungen verletzt. In drei Viertel aller europäischen Länder wurde das Streikrecht angegriffen. Besonders dramatische Auswirkungen hatten dabei die Troika-Diktate, die Gewerkschaften in Griechenland, Spanien, Portugal und auch Irland schwer zusetzten.
    Unter den von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) verordneten Sparmaßnahmen leidet die südeuropäische Bevölkerung bis heute. „Das war ein Rundumschlag, der die Senkung gesetzlicher Mindestlöhne, Einschränkungen der Pensionsrechte, die Einschränkung bis zur de facto Abschaffung von Kollektivverträgen beinhaltete“, analysiert der Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel Oliver Röpke im A&W-Gespräch.
    Ziel der Troika war es, die Kollektivvertragssysteme zu zerstören, betont Röpke. Die Anzahl der Beschäftigten, für die Kollektivverträge gelten, ist im Jahr 2010 allein in Portugal von 1,2 Millionen auf nur mehr 300.000 Personen gesunken. Die Armut ist explodiert. Auf dem Tiefpunkt belief sich der Mindestlohn in Portugal 2014 auf 485 Euro pro Monat – im Vergleich zu monatlich 753 Euro in Spanien. Auf Veranlassung der Troika wurde Anfang 2012 der Mindestlohn in Griechenland gar um 22 Prozent gekürzt.
    Am Beispiel Portugals zeige sich aber auch, dass eine Trendwende möglich ist, so Röpke: Nach Jahren der sozialen und wirtschaftlichen Krise verzeichnet das Land unter der sozialistischen Minderheitsregierung, die seit 2015 im Amt ist, wieder einen langsamen wirtschaftlichen Aufschwung. Nach der neoliberalen Austeritätspolitik sei wieder Platz für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt, bestätigen portugiesische Gewerkschaften.

    Erfolgreiche Abkehr von Sparpolitik
    Die positive Entwicklung lässt sich an konkreten Zahlen ablesen: Der Mindestlohn wurde auf 557 Euro angehoben. Die Arbeitslosigkeit wird weiter sinken und heuer bei knapp neun Prozent liegen. Längst sind sich SozialökonomInnen einig: „Die Troika-Politik in Südeuropa hat das Gegenteil von dem erreicht, was ursprünglich Ziel des Wachstums- und Stabilitätspakts war, und hatte wie erwartet negative Auswirkungen auf soziale Systeme und Arbeitslosigkeit.“ 

    Angriff auf Gewerkschaftsrechte
    Ein zentraler Angriff auf Gewerkschaften besteht in der Einschränkung des Streikrechts, Beispiele dafür sind Großbritannien, Spanien und Belgien. Britische Gewerkschaftsbünde stiegen gegen die Pläne ihrer Regierung, sowohl das Streikrecht als auch die Kollektivverträge auszuhöhlen, vergeblich auf die Barrikaden. Im Stile der Thatcher-Ära schränkte die konservative britische Regierung seit 2015 Streikrechte umfassend ein und veranlasste zahlreiche schikanöse Regelungen zulasten der Gewerkschaften. So wurden Schwellenwerte bei Urabstimmungen über Arbeitskampfmaßnahmen zum Teil drastisch erhöht. ArbeitnehmerInnen sollen ihren Arbeitgebern ihre Streikpläne zwei Wochen im Voraus mitteilen. Sogar ihre Facebook-Einträge über einen Streik müssen sie der Firma melden: „Damit wird das Streikrecht grundlegend ausgehöhlt“, kritisiert der führende britische Gewerkschaftsbund.
    Der Umgang mit Streikwilligen in Spanien war ein Mitgrund für die Herabsetzung des Landes im Ranking des aktuellen IGB-Rechtsindex. Dort hat die Regierung eine noch aus der Franco-Ära stammende gesetzliche Bestimmung geltend gemacht, um Streiks zu kriminalisieren und Gewerkschaftsmitglieder gerichtlich zu belangen. So sollten Proteste unterbunden werden. In Belgien wiederum haben Unternehmen unter Anrufung der Gerichte einseitig die Befugnis zur Streikbeendigung. „Die Urteile nehmen teilweise die Form einer allgemeinen Polizeiverfügung an, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gerichtsbarkeit fällt. Die EU-Institutionen blieben jedoch bei diesen Rechtsverletzungen untätig“, kritisiert der ÖGB. Daher wird gemeinsam mit anderen europäischen Gewerkschaftsbünden seit Jahren ein soziales Fortschrittsprotokoll für die EU gefordert. Dadurch sollen soziale Grundrechte endlich gestärkt und nicht länger wirtschaftlichen Freiheiten untergeordnet werden.

    Öffentliche Sicherheit als Deckmantel
    Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) belegt in einer ihrer aktuellen Studien den Trend vieler Regierungen, Eingriffe in das Streikrecht unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit zu rechtfertigen. Auch Finnland steht am Pranger: Die rechts-gerichtete Regierung griff ArbeitnehmerInnenrechte stark an. Zuschläge für Sonntagsarbeit wurden um 25 Prozent gekürzt. Im öffentlichen Dienst wurde der Urlaubsanspruch von 38 auf 30 Tage reduziert. Zusätzlich wurden die Gewerkschaften und ihre Tarifverträge geschwächt. Die Durchsetzung besserer Regelungen beim Urlaubsanspruch oder bei der Lohnfortzahlung wurde mit allen Mitteln verhindert. Der finnische Gewerkschaftsbund kritisierte die Verletzung der Tarifautonomie, scheiterte jedoch mit rechtlichen Schritten gegen die Maßnahmen.
    Schwierig ist die Lage vor allem in Ost- und Südosteuropa. Der Globale Rechtsindex des IGB 2018 erwähnt dabei Polen und wirft dessen Regierung vor, bei der Arbeitsmarktreform Gewerkschaften nicht ernsthaft konsultiert zu haben. Bei Verhandlungen wurde häufig die falsche Rechtsgrundlage herangezogen, es wurden bewusst kurze Fristen für Antworten festgelegt, die erforderlichen Unterlagen nicht ausgehändigt und rechtswidrige Klauseln eingefügt. Man ging automatisch von der Zustimmung der Gewerkschaften zum Gesetz aus, falls von ihnen keine Antwort vorliegt.
    In Kroatien wurden wiederholt Beschäftigte an der Gründung einer Gewerkschaft gehindert. Man versuchte, sie einzuschüchtern und drohte, ihre befristeten Verträge, die 90 Prozent aller Arbeitsverträge ausmachen, nicht weiter zu verlängern. Gewerkschaftsmitglieder auf der größten kroatischen Werft, die für ihre aggressive Gewerkschaftsfeindlichkeit berüchtigt ist, wurden unter Druck gesetzt, aus der Organisation auszutreten.

    Sozialdumping in Frankreich
    Mit der Einführung eines 12-Stunden-Arbeitstages, wie er nun in Österreich Realität ist, musste sich Frankreich schon 2016 herumschlagen. Damals wurde das umstrittene „El-Khomri“-Gesetz zur Reform des Arbeitsrechts verabschiedet. Kern der Reform war die Einführung flexibler Arbeitszeiten, die zwischen Beschäftigten und Unternehmen beschlossen werden. Betriebsvereinbarungen haben seitdem Vorrang vor Branchentarifverträgen. Die kontroverse Verordnung hat Sozialdumping, vor dem die Gewerkschaften eindringlich warnten, Tür und Tor geöffnet.
    In Italien hat die Regierung der ultrarechten Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung wider Erwarten einen anderen Weg eingeschlagen und führt derzeit einen Kampf gegen Sonntagsarbeit. Sie will die starke Liberalisierung bei den Ladenöffnungszeiten rückgängig machen. Damit wird ein Gesetz der Regierung von Premier Mario Monti (2012) aufgehoben, das eine europaweit beispiellose Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten vorsah. Geschäfte, Supermärkte und Einkaufszentren durften 24 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche inklusive Feiertage geöffnet sein. Gewerkschaften begrüßen die Pläne der Regierung: „Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten hat weder zum Wachstum der Beschäftigung noch der Wirtschaft beigetragen. Im Gegenteil, die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert.“

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    Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006362 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006338 Die neuen Klassenkämpfe Nicht erst seit dem Beschluss des 12-Stunden-Tages sind GewerkschafterInnen mit einem „Klassenkampf von oben“ konfrontiert. Was etwa Thomas Piketty zum Thema der Entwicklung bzw. Polarisierung globaler Ungleichheit als langfristige Entwicklung dokumentiert hat, hält auch der Ökonom und Gewerkschafter Fritz Schiller für Österreich fest: „Seit Jahrzehnten haben sich die Machtverhältnisse schrittweise in Richtung Arbeitgeber verschoben.“ Als Indiz dafür führt er die sinkende Lohnquote an; diese ist seit 1975 um mehr als zwölf Prozentpunkte auf 63,2 Prozent gefallen. Auch die Ergebnisse der Lohnverhandlungen sind für ihn ein Anhaltspunkt: „Gemessen an der produktivitätsorientierten Lohnpolitik (auch bekannt als Benya-Formel), verloren die Arbeitnehmer seit 1975 mehr als 18 Punkte (gemessen am Tariflohnindex).“ Das ernüchternde Fazit: Die gesamtwirtschaftliche Produktivität ist zwar gestiegen, doch dieses Wachstum „kam selten den Arbeitnehmern zugute“. Für Schiller bedeutet die aktuelle Regierung deshalb nicht erst einen Beginn des „Klassenkampfes von oben“, sondern vielmehr eine „Verschärfung“.

    Unten gegen unten
    Begleitend dazu wird auf ideologischer Ebene ein weiterer Klassenkampf durch das (Er)Finden bzw. Forcieren alter und neuer Sündenböcke geführt. Sein Motto lautet „unten gegen unten“. Ein Musterbeispiel dafür bot jüngst die Debatte rund um die Kürzungen des AMS und die „Reform“ der Mindestsicherung. „Es kann nicht Aufgabe der Allgemeinheit sein, die zu finanzieren, die sich mit Ausreden beim AMS durchschummeln“, erklärte etwa Sebastian Kurz. Fast wortgleich meinte Heinz-Christian Strache dazu, dass man „Durchschummler“ nicht länger „durchtragen“ werde. Selbst der „Kurier“ rückte in seiner Berichterstattung diese Regierungspropaganda bereits durch wenige Fakten zurecht. So gab es 2016 insgesamt gerade einmal 236 „Totalverweigerer“, also Fälle, bei denen das Arbeitslosengeld komplett gestrichen wurde. Das Arbeitslosengeld wird durchschnittlich dreieinhalb Monate, die Notstandshilfe sechseinhalb und die Mindestsicherung für achteinhalb Monate ausbezahlt. In der Mindestsicherung erfolgt zudem bereits der viel diskutierte Vermögenszugriff bei den Betroffenen.
    Die (rechts-)liberale Tageszeitung verweist aber bemerkenswerterweise auf die handfeste Ideologie in der Debatte: Der Begriff „Leistung“ stünde dabei im Vordergrund, deshalb will man – ungeachtet der Fakten – „den Druck auf Arbeitslose erhöhen“. Welche Bedeutung solche Strategien der Entsolidarisierung und Spaltung trotzdem für die Mobilisierung von WählerInnen haben können, zeigt eine Umfrage, die im Kontext der Nationalratswahl 2017 durchgeführt wurde. So forderten 76 Prozent der FPÖ-WählerInnen, 74 Prozent der ÖVP-WählerInnen, aber auch 62 Prozent aller WählerInnen, die neue Regierung möge der „Bekämpfung des Sozialmissbrauchs“ höchste Priorität einräumen. Die entsprechenden Werte liegen damit spannenderweise sogar noch vor den rechten Dauerbrennern Flucht und Migration. Gerade bei der sozialen Frage ergibt sich somit (ideologischer) Handlungsbedarf, insbesondere für die Gewerkschaften.
    Der zweite Aspekt dieser Klassenkampfstrategie „von oben“ besteht in der Tabuisierung jeder Form der sozialen Gegenwehr bzw. der selbstständigen Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen. Wie eine Keule wird hier dem Gegenüber der Begriff „Klassenkampf“ bei Bedarf um die Ohren geschlagen. „Klassenkämpferische Töne, wie man sie von der SPÖ außerdem nun hört, gehören eindeutig ins 19. Jahrhundert“, meinte etwa FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz im Zusammenhang mit der 12-Stunden-Debatte. Zugleich stellte er die Interessenvertretungen grundsätzlich infrage: „Individuelle Regelungen können besser sein als solche, die die Gewerkschaft ausgehandelt hat.“

    Gewerkschaften unter Druck
    Weitsichtig haben (nicht nur) VertreterInnen der AK ÖO bereits kurz nach Regierungsantritt ausgeführt: „Was sich durch das Programm durchzieht, ist die massive Ungleichbehandlung von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Unternehmerinteressen wird sehr viel Verständnis entgegengebracht, Arbeitnehmerinteressen werden vielfach ausgeblendet. Menschen in Notlagen (Arbeitslose, Mindestsicherungsbezieher, Migranten) werden pauschal unter Missbrauchsverdacht gestellt und mit verschärften Sanktionen bedroht.“ Und deutlich warnt man vor der – in weiteren Schritten – grundsätzlichen Existenzgefährdung für die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen: „Besonders kritisch sieht die AK, dass die Regierung durch eine – vage formulierte – ‚Angleichung‘ der Betriebsräte und die Abschaffung der Jugendvertrauensräte die Belegschaftsvertretung schwächen will. Gleichzeitig sollen wichtige Sozialpartnervereinbarungen von der Branchen- auf die Betriebsebene verlagert werden, wo die Beschäftigten von den Arbeitgebern viel leichter unter Druck gesetzt werden können. Die Sozialpartner auf überbetrieblicher Ebene werden dadurch ausgeschaltet.“
    Ins selbe Horn stößt auch Fritz Schiller: „Die Abschaffung der Jugendvertrauensräte ist nur ein kleiner Puzzlestein im großen Bild: Es geht darum, die bisher erkämpften Arbeitnehmerrechte zu beschneiden, zu reduzieren, zu marginalisieren. Die Unternehmerseite hat sich in diesem Regierungsprogramm durchgesetzt. Es bleibt nur, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Lande zu raten, erstens einen Betriebsrat zu wählen, zweitens der Gewerkschaft beizutreten und vor allem drittens sich selbst zu engagieren!“

    Strategiedebatte nötig
    Die Gewerkschaften selbst empfinden die aktuelle Regierungspolitik somit zurecht als „Frontalangriff“, der nicht nur Unternehmerinteressen durchsetzt, sondern auch das institutionelle Mitwirken außer Kraft setzt. Auch in diesem Sinne vorausschauend mahnt etwa das bereits erwähnte Papier der AK OÖ die Regierung, die Interessenvertretungen entsprechend der sozialpartnerschaftlichen Tradition einzubinden. Doch was geschieht, wenn – wie zu erwarten – dieser Appell ungehört bleibt? Nach den Gewerkschaftsforschern Stefan Schmalz und Klaus Dörre verfügen Gewerkschaften über unterschiedliche Ressourcen der (Gegen-)Macht. Neben institutionell verbrieften Rechten und Mitwirkungsmöglichkeiten in staatlichen Institutionen sind das Ausüben von ökonomischer Macht (beispielsweise durch Streiks), ideologischer Macht (auch durch die Kooperation und Interaktion mit anderen Akteuren) sowie politischer Macht durch die eigene Mitgliederstärke und Mobilisierungsfähigkeit.
    Bereits die Demonstration der 100.000 gegen den 12-Stunden-Tag zeigte exemplarisch, wie sehr sich die Koordinaten verschoben haben, weil die Regierung die Sozialpartnerschaft in diesem Fall umgangen hat. Nun müssen Gewerkschaften im Interesse der ArbeitnehmerInnen umso mehr mit anderen Mitteln um Einfluss ringen. Hoffnung in der Auseinandersetzung mit dem verschärften „Klassenkampf von oben“ gibt dabei, dass der ÖGB hier nicht nur in der Lage war, seine Mobilisierungsfähigkeit zu beweisen. Gleichzeitig hat er – zumindest periodisch – der Regierung die Meinungsführerschaft abgenommen. Ebenso können Gewerkschaften nach einer langen Durststrecke auch bezüglich der Mitgliederzahlen einen Trend nach oben verbuchen. Die Gewerkschaften haben sich vorgenommen, im Zuge der KV-Verhandlungen zurückzuholen, was vor dem Sommer durch Regierung und Industrie genommen bzw. infrage gestellt wurde. Es wird daher ein heißer Herbst, bei dem viel auf dem Spiel steht. Eine große Aufgabe also für die VerhandlerInnen aufseiten der ArbeitnehmerInnen.

    Weitere Informationen:
    tinyurl.com/ycy5xubx, tinyurl.com/y99jfmuj, tinyurl.com/ybrfsz9f

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor johnevers@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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    John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006318 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006323 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006303 Nebenwiderspruch von Links Der Klassenkampf beginnt mit Cookies. Zumindest in der Onlineversion des Duden. Nachdem man diese akzeptiert hat, wird man unterrichtet, dass es sich bei diesem um den „Kampf zwischen den gegensätzlichen Klassen um die Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft“ handelt. Arbeit gegen Kapital, um es klassisch mit Marx zu sagen. Alles andere ist Nebensache.
    Das scheint auch zutreffend, wenn man auf ein jüngeres Beispiel amerikanischer Politik blickt. „Class trumps gender“, also Klasse sticht Geschlecht: So lautete eine der standardmäßigen Erklärungen, warum bei der Präsidentschaftswahl mehr Frauen Trump als Clinton gewählt hatten – trotz der frauenfeindlichen Äußerungen des republikanischen Kandidaten. Letzten Endes wären Frauen aus der ArbeiterInnenschicht eben zuerst einmal Arbeiterinnen, so die Analyse, und erst in zweiter Linie Frauen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern in unserer Gesellschaft: nur ein Nebenschauplatz, während die Auseinandersetzung zwischen den Klassen auf der Hauptbühne stattfindet?
    Was unterscheidet Klassen denn eigentlich, könnte man an dieser Stelle fragen. Da lässt sich zuallererst der Faktor Vermögen anführen. Wer seinen Besitz für sich arbeiten lassen kann, wird schwerlich einer ArbeiterInnenklasse zuzurechnen sein. Zudem besitzen Vermögende nicht nur materielle Werte, sondern auch mehr Macht und Einfluss als Besitzlose.
    Unterschiede im Vermögen sind nicht nur schichtspezifisch, sie existieren auch zwischen Männern und Frauen. So besitzen Frauen im Schnitt um 23 Prozent weniger Nettovermögen als Männer. Die Unterschiede zulasten der Frauen sind vor allem am oberen Rand der Vermögensverteilung zu finden. Genau bei diesen Haushalten besteht das Vermögen zu einem großen Teil aus Unternehmenseigentum. Damit geht auch wirtschaftliche und politische Macht einher. Und da haben Männer die Nase deutlich vorne.

    Unterschied von 38 Prozent
    Unter den arbeitenden Menschen wiederum macht vor allem die Höhe des Einkommens den Unterschied zwischen den Klassen, also zwischen Mittel- und Unterschicht, aus. Übertragen auf die Geschlechterfrage: Die Differenz beim jährlichen Bruttoeinkommen zwischen Frauen und Männern beträgt 38 Prozent – unbereinigt um Teilzeit, Berufe oder Branchen.
    Soweit zur Baustelle „faire Entlohnung“, auf der es weiterhin viel zu tun gibt. Darüber hinaus aber geht es auch darum, welche finanziellen Mittel einer Person am Ende des Tages tatsächlich zur Verfügung stehen, um ihr Leben zu bestreiten. Gerade am unteren Rand der Einkommensskala sind weibliche Beschäftigte verstärkt zu finden: Der Anteil an der Niedriglohnbeschäftigung ist bei Frauen rund dreimal so hoch wie bei Männern. Zudem arbeiten Frauen insgesamt mehr: Sie werken 65 Stunden jede Woche, bei Männern sind es 63 Stunden. In diese Berechnung ist unbezahlte Arbeit miteinbezogen – zu Recht, schließlich ist es auch Arbeit, noch dazu eine sehr dringend notwendige.
    Sind Frauen also eine eigene Klasse? Das sind sie natürlich nicht. Jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit. Aber sie sind gewissermaßen innerhalb ihrer jeweiligen Klassen unterprivilegiert. Das hat auch die Frauenbewegung vorgebracht, die gegen die systematische Schlechterstellung ihres Geschlechts angekämpft hat. Dieser Kampf lässt sich auch am Beispiel von Cookies illustrieren, diesmal im kulinarischen Sinne. Noch einmal ein Blick in die amerikanische Politik: Wir schreiben das Jahr 1992. Der Ehemann der späteren Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton rittert selbst um die Präsidentschaft. Frau Clinton reagiert auf einen Vorwurf, sie hätte als Anwältin die Position ihres Gatten als Gouverneur zu ihrem beruflichen Vorteil benutzt, ärgerlich: „Ich nehme an, ich hätte zu Hause bleiben und Cookies backen sollen.“

    Kekse backende Ehefrauen
    Die Ehegattin des Gegenkandidaten, Barbara Bush, forderte sie daraufhin zu einem Backwettbewerb auf. Clinton war unwillig, musste sich aber dem überwältigenden Druck des Wahlkampfteams beugen: Die amerikanische Öffentlichkeit wollte Kekse backende Ehefrauen sehen. Nur ein Mann, der eine solche Frau an seiner Seite hat, so schien es, konnte auch ernsthaft als Präsident in Erwägung gezogen werden.
    Was diese Geschichte mit Klassenkampf zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel, denn es geht hier nicht um Arbeit gegen Kapital, nicht einmal um obere Mittelschicht (Clintons) gegen echten Reichtum (Bushes), sondern um backfreudige versus karriereorientierte Frauen. Oder anders: um zwei völlig unterschiedliche Frauenbilder. Somit geht es um die zentrale Frage, wo Frauen ihren Platz haben: im Privaten, friedlich am Herd mit der vorrangigen Aufgabe, den Ehemann und seine Nachkommenschaft zu betreuen und ihm den Rücken freizuhalten für seinen Kampf in der Welt draußen; oder soll die Frau selbst hinausziehen und ihren Platz in Politik oder Wirtschaft behaupten, sich dabei mit Männern messen und diese bisweilen auch ausstechen?

    Ursprung der Frauenbewegung
    Dass die spezifische Interessenlage von Frauen immer auch geprägt ist von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, daran kann kein Zweifel bestehen. Das war schon am Ursprung der Frauenbewegung so – nicht umsonst gab es eine bürgerliche Frauenbewegung und eine der Arbeiterinnen. Diese haben jedoch auch zusammengefunden, wenn es Anliegen hab, wo Frau-Sein bestimmender war als die soziale Herkunft. Die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts 1907 gab dafür Anlass. Die eine oder andere gut gestellte Frau, die zuvor in ihrer Kurie wählen durfte, verlor nun dieses Recht und sah sich plötzlich in der gleichen Situation wie die gewöhnliche Arbeiterin, mit der sie sonst wenig verband. Sie war rechtlos geworden in Bezug auf die demokratische Mitbestimmung, ausgeschlossen aufgrund ihres Geschlechts. Gemeinsam erkämpften Frauen beider Klassen schließlich 1918 jenes Wahlrecht, das endlich beide Geschlechter zur Gänze umfasste.

    Aus Klasse und Geschlecht gewebt
    Die Geschichte zeigt noch an vielen anderen Stellen, dass die Struktur unserer Gesellschaft aus Klasse und Geschlecht gewebt wird. Beides sind Prinzipien, nach denen konkrete Rollen, aber auch Chancen verteilt werden. Beides führt zu Ungleichheiten und vor allem auch zu Ungerechtigkeiten. Wer das ändern will, muss an beiden Fäden ziehen. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern schlicht um eine gerechte Gesellschaft, in der jeder und jede faire Chancen haben soll – und ein Existenzrecht auch dann, wenn er oder sie den vorgefertigten Rollen nicht entspricht. Wie strikt diese Rollenzuteilung ist, hat immer einen sozialen Gesichtspunkt und einen Genderaspekt. Arbeiter, die mit den Händen arbeiten, Frauen, die pflegen und versorgen. Angestellte, die sich zu bilden haben und Männer, die ihre Familien erhalten müssen. Plätze werden immer entlang beider Linien zugewiesen. Feministische VordenkerInnen weisen auch zu Recht darauf hin, dass der Kapitalismus eine patriarchale Struktur hat.
    Weil diese Aspekte miteinander verwoben sind, haben schon in den 1970er-Jahren unterschiedlichste Gruppierungen für eine gerechte Gesellschaft gekämpft, etwa die Frauen-, Friedens-, Umwelt- oder die Antirassimusbewegung. Nicht immer zogen diese Bewegungen an einem Strang, aber an unterschiedlichen Fäden. Mit Erfolg. Die damaligen Reformen im Familien-, Straf- und Arbeitsrecht stellten einen echten Umbruch in der Gesellschaft dar und brachen mit der bis dahin festgefügten Standes- und Klassenlogik.

    Alte und neue Einschnürungen
    Noch einmal Blick Richtung USA: Die Wahl Trumps zum Präsidenten hat eine riesige Mobilisierung hervorgerufen – und viele neue Kooperationen. So bot etwa der Women’s March ein Dach für unterschiedliche Frauenbewegungen, aber auch für viele Menschen, die bislang mit der Frauenbewegung wenig am Hut hatten, jedoch keine Gesellschaft wollen, wie sie Trump symbolisiert. Man kann ihnen nur wünschen, dass sie die Fäden in die Hand bekommen, die die alten und neuen Einschnürungen lösen werden. Und auf Vergleichbares diesseits des Atlantiks hoffen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sybille Pirklbauer, Frauen und Familie AK Wien Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006283 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 18 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006272 Jugend.Mitbestimmung.Jetzt Die politische Mitbestimmung und das Wahlrecht sind die zwei wichtigsten Merkmale einer Demokratie. Zwei Aspekte, die auch in der Arbeitswelt bedeutsam sind. Denn: „Die erste Form der demokratischen Mitbestimmung im Betrieb ist der Jugendvertrauensrat, der muss unbedingt bleiben. In der Schule gibt es den Klassensprecher, im Betrieb den Jugendvertrauensrat. Das ist ein gutes Training für alle guten BetriebsrätInnen. Und dafür setzen wir uns ein“, kommentierte etwa Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, die Pläne der Bundesregierung, den Jugendvertrauensrat abschaffen zu wollen.
    Der Jugendvertrauensrat (JVR) vertritt die Interessen der Lehrlinge und jungen Beschäftigten im Betrieb. Er kümmert sich darum, dass gesetzliche Bestimmungen zur Lehrlingsausbildung eingehalten werden, ist Ansprechperson bei schulischen und privaten Problemen und dient auch als Bindeglied zwischen Vorgesetzten und Lehrlingen. Er ist die Stimme der jungen Beschäftigten im Betrieb.

    Laute Stimmen für die Lehrlinge
    Rund 3.000 Jugendvertrauensräte und Jugendvertrauensrätinnen gibt es derzeit in Österreich. Eine von ihnen ist Victoria Schwarz. Sie ist in der Ausbildung zur Karosseriebautechnikerin bei einem großen Autozulieferer in der Nähe von Graz. Als im August 2017 die Neuwahlen zum Jugendvertrauensrat anstanden, war es für sie klar, dass sie sich der Wahl stellt. „Ich habe mich vorher schon engagiert, mich kannten die meisten Lehrlinge und ich verstehe mich mit ihnen sehr gut.“ Die Vorteile des Jugendvertrauensrats liegen für sie auf der Hand: „Meine Chefs sind froh, dass ich mit den gesammelten Anliegen der Lehrlinge zu ihnen komme. Sie hätten nie die Zeit, mit jeder und jedem Einzelnen lange zu reden.“

    Problemvermeidung
    Auch Josef Rehberger, Jugendvertrauensrat in der voestalpine Linz, weiß, was es heißt, Jugendvertrauensrat zu sein. Der gelernte Produktionstechniker ist dort Ansprechpartner für mehr als 460 Lehrlinge: „Der Jugendvertrauensrat ist wichtig, weil er die einzige Möglichkeit für Lehrlinge ist, im Betrieb mitzubestimmen. Die JVRs werden von den Lehrlingen gewählt, die bei Problemen zu uns kommen. Oft können wir hier schon im Vorhinein helfen, damit es erst gar nicht zu einem ernsthaften Problem kommt.“
    Zeitintensive Gespräche sind dafür mitunter notwendig. Victoria Schwarz erzählt: „Ein Lehrling kam immer wieder zu spät, bei der Arbeit wirkte er oft abwesend und blieb auch manchmal unentschuldigt fern. Im Gespräch vertraute er sich mir an. Er hatte Krach mit seiner Freundin und Streit mit den Eltern.“ Gemeinsam mit dem Chef wurde eine Lösung gefunden und er kann die Lehre fertig machen. Victoria ist sich sicher: „Jemandem älteren hätte er sich nie anvertraut und er wäre heute möglicherweise ein Lehrabbrecher.“
    Warum die Regierung vorhat, den Jugendvertrauensrat abzuschaffen, verstehen selbst so manche UnternehmerInnen nicht. Eine von ihnen ist Petra Mathi-Kogelnik, Geschäftsführerin von DM: „Der JVR ist eine wichtige Institution, da dadurch die Sichtweisen, Ansichten, Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen auch seitens der Gewerkschaften vertreten werden. Uns als Unternehmen ist es ein Anliegen, dass wichtige Themen unserer Jugendlichen direkt von ihnen kommen. Als Unternehmen sind wir offen, diese Themen gemeinsam mit dem JVR zu diskutieren und zu bearbeiten. Für uns ist der JVR eine wichtige Institution, um unsere Organisation weiterzuentwickeln.“

    Zum Nachteil der Lehrlinge
    Die Gewerkschaftsjugend ist aufgrund der vielen Verschlechterungen, die die Regierung für Lehrlinge umsetzt, sauer. Susanne Hofer, Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) bringt es auf den Punkt: „Ständig von mehr Mitbestimmung der Bevölkerung zu sprechen, aber gleichzeitig den Jugendvertrauensrat, also den Lehrlingssprecher, abschaffen zu wollen, nimmt fast schizophrene Züge an. Die Regierung will Jugendliche offensichtlich mundtot machen.“ Aber nicht nur das: Für über 18-jährige Lehrlinge in der überbetrieblichen Lehrausbildung hat die Regierung die Ausbildungsbeihilfe um fast 400 Euro auf die Hälfte gekürzt. Und auch vor dem Zwölfstundentag sind volljährige Lehrlinge nicht geschützt, für sie gilt wie für alle anderen das neue Arbeitszeitgesetz.
    Das neue Arbeitszeitgesetz macht es für Unternehmen möglich, Lehrlinge nach acht Stunden Berufsschule in die Arbeit zu holen. Einschränkungen sind nämlich nur für Minderjährige vorgesehen, für sie ist eine Beschäftigung im Betrieb nach einem Schultag von acht Stunden nicht mehr zulässig. Susanne Hofer ist besorgt: „Diese Arbeitszeitregelungen schaffen den Lehrlingen nur Probleme anstatt sie zu schützen. Uns liegen jetzt schon genügend Fälle vor, in denen Lehrlinge verbotenerweise nach der Berufsschule arbeiten müssen. Der Zwölfstundentag macht es möglich, Lehrlinge als billige Arbeitskräfte auszunutzen und sie nach der Berufsschule für die Abendschicht in den Betrieb zu holen. Das ist keine Ausbildung, sondern Ausbeutung!“
    Auch hier sind es die Jugendvertrauensräte, die auf solche Missstände aufmerksam werden – wie bei folgendem Beispiel: Angelika S. (Name v. d. Red. geändert) begann eine Ausbildung in einem Gastronomiebetrieb und musste mehr als ein Jahr lang länger als zwölf Stunden arbeiten. An Berufsschultagen begann sie ihren Tag um 7.30 Uhr, war bis 16.15 Uhr in der Schule und musste danach ab 17.00 Uhr bis 21.30 Uhr und länger verbotenerweise arbeiten. Auch an Arbeitstagen, an denen sie keine Berufsschule hatte, musste sie mehrfach länger arbeiten. Ihr Chef hat sie nach ihrer offiziellen Arbeitszeit immer „gebeten“, länger zu bleiben, so dass sie an manchen Tagen von 9 bis 23 Uhr im Betrieb war. Die Gewerkschaft unterstützte sie und leitete rechtliche Schritte ein. Mittlerweile hat sie das Unternehmen verlassen und absolviert ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb.

    Nach vorne und nicht zurück
    Bei der Österreichischen Gewerkschaftsjugend ist Partizipation kein Fremdwort. Die ÖGJ-Vorsitzende ist überzeugt: „Als Jugend haben wir Erfahrung mit Mitbestimmung, wir stehen im Dialog mit jungen ArbeitnehmerInnen und wissen, wo der Schuh drückt. Gerade haben wir unsere Kampagne ‚Jugend.Mitbestimmung.Jetzt‘ ins Leben gerufen, weil wir es uns eben nicht gefallen lassen, dass uns unsere Stimme genommen werden soll. Wir stehen auf der Straße, sprechen mit den Leuten, machen Aktionen und kämpfen um unser Recht auf Mitbestimmung, um den Jugendvertrauensrat. Wir stellen die Bedürfnisse der jungen ArbeitnehmerInnen in den Mittelpunkt.“

    Besonders betroffen
    Das neue Arbeitszeitgesetz, der Zwölfstundentag und die 60-Stunden-Woche, betrifft alle ArbeitnehmerInnen – die Jugend aber besonders, meint Hofer: „Wir stehen erst am Anfang unseres Arbeitslebens. Es ist logisch, dass diese Verschlechterungen, dieses Zwölfstundentagsgesetz die Jugend am härtesten und längsten trifft. Das nehmen wir nicht einfach so hin. Wir kämpfen um mehr Mitbestimmung und um mehr Demokratie, aber auch für eine Arbeitswelt, die uns nicht krank macht. Wir wollen ein Leben, das gesund ist und dazu braucht es Arbeitszeiten, die nicht krank machen und genügend Ausgleich.“
    Die Regierung katapultiert Österreich mit ihren Maßnahmen zurück ins letzte Jahrhundert: Mehr Arbeit, weniger Freizeit und weniger Mitbestimmung. Die Gewerkschaftsjugend und die JugendvertrauensrätInnen in Österreich akzeptieren das nicht und geben den jungen ArbeitnehmerInnen und Lehrlingen ein Stimme. Susanne Hofer betont: „Es geht um unser Leben, unsere Arbeit und unsere Freizeit. Wir wollen, dass Menschen mitreden können. Revolutionen passieren dann, wenn Menschen merken, dass sie was verändern können – und wir verändern was für die ArbeitnehmerInnen.“

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    Barbara Kasper, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006266 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006255 Geschenkkorb für Industrie Es ist eine große Summe, die von UnternehmerInnen aus Industrie und Immobilienbranche für den Nationalratswahlkampf des heutigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz ausgegeben wurde. Konkret: 1,1 Millionen Euro. Und jetzt ist Zahltag: Die Regierung soll im Interesse der Industrie liefern. Und sie tut es.
    All das passiert vor dem Hintergrund des zehnten Jahrestags der Weltwirtschaftskrise 2008. Die Wirtschaftskrise, die darauf folgte, wurde zum Ursprung massiver Sparprogramme in vielen Ländern, die eine in der Nachkriegsgeschichte beispiellose Umverteilung zulasten arbeitender Menschen und zugunsten großer Konzerne zur Folge hatten. Auch in Österreich wurden derartige Umverteilungsprogramme immer vehementer von VertreterInnen der Wirtschaft eingefordert – unter der schwarz-roten Koalition noch ohne Erfolg. In der im Oktober 2017 erschienenen Ausgabe des Wiener Hausblatts der Industriellenvereinigung „IV Position“ wird Präsident Georg Kapsch mit den Worten zitiert: „Österreich muss seine Systeme fit für die Zukunft aufstellen. Dazu zählen der Föderalismus, die Sozialsysteme, das Pensionssystem oder die Sozialpartnerschaft“.

    Wunschzettel und Wirklichkeit
    Das sind alles hochtrabende Formulierungen. Im Kleingedruckten konnte man schon damals erkennen, dass es ausschließlich um eine Verbesserung der Bedingungen für die Konzerne zulasten der Beschäftigten ging und geht. Unter dem Stichwort „Arbeitszeitflexibilisierung“ forderte die IV, es brauche „einen weniger restriktiven Gesetzesrahmen, eine stärkere Orientierung an der EU-Arbeitszeitrichtlinie (insbesondere bei der täglichen Höchstgrenze) und mehr Gestaltungsspielraum auf Betriebsebene.“ Und sie unterstreicht diese Forderung vehement: Dies alles müsse mit der „nötigen Konsequenz“ geschehen, denn: „Die Anhebung auf zwölf Stunden bei der Gleitzeit wurde etwa bereits im letzten Regierungsprogramm 2013 verankert, aber nie umgesetzt.“

    Durchgepeitscht
    Im September dieses Jahres trat das von der schwarz-blauen Regierung mit Höchstgeschwindigkeit durchgepeitschte neue Arbeitszeitgesetz in Kraft. Ein massives Ungleichgewicht ist nun im Gesetz verankert, denn die Unternehmen haben durch dieses Gesetz allerlei Möglichkeiten in die Hand bekommen, um die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu verlängern. Umgekehrt gilt dies allerdings nicht – und auch andere Entschädigungen für die ArbeitnehmerInnen sucht man im Gesetz vergebens.
    Somit wäre dieser Punkt auf dem Wunschzettel der Industriellenvereinigung bereits abgehakt. Doch es geht weiter. Schließlich forderte sie auch: „Die Zahl der Krankenversicherungsträger gehört reduziert und das Leistungsspektrum angepasst. Wettbewerbselemente müssen gestärkt, die Selbstverwaltung modernisiert werden.“ Und es wurde gejammert: „Die Gesamtbelastung der Unternehmen in Österreich mit Steuern und SV-Beiträgen ist die höchste der EU. Sie beträgt rund 52 Prozent des Gewinns und liegt damit zehn Prozentpunkte über EU-Schnitt.“ Damit ignorieren die Industriellen, dass man im Rest Europas längst darüber redet, die Steuern für Großunternehmen anzuheben beziehungsweise diese zu zwingen, ihre hinterzogenen Abgaben und Steuern endlich zu bezahlen. Zudem sind Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen eigentlich Lohnbestandteile für deren Beschäftigte. Die Unternehmen wollen sich ihren Beitrag für ein solidarisches Gesundheitssystem nicht mehr leisten. Also weg damit.
    Ein weiteres Beispiel ist die Reform der Sozialversicherung. Die bislang neun Gebietskrankenkassen sollen in einer „Österreichische Gesundheitskasse“ zusammengelegt werden. So will die Regierung eine Milliarde Euro „sparen“. Insgesamt soll es am Ende der Legislaturperiode nur mehr fünf Sozialversicherungsträger statt bislang 21 geben. Am Sparpotenzial hat bereits eine Vielzahl von ExpertInnen Zweifel angemeldet, vielmehr muss inzwischen davon ausgegangen werden, dass Mehrkosten in mehrstelliger Millionenhöhe auf die SteuerzahlerInnen zukommen.
    Mit dieser Zusammenlegung werden Maßnahmen eingeleitet, die mittelfristig zu einer Privatisierung der Sozialversicherungen führen könnten. Hier ist die ebenfalls von Einsparungen betroffene AUVA ein gutes Beispiel. 
    Am 13. August berichteten zahlreiche Tageszeitungen über die Details der geplanten Einsparungen. Sie nannte die AUVA-Reform „ein Geschenk an die Wirtschaft“. So soll die AUVA 135 Millionen Euro „intern“, das heißt bei den eigenen Angestellten, einsparen. 295 Millionen Euro sollen auf die zu schaffende neue „Österreichische Gesundheitskasse“ umgelagert werden.
    Das ist eine Umschichtung der Kosten zulasten arbeitender Menschen, denn für die AUVA zahlen hauptsächlich die Unternehmen, während „normale“ Krankenkassen zu einem großen Teil aus den Löhnen von ArbeiterInnen und Angestellten finanziert werden. Das finanzielle Risiko bei Arbeitsunfällen wird damit zukünftig nicht mehr von den Unternehmen getragen.

    Steigende Unfallgefahr
    Das ist natürlich praktisch, wenn man Statistiken kennt, wonach das Unfallrisiko nach der zehnten Arbeitsstunde drastisch zunimmt. Der Blog „kontrast.at“ zitiert die Arbeitspsychologin Andrea Birbaumer am 20. Juni: „Bei sehr langen Arbeitstagen wird man dreimal müder als an normalen Tagen. Und da kommt es dann auch vermehrt zu Unfällen.“ Solche Unfälle können schon jetzt tödlich enden. Am 30. Juli starb in Tirol ein Erntehelfer während eines sehr heißen Arbeitstages an den Folgen eines Herzinfarktes. Und am 22. August verunglückte ein Kranfahrer im Wiener Bezirk Hietzing tödlich auf seiner Baustelle.
    Bislang gab es zumindest noch die Chance, Unternehmen bei rechtswidrigem Verhalten zu belangen. Das war der Industriellenvereinigung ein Dorn im Auge. In ihrem Forderungskatalog heißt es: „Verwaltungsstrafen werden immer höher und können sogar Millionenhöhen erreichen. Das Verwaltungsstrafrecht ist dringend zu reformieren, etwa durch die Abschaffung des Kumulationsprinzips. (…) Der Standort braucht eine verbindliche Bundesraumordnung. Genehmigungsverfahren sind weiter zu beschleunigen.“
    Die IV ruft zu, die Regierung vollzieht. Ab 2020 fällt das Kumulationsprinzip, welches jeden Fall von Lohn- oder Sozialdumping in einem Unternehmen einzeln behandelte und zu entsprechend hohen Strafen führen konnte. Schwarz-Blau macht Lohndumping billiger. Damit kann das so gesparte Geld gut angelegt werden, denn die Körperschaftsteuer auf nicht entnommene Gewinne wird zudem halbiert.
    Und am 1. Jänner kommt als verspätetes Weihnachtsgeschenk die Einführung des Standort-Entwicklungsgesetzes, welches für Großprojekte lästige Vorschriften wie die Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen lässt. Letzteres ist ein Herzensanliegen von IV-Präsident Kapsch, der am 7. März 2018 dem Standard im Interview ausrichtete: „Wir müssen bestimmte Projekte durchboxen können.“

    Hart abgerungener 8-Stunden-Tag
    An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs. Im September wäre der nun abgeschaffte 8-Stunden-Tag 100 Jahre alt geworden. Am 11. September 1918 wurde er erstmals in Österreich gesetzlich verankert. Das war ein Ergebnis revolutionärer Umwälzungen in ganz Europa, ausgehend von der Oktoberrevolution in Russland. Damals hatten die Unternehmer in Österreich so viel Angst vor ArbeiterInnen und Angestellten, dass sie zu Zugeständnissen bereit waren. Letztendlich beruht auch die Sozialpartnerschaft der vergangenen Jahrzehnte zu einem großen Teil auf dieser Angst – und diese scheint nun überwunden zu sein.
    Es wird Zeit, dass sich sowohl die Regierung als auch die Unternehmen wieder vor den Gewerkschaften fürchten. Denn ohne diese Furcht werden sie der Regierung immer weitere Wunschzettel zur Umsetzung präsentieren. 498 Vorschläge zur Abschaffung von Mindeststandards hat die Wirtschaftskammer bereits unterbreitet. Sie reichen von einer Reduzierung des Urlaubsanspruchs bis zum Ende des Kündigungsschutzes für Mütter. ArbeitnehmerInnen sollen zahlen, damit die Reichen reicher werden.

    Weiterführende Links:
    Der Kontrast-Blog hat eine hilfreiche Liste, warum Großkonzerne die Gewinner unter dieser Regierung sind:
    tinyurl.com/y9o4vh24
    kontrast.at zu weiteren Wünschen der Wirtschaft: 
    tinyurl.com/yb4tse5x

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006246 Die Umbaupläne für die AUVA bedeuten nichts anderes als eine Umschichtung der Kosten zulasten der arbeitenden Menschen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 17 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539828006237 Den Klassenkampf, den gönn´ ich mir! Die Beschäftigten leisten mehr, fallen aber um Ansprüche um:

    • Arbeitsproduktivität in Österreich

    Geldregen für Unternehmen:

    • Dividenden-Zahlungen 2016

    Ungleiche Verteilung der Abgabenlast:

    • Woher kommen Steuern und Abgaben?

    Sparen bei den Ärmsten:

    • Die Kosten für die Mindestsicherung machen im Sozialbudget nur einen sehr kleinen Prozentsatz aus. Diese Ausgaben sind aber ein wichtiger Beitrag, um Armut zu vermeiden. Hier den Sparstift anzusetzen, bedeutet mehr Armut in Kauf zu nehmen.

    Statistiken dazu und noch viel mehr Fakten gibt es informativ und übersichtlich zum Downloaden.

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    Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539828006211 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227603 Ja, dürfen’s denn des? Wenn in Österreich ein Hauch von Streiklust in der Luft liegt, tauchen dazu kaum Bilder in der Erinnerung auf, wie rundherum das Alltagsleben mangels öffentlicher Verkehrsmittel zusammenzubrechen droht. Die österreichischen ArbeitnehmerInnen sind im Streiken ungeübt – vielleicht auch, weil es schwierig ist, gegen jene zu protestieren, mit denen jahrzehntelang ein gemäßigt angenehmes Klima gepflegt wurde. Während die Gegner 1934 noch aufeinander schossen, gelang es 1945 – gespeist aus den Erfahrungen der Lagerstraße –, gemeinsam die Zweite Republik zu gründen. Kompromisse zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen waren von nun an kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Damit einhergehend bestimmten die Sozialpartner vom Beginn der Zweiten Republik an bis in die 1990er-Jahre große Teile der Wirtschaftspolitik.

    Für die Stabilität verhabern
    Das wurde etwa in der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen (PKPL, gegründet 1957) deutlich – ein zunächst zeitlich befristetes, informelles System der freiwilligen Zusammenarbeit von Arbeitgeber- und ArbeitnehmerInnenverbänden sowie VertreterInnen der Regierung. Zwar führte der Bundeskanzler den Vorsitz, doch stimmberechtigt waren nur die RepräsentantInnen der vier Interessenorganisationen (ÖGB, AK, Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer).
    Dazu schreibt Politikwissenschafter Emmerich Tálos: „... das Prinzip der Einstimmigkeit und die Nichtöffentlichkeit und die weitgehende Informalität der Beziehungen in der Paritätischen Kommission zählen zu deren wesentlichen Strukturelementen.“ Resultat: Die Kooperation machte Österreich wirtschaftlich sehr stabil, andererseits kam es zu Vorwürfen der „Packelei“ und „Verhaberung“.

    „Sublimierter Klassenkampf“
    Bruno Kreisky nannte die österreichische Sozialpartnerschaft einen „sublimierten Klassenkampf am grünen Tisch“. Lange Zeit war der Kompromiss ein Begriff, mit dem beide Seiten gut leben konnten, der für die ArbeitnehmerInnen nicht allzu schmerzhaft war – anders als etwa in Deutschland.
    Dort entwickelte sich aus einem Kompromiss in den 1990er-Jahren eine grobe Schieflage: „Lohnverzicht für Arbeitsplatzgarantie: Das ist keine erfolgreiche Strategie“, erklärt Martin Müller, ÖGB-Experte aus dem Bereich Sozialpolitik. Sogar bei VW kam es dazu: Die Gewinne sind explodiert, bloß das Geld landete eher in den Taschen der AktionärInnen.
    „‚Geht es der Wirtschaft gut, geht’s allen gut‘, ist eine Verleugnung des Klassengegensatzes“, findet Müller. Denn: „Wenn der Arbeitgeber viel Profit macht, hat vor allem er etwas davon“. In unserem Nachbarland ist in den vergangenen 20 Jahren ein riesiger Niedriglohnsektor entstanden. Auch schlecht Verdienende wollten in ihrer Verzweiflung bereits auf Lohn verzichten, um ihre übel bezahlten Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Beispiel sind die MitarbeiterInnen der insolventen Drogeriekette Schlecker, die so einen Sanierungsbeitrag leisten wollten.

    Streikstunden und gutes Recht
    Mit dem EU-Beitritt, der Internationalisierung und den Öffnungen der Märkte ist die Bedeutung der österreichischen Sozialpartner stark in den Hintergrund gerückt. Der Ton zwischen den InteressenvertreterInnen hat sich aber seit der ersten schwarz-blauen Koalition grundlegend verändert. Obwohl die österreichischen ArbeitnehmerInnen traditionell eben nicht sehr streikerprobt sind, entwickelte sich das Jahr 2003 dennoch zu einem Streikjahr. Die Reformpläne der damaligen ÖVP/FPÖ-Regierung für Pensionen, ÖBB und Unterrichtsbereich sowie die Sparpläne bei Post und AUA veranlassten die Gewerkschaften zu Kampfmaßnahmen: Mehr als 10,4 Mio. Streikstunden wurden gezählt. Das ist der höchste Wert seit Bestehen der entsprechenden ÖGB-Statistik. Knapp 780.000 ArbeitnehmerInnen waren damals beteiligt.
    „Dem Streik als Druckmittel, ohne welches das Recht auf kollektive Verhandlungen ein bloßes ‚collective begging‘ wäre, bedienten sich etwa die Arbeitnehmer der Metallbranche im Herbst 2013 ...“, schreibt Elisabeth Brameshuber, Universitätsassistentin am Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der WU, 2015 in der Fachzeitschrift „ecolex“ (Artikel „Grundrecht auf Streik – Rechtsgrundlagen und Rechtsfolgen“).
    Artikel 11 der Menschenrechtskonvention garantiert das Recht, Gewerkschaften zu bilden. Zu diesem Recht gehört es auch, in wichtigen Fällen Kampfmaßnahmen zu setzen. „Seit 2009 ist die Europäische Grundrechtecharta in Kraft, in der ein Grundrecht auf Streik verankert ist.“ Ein solches Grundrecht wird seit Kurzem auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abgeleitet. Für ihre Forschungen wurde Brameshuber im Oktober 2017 zum „Researcher of the Month“ gekürt. „Die Arbeitnehmer setzen durch ihre Teilnahme am Streik keinen Entlassungsgrund. Insbesondere wenn um Arbeitsbedingungen oder Arbeitnehmerschutzmaßnahmen gestreikt wird, handeln Arbeitnehmer rechtmäßig, sodass die arbeitsvertragliche Pflicht zur Erbringung der Dienste nicht verletzt wird.“

    Sozialpartnerschaft statt Streik
    Dass in Österreich nur selten zum Arbeitskampfmittel Streik gegriffen wird, erklärt die Expertin mit der Sozialpartnerschaft. „In Österreich funktionieren die Kollektivvertragsverhandlungen ziemlich gut, weil die Einigkeit besteht, dass man lieber am Verhandlungstisch zu einer Lösung gelangt.“ Klar muss aber auch sein: Wird gestreikt, darf der Arbeitgeber das Entgelt „ab sofort“ vorenthalten. „Wenn ich streike und meine Arbeitsleistung dem Arbeitgeber willentlich nicht zur Verfügung stelle, dann bekomme ich auch mein Entgelt nicht. Wenn ich als ArbeitnehmerIn Gewerkschaftsmitglied bin, bekomme ich Geld aus dem Streikfonds. Wenn ich kein Gewerkschaftsmitglied bin, bekomme ich für die Zeit, die ich streike, auch kein Geld. Da ich ein aufrechtes Arbeitsverhältnis habe, habe ich etwa auch kein Recht auf Mindestsicherung“, sagt Brameshuber.

    Ergänzung vs. Entmachtung 
    Der britische Bergarbeiterstreik 1984/85 ist das beste Beispiel, wie sich eine Regierung auf die Seite der Arbeitgeber schlägt. Der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher ging es um die Entmachtung der Gewerkschaften – das wurde von langer Hand vorbereitet. In seinem Buch „United we stand – divided we fall“ (Campus Verlag 1999) schreibt Gero Fischer: „So wurden gleich nach Regierungsantritt Thatchers zwei Social Security Acts (1980) beschlossen. Sie bedeuteten nicht nur eine Abkehr von der Tradition der Sozialpolitik seit 1945, wie sie von konservativer wie auch Labour Regierung getragen wurde, sondern signalisierten eine Strategie, die ökonomische Krise Großbritanniens auf Kosten der sozial Schwachen und Schwächsten zu lösen.“
    Zwar hatten Streikende kein Anrecht auf Sozialhilfe, sehr wohl aber ihre Familien. Allerdings kam es zu Behördenschikanen und die Sozialhilfe sollte um das Streikgeld gekürzt werden. Die Bergarbeitergewerkschaft war nicht in der Lage, Streikgelder auszuzahlen. Die Medien, vor allem „The Sun“ und „The Daily Mail“ verzerrten das Bild des Streiks, rückten Ausschreitungen in den Vordergrund – obwohl der Streik überwiegend friedlich verlief. Ob der gravierenden ökonomischen Schwierigkeiten beendeten ab dem Jahreswechsel 1984/1985 mehr und mehr desillusionierte Bergarbeiter ihren Ausstand.
    Von solchen Verhältnissen ist Österreich weit entfernt – doch es lohnt, achtsam zu bleiben. Die Herbstlohnrunde der Metaller ist Ende September erst gestartet, das neue Arbeitszeitgesetz verärgert die ArbeitnehmerInnen und sorgt für Anspannung bei den KV-Verhandlungen. Wie sich Verhandlung und Streik gemeinhin ergänzen, weiß ÖGB-Experte Müller: „Das eine bedingt das andere – Streik ist die Fortsetzung der Verhandlung und dient dazu, das Gegenüber zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.“ Doch die rücksichtslose Einführung des 12-Stunden-Tags zeige nun, auf welcher Seite die österreichische Regierung steht. „In vielen Punkten hatten wir eine Rechtslage, die sehr verhandlungsfreundlich war. Wenn sich dieses Gleichgewicht zugunsten der Arbeitgeber verändert, dann werden die Gewerkschaften in ihrer Strategie weniger auf Verhandlungen setzen können und öfter zu anderen Mitteln greifen.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sophia Fielhauer-Resei, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227597 Schon bei der letzten Koalition zwischen ÖVP und FPÖ kam es zu größeren Protestaktionen und auch Streiks. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227583 Arbeitskampf und Klassenkrampf Vor Beginn der KV-Verhandlungen ließ die Industriellenvereinigung der ArbeitnehmerInnenseite ausrichten, sie solle statt Klassenkampf zu betreiben an Zukunftslösungen arbeiten. Für Susanne Haslinger von der PRO-GE ein altbekannter Vorwurf und gerade in Bezug auf das neue Arbeitszeitgesetz falsch: „Wir erleben den Klassenkampf von oben. Organisationen wie die Industriellenvereinigung kämpfen seit Jahren für längere Arbeitszeiten, haben das bei der Regierung bestellt und prompt bekommen.“ Susanne Haslinger ist in der Produktionsgewerkschaft für den Bereich Sozialpolitik zuständig, aktuell befasst sie sich mit den Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes. Heftig kritisiert sie, dass mit keinem Wort auf die Interessen der ArbeitnehmerInnen eingegangen wurde: „Belastende Arbeitszeiten brauchen immer einen Interessenausgleich. Das heißt mehr Geld, mehr Zeit oder beides. Nun hat die Wirtschaft diese Änderung ohne Begutachtung von Interessenvertretungen binnen drei Wochen durchgepeitscht und die ArbeitnehmerInnen gehen leer aus.“

    Politisch engagiert
    Susanne Haslinger, geboren 1981 in Wien, war bereits in der Schule politisch aktiv und während des Jusstudiums für den Verband Sozialistischer StudentInnen auf der ÖH tätig. Einer ihrer Schwerpunkte war Bildungspolitik, sie kennt die Realität von berufstätigen Studierenden gut. „Die Interessenvertretung war mir gut vertraut, als ich 2008 bei der AK in der Rechtsberatung begann“, erinnert sich die Juristin. Dort unterstützte sie ArbeitnehmerInnen bei der außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche. Vier Jahre später wechselte sie zur Gewerkschaft.
    Doch was bedeutet der Terminus „Klassenkampf“? Der Duden definiert das so: „Kampf zwischen den gegensätzlichen Klassen um die Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft.“ Susanne Haslinger erlebt, dass viele Menschen bei Klassenkampf an Aufmärsche, rote Fahnen und Gesänge denken. Diese Vorstellung sei einseitig, führt Haslinger aus. „Der moderne Klassenkampf findet längst nicht nur auf der Straße, sondern wie bei der Arbeitszeit über Gesetze statt. Dabei geht es um Macht: Wer hat eine parlamentarische Mehrheit und kann so seine Vorstellungen umsetzen?
    Für die Wienerin ist es eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaft, ArbeitnehmerInnen über ihre Rechte zu informieren und aufzuklären. Dazu zählt, die „Message Control“ der Regierung zu durchbrechen, etwa das „Märchen von mehr Freizeit trotz längerer Arbeitszeit.“ Aber dieser Anspruch sei im Gesetz nicht festgeschrieben. Diese Deutungshoheit zu durchbrechen, bedeute aber viel Arbeit und passiere traditionell in Betrieben und über neue Medien.
    Weiters müsse die PRO-GE in den KV-Verhandlungen herausholen, was den ArbeitnehmerInnen zusteht, so Haslinger. Das wäre etwa eine stärkere Teilhabe am Produktivitätsgewinn von Unternehmen. Neben jährlich erkämpften Lohnerhöhungen geht es heuer auch um höhere Zuschläge für längere Arbeitszeit und zusätzliche und selbstbestimmte Freizeit, frei nach dem Motto: „Die Gesundheit kann man sich nicht zurückkaufen.“ Ein zweites Paket ist für die Juristin Rechtssicherheit. „Viele Menschen sind total verunsichert und wissen nicht, inwieweit sie tatsächlich frei sind, längere Arbeitszeiten abzulehnen und inwieweit Betriebsvereinbarungen noch gelten.“ Zentral ist für Haslinger, die Mitbestimmung des Betriebsrats sicherzustellen. „Nur diese Instanz kann den Interessenausgleich im Betrieb sichern und dafür sorgen, dass sich Menschen nicht kaputthackeln.“

    Arbeitskampf
    Der Handlungsspielraum hat sich mit dem Regierungswechsel auf andere Ebenen verlagert. Haslinger erinnert an die Großdemonstration auf der Mariahilfer Straße am 30. Juni 2018. Ein weiteres Mittel ist, direkt in die Betriebe zu gehen und mit den BetriebsrätInnen die Belegschaften aufzuklären. Im äußersten Notfall sei auch die Arbeitsniederlegung, der Streik, ein legitimes gewerkschaftliches Mittel des Arbeitskampfs. Haslinger beobachtet als Sozialpolitikexpertin die Kollektivvertragsverhandlungen aufmerksam. Früher stand sie in regem Austausch mit dem Sozialministerium, nahm an Gesprächsrunden mit ExpertInnen teil. Derzeit gäbe es aber kaum Kontakt. „Die Regierung sieht keinen Bedarf, die Sozialpartner einzubinden.“ Das sieht man auch an der von Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache in einer Stellungnahme zum Auftakt der KV-Verhandlungen gestellten Forderung nach einer „spürbaren Lohnerhöhung“. „Ja, eh lieb“, kommentiert Haslinger dies mit einer Portion Zynismus. Sie ergänzt: „Ich finde es interessant, dass sie den Arbeitgebern damit ausrichten: ‚Reißt euch zusammen und schließt gut ab, nicht dass der Unmut unser schönes neues Arbeitszeitgesetz gefährdet‘.“ Die ArbeitnehmerInnen sollen ruhiggestellt werden, so die Gewerkschafterin. Eine solche Aussage vonseiten der Regierung ist für sie ein Zeichen dafür, dass dort „jegliches Gespür“ für die Sozialpartnerschaft verloren gegangen sei.

    Mehrere Fronten
    Haslinger erlebt in ihrem Bereich Sozialpolitik zurzeit Angriffe auf mehreren Fronten. Neben dem Arbeitszeitgesetz betrifft das etwa den Umbau der Sozialversicherungen, welchen die Sozialpolitikexpertin scharf kritisiert: „Es werden VertreterInnen der Arbeitnehmerschaft hinausgedrängt, Arbeitgeber haben auf einmal das Sagen in der Krankenkasse der Arbeitnehmer.“ Auf der anderen Seite gäbe es massive Geldverschiebungen zu Unternehmern und Privatkrankenanstalten. Dazu kommt: Während Unternehmen weiter steuerlich begünstigt werden sollen, will man bei ArbeitnehmerInnen Steuerbegünstigungen für Zulagen streichen. Und nicht zuletzt werde die AK mit angedrohten Kürzungen der Mitgliedsbeiträge unter Druck gesetzt.

    Frauenagenden
    Susanne Haslinger ist in der PRO-GE für den Bereich Sozialpolitik zuständig und gut vernetzt mit den anderen Abteilungen. Ihr Arbeitsfeld umfasst Themen wie etwa Arbeitszeit und Datenschutz. Auch die Begutachtung von Gesetzen zählt zu ihren Aufgaben. Gleichberechtigung ist ihr ein wichtiges Anliegen, die Wienerin arbeitet auch intensiv mit der Frauenabteilung zusammen. Das Thema Arbeitszeit etwa hat eine Geschlechterdimension, denn die Kinderbetreuung liegt nach wie vor zum Großteil bei Frauen. „Der 12-Stunden-Arbeitstag ist ein Modell für junge Männer, Frauen mit Kindern werden hingegen aus der Erwerbstätigkeit gedrängt“, so Haslinger. Hier müsse gegengesteuert werden.
    Haslinger sieht in der „Sozialpolitik“ der Regierung zurzeit eine Angriffspolitik auf ArbeitnehmerInnen, auf arbeitslose Menschen und auf das Gesundheitssystem. In Hinblick auf die Arbeitszeit bräuchte es für sie nicht nur ein Rückgängigmachen der Reform, sondern ein neues Arbeitszeitgesetz, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht nur die Unternehmensleistung. Dazu gehöre mehr Selbstbestimmtheit bei der Organisation von Arbeit und Freizeit. „Wir sind von unserem Wohlstandsniveau ausgehend so weit, dass eine Arbeitszeitverkürzung und mehr Autonomie zeitgemäß wären.“ Die Gewerkschafterin betont, dass unser Wohlfahrtsstaat tragfähiger ist als in anderen Ländern: „Im Gegensatz zu Deutschland mit Experimenten wie Harz IV und der Riester-Rente stehen wir strukturell gut da“, erklärt Haslinger. Sie beobachtet derzeit aber, dass Maßnahmen der Regierung gezielt die Struktur des Sozialstaats angreifen.

    Auf dem Feld für wenig Geld
    Eine Branche, in der die ArbeitnehmerInnen immer wieder ausgebeutet werden, ist jene der ErntehelferInnen. „17-Stunden-Tage, miese Arbeitsbedingungen, schlechte Quartiere und Lohnbetrug stehen dort an der Tagesordnung“, prangert Susanne Haslinger an. 2014 wurde das Projekt Sezonieri gestartet. Haslinger ist bei Sezonieri für die Koordination der Bundesländer und der AktivistInnen zuständig. Zweimal im Monat gehen sie auf Felder, um die ArbeiterInnen über ihre Rechte aufzuklären. Haslingers Einsatz für ArbeiterInnen lässt sich auf eine zentrale Frage zurückführen: „Auf welcher Seite stehst du? Ich komme selbst aus der Arbeiterklasse. Eines war mir immer klar: Entweder überwinden wir den Kapitalismus oder wir kämpfen für die Ausgebeuteten.“ Mittlerweile sei sie skeptisch, ob ersteres gelingen kann. „Aber ich möchte die Vision nicht aufgeben, dass wir es irgendwann schaffen.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Udo Seelhofer, Sandra Knopp, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227577 Susanne Haslinger ist in der Produktionsgewerkschaft für den Bereich Sozialpolitik zuständig. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227562 Historie: Im Alltagskampf Als Österreich 1918 demokratische Republik wurde, erhielt die Gewerkschaftsbewegung einen neuen Stellenwert. Ihre Bedeutung bei der Durchsetzung einer gerechteren Gesellschaft wurde von vielen aber geringgeschätzt. Das sei, so argumentierten sie, nur einer politischen Bewegung möglich. Die Gewerkschaften würden den Klassenkampf gegen „die da oben“ eher hemmen, weil sie sich mit kleinen Schritten zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse begnügen würden. Dem widersprach Richard Robert Wagner, der Begründer der Wiener Gewerkschaftsschule, 1928 in der „Arbeit und Wirtschaft“ vehement.

    Er schrieb: Wenn die freien Gewerkschaften heute lange nicht mehr Vereine unter anderen Vereinen im Gesellschaftsleben sind, die irgendwelche Sonderinteressen ihrer Mitglieder vertreten, also in unserem Fall mehr Lohn und bessere Arbeitszeit, sondern wenn sie immer größere Massen zu gemeinsamen Wirtschaftswillen zusammenschließen und immer größere Macht im Gesellschaftsleben gewinnen, dann wandelt sich ihre Funktion, Gruppenvertretung in den gegebenen zu sein, zu der allgemeinen gesellschaftlichen Funktion, die Wirtschaftsverhältnisse bewusst zu beeinflussen und mitzugestalten …
    Damit wandelt sich aber auch wesentlich die soziale Lage der Arbeiterschaft … aus den passiven Arbeitstieren werden mitdenkende, mitlenkende arbeitende Menschen, aus den Wirtschaftsobjekten werden Wirtschaftssubjekte.
    Aber die Klassengesellschaft verhindert, dass diese … Entwicklung organisch und friedlich vor sich gehe. Die Herrschaftsklasse versucht, die Arbeiter wieder in die Galeerentiefen hinabzustoßen. Und so vollzieht sich der Aufstieg in erbittertem, zähem Klassenkampf, im Alltagskampf der freien Gewerkschaften um schrittweise Vergrößerung des Lohnanteiles an den Arbeitsprodukten, um Verkürzung der Arbeitszeiten, Verbesserung der Betriebsverhältnisse und der sozialpolitischen Rechte, kurz um Durchsetzung der Wirtschaftsdemokratie gegenüber den absolutistisch gesinnten, feudal-herrschaftlich auftretenden Unternehmern.

    Das Image gewerkschaftlicher Interessenvertretung als Routineangelegenheit ohne Emotionen war für Wagner so falsch, wie es nur sein kann:
    Ist denn unser Gewerkschaftskampf, also unser Wirtschaftskampf im Produktionsprozess, seitdem er über die bloße Lohn- und Arbeitszeitfrage hinausgekommen ist, eine gewisse Lohnhöhe und eine bestimmte Freizeit errungen hat, wirklich so alltäglich grau, nüchtern und ideallos? Rückt der Funktionswandel der freien Gewerkschaften nicht die gleichen hohen Ziele gesellschaftlicher Macht, menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung vor unsere Augen wie der politische Kampf?

    Die Sprache der 1920er-Jahre ist uns fremd geworden und im überparteilichen Österreichischen Gewerkschaftsbund verzichtet man auf Begriffe wie „Klassenkampf“. Die Aussage Wagners könnte aber aktueller nicht sein: Sozialer Fortschritt und demokratische Mitbestimmung im ArbeitnehmerInneninteresse werden nie freiwillig zugestanden, sie müssen erkämpft und verteidigt werden – besser am Verhandlungstisch, aber bei Notwendigkeit auch mit Demonstrationen und Streiks.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227556 2003 kam es auf der Baustelle des neuen Innsbrucker Bahnhofs zu vom ÖGB organisierten Protestaktionen und Streiks. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227545 Standpunkt: Nebelgranaten statt Gerechtigkeit Es ist geradezu ein Lehrstück, wie die türkis-blaue Regierung Nebelgranaten wirft, um von den eigenen harten Beschlüssen abzulenken. Denn es scheint den Regierungsmitgliedern klar geworden zu sein, dass der von der Wirtschaft bestellte 12-Stunden-Tag bei den Menschen, gelinde gesagt, nicht so gut ankommt. 
    Also gaben Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Sozialpartnern für die KV-Verhandlungen den Wunsch mit auf den Weg, sie mögen doch bitte „sicherstellen, dass die Arbeitnehmer von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land profitieren“. Dies solle sich in den Gehaltsabschlüssen „spürbar wiederfinden“.

    Ablenkungsmanöver
    Sagen wir so: Das wäre das Mindeste. Bleibt bloß die Frage: Warum beschließen die Koalitionsparteien dann eigentlich Maßnahmen, die vor allem zulasten der ArbeitnehmerInnen gehen? Warum haben sie nicht gleich dafür gesorgt, dass das Arbeitszeitgesetz ausgewogener ist? Warum sorgen eigentlich nicht sie dafür, dass alle vom gesellschaftlichen Wohlstand gleichermaßen profitieren? Allein schon mit dem Arbeitszeitgesetz lieferte die Regierung den Beweis dafür ab, dass ihr am Wohlergehen der Beschäftigten herzlich wenig liegt.
    Dabei ist der Wunschzettel an die Sozialpartner zweifellos ein geschickter Schachzug. Denn damit schiebt die Regierung die Verantwortung dafür, dass auch ArbeitnehmerInnen am steigenden Wohlstand profitieren, an eine andere Instanz ab. Sollten sich die Gewerkschaften nicht durchsetzen, kann sich die Regierung einfach abputzen, nach dem Motto: Den Wunsch geäußert haben wir ja, was können wir dafür, wenn die Sozialpartner nicht liefern?
    Dabei droht eins völlig in Vergessenheit zu geraten: Es gibt ein Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen. Wenn sich nun der Gesetzgeber so eindeutig auf die Seite der Arbeitgeber stellt, wie es Türkis-Blau tut, so wird das Ungleichgewicht noch größer, wird ihre Macht größer. Denkt man dies weiter, so fordert die Regierung geradezu einen Gnadenakt der Unternehmen: Sie mögen doch bitte höhere Gehaltsabschlüsse zulassen. Damit lieferte die türkis-blaue Regierung einmal mehr einen Beweis dafür, dass ihr die Interessen der ArbeitnehmerInnen egal sind. Vielmehr arbeitet sie die Wunschliste der Wirtschaft ab. Damit betreibt sie vor allem eins: Klassenkampf von oben.
    Dabei existiert jetzt schon eine enorme Schieflage in Österreich. Da es keine Erbschafts- und Vermögenssteuern in nennenswertem Ausmaß gibt, haben jene einen Vorteil, deren Eltern Kapital weitervererben können – oder jene, die Vermögen haben. Denn sie leisten nur einen minimalen Beitrag für ein System, das Europa im Allgemeinen und Österreich im Besonderen enormen wirtschaftlichen Wohlstand beschert hat: der Sozialstaat. Das progressive Steuersystem soll dafür sorgen, dass die Last gerecht verteilt wird, sprich dass jene mehr beitragen, die finanziell bessergestellt sind, als jene, die weniger verdienen.

    Gefahr für den Wohlfahrtsstaat
    Diesem Anspruch wird das österreichische Steuersystem nicht gerecht, solange er nur für Arbeitseinkommen gilt – nicht aber für private Vermögende oder Unternehmen. Diese Schieflage hat sehr konkrete Auswirkungen. Denn damit fehlen dem Wohlfahrtsstaat die Mittel, um seine Funktion gut erfüllen zu können: den gerechten Ausgleich in einer immer ungleicher werdenden Gesellschaft zu gewährleisten. Ganz zu schweigen davon, dass es keinen Spielraum gibt, ihn so weiterzuentwickeln, dass er dieser Aufgabe angesichts der aktuellen Herausforderungen vollständig nachkommen kann.
    Fragt sich also, warum die Regierung selbst nichts dagegen unternimmt, dass bestimmte Gruppierungen deutlich mehr vom wachsenden Wohlstand profitieren als andere, sondern dies an die Sozialpartner delegiert. Offensichtlich ist der Wunschzettel an die Sozialpartner nichts anderes als eine Nebelgranate. Für die Regierung relevant ist nur ein Wunschzettel: jener der Wirtschaft.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227533 Reportage: Scharfe Verhandlungen Der Startschuss für die Herbstlohnrunde der Metaller ist gefallen. Sie hat eine besondere Bedeutung, denn zwar werden jährlich mehr als 450 Kollektivverträge (KVs) verhandelt und abgeschlossen, die eine Reihe von wichtigen Spielregeln für das Arbeitsleben beinhalten, etwa Essenzielles wie Einkommen und faire Arbeitszeiten festlegen. Allerdings gilt der Lohnabschluss für die rund 192.000 Beschäftigten der Metallindustrie als richtungsweisend für alle anderen KV-Verhandlungen. „Wir sind der Schneepflug, ihr seid die, die hinter uns nachschieben“, verdeutlicht es Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE.

    Mit Frankfurter Richtung Paprikahendl
    Traditionell wird der erfolgreiche Abschluss des Metallgewerbekollektivvertrags mit einem Paprikahendl zelebriert. Der Weg zum erfolgreichen KV 2019 scheint jedoch heuer ein sehr weiter zu werden. Das Arbeitszeitgesetz – der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche –, welches die ÖVP/FPÖ-Regierung auf Wunsch der Wirtschaft mit 1. September in Kraft gesetzt hat, heizt die Stimmung an.
    Es ist Donnerstag, 20. September, 11.30 Uhr in der Wirtschaftskammer Österreich, Wien Wieden. Zum Auftakt der Verhandlungen überreicht das Verhandlungsteam der Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp das Forderungsprogramm, darunter die fünfprozentige Lohnerhöhung. Eine deftige Jause mit Frankfurter, Senf und – dem Anlass entsprechend – Pfefferoni soll die Teams für die Gespräche stärken.
    An der Wand über dem Buffettisch ziert ein Portrait von Franz G. Dworak den Raum. Zwischen 1953 und 1961 war Dworak Präsident der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und parallel auch Zensor bei der Nationalbank, also praktisch ein Vorreiter von Harald Mahrer, der somit nicht als Erster gleichzeitig ein hohes Amt in Wirtschaftskammer und Nationalbank besetzt.
    Die ArbeitnehmerInnen haben sich auf die heurigen Verhandlungsrunden (und die kommenden im Jahr 2019) gut und präzise vorbereitet. Erstmals wurde von den Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp per Fragebogen im Vorfeld erhoben, wo die persönlichen Schwerpunkte der Beschäftigten in Bezug auf die Lohnrunde liegen.

    Bedürfnisse erhoben
    Die Fragen wurden Anfang September an die Beschäftigten der Metallindustrie verschickt, zwei Wochen später hatten bereits 40.000 Befragte geantwortet. Bis zum Verhandlungsstart wurden gar 61.090 Fragebögen an die Gewerkschaften retourniert. Die TeilnehmerInnen durften maximal vier von neun Themen ankreuzen. In der Auswertung ergaben sich daraus die Top Fünf für die ArbeitnehmerInnen: „kräftige Lohn- und Gehaltserhöhungen“ mit 52.161 Nennungen, eine „höhere Abgeltung für Überstunden und bei unattraktiven Arbeitszeiten“ (28.371), ein „gesichertes Wahlrecht, ob man für Überstunden Geld oder Zeit erhält“ (25.361), „Schutz und Mitbestimmung, damit überlange Arbeitszeiten die Ausnahme bleiben“ (24.811) und ein „Anspruch auf die 4-Tage-Woche“ (23.044).
    Selbstverständlich sind die Befragungsergebnisse in das aktuelle Forderungsprogramm eingeflossen, das den Arbeitgeberverbänden überreicht wurde. Dazu zählen die Punkte höhere Zuschläge, bezahlte Pausen, Kündigungsschutz oder Anspruch auf längere Freizeitblöcke und die 4-Tage-Woche. Schon allein die stattliche Anzahl der TeilnehmerInnen zeigt, wie sehr das Thema Arbeitszeit die ArbeitnehmerInnen tatsächlich beschäftigt. Zudem wird deutlich, wie groß die Unsicherheit in Bezug auf die Änderungen im neuen Arbeitszeitgesetz ist.
    Das unfaire Arbeitszeitgesetz sorgte überdies für eine Premiere der besonderen Art: Zwei Tage vor dem Herbstlohnrunden-Auftakt fand die erste österreichweite KV-VerhandlerInnenkonferenz statt. Dort einigten sich 900 Frauen und Männer aus sämtlichen Branchen auf eine gemeinsame Linie für die anstehenden Kollektivvertragsverhandlungen. Neben ordentlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen sowie Erhöhungen der Lehrlingsbeihilfen wird es nun vor allem um die Arbeitszeit gehen. Die Forderungen der Gewerkschaften: Planbarkeit, Selbstbestimmung, Rechtssicherheit und nicht zuletzt eine Arbeitszeitverkürzung für alle Branchen.

    Arbeitszeitgesetz empört
    Die türkis-blaue Bundesregierung hat das neue Arbeitszeitgesetz im Eilverfahren durchgepeitscht – ohne Einbindung der Sozialpartner und der Bevölkerung. Begutachtung für das Gesetz, das massive Auswirkungen auf Gesundheit, Freizeit und Einkommen von 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen hat, gab es keine.
    „Uns geht es um konkrete Verbesserungen für die ArbeitnehmerInnen, die wir bei den KV-Verhandlungen durchsetzen wollen“, stellt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian klar. „Die Anforderungen für die Arbeitnehmer, die bei 30 Grad im Schatten eine Straße asphaltieren, unterscheiden sich von den Anforderungen derer, die im klimatisierten Büro mit der Lösung komplexer Herausforderungen beschäftigt sind.“ Diesbezüglich kündigt er an: „Im Gegensatz zur Bundesregierung fahren wir nicht mit dem Kamm über alles drüber. Wir achten auf die unterschiedlichen Bedürfnisse. Wir werden Branche für Branche für Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kämpfen.“
    Auch jede neue Lebensphase bringt verschiedene Anforderungen mit sich. Für die ArbeitnehmerInnen ist es deshalb von enormer Bedeutung, selbst wählen zu können: Brauche ich mehr Freizeit oder will ich mehr Geld verdienen? Überlange Arbeitszeiten machen krank, ein Anspruch auf zusammenhängende Freizeitphasen muss unbedingt gewährleistet sein. Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida: „Durch das Arbeitszeitgesetz hat die Regierung eine klare Situation geschaffen: Für einen 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Arbeitswoche brauche ich den Kollektivvertrag nicht mehr. Als Arbeitgeber brauche ich den Betriebsrat und den Arbeitsinspektor nicht mehr, wenn ich die Leute ausbeute. Warum soll ich überhaupt verhandeln, wenn ich ohnehin alle Rechte habe?“ Das zeigt deutlich, wie uneingeschränkt die Rechte der Arbeitgeber nunmehr sind – und wie sehr Beschäftigte auf deren guten Willen angewiesen sind.

    Zwei Stunden Gratisarbeit pro Woche
    Durch den Beschluss des neuen Arbeitszeitgesetzes hat sich das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den arbeitenden Menschen und den Kapitalgebern massiv verschlechtert. Bisherige Regierungen haben sich durch gesetzliche Rahmenbedingungen immer dahingehend orientiert, dass der vermeintliche Kräfteunterschied vom „Schwächeren“ ausgeglichen werden kann. Meist wurden die Mitwirkungsrechte der ArbeitnehmerInnen gestärkt oder zumindest nicht massiv geschwächt.
    Doch jetzt ist es anders. Verschiedene Branchen spüren die unmittelbare Auswirkung der neuen Arbeitszeitregelung. Im Bereich der GPA-djp finden sich viele Betriebe mit Gleitzeitvereinbarungen – dort werden den BetriebsrätInnen nun reihenweise Schriftstücke vorgelegt, in denen die Gleitzeitvereinbarung von zehn auf zwölf Stunden ausgedehnt wird. Natürlich beinhalten diese keine Zuschläge oder die Option, einen Teil der angesammelten Stunden in Freizeit (sofern die ArbeitnehmerInnen diese Möglichkeit bevorzugen) zu konsumieren. Geradezu herrschaftlich: Wann die angesammelte Freizeit konsumiert wird, entscheidet der Arbeitgeber.

    Unbezahlte Mehrarbeit
    In manchen Branchen haben viele Beschäftigte All-in-Verträge, teilweise gilt das für ganze Belegschaften im Angestelltenbereich. Da mit diesen Verträgen die Überstunden im Allgemeinen abgedeckt sind, können MitarbeiterInnen durch das neue Gesetz gezwungen werden, zwei Stunden pro Woche mehr zu arbeiten. Das sind 96 Stunden pro Jahr – ohne einen Cent mehr Lohn.
    GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber: „Uns erreichen Anrufe, dass sogar Teilzeitbeschäftigte um ihren Job bangen, weil sie von unverschämten Arbeitgebern zu 12-Stunden-Schichten eingeteilt werden.“ Doch die Belastungen durch das neue Arbeitszeitgesetz werden sich immer deutlicher zeigen, wenn nicht eilig gegengesteuert wird. Noch verteilen viele Arbeitgeber emsig Beruhigungspillen an Beschäftigte und Betriebsräte, beschwichtigen, es würde sich im Betrieb de facto überhaupt nichts ändern. Allerdings drängt sich die Frage auf, weshalb die Arbeitgeber dieses Gesetz dann überhaupt bei der Regierung geordert haben.
    „Die Freiwilligkeit und mehr Flexibilität für die ArbeitnehmerInnen, das ist ein nettes Märchen. Die 4-Tage-Woche ist bisher ein Riesenschmäh, der von der Regierung in sämtlichen Tageszeitungen inseriert wurde“, sagt Teiber. Im Klartext: „Bis jetzt gibt es bei uns keinen Betrieb, in dem die MitarbeiterInnen ein Recht auf die 4-Tage-Woche haben. Wenn wir das bei den KV-Verhandlungen nicht durchsetzen, dann bleibt das weiterhin nur ein Wunsch der großen Mehrheit der Beschäftigten.“
    Dass es sich bei der vorgetragenen Sorge um die ArbeitnehmerInnen bei dieser Regierung eher um Lippenbekenntnisse handelt, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Mitte September demonstrierten ArbeitnehmerInnen vor dem Sozialministerium. Der Grund: Die Regierung kürzte das Budget für die aktive Arbeitsmarktpolitik um fast ein Drittel. Das trifft einerseits viele junge Menschen, die eine Ausbildung nachholen wollen, andererseits Tausende Beschäftigte in der Erwachsenenbildung, die vor der Kündigung stehen. Das ist besonders zynisch, denn gerade in Zeiten der Hochkonjunktur sollte in eine aktive Arbeitsmarktpolitik investiert werden, um Menschen dauerhaft in Beschäftigung zu bringen.

    Junges Engagement mobilisiert
    Viele Menschen finden diese Politik ungerecht und wollen das ändern. Einer von ihnen ist Josef Rehberger, genannt „Tschosi“. Im April ist er zum Metaller-KV-Verhandlungsteam dazugestoßen, bereits seit 2013 ist er Jugendvertrauensratsvorsitzender in der voestalpine Linz und damit für 460 Jugendliche zuständig. Im März wurde er zum neuen Bundesjugendvorsitzenden der PRO-GE gewählt und folgte somit Sascha Ernszt nach. Für den 21-Jährigen ist es wichtig, nicht abgehoben zu agieren und zu erkennen, was den Leuten wichtig ist: „Nicht nur wir als Verhandlungsteam wollen schauen, dass etwas weitergeht – wir wollen auch die MitarbeiterInnen draußen mobilisieren.“
    Rehberger ist leidenschaftlicher Gewerkschafter, arbeitet in der 5er-Schicht als voest-Produktionstechniker. Früher musste er insgesamt 80 Kilometer täglich pendeln, nach seinem Umzug von St. Johann am Wimberg nach Linz sind es für den jungen Oberösterreicher nur noch 500 Meter zur Lehrwerkstätte und den Jugendlichen, deren Anliegen er vertritt. Tschosi Rehberger sagt, was er denkt, und das auch sehr deutlich: Mit der Präsentation von 3.000 Unterschriften für die Beibehaltung des Jugendvertrauensrates sorgte er am ÖGB-Bundeskongress für Aufsehen. Und er kann verständlich erklären, weshalb fünf Prozent Lohnerhöhung für die Beschäftigten absolut gerechtfertigt sind: „Die Leute sagen, dass sie zwar immer mehr arbeiten, aber das Geld zum Leben einfach nicht mehr wird – mit der Inflationsrate von 2,1 Prozent steigen etwa die Energiekosten und auch das Tanken wird immer teurer. Deshalb wollen die Leute vor allem mehr Geld sehen.“

    Spannender Verhandlungspoker
    Die ersten Verhandlungsrunden sind noch zäh. „Die Wirtschaft wächst und wächst. Die Leute können es kaum mehr darennen vor lauter Arbeit“, berichtet Rehberger von seinen Erfahrungen. Dass sie die Forderung der Gewerkschaftsseite nach einer Lohnerhöhung von fünf Prozent „blauäugig“ finden, lassen die Arbeitgeber über Presseaussendungen verbreiten. Dabei ignorieren sie nicht bloß die – etwas zweifelhafte – Empfehlung der Regierung für hohe Abschlüsse, sondern auch die Einschätzung des Notenbankgouverneurs, wonach eine Lohnerhöhung um fünf Prozent „nicht überschießend“ sei.
    Der PRO-GE-Bundesjugendvorsitzende: „Bei der ersten Verhandlungsrunde war klar zu sehen, dass die Arbeitgeberseite nicht auf uns eingehen will. Da werden Vergleiche gezogen, die nicht relevant sind – das Arbeitgeberverhandlungsteam wollte ablenken und provozieren.“

    Solidarisierung „auf der Straße“
    Schon vergangenes Jahr – als Rehberger noch nicht Mitglied des Verhandlungsteams war – engagierte er sich für einen gerechten Metaller-Lohn. Letzten Herbst wurden vier Prozent Lohnerhöhung gefordert und dieses Anliegen wurde auch der Öffentlichkeit präsentiert: „Wir haben auf der Seite dubistgewerkschaft.at Fotos von Belegschaften mit dem Banner ‚+4 Prozent‘ gepostet. Viele Betriebe aus der Metallindustrie haben mitgemacht“, erinnert sich der junge Gewerkschafter. Dazu wurden Aufkleber gedruckt, die am besten auf dem Auto zur Geltung kamen. So konnten sich Menschen solidarisieren und mittels des Stickers auf der Heckscheibe zeigen: „Ich will das auch.“ Tschosi Rehberger: „Es war spannend, auf der Autobahn zu fahren und zu sehen: Das ist einer von uns, der hat die Forderung auch auf seinem Auto. Die Aktion ist sehr gut angenommen worden.“
    Nicht vier Prozent, aber immerhin einen Abschluss mit guten drei Prozent brachten die letzten Metaller-KV-Verhandlungen. Noch ist das Klima im Verhandlungskomitee der ArbeitnehmerInnen sehr gut. „Wir haben alle das gleiche Ziel“, erklärt Rehberger. Wird eine Materie kompliziert, kann er auf die Hilfe seiner älteren KollegInnen zählen: „Ich bekomme auch von der PRO-GE eine Mordsunterstützung.“
    In der voestalpine Linz, da ist er sich mit den KollegInnen einig, gibt es eine gut gelebte Sozialpartnerschaft. „Wir können Sachen miteinander ausmachen und den Weg so gut es geht miteinander gehen.“ Als etwa einige Lehrlinge in der Berufsschule Probleme in Mathematik hatten, wurden gemeinsam mit dem Ausbildungsleiter Mathe-Kurse zum Aufholen organisiert. Gelöste Probleme sind gelebte Sozialpartnerschaft.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sophia.fielhauer@chello.at und resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Resei und Sophia-Therese Fielhauer-Resei Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227502 Christian Knill, Sprecher der Arbeitgeberseite und Obmann FMMI, und PRO-GE-Chef Rainer Wimmer bei der Übergabe des Forderungsprogramms. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227507 900 BetriebsrätInnen hielten auf dem Gelände des ehemaligen Elin-Werks in Hirschstetten eine Konferenz ab und einigten sich auf eine gemeinsame Linie für die KV-Verhandlungen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227518 ÖGB-Präsident Katzian warnt vor dem neuen Arbeitszeitgesetz. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227468 Interview: Lohnverhandlungen sind immer ein Verteilungskampf Arbeit&Wirtschaft: Die Herbstlohnrunde hat begonnen. Steht uns dieses Mal ein hartes Ringen bevor?
    Bernhard Achitz: KV-Verhandlungen sind immer ein hartes Ringen und können immer in Arbeitskämpfe münden. Bei den Verhandlungen der Metaller hat es auch in den letzten Jahren immer wieder Betriebsversammlungen gegeben, die manchmal länger gedauert haben. Und es hat auch andere Aktionen gegeben. Das ist überhaupt nichts Untypisches, sondern gehört dazu.
    Untypisch für Österreich ist aber, wenn Aktivitäten über die betriebliche Ebene und sogar über die Branchenebene hinausgehen. Also wenn wegen gesetzlichen Vorhaben, die zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen sind, gewerkschaftliche Aktionen gesetzt werden.
    Da gibt es eine gewisse Wechselwirkung: Wenn sich Gesetze, die nicht auf Sozialpartnereinigung beruhen, massiv auf die ArbeitnehmerInnen negativ auswirken, dann müssen wir sie auf kollektivvertraglicher Ebene wieder einfangen und reparieren.

    Welches Mandat hat die Gewerkschaft, gegen ein beschlossenes Gesetz zu kämpfen? Ist das nicht ein Missbrauch der KV-Verhandlungen?
    Das ist vollkommen legitim, vor allem dann, wenn die Arbeitgeber, überwiegend die Industrie, das 12-Stunden-Tag-Gesetz, das sehr einseitig und zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen ist, proaktiv verlangt haben. Dann kann man sich ohne weiteres an diese Arbeitgeber wenden mit der Forderung: Jetzt müssen wir auf der kollektivvertraglichen Ebene einen Ausgleich finden.
    Das ist ein Stufenplan: Zuerst versucht man, die Gesetzwerdung von etwas zu verhindern, das für ArbeitnehmerInnen negativ ist. Wenn ein Gesetz einmal beschlossen ist, dann gilt das und man muss sich daran halten. Dann muss man dem auf anderer Ebene entgegenwirken. Da bleibt dann nur mehr die Ebene der Kollektivverträge und jene der Betriebsvereinbarungen.
    Die verschiedenen gewerkschaftlichen Maßnahmen zielen nicht darauf ab, eine demokratisch gewählte Regierung zu bekämpfen. Vielmehr haben sie zum Zweck, Beschlüsse zu bekämpfen, die im Parlament gefasst wurden, deren Auswirkungen transparent zu machen und negative Folgen für die ArbeitnehmerInnen auf anderen Wegen abzufangen.
    Dass man parallel dazu versucht – wie wir es mit der Initiative für ein modernes Arbeitszeitrecht tun –, eine bessere Alternative zu erarbeiten und diese dann mit öffentlichem Druck dem Gesetz gegenüberzustellen, das beschlossen wurde: Auch das ist natürlich demokratisch legitim.

    Wie funktioniert eigentlich die Vorbereitung und der Meinungsaustausch mit den BetriebsrätInnen?
    Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem, um welchen Bereich es sich handelt. Bei KV-Verhandlungen auf Branchenebene macht das jede Gewerkschaft so, dass sie die Betriebsrätinnen und Betriebsräte der Branche zusammenholt und mit ihnen diskutiert, was die Forderungslandschaft ist, die dann bei den KV-Verhandlungen eingebracht wird: Welche Rahmenbedingungen liegen vor? Welchen Schluss zieht man für die Höhe der Lohnforderung daraus? Welche anderen Forderungen neben den Lohnforderungen werden noch auf Kollektivvertragsebene gestellt? Das ist an sich der normale Vorgang bei KV-Verhandlungen.
    Wir haben diesmal eine KollektivvertragsverhandlerInnen-Konferenz einberufen. Der Gedanke war: Ok, wir haben uns auf der Gesetzgebungsebene nicht durchgesetzt, konnten das Gesetz nicht verhindern. Deshalb koordinieren wir jetzt, welche Ausgleichsmaßnahmen auf Kollektivvertragsebene eingebracht werden. Das hat erstmals stattgefunden und ganz gut funktioniert.
    Bei Forderungen, die auf politischer Ebene erhoben werden, läuft das anders. Die gehen entweder vom ÖGB-Kongress aus, weil man Beschlüsse hat, wo alle eingebunden waren. Oder sie gehen von einem Beschluss eines Bundesvorstands oder Vorstands aus.

    Eine solche Konferenz über die Branchen ergibt Sinn. Weshalb macht man das nicht immer?
    Normalerweise hat man in den verschiedenen Branchen recht unterschiedliche Interessen, deswegen ist es ja auch vernünftig, Branchenkollektivverträge abzuschließen. Das 12-Stunden-Tag-Gesetz führt aber zu der besonderen Situation, dass es ein brennendes Thema gibt, das auf alle Branchen durchschlägt. Es gibt aber unterschiedliche Interessen und daher auch unterschiedliche Anforderungen in den Branchen.
    Bei den einen geht es darum, einen höheren Lohnabschluss zu erreichen, bei den anderen darum, die Arbeitszeitbedingungen zu verbessern, bei wieder anderen darum, die Anrechnungen von Karenzzeiten zu erreichen und eine Gleichberechtigung von Mann und Frau im Kollektivvertrag noch besser abzubilden.
    Oder wenn wir an den Mindestlohn von 1.500 Euro denken, den wir weitgehend durchgesetzt haben. Davon waren auch nur einige Kollektivverträge betroffen, andere nicht. Und durch die Novelle des Arbeitszeitgesetzes, die sich auf alle Branchen negativ auswirkt, haben wir jetzt ein Ereignis, wo man gleiche Interessen in allen Branchen hat. Daher war es eigentlich logisch, sich abzustimmen.

    Müssen BetriebsrätInnen jetzt Oppositionspolitik machen?
    Das hat mit Oppositionspolitik nichts zu tun. Das ist ja auch kein Angriff auf die Regierung. Sie und vor allem das Parlament waren Ansprechpartner, bevor das Gesetz beschlossen wurde. Jetzt sind wir auf KV-Ebene und hier ist es die Arbeitgebervertretung.
    An die Regierung und das Parlament werden wir uns wieder wenden, wenn wir ein Alternativmodell für ein Arbeitszeitrecht ausgearbeitet haben, von dem wir meinen, dass es wesentlich besser ist als das, was jetzt Gesetz geworden ist. Dann werden wir mit einer großen öffentlichen Diskussion versuchen, Druck zu entwickeln.
    Es ist im Rahmen einer demokratischen Gesellschaft durchaus legitim, dass man seine Interessen artikuliert, dass man Argumente dafür sucht, dass man versucht, Verbündete in der Öffentlichkeit zu gewinnen, medial Druck zu erzeugen, sodass sich die Politik mit diesen Anliegen beschäftigen muss. Das werden wir auch tun.
    Aber das ist jetzt nicht das, was auf der Kollektivvertragsebene stattfindet. Daher wird auch kein Betriebsrat, kein Funktionär genötigt, Oppositionspolitik zu machen. Sondern wir machen Arbeitnehmerinteressenvertretung, und dafür sind wir ja schließlich da. Die BetriebsrätInnen vertreten in dem Fall die Interessen der ArbeitnehmerInnen in der Branche oder im Betrieb.

    Nun könnte man aber auch fragen: Warum aktionistisch sein, wenn man dann erst recht wieder verhandelt?
    Na ja, in einer Demokratie ist natürlich der Druck der öffentlichen Meinung ein wesentliches Element. Politiker haben eine „Schwäche“: Sie wollen wiedergewählt werden. Daher achten sie schon auf die Stimmung in der Bevölkerung. Und wenn man die Stimmung der Bevölkerung beeinflussen will, dann muss man entsprechende Informationen liefern und diese so aufbereiten, dass sie auch gehört und wahrgenommen werden. Daher sind manchmal auch aktionistische Ansätze notwendig.

    Ein Vorwurf, der sehr oft gegenüber den Gewerkschaften und Arbeiterkammern erhoben wird, ist jener des Klassenkampfs. Was erwidern Sie darauf?
    Wenn es Klassenkampf ist, sich für die Interessen der ArbeitnehmerInnen einzusetzen, dann bin ich gern ein Klassenkämpfer.

    Gibt es denn überhaupt noch Klassen?
    Viele Politiker tun alles, um diesen grundsätzlichen Gegensatz zwischen arbeitenden Menschen und Kapitaleignern verschwimmen zu lassen. Aber es gibt natürlich unterschiedliche Interessen zwischen unselbstständigen Erwerbstätigen und jenen, die große Unternehmen haben und Arbeitsplätze anbieten. Die Gruppe der unselbstständig Erwerbstätigen ist nur nicht mehr so homogen wie vor 200 Jahren.

    Durch prekäre Arbeitsverhältnisse verschwimmen die Interessenlagen der Arbeitenden. Wie schafft man es als Gewerkschaft dennoch, diese Interessen zusammenzubringen und zu bündeln?
    Das Gemeinsame ist, dass sie in der Regel von einem Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig sind – und zwar egal, ob sie diesen Arbeitgeber oder Auftraggeber nennen. Egal, ob jemand offiziell ein Arbeitsverhältnis oder einen freien Dienstvertrag oder einen Werkvertrag hat: Man ist in der Regel in der schwächeren Position, auch wenn es im Detail sehr unterschiedliche Verhältnisse und damit Interessen gibt. Hingegen haben die großen Industriebetriebe, Banken und Versicherungen und so weiter ein großes gemeinsames Interesse: in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen.

    Inwieweit gelingt den Gewerkschaften die Organisierung dieser heterogenen Gruppe?
    Wenn die Gewerkschaftsbewegung sehr viele Mitglieder mit sehr vielen unterschiedlichen Interessen hat, dann ist das natürlich eine Herausforderung. Aber es gelingt den Gewerkschaftsbewegungen gut, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Je mehr sich die durchsetzen, die dafür sorgen, dass das klassische Arbeitsverhältnis zurückgedrängt wird, desto mehr müssen wir uns dieser Hundert anderen Formen annehmen: Entweder wir holen die betroffenen Menschen ins klassische Arbeitsverhältnis zurück oder wir überlegen uns neue Organisationsformen.
    Wir müssen verhindern, dass der einst homogene Block der arbeitenden Menschen durch neue Arbeitsformen immer mehr ausfranst. Wir müssen auch den arbeitenden Menschen ein Angebot machen, die nicht klassisch im Industriebetrieb beschäftigt sind.

    Gewerkschaften und AK haben das Verteilungsthema sehr stark getrommelt. Geht das nicht eigentlich über das Mandat von Gewerkschaften hinaus?
    Verteilung ist immer ein zentrales Thema der Gewerkschaften gewesen. Eigentlich ist es das ureigenste Thema: Das, was eine Gesellschaft erarbeitet, gerecht zu verteilen zwischen jenen, die das Kapital dafür zur Verfügung stellen und jenen, die ihre Arbeitskraft dafür aufwenden – womit wir wieder beim Klassenkampf wären.
    Das Verteilungsthema bleibt immer im Vordergrund, denn auch jede Lohnverhandlung ist ein Verteilungskampf. Es gibt natürlich auch andere Ebenen des Verteilungskampfes oder der Verteilungsdiskussion oder wie auch immer man das nennen will. Eine weitere Ebene ist das Steuersystem; das haben wir vor ein paar Jahren sehr in den Mittelpunkt gestellt. Aber auch die Arbeitszeit hat natürlich damit zu tun, weil es stellt sich ja immer die Frage: Für wie viel Arbeit kriege ich wie viel Geld? Das hängt natürlich eng zusammen. Insofern finde ich gar nicht, dass das Verteilungsthema in den Hintergrund getreten ist.

    Während die einen den Aktionismus kritisieren, sind den anderen die Gewerkschaften zu wenig laut. Müssen Gewerkschaften vielleicht gerade jetzt noch kämpferischer sein?
    Wir haben in Österreich eine Tradition, die sich bewährt hat: dass man am Verhandlungstisch die Dinge mit Argumenten ausdiskutiert. Man geht in der Vorbereitung demokratisch an die Basis und sammelt Argumente und Forderungen. Dass man das ohne großes Aufsehen und ohne große mediale Begleitung macht, hat sich nicht nur in der Vergangenheit bewährt, es ist auch heute noch der Schlüssel des Erfolgs, auch vor dem Hintergrund unserer Medienlandschaft.
    Je mehr man Positionen vorher öffentlich eingräbt und je mehr man nur seine eigenen Argumente sieht und nicht die des Gegners, desto mehr nimmt man sich Kompromissmöglichkeiten und desto schwieriger wird es, Ergebnisse zu finden.
    Es ist schon manchmal notwendig, in der Öffentlichkeit auf Konflikte aufmerksam zu machen, eigene Positionen klarzumachen, zu versuchen, Verbündete für seine Positionen zu finden. Aber es muss schon klar sein: Wenn die Diskussion einmal in der Öffentlichkeit ist, dann geht auch die Gegenseite an die Öffentlichkeit. Und je schneller dann der Konflikt eskaliert, desto schwieriger wird es, eine Lösung zu finden. Wir sind alle Verhandlungsprofis und wissen: Je mehr man eskaliert, desto eher gibt es am Ende Gewinner und Verlierer. Jede Diskussion, in der es Gewinner und Verlierer gibt, hat natürlich Auswirkungen auf die nächsten Verhandlungen.
    Man begegnet sich ja in der Sozialpartnerschaft nicht nur einmal im Leben, sondern in regelmäßigen Abständen zu verschiedensten Themen. Und wenn man da einmal einen großen Sieg erreicht und der andere der Verlierer ist, dann sind die nächsten Verhandlungen nicht mehr ganz unbelastet.
    Dementsprechend muss man auch immer ans Morgen denken und daran, dass man mit dem Gegenüber weiterarbeiten will. Insofern ist es oft einmal gescheiter, Konflikte am grünen Tisch zu belassen. Dann fällt es einem leichter, Lösungen zu finden, die es ermöglichen, beim nächsten Mal wieder offen und freundlich aufeinander zuzugehen. Das ist ein wesentliches Element von Verhandlungen.

    Jener Kompromiss, für den Österreich oft kritisiert wird, weil dadurch die Diskussion erstickt wird?
    Na ja, aber das ist ja nichts, was nur für Sozialpartnerverhandlungen gilt, sondern eigentlich für alle Verhandlungen. Wenn ich mit meiner Frau über das Urlaubsziel verhandle, dann werde ich auch irgendwann einmal Kompromisse machen müssen. Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem Urlaubsziel: Wenn ich mich da immer durchsetze und sie ist die Verliererin, dann fahre ich irgendwann allein auf Urlaub. Und genau das ist der Punkt.
    Das ist also nichts, was nur politischen Verhandlungen eigen ist. Das ist ja bei allen Verhandlungen so, vor allem bei Verhandlungen, wo ich jemandem öfter begegne und ständig mit jemandem zu tun habe und zusammenarbeite.
    Was anderes ist es, wenn ich bei jemandem am Bazar einen Teppich kaufe und mich der über den Tisch zieht oder ich ihn. Dort ist das völlig egal, denn wir sehen einander nie wieder. Aber wir sind halt keine Teppichhändler am Bazar, wir sind in einer ständigen Beziehung, und ob das jetzt eine Ehe ist oder ein Arbeitsverhältnis: Man muss miteinander weiterleben können. Daher ist es wahrscheinlich gescheit, dem anderen keine vernichtende Niederlage zuzufügen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Bernhard Achitz
    ist seit 2008 Leitender Sekretär des ÖGB. Seine berufliche Laufbahn begann der Jurist in der Arbeiterkammer Wien, wo er in der sozialpolitischen Abteilung arbeitete. Im Jahr 1997 wechselte der Wiener in den ÖGB, wo er das Referat Sozialpolitik leitete, bevor er in die Führungsebene wechselte. Er ist zudem Vorstandsmitglied der Bundesarbeitskammer.

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    Text: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227451 Bernhard Achitz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227456 "Wenn es Klassenkampf ist, sich für die Interessen der ArbeitnehmerInnen einzusetzen, dann bin ich gern ein Klassenkämpfer." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227411 Verteilung von unten nach oben Bei der Vielzahl an einzelnen im Regierungsprogramm geplanten Verschärfungen im Bereich der Gesellschafts- und Sozialpolitik darf der verteilungspolitische Blick aufs Ganze nicht verloren gehen. Die budgetären und steuerpolitischen Vorhaben der Regierung werden die bestehende Schieflage noch weiter verschärfen.
    Während im unteren und mittleren Einkommens- und Vermögensbereich um Peanuts gestritten wird, werden „oben“ sogar großzügig neue Zuckerl verteilt. Besonders augenscheinlich wird das z. B. bei Privatvermögen: Jene der Reichen werden nicht angerührt, die von Arbeitslosen, welche längere Zeit keinen Job finden können, stehen sehr wohl zur Disposition.

    Ablenkungsmanöver
    Dabei darf eines nicht vergessen werden: Es ist höchst problematisch, dass die Schwächsten durch Diffamierung, Generalverdacht und Verschärfungen auf allen Ebenen mit Füßen getreten werden oder Minderheiten und Randgruppen wie etwa AlleinerzieherInnen einfach nicht bedacht werden. Diesen Umstand zu thematisieren, ist wichtig. Die Fokussierung darauf ist jedoch sehr wahrscheinlich vonseiten der Regierung intendiert. Es geht dieser um die Spaltung der Gruppe der arbeitenden Menschen, weil damit von den verheerenden Schieflagen (sowohl der bestehenden als auch jener im Regierungsprogramm) abgelenkt wird: Zwischen brav steuerzahlenden ArbeitnehmerInnen und den steuertricksenden Großkonzernen; zwischen den „kleinen Leuten“ und den MillionärInnen; zwischen jenen, die für ihr Geld arbeiten und jenen, die ihr Geld für sich „arbeiten“ lassen; zwischen Arbeit und Kapital.

    Wirtschaftsstandort über alles
    Die gesellschaftliche Spaltung wird vor allem über den Angriff auf das Vermögen der breiten Masse, den Sozialstaat, betrieben. Im Regierungsprogramm positionieren sich die neuen Koalitionäre klar gegen einen aktiven Staat. Unter anderem streben sie eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast an. Die Begründung: Den Menschen müssten „mehr individuelle Spielräume“ gegeben werden.
    Gemeint können aber nur jene Menschen sein, die es sich leisten können, privat für ihre Gesundheitsversorgung, ihre Absicherung im Alter oder die Schulbildung ihrer Kinder aufzukommen. Denn eins ist klar: Was nicht staatlich zur Verfügung gestellt wird, muss privat und oft zu höheren Kosten finanziert werden – und das kann sich eben nicht jeder oder jede leisten.

    Kaum Entlastung für Beschäftigte
    Konkret soll die Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent des BIP gesenkt werden. Allerdings gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie die großen Steuergeschenke finanziert werden können: Entweder die Versprechen werden später mit Verweis auf „Budgetrestriktionen“ wieder abgesagt – oder die Entlastungen auf der einen Seite führen zu Belastungen auf der anderen Seite, und zwar in Form von Leistungskürzungen oder in Form von höheren Beiträgen.

    Entlastungen für Unternehmen
    Bei den geplanten Entlastungen ist nur ein (kleiner) Teil für ArbeitnehmerInnen vorgesehen, und hier bei weitem nicht für alle. Entlastungen sind hauptsächlich für jene angedacht, die Lohnsteuer zahlen. Dies bedeutet in erster Linie eine Umverteilung innerhalb der ArbeitnehmerInnen – oder eben den Versuch der gesellschaftlichen Spaltung der Lohnabhängigen.
    Gleichzeitig ist für Unternehmen, neben zahlreichen kleineren Maßnahmen, eine massive Gewinnsteuersenkung (Körperschaftsteuer – KöSt) geplant. Budgetär wird sich diese Maßnahme in einem Minus im Staatshaushalt von bis zu 2,5 Milliarden Euro im Jahr niederschlagen.
    Auf den Punkt gebracht: Die Schieflage im österreichischen Steuersystem, aber auch in der Einkommens- und Vermögensverteilung wird nicht beseitigt, sondern weiter verschärft! Kurzum: Die Regierung plant eine Umverteilung von unten nach oben.

    Langfassung des Artikels:
    tinyurl.com/ybowgx53
    AK-Budgetanalyse:
    tinyurl.com/y7r49ll2

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor Gerhartinger.P@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Philipp Gerhartinger, Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1527127231743 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Tue, 16 Oct 2018 00:00:00 +0200 1539655227370 Coverstory: Von Proleten und anderen Ungerechtigkeiten Man mag es für eine sehr bemühte Metapher halten oder für einen Witz mit enorm langem Bart. Weniger bemüht oder witzig aber ist das, was dahintersteckt, wenn man sagt: Wenn es in Österreich einen Ort gibt, an dem Klassenkampf geführt werden müsste, so ist es das Klassenzimmer. Denn wenn es eine Institution gibt, die unterschiedliche soziale Schichten in ihrer Position festschreibt, so ist es in Österreich die Schule.
    „Aber Moment mal!“, mögen Sie denken. „Klassen, das ist doch ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert. Klassenkampf, das klingt nach Straßenkampf, verhärteten Positionen, verbohrter Ideologie, wenn nicht gar nach Bürgerkrieg. All das sollte doch schon längst überwunden sein.“ Freilich, Begriffe wie Proletariat und Bourgeoisie, Arbeit und Kapital wurden von Karl Marx und Friedrich Engels im 19. Jahrhundert geprägt. Berechtigterweise kann man sich also fragen, was sie mehr als 200 Jahre später noch in der Diskussion verloren haben. Besonders nach dem Untergang des Realsozialismus, der diese Begriffe dafür missbraucht hat, um Menschen zu verfolgen und zu unterdrücken.
    Es ist wohl kein Zufall, dass VertreterInnen aus den Reihen von Regierung und Wirtschaft genau dieses Wort in den Mund nehmen, um KritikerInnen in Bedrängnis zu bringen. Denn wer möchte schon in die Nähe eines unterdrückerischen Regimes gerückt werden? Wer will sich heutzutage unterstellen lassen, Straßenkampf führen zu wollen – heute, wo die Stimmung ohnehin wieder sehr brodelt? Von daher mag es auch seltsam klingen, ausgerechnet für das Klassenzimmer einen Klassenkampf zu fordern. Seltsam ist es allerdings nur dann, wenn man den Begriff Klassenkampf so versteht, wie gerade ausgeführt wurde.
    Denn eins muss man festhalten: Was hinter den Begriffen Bourgeoisie und Proletariat steckt, ist aktuell wie noch vor 200 Jahren. So wird auch heute niemand ernsthaft infrage stellen, dass die Gesellschaft nicht homogen ist, sondern aus unterschiedlichen sozialen Gruppierungen besteht – und dass diese Gruppierungen durchaus unterschiedliche Interessen haben. Nichts anderes haben Marx und Engels im Grunde aufgezeigt, nur dass die Gesellschaft heute zweifellos anders aussieht als damals.
    Ein grundlegender Widerspruch hat sich aber bis heute gehalten: Wer arbeitet, hat andere Interessen als jene, die Arbeitsplätze anbieten und/oder über Kapital verfügen. Bis heute ist nicht minder wahr, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die über Vermögen verfügen – sei es Geld, Immobilien, Firmen oder andere Vermögenswerte, nicht zuletzt an den Finanzmärkten. Manche von ihnen können dieses Vermögen gar für sich arbeiten lassen. Währenddessen gibt es auf der anderen Seite Menschen, die nur oder überwiegend über jenes Geld verfügen können, das sie mit ihrer Arbeit verdienen.

    Großer Fortschritt
    Proletariat ist inzwischen zu einem Schimpfwort geworden, aber heutige Beschäftigte haben mit den ProletarierInnen von damals eins gemeinsam: Sie bieten ihre Arbeitskraft an. Freilich gibt es auch unter ihnen jene, die mehr verdienen, und jene, die weniger verdienen. Jene, die verhältnismäßig sichere Arbeitsplätze haben, und jene, die sich durch das Prekariat kämpfen. Jene, die Arbeit haben, und jene, die verzweifelt einen Job suchen. Zugleich ist ein großer Unterschied und Fortschritt im Vergleich zum 19. Jahrhundert feststellbar: Es gibt einen Wohlfahrtsstaat, der die Menschen vor bestimmten Risiken schützt, ihnen bessere Chancen ermöglicht und der Ungleichheit in der Gesellschaft entgegenzuwirken versucht.
    Dieser Wohlfahrtsstaat kann allerdings nur dann funktionieren, wenn er auch mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Von daher muss die Frage erlaubt sein, ob denn alle entsprechend ihrer Möglichkeiten einen Beitrag dazu leisten. Die bittere Antwort lautet: Davon sind wir weit entfernt. Denn der österreichische Sozialstaat wird zu 80 Prozent von ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen finanziert, aber nur in einem minimalen Ausmaß von Unternehmen und Vermögenden. Noch bitterer ist die Tatsache, dass die Regierung momentan daran arbeitet, dieses Ungleichgewicht weiter zu verschärfen (siehe „Verteilung von unten nach oben“).
    Eins muss klar sein: Wer den Wohlfahrtsstaat beschneidet, spart genau an jenem Instrument, das für eine gerechte Verteilung des Wohlstands sorgt. Letzterer ist nämlich auch in Österreich weiterhin ungleich verteilt. Der Sozialstaat greift hier ausgleichend ein – und das durchaus mit großem Erfolg. Das bedeutet aber keinesfalls, dass alles in bester Ordnung wäre. Denn so traurig es ist: Gerade das Bildungssystem sortiert jene aus, deren Eltern nicht genug verdienen, deren Eltern nicht in den Genuss von höheren Bildungschancen gekommen sind, deren Eltern aus anderen Ländern nach Österreich gekommen sind, um am österreichischen Wirtschaftswunder mitzuwirken. Selbst die großen Bildungsreformen der Ära Kreisky haben hier keine grundlegende Veränderung gebracht, auch wenn sie zweifellos vieles zum Positiven verändert haben.

    Diskriminierung
    Unterm Strich bleibt: Nicht alle Kinder in Österreich haben die gleichen Chancen. Und der Grund dafür ist nicht ihr mangelndes Talent, nicht ihr mangelnder Leistungswillen oder gar ihre ethnische oder kulturelle Herkunft. Die Gründe dafür sind die finanziellen Ressourcen und die Bildungsherkunft ihrer Eltern. Man mag es Klasse nennen oder soziale Schicht oder gerne einen noch besseren Begriff dafür finden. Tatsache ist: Immer noch werden Kinder ihrer sozialen Herkunft nach unterschiedlich behandelt. Besser gesagt: Es werden jene schlechter behandelt, deren Eltern finanziell schwerer über die Runden kommen – die aber gesellschaftlich wertvolle Tätigkeiten verrichten, sei es am Bau, in der Reinigung oder in Gesundheit und Pflege, um nur die plastischsten Beispiele zu nennen.
    Man mag es Klassenkampf nennen oder einen passenderen Begriff dafür finden: Es geht darum, dass die Politik von Gewerkschaften und AK ein Ziel verfolgt: dass alle Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können, dass alle die gleichen Chancen haben, um später ein erfolgreiches Berufsleben führen zu können – oder ein gutes Leben, Punktum. Die Schule sollte dafür die Voraussetzungen liefern. Das tat sie aber bisher schon nicht, wie die OECD – eine Institution, die des Klassenkampfs völlig unverdächtig ist – immer wieder anprangert und wie dies auch andere Bildungsstatistiken Österreich seit Jahren bescheinigen.
    Zweifellos hat sich viel verbessert. Heute haben mehr Menschen aus sozial schwächeren Familien bessere Aufstiegschancen. Man ist nicht mehr automatisch zu einem Leben als HilfsarbeiterIn oder Knecht verdammt, nur weil es schon die Eltern, die Großeltern und die Urgroßeltern waren. Dass dem so ist, dazu hat gerade der Wohlfahrtsstaat beigetragen und tut es auch heute noch. Aber dieser gehört weiterentwickelt und an die Anforderungen der heutigen Zeit angepasst. Stichworte dazu sind etwa prekäre Beschäftigung oder Pflege. Dafür muss er aber auch mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet sein – womit wir wieder bei den unterschiedlichen Interessen sind. Denn es tragen eben nicht alle ihren Verhältnissen entsprechend dazu bei, dass dieser Wohlfahrtsstaat auch die finanziellen Möglichkeiten hat, um seine Ziele zu erfüllen.
    Es ist aber eine Frage der Gerechtigkeit, dass nicht nur jene Einkommen belastet werden, die man durch Arbeit sauer verdient hat. Anders ausgedrückt: Es geht um Verteilungsgerechtigkeit. Es geht darum, wer am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand teilhaben kann, und darum, dass davon nicht nur jene profitieren, die ohnehin schon bessere Startbedingungen haben.

    Verteilungskampf
    Was hat das nun mit Arbeitskampf zu tun? Nun, Kollektivvertragsverhandlungen sind auch eine Methode, um eine gerechte Verteilung zu erreichen, in dem Fall zwischen Arbeit und Kapital, so altmodisch dies klingen mag. Es geht darum, dass bei diesen Verhandlungen an einer Schraube gedreht wird, nämlich an jener der Löhne und Gehälter. Dieses Jahr besteht enormer Handlungsbedarf. Denn die Regierung hat mit dem 12-Stunden-Tag eine Regelung beschlossen, die massiv zulasten der ArbeitnehmerInnen geht. Somit besteht die große Herausforderung darin, den Arbeitgebern nun wieder eine faire Gegenleistung abzuringen. Kann sein, dass dafür kein Arbeitskampf nötig ist. Kann aber auch nicht sein.
    KV-Verhandlungen sind nur eine Schraube, so zentral diese auch ist, um einen Interessenausgleich zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern zu erreichen. Damit Österreich dem Anspruch näherkommen kann, eine gerechte Gesellschaft zu sein, muss an vielen weiteren Schrauben gedreht werden, allen voran in der Bildungspolitik. Man mag das Klassenkampf nennen. Aber wenn Klassenkampf bedeutet, dass man sich für eine gerechte Gesellschaft einsetzt: Ja, dann soll es so sein.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    REGIERUNGSPLÄNE

    Streichung der Notstandshilfe
    Nach Ende des Arbeitslosengeldes sollen BezieherInnen in Zukunft nicht mehr die Notstandshilfe bekommen. Stattdessen plant die Regierung ein „Arbeitslosengeld neu“, das in die Mindestsicherung münden soll. Damit ist ein System analog zu Hartz IV in Deutschland vorgesehen. Die Folgen dort: Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit, Ausweitung des Niedriglohnsektors, deutliche Zunahme der Armut.
    Mehr: tinyurl.com/y9xfskyz
    Nachlese: tinyurl.com/ybc2fjma

    Kürzungen bei der Mindestsicherung
    Massive Leistungsverschlechterungen durch Kürzung der generellen Leistungen, Erschwerung des Zugangs für Nicht-ÖsterreicherInnen. Die Folge: Bedürftige Menschen, die auf Leistungen im Rahmen der Mindestsicherung angewiesen sind, müssen künftig mit noch weniger Mitteln auskommen.
    Mehr: tinyurl.com/ybtx96lf

    Kürzungen bei der Arbeitsmarktförderung – zurückgerudert 
    Nach massiven Protesten ist die Regierung inzwischen zurückgerudert. Statt 1,251 Milliarden Euro sollte das Budget des AMS ursprünglich nur noch eine Milliarde Euro betragen. Mitte September hat die Regierung angekündigt, dass dies wieder vom Tisch ist. Mit dem Finanzministerium gibt es aber noch keine Einigung.

    Aus für Jobprogramm für Langzeitarbeitslose
    Die Aktion 20.000 richtete sich an jene Menschen, die es besonders schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Dazu zählen insbesondere Langzeitarbeitslose, die älter als 50 Jahre sind. Trotz des großen Erfolges hat die Regierung diese Maßnahme gestrichen. Damit vergibt die Regierung eine Riesenchance, die Arbeitslosigkeit auch für Menschen, die von den Unternehmen wegen ihres Alters nicht mehr beschäftigt werden, zu senken. Die Aktion 20.000 müsste ausgeweitet, statt abgeschafft werden.
    Nachlese: tinyurl.com/yce2jxaa
     
    Familienbonus
    Diese Maßnahme ist sowohl in verteilungs- als auch in frauenpolitischer Hinsicht problematisch. Wer monatlich netto weniger als 1.065 Euro verdient, erhält für sein Kind keinerlei steuerliche Erleichterung. Gutverdienende bekommen sechsmal so viel pro Kind wie Alleinerziehende. Arbeitslose und andere armutsgefährdete Haushalte gehen leer aus. Innerhalb der Familie wird der Steuerbonus vielfach den Vätern zufallen, denn Frauen haben häufig kein ausreichend hohes Einkommen, um vom Familienbonus zu profitieren.
    Mehr: tinyurl.com/ya34nout

    Kürzungen bei der Unfallversicherung  
    Schon jetzt tragen Arbeitgeber die Kosten für Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen bei Weitem nicht zur Gänze. Die Regierung plant, den Unfallversicherungsbeitrag noch weiter abzusenken und die Rechnung durch die Versicherten bezahlen zu lassen. Denn die AUVA, die letztlich eine Haftpflichtversicherung für Unternehmen ist, soll plötzlich über die Krankenkasse von den Beschäftigten finanziert werden.
     
    Senkung der Körperschaftsteuer
    Diese Maßnahme ist insbesondere für große Unternehmen von Vorteil. Konkret hat die AK berechnet, dass vier Fünftel der Steuerentlastung auf die bestverdienenden fünf Prozent entfallen. Dies reißt eine Lücke ins Budget, sodass Mittel für eine Entlastung der ArbeitnehmerInnen, soziale Dienstleistungen oder öffentliche Investitionen fehlen. Stellt man diese Maßnahme zudem der Entlastung der ArbeitnehmerInnen gegenüber, so ergibt sich für Unternehmen eine Entlastung von einem Drittel, für ArbeitnehmerInnen von weniger als sechs Prozent.
    Mehr: tinyurl.com/ycylrq8s

    Mehr soziale Selektion im Bildungssystem
    Statt die starke soziale Selektion, die das österreichische Bildungswesen charakterisiert, zu bekämpfen, setzt die Regierung Maßnahmen, mit denen diese noch weiter verschärft wird. So soll es in der Neuen Mittelschule wieder zwei Leistungsgruppen geben. Der durch die vorige Regierung initiierte Ausbau der Ganztagesbetreuung in Schulen wird verzögert.

    Senkung der Steuer- und Abgabenquote
    Die Steuer- und Abgabenquote soll auf 40 Prozent des BIP gesenkt werden. Dies würde einem Volumen im zweistelligen Milliardenbereich entsprechen. Die Finanzierung des Steuerausfalls soll durch „ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen“ erfolgen. Konkrete Maßnahmen nennt die Regierung allerdings nicht. Klar ist jedoch eines: Mit den Einnahmen werden wichtige sozialpolitische Leistungen finanziert, von der kostenfreien Bildung über die Krankenversorgung für alle bis hin zur Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur. Diese sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und könnten sich viele in dieser Qualität nicht leisten.
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    Text: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 8/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227345 Klassenkampf wird heutzutage als Schimpfwort verwendet ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227359 ... oder gar als Vorwurf jenen gegenüber, die sich für eine gerechte Gesellschaft einsetzen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1539655227364 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802352 Vorbild auf internationaler Ebene Was die Einführung von Arbeiterkammern betrifft, gilt Österreich weltweit als Vorreiter. Bereits vor dem Ende der Monarchie erhoben Teile der Arbeiterbewegung die Forderung nach einer eigenen gesetzlichen Einrichtung, die wie die Handelskammern ein Begutachtungsrecht für Gesetzesentwürfe haben sollte und die soziale Lage der ArbeiterInnen erforschen und dokumentieren sollte. Am 26. Februar 1920 beschloss das erstmals wirklich demokratisch gewählte Parlament die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte.
    Auf gesamtstaatlicher Ebene folgte dem Beispiel Österreich bisher nur das Großherzogtum Luxemburg. 1924 wurde eine Arbeiterkammer und getrennt davon eine Kammer für Privatangestellte gegründet. Als Beratungsorgan der Regierung ist die 2008 fusionierte Chambre des salariés unmittelbar in die Gesetzgebungsprozesse des Landes eingebunden und mit 496.000 Mitgliedern die größte Berufskammer in Luxemburg.

    Was Arbeitern dienlich ist
    In Deutschland war es vor allem der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, der sich Anfang des 19. Jahrhunderts vehement für die Schaffung von Arbeiterkammern einsetzte. Deren Sinn und Zweck beschrieb er damals wie folgt: „Ihre Aufgabe ist die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter. Sie ist berufen, auf alles, was der Arbeiterklasse dienlich sein kann, fortwährend ihr Augenmerk zu richten […]. Über alle, die Arbeiterverhältnisse betreffenden Gesetze, wird vor deren Erlaß die Arbeiterkammer zu einer Begutachtung veranlaßt.“

    Von Mitgliedern finanziert
    Trotz Initiativen in mehreren Bundesländern Deutschlands wurde vorerst lediglich in Bremen (1921) eine Arbeiterkammer (und eine davon unabhängige Angestelltenkammer) eingeführt. Im Jahr 2000 kam es zur Zusammenlegung in eine Arbeitnehmerkammer mit heute rund 360.000 Mitgliedern.
    Neben Bremen gibt es in Deutschland noch die Arbeitskammer des Saarlandes. Sie wurde 1951 als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet, um für die saarländische Arbeitnehmerschaft eine Einrichtung zur Vertretung ihrer Interessen in Wirtschaft und Politik zu schaffen. Wie in Bremen wird auch sie aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, die der Arbeitgeber direkt vom Gehalt abzieht (0,15 Prozent des Bruttolohns).
    „Wir haben ebenso wie in Österreich den gesetzlichen Auftrag, die Interessen von abhängig Beschäftigten gegenüber der Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu vertreten“, erläutert Peer Rosenthal, Referent der Geschäftsführung in der Arbeitnehmerkammer Bremen, die Aufgaben seiner AK. Die Vorteile, die Werktätige in Ländern mit gesetzlicher Interessenvertretung im Vergleich mit den 14 anderen deutschen Bundesländern haben, liegen für ihn auf der Hand: Mit den Arbeiterkammern gibt es neben den Gewerkschaften einen zusätzlichen Akteur, „die abhängig Beschäftigten erhalten dadurch ein größeres Gewicht in der Wahrnehmung ihrer Interessen“, so Rosenthal. Darüber hinaus bieten die AKs auch ein ausgefächertes Dienstleistungsangebot für ihre Mitglieder.

    Positives Beispiel Österreich
    Aufgrund dieser Vorteile gibt es in Deutschland immer wieder Ansätze, die Einführung von Arbeiterkammern in anderen Bundesländern und landesweit in die Wege zu leiten, zum Beispiel in Hessen und Brandenburg. „Es ist aber bisher bedauerlicherweise nicht dazu gekommen, das tatsächlich umzusetzen“, erzählt Rosenthal. „Wir werben für das Kammermodell in allen Gesprächen, die wir jenseits der Landesgrenzen führen, auch mit den saarländischen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Unser positives Beispiel ist dabei Österreich, weil mit einer flächendeckenden Abdeckung und einer Bundesarbeitskammer die Interessenvertretung noch einmal ein ganz anderes Gewicht hätte. Österreich ist für uns das Vorbild einer funktionierenden Interessenvertretung im Zusammenspiel von Gewerkschaften und Arbeiterkammern“, so Rosenthal.
    Um sich grenzüberschreitend zu vernetzen, findet alle zwei Jahre in einer der jeweiligen Dependancen in Deutschland, Luxemburg oder Österreich der Internationale Arbeiterkammertag (IAKT) statt. Ziel des Treffens ist es, sich über aktuelle politische Fragen, die in allen drei Ländern für ArbeitnehmerInnen von Bedeutung sind, auszutauschen, Schnittstellen zu identifizieren und dann konkret an Themen zu arbeiten.

    Südkorea plant Arbeiterkammer
    Internationale Delegationen zeigten in den letzten Jahren immer wieder Interesse am österreichischen Modell, erzählt Valentin Wedl, Leiter der Abteilung „EU und Internationales“ in der AK Wien, doch bisher gab es noch keine konkreten Initiativen, auch in anderen Ländern Arbeiterkammern einzuführen – bis auf Südkorea. Seit den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 stellt dort die sozialliberale Minju-Partei den Präsidenten.
    Außenpolitisch setzt sie auf Diplomatie mit Nordkorea mit dem Ziel einer Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten. Innenpolitisch ist die Einführung eines sozialen Sicherungssystems geplant. Denn in Südkorea gibt es einen extrem hohen Anteil an prekär Beschäftigten. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Gutteil der Erwerbstätigen über keinen unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrag verfügt.
    Eines der Ziele der Regierung ist deshalb die Regularisierung der Privatwirtschaft und die Stärkung von Arbeitsrechten. In diesem Zusammenhang steht auch die geplante Einführung von Arbeiterkammern nach österreichischem Vorbild.
    Insang Han vom wissenschaftlichen Dienst des südkoreanischen Parlaments hielt sich deshalb von Juli bis September dieses Jahres in der AK Wien auf, um das österreichische Modell zu studieren. Der Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit lag dabei auf der Rolle der AK in der Gesetzgebung und ihrem Einfluss auf den Arbeitsmarkt. „Wir stehen noch am Anfang des Prozesses“, so Han. „Bevor wir in Südkorea ein AK- und Betriebsratssystem einführen können, muss noch studiert werden, wie das hier in Österreich funktioniert.“ Die geplante Einführung bis 2022 hält er deshalb für schwierig: „Es wird vermutlich länger dauern. Das ist nicht so einfach. Korea ist anders.“

    Problematische Rivalität
    Hindernisse auf dem Weg zur Einführung einer südkoreanischen Arbeiterkammer sieht auch Valentin Wedl. Während sich die dialogorientierte Federation of Korean Trade Unions (FKTU) für eine südkoreanische AK starkmacht, spricht sich der zweite Gewerkschaftsdachverband, die kämpferische Korean Confederation of Trade Unions (KCTU), dagegen aus. „Dies muss man aus der Rivalität der beiden Dachverbände verstehen, aber auch aus einer grundsätzlichen Positionierung, was das Wechselverhältnis von Gewerkschaften und Arbeiterkammern betrifft. Während in Österreich die politische Führung der AK in Händen der Gewerkschaften ist, hätte man in Korea diese Garantie nicht. Insofern fürchtet die KCTU nicht zu Unrecht, dass eine Arbeiterkammer völlig gegen ihre Interessen agieren könnte“, erläutert Wedl. „Im schlimmsten Fall wäre die südkoreanische AK ein trojanisches Pferd, mit dem (zukünftige) Machthaber Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen kontrollieren könnten. Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern“, betont Wedl.

    Kooperation zentral
    Das sieht auch Peer Rosenthal von der AK Bremen so: „Ich unterstreiche den Aspekt, dass es absolut notwendig ist, die Arbeiterkammern in einem Kooperationsverhältnis zu den Gewerkschaften zu etablieren. Arbeiterkammern dürfen nicht installiert werden, um ein Konkurrenzverhältnis zu den Gewerkschaften zu schaffen.“ Grundsätzlich zeigt sich Wedl aber erfreut, dass das österreichische System der Arbeiterkammern in Südkorea Nachahmer findet.

    Linktipps
    Arbeitnehmerkammer Bremen
    www.arbeitnehmerkammer.de  
    www.akhb.de
    Arbeitskammer des Saarlandes
    www.arbeitskammer.de
    Arbeiterkammer Luxemburg
    www.csl.lu

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor michael.woegerer@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Michael Wögerer, weltumspannend arbeiten Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802339 International werden Österreichs Beschäftigte beneidet, dass sie eine so starke Organisation wie die AK haben. In Südkorea überlegt man sogar, eine solche Interessenvertretung einzurichten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802328 Auftrag: Einmischen! Claus Raidl war gerade noch Präsident der Österreichischen Nationalbank (OeNB), als er Ende August kritisierte, dass sich die Sozialpartner wie „ein Krake“ in alle Belange einmischen würden. Dabei würde es sich um Selbstherrlichkeit handeln: „ein Wahnsinn“. Sein Nachfolger an der Spitze der OeNB ist übrigens ein Spitzenvertreter der Sozialpartnerschaft, WKÖ-Präsident Harald Mahrer. Aber zurück zu Raidl. „Die Uraufgabe der Sozialpartner ist die Lohnfindung, dabei soll es bleiben“, sagte er beim Europäischen Forum Alpbach. Als Negativbeispiele für die Sozialpartnerschaft führte Raidl die Öffnungszeitenregelungen im Handel und die Gewerbeordnung an.
    Damit spricht Raidl indirekt den Arbeiterkammern das Existenzrecht ab. Denn die Lohnfindung auf ArbeitnehmerInnenseite, also die Kollektivvertragsverhandlungen, gehören ja laut sozialpartnerschaftlicher Rollenverteilung zu den Aufgaben der freiwilligen Interessenvertretung, also ÖGB und Gewerkschaften. Für die AK würden dann nur mehr Beratung und Service übrigbleiben – wenn überhaupt. Das ist aber gerade nicht die Intention der gesetzlichen Interessenvertretung und der umfassenden Sozialpartnerschaft. Sozialstaat, Gesundheitssystem, Pensionen – das alles wird überwiegend aus Abgaben auf Arbeit finanziert. Daher ist es legitim und geradezu notwendig, dass die Gruppen, die für das Beitragsaufkommen sorgen, auch gut vertreten sind.
    Deswegen werden sich AK und ÖGB sicher nicht nur auf die Lohnfindung beschränken, sondern in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, im Arbeitsmarktservice (AMS) und in anderen Bereichen für die bestmöglichen Leistungen für die Versicherten eintreten. Dass vom Ergebnis die gesamte Bevölkerung profitiert, zeigen die Fakten: Nahezu alle Menschen in Österreich sind krankenversichert. Und von Pensionen in österreichischen Höhen kann man z. B. in Deutschland nur träumen. Auf entsprechende Studienergebnisse hat die deutsche Böckler-Stiftung erst im August wieder hingewiesen.

    Zum Einmischen geschaffen
    Die Sozialpartnerschaft mit den demokratisch legitimierten Interessenvertretungen ÖGB, Arbeiterkammern, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammern wurde exakt dazu geschaffen, sich überall einzumischen. Wer das nicht weiß, braucht in den entsprechenden Gesetzen nicht einmal allzu weit zu lesen. Schon der erste Paragraph im Arbeiterkammergesetz besagt: „Die Kammern für Arbeiter und Angestellte und die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte sind berufen, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern.“
    Den Arbeiterkammern kommt wie den anderen gesetzlichen Interessenvertretungen eine besondere Rolle zu. Dank der gesetzlichen Mitgliedschaft der ArbeiterInnen und Angestellten umfasst sie alle, egal welchen Beruf sie ausüben, wie viel sie verdienen, ob sie im Burgenland oder in Bregenz arbeiten. Vom Prinzip her gilt das natürlich auch für die Sozialpartner auf Arbeitgeberseite: Dort sind vom Ein-Personen-Unternehmen über die kleinen Gewerbetreibenden bis hin zum Industriekonzern und von der Nebenerwerbslandwirtin bis hin zum Großbauern alle vertreten.

    Gegenmodell zum Lobbyismus
    Kommen wir zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal zwischen Sozialpartnerschaft und Lobbyismus. Während die FunktionärInnen der Sozialpartner demokratisch legitimiert sind und Interessen aller ihrer diversen Mitglieder im Auge behalten, vertreten LobbyistInnen immer die Interessen von denen, die es sich leisten können. Während Sozialpartner immer für dieselben Mitglieder kämpfen, ziehen LobbyistInnen wie Söldner heute für den einen Konzern und morgen für den anderen Multi ins Feld. Bei Sozialpartnern ist der Auftrag transparent, bei LobbyistInnen ist oft unklar, für wen sie gerade arbeiten, wenn sie bei PolitikerInnen vorstellig werden.
    Wenn derart breit aufgestellte Organisationen nun auf Basis ihrer jeweils intern gefundenen Positionen miteinander sachlich verhandeln und schließlich eine Sozialpartnereinigung beschließen, dann stößt dieser Kompromiss in den allermeisten Fällen auf sehr große Akzeptanz in breiten Teilen der Bevölkerung. Dazu trägt auch bei, dass die Sozialpartnerorganisationen üblicherweise zu den erreichten Kompromissen stehen, auch wenn sie natürlich nicht den Wunschvorstellungen in Reinform entsprechen. Dafür zeichnen sich die Sozialpartnerlösungen durch große Praxistauglichkeit aus. Auf jeden Kompromiss folgt die Erklärungs- und Überzeugungsarbeit innerhalb der jeweiligen Mitgliedschaft. Und die jeweiligen Mitgliedschaften machen den Großteil der Bevölkerung aus.

    Optimalzustand Sozialpartnerschaft
    Was hier geschildert wurde, ist natürlich der Optimalzustand: Alle im Land profitieren, weil die Interessenvertretungen neben den Interessen der eigenen Mitglieder gleichzeitig immer auch das große Ganze im Auge behalten, die volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge, eine annähernd gerechte Verteilung des Wohlstandszuwachses und den sozialen Frieden.
    Schwierig wird es dann, wenn eine Seite nur noch die Interessen der eigenen Mitglieder im Kopf hat, aufgehetzt von LobbyistInnen einer Minderheit großer Industriekonzerne. Die Wirtschaftskammer (und vor allem die Industrie) hat in letzter Zeit ihre Forderungen mehr und mehr zum Prinzip erhoben. Entsprechend schwierig gestalteten sich bekanntlich die Verhandlungen der Sozialpartner zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, die im Frühjahr 2017 begonnen haben. Vorteile für die Arbeitgeber wurden als unverhandelbares Muss hingestellt, während über Vorteile für die ArbeitnehmerInnen – Planbarkeit, Selbstbestimmung, Arbeitszeitverkürzung – jede Verhandlung verweigert wurde.
    Auch wenn die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ mittlerweile mit Unterstützung der NEOS ein Arbeitszeitgesetz beschlossen haben, wie es sich nicht einmal die Industriellenvereinigung zu wünschen gewagt hätte, bleibt das Thema auch weiterhin auf dem Tisch der Sozialpartner. Nur eben nicht mehr auf dem Verhandlungstisch der Dachorganisationen und deren PräsidentInnen, sondern auf Branchen- und Betriebsebene. Hier sind vor allem die Gewerkschaften gefragt. Noch mehr als sonst werden die kommenden KV-Runden nicht nur der Lohnfindung dienen, sondern auch der Durchsetzung von Rahmenbedingungen, damit die ArbeitnehmerInnen zum Ausgleich für die dank Gesetz länger werdenden Arbeitszeiten zum Beispiel mit mehr Freizeit entschädigt werden.

    Schon möglich, dass es neben dem am Anfang erwähnten Claus Raidl auch noch einigen anderen gefallen würde, wenn sich die Sozialpartnerschaft auf die Lohnfindung zurückziehen würde – und die Politik den Rest so erledigen würde, wie es sich die Großspender der Regierungsparteien vorstellen. Das wird’s aber natürlich nicht spielen. ÖGB und Arbeiterkammern vertreten die Interessen der ArbeitnehmerInnen, und die gehen weit über das hinaus, was ihnen die Arbeitgeber für ihre Arbeit bezahlen. Um es klar zu machen: Was würde es den ArbeitnehmerInnen nutzen, wenn die Gewerkschaftsbewegung für sie noch so gute Lohnerhöhungen erkämpft – und ihnen die Politik davon zum Beispiel höhere Steuern abzieht, das Gesundheitssystem so verschlechtert, dass sie verstärkt privat für ärztliche Leistungen bezahlen müssen, und wenn das Bildungssystem immer mehr Nachhilfe notwendig macht?
    Das alles sind berechtigte Anliegen der ArbeitnehmerInnen, die sich direkt darauf auswirken, wie viel vom Lohn den ArbeitnehmerInnen bleibt. Anliegen, die ÖGB und Arbeiterkammern sicher nicht aus den Augen lassen werden, auch wenn sich Raidl das wünscht. Und dazu kommen noch Interessen, die sich nicht direkt in Geld umrechnen lassen, die aber mindestens genauso wichtig sind: demokratische Mitbestimmung, selbstbestimmte Lebensplanung, kulturelle Teilhabe und ganz wesentlich, eine Arbeit, die nicht nur genug zum Leben einbringt, sondern die Menschen auch gesund alt werden lässt. Der ÖGB und die Arbeiterkammern werden sich auch weiterhin in all diese Bereiche einmischen. Das ist keine Selbstherrlichkeit, sondern konsequente Vertretung der ArbeitnehmerInneninteressen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor bernhard.achitz@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802319 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802294 Mit viel Engagement dabei Es ist wie so oft eine Machtfrage. Denn Konsumentinnen und Konsumenten sind gegenüber ProduzentInnen, HändlerInnen und DienstleistungsanbieterInnen im Nachteil. Sei es aufgrund mangelnder Fachkenntnis und Information, sei es mangels Marktmacht: Daher ist es eine wesentliche Aufgabe des AK-Konsumentenschutzes, ein wirksames Gegengewicht zu bilden. Die AK ist Markt- und Preiswächterin, berät, unterstützt, zieht vor Gericht und vertritt die Interessen der KonsumentInnen gegenüber Politik und Wirtschaft. Sie ist in der Konsumentenpolitik eine bedeutende Akteurin in Österreich, und das durchaus mit Erfolg.

    Für die Rechte der KonsumentInnen
    Jährlich berät die AK rund 350.000 KonsumentInnen in ganz Österreich. Ob Gewährleistung, überhöhte Rechnungen, Bankomatgebühren, Ärger mit Handwerkern, Handy- oder Internetanbietern, VermieterInnen oder Internet-Abzocke: Der AK-Konsumentenschutz steht für die Rechte der KonsumentInnen ein, berät und bietet Hilfe zur Selbsthilfe, unterstützt mit Musterbriefen oder interveniert.
    Die AK-KonsumentenschützerInnen setzen sich mit viel Engagement ein. Wenn sie erfolgreich helfen können und sich KonsumentInnen sogar bedanken, freuen sie sich besonders. Ein Auszug:
    „Sie sind spitze!!! Wie haben Sie das geschafft? … Vielen, vielen Dank nochmals für Ihre Unterstützung!!“
    „Daher bedanke ich mich hiermit sehr herzlich für die sehr gute Beratung und für die tolle Unterstützung, für mich war seine Arbeit Gold wert! Es ist generell sehr selten, dass man Menschen antrifft, die mit Herz und Seele ihrer Tätigkeit nachgehen, vielen Dank auch dafür! Ohne Ihre Hilfe hätte ich als Privatkundin mein Recht gegen so eine riesige Bank nicht durchsetzen können! Ich wünsche Ihnen alles Gute und ich bin überzeugt, dass Sie in Zukunft noch vielen, vielen Menschen helfen werden, ihr Recht durchzusetzen.“
    „Ich möchte mich ganz herzlich für die so rasche Bearbeitung meiner Anfrage bedanken sowie auch für Ihre Einschätzung. Ich lese regelmäßig die AK-Zeitung inklusive der Konsumentenschutz-Artikel und kann nun bestätigen, dass man tatsächlich extrem rasch beraten wird – ein gutes Gefühl.“

    Mit zahlreichen Preistests, Studien und Onlinerechnern bringt die AK Transparenz in Märkte, etwa bei Lebensmitteln, Telefontarifen, Mieten oder Bankgebühren. Wenn dort etwas schiefläuft, werden die AK-KonsumentenschützerInnen aktiv. So tritt die AK gegen die hohen Wohnkosten auf und fordert von der Regierung Maßnahmen, damit Wohnen wieder leistbar wird. Der AK-Konsumentenschutz macht Druck, wenn gesetzlicher Regelungsbedarf besteht. Beispielsweise hat sich die AK immer dafür eingesetzt, dass der Zugang zum eigenen Bargeld an Geldautomaten kostenlos bleiben muss, und sich vehement gegen Bankomatgebühren ausgesprochen. Nicht zuletzt aufgrund des Engagements der AK wurde im Herbst 2017 ein weitgehendes Verbot von Bankomatgebühren im Parlament beschlossen.
    KonsumentInnen sollen nicht nur recht haben, sondern auch recht bekommen. Die AK zieht gegen rechtswidrige Klauseln in Verträgen vor Gericht und konnte KonsumentInnen schon viel Geld ersparen. Im Jahr 2017 konnten für KonsumentInnen rund zwölf Millionen Euro im Klagsweg herausgeholt werden. Dazu kommen noch 350 Millionen Euro wegen Falschberechnung von Kreditzinsen.

    Die Klagserfolge der letzten Jahre können sich sehen lassen

    • Stop-Loss-Aktion bei Fremdwährungskrediten
      Die AK hat KreditnehmerInnen von Schweizer-Franken-Krediten unterstützt, denen von den Banken zur Absicherung ihres Kredites eine Stop-Loss-Vereinbarung empfohlen worden war, die letztlich unbrauchbar war und den KreditnehmerInnen sogar Verluste brachte. Für 140 geschädigte KreditnehmerInnen konnte ein Vergleich über rund 900.000 Euro erzielt werden.
    • Negativzinsen bei Krediten
      Ein negativer Referenzzinssatz bei variabel verzinsten Krediten muss berücksichtigt werden. Das entschied der Oberste Gerichtshof in einem Verfahren, das der Verein für Konsumenteninformation im Auftrag der AK Tirol geführt hat. Insgesamt müssen rund 350 Millionen Euro von den Banken zurückgezahlt werden.
    • Zu hohe Kreditkosten
      Gegen eine Bank wurde wegen unzulässiger Klauseln ein Urteil erstritten, bei dem unter anderem eine Zinsanpassungsklausel und eine Verzugszinsenklausel als unzulässig beurteilt wurden. 1.200 KundInnen haben einen Betrag von einer Million Euro zurückbezahlt bekommen.
    • Unzulässiges Sperrentgelt bei Plastikkarten 
      Die Verrechnung eines Sperrentgelts bis 40 Euro für Bankomat- und Kreditkarten ist unzulässig. Die Sperre der Karte ist eine gesetzliche Nebenpflicht und muss daher unentgeltlich erfolgen, so der Oberste Gerichtshof. Banken und Kreditkartenunternehmen mussten verrechnete Sperrentgelte zurückzahlen.
    • Mahnungen bei Krediten werden billiger
      Mehrere von der AK erstrittene Urteile in den vergangenen Monaten zeigten: Gestaffelte Mahnspesen bei Krediten sind rechtswidrig, sie müssen in einer Relation zur offenen Forderung stehen. Die Banken mussten die Mahnspesen senken.
    • Zu lange Kündigungsfristen bei Telefonverträgen
      Telekomunternehmen beharrten bei Altverträgen auf einer langen Kündigungsfrist von zwölf Wochen. Die AK hat geklagt und recht bekommen. Bei allen Telekomverträgen, egal wann sie abgeschlossen wurden, darf die Kündigungsfrist maximal einen Monat betragen.
    • Rechtswidrige Klauseln von Immobilienmaklern
      Die AK hat die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Maklerverträge, Miet- und Kaufanbote von vielen Immobilienmaklerunternehmen geprüft. Alle Vertragsformulare enthielten Klauseln mit gesetzwidrigen Bestimmungen. Fast alle Makler lenkten ein und unterschrieben die Unterlassungserklärung. Wer nicht unterschrieben hat, wird geklagt.
    • Kautionen konsequent eingeklagt
      Die AK Steiermark hat drei Jahre lang konsequent MieterInnen beim Streit um die Kaution unterstützt und auch geklagt. Mit Erfolg: Seitdem gibt es viel weniger Beschwerden dazu.
    • Fluggastrechte durchgesetzt
      Ärger beim Fliegen ist der Hauptbeschwerdegrund beim Reisen. Die AK berät, interveniert und klagt notfalls Fluglinien, wenn diese die gesetzlich zustehenden Entschädigungen nicht zahlen wollen.
    • Acht Jahre Kampf um Schadenersatz für ein schwerbehindertes Kind
      Die AK Tirol hat acht Jahre lang vor Gericht um Schadenersatz für ein Mädchen gekämpft, das nach einer OP schwerbehindert war, und erreichte rund 570.000 Euro Schadenersatz. Die AK Tirol kritisierte dabei insbesondere die lange Verfahrensdauer und dass ein Behandlungsopfer jahrelang gegen einen Gegner kämpfen musste, gegen den man eigentlich keine Chance hat. Ohne Hilfe der AK wäre die Familie nie zu ihrem Recht gekommen.
    • Einer Familie das Ersparte gerettet
      Einer Familie konnte 170.000 Euro Erspartes bei einem schiefgelaufenen Wohnungskauf gerettet werden und der Vater bedankt sich wie folgt:
       „… möchte ich mich auf diesem Weg noch einmal herzlichst bedanken und Ihnen bewusstmachen, wie sehr Sie mir geholfen haben und dass Sie der Einzige waren, der überhaupt probiert hat, mir zu helfen. Das war die schwerste Zeit in meinem Leben und durch solche Menschen wie Sie habe ich auch wieder Hoffnung in einer doch aus meiner Sicht komplizierten und harten Zeit. Meine Familie und ich sind Ihnen zu großem Dank verbunden.“

    Bei allen Erfolgen: Wenn es nach der Wirtschaft geht, werden die Zeiten für die Rechte von KonsumentInnen schlechter. Deshalb werden wir in Zukunft – jedenfalls unter dieser Regierung – wohl vor allem dafür kämpfen müssen, dass bestehende Standards gehalten und nicht gesenkt werden.
    Dabei gäbe es noch viel Handlungsbedarf für mehr Konsumentenschutz. Wir bleiben jedenfalls dran!

    Mehr Info:
    www.arbeiterkammer.at/Konsumentenschutz

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.zgubic@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Gabriele Zgubic, Abteilung Konsumentenschutz der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802288 Die AK ist Markt- und Preiswächterin, berät, unterstützt, zieht vor Gericht und vertritt die Interessen der KonsumentInnen gegenüber Politik und Wirtschaft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802277 Sprachrohr der Beschäftigten Und hier ist er: Günther, der Pflasterer! Mit diesen Worten bittet ÖGB-Referatsleiter Willi Mernyi am 30. Juni einen unscheinbaren Mann mittleren Alters zu sich auf die Bühne. Die rund 100.000 DemonstrantInnen bei der Kundgebung „Nein zum 12-Stunden-Tag!“ auf dem Wiener Heldenplatz applaudieren, pfeifen und winken – die Geschichte des Handwerkers ging in den Wochen zuvor mit einem YouTube-Video viral.
    Die Geschichte vom zuvor unbekannten Pflasterer Günther, der in nur acht Stunden 3.400 Kilo heben muss, bewegt die Menschen. Sie ist ein schönes Beispiel dafür, dass Statistiken und volkswirtschaftliche Daten die Arbeits- und Lebensrealität nur eingeschränkt wiedergeben können, während die Aussagen der Beschäftigten ein genaueres Bild davon zeichnen, wie die Belastungen am Arbeitsplatz tatsächlich aussehen. Besonders wenn es um Arbeitszeit und Druck in der Arbeit geht, ist die persönliche Wahrnehmung aussagekräftiger als statistische Kennzahlen und Gesetze.

    Tatsächliches Empfinden
    Mit genau dieser Idee trat die Arbeiterkammer Oberösterreich 1996 an die Institute SORA und IFES heran: ein Instrument zu entwickeln, das das tatsächliche Empfinden der ArbeitnehmerInnen erheben kann – anders als etwa das Bruttoinlandsprodukt der Wirtschaftsforschungsinstitute, die Arbeitslosenrate des AMS oder die Arbeitszeitstudie der Statistik Austria. Überstunden, die nicht offiziell eingetragen werden, Krankentage, die nicht als Krankenstände aufscheinen, Erwartungen, die nicht mit den Prognosen der WirtschaftsforscherInnen übereinstimmen: All das sollte mit einem Instrument messbar gemacht werden. Das Ergebnis war der Österreichische Arbeitsklima Index, mit dem ArbeitnehmerInnen seit 1997 die gleichen Basisfragen gestellt werden.
    Jedes Jahr werden rund 4.000 unselbstständig Beschäftigte zu Hause im Rahmen eines persönlichen Interviews befragt. Mit 25 Fragen zu Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen, Einkommen, Stress, Karriere, Arbeitsmarkt und einigen anderen Bereichen wird der Arbeitsklima Index erhoben. Die Befragung erfolgt in vier Wellen pro Jahr, ihre Ergebnisse sind repräsentativ für die unselbstständig Beschäftigten in ganz Österreich. So können seit mehr als 20 Jahren die Veränderungen in der Arbeitsrealität gemessen werden. Insgesamt wurden bis heute mehr als 100.000 Personen befragt. Im Jahr 1997 auf 100 Punkte gesetzt, zeigt der Arbeitsklima Index die Veränderungen im Laufe der Jahre. 2007 wurde mit 112 Punkten ein Höchstwert erreicht, bevor die Wirtschaftskrise und der Pessimismus den Wert im Jahr 2016 auf 105 Punkte fallen ließen. In den letzten zwei Jahren folgte eine Erholung bis auf 110 Punkte. Über die Jahre wurden weitere Fragen ergänzt und mit dem Arbeitsgesundheitsmonitor und dem Führungskräfte Monitor wurden auch zwei neue Instrumente geschaffen.

    Überstunden machen unzufrieden
    Laut Statistik Austria wurden im letzten Jahr in Österreich 250 Millionen Überstunden geleistet, jede fünfte davon blieb unbezahlt. Für die Beschäftigten bedeutet das: Mehr als die Hälfte macht gelegentlich Überstunden, ein Drittel sogar häufig. Besonders lange Arbeitszeiten gibt es in der Baubranche und bei BerufskraftfahrerInnen. Die durchschnittliche Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten liegt bei 42 Stunden pro Woche. Mehrarbeit gehört also für einen Großteil der Menschen schon jetzt zum Alltag.
    Die Folgen von Mehr- und Überstundenarbeit: Beschäftigte, die mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten, sagen doppelt so oft wie jene mit weniger als 40 Stunden Arbeit pro Woche, dass sie Beruf und Privatleben nur schlecht vereinbaren können. Bei einer Wochenarbeitszeit über 40 Stunden sinkt auch die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeitszeit stark, während Teilzeitbeschäftigte zufriedener sind. Die Hälfte der Personen mit Überstunden ist unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit, bei jenen ohne Überstunden ist nur jede/r Sechste damit unzufrieden.
    Auch die Argumentation, die Beschäftigten mit längeren Arbeitszeiten könnten sich ihre Aufgaben und Zeiten besser einteilen, trifft nicht zu. Jene mit langen Arbeitszeiten sind sogar noch stärker durch Zeitdruck belastet. Wer häufig Überstunden leistet, gibt fünfmal so oft an, bei der Arbeit keine Zeit zum Verschnaufen zu haben. Die Belastung geht aber immer wieder auch über die Arbeitszeit hinaus. 16 Prozent der Menschen, die oft Mehrarbeit leisten, werden auch in der Freizeit mit beruflichen Anliegen gestört. 44 Prozent der Personen, die auch nach Dienstschluss noch arbeiten, fällt es schwer abzuschalten. Immer mehr ArbeitnehmerInnen nutzen Homeoffice oder Teleworking. So wird die Erholung, etwa am Wochenende, zusätzlich unterbrochen.

    Nicht auf Dauer auszuhalten
    Auf lange Sicht sind diese langen Arbeitswochen nicht auszuhalten. Jede/r Fünfte gibt an, den Beruf in der derzeitigen Form in fünf Jahren nicht mehr ausüben zu können. Über kurze Zeit können die Belastungen ausgeglichen werden, doch auf Dauer ist das nicht möglich. Dass viele Beschäftigte unter der Mehrfachbelastung leiden, zeigt sich auch an neuen Folgen wie Burn-out. Ein Drittel der Personen sieht sich zumindest leicht gefährdet, besonders häufig ArbeitnehmerInnen mit maximal Pflichtschulabschluss. Das Thema wird auch in den Unternehmen ernst genommen: In 38 Prozent der Betriebe wird von der Belegschaft darüber gesprochen, in 19 Prozent kümmert sich auch die Unternehmensleitung darum.
    Sogar Medikamente sind manchmal nötig, um den Arbeitsalltag überstehen zu können: 44 Prozent der Beschäftigten greifen „zumindest selten“ zu Schmerzmitteln, um den Arbeitstag durchzuhalten. Sechs von zehn ArbeitnehmerInnen greifen auf Medikamente gegen Kopfschmerzen zurück. Und nicht zuletzt gehen 33 Prozent der Menschen sogar krank zur Arbeit – besonders häufig jene, die Überstunden leisten.

    Arbeitszeitverkürzung gewünscht
    Es ist wenig überraschend, dass Menschen mit langen Arbeitszeiten ihre Stundenanzahl verkürzen wollen. Besonders deutlich wird dieser Wunsch bei Personen, die mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten: 76 Prozent von ihnen wollen ihre Arbeitszeit verkürzen, weniger als ein Viertel ist mit dem Ausmaß zufrieden. Zum Vergleich: Bei jenen, die zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche arbeiten, wollen nur 15 Prozent kürzere Arbeitszeiten. Noch häufiger wollen Frauen mit vielen Wochenstunden das Arbeitsausmaß verringern, und auch junge Menschen wollen Stunden reduzieren. Das ist besonders bemerkenswert, weil in der Fragestellung darauf hingewiesen wird, dass eine Reduktion der Stunden auch ein geringeres Einkommen zur Folge hat. Nicht mehr, sondern weniger Arbeitszeit ist also gefragt.
    Immer wieder verwenden BefürworterInnen längerer Arbeitszeiten das Schlagwort „Flexibilisierung“. Doch eben die ist ohnehin schon für viele Beschäftigte Alltag. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten hat immer gleiche, fixe Arbeitszeiten. Bei der anderen Hälfte sind mit Gleitzeit, Schichtarbeit, Arbeit auf Abruf oder anderen Formen von unregelmäßiger Arbeitszeit bereits jetzt schon flexible Regelungen in Kraft. Fast ein Viertel der Beschäftigten hat einen sogenannten All-in-Vertrag, bei dem sämtliche Überstunden pauschal abgegolten werden. Auch die Differenz zwischen vertraglich vereinbarter und tatsächlich geleisteter Arbeitszeit zeigt, dass sich die Beschäftigten schon bisher an die Anforderungen der Unternehmen angepasst haben.
    Bei genauerem Hinsehen erkennt man also, dass die Wünsche der Wirtschaft und der Regierung, also lange Arbeitszeiten und mehr Flexibilität der ArbeitnehmerInnen, bereits erfüllt wurden. Aber auch die Folgen sind für die Beschäftigten schon deutlich spürbar: weniger Zufriedenheit mit der Arbeitszeit, Druck am Arbeitsplatz, schlechtere Work-Life-Balance. Statt längeren Arbeitszeiten wünschen sich die Beschäftigten eine Reduktion der Arbeitszeit. Vielleicht auch Günther, der Pflasterer.

    Wie ist Ihr persönlicher Arbeitsklima Index? Finden Sie es heraus unter:
    selbsttest.arbeitsklima.at

    Weitere Informationen unter:
    arbeitsklima.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor Mader.b@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Bernhard Mader, Kommunikationsabteilung der AK Oberösterreich Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802271 Und hier ist er: Günther, der Pflasterer! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802251 Skills für die digitale Welt Sie entwerfen Slogans für Unternehmen, gestalten Grafiken oder testen Handy-Apps – und erbringen damit wichtige Leistungen für Betriebe. Wer aber in den Betrieben nach Namen dieser MitarbeiterInnen fragt, wird nur Kopfschütteln ernten. Denn Crowdwork passiert online. FreelancerInnen registrieren sich auf Seiten wie Clickworker.de und erledigen gegen Bezahlung Aufträge. Doch wie steht es eigentlich konkret um die Arbeitsbedingungen dieser ArbeitnehmerInnen, die noch dazu für Interessenvertretungen schwierig zu fassen scheinen? „Wir haben Pionierarbeit geleistet und uns angeschaut, wie viele Menschen so arbeiten, wie die Arbeitsbedingungen sind und wo es Verbesserungsbedarf gibt“, sagt AK-Wien-Digitalisierungsexpertin Sylvia Kuba.
    Dafür wurden über 2.000 Menschen befragt. 18 Prozent gaben an, zumindest einmal im Jahr über eine Plattform gearbeitet zu haben, fünf Prozent einmal pro Woche. Doch fast zwei Drittel der Befragten verdienen im Schnitt 1,99 Euro pro Auftrag. „Für die meisten ist Crowdworking nur ein Zusatzverdienst“, so Kuba. CrowdworkerInnen arbeiten auf Honorarbasis und haben meist keine fixen Arbeitsverträge. Es drohe eine Aushöhlung des Arbeitsrechtes: „Dem muss rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden.“ Nach Erledigung des Auftrages erfolgt die Zeugnisvergabe: AuftraggeberInnen bewerten Schnelligkeit und Sorgfalt des Crowdworkers bzw. der Crowdworkerin. Von diesem Feedback hängen weitere Aufträge ab. Mit KollegInnen aus Deutschland, Schweden und Frankreich baute die AK eine Plattform auf, die den Spieß umdreht: Auf faircrowd.work bewerten CrowdworkerInnen ihre AuftraggeberInnen, etwa nach Verständlichkeit der Aufträge und fairer Bezahlung.

    Digitalisierungsfonds
    Crowdwork ist nur ein Thema von Sylvia Kuba. Digitalisierung zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche, entsprechend ist die Stabsstelle in der AK breit verknüpft. So wird untersucht, wie Handel und Banken – Sektoren, in denen viele Frauen arbeiten – vom Internet verändert werden. Weitere Forschungsfelder sind Big Data, Technikstress und die Frage, welche Aus- und Fortbildungen Beschäftigten weiterhelfen. Im AK-Zukunftsprogramm ist ein bundesweiter Digitalisierungsfonds von 150 Millionen Euro verankert. Start ist 2019, die Laufzeit fünf Jahre, sofern Mitgliedsbeiträge nicht gekürzt werden. „Gefördert werden Aus- und Weiterbildungen von Beschäftigten sowie Vorhaben, die Digitalisierung und Mitbestimmung fördern oder etwa den Arbeitsalltag erleichtern“, erklärt Melitta Aschauer-Nagl, Leiterin des Bereichs Bildung in der AK Wien.
    Doch welche Kompetenzen braucht es in der digitalisierten Arbeitswelt? Die Arbeiterkammer hat 2015 den Verein Industrie 4.0 mitbegründet, an dem sich Unternehmen, Interessenvertretungen wie Gewerkschaften sowie Forschungseinrichtungen beteiligen. Es gibt nicht eine relevante Kompetenz, sondern ein Bündel, hält Philipp Schnell fest. Der AK-Bildungsexperte ist Leiter der Fachgruppe „Qualifikation und Kompetenzen“. Neben fachlichen und digitalen Kompetenzen wie IT, Robotik und Programmieren werden Querkompetenzen wichtiger, so Schnell. Darunter fällt etwa Datenschutz. Zentral sind überfachliche Kompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit, interdisziplinäres Denken und Teamfähigkeit. Die Projektgruppe entwickelte 81 Empfehlungen in sieben Handlungsfeldern.

    Kooperatives Lernen
    „Bereits die Kleinsten sollten spielerisch den Umgang mit digitalen Tools lernen“, so AK-Bildungsexpertin Iris Schwarzenbacher. Digitale Kompetenzen müssten über alle Bildungsstufen verstärkt werden, es brauche den Einsatz von digitalen LernbegleiterInnen im Unterricht. Eine AK-Studie unter Wiener Jugendlichen zeigt, dass in maturaführenden Schulen Computer sehr häufig eingesetzt werden. In Berufsschulen hingegen fehlt häufig die Infrastruktur. Der Unterricht muss angepasst werden, fordert Schwarzenbacher: „Exploratives, kooperatives Lernen wird immer wichtiger.“ Die AK unterstützt mit Unterrichtsmaterialien zur Digitalisierung in der Arbeitswelt. Das Programm „Arbeitswelt und Schule“ umfasst darüber hinaus Berufsorientierung, Planspiele und Workshops. So setzen sich Jugendliche im Rahmen des Programms „digitale Zivilcourage“ mit Hass im Netz kritisch auseinander. Besonders wichtig ist es der AK, dass Kosten für digitale Bildung nicht auf die Eltern abgewälzt werden. In höheren Schulen geben die Eltern pro Schulkind im Schnitt 150 Euro jährlich für laufende EDV-Kosten aus. Das können sich nicht alle leisten.

    Kein Bildungsgap
    Die EU misst jährlich mit einem Index die digitale Kompetenz der Bevölkerung. Österreich belegte 2018 den 7. Platz. 65 Prozent verfügen zumindest über Grundkompetenzen, im EU-Schnitt sind es 56 Prozent. In der digitalisierten Welt werden gerade Routinetätigkeiten von Maschinen übernommen. Um eine Spaltung der Bevölkerung zu verhindern, müssen alle Menschen die Chance haben, sich auf Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt einzustellen. Doch noch ist die innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung sehr ungleich verteilt. Zwar bieten laut einer Eurostat-Untersuchung 87 Prozent der Unternehmen betriebliche Weiterbildung an. Daran nimmt aber nur ein Drittel der Belegschaft teil, meist sind es höher Qualifizierte. Frauen, ältere ArbeitnehmerInnen und Geringqualifizierte bleiben auf der Strecke. „Viele gering qualifizierte Beschäftigte haben schlechte Erfahrungen mit Schule gemacht, die Ausbildung abgebrochen“, so Schnell. „Sie zu motivieren ist eine Herausforderung.“ Weiterbildungen außerhalb des Betriebs sind für gering qualifizierte Menschen außerdem oft nicht leistbar. Eine Unterstützung ist der Bildungsgutschein der AK. Die Kursförderung beträgt 120 Euro, beim Wiedereinstieg nach der Karenz 170 Euro. Die Palette umfasst auch digitale Kompetenzen wie Programmieren.
    Ein wichtiges Thema für die Arbeiterkammer ist natürlich die Mitbestimmung im digitalen Zeitalter. BetriebsrätInnen brauchen dafür das nötige Know-how. Das zu vermitteln ist eine der Aufgaben von Michael Heiling von der AK Wien. „Niemand will sich gegen technische Innovationen stellen. Es geht darum, sie so zu gestalten, dass sie den Kollegen und Kolleginnen vor Ort nicht schaden, sondern nützen.“ Vielerorts herrsche noch Unklarheit über die Digitalisierung und ihre Auswirkungen. Wesentlich ist das Thema Datenschutz. Denn der Betriebsrat hat darauf zu achten, dass die Personaldatenverarbeitung den datenschutzrechtlichen Anforderungen genügt und die Menschenwürde am Arbeitsplatz gewahrt wird. In vielen Fällen unterliegen diese technischen Maßnahmen einer unbedingten Zustimmungspflicht des Betriebsrats. Viele Fragen warf die seit Mai gültige EU-Datenschutz-Grundverordnung auf, zum Beispiel: Worauf muss ich beim Umgang mit Personaldaten achten, wenn ich einen Betriebsausflug organisiert habe?

    Um die Mitbestimmungsrechte bestmöglich ausüben zu können, braucht es zeitliche und finanzielle Ressourcen. Laut Arbeitsverfassungsgesetz haben BetriebsrätInnen Anspruch auf drei Wochen und drei Tage Bildungsfreistellung pro Periode. „Das ist bei den komplexer werdenden Anforderungen zu wenig“, so Heiling. Auch müssten ErsatzbetriebsrätInnen einbezogen werden und es müsste mehr Ressourcen für JugendvertrauensrätInnen geben. Heiling findet, dass der Einflussbereich künftig wachsen könnte: „Betriebliche Interessenvertretungen sollen auch jene vertreten dürfen, die nicht formell angestellt, aber wirtschaftlich vom Betrieb abhängig sind. Das betrifft etwa Crowdworker.“ Der Betriebswirt kritisiert, dass BetriebsrätInnen, außer in gesetzlich notwendigen Bereichen, über Digitalisierungsmaßnahmen oft nur informiert, aber nicht aktiv in diese eingebunden werden. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung von AK und IFES. Dabei zeigt eine Studie von Eurofound, der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, dass gerade jene Unternehmen, die VertreterInnen der Beschäftigten gut einbinden, diese Kooperation später sehr schätzen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion
    aw@oegb.at

    Mehr Info: Digitale Services der AK
    Die AK-App Frag uns vereint mehrere Services der AK in einem Programm: Der Bankenrechner hilft UserInnen, die Bank mit den besten Konditionen zu finden. Der Brutto-Netto-Rechner zeigt, was nach Abzug aller Steuern vom Gehalt bleibt. Das Lexikon des Arbeitsrechts informiert über die Rechte der ArbeitnehmerInnen. Der Urlaubsrechner sagt UserInnen, auf wie viel Urlaub sie Anspruch haben. Wer dokumentieren möchte, wie lange er genau gearbeitet hat und wie lange die Pausen waren, kann dies mit dem Zeitspeicher der AK tun. Dieser ist auch als Browserversion verfügbar.

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    Udo Seelhofer, Sandra Knopp, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802242 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802228 Wohin steuert die Arbeiterkammer? Die Formulierung ist etwas sperrig, aber in ihr steckt ein Angriff auf die Vertretung der ArbeitnehmerInnen in Österreich. Auf Seite 128 des türkis-blauen Regierungsprogramms ist Folgendes zu lesen: „Die Bundesregierung bekennt sich zu einem schlanken und effizienten Staat. Dementsprechend erwartet sie sich von den gesetzlichen Interessensvertretungen ebenso effiziente Strukturen. Eine zukünftige Leistungserbringung soll daher zu einem erhöhten Nutzen bei gleichzeitiger finanzieller Entlastung der Mitglieder führen.“ Bis zum 30. Juni 2018 sollten die gesetzlichen Interessenvertretungen Reformprogramme vorlegen. Diese sollten „konkrete Effizienzsteigerungen und finanzielle Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder“ beinhalten.
    Verbunden war dies mit einer Drohung: Sollten die vorgeschlagenen Maßnahmen „zu wenig weitgehend bzw. nicht ausreichend zielorientiert“ erscheinen, behalte sich die Bundesregierung vor, „gesetzliche Maßnahmen dem Nationalrat zur Beschlussfassung vorzulegen“. Dies galt vor allem einer Adressatin: der Arbeiterkammer. Wenngleich Institutionen wie die Wirtschafts-, die Landwirtschafts- oder die Ärztekammer ebenfalls zu den gesetzlichen Interessenvertretungen zählen, war es die Arbeiterkammer, deren Pflichtmitgliedschaft die jetzige Regierungspartei FPÖ noch im Wahlkampf abschaffen und deren Umlage sie kürzen wollte.
    Die Arbeiterkammer reagierte rasch auf die Aufforderung der Regierung. Warum diese Reaktion nicht in der Kürzung der Mitgliedsbeiträge bestand, erklärt AK-Direktor Christoph Klein: „Es steht im Regierungsprogramm, dass wir effizienter werden sollen und die Mitglieder finanziell entlasten sollen. Doch die Menschen hätten wenig davon, wenn man zum Beispiel den Arbeiterkammerbeitrag von 0,5 Prozent auf 0,4 Prozent kürzen würde. Dann hieße das: 20 Prozent weniger Möglichkeiten für uns, 20 Prozent weniger Interessenvertretung und Service für die Mitglieder.“ Das durchschnittliche Mitglied hätte davon nur 1,40 Euro netto im Monat.

    Intelligenterer Ansatz
    „Also haben wir gesagt, das ist kein intelligenter Ansatz. Ein intelligenter Ansatz muss sein, den Mitgliedern geldwerte Leistungen zu bieten, unter Nutzung aller Effizienzpotenziale und unter bestmöglichem Mitteleinsatz“, so der AK-Direktor. Anstatt die Mitgliedsbeiträge zu kürzen, setzte sich die Arbeiterkammer deshalb zum Ziel, den Mitgliedern mehr fürs gleiche Geld bieten zu können.
    Um herauszufinden, welche Leistungen für die Mitglieder am wichtigsten sind, startete die Arbeiterkammer gemeinsam mit dem ÖGB unter dem Titel „Wie soll Arbeit?“ die größte Dialoginitiative über die Zukunft der Arbeitswelt, die es in Österreich je gegeben hat. Klein erzählt: „Wir haben gesagt: Eine derartige Aufforderung durch die Regierung ist schön und gut. Aber verpflichtet ist man als Selbstverwaltungskörper, wie es die Kammer einer ist, denen, die in diesem Selbstverwaltungskörper zusammengefasst sind. Und das sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Darum sollte das, was wir der Regierung antworten, vom Willen der Mitglieder getragen sein.“

    Hohe Zufriedenheit
    Es folgten Betriebsbesuche, Aktionstage und Großveranstaltungen. Mehr als eine Million Menschen haben sich zwischen Anfang März und Ende Mai am Dialog mit der AK beteiligt. „Der Dialog mit den Mitgliedern hat ergeben, dass es eine sehr, sehr hohe Zustimmung zu unseren jetzigen Service-Leistungen gibt, aber durchaus auch Interesse an neuen“, fasst AK-Direktor Klein zusammen. Die Zustimmungsrate lag in allen Bereichen bei mehr als 70 Prozent. Die Ergebnisse der Dialoginitiative wurden in das „Zukunftsprogramm 2019–2023“ gegossen und als solches noch vor dem 30. Juni der Regierung übergeben.
    Das Herzstück des Zukunftsprogramms bildet eine Digitalisierungsoffensive. In den nächsten fünf Jahren will die Arbeiterkammer dafür 150 Millionen Euro in die Hand nehmen. Das Geld aufzutreiben werde eine große Kraftanstrengung erfordern, sagt Christoph Klein, die AK wolle aber „das mit der finanziellen Entlastung der Mitglieder so weit wörtlich nehmen, dass wir wirklich auch bares Geld zugunsten der Mitglieder zur Verfügung stellen“. Finanziert werden soll das Ganze durch die Auflösung und Umwidmung von Rücklagen sowie durch Kreditaufnahmen und die Nutzung aller Effizienzpotenziale. Das Geld soll in zwei Fonds fließen: den Qualifizierungsfonds zur Unterstützung von Beschäftigten und den Projektfonds Arbeit 4.0, der darauf abzielt, die Digitalisierung im Interesse der ArbeitnehmerInnen zu gestalten.
    „Wir wollen den Beschäftigten Sicherheit geben, dass sie in der Digitalisierung nicht unter die Räder kommen, sondern fit sind für die Herausforderungen des digitalen Wandels“, sagt Klein. Aus dem Fonds Arbeit 4.0 sollen Adaptierungen sowie Forschungs- und Entwicklungsvorhaben finanziert werden, die Verbesserungen in der Arbeitswelt bringen. Ein Beispiel sind Software-Anpassungen für ältere ArbeitnehmerInnen.
    Auch die AK selbst will die Digitalisierung noch weiter ausbauen. So sollen die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation verstärkt genutzt werden, um möglichst effizient und ressourcenschonend mit den Mitgliedern in Dialog treten zu können – zum Beispiel über Social-Media-Fragestunden oder Beratungsdienste via Skype. Auch der Rechtsverkehr mit den Gerichten soll nur noch elektronisch ablaufen.

    Pflege, Bildung, Wohnen
    Weil das Thema Pflege angesichts der alternden Bevölkerung immer wichtiger wird, setzt die AK hier gleich auf mehreren Ebenen an: „Etwas, das wir seit Anfang Juli ganz energisch angehen, ist die Registrierung der Menschen, die in den Gesundheitsberufen arbeiten – zur Qualitätssicherung, zur höheren Anerkennung und zur Aufwertung dieser Berufe“, sagt Christoph Klein. Berufsausweise werden von der AK kostenlos ausgestellt.
    Man wolle aber auch „schauen, was die Leute brauchen“, um Ausbildungsangebote zu schaffen, die das Berufsleben erleichtern – etwa zu den Themen Stress, Gewalt am Arbeitsplatz oder auch Berufsrecht. Daneben wird die AK in Zukunft österreichweit Pflegegeldeinstufungen überprüfen und bei Bedarf auch für ihre Mitglieder vor Gericht ziehen.
    Darüber hinaus soll die AK zur führenden Bildungslotsin in Österreich werden, etwa wenn es um Entscheidungen zwischen Lehre und weiterführender Schule bzw. Studium und Berufseinstieg geht. „In manchen Bundesländern geht es für uns eher darum, den jungen Menschen und ihren Eltern durch den Dschungel an Beratungsangeboten zu helfen. In anderen Bundesländern gibt es kaum Beratungsangebote, da werden die Arbeiterkammern selbst einspringen“, sagt Klein.

    Ausweitung
    Zudem soll das in einigen Bundesländern bereits existierende Programm „Du kannst was!“ – eine unbürokratische und kostengünstige Möglichkeit, zum Lehrabschluss zu kommen – österreichweit ausgerollt werden. Der Leistungsschwerpunkt Wohnen umfasst vor allem die flächendeckende, aber regionalen Erfordernissen angepasste Wohnrechtsberatung, wie Klein erklärt: „In manchen Bundesländern leben die Menschen typischerweise im Eigenheim oder im renovierten Bauernhaus. Dort hat man natürlich andere Beratungsbedürfnisse als etwa in Wien, wo es primär um die Mietrechtsberatung geht.“
    Die Arbeiterkammer will zügig an die Umsetzung des Zukunftsprogramms gehen. Die neuen Leistungen sollen den Mitgliedern spätestens mit 1. Jänner 2019 zur Verfügung stehen. Ob die Drohung der Regierung, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, damit vom Tisch ist? „Wir hoffen, dass die Regierung unsere Bemühungen, den Mitgliedern maximalen Wert für ihr Geld zu bieten, ernst nimmt und versteht, dass das mehr bringt als eine Kürzung der Umlage“, sagt Klein.

    Die Ergebnisse der Dialoginitiative:
    bit.ly/WiesollArbeit

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor dietmar.meister@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Dietmar Meister, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802222 AK-Direktor Christoph Klein http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802193 Unbezahlbar im Alltag Wenn sie an die Bildungsangebote der Arbeiterkammer denkt, kommt Eva Eberhart geradezu ins Schwärmen: „Ich habe bis jetzt alle Seminare von AK und VÖGB besucht, von Kommunikation bis Arbeitsrecht. Die BetriebsrätInnen Akademie war eine super Erfahrung mit tollen Vortragenden. Das Gelernte nutze ich praktisch täglich.“ Die Betriebsrätin der Restaurantkette Nordsee fügt hinzu: „Ich kenne niemand, der nicht davon begeistert war.“
    Eva Eberhart ist eine von über 5.000 TeilnehmerInnen, die 2017 das breit gefächerte Weiterbildungsangebot nutzten, das die AK gemeinsam mit dem Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) jedes Jahr auf die Beine stellt.
    Auch Barbara Budweis und Gabriele Zeman vom Betriebsrat der ManpowerGroup haben von der BetriebsrätInnen Akademie (BRAK) profitiert. „Die intensive Beschäftigung mit den diversen Themen und die themenübergreifende Ausbildung waren eine enorme Unterstützung beim Aufbau unserer Arbeit“, berichten die Betriebsratsvorsitzende und ihre Stellvertreterin. Highlight waren für sie die Weiterbildungsangebote zu aktuellen politischen Themen oder arbeitsrechtlichen Neuerungen, zu denen sie im Rahmen des AbsolventInnenprogramms für BRAK und SOZAK Kurse belegt haben. Dabei wurde die Neuregelung des Arbeitslosengeldes ebenso thematisiert wie der 12-Stunden-Arbeitstag unter den Aspekten Arbeitszeitflexibilisierung oder Lohnkürzung. Aber auch Neuheiten bei der Sozialversicherung waren schon Thema. „Festigen, wiederholen, vernetzen und weiter ausbauen“, seien die Bausteine der Seminare, so Budweis und Zeman. Das Besondere an diesen AbsolventInnen-Schulungen sei, dass alle TeilnehmerInnen über ein gewisses Niveau an arbeitsrechtlicher, sozialrechtlicher und gewerkschaftlicher Bildung verfügen. „Die Weiterbildung ist daher anspruchsvoller, im Gegensatz zum Standardprogramm“, was Budweis und Zeman zu schätzen wissen.

    Wertvolle Hinweise
    Aber auch die Standardschulungen sind für Neue wichtig. „Eine Kassaverwalterin sollte unbedingt den Kurs ‚Strenge Rechnung – gute FreundInnen‘ besuchen“, raten die beiden Manpower-Frauen. „Grundsätzlich ist jede AK-Aus- und Weiterbildung für BetriebsrätInnen unbezahlbar für unsere tägliche Arbeit“, betonen die beiden. In der AK Wien gibt es eine eigene Beraterin, die sie regelmäßig kontaktiert und nachfragt, ob sie Informationsbedarf haben. „Wir haben eine sehr gute Erfahrung damit gemacht“, so Budweis und Zeman. Im Jahr 2018 standen die Schulungen zu Datenschutz und Industrie, Altersteilzeit und Teilpension sowie die Baby- und Weiterbildungsmesse auf der Tagesordnung. Das Service der Bilanzanalyse durch ExpertInnen der AK nutzen Budweis und Zeman alle zwei Jahre: „Dabei bekommen wir stets wertvolle Hinweise für unsere monatlichen Meetings mit der Geschäftsleitung.“

    Zuckerl rausholen
    Nordsee-Betriebsrätin Eberhart ist auf einen Erfolg besonders stolz: Sie hatte in ihrer Firma weniger Anzeigen von ArbeitsinspektorInnen. Bei schwangeren Frauen beispielsweise nimmt das Arbeitsinspektorat die Dienstpläne besonders genau unter die Lupe, in puncto Dienstzeit und ob es genug Ruhezeiten gibt. „Seit ich vor vier Jahren übernommen habe, gab es nur eine Anzeige. Und das wegen einer halben Stunde, die überzogen wurde“, erzählt Eberhart. „Ich bin jedes Mal froh, wenn ich wieder Zuckerl für MitarbeiterInnen herausholen kann. Sei es in Form von Gehaltserhöhungen, Prämien, Gutscheinen, Veranstaltungen, Firmenfeiern“, so die Nordsee-Betriebsrätin. In ihrem Unternehmen herrsche zum Glück eine positive Kommunikationskultur. 80 Prozent der Verhandlungen laufen über die emotionale Ebene, der Rest über die Sachebene. „Ich nutze oft die Wirtschaftsabteilung der AK und hole mir Unterstützung beim Lesen von Bilanzen“, sagt Eberhart. 
    Angesprochen auf Verbesserungsvorschläge fallen Eva Eberhart die oft langen Wartezeiten am Telefon ein. Denn zwar waren ihre Erfahrungen bei der AK-Rechtsberatung bisher gut, aber: „Da hängt man lange in der Warteschleife. Schön wäre eine eigene Beratung für BetriebsrätInnen, wo man schnell durchkommt. Ich benötige oft eine Auskunft binnen kurzer Zeit bei einem dringenden Problem und kann nicht so lange warten“, so die Nordsee-Betriebsrätin. Auch bei den Broschüren würde sie sich etwas mehr Abwechslung wünschen: „Zum Beispiel sollte auch die Digitalisierung, wo sich ständig etwas Neues tut, thematisiert werden.“ Rudolf Wallner, Leiter der Abteilung Service und Information der AK Wien, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die AK sehr viele Projekte und Veranstaltungen zur Digitalisierung durchgeführt hat, bei denen auch die Rolle der ArbeitnehmervertreterInnen im Mittelpunkt stand (siehe auch „Skills für die digitale Welt“).
    Gabriele Zeman knöpfte sich in den vergangenen Jahren jeweils einen Ausbildungsschwerpunkt vor, angefangen von „Social Media“ mit Blog, Facebook, Foto- und Bildbearbeitung, Texte schreiben bis hin zu Führungsaufgaben, Teamwork, Kommunikation. Auch Sprache und Stimme, Image und Outfit standen auf dem Programm. Ihr Wunsch: mehr Bildungsangebote auf fortgeschrittenem Niveau. „Derzeit gibt es in dem ‚Advanced-Level-Bereich‘ nicht genug Bildungsangebote und es fehlen wichtige ‚Managementtools‘“, meint Zeman. „BetriebsrätInnen arbeiten auf Managementlevel, verfügen aber nicht über das nötige Wissen, das beispielsweise dem Management zur Verfügung steht“, so die Manpower-Betriebsrätin. Das umfasse betriebswirtschaftliches Know-how, Personalentscheidungstools oder Arbeitsplatzpsychologie. Ebenso zählt sie Verhandlungstechniken, Verknüpfung von Arbeits- und Steuerrecht, Lohn- und Gehaltsverrechnungsfragen nach Schwerpunkten, Präsentationstechniken und PowerPoint dazu. Ihr ist eines wichtig: dass „etwas mehr als nur Standard“ geboten wird.

    Positiver Nebeneffekt
    Ein positiver Effekt der Schulungen und Beratungen ist nicht nur, dass die BetriebsrätInnen ihr Know-how erweitern. Durch sie werden die BetriebsrätInnen auch im Auftreten gegenüber der Führungsetage gestärkt. „Ich profitiere bei Aufsichtsratssitzungen von den Schulungen. Ich trete sicherer auf“, erzählt Nordsee-Betriebsrätin Eberhart. „Das kommt mir bei Lohn- und Gehaltsverhandlungen zugute. Auch gegenüber der Geschäftsführung und den Personalchefs trete ich jetzt anders auf. Ich profitiere auch privat von den Schulungen“, freut sie sich über ihr gesteigertes Selbstbewusstsein.

    Vielfältige Angebote und wertvolles Feedback
    Gemeinsam mit dem Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) bietet die AK eine breite Palette an Bildungsangeboten für BetriebsrätInnen an. „Zusätzlich unterstützen wir BetriebsrätInnen bei juristischen Fragestellungen, etwa bei Umstrukturierungen, Gesellschaftsrecht oder Arbeitsverfassungsgesetz“, erklärt Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien.
    Außerdem erscheinen 50 Publikationen jährlich. Für die größten Branchen werden anhand von Bilanzanalysedaten und volkswirtschaftlichen Daten aktuelle Branchenreports erstellt. Der Zweck: „Damit BetriebsrätInnen einerseits die Entwicklung ihres Unternehmens mit jener der Branche vergleichen können, etwa anhand von Gewinnkennzahlen, Personalkennzahlen oder Investitionen“, erklärt Leitsmüller. „Andererseits dienen die Studien den Gewerkschaften als Orientierung bei den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen.“
    Die Arbeiterkammer greift die Erfahrungen der BetriebsrätInnen auf, schließlich arbeiten sie an der Basis und wissen am besten, wo der Schuh drückt. Laufend werden BetriebsrätInnen in Studien dazu befragt, welche Entwicklungen es in ihren Unternehmen gibt.

    Linktipps
    AK-Bildungsangebot für BetriebsrätInnen:
    tinyurl.com/ybq6srtc
    Beratung:
    tinyurl.com/ybcdbzwa
    Angebote des VÖGB:
    www.voegb.at  
    BRAK:
    tinyurl.com/ybxznbxc
    SOZAK:
    tinyurl.com/yavuefv8

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

    Mehr Info: Vielfältige Angebote und wertvolles Feedback
    Gemeinsam mit dem Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) bietet die AK eine breite Palette an Bildungsangeboten für BetriebsrätInnen an. „Zusätzlich unterstützen wir BetriebsrätInnen bei juristischen Fragestellungen, etwa bei Umstrukturierungen, Gesellschaftsrecht oder Arbeitsverfassungsgesetz“, erklärt Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien.
    Außerdem erscheinen 50 Publikationen jährlich. Für die größten Branchen werden anhand von Bilanzanalysedaten und volkswirtschaftlichen Daten aktuelle Branchenreports erstellt. Der Zweck: „Damit BetriebsrätInnen einerseits die Entwicklung ihres Unternehmens mit jener der Branche vergleichen können, etwa anhand von Gewinnkennzahlen, Personalkennzahlen oder Investitionen“, erklärt Leitsmüller. „Andererseits dienen die Studien den Gewerkschaften als Orientierung bei den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen.“
    Die Arbeiterkammer greift die Erfahrungen der BetriebsrätInnen auf, schließlich arbeiten sie an der Basis und wissen am besten, wo der Schuh drückt. Laufend werden BetriebsrätInnen in Studien dazu befragt, welche Entwicklungen es in ihren Unternehmen gibt.

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    Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802187 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802170 Wozu noch Arbeiterkammern? Vonseiten der Regierung wird neuerlich verkündet, eine gesetzliche Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen wäre in Zeiten des neoliberalen Siegeszugs überlebt, ihre politische Mitgestaltung müsse daher massiv eingeschränkt werden. Dies wirft folgende Fragen auf: Ist eine gesetzliche ArbeitnehmerInnenvertretung wirklich überholt? Haben sich ArbeitnehmerInnen des 21. Jahrhunderts so weit aus Machtverhältnissen emanzipiert, dass sie auf eine kollektive, gesetzliche Interessenvertretung verzichten können?

    Notwendigkeit sogar gestiegen
    Mit der Gründung der Arbeiterkammern vor knapp 100 Jahren wurde den gesetzlichen Handelskammern als Vertretung der Betriebe ein Gegengewicht aufseiten der ArbeitnehmerInnen geboten. „Die Notwendigkeit von Arbeiterkammern ist heute sogar gestiegen, weil wir in einer Zeit leben, in der es immer schwieriger ist, ein Gegengewicht zum neoliberalen Einheitsdenken zu bilden“, meint Jörg Flecker, Professor am Institut für Soziologie der Universität Wien. Denn auf Wirtschaftsseite gibt es einen enormen Apparat aus Thinktanks, der sich in alle Lebensbereiche drängt und die politische Landschaft Österreichs beeinflusst.
    „Die Arbeiterkammer ist eine Einrichtung, die sich neben der Beratung ihrer Mitglieder sehr stark in der öffentlichen Diskussion einbringt, zum Beispiel durch Begutachtung von Gesetzen. Damit ist sie eine Stimme für die rund 3,7 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen und ein wichtiger Ausgleich zu den gekauften Stimmen der Industrie“, betont Flecker. Denn auch was die finanziellen Ressourcen betrifft, hat die Kapitalseite einen klaren Vorsprung: Die jährlichen Einnahmen der Arbeiterkammern betragen 433 Millionen Euro, jene der Wirtschaftskammer 680 Millionen Euro. Auf Wirtschaftsseite kommen beträchtliche Mittel aus einer Vielzahl finanzstarker Wirtschaftsverbände hinzu.

    Thinktank für ArbeitnehmerInnen
    Eine gesetzliche Interessenvertretung wie die Arbeiterkammer gewährleistet der ArbeitnehmerInnenbewegung große Stabilität. Die AK ist traditionell ein Thinktank der Arbeiterschaft. Mit ihren Expertisen und Beratungen liefert sie die Grundlage für die kämpferische Arbeit von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen. „Das ist genau das, was eine Arbeitnehmerbewegung braucht: Expertise und Beratung“, meint der Politologe Emmerich Tálos. Die gesetzlichen Mitgliedsbeiträge schaffen erst den finanziellen Spielraum, der notwendig ist, um als Wissensorganisation für die ArbeitnehmerInnen handeln zu können.
    Ziel neoliberaler Kräfte, wie sie auch in der momentanen Regierung vorherrschen, ist die Einschränkung dieses Handlungsspielraums der Arbeiterkammer und ihrer Funktion als Thinktank der Gewerkschaftsbewegung. „Bei der Regierung sieht man jetzt die Bemühungen der Industrievertreter“, hält Flecker fest. „Sie gehen einen deutlichen Weg, und zwar, den Schutz der ArbeitnehmerInnen abzubauen. Was gerade passiert, ist eine Umverteilung zugunsten der Reichen.“

    Politische Mitsprache
    Die Arbeiterkammer aber hat den Auftrag, für die Mehrheit der Bevölkerung zu handeln – oder zugespitzt formuliert: für die 99 Prozent der Nicht-Reichen. Paradoxerweise hat ihr der frühere FPÖ-Chef Jörg Haider mit seinen Angriffen auf die Arbeiterkammer unter Schwarz-Blau I zugleich gute Dienste erwiesen.
    Die Forderung nach mehr Beratung und weniger politischer Mitsprache hat die Kammern weiter gestärkt. Kaum eine Institution in Österreich hat heute einen so starken Rückhalt wie die AK. „Damit hat sie auch eine starke Grundlage, sich politisch einzumischen“, so Flecker. Und zwar nicht nur in Fragen des Arbeits- und Sozialrechts, sondern in allen Belangen, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen von ArbeitnehmerInnen relevant sind – von Bildungsfragen über Konsumentenschutz bis zu Umweltbelangen und Wettbewerbspolitik. Denn die grundsätzliche Frage lautet: Welche Interessen haben die ArbeitnehmerInnen insgesamt?
    Für ArbeiterInnen ist es zum Beispiel eine zentrale Frage, welche Bildung ihre Kinder bekommen. „Eine Arbeiterin schuftet sich auch heute noch ungesund, um ihrem Kind eine gute Ausbildung zu finanzieren. Nach wie vor sieben Schulen sehr genau aus, um keine Arbeiterkinder im Gymnasium zu haben. Klar ist es der Arbeiterin ein Bedürfnis, dass die Arbeiterkammer in bildungspolitischen Fragen mitredet“, so Flecker.

    Selbstbestimmte ArbeitnehmerInnen?
    Sind ArbeitnehmerInnen heute selbstbestimmt genug, um ihre Interessen am besten selbst zu vertreten, wie GewerkschaftskritikerInnen sagen? Gerade in einer Zeit, in der Bindungsloyalitäten abnehmen und das Zwanglose, Ungebundene als Emanzipation zelebriert wird? Gibt es den „schützenswerten Arbeitnehmer“ überhaupt noch?
    Zum Glück sind ArbeitnehmerInnen heute viel mündiger als noch vor 100 Jahren. Das Bildungsniveau ist generell gestiegen und manche können es sich in der Arbeitswelt ganz gut richten. Das heißt aber nicht, dass sie deswegen keine Interessenvertretung brauchen. Laut Flecker ist Interessenvertretung ja keine Bevormundung, wie es Neoliberale gerne darstellen, sondern bedeutet vielmehr, Spielregeln zu definieren. Einzelne sind gegenüber dem Arbeitgeber in einer schwächeren Position und verfügen nicht über ausreichende Ressourcen, um ihre Interessen individuell durchzusetzen.
    Hinzu kommt laut Flecker, dass ArbeitnehmerInnen miteinander konkurrieren, sofern sie nicht außergewöhnliche, aber gefragte Ausbildungen haben. Die Gefahr dabei ist, sich in Löhnen zu unterbieten und in der Arbeitszeit zu überbieten. Es brauche daher Regeln, die alle am Arbeitsmarkt davor schützen. „Man könnte also auch sagen: Die Arbeiterkammer stellt Forderungen für solche Regeln auf, klärt ArbeitnehmerInnen darüber auf, überwacht ihre Einhaltung und setzt diese durch im Falle von Verletzungen.“

    Alte Fragen im neuen Gewand
    Kinderarmut, überlange Arbeitszeiten, ein Familienmodell, das nur den Reichen nutzt: Warum ist das heute eigentlich immer noch so? Die Antwort darauf ist mehr als frustrierend, denn es sind Verteilungsfragen aus dem 19. Jahrhundert, die heute wieder drängende Aktualität haben. In den letzten Jahren sind die Reallöhne der männlichen Arbeiter massiv gesunken, die Wohnkosten stark gestiegen.
    Hinzu kommt laut Emmerich Tálos, dass Konflikte in den Betrieben zunehmen, zumal immer mehr Betriebe keinen Betriebsrat haben. „Die Arbeiterkammer leistet gerade da enorm viel für ihre Mitglieder, weil sie Vertretung in sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen bietet“, so Tálos.
    Auch die Flexibilisierung der Beschäftigungsformen bringe mehr Konflikte mit sich. Arbeitsformen haben sich substanziell verändert und weichen heute weitgehend vom Normalarbeitsverhältnis ab.
    Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, neue Selbstständigkeit und Leiharbeit sind verbreitet. Während für Dienstverträge eine hohe Kollektivvertragsdichte erreicht wurde, sind viele der neuen Beschäftigungsformen unzureichend abgesichert. Heute gilt es wieder, Verarmung trotz Arbeit zu verhindern.

    Die Arbeiterkammer der Zukunft
    „Die Arbeiterkammer kommt nicht darum herum, zukünftig noch kämpferischer zu werden. Eine Arbeiterkammer der Zukunft muss den Sprung aus der Defensive einer gesetzlichen Institution in die Offensive einer kämpferischen Interessenvertretung schaffen“, meint Soziologe Flecker. Und das zu einer Zeit der wohl massivsten Angriffe auf die Gewerkschaftsbewegung in der Zweiten Republik.
    Eine Schwächung der Arbeiterkammer und somit der gesamten Gewerkschaftsbewegung, wie sie derzeit im Gange ist, hat fatale Folgen. Oskar Negt hat das bereits vor 14 Jahren mit aller Deutlichkeit gesagt: „Gewerkschaftliche Organisationsformen in der gegenwärtigen Situation des Kapitalismus einfach zu verabschieden, weil viele zurzeit nicht recht wissen, welche Politik zukunftsträchtig ist, wäre keine Kleinigkeit, sondern ein zentraler Bruch im Demokratieverständnis der westlichen Welt.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin steindlirene@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Irene Steindl, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802164 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536544802152 Starke Frauen für starke Anliegen Wollt ihr einen Kaffee? Kommt, ich zeige euch meinen Lieblingsort in der Arbeiterkammer! Melitta Aschauer-Nagl führt uns von ihrem Büro auf die Terrasse der AK-Bibliothek, auch wenn es ein wenig nach Regen aussieht. Sie hat ein altes Buch bei sich. Die Bibliothek ist einer ihrer Wirkungsbereiche. Sie leitet den Bereich Bildung und die Abteilungen Konsumentenschutz und Kommunalpolitik mit insgesamt 83 MitarbeiterInnen. 1958 in St. Pölten geboren, wächst sie in Aspang am Wechsel auf. Nach der Hauptschule gelingt ihr der Wechsel auf eine Wiener Handelsakademie. „Ich bin eines der seltenen Beispiele für Bildungsdurchlässigkeit in Österreich“, erzählt sie stolz. Sie studiert Jus und ist in ihrer Familie die erste Frau mit Universitätsabschluss. Heute unterstützt sie First-Generation Students: „Sie fragen nach günstigem Wohnraum, Inskription und Möglichkeiten zur Kinderbetreuung.“
    Aschauer-Nagl engagiert sich für Chancengerechtigkeit – das österreichische Bildungssystem hält sie für sehr ungerecht. „Es hängt viel von Bildungsgrad, Herkunft und Einkommen der Eltern sowie vom Lernumfeld ab. Schulkinder, deren Eltern nur Pflichtschulabschluss haben, liegen gegenüber Akademikerkindern nach acht Jahren um 27 Lernmonate zurück.“ Die Expertin plädiert für den AK-Chancenindex als Basis zur Mittelverteilung: Schulen mit vielen Kindern aus bildungsfernen Familien sollen mehr gefördert werden. Zudem fordert sie ein stärkeres Angebot an verschränkten Ganztagsschulen mit Lern- und Freizeitblöcken.
    Geprägt hat Melitta Aschauer-Nagl ihre Arbeit in Brüssel, wo sie 1991 das Büro der Arbeiterkammer aufgebaut hat. „Wir haben Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit erreicht und uns erfolgreich eingesetzt, dass höhere österreichische Standards etwa im Konsumentenschutz erhalten bleiben und nicht auf EU-Durchschnitt gesenkt werden.“ Genau diese Besserstellung stelle nun die Regierung infrage, kritisiert sie. Zurück in Wien leitete sie von 1997 bis 2010 die Abteilung EU & Internationales, seither den Bereich Bildung.

    Viel beschäftigt
    Aschauer-Nagls Bereich umfasst Bildungseinrichtungen bis zur Hochschule. Ihre MitarbeiterInnen führen Studien durch, begutachten Lehrpläne und organisieren Berufsorientierung für Jugendliche durch Seminare, Planspiele und Messen. „Bei einer Messe im Herbst können 14-Jährige in viele Berufe hineinschnuppern.“ Kürzlich lag eine Verordnung zur Feststellung der Schulreife auf Aschauer-Nagls Tisch, die sie erfreut zur Kenntnis nahm. „Wenn das Kind seine Muttersprache altersgemäß spricht und alle anderen Voraussetzungen erfüllt, dann ist es schulreif. Damit geht die Bundesregierung von Deutsch als Schulreifekriterium im Interesse der Kinder ab.“ 
    Auch die berufliche Aus- und Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen zählt zu den Schwerpunkten. Im Vorjahr wurden bundesweit fünf Millionen Euro in den Bildungsgutschein investiert. Eine Maßnahme der Regierung empört Aschauer-Nagl: dass berufstätige Studierende ab dem Wintersemester 2018 Studiengebühren zahlen müssen, wenn sie die Mindeststudienzeit und Toleranzsemester überschreiten. „Das benachteiligt jene, denen die Eltern kein Studium zahlen können.“ Auf Aschauer-Nagls Schreibtisch häufen sich Anliegen, denn ihr Bereich umfasst viele Themen. Beim KonsumentInnenschutz geht es um Ansprüche der Passagiere bei Flugverspätungen, in der Kommunalpolitik um den Erhalt von Grünraum in der Stadt, MitarbeiterInnen der Geschichtsforschung wiederum interviewen im Gedenkjahr Zeitzeugen zur Geschichte der ArbeiterInnenbewegung.
    Während des Gesprächs auf der Terrasse nimmt Aschauer-Nagl das alte Buch zur Hand. Es ist ihr Lieblingsbuch aus der AK-Bibliothek, eine Erstausgabe der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“. „Marie Jahodas Team thematisierte erstmals das sinnstiftende Element von Arbeit und die sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit.“ Bis heute lässt sich daraus (leider) noch viel ableiten.

    Käthe Leichters Erbin
    Eine starke Frau prägt auch die Abteilung Frauen und Familie in der AK Wien. Die gebürtige Oberösterreicherin Ingrid Moritz leitet die Abteilung inzwischen seit 20 Jahren. Sie trat damit ein großes Erbe an. „Käthe Leichter hat das Frauenreferat 1925 begründet, zeigte die Lebenswelt von Arbeiterinnen und ließ diese selbst zu Wort kommen“, erzählt Moritz. Zurzeit arbeitet ihr Team mit der Stadt Wien an einer Studie über Lebens- und Arbeitsbedingungen heutiger Industriearbeiterinnen. „Das knüpft an den Fragebogen von Käthe Leichter an“, so Moritz. Die Abteilung Frauen und Familie beschäftigt heute sechs MitarbeiterInnen, eine Assistenz und einen Lehrling. Leiterin Moritz erinnert sich zurück, als sie 1991 in dieser Abteilung begann. Damals wurde zwar eine Juristin gesucht, aber die Politikwissenschafterin versuchte es dennoch. „Beim Vorstellungsgespräch ging es um Mutterschutz. Obwohl meine Expertise stärker in der Entwicklungspolitik lag, habe ich überzeugt.“ Anfangs arbeitete sie als Beraterin. Die Themen von damals sind heute noch aktuell: Mutterschutz, Väterkarenz und Kinderbetreuungsgeld. Die Beratungstätigkeit ist nun in der Abteilung Arbeitsrecht gebündelt, Moritz’ Abteilung forscht und analysiert. Der Fokus erweiterte sich über die Jahre um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Gender-Pay-Gap, Diversität und Pflege, wofür es nun eine eigene Abteilung gibt.

    Wer eine Stimme hat
    An der Frauenpolitik der Regierung hat Moritz einiges zu kritisieren, so etwa Einsparungen bei Frauen- und Antidiskriminierungsprojekten. „Für den Familienbonus gab es 1,5 Milliarden Euro und bei einigen Projekten kürzt man 200.000 Euro. Viele Organisationen können so ihre Arbeit trotz ihrer wichtigen gesellschaftlichen Funktion nicht fortsetzen“, ärgert sich Moritz. Sie kritisiert, dass Schulungen von PolizistInnen durch MitarbeiterInnen von Gewaltschutzzentren gestrichen wurden. Das habe Symbolcharakter: „Es geht darum, wer hierzulande eine Stimme hat und wer nicht.“ Das spielt auch beim Thema Einkommen eine große Rolle – immer noch verdienen Frauen im Schnitt um 35 Prozent weniger als Männer.
    Seit Anfang September sind 12-Stunden-Tage möglich. Das hält Moritz für kontraproduktiv. „Männer kommen unter Druck, länger zu arbeiten, und Frauen müssen Stunden reduzieren.“ Das begünstige das Zuverdienstmodell. „Frauen brauchen eine eigenständige Existenzsicherung“, so die Expertin. Doch bisher arbeiten bei Paaren mit Kindern unter 15 Jahren vor allem Frauen in Teilzeit. „Stundenlöhne sind bei Vollzeit höher als bei Teilzeit und es gibt kaum Aufstiegschancen.“ Moritz plädiert für eine ausgeglichenere Arbeitszeit von Paaren. In Deutschland werde über ein Familienarbeitszeitmodell diskutiert, bei dem Eltern 30 bis 32 Stunden pro Woche arbeiten, samt einer Ausgleichszahlung.

    Einkommenstransparenz
    Ein wichtiger Schritt, um den Gender-Pay-Gap zu schließen, ist die Einkommenstransparenz. Doch über Geld wird nicht gerne gesprochen. „Nur wenn ich weiß, wie ein Kollege mit ähnlicher Tätigkeit bezahlt wird, kann ich vergleichen.“ Im Jahr 2011 wurde die Einkommenstransparenz gesetzlich verankert. In Stellenausschreibungen muss ein Mindestgehalt angegeben werden und Betriebe mit mehr als 150 ArbeitnehmerInnen müssen Einkommensberichte erstellen. Doch diese Berichte müssen nicht öffentlich gemacht werden. „Wichtig wäre es, dass Betriebe die Lohnschere nicht nur offenlegen müssen, sondern auch Pläne zum Abbau vorlegen“, betont Moritz.
    Stolz ist Moritz, dass bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie viele Verbesserungen gelungen sind, insbesondere beim Ausbau der Kinderbetreuung. Ein weiterer Erfolg ist ein Paradigmenwechsel: Sie und ihr Team haben erreicht, dass in der AK Kinderbetreuung und Pflege als wichtige Investitionen und weniger als Kosten gesehen werden. Damit der Traum von Ingrid Moritz und Melitta Aschauer-Nagl von der Chancengerechtigkeit in Erfüllung geht, bräuchte es also ein Bündel an Maßnahmen: gerechtere Arbeitszeitverteilung, Einkommenstransparenz, einen weiteren Ausbau von Kinderbetreuung, Ganztagsschulen und mehr Förderungen für jene SchülerInnen, die es brauchen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.a oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Udo Seelhofer, Sandra Knopp, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536544802143 Melitta Aschauer-Nagl und Ingrid Moritz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606538 7 Jahrzehnte für die Zukunft Bessere Regelungen für ArbeitnehmerInnen ermöglichen und sichern: Das gilt besonders für Lehrlinge und Frauen am Arbeitsplatz, aber auch für KonsumentInnen. Seit ihrer Gründung am 6. Oktober 1948 kümmert sich die AK Niederösterreich um die Anliegen der Menschen. Bei ihrer Konstituierung wurde der Metallgewerkschafter Josef Fuchs zum ersten Präsidenten gewählt. Zu dieser Zeit prägten Hunger, Inflation und Schwarzhandel Niederösterreich. Die AK Niederösterreich unterstützte von Beginn an Not leidende Menschen mit Hilfsaktionen – sie kümmerte sich vor allem um hungernde und arbeitslose Jugendliche, organisierte aber bald auch Schulungen für BetriebsrätInnen.

    Verstärkung für den Staat
    Rückenwind erhielt die gesamte AK 1954 mit dem Arbeiterkammergesetz, das entscheidende Rechte verankerte. Unter anderem wurden Bund und Land verpflichtet, bei Gesetzesentwürfen Stellungnahmen der AK einzuholen.
    Die AK kann (auf allen Gebieten, die das Interesse der ArbeiterInnen und Angestellten berühren) Initiativanträge stellen, von sich aus Anträge zu Gesetzen und Verordnungen ausarbeiten und sie der Regierung wie auch dem Nationalrat vorlegen. Überdies erhielt die AK die gesetzliche Kompetenz, in der Lehrlingsausbildung mitzuwirken. Das bildete die notwendige Basis, um in beinahe allen Lebenslagen für die AK-Mitglieder da zu sein: von Sozial- und Arbeitsgesetzgebung, Arbeitsbeschaffungs- und Wirtschaftsprogrammen für Niederösterreich über geförderte Darlehen für Wohnbauten bis hin zur Mitarbeit an den sozialen Reformen der 1970er-Jahre.

    Stark im Service
    Ab den 1960er-Jahren wurde der KonsumentInnenschutz ausgebaut und die Dienstleistungs- und KundInnenorientierung der AK Niederösterreich deutlich erweitert – etwa 1988 mit der telefonischen Arbeits- und Sozialrechtsberatung zum Ortstarif.
    Josef Hesoun – 1990 vom amtierenden AK-Niederösterreich-Präsidenten zum Sozialminister berufen – gelang gegen viele Widerstände die Einführung des Pflegegelds, eine damals einzigartige Pionierleistung in Europa.
    Mit dem neuen Arbeiterkammergesetz 1992 wuchs das Serviceangebot, die Kammerzugehörigkeit für Arbeitslose wurde beschlossen, die fliegende Wahlkommission eingeführt und der Umweltschutz zum eigenständigen Aufgabenbereich erklärt. Das Gesetz brachte auch eine nachhaltige Demokratisierung der AK mit sich: Die Sitzungen des ArbeitnehmerInnen-Parlaments wurden öffentlich, die Kontrollrechte konnten wesentlich verbessert werden. Besonders wichtig: Die AK-Mitglieder erhielten Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz. Seither erkämpfte die AK Niederösterreich für ihre Mitglieder knapp eine Milliarde Euro im Arbeits- und Sozialrecht.
    Auch in der Gleichstellung gibt es eine lange Tradition. Nachdem Sozialwissenschafterin Käthe Leichter (1942 von den Nazis ermordet) bereits 1925 das AK-Frauenreferat begründet hatte – damals noch Arbeiterkammer für Wien-Niederösterreich-Burgenland –, war es auch der AK Niederösterreich wichtig, weibliche Beschäftigte zu fördern. Die erste österreichische Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg war etwa Leiterin der Statistikabteilung und Studienbibliothek der AK Niederösterreich. Mit der Ernennung von Bettina Heise zur Direktorin der AK Niederösterreich gibt es auch jetzt eine Frau in einer gehobenen Führungsposition.

    Auf dem Weg in die Zukunft
    Im Jahr 2016 übersiedelte die AK-Zentrale von Wien nach St. Pölten. Das neu erbaute Zentrum ermöglicht noch mehr Service für die NiederösterreicherInnen. Die ExpertInnen der AK sorgen auch dafür, dass die Erfahrungen aus den Beratungen in die interessenpolitische Grundlagenarbeit einfließen. Und so ist es ein aktuelles Anliegen der AK Niederösterreich, die Qualifizierung weiter voranzutreiben. Jetzt stellen Digitalisierung und Industrie 4.0 Herausforderungen dar, die dringender Antworten und Lösungen bedürfen. Es gilt, alle ArbeitnehmerInnen auf dem Weg in die Zukunft mitzunehmen!

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor resei@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Resei, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606548 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606534 Arbeiterkammer | AK-Wahl 2019: Termine stehen Mehr als drei Millionen ArbeitnehmerInnen wählen 2019 bei der AK-Wahl wieder ihre Interessenvertretung. Den Anfang machen ab 28. Jänner die drei westlichsten Bundesländer Vorarlberg, Tirol und Salzburg. Wahlberechtigt sind alle ArbeitnehmerInnen, die an den jeweiligen Stichtagen in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, das mit einer Kammermitgliedschaft verbunden ist. Da freie DienstnehmerInnen seit 2008 auch AK-Mitglieder sind, sind auch sie natürlich wahlberechtigt.
    Lehrlinge (ohne Altersbeschränkung), KarenzurlauberInnen, geringfügig Beschäftigte (auch geringfügig beschäftigte freie DienstnehmerInnen), Arbeitslose, Präsenz- oder Zivildiener müssen sich in die Wählerliste eintragen lassen, um wahlberechtigt zu sein. Diese Personen erhalten rechtzeitig vom Wahlbüro ein Informationsschreiben, wie der Antrag auf Aufnahme in die Wählerliste zu stellen ist.
    Die Arbeiterkammern rufen die ArbeitnehmerInnen auf, zu dieser wichtigen Wahl zu gehen und mitzuentscheiden, wer die Interessen der ArbeitnehmerInnen im jeweiligen Bundesland für die nächsten fünf Jahre vertreten soll.
    Die AK-Wahlen in Vorarlberg und Tirol finden vom 28. Jänner bis 7. Februar statt, in Salzburg von 28. Jänner bis einschließlich 8. Februar 2019. In den drei Bundesländern liegen der aktuellen „Arbeit&Wirtschaft“ Sondernummern zur Wahl bei. Die übrigen Bundesländer wählen ab März, wir halten Sie auf dem Laufenden.

    Mehr Info demnächst unter:
    www.arbeiterkammer.at

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    Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606515 Frisch gebloggt Mit vereinten Kräften
    Tobias Hinterseer

    Der österreichische Korporatismus der Zweiten Republik versteht die Gesellschaft als Gebilde aus sozialen Gruppen oder Klassen. Im Gegensatz zur klassischen liberalen Theorie: Diese unterstellt, dass eine Gesellschaft aus freien Individuen besteht, die alle die gleichen Chancen vorfinden – in der Gesellschaft wie auf dem Markt. Die aktuellen Angriffe auf Sozialpartnerschaft, Selbstverwaltung und die gesetzliche AK-Mitgliedschaft werden in diesem Sinne als Befreiung von Zwang und ein Mehr an Demokratie und Vielfalt verkauft. Tatsächlich geht es aber um eine Zersplitterung organisierter kollektiver Interessen, um die Durchsetzung einzelner, elitärer Anliegen zu erleichtern. Denn nicht jedes Individuum und jede Gruppe hat dieselben Chancen, eigene Bedürfnisse zu vertreten. Eine begrenzte Anzahl von Verbänden bündelt jedoch die Interessen unterschiedlicher Gruppen. Erst das ermöglicht, dass auch Minderheiten oder benachteiligte Gruppen ihre Interessen gegenüber den Starken und Mächtigen wahren können.
    Lesen Sie mehr: awblog.at/pluralismus-und-korporatismus/

    Der Kampf um die Wahrheit
    Lena Karasz

    Neoliberale Thinktanks konnten ihren Einflussbereich in den letzten Jahren erheblich erweitern. Auch hierzulande treten sie immer öfter in Erscheinung, etwa wenn es um eine vermeintliche Unfinanzierbarkeit des Sozialstaats geht. Sie sind bestens mit finanzkräftigen Privaten und Wirtschaftsverbänden vernetzt, dennoch verkaufen sie die Ergebnisse ihrer interessengeleiteten Forschung als objektiv. Auch die Zunahme von drittmittelfinanzierten Forschungsaufträgen an den Universitäten sollte Gegenstand einer breiteren Debatte über die Finanzierung und Kontrolle von Forschung sein. Die Forderung nach öffentlicher Forschungsfinanzierung allein bietet dabei freilich auch keine Garantie für Objektivität. Worum es geht, ist die grundsätzliche Autorität von Wissenschaft in der medialen Öffentlichkeit. Das gilt nicht zuletzt in einer Gegenwart, in der Fake News die faktenbasierte Auseinandersetzung als Grundlage jedes sozialen Ausgleichs zunehmend bedrohen.
    Lesen Sie mehr: awblog.at/wissenschaft-und-macht/

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    Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606500 "Nicht zuletzt" ... Fehler im System AK-Präsident Tirol und BAK-Vizepräsident]]> Geht es nach der neuen Bundesregierung, so gibt es nur einen Ort, an dem gespart wird: im System. „Wir haben versprochen, dass wir im System sparen und nicht bei den Menschen“, tönte der Kanzler medienwirksam. Sicher, das System, da hapert’s immer, denn das System ist dankbar: Es wehrt sich nämlich nicht, wenn man ihm was wegzwacken will. Gelinde gesagt ist es ihm eigentlich völlig egal, da es etwas Abstraktes ist.

    Das System sind die Menschen
    Weniger abstrakt sind allerdings die Menschen, die ein System erst ausmachen oder am Laufen halten. Man kann nicht am System sparen, ohne an den Menschen zu sparen, egal, wie sehr die PR-Profis dies auch beteuern mögen. Das zeigte sich jüngst bei der AUVA. Letztlich wird nur von einer Tasche in die andere umgeschichtet, denn jede Entlastung muss von jemand anderem bezahlt werden. In diesem Fall sind es einmal mehr die Beschäftigten, die die Zeche bezahlen müssen, während die Unternehmen entlastet werden.
    Und so arbeitet sich die Bundesregierung durch das System der Gesundheitsversorgung, das Sozialsystem etc. bis zum System der Gewerkschaften und Arbeiterkammern vor. Letztere sind ihr ein besonderer Dorn im Auge, stemmen sie sich doch gegen jene Kräfte, die eine Aufstockung des Kapitals zulasten der Mittel- und Unterschicht anstreben. Denn dort sieht die Regierung in Wirklichkeit das größte Einsparungspotenzial: im „System“ der Beschäftigten.
    Mit der entmenschlichten Diskussion über AsylantInnen und Flüchtlingsrouten werden massive soziale und rechtliche Eingriffe kaschiert. Drastische Einschnitte bei der Mindestsicherung, die geplante Abschaffung der Notstandshilfe samt Zugriff auf das Ersparte, verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen, Verschlechterungen bei der Altersteilzeit und so weiter – es geht um Sozialabbau, parteipolitische Einflussnahme und den Verlust demokratischer Grundrechte. Egal ob AUVA, der „Bau“ einer Gesundheitskasse, der verordnete 12-Stunden-Arbeitstag oder AMS-Kürzungen – es wird immer augenscheinlicher, dass Türkis-Blau ein rigides Sparprogramm zulasten der ArbeitnehmerInnen-Familien und der sozial Schwächeren fährt. Hinter dem Schlagwort „Reformen im System“ droht die mutwillige Zerschlagung unserer sozialen Einrichtungen, um die uns viele Länder beneiden.
    Ebenso beneidet werden wir von Millionen Beschäftigten anderer Länder um unsere ArbeitnehmerInnenvertretung, die als Nächstes auf der Systembereinigungs-Liste steht. Was wäre die Folge einer massiven Kürzung der AK-Solidarbeiträge, wie sie die Regierung plant? Wer würde dabei draufzahlen? Ausschließlich diejenigen, die Rechtsschutz und Hilfe bei Fragen im Arbeits- und Privatleben benötigen, vor allem diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten können.

    Angriff auf die Grundfesten
    Mit der Kürzung oder gar Aufhebung der solidarischen Mitgliedschaft würde die starke Interessenvertretung beschnitten werden, ArbeitnehmerInnen würden um ihre Rechte und um viel Geld gebracht werden. Natürlich sieht die unternehmerfreundliche Bundesregierung hier viel Einsparungspotenzial, denn immerhin haben die Arbeiterkammern 2017 für ihre Mitglieder 507 Millionen Euro erkämpft, während die Solidarbeiträge nur 451 Millionen betrugen. Viel Geld, das den Beschäftigten und ihren Familien zusteht, viel Geld, das den Unternehmen verloren geht, solange es die AK gibt ...
    Der kommende Herbst wird deshalb ebenso heiß, wie es der heurige Sommer war. Denn ein Angriff auf die mehr als 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen bedeutet auch einen Angriff auf die Grundfesten unserer Gesellschaft. Und damit wird planlos ein weiteres „System“ aus Menschen zerschlagen, das mit all seinen Facetten seit über 70 Jahren den Frieden in Österreich sichert.

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    Erwin Zangerl, AK-Präsident Tirol und BAK-Vizepräsident Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606485 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606470 Reportage: Interessenvertretung hautnah Vergleichsweise unscheinbar wirkt das Arbeits- und Sozialgericht in der Althanstraße, jedenfalls im Vergleich zum riesigen Gebäudekomplex von Wirtschaftsuniversität und Franz-Josephs-Bahnhof auf der anderen Straßenseite. Im Inneren erinnert praktisch nichts mehr an das WU-Institut, das lange Zeit hier untergebracht war. Wer in einem der 31 Verhandlungssäle einen Termin hat, sollte nicht allzu knapp dran sein, denn im Eingangsbereich muss man ähnlich wie am Flughafen Taschen und Metallgegenstände abgeben und anschließend durch eine Sicherheitsschleuse gehen. Danach folgt die Taschenkontrolle: „Haben Sie eine Feile oder Schere mit?“ Wir nicht. Doch 2017 wurden österreichweit an ordentlichen Gerichten und Staatsanwaltschaften 278.600 Waffen, gefährliche Gegenstände etc. abgenommen.
    Wir haben den „Checkpoint“ passiert und gleich dahinter im Café-Bereich wartet Harald S. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) mit seiner Vertreterin, AK-Juristin Marion Chwojka, auf den Beginn seiner Verhandlung. Sichtlich nervös und angespannt fasst er kurz zusammen, warum er heute hier ist. Fast 25 Jahre hindurch war er als Platzwart im Freizeitzentrum eines Großunternehmens angestellt. Dann wurde der betreibende Verein von einer Immobilienverwaltungsgesellschaft übernommen, weil die Einrichtungen für die Allgemeinheit geöffnet werden sollten. „Ursprünglich wurde uns zugesichert, dass sich für mich und meine drei Kollegen nichts ändern wird. Nur wenige Wochen später hieß es, dass bei mir nicht mehr länger der Gastgewerbe-Kollektivvertrag gelten wird. Ich sollte in Zukunft ohne KV arbeiten.“ Das wäre eine deutliche Schlechterstellung gewesen, erklärt AK-Arbeitsrechtlerin Chwojka – nicht nur, weil man ohne KV jedes Jahr selbst verhandeln muss, sondern auch, weil Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld nicht gesetzlich verankert, sondern Teil des Kollektivvertrages sind.

    Kein Einzelfall
    Harald S. schaut unruhig auf die Uhr und erzählt weiter: „Dann wurden wir alle gekündigt. Die Wiedereinstellung zu schlechteren Bedingungen wurde uns angeboten. Bei mir hätte das unter anderem bedeutet, dass ich in Zukunft an verschiedenen Standorten eingesetzt werden könnte.“
    Für Marion Chwojka ist das ein typischer Fall: „Verschlechterungen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen kommen sehr häufig vor, obwohl im Gesetz genau geregelt ist, dass Beschäftigte mit allen Rechten und Pflichten übernommen werden müssen. Auch Kündigungen kurz vor dem letzten Abfertigungssprung nach 25 Jahren sind alles andere als selten.“
    Jetzt öffnet sich die Tür von Verhandlungssaal 16 und wir treten ein. Schon bald stellt sich heraus, dass es heute weder ein Urteil noch einen Vergleich geben wird. Denn es handelt sich nur um eine vorbereitende Tagsatzung, an deren Ende der Richter die Anklageschrift in sein Diktiergerät spricht. Der nächste Verhandlungstermin: 6. Dezember, also in mehr als drei Monaten.
    Alle Verfahren am Arbeits- und Sozialgericht sind öffentlich; neben dem Richter oder der Richterin bilden jeweils ein/e stimmberechtigte/r VertreterIn von AK und Wirtschaftskammer den Senat. Doch Gerichtsverfahren sind eigentlich das letzte Glied in der Kette von AK-Serviceleistungen. Denn sie sind zeitaufwendig, und das bedeutet, dass die Betroffenen unter Umständen lange auf ihr Geld bzw. ihr Recht warten müssen.

    1. Der telefonische Kontakt
    „Telefonisch gut erreichbar zu sein ist wichtig“, erklärt Hans Trenner, Leiter des Bereichs Arbeitsrecht-Beratung und Rechtsschutz in der AK Wien. „Längere Wartezeiten wollen wir unseren Mitgliedern nicht zumuten. Wir haben es jetzt geschafft, dass rund 80 Prozent der Anrufenden prompt durchkommen und auch zum richtigen Ansprechpartner.“ Ein Teil der Anfragen ist mit dieser ersten Auskunft auch erledigt. Viele Ratsuchende sind schon vorinformiert via Internet. Auf der AK-Website stehen unter anderem Musterbriefe als Download zur Verfügung. Onlineanfragen nehmen zu, doch komplexe juristische Sachverhalte lassen sich in der Regel telefonisch oder persönlich besser klären. In welcher Form auch immer die Beratung erfolgt: „Wir arbeiten nach dem Grundsatz ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘. Damit sollen Mitglieder in die Lage versetzt werden, ein Problem, das sie mit der AK erörtert haben, beim nächsten Anlassfall gleich selbst richtig in Angriff nehmen zu können“, so Trenner. Falls das nicht möglich ist, können die AK-ExpertInnen intervenieren. Das führt in rund 50 Prozent der Fälle auch tatsächlich zum Erfolg.

    2. Persönliche Beratung
    Wenn nötig, dann ist auch sofortiges Eingreifen direkt nach der ersten Kontaktaufnahme mit der AK möglich. Das ist allerdings selten der Fall. Ratsuchende erhalten normalerweise innerhalb von ein bis zwei Wochen einen Termin. In der Regel ist diese Wartezeit auch sinnvoll, weil sie eine Art „Abkühlphase“ für die Betroffenen darstelle, erklärt Hans Trenner und appelliert an die Geduld. „Wir können die Emotionen zwar gut verstehen, als Juristen aber wenig damit anfangen. Mit einigen Tagen Abstand können die Probleme dann wesentlich sachlicher dargestellt und mit unseren ExpertInnen entsprechend besprochen werden.“ Neben Einzelberatungen, die im Normalfall rund 30 Minuten dauern, werden auch Gruppenberatungen zu bestimmten Themen wie etwa Schwangerschaft, Karenz oder Teilzeit angeboten.
    Eindeutig unerfreulich ist der Anlass, aus dem sechs (ehemalige) Mitarbeiter einer Baufirma auf einer Bank im Wartebereich der Arbeiterkammer Wien sitzen. Sie sind gemeinsam zu einer Gruppenberatung gekommen, weil sie nach einem Betriebsübergang praktisch über Nacht ihre Jobs verloren haben. „Außer uns sind noch einige andere Kollegen betroffen, die waren heute verhindert“, erzählt der Techniker und Bauleiter Michael K. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) „Manche waren schon mehr als 20 Jahre beim alten Unternehmen angestellt. Kurz nachdem der Juniorchef am Ruder war, wurde der Betrieb verkauft, an wen wissen wir nicht. Dann wurden alle gekündigt.“ Ausständig sind noch die Löhne und Gehälter für mehrere Monate. Der neue Eigentümer ist unbekannt und Briefe an den früheren Besitzer kommen als unzustellbar wieder zurück. „Wir wollen das Geld, das uns zusteht, und gehen dafür falls nötig auch vor Gericht, mit Unterstützung der Arbeiterkammer.“

    Rechtzeitig schlaumachen
    2017 haben die AK-ExpertInnen österreichweit rund zwei Millionen Beratungen durchgeführt, darunter mehr als 1,3 Millionen in arbeits-, sozial- und insolvenzrechtlichen Fragen. Wichtig sei, so Trenner, dass Betroffene im Konfliktfall nicht zu lange zögern, bevor sie sich beraten lassen. „Sich rechtzeitig schlauzumachen ist auch wichtig, damit nicht womöglich irgendwelche Fristen versäumt werden.“ Wird etwa gegen eine Kündigung in Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nicht zeitnah Einspruch erhoben, kann dies vom Arbeitgeber als stillschweigendes Einverständnis gewertet werden.
    Aus welchen Branchen kommen die meisten Ratsuchenden? Seit mehr als 25 Jahren ist das Bau(neben)gewerbe führend. Es gibt Probleme mit undurchsichtigen Konstruktionen in Verbindung mit Subunternehmen, Konflikte in Zusammenhang mit Konkursen und Betriebsübergängen. Die Beschäftigten sind oft gut bezahlt, aber nicht angemeldet. Auf Platz zwei liegt das Gastgewerbe. 80 Prozent der Mitglieder, die sich an die AK wenden, wurden schon längere Zeit nicht korrekt entlohnt oder angemeldet. „Viele Beschäftigte nehmen das so lange in Kauf, bis es zu einem akuten, oft persönlichen Konflikt kommt, der sozusagen das Fass zum Überlaufen bringt“, berichtet Trenner. An dritter Stelle der Hitliste für schwarze Schafe findet sich der Handel. Typisch in diesem Bereich sind unbezahlte Überstunden. Und nicht selten ist es schwierig, überhaupt festzustellen, wer eigentlich der Arbeitgeber ist.
    Nach wie vor sei in diesen Branchen illegales Vorgehen an der Tagesordnung: „Köche werden nicht angemeldet, sondern bekommen nach zwölf oder mehr Stunden 90 Euro bar auf die Hand. VerkäuferInnen sind offiziell geringfügig beschäftigt und arbeiten regelmäßig wesentlich länger. Daher ist auch die 12-Stunden-Regelung so problematisch. Denn im Falle von unbezahlten Überstunden unter zwölf Stunden müssen Betriebe jetzt jedenfalls den Arbeitsinspektor nicht mehr fürchten, weil dies ja keine Übertretung im Sinne des Arbeitszeitgesetzes darstellt.“ Im Übrigen steht jeder dritte Fall von unbezahlten Überstunden, Nichtmeldung und Ähnlichem in Zusammenhang mit allgemeinen Zahlungsschwierigkeiten der Arbeitgeber. Nicht selten stellen daher die Krankenkassen oder die AK selbst Konkursanträge.

    3. Vor Gericht
    Rund 231,9 Millionen Euro haben die Arbeiterkammern im Jahr 2017 für die Mitglieder in Arbeits- und Insolvenzrechtsangelegenheiten sowie im KonsumentInnenschutz herausgeholt – den größten Teil davon, nämlich 191,7 Millionen Euro vor Gericht und Behörden. Soweit die nüchternen Zahlen. Doch Gerichtsverfahren sind nicht nur mit Geld verbunden, sie kosten auch Zeit und Nerven. Für den oder die durchschnittliche/n ArbeitnehmerIn bedeutet es Stress, sich mit Gesetzestexten, ungewohnten juristischen Fragen und Spitzfindigkeiten zu beschäftigen, für die eigenen Rechte einzutreten, schließlich vor Gericht zu stehen. Nicht selten liegen die Nerven schon länger blank, weil es im Vorfeld Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz gab, Anfeindungen und psychischen Druck. Dazu kommt oft noch die persönliche Enttäuschung nach vielen Jahren Engagement für den Betrieb, mit Überstunden und Arbeiten trotz Krankheit. Häufig ist das Verhältnis zu manchen KollegInnen ebenfalls angespannt. Auch Platzwart Harald S. konstatiert, dass die Auseinandersetzungen „auf die Psyche“ geschlagen haben. Seine Gedanken kreisen auch in der Freizeit immer wieder um seine Arbeitsplatzsituation.
    Weil im Allgemeinen Unternehmer gut im Verhandeln sind, sind sie gegenüber den meisten ArbeitnehmerInnen im Vorteil. Dieses Ungleichgewicht auszugleichen ist auch die Aufgabe der AK-ExpertInnen. Anderen AnwältInnen ist das normalerweise kein Anliegen, sie stehen immer auf der Seite ihrer MandantInnen – egal ob ArbeitnehmerIn oder Arbeitgeber.

    Langjährige Zusammenarbeit
    Die Gerichtsverfahren werden nur zu rund 20 Prozent von AK-JuristInnen bestritten, die hauptsächlich bei rechtlich relevanten Verfahren eingesetzt werden. Die restlichen 80 Prozent erfolgen in Kooperation mit ArbeitsrechtsexpertInnen. Durch die meist langjährige Zusammenarbeit kann die AK auch ausgewiesene SpezialistInnen wie etwa für Arbeitsrechtsprozesse im Baubereich vermitteln.
    Durch die konsequente Parteilichkeit können die von der AK eingesetzten JuristInnen mit ihrer Expertise eine Leistung bieten, die für die Mitglieder sonst so nicht abrufbar wäre. Nicht nur weil für die meisten Betroffenen ein Gerichtsverfahren ein zu großes finanzielles Risiko bedeuten würde, sondern auch weil sich die Fachleute der AK im Arbeitsrecht so gut auskennen wie nur wenige SpezialistInnen unter den AnwältInnen. Und selbst wer es sich finanziell leisten kann: Wie soll jemand wissen, welcher Anwalt bzw. welche Anwältin tatsächlich ausreichend Erfahrung im Arbeitsrecht hat?
    „Unsere ExpertInnen“, so Hans Trenner, „haben den Vorteil, dass sie immer auf der Seite der Beschäftigten stehen, während andere ArbeitsrechtsexpertInnen schließlich auch Unternehmer bei Prozessen vertreten. Unsere Mitglieder bekommen also punktgenau das, was sie brauchen. In der Beratung erhalten sie Orientierung im Arbeitsrecht und in den späteren Stadien geht es darum, rechtzeitig genau das zu tun, was für die Rechtsdurchsetzung nötig ist.“
    Auf diese Weise ist es möglich, dass von Insolvenzen Betroffene meist innerhalb weniger Wochen zu ihrem Geld kommen. So haben beispielsweise nach der Zielpunkt-Insolvenz alle Beschäftigten innerhalb von drei Wochen auch ihr rückständiges Geld bekommen.
    Für die AK ist es egal, ob es in einem Verfahren darum geht, dass ein Arbeiter endlich wieder seinen Lohn bekommt oder ob ein leitender Angestellter in einer kniffligen Rechtsfrage per Gerichtsurteil eine Klärung seiner beruflichen Lage erreichen will. Es geht darum, punktgenau die Leistung zu bringen, die die Menschen brauchen. Dazu zählt auch die Beratung, ob ein Gerichtsverfahren überhaupt sinnvoll ist oder eine kurzfristige außergerichtliche Einigung nicht besser wäre. Hans Trenner nennt ein aktuelles Beispiel: „Der erste Prozess in Zusammenhang mit der Fusion zweier österreichischer Fluglinien wurde 1994 eingeleitet. Hier gab es vor wenigen Monaten ein Urteil über die Gehaltsfragen. Die Frage der Pensionsansprüche ist für die betroffenen Piloten allerdings noch immer nicht geklärt.“
     
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    Text: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606442 Gruppenberatung mit Handwerkern: "Können mich alle verstehen?" Dank der Mehrsprachigkeit des AK-Arbeitsrechtsexperten Admir Bajric ist das kein Problem. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606447 AK-Juristin Marion Chwojka: "Verschlechterungen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen kommen sehr häufig vor." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606458 AK-Jurist Hans Trenner, Leiter des Bereichs Arbeitsrecht-Beratung und Rechtsschutz, setzt sich seit 2009 für mehr Gerechtigkeit ein. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606422 Interview: Der Sand in diesem wenig sozialen Getriebe Arbeit&Wirtschaft: Seit rund einem halben Jahr sind Sie an der Spitze der Arbeiterkammer – jener Organisation, die manchen VertreterInnen der Wirtschaft, Industrie und Politik ein Dorn im Auge ist. Wie sind die politischen Angriffe auf die AK einzuordnen?
    Renate Anderl: Das größte Problem derzeit ist, dass wir keine sehr gute Gesprächsbasis mit der Regierung haben. Termine werden immer wieder verschoben oder abgesagt. Vieles erfahren wir nur über die Medien. Dass die Regierung ihre Pläne zu einer Kürzung der Kammerumlage auf Eis legt zum Beispiel, habe ich in der Zeitung gelesen. Das macht die Arbeit natürlich schwierig, da wir uns auf unsicherem Boden bewegen und eigentlich nie genau wissen, ob und in welcher Form ein Angriff auf die AK kommt.
    Was mir schon auffällt ist, dass die AK deutlich öfter und schärfer kritisiert wird als die WKÖ oder andere Kammern wie Ärztekammer, Notariatskammer usw. Da liegt natürlich der Verdacht nahe, dass eine Regierung, deren Maßnahmen bis jetzt ausgesprochen unternehmerfreundlich waren, einfach nicht will, dass die ArbeitnehmerInnen eine starke Partnerin an ihrer Seite haben. Die wiederkehrenden abfälligen Bemerkungen diverser Regierungsmitglieder über unsere Arbeit und die der Gewerkschaften verstärken diesen Verdacht. Wir sind natürlich Sand in diesem wenig sozialen Getriebe.

    Was will die Arbeiterkammer dem entgegenhalten?
    Wir haben beschlossen das Angebot der AK insofern zu reformieren, dass wir noch mehr Service für die Mitglieder anbieten wollen, ohne die Umlage zu erhöhen. Gemeinsam mit den Länderkammern haben wir ein Paket geschnürt – das „Zukunftsprogramm“. Ein wesentlicher Schwerpunkt darin ist die Digitalisierungsoffensive. Bis jetzt ist es so, dass öffentliche Förderungen in diesem Bereich sich entweder auf technologische Innovation beschränken oder Unternehmensförderungen sind. Wir wollen hier bewusst einen Kontrapunkt setzen und die ArbeitnehmerInnen dabei unterstützen, damit sie auch in Zeiten technologischer Umbrüche mithalten können, etwa durch Weiterbildung.
    Ebenfalls im Zukunftsprogramm enthalten ist die Intensivierung der Beratung zum Thema Wohnen oder zum Nachholen eines Pflichtschulabschlusses. Abgesehen davon werden wir natürlich die Menschen weiterhin darüber informieren, was die AK alles leistet.

    Ende August fand das erste Treffen mit Bundeskanzler Kurz statt. Die Chefs der vier Sozialpartnerorganisationen wurden zum Sozialversicherungsgipfel ins Bundeskanzleramt eingeladen. Wie ist das zu bewerten?
    Grundsätzlich ist es positiv, dass die Regierung sich erstmals seit ihrem Antritt mit den Spitzen von ÖGB und AK getroffen hat. Ob und inwiefern unsere Expertise bei der geplanten SV-Reform tatsächlich einfließen wird, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich ist bei mir schon der Eindruck entstanden, dass sich die Regierung zwar um eine gute Atmosphäre bemüht, aber eigentlich nicht gewillt ist, die Einwände der ArbeitnehmerInnen in dem Ausmaß zu berücksichtigen, wie es notwendig wäre. 

    Gemeinsam mit den Gewerkschaften und anderen Organisationen hat sich die Arbeiterkammer gegen einen 12-Stunden-Tag ausgesprochen. Nun ist dieser Realität, seit 1. September gilt das neue Arbeitszeitgesetz. Was bedeutet das für die Beschäftigten?
    Wir befürchten schon, dass es zu deutlichen Verschlechterungen für die Beschäftigten kommen wird. Es wird zwar von der Arbeitgeberseite gerne betont, dass ganz bestimmt niemand das neue Gesetz ausnützen wird, aber die Realität sieht dann doch anders aus. Wir hatten bereits vor dem 1. September zahlreiche Fälle in der Beratung – teilweise mit haarsträubenden Arbeitszeitvereinbarungen. Es haben mich auch immer wieder E-Mails von ArbeitnehmerInnen erreicht, die erzählten, dass ihre Chefs ihnen schon davor verkündet haben, dass sie nun 12 Stunden arbeiten müssten und dass jeder, dem das nicht passt, gerne gehen kann.
    Es gab auch Fälle, wo Vorgesetzte ganz offen gesagt haben, dass sie jetzt ein paar Mitarbeiter kündigen können, weil sie den Rest der Belegschaft länger arbeiten lassen dürfen. Es steht also zu befürchten, dass der Druck auf die Beschäftigten insgesamt steigen wird. Was wir ebenfalls noch nicht wissen ist, wie es mit den bestehenden Betriebsvereinbarungen aussehen wird. Hier wird der Druck auf die Betriebsräte enorm steigen, da viele Unternehmer es als „Wettbewerbsnachteil“ betrachten werden, wenn es einen Betriebsrat gibt, der darauf besteht, dass gesetzliche Regelungen eingehalten werden. Ich kann an ArbeitnehmerInnen wirklich nur appellieren, sich in der Arbeiterkammer beraten zu lassen. Wir werden alle Fälle sehr sorgfältig dokumentieren und die Regierung wissen lassen, was ihr Gesetz in der Praxis für Auswirklungen hat.

    Gar nicht oder nicht korrekt bezahlte Überstunden zählen bereits jetzt zu den häufigsten Problemen, mit denen sich ArbeitnehmerInnen an die Arbeiterkammer wenden. Erwartet die AK durch die Gesetzesänderung nun noch mehr Überstunden-Fälle?
    Ja, vor allem bei Gleitzeit und was die Zuschläge betrifft. Hier wurden schon Fälle an uns herangetragen, wo in der Gleitzeitvereinbarung explizit steht, dass Überstunden erst ab der 12. Stunde fällig werden und als Zeitausgleich konsumiert werden müssen – damit fallen die Betroffenen natürlich um ihre Zuschläge um. 

    Wo kann man ansetzen? Was braucht es statt einer Arbeitszeitflexibilisierung bzw. überlangen Arbeitszeiten?
    Also, zuerst möchte ich festhalten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich bereits sehr flexibel sind. Und die AK ist sicher keine Gegnerin von flexiblen Arbeitszeiten, aber die Frage ist schon: auf wessen Kosten? Eine Flexibilisierung, die ausschließlich den Beschäftigten Anpassung abverlangt, kann’s ja wohl nicht sein. Flexibilisierung bedeutet auch die Möglichkeit, weniger arbeiten zu können. Extrem unflexibel sind die Arbeitgeber übrigens, was die leichtere Erreichbarkeit der 6. Urlaubswoche betrifft. Das ist insofern verwunderlich, als es ja genau an der Flexibilität der ArbeitnehmerInnen liegt, dass sie öfter den Job wechseln. Wer arbeitet denn heutzutage noch mehr als 25 Jahre im selben Betrieb?
    Hier sollte auch die Arbeitgeberseite einmal im 21. Jahrhundert ankommen. Was mich an der ganzen Diskussion aber wirklich stört ist, dass es auf der Hand liegt, dass mittelfristig kein Weg an der Arbeitszeitverkürzung vorbeiführt. Die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung hatten wir 1975 – da war von Computern und Internet noch keine Rede. Da hat die Technologie natürlich enorm viel verändert, die Produktivität ist durch den Einsatz von Computern enorm gestiegen. Wir werden also über eine neue Verteilung von Arbeit und Arbeitszeit reden müssen. Stattdessen führen wir eine Diskussion über den 12-Stunden-Tag, der eigentlich ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert sein sollte.

    Frauen in Österreich verdienen nach wie vor weniger als Männer. Wie kann man gegen diese Lohnungleichheit vorgehen?
    Da muss man an mehreren Schrauben gleichzeitig drehen. Der erste Ansatz wäre bereits in der Schule zu suchen. Mädchen sollten von Anfang an dazu motiviert werden, auch technische Berufe zu ergreifen. Es ist leider noch immer so, dass viele Niedriglohnbranchen Frauenbranchen sind. In den Kollektivverträgen selber ist zwar jedwede Lohndiskriminierung beseitigt, aber das nützt halt nicht viel, wenn in einer Branche grundsätzlich eher schlecht gezahlt wird, in der vor allem Frauen arbeiten. Da muss einfach noch mehr Bewusstseinsarbeit geleistet werden.
    Ein weiterer Punkt sind verpflichtende Quoten für Führungspositionen. Es ist mittlerweile hinlänglich bewiesen, dass Frauen als Führungskräfte dazu beitragen, dass es auch für andere Frauen leichter wird, Spitzenpositionen zu erreichen und die gläserne Decke zu durchbrechen. Das führt natürlich auch zu mehr Lohngerechtigkeit.
    Die Einkommensberichte sind auch so ein Schräubchen, an dem gedreht werden muss. Hier fordern wir, dass diese Berichte auch sämtliche Gehaltsbestandteile wie Zulagen oder Prämien enthalten müssen. Sie sollten auch nicht einfach einen Zustand beschreiben und dann passiert nichts mehr. Wir möchten, dass, sollte es in einem Betrieb eine weit geöffnete Lohnschere geben, auch entsprechende Gegenmaßnahmen erarbeitet werden. Ganz wichtig wäre außerdem die innerbetriebliche Transparenz – also, dass innerhalb einer Firma jede Kollegin weiß, was die Kollegen verdienen. 

    Welche Benachteiligungen für Frauen drohen durch das neue Arbeitszeitgesetz?
    Da werden vor allem jene Frauen benachteiligt, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen müssen. Nur zehn Prozent der Kindergärten in Österreich haben zwölf oder mehr Stunden geöffnet. Das wird dazu führen, dass viele Frauen sich dazu entschließen – teilweise entschließen müssen –, daheim zu bleiben. Das kann sich in einer bestimmten Lebensphase auch als die goldrichtige Entscheidung erweisen. Aber jeder Frau sollte klar sein: Eine lange Absenz vom Arbeitsmarkt wirkt sich eben auch negativ auf die weitere Karriere und die Höhe der Pension aus. 

    Die Bundesregierung agiert schnell und beschließt Gesetze, ohne mit den Sozialpartnern, die die Sorgen und Ängste der Beschäftigten kennen, zu sprechen. Ist die Sozialpartnerschaft in Österreich bald passé oder zumindest gefährdet?
    Gefährdet möglicherweise, wenn die Regierung sie weiterhin beharrlich ignoriert. Meine Gesprächsbasis mit den anderen Sozialpartnerpräsidenten (Harald Mahrer/WKÖ, Josef Moosbrugger/LWK und Wolfgang Katzian/ÖGB, Anm.) ist zwar eine gute, aber derzeit sind die Vertreter der Wirtschaft schwer einzuschätzen. Ich wäre jederzeit bereit, mich an den Verhandlungstisch zu setzen – die Signale der Arbeitgebervertreter diesbezüglich sind allerdings eher durchwachsen.

    Stichwort Gold-Plating: Insgesamt 489 Gesetze haben IV und WKO an die Bundesregierung gemeldet, die aus Sicht der Wirtschaft in Österreich übererfüllt werden und korrigiert werden sollten. Was sagt die AK dazu?
    Für die AK ist klar, dass wir in Standortfragen die Qualitätsleiter hinauf- und nicht die Preisleiter hinunterklettern wollen. Wir sind stolz, wenn österreichische Unternehmen an der Weltspitze mitmischen. Schließlich bedeutet das, dass die Beschäftigten dieser Betriebe spitze sind. Einen Standortwettbewerb, der da lautet „runter mit den Löhnen, runter mit den Arbeitsbedingungen und nur rauf mit dem Profit“ darf es aus unserer Sicht nicht geben.
    Wir wollen Gold und nicht Blech, wenn es um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht. Ich werde dafür kämpfen, dass es beim österreichischen Arbeitsrecht, das in vielen Bereichen besser ist als die EU-Mindestnormen, keinen Rückschritt gibt. Dass Arbeitnehmerinteressen, Schutzvorschriften oder Umweltstandards den Profitinteressen von Konzernen untergeordnet werden, ist für mich eigentlich indiskutabel.

    Was sind die Schwerpunkte der Arbeiterkammer in den kommenden Monaten?
    Die nächste Zeit ist sicher den Auswirkungen des neuen Arbeitszeitgesetzes und der Reform der Sozialversicherung gewidmet. Hier schauen wir der Regierung besonders genau auf die Finger. Auch das Thema Wohnen und die Forderung nach einem fairen neuen Mietrecht, das eine Abschaffung von Befristungen und Maklergebühren vorsieht, möchte ich weiterverfolgen.
    Außerdem würde ich gerne eine breite Diskussion über Arbeitszeitverkürzung und intelligente Arbeitszeitmodelle in Gang setzen – ich halte das für ein ganz wichtiges Zukunftsthema und auch eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Darüber hinaus werde ich auch in nächster Zeit möglichst viele Betriebsbesuche absolvieren. Das sind Termine, bei denen ich besonders viel lerne. Ich suche ja ganz bewusst das Gespräch mit Beschäftigten und kann mir dadurch ein klares Bild von Arbeitsbedingungen oder etwaigen Problemen machen. Bei jedem einzelnen Betriebsbesuch bin ich wirklich beeindruckt, zu sehen, welche Leistungen die Menschen täglich erbringen und mit welchem Einsatz sie – teils unter schwierigen Bedingungen – arbeiten.
    Im nächsten Jahr steht die AK-Wahl an, die natürlich enorm wichtig für uns ist. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und damit zeigen, dass sie hinter der AK stehen. Das ist aber mit sehr viel Vorbereitung verbunden.
    Ein weiterer Schwerpunkt hängt von der Regierung ab: Sollte sie der AK den Kampf ansagen, um die Vertretung der ArbeitnehmerInnen zu schwächen, dann werden wir dem ganz entschieden entgegentreten – das wird dann sicher eine Herausforderung, die wir mit vollem Einsatz angehen müssen. 

    Auf welche Erfolge kann die Arbeiterkammer blicken?
    Ich denke, die Erfolge der Arbeiterkammer lassen sich ganz gut in unserer Bilanz ablesen. Im Vorjahr hat die AK mehr als 500 Millionen Euro für ihre Mitglieder erstritten. Außerdem haben die AK-ExpertInnen österreichweit rund zwei Millionen Beratungen in den Bereichen Arbeit, Soziales, Insolvenz, Konsumentenschutz, Steuerrecht und Bildung durchgeführt. Ich bin sehr stolz, einem Haus vorstehen zu dürfen, in dem es dermaßen viel Know-how bei politischen Themen gibt. Im Vorjahr wurden hunderte Gesetze und Verordnungen auf Landesebene und mehr als 300 auf Bundesebene begutachtet und Stellungnahmen dazu abgegeben. So konnten auch auf dem Gesetzesweg Verbesserungen erreicht werden.
    Abgesehen davon hat es die AK geschafft, dass die Berufsgruppen „Kanalarbeiter“, „Montagetischler“ und „Hilfsarbeiter in Mühlen“ in die Schwerarbeitsliste aufgenommen wurden. Stolz sind wir auch auf die Einführung der sogenannten Wiedereingliederungsteilzeit – sie ermöglicht es Beschäftigten, nach langer Krankheit schrittweise wieder in den Job zurückzukehren. Hier geht es auch darum, Kündigungen im Krankenstand bestmöglich zu vermeiden. Die Liste ließe sich jetzt noch länger fortführen, aber das sprengt vermutlich den Rahmen.

    Wo gibt es Verbesserungsbedarf?
    Den gibt es natürlich immer, wobei ich jemand bin, der seinen Blick vor allem auf positive Aspekte richtet. Was ich aber forcieren möchte ist, dass wir als Institution noch näher an unsere Mitglieder rücken, dass noch mehr Beschäftigte wissen, dass es uns gibt und was wir tun. Ich denke, dass jene Menschen, die von der AK wissen, vielleicht auch selbstbewusster auftreten können, wenn sie ungerecht behandelt werden, weil sie wissen, da gibt es jemanden, der steht hinter mir und kämpft für mich, wenn es sein muss. 

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Renate Anderl
    begann ihre berufliche Laufbahn in der Metaller-Gewerkschaft. 2014 wurde sie ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende. Seit April 2018 kämpft sie an der Spitze der Arbeiterkammer für die Rechte der ArbeitnehmerInnen. 

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    Interview: Amela Muratovic Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606405 "Eine Flexibilisierung, die ausschließlich den Beschäftigten Anpassung abverlangt, kann’s ja wohl nicht sein. Flexibilisierung bedeutet auch die Möglichkeit, weniger arbeiten zu können." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606410 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606380 Coverstory: HeldInnen und Schurken Vor ein paar Jahren saß ich bei Herbert Tumpel, dem damaligen AK-Präsidenten, im Präsidentenbüro. Tumpel war ja eher der maulfaule Typ – wenn man ihn nicht gut kannte, dann wirkte er mürrisch und ein wenig seltsam. Zu viele Worte verlor er üblicherweise nicht. „Schau dir diese Zahlen an“, sagte er und fingerte an einem Stapel Dokumente herum. Dann zog er ein Blatt Papier heraus und machte dazu einen erwartungsvollen Grinser. Es war der österreichische Institutionen-Vertrauensindex, der von MeinungsforscherInnen regelmäßig erhoben wird.
    Bundesregierung, Bundesheer, katholische Kirche – das sind die Institutionen, die eher im Minus oder bestenfalls im blassen Plus liegen. Nur wenige ÖsterreicherInnen sagen von diesen Institutionen, dass sie ihnen vertrauen. Gemeinden, Polizei, Verfassungsgerichtshof folgen dann irgendwo im gehobenen Mittelfeld. Ganz an der Spitze die beiden Institutionen, denen die ÖsterreicherInnen am meisten vertrauen: Rechnungshof und Arbeiterkammer. Seither gab es ein paar Verschiebungen bei den Zahlen, aber keine großen. Heute führen Rechnungshof, Verfassungsgerichtshof und Arbeiterkammer die Liste der vertrauenswürdigsten Institutionen an. Sie sind damit etwa so beliebt wie das Rote Kreuz oder die freiwilligen Feuerwehren.
    Diese hohe gesellschaftliche Reputation der Arbeiterkammer ist erstaunlich. Denn es ist gerade einmal fünfundzwanzig Jahre her, dass das Image der AK ziemlich angekratzt war. In den Augen der Bevölkerung erschien sie als abgeschlossene Bürokratie, in der Apparatschiks ihr Unwesen trieben, deren Nutzen sich für kaum jemanden erschloss und die auch noch regelmäßig von Skandalen erschüttert war. Das Zerrbild wurde von Multifunktionären wie dem steirischen AK-Präsidenten Alois Rechberger geprägt, der sich nicht nur ein fürstliches Salär aus diversen Quellen gönnte, sondern auch noch AK-Gelder missbräuchlich für seinen Wahlkampf als SPÖ-Nationalrat verwendete – ein fetter Posten ging sogar für Zigarren drauf. AK-Funktionäre wie Rechberger oder der Kammerdirektor Zacharias wurden vom Boulevard und von dem damals aufstrebenden jungen Rechtspopulisten Jörg Haider, der die Chance sah, die AK fertigzumachen, als „Paradebonzen“ vorgeführt.

    Aber jetzt ist das anders, da sich die Arbeiterkammer in den vergangenen Jahrzehnten modernisiert hat. Weil sie das musste, schließlich war sie in den frühen Neunzigerjahren mit der Nase ziemlich hart am Trottoir aufgeschlagen. Für die hohe Reputation in der Bevölkerung sind zwei Dinge ausschlaggebend: Ein Grund ist das Servicenetz, das die AK bietet. Jeder Österreicher und jede Österreicherin weiß, dass er oder sie bei der Arbeiterkammer zu so ziemlich jedem Problem im Job oder mit Chefs verlässliche Beratung bekommt. Und auch darüber hinaus: Wenn es um Wohnungen und die Miethöhe oder den KonsumentInnenschutz geht: Die AK ist einfach der Laden, „zu dem man hingeht“. Der zweite Grund: Die AK ist politisch, aber nicht ostentativ parteipolitisch. Nach den Skandalen der 1980er- und 1990er-Jahre wurde streng darauf geachtet, dass AK-SpitzenfunktionärInnen nicht zugleich im Parlament sitzen. Das gibt den jeweiligen AK-PräsidentInnen die Glaubwürdigkeit, Forderungen an jede Regierung richten zu können, egal wer auch immer diese stellt, ohne auf schwierige Doppelrollen Rücksicht nehmen zu müssen.
    Seit vergangenem Dezember steht die Arbeiterkammer gewissermaßen wieder unter Beschuss. Es ist keine große Überraschung, dass eine solche Institution einer aggressiven rechts-ultrarechten Regierung ein Dorn im Auge ist. Erst war während der Regierungsbildung die Rede davon, die gesetzliche Mitgliedschaft der etwas mehr als drei Millionen ArbeiterInnen und Angestellten ganz abzuschaffen. Dann stand die Drohung im Raum, die AK-Umlage, also den Mitgliedsbeitrag, von durchschnittlich sieben Euro im Monat zu reduzieren. Das Ziel: Wenn die AK weniger finanzielle Mittel hat, kann sie auch weniger für ihre Mitglieder tun. Vor allem kann sie viel weniger Geld in wissenschaftliche Studien, wirtschaftspolitische Öffentlichkeitsarbeit und Ähnliches stecken. Schließlich ist die Arbeiterkammer zugleich der finanzkräftigste Thinktank links der Mitte, also die einzige Institution, die den Propagandanetzwerken des großen Geldes etwas entgegensetzen kann.
    Denn wie anders sieht es auf der Gegenseite aus: Die Netzwerke der Konservativen und Neoliberalen können auf Institutionen wie die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung, PR-Institute wie die Agenda Austria oder das Hayek Institut und viele andere Marketingfirmen bauen, die notdürftig als wissenschaftliche Institutionen getarnt sind und die die Geschäfte ihrer Geldgeber erledigen. Milliardäre halten sich ganze Fernsehsender. Vergleichbare Netzwerke haben die „normalen Leute“ keineswegs. Macht wird durch Netzwerke ausgeübt: Das ist in etwa die These des Sozialwissenschafters Harald Katzmair, der regelmäßig die Landkarte der Macht in Österreich studiert und einer „Netzwerkanalyse“ unterzieht. Gut verknotete traditionelle und konservative Eliten-Machtstrukturen, von Raiffeisen über die Banken, das Big Business, bis hin zu Thinktanks und (halb-)öffentlichen Institutionen geben hier den Ton an. Nicht nur das, sie sind auch raffinierter und skrupelloser beim Knüpfen ihrer Netze. Gegengewichte wie die Arbeiterkammer sind ihnen ein Dorn im Auge.

    Fragwürdiges Argumentarium
    Aber das ist natürlich längst nicht alles. Als Zulage haben sie sich in den vergangenen dreißig Jahren ein schönes ideologisches Argumentarium zurechtgelegt: Staatliche und öffentlich-rechtliche Institutionen seien ein Übel, wird da getrommelt. Die fragwürdigen Begründungen: Diese würden den Wettbewerb hemmen, notwendige Reformen verhindern, auf gesetzlichen ArbeitnehmerInnenrechten beharren und damit die Flexibilität behindern, die angeblich die Quelle allen Fortschritts sei. Und außerdem seien Institutionen wie die Arbeiterkammer oder auch die Gewerkschaften natürlich bürokratisch oder sonst wie rückwärtsgewandt. Blockierer! Reformverhinderer! Und wie die leeren Phrasen alle lauten.
    Diese Deregulierungsideologie hat sich in den vergangenen dreißig Jahren flächendeckend durchgesetzt. Allein mit der Wirklichkeit hat sie nicht viel zu tun. Dass Österreich ökonomisch und technologisch so gut dasteht und auch eine gut ausgebildete Bevölkerung aufweist, ist gerade auf das sozialpartnerschaftliche Institutionengeflecht und damit auch auf Organisationen wie die Arbeiterkammer zurückzuführen. Tatsächlich gibt es ja, entgegen landläufiger Meinung, eine ganze Bibliothek international vergleichender Forschung, die den Schluss nahelegt, dass korporatistisch geprägte Länder nicht erstarren, wie gerne behauptet wird. Ganz im Gegenteil, sie schneiden vielmehr besser ab als Länder, in denen eher der Konflikt regiert. Sogar Gewerkschaften, die, wie die österreichischen, auf Verhandlungslösungen und Konsens setzen, erzielen auf lange Sicht bessere Lohnentwicklungen für die Beschäftigten als Gewerkschaften, die streiklustig sind.
    Korporatistische Länder sind, grob gesprochen, solche, in denen organisierte Verbände sich Macht teilen und viele Konflikte am Verhandlungstisch lösen. Es sind also jene, in denen nicht der reine individualistische Kampf, jeder gegen jeden, herrscht; in denen nicht das Prinzip „hire and fire“ regiert; in denen die Lohnfindung nicht im Betrieb stattfindet und auch nicht in regelmäßigen Arbeitskämpfen. Vielmehr sind es jene, in denen viel am grünen Tisch erledigt wird und in denen es dafür stabile Organisationen gibt. Je mehr solche Verbände, umso korporatistischer.

    Wie eine Wundertüte
    Immer wieder werden in internationalen Studien verschiedene Ländertypen verglichen. Länder, die eine besonders ausgeprägte korporatistische Struktur haben wie Österreich oder die Niederlande; Länder, die kaum solche Strukturen aufweisen, von den USA bis Griechenland; und Länder, die dazwischenliegen wie Deutschland oder Portugal. In den Ländern mit korporatistischer Sozialpartnerschaft liegt die Arbeitslosenquote unter dem Durchschnitt, die Reallohnzuwächse darüber, die Niedriglohnsegmente sind kleiner, das Wirtschaftswachstum und die Produktivität liegen über dem Durchschnitt. Und auch die Ungleichheit ist, zumindest bei den Einkommen, geringer (neben der Einkommens- und der Lohnungleichheit gibt es ja auch noch die Vermögensungleichheit). Also, noch einmal kurz: Arbeitslosigkeit niedrig, Löhne eher hoch, Wachstum und Produktivität ebenso. Eine Wundertüte gewissermaßen.
    Daraus folgt aber etwas Wichtiges: Institutionen, die ArbeitnehmerInneninteressen stärken, sind daher nicht nur als „Interessenvertretung“ wichtig, also aus Gerechtigkeitsgründen. Vielmehr haben sie auch eine allgemein positive Wirkung: Sie ermöglichten erst die Entstehung einer breiten Mittelschicht und garantieren, dass diese Mittelschicht nicht erodiert. Sie stabilisieren die Löhne und damit die Konsumnachfrage, und tragen zum Produktivitätswachstum bei, weil das Management von Unternehmen schwerer auf Lohndumping als „Erfolgsstrategie“ setzen kann.

    Wichtige Gegenmacht
    Das wirft freilich die Frage auf, warum die VertreterInnen des Big Business und deren Marionetten – mögen die Sturz, Krache oder sonst wie heißen – so gegen Institutionen wie die Arbeiterkammer sind. Denn wenn eher auf Ausgleich und starke Interessenvertretungen basierende Länder als Ganzes erfolgreicher sind als weniger korporatistische Länder, dann haben ja alle davon Vorteile, logischerweise auch die Unternehmen.
    Eine Antwort wäre: Solche Institutionen versperren der Kapitalseite den einfachen Weg zum Erfolg – nämlich den Weg der krassen Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die alles mit sich machen lassen müssen. Und sie sind eine Gegenmacht, derer man sich gerne entledigen würde – weil es einfach bequemer ist, schalten und walten zu können, wie man mag. Ökonomisch mächtige und privilegierte Gruppen haben ein recht simples Ziel: „So viel Geld wie möglich anzuhäufen und ihre Macht so wenig wie möglich einschränken zu müssen“, so der Star-Ökonom James K. Galbraith.
    Wahrscheinlich ist es noch krasser: In Ländern mit Verbänden, die für Machtbalance sorgen, kann man Staat und Gesellschaft nicht einfach plündern. Aber genau darauf ist eine Kaste aus Raubrittern aus. Ein Beispiel sind die in den vergangenen Jahrzehnten so populären Privatisierungen. Diese wurden schließlich mit einem ähnlichen ideologischen Instrumentarium wie die Deregulierung begründet: Öffentliche Unternehmen seien „ineffizient“, staatliche Aktivität im Wirtschaftsleben würde die Märkte verzerren etc. Die Erfahrung, nicht zuletzt aus der ersten schwarz-blauen Regierung, zeigt aber, dass die Sache sehr viel simpler ist: Privatisierungen geben Raubrittern und ihren Netzwerken die Möglichkeit, den schnellen Schnitt zu machen und öffentliches Vermögen auszuplündern. Privatisierung ist oft nur ein geschöntes Wort für raumfüllende Korruption.
    Gegenmacht zu den Machtnetzwerken der wirtschaftlich Privilegierten ist dann am effektivsten, wenn sich möglichst viele Menschen zusammentun – und natürlich dann, wenn diese Gegenmacht staatlich institutionalisiert ist. Die etablierten Machteliten, denen das gegen den Strich geht, können aber natürlich nicht offen rausposaunen: „Wir wollen ungestört unsere Dominanz ausüben und sonst soll niemand etwas zu sagen haben, sondern nur buckeln.“ Deshalb haben sie sich eine Reihe von ideologischen Propagandainstrumenten zurechtgelegt, die der Bevölkerung den Abbau von Institutionen der Gegenmacht schmackhaft machen sollen.
    Neben dem „Blockierer-Vorwurf“ und dem Gelaber von der Deregulierung ist das vor allem ein pervertierter Individualismus. In der Arbeitswelt von heute brauche es doch keine kollektiven Institutionen mehr, wird behauptet. Nicht nur die Unternehmen würden heute miteinander in Konkurrenz stehen, sondern auch die Beschäftigten. In der Leistungsgesellschaft (auch so eine gern missbrauchte leere Worthülse) habe es doch jeder und jede selbst in der Hand, aus dem eigenen Leben etwas zu machen. Wer täglich an sich arbeitet und von früh bis spät dem Wettbewerb huldigt, zu dem das Leben geworden ist, ist unverzichtbar und kann sich seine Arbeitsbedingungen selbst aussuchen. Urlaubsregelungen, Arbeitszeit und Lohnniveau verhandelt man am besten mit dem Chef oder der Chefin auf Betriebsebene aus. Und RichterInnen werden wir keine brauchen.

    Wunsch nach mehr Solidarität
    Für einige Zeit hatte diese betörende Geschichte tatsächlich eine gewisse Wirkung. Heute macht sich aber Katerstimmung breit: Die meisten Menschen haben eher das Gefühl, dass es wieder Zeit für mehr Solidarität ist, weil mit dem Götzendienst am Extremindividualismus einfach ein krankes System geschaffen wurde. Ein System, in dem die Menschen viel zu oft das Gefühl haben, am Ende elementar auf sich allein zurückgeworfen zu sein. Simpel gesagt: Auch deshalb wissen heute viele Menschen wieder, was wir an Institutionen wie der Arbeiterkammer haben.
    Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass die Regierungsseite ihre Angriffe auf die Arbeiterkammer genau planen wird. Sie wird diese nicht frontal angreifen, denn dazu ist die AK zu populär. Sie wird erst einmal versuchen, die Glaubwürdigkeit der Arbeiterkammer anzugreifen. Sie wird da und dort Geldverschwendung unterstellen, vielleicht irgendwelche Geschichten mit dem Fuhrpark erfinden, die Frage aufwerfen, ob die Kammer denn wirklich so viel Führungspersonal benötigt. Und sie wird all das mit einem Mischmasch an Fake-News verrühren, denn wie wir alle im vergangenen Jahr mitbekommen haben, sind Fakten und die Realität für diese Regierung nicht einmal ungefähre Richtwerte. Selbst der Bundeskanzler hat behauptet, dass die Arbeiterkammer die Reisekosten zur ÖGB-Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag übernommen hat – und das nur wenige Tage bevor er einfach verlautbarte, der „Financial Times“-Redakteur, der seine Regierung „far right“ („weit rechts“) nannte, habe sich entschuldigt. Beides war, wie bekannt wurde, einfach erfunden.

    Verständlich und salopp
    Die Arbeiterkammer tut gut daran, ihre Kommunikationsstrategie darauf einzustellen: in einer modernen Sprache zu sprechen, die alle verstehen. Auch ausreichend salopp. Und zu personalisieren: Die Arbeiterkammer hat großartige Expertinnen und Experten, die sich täglich in der Beratung und der Rechtsvertretung für die Mitglieder einsetzen. Diese Leute gehören vor den Vorhang. Einfach, weil eine gute Geschichte immer mit Personen zu tun hat: Opfern, HeldInnen, Schurken. Die geprellten ArbeitnehmerInnen sind die Opfer, die Unternehmen, die Gesetze nicht einhalten, die Schurken – und die AK-MitarbeiterInnen, die die Rechte der Opfer durchsetzen, sind die HeldInnen. Heldengeschichten erzählt man immer noch besser mit Personen in der Hauptrolle, die aus der Anonymität der Institution hervortreten.
    Spricht man mit GewerkschafterInnen und progressiven PolitikerInnen aus anderen Ländern, wird sehr oft mit Bewunderung auf die Institution einer gesetzlichen Interessenvertretung geblickt. Oft aber wird dann die Frage nachgeschoben: Tritt damit die Arbeiterkammer nicht in Konkurrenz zu den Gewerkschaften? Denn: Vertretung und Beratung im arbeitsrechtlichen Einzelfall sind auch wichtige Elemente gewerkschaftlicher Arbeit. Wer sie benötigt, braucht aber keine Gewerkschaften, weil er bei der AK mindestens genauso gute Hilfe erhält. Nun könnte man daraus folgern, dass die Gewerkschaften ein Problem bekommen, wenn eine gesetzliche Interessenvertretung einen Teil ihres Jobs erledigt. In der Realität spielt das aber praktisch keine große Rolle. Gewerkschaften agieren auf betrieblicher Ebene, was die AK nicht tut. Das Rückgrat der Gewerkschaften sind die Betriebsräte. Die Tarifpolitik ist Sache der Gewerkschaften, die AK hat damit nichts zu tun. Es ist ein Dreieck, in dem alle Akteure eine wichtige Funktion erfüllen.
    Ist all das altmodisch oder überholt in einer Welt der Ego-Ideologie und des Ich-tums? Das versucht uns die herrschende Ideologie einzureden: dass weniger Solidarität irgendwie mehr wäre – mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung. Jetzt haben wir eine Bundesregierung, die Sprachrohr dieser Herrschaftsideologie ist, sie auch noch mit Ressentiments und Nationalismus verrührt und jede Gegenmacht am liebsten ausmerzen würde.
    Herbert Tumpel ist mittlerweile längst in Pension, auch sein Nachfolger schon und neuerdings residiert mit Renate Anderl eine Frau im Präsidentenbüro (erst das zweite Mal in der Geschichte der AK steht eine Frau an der Spitze).
    Aus den oberen Etagen der AK-Zentrale, vis-à-vis vom Belvedere, hat man einen packenden Blick auf Wien. Alles sieht von hier oben aus wie immer – die Stadt, die ein bisschen verschlafen wirkt. Menschen, die ihren Geschäften nachgehen. Alles wie gewohnt. Menschen, mit ihrem eigenen Leben. Man kann hier in Gedanken versinken und sich daran erinnern, dass jede Person ihre eigenen Sorgen hat, sich durchkämpft durchs Leben, gegen Widrigkeiten und für ein bisschen Glück. Jede/r ein wenig für sich. Aber in einer guten Gesellschaft doch nicht auf sich allein gestellt.
    Und was man auch weiß: Die nächsten Jahre werden keine Kaffeefahrt.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor robert@misik.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Text: Robert Misik Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606350 Gewerkschaften, Betriebsräte und AK: zu viel des Guten? Ganz im Gegenteil, es ist ein Dreieck, in dem alle Akteure eine wichtige Funktion erfüllen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606355 Die Arbeiterkammer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm modernisiert und ist zu dem Laden geworden, "zu dem man hingeht". http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606360 Die Arbeiterkammer hat großartige MitarbeiterInnen, die sich täglich in der Beratung und der Rechtsvertretung für die Mitglieder einsetzen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606338 Standpunkt: Zum Unbequem-Sein ist sie da Ob man als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin ein Problem am Arbeitsplatz hat. Ob bei der Miete etwas nicht stimmt. Ob beim Arbeitslosengeld oder bei Familienleistungen etwas nicht stimmt. Ob bei einem Einkauf etwas schiefgelaufen ist. Ob … Die Liste der Leistungen, die man in der AK in Anspruch nehmen kann, ist lang. Aber nicht nur über die Serviceleistungen erhalten die AK-Mitglieder Unterstützung: Die Einrichtung ist deren demokratisch gewählte Vertretung. Sie vertritt deren Interessen auf vielerlei Ebenen und hat auch bei der Gesetzgebung ein Auge darauf, dass die Beschäftigten keine Nachteile erfahren.

    Finger in die Wunden
    Somit ist die Arbeiterkammer eine unbequeme Akteurin für jene, die den Interessen von Wirtschaft, GroßverdienerInnen und Vermögenden den Vorrang geben wollen. Immer wieder legt die AK ihre Finger in Wunden der Gesellschaft: angefangen mit der völlig inakzeptablen sozialen Selektion im Bildungssystem über die Gestaltung des Sozialstaats bis hin zur gerechten Verteilung von Budgetmitteln.
    Der harte Kurs, den die Regierung  in den vergangenen Monaten durchgezogen hat, mag manche überrascht haben. Umso wichtiger ist es, dass sich ArbeiterInnen und Angestellte, aber auch atypisch Beschäftigte darauf verlassen können, dass die Arbeiterkammer dagegenhält. Bei ihren Angriffen auf die AK ziehen die Regierung und ihre Verbündeten wieder völlig verstaubte Vorwürfe aus dem Hut. Dass etwa der Vorwurf, die AK sei eine völlig verstaubte Einrichtung, jeglicher Grundlage entbehrt, weiß jeder und jede, der/die einmal bei der Beratung war, bei einer Veranstaltung, in der Bibliothek, oder der/die von der AK gegenüber Arbeitgebern, Behörden oder Gericht vertreten wurde. Die AK beweist immer und immer wieder, dass sie sich aktuellen Entwicklungen stellt und Debatten vorantreibt. Das war bei den bereits erwähnten atypischen Beschäftigungen der Fall. Das ist bei der Digitalisierung der Fall.
    Und dann ist da noch ein Vorwurf: Die AK sei eine Krake, die sich ungefragt überall einmische. Ja, sie erdreiste sich gar, den Fortschritt zu hemmen. Erstens: Sie mischt sich keineswegs ungefragt ein, wie der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz in seinem sehr lesenswerten Beitrag ausführt. Zweitens: Was als Fortschritt angesehen wird, ist eine Frage der Perspektive. Die AK versteht jedenfalls nicht darunter, dass man zu allem, was die Wirtschaft will, ja und amen zu sagen hat. Von der Basis her wissen die ExpertInnen und FunktionärInnen der AK sehr gut darüber Bescheid, wo den ArbeitnehmerInnen der Schuh drückt. Auch in der A&W haben wir etwa wiederholt thematisiert, dass die Beschäftigten unter dem Druck der Arbeitswelt ächzen und bisweilen zusammenzubrechen drohen. Von der AK zu verlangen, dass sie dies ignoriert und die neuen Arbeitszeitregeln einfach so akzeptiert, hieße von ihr zu verlangen, eben jene Menschen und ihre Bedürfnisse zu ignorieren, von denen sie gewählt wurde. Und die von ihr auch legitimerweise erwarten, dass sie ihre Interessen vertritt und im Zweifel auch für sie kämpft. 

    Für die Menschen gut
    Für mein Empfinden könnte die AK gerne einen Tick kämpferischer sein, aber vielleicht hat sie ja durchaus recht mit ihrem pragmatischeren Kurs. Immerhin ist auch Österreich in der Vergangenheit deutlich besser damit gefahren, Konflikte sozialpartnerschaftlich zu lösen. So gut sogar, dass die Sozialpartnerschaft als positiver Standortfaktor gesehen wird. Voraussetzung dafür, dass man dies auch so sieht, ist freilich, dass der Standort nicht nur für die Unternehmen gut sein soll, sondern auch für die Menschen, die tagtäglich ihre Arbeitskraft einsetzen. Dem Trend entgegenzuhalten war für die AK schon bisher nicht leicht, und es wird noch herausfordernder werden. Dranbleiben muss sie aber. Dazu wird sie von den Beschäftigten gewählt. Dazu ist sie da.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606324 Historie: Ein Anspruch, nicht mehr zu bestreiten Das Arbeiterkammergesetz (AKG) vom Februar 1920 war – neben dem Betriebsrätegesetz und dem Kollektivvertragsgesetz – ein Teil des revolutionären „Arbeitsrechtspakets“ der Gründungsjahre der österreichischen Republik. Die Errichtung von Arbeiterkammern war während der vorherigen Jahrzehnte immer wieder zur Diskussion gestanden, zuletzt noch während des Ersten Weltkriegs. Jedoch hatten die meisten dieser Vorschläge einen großen Schönheitsfehler: Die gesetzliche Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen sollte der Vertretung der UnternehmerInnen nicht gleichwertig und/oder nicht wirklich unabhängig sein. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des AKG 1920 verwiesen darauf:
    Noch während der Kriegszeit konnte, unter dem Einflusse der Pläne der deutschen Reichsregierung, auch in Österreich ernstlich die Frage erörtert werden, ob es nicht zweckmäßig wäre, in sogenannten Arbeiterkammern einen aus Unternehmern und Arbeitern gleichmäßig zusammengesetzten Vertretungskörper zu schaffen.

    Dem Demokratieverständnis der Republik entsprachen solche „ständischen“ Konzepte nicht mehr, wie den Erläuterungen weiter zu entnehmen ist:
    Inzwischen hat die Auffassung über das Mitbestimmungsrecht der Arbeiterschaft im Wirtschaftsleben eine so tiefgehende Änderung erfahren, dass der Vorschlag … wohl endgültig der Vergangenheit angehört und dass … auch der Anspruch der Arbeiter auf geeignete, durch Gesetz organisierte Körperschaften … nicht mehr bestritten werden kann.

    Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Errichtung von Arbeiterkammern als Teil des Gleichberechtigungsprogramms für alle BürgerInnen, auch für jene mit weniger (Finanz-)Macht und Einfluss. Sie wurden als Voraussetzung für ein sozialpartnerschaftliches Politikmodell betrachtet, das in weiterer Folge auch die Landwirtschaft einbeziehen sollte:
    Es handelt sich darum, für die … Arbeiter und Angestellten Kammern zu schaffen, die den entsprechenden Kammern der gewerblichen Unternehmer nicht nur völlig gleichwertig, sondern auch in ihrem Wirkungskreise und in ihrer Organisation derart ähnlich gestaltet sind, dass ein Zusammenwirken der beiderseitigen Körperschaften bei Lösung wichtiger Aufgaben der wirtschaftlichen Verwaltung ohne Schwierigkeiten möglich ist. Werden späterhin … auch für die Unternehmer und Arbeiter der Landwirtschaft entsprechende Einrichtungen geschaffen, so sind alle Voraussetzungen gewonnen, um neben den auf breiter demokratischer Grundlage beruhenden gesetzgebenden Körpern der erwerbstätigen Bevölkerung eine besondere … Teilnahme an der wirtschaftlichen Verwaltung zu sichern. Unter diesen Umständen ist die Errichtung von Arbeiterkammern nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkte ihres nächstliegenden Zweckes, sondern ebenso sehr im Hinblicke auf die Eingliederung der neuen Organisation in den beabsichtigten Neubau der wirtschaftlichen Verwaltung zu würdigen.

    Das AK-Gesetz erhielt die Zustimmung aller Parteien, aber das sozialpartnerschaftliche Politikmodell blieb auf dem Papier. Ab Herbst 1920 bestimmten zunehmend jene Machteliten die Politik, die so etwas wie eine „autoritäre Demokratie“ anstrebten und damit die Demokratie auf sozialstaatlicher Grundlage infrage stellten.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606318 Sonderbriefmarke aus dem Jahr 1995: Damals wurde die Existenz der AK erstmals nach 1945 infrage gestellt. Eine Mitgliederbefragung ergab das Gegenteil! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 10 Sep 2018 00:00:00 +0200 1536285606303 Die Arbeiterkammer leistet mehr, als sie kostet Pro Jahr gibt es 2.000.000 Beratungen durch 2.700 Expertinnen:

    • Arbeit, Soziales & Insolvenz: 1.338.000 Beratungen
    • Konsumentenschutz: 390.000 Beratungen
    • Steuerrecht: 211.000 Beratungen
    • Bildung: 44.000 Beratungen

    Für jeden Euro Mitgliedsbeitrag holt die AK für ihre Mitglieder mehr als einen Euro an barem Geld retour:

    • 77,13 Mio. Euro Arbeitsrecht
    • 229 Mio. Euro Sozialrecht
    • 143,1 Mio. Euro Insolvenzrecht
    • 11,64 Mio. Euro Konsumentenschutz
    • 41,22 Mio. Euro Steuerrecht
    • 5 Mio. Euro Bildungsgutschein

    Statistiken dazu und noch viel mehr Fakten gibt es informativ und übersichtlich zum Downloaden.

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    Arbeit&Wirtschaft 7/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1536285606286 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 13 Aug 2018 00:00:00 +0200 1534125624576 Wirtschaft zum Wohle der ArbeitnehmerInnen gestalten! Auch wenn der ÖGB momentan mit einer Regierung konfrontiert ist, die Österreich mit dem 12-Stunden-Tag und der Schwächung der Sozialversicherung zurück in die Vergangenheit treiben will, hatte der Bundeskongress ein zukunftsweisendes Motto: „Faire Arbeit 4.0 – vernetzt denken, solidarisch handeln“. „Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten. Wir wollen sie auch gar nicht aufhalten. Die Gewerkschaften haben die Aufgabe, den digitalen Wandel zum Wohle der arbeitenden Menschen zu gestalten – und zwar in den Betrieben und Dienststellen, in allen Branchen der Wirtschaft sowie in Politik und Gesellschaft“, sagte Erich Foglar in seiner letzten Rede als ÖGB-Präsident.
    Dawn Gearhart von der US-Gewerkschaft Teamsters kämpft unter anderem für die Rechte der Uber-FahrerInnen – mit ersten Erfolgen, denn es wird etwa an einem Kollektivvertrag für PlattformarbeiterInnen gefeilt. „Die meiste Angst haben diese Konzerne davor, dass sie die MitarbeiterInnen als Menschen, die eigene Interessen haben, anerkennen müssen“, sagte Gearhart beim ÖGB-Bundeskongress. Dass es bei Plattformanbietern immer wieder zu Gesetzesbrüchen komme, sei weder Zufall noch Versehen: „Wenn der Staat nämlich dann reagiert, können die Konzerne das als einen Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit deklarieren.“
    Wie schwierig die Rechte für ArbeitnehmerInnen bei Plattformanbietern durchzusetzen sind, zeigte auch Robert Walasinski, Betriebsrat beim Essenslieferservice Foodora, auf: „Bei uns gibt es noch nicht einmal einen Kollektivvertrag. Wir müssen an der Basis kämpfen – etwa um Feiertagsentgelte und korrekte Krankenstandsabrechnungen.“
    „Wo Arbeitsprozesse immer kleinteiliger werden, heißt es aufpassen“, sagte Verena Spitz vom Bawag-PSK-Betriebsrat. Sie habe bereits beobachtet, dass auch im hoch qualifizierten Bereich Arbeitsschritte automatisiert wurden und oftmals das „Bauchgefühl erfahrener MitarbeiterInnen durch Algorithmen ersetzt worden ist“.
    Um die Bedürfnisse der Menschen in der Arbeitswelt der Zukunft ging es auch im Grundsatzprogramm, das die Delegierten für die kommenden fünf Jahre beschlossen haben. „Alle, die von einem Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig sind, sollen auch von Arbeitsrecht und Kollektivverträgen geschützt sein. Der Umgehung des Arbeitsrechts und der Scheinselbstständigkeit sagen wir mit unserem Forderungsprogramm den Kampf an“, sagte Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB.
    Die Definition des Arbeitsvertrags geht auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Achitz: „Der geltende ArbeitnehmerInnenbegriff orientiert sich am klassischen Industriebetrieb, er kann aber die Gestaltungsfragen der geänderten Arbeitswelt nicht mehr angemessen beantworten.“ Technologische Möglichkeiten werden bewusst missbraucht, um arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Lücken auszunutzen. „Da das Arbeitsrecht die Unterlegenheit des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin gegenüber dem Arbeitgeber durch rechtliche Mindeststandards ausgleichen soll, muss der Gesetzgeber in vielen Bereichen tätig werden. Und auch die betriebliche Mitbestimmung muss an die veränderte Wirtschaft angepasst werden.“

    Alle Infos zum Bundeskongress sowie das ÖGB-Grundsatzprogramm als Download:
    www.bundeskongress.at

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    Florian Kräftner, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624537 "Wenn sie glauben, es geht ohne die ArbeitnehmerInnen, dann säen sie Wind und werden dafür Sturm ernten." AK-Präsidentin Renate Anderl http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624556 Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB (Bild links) und Erich Foglar, Ehrenpräsident des ÖGB. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624548 "Die Solidarität des ÖGB mit Gewerkschaften, die für Frieden, Demokratie und ArbeitnehmerInnenrechte sowie gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und sinnlose Privatisierungen eintreten, ist weltweit legendär." Sharan Burrow, IGB-Generalsekretärin http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 13 Aug 2018 00:00:00 +0200 1534125624568 Gebündelte Kräfte für ein gutes Leben „Wir sind eine selbstbewusste Gewerkschaftsbewegung, und wir werden alles tun, alle unsere Kräfte bündeln, um die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein gutes Leben möglich ist“, sagte Wolfgang Katzian, gleich nachdem er am 14. Juni zum ÖGB-Präsidenten gewählt worden war. „Wir kämpfen dann, wenn es notwendig ist und wenn es nicht erwartet wird – und dort, wo es besonders effektiv ist. Wir haben oft genug bewiesen, dass wir das können!“

    Die Mobilisierungsstärke des ÖGB war dann schneller gefragt als erwartet, denn kaum war der 19. ÖGB-Bundeskongress mit Katzians Wahl abgeschlossen, gab die Bundesregierung ihre Interpretation von „Arbeitszeitflexibilisierung“ bekannt: 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche waren in einem Gesetzesantrag vorgesehen. Innerhalb von knapp zwei Wochen stellte der ÖGB eine Großdemonstration auf die Beine, zu der sich mehr als 100.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz versammelten.
    Katzian, bisher Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier, hätte neue Regelungen für die Arbeitszeit lieber auf Ebene der Sozialpartnerschaft verhandelt, als von der Regierung auf Konfrontationskurs gezwungen zu werden. „Wir stehen jedenfalls dafür, das Gemeinsame über das Trennende zu stellen. Wir sind gesprächs- und verhandlungsbereit, aber das funktioniert nur, wenn man mit uns auf Augenhöhe redet. Wenn nicht, müssen wir uns anders Gehör verschaffen. Es gibt klare Grenzen der Zumutbarkeit. Weil häkeln können wir uns selber“, so der neue ÖGB-Präsident.
    Die Ausweitung der Arbeitszeit war nicht der einzige Plan der Regierung, der beim Kongress im Austria Center Vienna von den Delegierten heftig kritisiert wurde. Katzian erinnerte an die roten Linien, die von RegierungspolitikerInnen zuletzt überschritten wurden: „Eine leistungsstarke, selbstverwaltete Sozialversicherung, kein Hartz IV, kein genereller 12-Stunden-Tag, die Stärkung der Kollektivverträge bei der Gestaltung der Arbeitszeit sowie der Erhalt des Jugendvertrauensrats und der finanziellen Ausstattung der Arbeiterkammern.“ Auch Katzians Vorgänger Erich Foglar sagte in seiner Rede: „Noch nie gab es in der Zweiten Republik eine Regierung, die so klar und ungeniert eine Regierung der Industriebosse und ihrer Wünsche ist und so gar nichts für die Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Sozialpartnerschaft übrighat.“ Foglar wurde per Akklamation zum Ehrenpräsidenten des ÖGB ernannt.

    Regierung spärlich vertreten
    Während es bei früheren ÖGB-Kongressen selbstverständlich war, dass neben zahlreichen MinisterInnen auch die Regierungsspitze der Einladung als Ehrengäste nachgekommen sind, war diesmal alles anders: Kanzler und Vizekanzler ließen sich nicht blicken, zur Eröffnung kam nur Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck. Inhaltlich wollte sich nur Sozialministerin Beate Hartinger-Klein einbringen, die am Tag nach der Eröffnung zum Kongress gekommen ist. „Gute Arbeit muss gut bezahlt und menschengerecht sein, wir brauchen Bildung und Qualifizierung. Arbeit muss tariflich geschützt sein, und sie muss selbst- und mitbestimmt sein“, sagte sie in ihrer Rede. „Wir brauchen künftig auch neue Formen der Mitbestimmung“, verwies sie auf neue Arbeitsformen wie Crowdwork und Outsourcing.
    Zur Debatte rund um die Sozialversicherungen meinte Hartinger-Klein: „Es ist mein Ansinnen, hier die gleichen Leistungen für gleiche Beiträge zu gewährleisten.“ Bei der AUVA wolle sie „eine gewisse Effizienz hinterfragen“. Für diese Ankündigung erntete die Ministerin laute Pfiffe der Anwesenden. Auf mehr Zustimmung stieß ihre Zusicherung, dass die Beitragserhebungen bei den Sozialversicherungen bleiben werden. Hartinger-Klein betonte zudem: „Neue Selbstbehalte sind für mich kein Thema!“ Kritisiert wurde wiederum die geplante Kassenreform: „Wem gehört die Sozialversicherung? Sie gehört keiner Regierung, sie gehört den Versicherten! Wir lassen uns diese Errungenschaft nicht wegnehmen!“, zeigte sich OÖGKK-Vorsitzender Albert Maringer kämpferisch.
    Hartinger-Klein bekräftigte erneut, dass sie den Jugendvertrauensrat abschaffen will. Dafür erntete sie prompt eine Mahnung der Gewerkschaftsjugend: „Wer den Jugendvertrauensrat abschafft, betreibt gezielten Demokratieabbau. Damit will man junge ArbeitnehmerInnen offensichtlich mundtot machen. Nicht mit uns!“, warnte ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer. Mit verklebten Armen und Mündern haben sich JugendgewerkschafterInnen während der Rede der Sozialministerin direkt vor ihr positioniert.

    Deutlich mehr Unterstützung als von der Regierung erhielt der ÖGB von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. „Gäbe es die Gewerkschaften nicht, man müsste sie erfinden“, sagte er in seiner Eröffnungsrede, und lobte den Einsatz der „vielen tausend Menschen, die sich täglich für andere engagieren. Dafür sag ich Danke.“ Auch die Sozialpartnerschaft wird von ihm hoch geschätzt: „Ich kann mich noch erinnern, wie das vor der Sozialpartnerschaft war, an Zeiten, die von bitterster Armut geprägt waren. Es wäre besser, den bewährten Weg der Sozialpartnerschaft weiter zu gehen.“
    Für faire Bedingungen braucht es jedenfalls starke Gewerkschaften. Mehr Menschen als je zuvor sind bereit, etwas für ihre Zukunft zu tun. Derzeit hat der ÖGB 1,2 Millionen Mitglieder, Tendenz steigend, und so müsse es auch weitergehen, so der neue ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: „Da ist noch Luft nach oben.“ Dabei müssen auch neue Wege beschritten werden: „Wir werden uns öffnen“, kündigte Katzian an, „wir werden unsere Strukturen weiterentwickeln, aber wir achten auf die Balance zwischen Bewährtem und Neuem. Basis unseres Tuns bleiben unsere Mitglieder. Ihre Träume, ihre Sorgen und Lebensrealitäten bleiben Mittelpunkt unserer Arbeit.“

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    Rund 500 Delegierte haben im Rahmen des ÖGB-Bundeskongresses 2018 vom 12.–14. Juni 2018 im Austria Center Vienna das politische Programm sowie die Statuten des ÖGB beschlossen. Wolfgang Katzian (61) wurde zum ÖGB-Präsidenten gewählt, Korinna Schumann und Norbert Schnedl zu seinen StellvertreterInnen. Auch der ÖGB-Vorstand wurde neu gewählt.

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    Florian Kräftner, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624516 "Gäbe es keine Gewerkschaften, müsste man sie erfinden." Bundespräsident Alexander Van der Bellen http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624521 "Wir werden alle unsere Kräfte bündeln, damit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein gutes Leben möglich ist!" http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624529 Die Gewerkschaftsjugend nutzte die Rede von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein für eine Protestaktion. Sie brachten ihren Unmut über die Pläne der Ministerin zum Ausdruck, den Jugendvertrauensrat abzuschaffen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 13 Aug 2018 00:00:00 +0200 1534125624469 Der Wind weht von rechts Neonationalistische Rechtsparteien haben in der letzten Zeit viel publizistische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. Weniger gilt das für ihre Sozialpolitik – und das, obwohl neonationalistische Parteien programmatisch sozialpolitischen Fragen einige Bedeutung beimessen und auch in ihrer Regierungspraxis auf diesem Feld Akzente gesetzt haben.

    Unterschiedliche Regierungspraktiken
    Diese gibt sehr gut Aufschluss über die sozialpolitischen Vorstellungen des Neonationalismus – mehr als die bloßen programmatischen Stellungnahmen, die oftmals anderes versprechen, als dann in der Praxis umgesetzt wird. Sehr gut lässt sich dies an drei Ländern beobachten, in denen neonationalistische Kräfte eine prägende Rolle spielen: In Belgien drückt die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) als flämisch-nationalistische Formation der Regierung stark ihren Stempel auf. Diese Partei ist stark neoliberal orientiert. In Ungarn zeigt die Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban eine Mischung aus neoliberalen und nationalkonservativen Elementen, während die polnische Prawo i Sprawiedłiwość (PiS) stark nationalkonservativ geprägt ist.
    In Belgien regiert eine Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und der flämisch-nationalistischen N-VA. Das Land weist eine stark sozialpartnerschaftliche Prägung auf, wobei die N-VA nicht mit dem System der Sozialpartnerschaft verflochten ist. Die Partei fällt durch besonders gewerkschaftskritische Positionen auf. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik orientiert sie sich stark an den Forderungen des flämischen Unternehmerverbandes VOKA.
    Bislang hat die belgische Koalition den institutionellen Kern der sozialpartnerschaftlichen Institutionen nicht angegriffen, sie hat allerdings neoliberale Tendenzen deutlich vertieft. Zu den zentralen Forderungen von VOKA hatte die Flexibilisierung der Arbeitszeit gehört. Während 2003 noch eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 38-Stunden-Woche eingeführt worden war, ermöglicht das neue Arbeitszeitgesetz eine Erhöhung der Arbeitszeit. Die Obergrenzen wurden auf neun Stunden pro Tag und 45 Stunden in der Woche erhöht, der Durchrechnungszeitraum verlängert.
    Bei der Arbeitslosenversicherung hatte bereits die Vorgängerregierung unter dem sozialistischen Premier Elio di Rupo, eine strukturelle Verschlechterung vorgenommen, beispielsweise wurde das Arbeitslosengeld degressiv gestaltet. Die aktuelle Regierung unter Premier Charles Michel hat weitere Verschärfungen vorgenommen, besonders wurde der Druck auf ältere Arbeitslose verschärft.
    Eine weitere sozialpolitische Priorität hatten die Pensionen: Das Pensionsantrittsalter wird bis zum Jahr 2030 schrittweise von 65 auf 67 Jahre erhöht, der Zugang zur Frühpensionierung wurde erschwert. Die Bedingungen für die Anerkennung von Zeiten, in denen nicht gearbeitet worden ist, wurden verschärft.
    Wohlfahrt für die Wohlhabenden: Mit diesen Worten charakterisiert die ungarische Sozialstaatsexpertin Dorottya Szikra die Sozialpolitik der seit 2010 amtierenden Fidesz-Regierungen. Wirtschaftspolitisch fördert die Regierung einerseits den Aufstieg parteinaher Unternehmer etwa in Banken, Medien oder Bauwirtschaft. Anderseits setzt sie auf Auslandskapital in der Exportindustrie. Ansonsten ist Fidesz an der (oberen) Mittelklasse orientiert.
    Aus der Transformation sind die ungarischen Gewerkschaften geschwächt hervorgegangen. Das System der sozialpartnerschaftlichen Organisationen war bereits in den Jahren bis 2010 nicht besonders stark. Die Fidesz-Regierungen haben es mehrfach umgebaut, verwässert und geschwächt. Zudem haben sie die Arbeitsbeziehungen – einschließlich der Arbeitszeitregelungen – massiv zulasten der ArbeitnehmerInnen flexibilisiert. Die Arbeitsbedingungen für Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene wurden deutlich verschlechtert.

    Problematische Kürzungen
    Besonders starke Einschnitte nahm die Regierung in der Arbeitslosenversicherung vor: Die maximale Bezugsdauer für Arbeitslosengeld wurde von neun auf drei Monate reduziert – dies ist die kürzeste Bezugsdauer in der EU. Gleichzeitig wurde die Gewährung von Sozialhilfe an die Beteiligung an öffentlichen Arbeitsprogrammen geknüpft. Diese wurden stark forciert. Als eine Brücke für die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erwiesen sich diese Arbeitsprogramme allerdings nicht. Diverse Initiativen entwickelte die Fidesz-Regierung zur Kriminalisierung von Obdachlosen.
    Bei den Pensionen machte die Regierung die teilweise in der Vergangenheit erfolgte Privatisierung der Pensionsversicherung wieder rückgängig. Zwar wurde dadurch die Abhängigkeit von den Kapitalmärkten gemindert, die Hauptmotivation dafür war aber budgetär. Frühpensionen wurden stark gekürzt, zahlreiche Personen mit Berufsunfähigkeitspensionen wurden in das schlecht dotierte Sozialhilfesystem und das System öffentlicher Arbeiten gedrängt.
    Entsprechend ihrer nationalkonservativen Orientierung baute die Fidesz-Regierung die Familienpolitik aus. Hier führte sie Steuererleichterungen ein, die vor allem auf besser Verdienende ausgerichtet sind. Trotz der ultrakonservativen Orientierung bei Genderfragen hat die Fidesz-Regierung ein Karenzmodell entwickelt, das zumindest gut verdienende Frauen nicht von einer relativ frühen Rückkehr an den Arbeitsplatz abhält.

    Nationalkonservative Akzente
    In Polen regiert die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS unter Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Diese Regierung zielt zwar auch auf die Stärkung des einheimischen Kapitals ab, versucht aber eine deutlich breitere soziale Basis aufzubauen als Fidesz in Ungarn. Anders als die meisten neonationalistischen Parteien in der EU haben die politischen VertreterInnen des Nationalkonservatismus enge historische Bindungen zur Gewerkschaftsbewegung Solidarność – auch im Unterschied zur liberalen Vorgängerregierung, unter der das Verhältnis zwischen Regierung und Gewerkschaften einen Tiefpunkt erreicht hatte. Die PiS-Regierung stellte die Institutionen des sozialen Dialogs wieder her, hat sie allerdings eher selektiv in Gesetzesvorhaben eingebunden.
    Wie die PiS im Wahlkampf versprochen hatte, setzte sie das Pensionsantrittsalter für Männer wieder auf 65, jenes für Frauen auf 60 Jahre herab. Dies entsprach Forderungen der Gewerkschaften. Derzeit ist allerdings eine neoliberale Teilreform des Pensionssystems in Vorbereitung: Schrittweise soll die dritte Säule der Pensionsversicherung in Form sogenannter Arbeitnehmerkapitalpläne (PPK) eine Stärkung erfahren. Für die Betriebe soll die Teilnahme an dem Programm obligatorisch werden, während ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, aus dem Programm heraus zu optieren. Von dem Programm scheint sich die Regierung eine Finanzquelle für ihre wirtschaftlichen Umbaupläne zu versprechen. ArbeitnehmerInnen würden jedoch durch das Auf und Ab der Finanzmärkte verwundbarer.
    Der nationalkonservativen Natur entsprechend ist das sozialpolitische Schlüsselprogramm der PiS-Regierung – Rodzina 500 plus – in der Familienpolitik angesiedelt. Es beinhaltet ein Kindergeld von 500 Złoty pro Kind ab dem zweiten Kind, was speziell für die ländlichen Regionen Polens ein hoher Betrag ist. Das Programm scheint zu einem Rückgang der Kinderarmut beizutragen. Es beinhaltet auch einen gewissen Anreiz für Mütter, sich auf die Kindererziehung zu konzentrieren. Erste Daten lassen allerdings keinen wesentlichen Effekt auf die Frauenbeschäftigung erkennen.
    Ein weiteres sozialpolitisches Kernelement der PiS-Regierung betrifft die staatliche Förderung von (privatem) Mietwohnbau, der den empfindlichen Mangel an Wohnraum abmildern soll. Dieses ist allerdings bislang noch kaum umgesetzt worden. Insgesamt sind nationalkonservative Elemente in der PiS-Sozialpolitik vorherrschend, auch wenn sie teils einen expansiven Charakter hat.

    Schlussfolgerungen
    Betrachtet man die drei Beispiele, so ist eine Tendenz zu einem restriktiven Zugang in der Sozialpolitik deutlich erkennbar.
    Soziale Absicherungen, speziell im Bereich der Pensionen, sollen bestehende soziale Unterschiede konservieren. Die Sozialpolitik ist darauf gerichtet, vermeintlich traditionelle Geschlechterrollen zu konservieren oder wiederherzustellen, Erwerbsarbeit wird männerzentriert gesehen. Speziell westeuropäische neonationalistische Rechtsparteien vertreten weiters eine Sozialpolitik, die MigrantInnen und Flüchtlinge benachteiligt.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor joachim.becker@wu.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Joachim Becker, Institut für Außenwirtschaft und Entwicklung der WU Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624460 Die ungarische Regierung fördert den Aufstieg parteinaher Unternehmer und setzt auf Auslandskapital in der Exportindustrie. Fidesz ist an der (oberen) Mittelklasse orientiert. Der Sparstift wird in der Arbeitslosenversicherung angesetzt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 13 Aug 2018 00:00:00 +0200 1534125624451 Zittern um Anti-Dumping-Behörde Kein Land würde von einer europäischen Arbeitsschutzbehörde gegen Lohn- und Sozialdumping mehr profitieren als Österreich. Dennoch bremst und verschleppt die österreichische Bundesregierung das Vorhaben zu Beginn ihres EU-Ratsvorsitzes nach Kräften – einmal mehr unterstützt von der Industriellenvereinigung (IV).
    Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft hat seit dem 1. Juli eine äußerst einseitige Ausrichtung genommen: Schutz der Außengrenzen, Kampf gegen Migration und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit stehen im Vordergrund, soziale Belange haben keine Priorität. Schlimmer noch: Einer der wichtigsten sozialpolitischen Vorschläge der letzten Jahre, die Einrichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde gegen grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping, wird im Arbeitsprogramm noch nicht einmal erwähnt. Dabei hat der österreichische Vorsitz eine Schlüsselrolle: Es ist die letzte Präsidentschaft vor den EU-Parlamentswahlen im nächsten Jahr, unter der noch inhaltliche Vorhaben verwirklicht werden können. Umso wichtiger wäre es, dass noch in diesem Jahr eine politische Einigung über diese Arbeitsbehörde erzielt werden kann.

    Quote bis zu 70 Prozent
    Leider ist es ein bereits bekanntes Phänomen: Das grenzüberschreitende Lohn- und Sozialdumping wird immer dramatischer. In den besonders betroffenen Branchen, beispielsweise der Bauwirtschaft, ist die Entlohnung von entsandten ArbeitnehmerInnen unter den kollektivvertraglich vorgeschriebenen Standards bereits eher die Regel als die Ausnahme. So zeigen die Zahlen der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) für 2017, dass in fast 50 Prozent der kontrollierten grenzüberschreitenden Entsendungen Lohndumping vorlag, in grenznahen Regionen liegt die Quote sogar bei bis zu 70 Prozent! Zum Vergleich: Bei lokalen Unternehmen liegt diese Quote deutlich unter einem Prozent.

    Kriminelles Lohndumping
    Noch bedenklicher: Jenen ausländischen Entsendeunternehmen, die ihre ArbeitnehmerInnen ausbeuten – ihnen also weder den österreichischen Kollektivvertragslohn zahlen noch die Sozialversicherungsbeiträge in korrekter Höhe abführen –, drohen in der Praxis keinerlei Konsequenzen. In Österreich verhängte Geldstrafen werden in den Herkunftsländern einfach ignoriert und nicht vollstreckt. Ungarn ist hier ein besonders unrühmliches Beispiel: Die Regierung und die zuständigen Behörden machen sich zu Komplizen des kriminellen Lohn- und Sozialbetrugs und vollziehen die Strafen gegen die betreffenden Unternehmen nicht.
    Die Konsequenz: Das Geschäftsmodell Lohn-, Sozial- und Steuerdumping wird aufgrund der großen Lohnunterschiede im Binnenmarkt immer attraktiver. Österreich ist aufgrund seiner langen Grenzen zu den „neuen“ EU-Mitgliedstaaten besonders betroffen. ÖGB und AK haben das Thema „Lohn- und Sozialdumping“ seit Jahren auch in Brüssel zu ihrem Schwerpunkt gemacht und der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament immer wieder Beispiele aus der Praxis präsentiert, vor denen die EU nicht länger ihre Augen verschließen konnte.
    Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits in seiner Rede zur Lage der Union im September 2017 Klartext gesprochen: „Es erscheint absurd, dass eine Bankenaufsichtsbehörde darüber wacht, ob Bankenstandards eingehalten werden, dass es aber keine gemeinsame Arbeitsbehörde gibt, die für Fairness innerhalb des Binnenmarkts sorgt.“ Er kündigte an: „Wir werden sie schaffen.“

    Lösungsvorschlag
    Juncker hat Wort gehalten: Im März hat EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen einen Vorschlag zur Einrichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde vorgelegt, der eine „faire Arbeitskräftemobilität“ sicherstellen soll. Neben mehr und besseren Informationen soll diese Behörde die Zusammenarbeit der nationalen Kontrollbehörden über die Grenzen hinweg fördern, zum Beispiel durch gemeinsame Kontrollen der Arbeitsverhältnisse von entsandten Beschäftigten. Sie soll auch in grenzüberschreitenden Streitfällen vermitteln und auf Lösungen hinwirken, also eine Art „Schiedsrichterin“ sein.
    Der Vorschlag allein ist schon ein großer Erfolg für die europäischen Gewerkschaften und insbesondere für ÖGB und AK. Denn der europäische Industrieverband „Businesseurope“, dem auch die Industriellenvereinigung angehört, hatte mit allen Mitteln versucht, diese Initiative zu verhindern. Als dies scheiterte, hat Businesseurope den Vorschlag dann rasch als „wenig kosteneffizient“ abgelehnt.
    Aus Sicht des ÖGB hätte der Vorschlag allerdings wesentlich schärfer ausfallen können. Die geplante Behörde müsste eine wirkliche „Arbeitsschutzbehörde“ für fairen Wettbewerb werden. Insbesondere die grenzüberschreitende Durchsetzung von Sanktionen und Strafen für Dumpingfirmen müsste die „ELA“ („European Labour Authority“), wie die Arbeitsbehörde im EU-Jargon abgekürzt wird, endlich gewährleisten. Davon ist im vorliegenden Entwurf nicht die Rede. Dennoch ist der Vorschlag ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Entscheidend ist nun, dass die neue Behörde, die als EU-Agentur voraussichtlich nicht in Brüssel, sondern in einem europäischen Mitgliedstaat angesiedelt werden soll, rasch gegründet wird.

    Österreich bremst und verschleppt
    Während die Verhandlungen im EU-Parlament gerade starten und der zuständige Berichterstatter eine sehr konstruktive Haltung einnimmt, ist es einmal mehr die österreichische Bundesregierung, die bremst und verschleppt. So soll nach den Plänen der Sozialministerin unter österreichischem Vorsitz nur ein sogenannter „Fortschrittsbericht“ angestrebt werden – viel zu wenig, damit die Arbeitsbehörde bis zu den EU-Wahlen im Mai 2019 zumindest gegründet werden kann. Damit droht eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag – und dies dürfte auch die Absicht der IV sein, die bekanntlich hinter einem Großteil der Regierungspläne steckt.
    Dabei könnte gerade Österreich im Kampf gegen grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping von der EU-Arbeitsbehörde besonders profitieren, kritisierte der nunmehrige ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian die Untätigkeit der Regierung: „Bei Experten herrscht weitgehend Unverständnis darüber, dass die Regierung hier bremst und verzögert. Dies könnte dazu führen, dass der Sitz der Behörde nicht nach Österreich, sondern eventuell in ein osteuropäisches Land gehen wird“, befürchtete Katzian. Und der ÖGB-Präsident sollte recht behalten: Beim ersten EU-SozialministerInnenrat (EPSCO) während des österreichischen Vorsitzes am 19. und 20. Juli in Wien stand das „Thema Arbeitsbehörde“ nicht einmal auf der Tagesordnung.

    Fairer Wettbewerb betrifft alle!
    Die europäischen Gewerkschaften werden weiter für eine schlagkräftige europäische Arbeitsschutzbehörde kämpfen, damit Lohn- und Sozialdumping nicht nur auf dem Papier, sondern endlich auch in der Praxis bekämpft werden. Neben der Kommission und großen Teilen des EU-Parlaments gibt es durchaus auch unter den Arbeitgebern Verbündete: Gerade die mittelständischen Unternehmen der Bau- und Transportbranche leiden ebenso wie die Beschäftigten unter dem unfairen Wettbewerb, der durch Betrugs- und Dumpingfirmen verursacht wird.
    Immer wieder fordern GewerkschafterInnen und Unternehmensvertreter aus Österreich ein gemeinsames Vorgehen gegen diese Geschäftsmodelle – es bleibt zu hoffen, dass sich auch in der Wirtschaftskammer diese vernünftigen Kräfte durchsetzen und den Aufbau einer schlagkräftigen Arbeitsschutzbehörde unterstützen. Damit am Ende auch die österreichische Bundesregierung einsieht, dass eine solche EU-Agentur vor allem im Interesse Österreichs wäre. Vielleicht wacht sie sogar noch früh genug auf, um die Forderung vieler Gewerkschaften in Europa zu unterstützen, die neue Arbeitsbehörde in Österreich anzusiedeln.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor oliver.roepke@oegb-eu.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624434 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 13 Aug 2018 00:00:00 +0200 1534125624414 Europa sozialer machen Die EU hat schon bessere Tage erlebt. Die vergangenen Jahre waren durch schmerzhafte Erfahrungen aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt. Aktuell erholt sich die Wirtschaft, viele Menschen fühlen sich aber sozial „abgehängt“, was nicht zuletzt im Brexit-Referendum zum Ausdruck kam. Aktuell geht die Arbeitslosigkeit zurück, doch gibt es massive Unterschiede zwischen den Ländern: So lag die Arbeitslosenquote im Juni in Tschechien bei zwei Prozent, während sie in Griechenland 20 Prozent ausmachte.
    Vor allem bei Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit in einigen Ländern nach wie vor alarmierend hoch. Beinahe ein Viertel der EU-Bevölkerung ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Im Hinblick auf diese soziale Schieflage sehen viele Menschen die EU eher als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung. Somit wäre nun der richtige Zeitpunkt für EU-Initiativen für ein soziales Europa.

    20 Grundsätze
    In der Tat tut sich etwas: Erstmals seit 20 Jahren fand im November 2017 ein EU-Sozialgipfel statt. Feierlich proklamierten die Staats- und Regierungschefs dort die „Europäische Säule sozialer Rechte“. Doch wie ist diese zu bewerten?
    Es handelt sich dabei um einen Katalog von 20 Grundsätzen, die dazu beitragen sollen, dass soziale Rechte in der EU besser umgesetzt werden. Die Erklärung ist symbolisch von großer Bedeutung, auch wenn sie unmittelbar keine Veränderungen bewirkt. Die Grundsätze sind unverbindlich und dienen als „Kompass“ für beschäftigungspolitische und soziale Ergebnisse.

    Verschlechterungen
    In der EU hat sich der soziale Schutz in den letzten Jahren, vor allem in den Krisenländern, verschlechtert. Leistungen der sozialen Sicherheit sollten so gestaltet sein, dass bei Eintritt eines Risikofalls wie Krankheit, Alter, Berufsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit ein angemessener Lebensstandard und Schutz vor Armut gewährleistet ist. Dies ist heute oftmals nicht (mehr) der Fall. Verbindliche Mindeststandards, die für alle EU-Mitgliedstaaten gelten, wären daher ein erstrebenswertes Ziel.
    In den letzten Jahren wurden soziale Anliegen auf EU-Ebene stark zurückgedrängt. Es braucht nun wieder neue Impulse. Bei den Arbeitslosenversicherungssystemen der EU-Mitgliedstaaten könnte angesetzt werden. In der Europäischen Säule sozialer Rechte ist festgeschrieben, dass Arbeitslose ein Recht auf „angemessene Leistungen von angemessener Dauer“ haben. In der Realität existieren beim Schutzniveau der Arbeitslosenversicherung aber große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten.

    Sinnvolle Funktion
    Die Systeme der sozialen Sicherheit sind sehr unterschiedlich. Die Einführung von Mindeststandards würde die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Arbeitslosenversicherung nicht antasten. Jeder Mitgliedstaat bestimmt die Grundprinzipien und Einzelheiten der Arbeitslosenversicherung selbst und ist auch für deren Finanzierung zuständig. Mindeststandards würden aber dazu beitragen, dass Länder mit einem geringen sozialen Schutzniveau aufholen.

    Über die Arbeitslosenversicherung wird in Österreich immer wieder heftig diskutiert. Oftmals unerwähnt bleibt die Tatsache, dass Verschärfungen für Arbeitslose auch weitreichende Konsequenzen für Beschäftigte haben können. Weniger großzügige Arbeitslosenleistungen mögen den Anreiz bzw. Druck erhöhen, eine Beschäftigung aufzunehmen. Gleichzeitig kann auf diese Weise aber die Herausbildung eines Niedriglohnsektors begünstigt werden und so der Druck auf die ArbeitnehmerInnen insgesamt steigen. Angemessene Arbeitslosenleistungen kommen somit den Beschäftigten insgesamt zugute. Darüber hinaus wirken Arbeitslosenleistungen in Krisenzeiten als automatische Stabilisatoren und federn einen Einbruch im Konsum ab.

    Unterschiede in der EU
    Ein Vergleich der Nettoersatzraten (Leistungshöhe im Vergleich zum Netto-Erwerbseinkommen) und der Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes zeigt, dass das Schutzniveau der Arbeitslosenversicherung zwischen den Mitgliedstaaten in beträchtlichem Ausmaß divergiert. In Österreich gilt seit dem Jahr 2001 eine Nettoersatzrate in Höhe von 55 Prozent des Erwerbseinkommens. Berücksichtigt man Zuschläge, ergibt sich je nach Familien- und Einkommenssituation eine Nettoersatzrate von durchschnittlich 64 Prozent. (EU-Vergleich: siehe Grafik 1) Die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes beträgt in Österreich je nach Beschäftigungsdauer und Alter zwischen 20 und 52 Wochen (bzw. bei Weiterbildung auch länger). 

    Zum Vergleich: In Ungarn besteht nach einjähriger Beschäftigung Anspruch auf Arbeitslosengeld für nur wenige Wochen; in Belgien wird das Arbeitslosengeld zeitlich unbegrenzt gewährt. Auch bei der Abdeckung existieren große Unterschiede. Die Abdeckungsquote (Erfassungsrate) ist der Anteil der Arbeitslosen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (z. B. im ersten Jahr der Arbeitslosigkeit) Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. In einigen Mitgliedstaaten kann ein großer Teil der Arbeitslosen die Voraussetzungen (z. B. eine bestimmte Mindestbeschäftigungsdauer) für den Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht erfüllen. In Rumänien erhalten nur knapp 10 Prozent der Arbeitslosen im ersten Jahr der Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld; in Deutschland sind es etwa 2/3 der Arbeitslosen. Österreich weist eine sehr hohe Abdeckung auf, da nach Ausschöpfen des Arbeitslosengeldes die Notstandshilfe gewährt wird. Die von der Bundesregierung angedachten Vorhaben im Bereich der Arbeitslosenversicherung würden einen Rückgang der Abdeckung zur Folge haben.

    Skepsis
    Über die Arbeitslosenversicherung wird aktuell nicht nur in sozialpolitischer, sondern auch in fiskalpolitischer Hinsicht diskutiert. Nach der Finanzkrise wurde der Ruf nach einer Reform und Vertiefung der Eurozone laut. Eine Schwäche der Wirtschafts- und Währungsunion wird insbesondere darin gesehen, dass die Fiskalpolitik Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist.
    Damit in Zukunft konjunkturelle Schocks besser abgefedert werden können, schlägt die EU-Kommission die Einrichtung einer fiskalischen Stabilisierungsfunktion vor. Dabei wird eine europäische Arbeitslosenversicherung, die bei einer plötzlichen Zunahme der Arbeitslosigkeit (als „Rückversicherungsfonds“ für die nationalen Arbeitslosenversicherungen) greifen würde, als eine mögliche Option genannt.
    Diesem Vorschlag ist jedoch mit Skepsis zu begegnen. Insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung gibt es viele offene Fragen. Demgegenüber sollten Mindeststandards für die Arbeitslosenversicherung als sozialpolitische Initiative eingeführt und verstanden werden. Diese beiden Debatten sollten nicht verwechselt werden.

    Agenda für sozialen Fortschritt
    Die EU muss nun Maßnahmen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen setzen. Bei der Arbeitslosenversicherung könnte angesetzt werden. Dabei müsste sichergestellt werden, dass Mitgliedstaaten, die bereits ein hohes Schutzniveau aufweisen, nicht auf ein geringeres Niveau zurückfallen dürfen (Nicht-Rückschrittsklausel). Nettoersatzrate, Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes sowie die Abdeckungsquote sollten die Schlüsselwerte für die Festlegung von Mindeststandards sein. Da Strukturwandel und fortschreitende Digitalisierung fortlaufende Weiterbildung erfordern, um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können, sollte darüber hinaus auch ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung und auf Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung mit entsprechender Existenzsicherung als Mindeststandard definiert werden.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sarah.bruckner@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sarah Bruckner, Abteilung EU und Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624383 Grafik 1 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624397 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 13 Aug 2018 00:00:00 +0200 1534125624364 EU-Institutionen im Überblick Aus wie vielen Sitzen besteht das Europäische Parlament?
    Was macht die Europäische Kommission?
    Was ist der Unterschied zwischen dem Europäischen Rat und dem Rat der Europäischen Union?
    Welche Institutionen gibt es und was sind ihre Aufgaben?

    Alles dazu gibt es informativ und übersichtlich zum Downloaden.

    Quelle: ÖGB
    ÖGB-Verlag/APA-Auftragsgrafik

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    Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1534125624347 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430574 "Nicht zuletzt" ... Auf dem sozialen Auge blind ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende]]> Die EU war bisher ein wichtiger Motor für die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik. Die aktuelle österreichische Bundesregierung stellt diese politischen Leitlinien jedoch infrage. Schlimmer noch: Die Regierung hat klar signalisiert, dass für sie die Weiterentwicklung der EU zu einem sozialen und solidarischen Europa – wovon nicht zuletzt Frauen massiv profitieren würden – wenig Bedeutung hat.
    Dabei braucht es dringend ein Bündel an Maßnahmen, um die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu verbessern. Dazu zählen vor allem das Aufbrechen von traditionellen Rollenbildern, das Schließen der Einkommensschere sowie wesentliche Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frauenpolitik hat bei den Schwerpunkten der Regierung für die EU-Ratspräsidentschaft leider keinen Platz. Es wird ausschließlich mit inhaltsleeren Stehsätzen und allgemeinen Ankündigungen auf die Gleichstellungspolitik eingegangen.

    Neoliberaler Kampfbegriff
    Ausgesprochen problematisch sind auch die Pläne der Bundesregierung, sich gegen „Gold Plating“ einzusetzen. Vorsicht ist hier geboten, denn mit diesem Wort wird ganz und gar nichts Wertvolles verfolgt, schon gar nicht für ArbeitnehmerInnen. Vielmehr ist es ein neoliberaler Kampfbegriff, der in der Regel von UnternehmensvertreterInnen gebraucht wird, um wichtige und schwer erkämpfte arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen zu beseitigen. Unter diesem Deckmantel sollen unter anderem die Einkommensberichte abgeschafft werden. Damit würde ein wichtiges Instrument zum Schließen der Lohnschere zwischen Frauen und Männern wegfallen.

    Das Mindeste ist nicht genug
    Die aktuelle Diskussion zur Arbeitszeit ist ebenfalls ein anschauliches Beispiel dafür, welche Gefahren hinter dem Schlagwort „Gold Plating“ stecken. Laut EU-Arbeitszeitrichtlinie besteht keine tägliche Höchstarbeitszeit, sondern eine Mindestruhezeit von elf Stunden. Viele BefürworterInnen längerer Arbeitszeiten meinen, diese Richtlinie wäre ein ausreichender Schutz. „Mindeststandards“ sind aber nur das, was das Wort auch sagt: das Mindeste. Und seit wann ist das für Österreich auf einmal genug? Um Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, braucht es unter anderem Planbarkeit bei der Arbeitszeit, ein Recht auf notwendige Erholungszeiten und ausreichende Gesundheitsschutzbestimmungen.
    Bei diversen Gesetzesinitiativen der Regierung bekommt man den Eindruck, dass sie die bestehenden europarechtlichen Bestimmungen entweder nicht gut genug kennt oder diese vorausplanend verletzt. Das betrifft beispielsweise die Anpassung der Familienbeihilfe für im EU-Ausland lebende Kinder von Menschen, die in Österreich beschäftigt sind. ExpertInnen zufolge ist das mit dem Europarecht nicht vereinbar. Offensichtlich geht es dieser Regierung weniger darum, seriöse Politik zu machen, sondern vielmehr um populistische Vorschläge, die schlussendlich ohnehin nicht umgesetzt werden können. Dadurch nimmt die Regierung zusätzlich in Kauf, dass in der Bevölkerung die Europaskepsis verstärkt wird.

    Wir brauchen eine bessere EU!
    Es zeigt sich also klar und deutlich: Die Regierung betrachtet die EU abwechselnd als Sündenbock oder als nationalstaatlich dominierte „Freihandelszone Deluxe“, in der hohe Arbeits- und Sozialstandards keine Rolle spielen. Eine Vision davon, wie die EU zu einem besseren Leben für alle Menschen beitragen kann, wird bei den Regierungsplänen schmerzlich vermisst.
    Das europäische Projekt steht am Scheideweg. Die Brexit-Verhandlungen stocken, nationalistische und neoliberale Kräfte haben starken Auftrieb. Die Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 werden richtungsweisend sein. Wir brauchen eine soziale, solidarische Union, in der die sozialen Grundrechte gleichen Stellenwert haben wie die vier Wirtschaftsfreiheiten. Und es bedarf einer Europapolitik, die die Menschen für die Idee Europa einnimmt. Nur dann hat die EU als Friedensprojekt auf lange Sicht eine wünschenswerte Zukunft. Dafür werden sich ÖGB und Gewerkschaften weiterhin einsetzen!

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    Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430565 Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430544 Interview: Ohne soziales Europa wird die EU scheitern Arbeit&Wirtschaft: Braucht es eigentlich ein soziales Europa?
    Wolfgang Petritsch: Ich vertrete hier eine sehr klare These: Ohne soziales Europa wird diese Europäische Union nicht wirklich erfolgreich sein und damit als Projekt scheitern. Warum? Weil die europäische und vor allem die westeuropäische Erfahrung nach 1945 der europäische Wohlfahrtsstaat ist.
    Ich glaube, dass kollektive historische Erinnerungen gerade für das europäische Einigungsprojekt eine ganz entscheidende Rolle spielen. Wir reden immer wieder von der kulturellen und von der historischen Einheit dieses Kontinents und von der Demokratie in Athen. Aber meiner Meinung nach ist die wirklich entscheidende Erfahrung des 20. Jahrhunderts, dass es ein absolutes Kontrastprogramm zu dem gibt, was in der ersten Hälfte stattgefunden hat, und das ist der Sozialstaat. Das ist einfach ein Faktum.
    Dass dieser in der Form, wie er ab 1945 aufgebaut worden ist, wahrscheinlich nicht mehr zeitgemäß ist, sondern sich den veränderten Gegebenheiten anpassen muss, das ist ja eh klar. Das liegt in der Natur der Sache. Aber der Kern ist, dass der Mensch soziale Sicherheit neben anderen Aspekten von Sicherheit als zentral betrachtet – das muss einfach jedem Politiker klar sein.

    Wobei momentan die Sicherheit ohne die soziale Sicherheit eine viel wesentlichere Rolle spielt. Das Soziale scheint in den Hintergrund gerückt zu sein.
    Das ist dem amerikanischen, globalen Krieg gegen den Terror geschuldet, wo man sagt, dass dieser die größte Gefahr ist. Das ist empirisch völlig daneben, denn wenn man die Zahlen vergleicht, wer wodurch stirbt, dann kennt man die wirklichen Gefahren, und da sind gerade die sozialen Bedingungen in einer Gesellschaft ganz entscheidend.

    Das soziale Europa hat es auch vor „9/11“ nicht gerade leicht gehabt.
    Absolut. Wir leben eben immer noch unter den neoliberalen Vorzeichen, die zwar in einzelnen Staaten, wie zum Beispiel Österreich, abgeschwächt worden sind. Letzten Endes glaube ich, dass die Ursache für den Populismus, der jetzt so überhandnimmt, darin liegt, dass der Mensch sich nicht sicher fühlt. Der Populismus macht die militärische Sicherheit, die Abwehr nach außen hin zum Hauptthema.
    Aber dahinter steckt tatsächlich viel mehr: eben die Erfahrung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das heißt, dass es so etwas wie eine umfassende Sicherheit geben kann und diese Sicherheit durch die bekannten Maßnahmen hergestellt wird: Angefangen damit, dass man ein halbwegs gutes Leben führen kann über die Arbeitsplatzsicherheit bis hin zur Pension. All das spielt eine viel entscheidendere Rolle, der Mensch ist ja ein soziales und nicht so sehr ein militärisches Wesen.

    Wie kommt es, dass konservative Parteien dem Sozialen nur noch so wenig Wert beimessen?
    Zuerst hat der Populismus die Parteien links der Mitte getroffen, jetzt auch jene rechts der Mitte. Diese wirren Reaktionen wie in Bayern sind hilflose Versuche, sich tagespolitisch noch über die nächste Wahl zu retten. Völlig defensiv natürlich, weil man die Inhalte aufgegeben hat, wofür eine christlich-soziale Partei stehen soll.
    Vorher hat die Sozialdemokratie mit dem Dritten Weg eine Richtung eingeschlagen, die in eine sozialdemokratische Sackgasse geführt hat. Dies geschah eher aus der Ratlosigkeit heraus, wie man der Globalisierung und dem Neoliberalismus beikommt. Das musste natürlich scheitern, und da müssen wir wieder raus.
    Das Interessante ist ja, dass der Neoliberalismus die Krise von 2007 in einer wirklich befremdlichen Art und Weise überlebt hat. In Wirklichkeit ist die Rolle des Staates bei der amerikanischen und europäischen Bankenrettung ganz entscheidend gewesen. Wenn man das damit vergleicht, was als Konsequenz dieser Krise für den Sozialbereich gemacht worden ist, etwa bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit oder der Arbeitslosigkeit im Allgemeinen: Das ist ja lächerlich! Die Europäische Union hat mehrere hundert Milliarden für die Bankenrettung ausgegeben und nur ein Zehntel davon für die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit budgetiert.
    Das merken die Menschen. Nur laufen sie den Rattenfängern der Rechtspopulisten nach, die diese Schlacht gewinnen – im Augenblick. Aber ich bin überzeugt, dass das nicht einfach gegeben ist, sondern ich sehe da durchaus Alternativen, und die liegen zum Beispiel in einem sozialen Europa.
    Wenn ich zum Beispiel an einen Herrn Kurz denke, der sagt, es wird nie ein soziales Europa geben: Da merkt man eben, dass er keine Ahnung hat, was einen Wohlfahrtsstaat eigentlich ausmacht, und wie wichtig die Unterstützung derer ist, die sich schwertun - für die Menschen und für eine Gesellschaft des Ausgleichs.

    Zählt Kurz zu einer Generation, die jene Bedeutung bereits vergessen hat, die Sie anfangs betont haben?
    Der Erfolg dieser ersten wichtigen Phase der Europäischen Integration ist ja, dass es seit 70 Jahren keinen Krieg im integrierten Europa gab – außer natürlich in Jugoslawien. Das wollte man fortschreiben, wegen des großen Erfolgs prolongieren sozusagen. Das geht aber nicht. Man muss sich der neuen Fragestellungen annehmen. Heute stellt sich natürlich die soziale Frage ein bisschen anders. Die junge Generation arbeitet im Prekariat und fühlt sich nicht nur vom Staat in dieser Form nicht vertreten. Außerdem herrscht auch ein größeres Selbstbewusstsein, dass man die Welt selbst erobern kann. Daraus spricht natürlich der Neoliberalismus, der sagt: Du bist derjenige, der für dein Schicksal verantwortlich ist.
    Das ist aber eine sehr kurzfristige Sicht, denn es gibt Menschen, die aus diesem Schema rausfallen, und das sind sehr viele – und um die muss man sich kümmern. Man muss darauf schauen, wie man beim Sozialstaat Freiheit und soziale Unterstützung auf einen Nenner bringen kann.

    Macht eine nochmalige Erweiterung der EU denn noch Sinn oder überdehnt sie sich damit?
    Ich glaube, es ist wichtig zu fragen: Was sind die Kosten für die Sicherheit eines Europas, das noch nicht voll integriert ist, das noch nicht alle Regionen inkorporiert hat? Für den Balkan zum Beispiel stellt sich heraus: Egal, ob weitere Länder in absehbarer Zeit beitreten oder nicht – die politischen oder finanziellen Kosten für die Entwicklung tragen wir. Insofern stimmt die Rechnung nicht, dass man sich etwas erspart, wenn man diese Länder draußen lässt.
    Ich bin kein unkritischer Befürworter der Erweiterung, denn gerade, wenn es um die Staaten Ex-Jugoslawiens geht, sehe ich die neue Gefahr, dass in diesem gespaltenen Europa die Orbans und Kaczynskis noch zusätzlich gestärkt werden. Denn sie haben eine ähnliche Geschichte, eine der Nicht-Demokratie. Das muss schon seriöser Weise gesagt werden.
    Ich stehe deshalb dem Mantra, auch der österreichischen Außenpolitik, kritisch gegenüber, das besagt: Wir wollen den Balkan drinnen haben. Ich will ihn natürlich auch drinnen haben, aber die Frage ist: Unter welchen Bedingungen und in welcher Form stärkt es das Einigungsprojekt und wann schwächt es dieses sogar? Ich glaube aber auch nicht, dass man sagen kann, dass sie nie beitreten können – im Gegenteil.
    Die größte Herausforderung ist wahrscheinlich nicht so sehr eine wirtschaftliche oder politische. Es ist diese fast ideologische, ideengeschichtliche Herausforderung, dass es dort eben wenig Traditionen der Demokratie oder einer liberalen Gesellschaft gibt. In diese Richtung muss man arbeiten. Dafür muss man viel stärker auch mit der Zivilgesellschaft kooperieren, die in Ex-Jugoslawien sehr lebendig ist, oder mit den Gewerkschaften, den Interessenvertretungen und so weiter. Das halte ich für enorm wichtig, und das geschieht meiner Meinung nach zu wenig.

    Apropos Gewerkschaften: Wie nehmen Sie deren Rolle innerhalb der EU wahr? Es wird bisweilen der Eindruck vermittelt, sie hätten gar keine mehr.
    Ja, das ist der Eindruck. Das hängt auch damit zusammen, dass die EU-Kommission immer noch so etwas wie ein neoliberales Projekt verfolgt. Früher gab es die Sozialistische Internationale, und zwar noch bevor es die EU gab. Jetzt gibt es eine Internationale der Industrie und nicht von den VertreterInnen eines sozialen Europas. Das halte ich für ein riesengroßes Problem. Ich glaube, dass sich die Gewerkschaften stärker europäisieren müssen.

    AK und Gewerkschaften halten dem Druck der Lobbys mit ihren zwei Brüsseler Büros sehr tapfer entgegen.
    Ja, das stimmt, die machen sehr viel. Aber allein schon die finanzielle Ausstattung der Industrielobby ist um einiges größer. Auch das ist wiederum Folge einer Neoliberalisierung der europäischen Politik. Und da müsste man nicht nur dagegenhalten, sondern noch stärker alternative Ideen und Projekte entwickeln.

    Momentan scheinen „-exits“ fast schon in Mode zu sein. Besteht die Gefahr, dass die EU zerfällt?
    Ich habe die längste Zeit geglaubt, die EU ist sozusagen fix. Die EU ist auch nicht durch externe Kräfte oder durch den Beitritt von neuen Staaten per se gefährdet, sondern von innen heraus. Ich halte diese Tendenz wirklich für brandgefährlich – weniger in Osteuropa, weil dort ist es historisch teilweise noch nachvollziehbar, sondern mehr in Westeuropa.
    Österreich hat da gewissermaßen eine Art Brückenfunktion im negativen Sinn. Wenn sogar die demokratischen Bastionen in Westeuropa so sehr infrage gestellt werden – in Großbritannien, aber auch in den Niederlanden oder in Deutschland mit der AfD – dann ist, glaube ich, die österreichische Seele relativ rasch dabei zu sagen: Na ja, schauen wir uns das einmal an. In dem vorauseilenden Gehorsam oder Opportunismus ist der Österreicher ja wirklich ein Champion. Das hat im Grunde mit der eigenen historischen Erfahrung mit Demokratie zu tun – die ist ja auch nicht so brillant.
    Wir sind also sicher keine Verteidiger, sondern eher Follower von Trends. Das eigentliche Problem für mich ist, dass jetzt EU-Staaten, die so toll dastehen wie Österreich – wirtschaftlich, gesellschaftlich, wo also viel von dem abgewendet wurde, was der Neoliberalismus brachte –, ihre Stärken nicht nützen, sondern opportunistisch abgleiten. Und zwar in eine Richtung, die letzten Endes für uns nicht gut sein wird. Wir sind zu Besserem fähig, das ist das Stichwort.
    Sich in Richtung Visegrád zu orientieren: Was soll das? Wir haben uns sogar zu Zeiten des Kalten Krieges ganz eindeutig in Richtung Westen orientiert, am westlichen Wohlfahrtsstaat, ohne dass wir die Beziehungen zur Sowjetunion oder zu Osteuropa abgebaut hätten. Das war immer da und das ist auch wichtig.

    Noch einmal zurück zum Balkan: Wie groß sind denn die Erwartungen an die EU oder ist da eine gewisse EU-Müdigkeit zu spüren?
    Wenn ich dort unterwegs bin, werde ich immer wieder gefragt: Wie lange wollt ihr uns noch warten lassen? Meine Antwort ist dann immer: Macht selbst, was ihr könnt. Macht keine Reformen für die EU, sondern für euch selbst. Und orientiert euch an dem, was in Westeuropa passiert, aber seid nicht sklavisch von dem Ruf abhängig: Ok, jetzt dürft ihr rein. So funktioniert das nicht.
    Egal, wie lange das dauert, es wird notwendig sein, dass man basierend auf den eigenen Erfahrungen eine Gesellschaft aufbaut, auf den positiven wie negativen natürlich – und basierend darauf, was von der eigenen Bevölkerung dann auch wirklich mitgetragen wird. Das halte ich für entscheidender, als dann zu sagen: Wir warten jetzt bis 2025 und dann wird alles besser.
    Welche Folgen das hat, sieht man zum Beispiel in Kroatien sehr gut. Es ist das erste Beitrittsland, dem die Phase nach dem Beitritt nicht wirklich etwas gebracht hat. Ich führe das darauf zurück, dass man sozusagen einfach gewartet hat, nach dem Motto: Wenn wir drinnen sind, dann passiert irgendwie alles automatisch und wie durch ein Wunder. Dafür verantwortlich sind viele soziokulturelle Unterschiede, die fehlende Erfahrung mit der Demokratie und das autoritäre Gesellschaftsmodell, das nun wieder so en vogue ist.
    Das sieht man auch in Polen. Unlängst habe ich mit dem früheren polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski gesprochen, der gesagt hat: Wir haben immer nur Wachstum gehabt und trotzdem sind wir abgewählt worden. Ja, offensichtlich lebt der Mensch nicht nur vom Brot allein. Ich glaube, die EU muss erst entdecken, dass es jenseits des Technokratischen und der reinen Wirtschaft mehr gibt – ein Lebensgefühl, eine Identifizierung mit dem, was dieses Europa ausmacht.
    Man muss außerdem den Übergang vom Friedensprojekt zu etwas anderem schaffen. Wobei man natürlich den Aspekt des Friedens nicht aus den Augen verlieren darf, aber eben nicht oberlehrerhaft immer sagen sollte: Schaut's, wir haben jetzt so gut im Frieden gelebt. Das allein wird nicht genügen.

    Letztlich liegen für Gewerkschaften sehr viele Themen auf der Hand: die Verteilungsfrage oder die fehlenden Konsequenzen aus der Krise. Warum fällt es so schwer, hierfür erfolgreich einzutreten?
    Es gibt ja dieses Buch von Colin Crouch: „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ – und so ist es eben. Diese totale Diskreditierung des Neoliberalismus ist nicht eingetreten. Und zwar in Wirklichkeit dank des Einschreitens des Staates, den der Neoliberalismus ablehnt. Das ist ja das Paradoxe daran. Wenn alles privat ist und eine Bank vor die Hunde geht: Warum lassen wir das dann nicht zu?
    Natürlich wissen wir, dass das so nicht geht. Allein schon deshalb, weil da dann wieder die Ärmsten drinnen hängen oder die, die ein bisschen was auf die Seite gelegt haben. Das war ja auch die Erklärung dafür, warum wir da noch einmal mehr Steuern hineinpulvern müssen – und dass der Staat dafür Schulden gemacht hat. Ich glaube, es ist wichtig, dass man wieder zu einer nüchternen Betrachtung hinfindet: Was ist die Rolle des Staates und was kann anders gemacht werden? Und in diesem Zusammenhang glaube ich wirklich, dass man versuchen sollte, die Zivilgesellschaft – was auch immer das im Einzelnen ist, etwa der aktive Bürger oder der Citoyen – stärker einzubeziehen. Es braucht eine Selbstermächtigung von den Menschen und von den Gewerkschaften. Natürlich muss man das auch vor dem Hintergrund sehen, dass sich die Arbeitsgesellschaft dem Ende zuneigt. Aber, und das ist das Entscheidende: Egal wie, die sogenannte soziale Frage wird es immer geben. Sie stellt sich anders, aber sie ist da.
     
    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
    sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at 
     
    Zur Person
    Der gebürtige Klagenfurter
    Wolfgang Petritsch hat lange auf dem Balkan gearbeitet. Im Jahr 1999 wurde er EU-Sonderbeauftragter für das Kosovo und fungierte als EU-Chefverhandler bei den Kosovo-Friedensverhandlungen. Von 1999 bis 2002 war er Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien. Anschließend wechselte er aufs internationale Parkett: Bis 2008 war er österreichischer Botschafter bei der UNO in Genf, danach Leiter der österreichischen Vertretung bei der OECD in Paris. Von 2013 bis 2014 war er Schumpeter-Fellow in Harvard. Momentan ist er Präsident der Austrian Marshall Plan Foundation.

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    Interview: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430521 Wolfgang Petritsch: "Es ist wichtig, dass man wieder zu einer nüchternen Betrachtung hinfindet: Was ist die Rolle des Staates und was kann anders gemacht werden?" http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430526 "Egal wie, die sogenannte soziale Frage wird es immer geben. Sie stellt sich anders, aber sie ist da." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430500 Schluss mit den Tricks! Die Diskussion über eine Harmonisierung der Körperschaftsteuer auf Europäischer Ebene ist beinahe so alt wie die EU selbst. Der letzte Vorschlag der Europäischen Kommission ist aus dem Jahr 2016. Seitdem diskutieren die Mitgliedstaaten darüber – bislang ohne Erfolg. Um das Thema politisch voranzutreiben, hat die Kommission die Harmonisierung mit der Neuverhandlung des EU-Budgets verknüpft. Der Vorschlag: Ein Teil der Eigenmittel der Union soll aus einer EU-weit harmonisierten Bemessungsgrundlage kommen. Auch wenn fraglich ist, ob sich dieser Ansatz durchsetzen wird, ist eine Harmonisierung an sich nicht völlig unrealistisch. So gelten für die Umsatzsteuer schon seit 1977 einheitliche Regeln. An Vorbildern mangelt es also nicht, allenfalls am politischen Willen.

    Die Vorschläge der Kommission
    Konkret hat die EU-Kommission zwei Vorschläge für Richtlinien vorgelegt: Einen zur Harmonisierung der unterschiedlichen Gewinnermittlungssysteme und einen zur Konsolidierung der Gewinne. Gelten sollen die Vorschläge für Großkonzerne mit einem Umsatz von 750 Milliarden Euro oder mehr. Laut den Berechnungen der Kommission betrifft das nur 1,6 Prozent aller Unternehmen, aber 64 Prozent der Umsätze. Die wichtigste Neuerung ist die Konsolidierung: Bislang wurde der Gewinn für jede Teilgesellschaft des Konzerns getrennt ermittelt und in jenem Staat besteuert, in dem die jeweilige Teilgesellschaft ihren Sitz hat. Diese Regelung machte es attraktiv, die Gewinne zwischen den Teilgesellschaften hin und her zu schieben, um dadurch die Steuerbelastung des Gesamtkonzerns zu reduzieren.

    Zentrale Gewinnermittlung
    Künftig soll das nicht mehr möglich sein, weil die Gewinnermittlung für alle europäischen Aktivitäten zentral auf Ebene der Konzernmutter erfolgt. Der Gesamtgewinn wird dann mit einer einfachen Formel (gemäß Beitrag zur Wertschöpfung) auf die Teilgesellschaften in den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Ein solches System gibt es in ähnlicher Form auch in den USA und Kanada. Die Kommission erhofft sich dadurch nicht nur eine Verringerung der Befolgungskosten für die Unternehmen, sondern eben auch ein Ende der Gewinnverschiebungen innerhalb der EU. Damit wurde die Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) innerhalb kürzester Zeit zum Hoffnungsprojekt für WirtschaftsvertreterInnen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft.
    Bloß, wie realistisch sind die hohen Erwartungen? Viel hängt davon ab, ob sich die FinanzministerInnen auf ein Gesamtpaket verständigen (also die Harmonisierung und die Konsolidierung beschließen) oder sich auf die Harmonisierung beschränken. Die Vorteile hinsichtlich der Verwaltungskosten und Gewinnverschiebungen bringt nämlich vor allem die Konsolidierung. Die Harmonisierung ist „nice to have“, aber nicht mehr als ein erster Schritt. Nicht von ungefähr hat die Kommission für ihre Entscheidung, den ursprünglich einheitlichen Vorschlag einer GKKB auf zwei Richtlinien aufzuteilen, viel Kritik einstecken müssen. Und diese Kritik ist berechtigt, denn die aktuelle politische Diskussion auf Ebene der FinanzministerInnen geht eindeutig in Richtung Harmonisierung ohne Konsolidierung. So will die österreichische Ratspräsidentschaft über die Konsolidierung erst reden, wenn die Harmonisierung ausreichend Fortschritte gemacht hat. Und auch Deutschland und Frankreich haben sich in der Meseberger Erklärung allein auf die Harmonisierung konzentriert.

    Ende der Schlupflöcher
    Was bringt eine Harmonisierung der Gewinnermittlung? Bei aller berechtigten Skepsis darf nicht vergessen werden, dass auch eine Harmonisierung durchaus Vorteile bringt. Denn eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen bringt ein Ende der Schlupflöcher wie Patentboxen und Sonderabsprachen (Lux Leaks) mit sich, die bislang für einen wesentlichen Teil der Gewinnverschiebungen innerhalb von Europa verantwortlich waren. Auch die Einführung einer digitalen Betriebsstätte (die auf Wunsch von Kommission und Parlament noch nachträglich in den Vorschlag eingebaut werden soll) wäre im Rahmen der Harmonisierung umsetzbar.
    Nicht stoppen kann die Harmonisierung den grassierenden Steuerwettbewerb. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz der EU-Länder von über 35 Prozent auf nunmehr unter 25 Prozent gesunken. Ein Ende dieses Trends ist nicht absehbar, im Gegenteil: Die Harmonisierung könnte den Steuerwettbewerb sogar noch verschärfen, weil sie ihn transparenter macht. Wegen der unterschiedlichen Gewinnermittlungsvorschriften war es für die Wirtschaft bislang praktisch unmöglich, die effektive Steuerlast zu ermitteln und zu vergleichen. Dies wird künftig kein Problem mehr sein. Bei gleicher Bemessungsgrundlage werden Länder mit einem niedrigeren Steuersatz künftig noch attraktiver sein als bisher, der Druck auf Länder mit hohen Steuersätzen wird damit weiter steigen. Das einzig wirksame Mittel dagegen, da sind sich alle ExpertInnen einig, ist die Einführung eines EU-weiten Mindeststeuersatzes. Verhindert wird er von marktgläubigen Konservativen und Liberalen, denen die Unternehmenssteuersätze nicht niedrig genug sein können.

    Diverse „Zuckerl“ für die Wirtschaft
    Besonders kritisch sieht die AK die diversen „Zuckerl“ für die Wirtschaft, die der Vorschlag der Kommission zur Harmonisierung der Unternehmenssteuern vorsieht. Neben einem Superabzug für Forschung und Entwicklung soll künftig auch ein etwaiger Zuwachs im Eigenkapital von der Steuer abgesetzt werden können. Die Kommission erhofft sich davon einen zusätzlichen Anreiz zur Stärkung der Eigenkapitalbasis. Eine ähnliche Begünstigung gab es kurzzeitig auch in Österreich, sie wurde aber wegen chronischer Mitnahmeeffekte nach nur drei Jahren wieder gestrichen. Daneben will die Kommission eine Verrechnungsmöglichkeit für ausländische Verluste einführen. Das hieße, dass die im Ausland erwirtschafteten Verluste (auch ohne Konsolidierung) vom inländischen Gewinn abzugsfähig sein werden. Der Vorschlag käme einer europaweiten Einführung der österreichischen Gruppenbesteuerung gleich und böte den Konzernen das Beste aus zwei Welten. Sie dürfen die Verluste grenzüberschreitend verrechnen, können die Gewinne aber weiterhin beliebig in der EU verschieben.

    Unnötige Begünstigungen
    Die AK lehnt diese Begünstigungen als unnötig ab und ist mit ihrer Kritik nicht allein. Nachdem das Europäische Parlament in seinem Bericht bereits etliche Einschränkungen gefordert hatte, stellen auch Deutschland und Frankreich in der Meseburger Erklärung klar, dass diese Begünstigungen in einer EU-weit harmonisierten Bemessungsgrundlage nichts verloren haben. Im Gegenteil, sie wollen die harmonisierte Bemessungsgrundlage noch stärker gegen Gewinnverschiebungen absichern. Dazu schlagen sie unter anderem ein Abzugsverbot für Zins- und Lizenzzahlungen in Steueroasen vor, das in Österreich seit 2014 bereits sehr erfolgreich anwendet wird. Damit dürfen Zins- und Lizenzzahlungen an konzerneigene Gesellschaften in Niedrigsteuerländern nicht mehr als Betriebsausgabe abgezogen werden und unterliegen dem österreichischen Steuersatz von 25 Prozent.

    Wie geht es weiter?
    Die Vorschläge der Kommission werden unter österreichischem Vorsitz weiter diskutiert. Letztlich geht es wie immer vor allem um eines: Geld. Da die finanziellen Verschiebungen zwischen den Ländern durch eine Harmonisierung geringer sind als durch eine Konsolidierung, hat die Harmonisierung höhere Realisierungschancen. Richtig gemacht bietet sie durchaus Chancen im Kampf gegen die Steuertricks der Konzerne. Dazu sind aber einige Adaptierungen gegenüber dem Kommissionsvorschlag nötig. Einerseits müssen die unnötigen „Zuckerl“ für die Wirtschaft gestrichen werden, andererseits braucht es endlich Antworten auf den Steuerwettbewerb in der EU. Ein europaweiter Mindeststeuersatz ist das Gebot der Stunde. Wird er nicht umgesetzt, könnte der Steuerwettbewerb in der EU künftig sogar noch intensiver werden.

    Vorschlag der EU-Kommission zur Steuerharmonisierung:
    tinyurl.com/y9b237b8
    Infoseite des Europäischen Parlaments zum Thema:
    tinyurl.com/y8n5p688

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor dominik.bernhofer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Dominik Bernhofer, Abteilung Steuerpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430474 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430456 Business as usual trotz Skandalen Fast fünf Jahre ist es her, dass die EU-Politik von einem riesigen Skandal erschüttert wurde: Gerade rechtzeitig zur Bestellung von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident wurde bekannt, dass Luxemburg Konzernen wie Amazon, Apple, Ikea oder Pepsi über Jahre umfangreiche Steuervergünstigungen eingeräumt hat.

    Verluste für die anderen
    Für viele EU-Mitgliedstaaten bedeuteten die luxemburgischen Agreements Steuerverluste in Milliardenhöhe, weil Konzerne und Superreiche ihre Gelder nach Luxemburg transferierten, um die Zahlung von Steuern in ihren ursprünglichen Sitzländern zu umgehen. Juncker, der als langjähriger luxemburgischer Premierminister die Steuervergünstigungen zu verantworten hatte, geriet durch diesen Skandal stark unter Druck. Er gelobte, als Kommissionspräsident für mehr Transparenz zu sorgen und den aggressiven Steuervermeidungstricks der Konzerne ein Ende zu bereiten.

    Pläne zur Regulierung
    Jean-Claude Juncker hat in den vergangenen Jahren tatsächlich einige Maßnahmen gesetzt, um die Umgehung der Gewinnsteuerzahlungen durch Konzerne zu erschweren. So hat die Europäische Kommission Folgendes vorgeschlagen: Unternehmen sollten verpflichtet werden, ihre Gewinne für alle Mitgliedsländer offenzulegen, in denen sie wirtschaftlich tätig sind. Transparenz sollte kreative Steuersparmodelle unterbinden.
    Die Pläne der Kommission haben jedoch sehr rasch die Wirtschaftslobby auf den Plan gerufen, wie eine neue Studie zeigt, die von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) in Kooperation von Arbeiterkammer und ÖGB durchgeführt wurde. Ganz vorne mit dabei: Die vier größten Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers (PwC) – die „Big Four“ der Branche. Ihr Geschäft ist es, ihren KundInnen Steuersparmodelle zu verkaufen. Gleichzeitig profitieren sie als Großkonzerne selbst davon.

    Steuervermeidung
    Die Studie stellt penibel dar, wie die Big Four bei der Politik im Sinne der Steuervermeidung eingreifen. Noch bevor die Kommission ihren Rechtsvorschlag für mehr Transparenz vorgelegt hatte, betonte Ernst & Young, dass wirtschaftlich sensible Informationen von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden sollten. Deloitte wiederum forderte eine Freiwilligkeit bei der Umsetzung des Rechtsakts. Die Versuche der Big Four, bereits den Kommissionsvorschlag zu verwässern, verfehlten ihr Ziel. Infolge der Veröffentlichung der Panama Papers, ein Konvolut an Dokumenten über Steuervermeidung von Konzernen, PolitikerInnen und Prominenten, schlug die Kommission verbindliche Offenlegungspflichten für Unternehmensgewinne vor.
    Daraufhin lobbyierten die Big Four im Europäischen Parlament. Die massiven Interventionen bei EU-Abgeordneten führten zum gewünschten Erfolg: Einige MandatarInnen der Europäischen Volkspartei und der Liberalen brachten Änderungsvorschläge ein, die Ausnahmen von der Offenlegung bei wirtschaftlich sensiblen Daten vorsahen. Die Änderung setzte sich im EU-Parlament durch. Die dadurch geschlagene Lücke in der Gesetzgebung ermöglicht es Konzernen, ihre tatsächlichen Gewinne in den einzelnen Ländern nach wie vor zu verschleiern.
    Drehscheibe des Einflusses der Big Four ist aber die Kommission. Jedes Jahr vergibt sie an die vier großen Wirtschaftsprüfungskonzerne Aufträge in Millionenhöhe: Im Jänner 2018 waren es 10,5 Millionen Euro an PwC, Deloitte und KPMG für Studien zu diversen Fragen der Steuergesetzgebung und von Zöllen. Worum es dabei genau geht, entscheidet die Kommission erst von Fall zu Fall.

    Lobbys dabei, Zivilgesellschaft kaum
    Damit nicht genug: Bis h
    eute sitzen VertreterInnen der Wirtschaftsprüfungsunternehmen in ExpertInnengruppen der Kommission, in denen es um Empfehlungen in Steuerangelegenheiten geht. VertreterInnen der Zivilgesellschaft, die sich für eine faire Steuergesetzgebung einsetzen, kann man in diesen Gruppen hingegen vergeblich suchen.
    Auch in der Personalpolitik von Kommission und Big Four zeigt sich ein schiefes Bild, denn auf beiden Seiten gibt es einen regen Personalaustausch. So ist der frühere Finanzkommissar Jonathan Hill nun Berater bei Deloitte. EU-Beamte in der Generaldirektion für Steuern und Zoll wiederum waren früher bei Ernst & Young und Deloitte beschäftigt. Diese personelle Austauschbeziehung gibt es im Übrigen auch auf Ratsebene: So waren viele nationale Steuerattachés aus verschiedenen Mitgliedstaaten früher MitarbeiterInnen bei den Big Four.
    Die Kommission holt also Expertise für Gesetzesvorschläge zur Eindämmung von Steuervermeidung bei jenen Konzernen ein, die einerseits mit Steuervermeidung im großen Stil ihr Geld verdienen und andererseits gegen zu strenge Regulierungen Lobbying betreiben. Damit sind Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PwC die großen Gewinner. Interessenskonflikte sieht die Kommission hier offenbar keine.

    Großer Einfluss
    Die Vernetzung der Big Four mit den EU-Ins
    titutionen sichert den Wirtschaftsprüfungskonzernen jedenfalls einen großen Einfluss auf die EU-Gesetzgebung. Am Ende bleiben nicht nur effektive Regelungen gegen Steuervermeidung auf der Strecke, sondern generell die Anliegen der BürgerInnen. Denn in Brüssel geben die Großkonzerne und deren LobbyistInnen den Ton an. Sie haben privilegierten Zugang zu den EU-Institutionen und die finanziellen und personellen Ressourcen für gezieltes Lobbying. Andere Interessen – wie jene der ArbeitnehmerInnen – sind gegenüber der Wirtschaftsseite hingegen stark unterrepräsentiert. Das Verhältnis der Vertretung zwischen Gewerkschaften und der Wirtschaft in Brüssel beträgt 1:65! 
    Die Zivil
    gesellschaft fordert daher bereits seit Jahren ein verpflichtendes Verzeichnis aller Organisationen und Personen, die Lobbying gegenüber der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat betreiben. Bisher gibt es dieses Transparenzregister nur freiwillig für die Kommission und das Europäische Parlament. Seit Anfang 2018 verhandeln die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat über eine Reform des Registers. Die EU-Abgeordneten haben sich bereits darauf verständigt, dass sie sich nur mit im Register eingetragenen InteressenvertreterInnen treffen und Termine mit den LobbyistInnen öffentlich einsehbar sein sollen. Eine Verpflichtung dazu soll es aber nicht geben. Der Rat hat sich bislang noch nicht entschieden, überhaupt am Transparenzregister teilzunehmen. Es liegt nun an der österreichischen Ratspräsidentschaft, ob es bis Ende des Jahres zu einem Abschluss der Verhandlungen kommt und ob sich das Ergebnis sehen lassen kann.
    Notwendig wäre es auch, dass die Kommission ihre ExpertInnengruppen ausgewogen besetzt und verstärkt VertreterInnen von ArbeitnehmerInneninteressen und der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen zu Rate zieht. Auf diesem Weg könnte die Gesetzgebung auf EU-Ebene verstärkt zum Wohle aller BürgerInnen erfolgen – und nicht nur die Interessen der Konzerne bedienen.

    Fortschritte halten sich in Grenzen
    Egal, ob Steuervermeidung oder Transparenzregister: Die Fortschritte unter der Ägide von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker halten sich in engen Grenzen. Ob sich daran etwas ändert, wird auch jede Wählerin und jeder Wähler bei den nächsten Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 mitentscheiden. Je nach Mehrheitsverhältnissen gibt es dann entweder die Chance auf neue politische Initiativen – oder es bleibt alles beim Alten.

    Studie „Wie die Big Four die EU-Politik zur Steuervermeidung mitgestalten“:
    tinyurl.com/y7xk63ye
    EU-Kommission: Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung
    tinyurl.com/ybyn5c8n

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen frank.ey@akwien.at und monika.feiglheihs@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Frank Ey, Monika Feigl-Heihs, Abteilung EU und Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430432 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430410 Vorprogrammierter Streit Günther Oettinger ist in diesen Tagen nicht umsonst ein gefragter Mann. Immerhin geht es um das wohl wichtigste Projekt in der Amtszeit des EU-Haushaltskommissars: der mehrjährige EU-Finanzrahmen 2021–2027. Die Finanzierung von (Weiter-)Bildung, Infrastrukturprojekten, Forschung, Integrationsmaßnahmen und anderen Projekten soll für die nächsten sieben Jahre gesichert werden. Das Gezerre der Mitgliedstaaten um den EU-Haushalt ist allerdings jedes Mal groß, braucht es doch die Zustimmung von allen – und das bei durchaus konträren Interessen.
    Bei jeder Verhandlung über einen neuen EU-Finanzrahmen stellen sich grundlegende Fragen wie: Wie viel darf die Europäische Union kosten? Wofür soll die EU überhaupt Geld ausgeben? Wer bezahlt und wer bekommt was zurück? Durch den für 2019 geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU ist die Herausforderung der Finanzierung des EU-Budgets dieses Mal noch delikater: Dadurch entsteht eine Finanzierungslücke von bis zu 14 Milliarden Euro jährlich für das EU-Budget. Wie soll diese Lücke also geschlossen werden?

    Zusätzliches Geld
    Außerdem haben Merkel, Macron und Co. die Kommission damit beauftragt, dass die EU zusätzlich zu den derzeitigen Aufgaben für Agrarpolitik, Forschung, sozialen Zusammenhalt etc. im kommenden Finanzrahmen auch für Migration, Sicherheit, Verteidigung und Grenzschutz Geld reservieren soll. Woher soll dieses aber kommen? Die Spielwiese für die Verhandlungen zum nächsten EU-Haushaltsplan ist also konfliktreicher als üblich.

    Gekürzt oder erhöht?
    Oettinger schlägt in seinem Plan vom Mai 2018 ein Budgetvolumen von 1.279,4 Milliarden Euro für 2021–2027 vor. Das sind 1,11 Prozent der europäischen Wirtschaftskraft (bzw. des Bruttonationaleinkommens – BNE). Zahlen sollten für sich sprechen, möchte man meinen. Aber dem ist nicht so, denn je nach Standpunkt bedeutet der Vorschlag für die einen eine Erhöhung, denn nominell sind es etwa 186 Milliarden Euro mehr als im Vergleich zum aktuellen Finanzrahmen. Die anderen wiederum argumentieren, dass der Kommissionsvorschlag tatsächlich auf eine Kürzung hinauslaufe: Denn die EU-27 (ohne Großbritannien) gibt aktuell 1,13 Prozent des BNE für ihr Budget aus.
    Der Umgang mit den Zahlen zählt bereits zum politischen Kräftemessen. Im Kern geht es nämlich um die Untermauerung der eigenen Position: Für Bundeskanzler Sebastian Kurz ist der Entwurf nicht akzeptabel, die EU solle schlanker und effizienter werden. Er tritt für Kürzungen ein, ohne die Bereiche näher zu benennen. Skeptisch sind auch die Niederlande, Dänemark und Schweden. Die meisten anderen EU-Länder wie Deutschland und Frankreich können sich hingegen einen EU-Haushalt in der vorgeschlagenen Höhe durchaus vorstellen.
    Deutliche Kürzungen soll es nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission mit einem um neun Prozent geringeren Budget für die EU-Agrarpolitik geben. Die für Landwirtschaft zuständige Bundesministerin Elisabeth Köstinger läuft dagegen jedoch Sturm. Für Österreich würde das ein Minus von bis zu 125 Millionen Euro pro Jahr bei den Subventionen für die Landwirtschaft bedeuten. Für Ministerin Köstinger sind diese Kürzungen inakzeptabel, wobei sie damit jedoch im Widerspruch zu ihrem Parteikollegen Bundeskanzler Kurz steht, der für ein schlankeres EU-Budget eintritt. Die Landwirtschaft beansprucht mit dem Kommissionsvorschlag immer noch einen Anteil von rund 30 Prozent am gesamten EU-Haushalt, obwohl die wirtschaftliche Bedeutung des Sektors rückläufig ist.

    Sparpläne
    Gespart werden soll auch bei den Strukturausgaben, ein Minus von vier Prozent ist hier vorgesehen. Die Kürzung bei den Strukturgeldern trifft die osteuropäischen und baltischen Staaten am stärksten. Polen und Ungarn haben nicht nur deswegen Widerstand gegen den EU-Haushalt angekündigt. Als direkten Angriff werten sie den Vorschlag, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien – wie z. B. die Unabhängigkeit der Justiz – zu koppeln. Die beiden neonationalistischen Regierungen liegen in dieser Sache im Dauerstreit mit der Europäischen Kommission. Diese sieht aufgrund von massiven Eingriffen der polnischen und ungarischen Regierung die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der RichterInnen gefährdet.
    Mehr Geld plant EU-Haushaltskommissar Oettinger für den Schutz der europäischen Außengrenzen sowie für Verteidigung, Forschung und junge Menschen ein. Die Mittel für Migration und Grenzmanagement werden im Vergleich zum aktuellen Haushaltsplan damit beinahe verdreifacht, jene des Verteidigungsfonds sogar verfünffacht. Sehr kritisch muss hinterfragt werden, warum die öffentliche Hand mit dem EU-Verteidigungsfonds bis zu 100 Prozent der Forschungskosten privater Rüstungskonzerne tragen soll. In diesem Punkt wäre ein Einschreiten der österreichischen Ratspräsidentschaft für ein schlankes und effizientes EU-Budget sehr angebracht.

    Neue Mittel für den EU-Haushalt
    Der EU-Haushalt speist sich zu 85 Prozent aus nationalen Beiträgen der Mitgliedstaaten, die sich aus Formeln errechnen, die auf dem Bruttonationaleinkommen sowie auf dem Mehrwertsteueraufkommen der einzelnen Mitgliedstaaten basieren. Der Rest sind Zolleinnahmen.
    Um die nationalen Beiträge zu senken, schlägt Oettinger neue Einnahmen für den EU-Haushalt vor: 20 Prozent der Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel, drei Prozent aus einer künftigen europäischen Körperschaftsteuer sowie einer neuen Steuer von 80 Cent pro Kilo für nicht wiederverwerteten Plastikmüll. Insgesamt sollen diese neuen Posten circa zwölf Prozent der Einnahmen abdecken. Ob das jedoch gelingt, ist mehr als fraglich:

    • Eine europäische Körperschaftsteuer, die den Wettbewerb um Unternehmenssteuern in der EU unterbindet, ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird diese seit Jahren ohne Ergebnis auf EU-Ebene verhandelt und das Ziel, zumindest eine Untergrenze für den Steuersatz festzulegen, fehlt gänzlich.
    • Die Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel werden überschaubar bleiben, solange der Preis pro Tonne CO2 bei unter fünf Euro liegt.
    • Auch die neue Plastiksteuer stößt auf Widerstand. So hat Ministerin Köstinger dieser bereits eine Absage erteilt.

    Vollbeschäftigung als Ziel
    Ein zentraler Auftrag der EU lautet, die wirtschaftlichen und sozialen Spaltungen zwischen und innerhalb der Mitgliedstaaten zu überwinden sowie für Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt zu sorgen. Diese Ziele kommen im Oettinger-Vorschlag leider zu kurz. Neben der Senkung der Strukturausgaben ist auch der Europäische Sozialfonds, das wichtigste Instrument zur Förderung von Beschäftigung und sozialer Integration, von Kürzungen betroffen. Eine höhere Dotierung wäre angesichts diverser Problemlagen am Arbeitsmarkt wie z. B. Langzeitarbeitslosigkeit, fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche, prekärer Arbeitsverhältnisse jedoch dringend notwendig. Das entspricht den Bedürfnissen der Mehrheit der EuropäerInnen und ist damit der höchste europäische Mehrwert, der erreicht werden kann.
    Dafür sollte sich auch die österreichische Regierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft nachdrücklich einsetzen. Der Wunsch der Kommission ist es, die Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen bis Mai 2019 abzuschließen. Ob das möglich ist, bleibt angesichts der kontroversiellen Vorstellungen der Mitgliedsländer aber fraglich.

    Blogtipp:
    awblog.at/eu-budget-zukunft
    Wie die EU-Haushaltsmittel ausgegeben werden:
    tinyurl.com/yd5w8dcw

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen frank.ey@akwien.at und monika.feiglheihs@akwien.at oder die Redaktion
    aw@oegb.at

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    Monika Feigl-Heihs, Frank Ey, Abteilung EU und Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430398 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430356 Wider besseren Wissens Was haben der Ageing Report 2018 und der Europäische Sozial- und Beschäftigungsbericht 2018 gemeinsam? Klingt wie ein Witz, ist aber weniger lustig, sondern eher verwunderlich: Beide Berichte sind Analysen der EU-Kommission, die diese bei der Formulierung ihrer politischen Empfehlungen aber de facto ignoriert und stattdessen ein „More-of-the-Same“ fordert. Am deutlichsten lässt sich dieser Befund am Beispiel Pensionen nachzeichnen, wonach Österreich aus Sicht der EU-Kommission das gesetzliche (!) Pensionsalter anheben sollte.
    Diese Empfehlung entspricht weder den Bedürfnissen der Menschen, noch ist sie besonders innovativ. Schon gar nicht aber ist sie sachlich nachvollziehbar: Die Europäische Kommission selbst weist darauf hin, dass sich entsprechend der Prognosen der Altersquotient, also die Relation der 65-Jährigen und Älteren zu den 15- bis 64-Jährigen, bis 2070 nahezu verdoppeln wird – und entsprechend die relativen Pensionsausgaben in Österreich voraussichtlich um bloß 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen werden (siehe Grafik „Basisszenario“).

    Absurd: Tadel statt Lob!
    Der österreichische Reformweg in der Alterssicherung bietet eigentlich ein sehr gutes Beispiel dafür, dass sich die – angeblich auch nach Auffassung der EU-Kommission – zentralen pensionspolitischen Zielsetzungen „Angemessenheit und Nachhaltigkeit“ gleichermaßen erreichen lassen, wenn man das auch wirklich will und dementsprechend die richtigen Schwerpunkte setzt. Denn das österreichische System ist nicht nur langfristig finanziell stabil, sondern es bietet mit seiner starken öffentlichen Säule auch weiterhin eine im internationalen Vergleich sehr gute Absicherung.

    Fragwürdige Gebetsmühle
    Der nur sehr moderate Zuwachs öffentlicher Pensionsausgaben trotz künftig guten Sicherungsniveaus hat mehrere Gründe. Dazu zählen vor allem der Fokus auf eine verbesserte Erwerbsintegration, die Anpassung der Leistungszusagen – im Durchschnitt gute Pensionen bei späterem (faktischen) Pensionsantritt – und die schrittweise Angleichung der großzügigeren Sondersysteme an die Pensionsversicherung.
    Anstatt jedoch diese Perspektive als Beleg für eine nachhaltige soziale und finanzielle Entwicklung zu werten, empfiehlt die EU-Kommission gebetsmühlenartig eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters, bis vor kurzem zumeist in Form einer Koppelung an die Lebenserwartung. Damit sollen die relativen öffentlichen Pensionsausgaben zukünftig sogar deutlich unter (!) das aktuelle Niveau gedrückt werden, obwohl es dann wesentlich mehr Ältere geben wird (siehe Grafik „Szenario 2“). Es ist nicht nur ziemlich zynisch, mit welcher Gelassenheit über die damit einhergehenden finanziellen Einschränkungen der heute Jüngeren im Alter – und damit auch über die Entwertung ihrer Lebensleistung – hinweggesehen wird. Letztlich offenbart sich, welche Bedeutung die EU-Kommission einer angemessenen Alterssicherung tatsächlich einräumt: offensichtlich eine sehr geringe. Die eigentliche Zielsetzung scheint das Zurückdrängen öffentlicher Sicherungssysteme zu sein.
    Jeden auch noch so moderaten Anstieg öffentlicher Pensionsausgaben als Ausdruck mangelnder „finanzieller Nachhaltigkeit“ zu diskreditieren, belegt letztlich nichts anderes als eine politische Werthaltung, die angesichts des Ausmaßes der demografischen Verschiebungen nur als widersinnig bezeichnet werden kann.

    Vorgefertigtes Mindset
    Die eigene Unbeirrbarkeit der EU-Kommission zeigt sich auch bei den diversen – oft eher künstlich wirkenden – Konsultations- und Einbeziehungsversuchen der heimischen Sozialpartner, wenn es um den Austausch über den Status quo in Österreich und die möglichen Politik- und Reformempfehlungen geht. Verstörend ist erfahrungsgemäß weniger, „was“ besprochen wird, sondern vielmehr die selektive Akzeptanz und Perzeption geäußerter Standpunkte: AK und ÖGB argumentieren stets mit offiziellen Statistiken – etwa von der EU-Kommission selbst oder vom Finanzministerium –, diese werden jedoch geflissentlich ignoriert. IV und WKO hingegen werden mit ihrem unangebrachten Alarmismus und ihrem Ruf zu massiven Einschnitten ins österreichische Pensionssystem „erhört“.
    Führt man sich die Alternativen zur Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters vor Augen, dann zeigt sich eine Vielzahl an Stellschrauben, die direkt oder indirekt mit einer besseren Arbeitsmarktintegration und einer fairen Teilhabe der Menschen zu tun haben. Mehr als das, denn sie wirken weit über die Pensionsfinanzierung hinaus: verbesserte Einstiegschancen für Jüngere, Aus- und Weiterbildung für Geringqualifizierte, verbesserte Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Beseitigung der Benachteiligung von Frauen, Humanisierung der Arbeit, faire Verteilung der Arbeit statt gesundheitsschädliche Arbeitszeiten auf Abruf, Förderung benachteiligter Gruppen (inkl. MigrantInnen), alternsgerechte Arbeitsplätze und vieles mehr.
    Letztlich ist klar: Je mehr Menschen durch ihre Erwerbsarbeit bei einer gerechten Entlohnung ins Umlagesystem einzahlen, umso besser steht es auch um die Finanzierungsperspektiven für das öffentliche Pensionssystem. Es geht nicht darum, dass die Menschen erst immer später in Pension gehen dürfen. Vielmehr geht es um gute Erwerbschancen während des gesamten Erwerbslebens und um eine faire Entlohnung!

    Volle Verve für Vollbeschäftigung?
    Wenn sich die EU-Kommission mit einer vergleichbaren Energie wie für ihr Mantra vom Zurückdrängen der öffentlichen Pensionen, für Vollbeschäftigung und gute Arbeitsbedingungen in Europa einsetzen würde, dann stünde Europa heute anders da. Stattdessen ist die Lage besorgniserregend, wie die EU-Kommission ganz leicht ihrem eigenen Sozial- und Beschäftigungsbericht entnehmen könnte: Manche Länder erreichen wirtschaftlich gerade einmal ihr Vorkrisenniveau oder liegen sogar noch darunter, die Armut bleibt erschreckend hoch, die Erwerbseinkommen bleiben deutlich zurück, die Ungleichheit steigt. Zudem sind die Arbeitsmärkte nachhaltig „beschädigt“: Die Zahl der Arbeitssuchenden und dauerhaft ausgegrenzten Personen ist weiterhin hoch, ebenso die der atypischen und oft nicht mehr existenzsichernden Beschäftigung. Davon betroffen sind oft Menschen und Familien, die es ohnedies schwer haben – allen voran Menschen mit gesundheitlichen und qualifikatorischen Einschränkungen, aber auch Menschen mit oft fürchterlichen Migrations- oder Fluchterfahrungen.

    Inakzeptables Niveau
    Daran ändern leider auch Jubelmeldungen wie: „Es gab noch nie so viele Beschäftigte in der EU“, oder über den Rückgang der Arbeitslosenquote (von einem vor kurzem noch unvorstellbar hohen Niveau) relativ wenig. Faktum ist, dass Beschäftigungsstatistiken, die bereits Personen, die eine Stunde (in der Referenzwoche) gegen Entgelt gearbeitet haben, als erwerbstätig zählen, nichts über die Qualität der Erwerbsintegration aussagen und dass das Ausmaß an Beschäftigungslosigkeit nach wie vor in Europa ein völlig inakzeptables Niveau erreicht.
    Klar sollte sein: Es gibt kein Ruhekissen für die politisch Verantwortlichen. Vollbeschäftigung und gute Arbeit müssen bei der Millionenschar an Arbeitslosen, von Armut, Ausgrenzung, geringer Entlohnung und oft schwierigsten Arbeitsbedingungen betroffenen Menschen eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen. Dem ist aber nicht so! Das ist geradezu fahrlässig, denn man könnte sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Eine zunehmende Verbesserung der Lebensrealität der Menschen und die nachhaltige Sicherung einer guten sozialen Absicherung trotz des fortschreitenden demografischen Wandels.

    Europäischer Beschäftigungs- und Sozialbericht:
    tinyurl.com/ybkfskj2
    Länderspezifische Empfehlungen für Österreich:
    tinyurl.com/ydhxzfqq

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren adi.buxbaum@akwien.at und erik.tuerk@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Adi Buxbaum, Erik Türk, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430344 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533866430321 Vorrang für soziales Europa Am 1. Juli 2018 hat Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union für sechs Monate übernommen – das dritte Mal nach 1998 und 2006. Es ist die letzte EU-Ratspräsidentschaft vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019, in der inhaltlich noch etwas bewegt werden kann und wichtige Projekte für ein soziales Europa umgesetzt werden können.

    Enttäuschendes Programm
    Das Arbeitsprogramm der Bundesregierung macht jedoch wenig Hoffnung, dass die österreichische Bundesregierung hier Initiativen für ArbeitnehmerInnen setzen wird. Ganz im Gegenteil: Das Motto des Vorsitzes lautet „Ein Europa, das schützt“. Die Schwerpunkte liegen auf der Sicherung der Außengrenzen vor illegaler Migration, der Absicherung des Wohlstands und der Digitalisierung sowie der Stabilität in der Nachbarschaft und am Westbalkan. Das soziale Europa und die aktuelle Forderung nach einer Europäischen Arbeitsbehörde gegen Lohndumping werden im Programm mit keinem Wort erwähnt, andere Vorschläge im Sozialbereich nur am Rande genannt.
    „Die türkis-blaue Regierung erfüllt die Wünsche ihrer Spender aus der Industrie nicht nur im Inland, sondern auch in ihrem Programm für die EU-Präsidentschaft“, kritisiert Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. „Hier verpasst Österreich eine große Chance, im Kampf für ein soziales Europa und gegen Lohn- und Sozialdumping etwas weiterzubringen. Was das soziale Europa betrifft, haben Kurz und Strache nichts als einen Lückentext vorgelegt.“
    Auch AK-Präsidentin Renate Anderl ist vom Präsidentschaftsprogramm der Regierung enttäuscht. Mit keinem Wort wird die erst im November 2017 proklamierte „Europäische Säule sozialer Rechte“ erwähnt, die trotz vieler Defizite einen wichtigen Kompass in Richtung besserer Arbeits- und Lebensbedingungen in der EU darstellt. Stattdessen werden mit nebulosen Hinweisen auf „Subsidiarität“ oder „Gold Plating“ Standards im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrecht in der gesamten EU infrage gestellt. „Diese Politik bedeutet das Gegenteil von sozialem Fortschritt. Statt Europa in einen Abwärtsstrudel sinkender Standards zu manövrieren, sollten mit dem EU-Vorsitz wieder jene Entwicklungen vorangetrieben werden, die ein fortschrittliches Bild von Europa zeichnen“, betont Anderl.

    Kurswechsel jetzt!
    „Weichen für ein soziales Europa stellen“: Der ÖGB hat ein klares Forderungsprogramm an die Regierung – einstimmig stimmte der ÖGB-Bundeskongress im Juni für einen Kurswechsel in der EU. Der ÖGB erwartet, dass die Regierung ihr eigenes Vorsitzmotto „Ein Europa, das schützt“ ernst nimmt und dass vor allem ArbeitnehmerInnen endlich geschützt werden, und zwar vor dem dramatisch ansteigenden Lohn- und Sozialdumping sowie vor einem ruinösen Steuerwettbewerb der Mitgliedstaaten. Auch AK-Präsidentin Anderl stellt klar, dass die Menschen im Mittelpunkt der europäischen Politik stehen müssen. Die Erwartungen und Forderungen an den österreichischen EU-Ratsvorsitz hat die Arbeiterkammer in einem „Memorandum für ein soziales Europa“ zusammengefasst. Darin fordert sie viele unterschiedliche Maßnahmen mit einem gemeinsamen Nenner: die Schaffung bzw. Verbesserung der Voraussetzungen für ein soziales Europa, das den Menschen Schutz gibt.

    Lohn- und Sozialdumping bekämpfen
    In den grenznahen Regionen betreiben bis zu 61 Prozent aller ausländischen Entsendeunternehmen Lohndumping – die Ausnahme wird immer mehr zur Regel. Verwaltungsstrafen wegen Sozialdumping sind in den meisten Fällen grenzüberschreitend nicht durchzusetzen. ÖGB und AK fordern daher eine rasche Umsetzung der geplanten EU-Arbeitsbehörde. „Diese muss allerdings eine schlagfertige ‚Arbeitsschutzbehörde‘ sein, damit endlich grenzüberschreitend vorgegangen werden kann“, betont Achitz. Diese Arbeitsbehörde in Österreich anzusiedeln, sollte laut AK-Präsidentin ein gemeinsames Anliegen der Bundesregierung sein.
    Außerdem setzen sich ÖGB und AK für mehr Steuergerechtigkeit ein: Steuerhinterziehung und -vermeidung müssen stärker bekämpft werden. In diesem Zusammenhang fordert der ÖGB unter anderem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, zudem müssen Steuerflucht und Steueroasen international koordiniert bekämpft werden. Ebenso soll es kein Geld für Unternehmen, die in Steueroasen registriert oder aktiv sind, geben.

    Mehr und bessere Arbeitsplätze
    Die einsetzende wirtschaftliche Erholung in Europa schafft wieder mehr Arbeitsplätze, aber es besteht weiterhin ein großer Handlungsbedarf. Zu den bestehenden Herausforderungen wie etwa Langzeitarbeitslosigkeit bringt die voranschreitende Digitalisierung weitere mit sich und die Qualifikationsanforderungen am Arbeitsmarkt verändern sich stark. „Maßnahmen, die Frauen am Arbeitsmarkt stärken, prekäre Arbeit eindämmen und die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, sind das Gebot der Stunde“, sagt Anderl. Ein besserer Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle Menschen sei eine wesentliche Voraussetzung, um den digitalen Wandel zu bewältigen, nicht zuletzt sind sie die beste „Schutzimpfung“ gegen Arbeitslosigkeit.
    „Die EU darf den wirtschaftlichen Freiheiten nicht länger Vorrang vor den sozialen Rechten einräumen. Dies ist der grundlegende Konstruktionsfehler der EU, die EU ist mehr als ein Binnenmarkt“, betont Achitz. „Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung, dass bei der nächsten EU-Vertragsänderung ein soziales Fortschrittsprotokoll verankert werden muss, das dem Sozialen in der EU endlich Vorrang vor den Interessen der Konzerne einräumt.“ Anderl wiederum betont, dass Europa das Potenzial habe, alle Probleme und Herausforderungen zu bewältigen, und zwar vor allem dann, „wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen und eines vor Auge haben: Es geht immer um die Menschen. Wohlstand, Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt müssen daher zu den wichtigsten Leitmotiven Europas werden.“

    AK „Memorandum für ein soziales Europa“:
    tinyurl.com/ycdtcgyx
    ÖGB-Forderungen zum EU-Ratsvorsitz:
    tinyurl.com/y9yful7x

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

    Weichen für soziales Europa stellen!
    Forderungen von AK und ÖGB im Überblick

    • Priorität für die Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die Frauen am Arbeitsmarkt stärken und prekäre Arbeit eindämmen. Ein besserer Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung zur Bewältigung des digitalen Wandels und die beste „Schutzimpfung“ gegen Arbeitslosigkeit.
    • Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Die geplante Europäische Arbeitsbehörde kann hier wirksame Hilfe leisten. Diese Behörde in Österreich anzusiedeln, sollte ein gemeinsames Anliegen der Bundesregierung sein.
    • Ausweitung und Weiterentwicklung verbindlicher sozialer Mindeststandards auf hohem Schutzniveau: Durch ein Sozialprotokoll muss sichergestellt sein, dass soziale Grundrechte im Zweifel Vorrang vor Marktfreiheiten und Wettbewerbsregeln haben.
    • Das EU-Budget muss stärker auf soziale Ziele ausgerichtet sein.
    • Priorität für eine sozialverträgliche Gestaltung der Digitalisierung und des Klimawandels.
    • Die hohen österreichischen Sozialstandards dürfen nicht unter dem Vorwand von „Überregulierung“ und „Gold Plating“ den Interessen der Wirtschaft geopfert werden.
    • Europa muss bei der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion eine ausgewogene, beschäftigungs- und wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik, faire Verteilung sowie ein solides soziales Sicherungssystem in den Mittelpunkt rücken. Mehr budgetärer Spielraum für öffentliche Zukunftsinvestitionen (Goldene Regel) ist hierfür unverzichtbar.
    • Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sowie Lohn- und Sozialdumping müssen entschlossen bekämpft werden.
    • Die europäische und internationale Handelspolitik muss gerecht gestaltet werden.
    • Brexit nicht auf Kosten der Beschäftigten: Das zukünftige Abkommen muss verbindliche Klauseln zum Schutz von ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und der Umwelt enthalten. Das Vereinigte Königreich muss verpflichtet werden, weiterhin EU-Standards anzuwenden, damit kein unfairer Wettbewerb entsteht.
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    Amela Muratovic, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533866430309 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533780028361 Frisch gebloggt 12 Stunden: von der Ausnahme zum Normalfall
    Christoph Klein

    Das Top-Thema am AW-Blog in den vergangenen Wochen war der geplante 12-Stunden-Tag der Regierung. Trotz eines Ende Juni eilig eingebrachten Abänderungsantrags des ursprünglichen Gesetzesentwurfs, der eine sogenannte „Freiwilligkeitsgarantie“ beinhaltet, bleiben die Hauptkritikpunkte aufrecht: Die Schutzfunktion des Arbeitszeitrechts geht damit verloren, die ArbeitnehmerInnen müssen eine angeordnete Überstunde (die über der bisherigen 10-Stunden-Grenze liegt) ablehnen. Dadurch entsteht automatisch mehr Druck für die Menschen. Dazu kommt, dass der Betriebsrat um das Zustimmungsrecht für Überstunden bis zu 12 Stunden gebracht wird und damit um die Möglichkeit, eine bessere Abgeltung, geblockten Zeitausgleich oder Ähnliches für die KollegInnen auszuhandeln. Zudem wird der Kreis von Menschen, die keinen arbeitszeitrechtlichen Schutz genießen, ausgedehnt und die Sonn- und Feiertagsarbeit an bis zu vier Tagen im Jahr ermöglicht. Alles in allem keine rosigen (Zeit-)Aussichten.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ya2pu7x9

    12-Stunden-Tag im Tourismus
    Canan Aytekin

    Im Tourismus werden Beschäftigte gesucht, doch viele Menschen wollen aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen nicht in dieser Branche arbeiten. Das von der Regierung geplante Gesetz zum 12-Stunden-Tag samt Ausweitung der täglichen bzw. wöchentlichen Arbeitszeit sowie Verkürzung der Ruhezeit bei geteilten Diensten macht das Arbeiten in dieser Branche noch unattraktiver, wie anhand eines Beispiels illustriert wird. Noch weniger Planbarkeit von Freizeit, noch weniger Schlaf, noch weniger Privatleben und noch mehr Belastungen und eine erhöhte Unfall- und Erkrankungsgefahr. Im Endeffekt werden diese Regelungen zu noch mehr Unzufriedenheit bei den Beschäftigten im Tourismus und damit zu einem endgültigen Attraktivitätsverlust der Branche führen.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ycglmbdk

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    Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533780028349 Die 180-Grad-Wende Es ist eine perfekte Hochglanzinszenierung, die die Bundesregierung bei dieser nunmehr dritten Präsidentschaft Österreichs im Rat der EU abliefert. Angesichts dessen treten der eigentliche Sinn und die Bedeutung dieser wichtigen Aufgabe leicht in den Hintergrund. Ein näherer Blick offenbart, dass die Präsidentschaft von der Koalition auch dazu genutzt wird, den bewährten Kurs Österreichs für ein Europa mit möglichst hohen Sozial- und Umweltstandards um 180 Grad zu wenden – zugunsten der exportorientierten Unternehmen und zulasten der ArbeitnehmerInnen.
    Aber der Reihe nach. Der Rat der EU ist ein Vertretungsorgan der 28 Mitgliedstaaten im Rahmen der europäischen Rechtsetzung. Er ist eine Art Länderkammer, in der die BürgerInnen indirekt über ihre nationalen Regierungen vertreten sind (unmittelbares Vertretungsorgan der WählerInnen ist das Europäische Parlament, das somit eine Art europäische BürgerInnenkammer als Gegengewicht zum Rat darstellt). Kaum ein Rechtsakt der EU kommt ohne Einbindung des Rates zustande.

    Familienaufstellungen
    Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Europäischen Rat und dem Rat der EU. Der Europäische Rat ist das höchste politische Organ der EU, das alle Staats- und Regierungsoberhäupter sowie den Präsidenten der EU-Kommission versammelt und uns nach jeder Tagung als fotogene Großfamilie von den Titelseiten zulächelt. Ihm steht ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Präsident vor. Momentan hat diese Stelle der vormalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk von der Europäischen Volkspartei inne.
    Im Rat der EU wiederum treffen die FachministerInnen zusammen. Er verfügt über keine gewählte Präsidentschaft. Vielmehr rücken die um die Verhandlungstafel sitzenden VertreterInnen der Mitgliedstaaten im Halbjahresrhythmus um jeweils einen Sitzplatz im Uhrzeigersinn weiter. So kommt jedes Land einmal an die Reihe, um für jeweils sechs Monate die politische Verantwortung für das Funktionieren dieses zentralen Steuerungselements der europäischen Gesetzgebungsmaschinerie zu übernehmen.
    So liegt die allererste Aufgabe des Vorsitzlandes auch darin, Beschlüsse und andere Entscheidungen – gegebenenfalls auch durch engagierte Vermittlungstätigkeit – zustande zu bringen. Dies ist eine nicht immer einfache Sache in Anbetracht der vielfach gespaltenen Mitgliedstaaten.
    Dem Papier nach ist die Ratspräsidentschaft dazu angehalten, ihre Rolle stets allparteilich anzulegen und Eigeninteressen hintanzustellen. Gern wird dafür auch das Bild des sogenannten „ehrlichen Maklers“ bemüht. Dieser Vergleich trifft das Bild tatsächlich gut, wenngleich auch mit einer Portion unfreiwilliger Ironie. Denn wer im Leben Erfahrung mit MaklerInnen gesammelt hat, weiß nur allzu gut, dass diese von allen beteiligten Parteien in erster Linie an sich selbst denken. Tatsächlich gibt es für ein Land keinen besseren Moment als den der Ratspräsidentschaft, um die eigenen europapolitischen Interessen zur Geltung zu bringen.

    Drei Ebenen
    Dies tritt in dreierlei Weise zu Tage. Die Ratspräsidentschaft kann erstens Themen setzen: Hier geht es darum, die Aufmerksamkeit auf gewisse Fragen zu lenken und Debatten zu initiieren. Die Ratspräsidentschaft kann zweitens die Themen arrangieren: In der Praxis betrifft dies die Festlegung der Frequenz an Treffen zu gewissen Politikfeldern, die Einberufung von informellen Treffen und die Festlegung der Tagesordnung. Drittens kann die Ratspräsidentschaft bestimmte Themen ausschließen: Unerwünschte Fragen werden explizit nicht angesprochen, Entscheidungen über Rechtsakte werden verschleppt und bestimmte Punkte aus der Tagesordnung von Ratssitzungen ausgeklammert. Zusammengefasst: Ohne Rat geht in der EU nichts, und ohne willige Ratspräsidentschaft läuft im Rat nichts. Folglich hat die Ratspräsidentschaft tatsächlich das Potenzial, der gesamten EU-Politik auch ihre Themen aufzudrücken.
    Es ist erstaunlich, dass sich Österreich mit seinem Programm unter dem Motto „Ein Europa, das schützt“ nun an die Spitze einer europäischen Bewegung gestellt hat, die ernsthaft für einen Rückbau von europäischen und nationalen Schutzstandards eintritt. Das bedeutet einen massiven Kurswechsel. Denn seit dem EU-Beitritt waren alle österreichischen Regierungen mehr oder weniger für den Ausbau von europäischen (Mindest-)Standards insbesondere zum Schutz von ArbeitnehmerInnen, VerbraucherInnen und der Umwelt eingetreten.
    Hohe Standards befinden sich momentan in einer Art Doppelmühle: Zum einen werden sie auf europäischer Ebene mit Verweis auf die „Subsidiarität“ angezweifelt, da sie nach dem neuen konservativen Verständnis keinen europäischen Mehrwert mehr darstellen. Zum anderen sollen die Mitgliedstaaten unter Verweis auf mögliches „Gold Plating“ dazu animiert werden, die ohnedies meist schwach ausgeprägten europäischen Mindeststandards auch auf nationaler Ebene nicht mehr zu verstärken.
    Es ist leicht erkennbar, dass vor allem die Arbeitgeberseite hier die Feder führt, aber es ist bemerkenswert, wie sehr die Regierung(-skoalition) hier an die Substanz jenes Europas geht, das aus Sicht der ArbeitnehmerInnen eine wichtige Bedingung für das klare Ja zum Beitritt Österreichs zur EU war: die Idee, wonach unser sozialstaatliches Modell im Rahmen der EU besser weiterentwickelt werden kann als außerhalb. Und dass es dafür – wie es so schön in den Verträgen heißt – einer Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Weg des Fortschritts bedarf, wie dies etwa in Artikel 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union steht.
    Gerade die österreichische Wirtschaft hatte dem bis jetzt auch wenig entgegenzusetzen. Denn nur hohe Standards überall in der EU können die hohen Schutz- und Lebensstandards in Österreich absichern. Ansonsten wären die Standards ein Spielball im Standortwettbewerb mit anderen Mitgliedstaaten. Anders die nunmehrige Bundesregierung: In einem Akt seltener Destruktivität beschlossen etwa die Regierungsparteien im Bundesrat noch im Juni sogenannte Subsidiaritätsrügen gegen wichtige Verbesserungen im europäischen VerbraucherInnenschutz. Dabei geht es unter anderem um den „New Deal for Consumers“, mit dem auch Einrichtungen wie etwa die AK eine Art Sammelklage einbringen hätten können. Und wäre dies nicht bestellt, so würde der Bundesrat eigentlich dem ehrlichen Makler in den Rücken fallen.
    Noch befremdlicher erscheint die Zurückhaltung bei wichtigen sozialpolitischen Themen wie der wirksamen Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping. Endlich schlägt die oftmals am sozialen Auge blinde EU-Kommission eine sinnvolle Initiative in Gestalt einer Europäischen Arbeitsbehörde vor – und das offizielle Österreich erkennt keinen Mehrwert darin.

    Innenpolitische Immunstärkung
    Derlei Brüche in Inhalt und Stil der österreichischen EU-Politik folgen gewiss einem erkennbaren Muster. Maßnahmen für exportorientierte Unternehmen werden gepusht, arbeitnehmerInnen- oder verbraucherInnenfreundliche Ansätze werden verschleppt, auf dass sie vor den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 keine Chance mehr auf Realisierung haben (womit sie fürs erste nämlich begraben wären).
    Es ist aber gar nicht so einfach, auf diese Verfehlungen hinzuweisen, ohne dann einer schlechten Gesinnung geziehen zu werden. So erging es jedenfalls schon so manchen österreichischen RepräsentantInnen im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, die sich auf Streitgespräche zur verwerflichen, um nicht zu sagen antieuropäischen, Präsidentschaftspolitik aus der Sicht von ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen eingelassen haben. Wer dies öffentlich durchschaut, gerät in Gefahr, als unpatriotische/r NestbeschmutzerIn bezeichnet zu werden.
    Es ist hierin eine weitere tiefere Bedeutung der Ratspräsidentschaft erkennbar: das internationale Rampenlicht dafür zu nutzen, um die eigene Position im Land zu festigen. Was auch immer für Themen gespielt werden, sie werden uns als große nationale Sache präsentiert. Eigentlich sollten wir also voller patriotischem Stolz sein, nach dem Motto: Freut euch mit dem „Popstar-Bundeskanzler“. Gern! Nur worüber?

    Nachlese: „Gefährliches Spiel mit Standards“
    tinyurl.com/ybucx7nw

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor valentin.wedl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Valentin Wedl, Abteilung EU und Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028343 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533780028324 Interview: "Das Geschäftsmodell Lohn- und Sozialdumping in die Schranken weisen" Arbeit&Wirtschaft: Wie beginnt eigentlich Ihre Woche als Leiter des ÖGB-Europabüros?
    Oliver Röpke: Wir sind in der EU-Botschaft Österreichs untergebracht, was ein Sonderfall ist: Nur bei Österreich sitzen die Sozialpartner in der ständigen Vertretung. Jeden Montagmorgen haben wir eine Sitzung mit allen Abteilungsleitern aus den Ministerien und dem Botschafter, wo wir aktuelle Themen besprechen.

    Was ist die Aufgabe des ÖGB in Brüssel?
    Generell vertreten wir die Position des ÖGB und der Gewerkschaften im Europäischen Gewerkschaftsbund und in den EU-Institutionen, etwa im Parlament, wenn die Ausschüsse tagen. Wir bereiten Änderungsanträge vor, sprechen mit den Abgeordneten und sind mit den BeamtInnen der Kommission in Kontakt. Wir schauen, was auf der Agenda steht und welche Positionen wir einbringen wollen.
    Wir organisieren Veranstaltungen wie Arbeitsfrühstücke im Parlament, Workshops mit KommissionsbeamtInnen oder Abendveranstaltungen, wo wir ein breites Publikum ansprechen und GewerkschafterInnen aus Österreich auf die europäische Bühne holen. Wir kooperieren mit NGOs und anderen Gewerkschaften, die in Brüssel vertreten sind. Die Arbeit der letzten Jahre hat sich ausgezahlt: ÖGB und AK sind heute die aktivsten ArbeitnehmerInnenvertretungen in der EU.

    Womit beschäftigt sich das ÖGB-Europabüro im Moment?
    Die Themen, die die österreichische Ratspräsidentschaft stellt, stehen auch beim ÖGB und der AK in Brüssel – wir arbeiten immer abgestimmt – auf der Tagesordnung, aber oft von einem kritischen Blickwinkel aus, weil wir mit der Ausrichtung vieler Themen nicht einverstanden sind. Unsere Hauptaufgabe ist, das soziale Europa und sozialpolitische Themen in den Vordergrund zu stellen und die Ratspräsidentschaft zu drängen, etwas in diese Richtung zu tun.

    Was sind Ihre ersten Eindrücke von der österreichischen Ratspräsidentschaft?
    Wir haben ein umfangreiches Forderungsprogramm für die Ratspräsidentschaft erstellt, das einstimmig vom Bundeskongress verabschiedet wurde. Im Mittelpunkt steht, dass das Motto „Ein Europa, das schützt“ ernst genommen werden sollte – und zwar die ArbeitnehmerInnen und nicht die Konzerne, wie ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian gesagt hat. Die ersten Eindrücke sind sehr ernüchternd und bestätigen die Skepsis, dass sowohl bei der Bekämpfung von Steuerbetrug und -vermeidung als auch beim Einsatz für das soziale Europa wenig vorangehen wird.
    Wenn man sich die bisherige Rolle Österreichs anschaut, die sehr proeuropäisch war, ist es beschämend, was die aktuelle Regierung in Europa für ein Bild abgibt. Sie befasst sich fast monothematisch mit den Themen Außengrenzen, Flüchtlinge und Verteidigungsunion. Das wird wie ein Mantra wiederholt. Das ist einfach zu wenig aus unserer Sicht.

    Was sind die wichtigsten Forderungen des ÖGB?
    Die EU darf sich nicht unter dem Vorwand der Subsidiarität vom sozialen Europa und aus der Sozialpolitik verabschieden. Genau diese Gefahr droht derzeit. Wir wollen, dass der Brexit als Chance begriffen wird, um Europa wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und mit Großbritannien mehr als eine Art Freihandelsabkommen zu schließen. Es muss vermieden werden, dass vor unserer Haustür ein Land entsteht, das Lohn- und Steuerdumping anbietet. Deswegen müssen wir soziale Standards auch dort schützen. Wir unterstützen die britischen Gewerkschaften dabei.
    Wir brauchen eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik, also eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, die endlich mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in den Vordergrund stellt – mit der goldenen Investitionsregel für mehr Zukunftsinvestitionen. Und wir brauchen eine Kurskorrektur in der Handelspolitik. Handelsverträge dürfen kein Instrument für Liberalisierung und Deregulierung sein, sondern müssen fairen Handel mit verbindlichen und durchsetzbaren ArbeitnehmerInnenrechten ermöglichen. Leider gibt es starke Gegenspieler.

    Wen meinen Sie konkret?
    Ich spreche vom sogenannten Gold Plating. Unter diesem ideologischen Kampfbegriff läuft eine europaweit koordinierte Aktion von Konservativen und Industrieverbänden, zu denen auch die Industriellenvereinigung gehört. Der europäische Industrieverband Businesseurope versucht nicht erst seit gestern, dieses Thema voranzutreiben. Jetzt sind sie so weit, dass sie die Mehrheit in einigen Mitgliedstaaten haben und diese Agenda wirklich umsetzen können.

    Worum geht es dabei?
    Es geht um einen koordinierten europaweiten Angriff der Industrielobby auf ArbeitnehmerInnenrechte. Europäische soziale Mindeststandards sollen in Zukunft zu Maximalstandards gemacht werden, die nicht mehr überschritten werden dürfen. Teile der Industrie wollen Europa wieder zu dem machen, was wir schon überwunden hatten, nämlich zu einer reinen Freihandelszone. Diese Lobby will erreichen, dass Unternehmen alle Freiheiten haben und ArbeitnehmerInnen über die Grenzen hinweg einsetzen können und dass Europa bei sozialen Fragen nicht mehr mitreden darf. Wenn das passiert, wird der Wettlauf um die niedrigsten Standards zum System.

    Sie haben erwähnt, dass es in der EU derzeit monothematisch zugeht. Gibt es wirklich keinen Spielraum für andere politische Inhalte?
    Die Agenda wird zum Teil durch das, was die Kommission auf den Tisch legt, vorgegeben. Zum Beispiel ist der Brexit derzeit ein Hauptanliegen. Aber gemeinsam mit den KollegInnen von der AK, mit denen wir in Brüssel eine Bürogemeinschaft haben, versuchen wir, eigene Themen in den Fokus zu rücken und Agendasetting zu betreiben.

    Bei welchen Themen zum Beispiel?
    Vor vielen Jahren haben wir die Finanztransaktionssteuer gefordert, gegen die damals ganz Europa war. Außer Österreich wollte das niemand, und vor zehn Jahren wurde man für diese Forderung noch fast ausgelacht. Wir haben dazu Termine mit der Kommission gemacht und Veranstaltungen organisiert, wo wir das Thema gepusht haben. Gemeinsam mit NGOs und anderen Gewerkschaften haben wir es geschafft, dass es auf die Tagesordnung gekommen ist – leider immer noch mit keinem greifbaren Ergebnis. Aber der Vorschlag liegt zumindest auf dem Tisch und es wird darüber verhandelt. Ein zweites Beispiel ist faires und transparentes Lobbying, ein großes Thema, das in der Öffentlichkeit nie eine Rolle spielte.

    Was haben Sie da erreicht?
    Auch das haben erst wir gemeinsam mit der AK in Brüssel auf die Agenda gesetzt, und zwar mithilfe eine Studie, die schon vor Jahren ausgesagt hat, dass von den etwa 25.000 bis 30.000 Lobbyisten in Brüssel mehr als 95 Prozent Wirtschafts- und vor allem Finanzindustrie-Lobbyisten sind. Nur ein kleiner Bruchteil kommt aus Gewerkschaften, NGOs und vom Konsumentenschutz. Wir haben uns verschiedene Beratergruppen in der Kommission angeschaut und es kam zum Beispiel heraus, dass in einer Beratergruppe für Finanzmarktregulierung zwei Drittel der VertreterInnen aus der Finanzlobby kamen.
    Unsere Arbeit hat dazu beigetragen, dass die Juncker-Kommission die Transparenzregeln deutlich verschärft hat. Vor zehn, zwölf Jahren konnte man sich noch hinter verschlossenen Türen treffen. Heute muss zumindest bei den KommissarInnen, ihren Kabinetten und den GeneraldirektorInnen alles transparent gemacht werden und auf deren Websites jedes Treffen im Terminkalender veröffentlicht werden.

    Aber es stellt sich die Frage, was wirklich veröffentlicht wird.
    Ja, natürlich. Und Gesetze werden nicht von KommissarInnen, sondern von BeamtInnen geschrieben, und die müssen nach wie vor nicht veröffentlichen, mit wem sie sich treffen. Da ist also noch viel zu tun, aber das Thema steht auf der Agenda.

    2017 wurde die Europäische Säule sozialer Rechte verabschiedet. Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?
    Die Säule ist bisher nur heiße Luft mit vielen guten Absichten. Unsere Aufgabe ist es, die Inhalte umzusetzen, damit die ArbeitnehmerInnen konkret etwas davon haben. Hier zeigt sich die österreichische Bundesregierung bisher nicht sehr gewillt. Im Programm für die Ratspräsidentschaft wird die Säule mit keinem Wort erwähnt. Auch viele unserer Forderungen finden sich nicht wieder.

    Jean-Claude Juncker hat die soziale Säule erstmals 2014 erwähnt. Warum ist sie überhaupt wichtig für die EU?
    Ein Binnenmarkt, der fairen Wettbewerb garantieren soll, wo ArbeitnehmerInnen und Unternehmen grenzüberschreitend tätig sein können, kann auf Dauer nur bei vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen und sozialen Standards funktionieren. Deshalb ist es schon wirtschaftspolitisch ein Muss, dass sich die Standards zumindest annähern. Und es war immer Konsens in der EU, dass sich die Standards nach oben annähern sollen.
    Wir hatten immer das Konzept, ambitionierte Mindeststandards auf europäischer Ebene zu schaffen, um die Staaten nachzuholen, die zurückgeblieben sind. Mit der großen Osterweiterung ist dieses Konzept immer schwieriger geworden, weil der Wohlstandsunterschied so enorm ist, dass es kaum möglich ist, Mindeststandards zu schaffen, die für ArbeitnehmerInnen in Schweden oder Österreich genauso attraktiv sind wie für jene in Bulgarien oder Rumänien.

    Was, wenn es nicht gelingt, die soziale Säule in der EU zu verankern?
    Dauerhaft ist eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne soziale Konvergenz, also soziale Annäherung, nicht möglich. Wenn es in den nächsten Jahren keinen deutlichen Schritt Richtung soziales Europa gibt, werden wir das Europa, das wir jetzt kennen, nicht mehr wiedererkennen, weil die EU dann bei den Menschen keine Akzeptanz mehr finden wird und der Vormarsch der PopulistInnen weitergeht.
    Wir sehen schon jetzt beim Flüchtlingsthema, dass viele Menschen glauben, dass Europa es nicht schafft, eine gerechte Lösung herbeizuführen. Die Akzeptanz wird weiter sinken, wenn man Lohn- und Sozialdumping nicht bekämpfen kann und Steuerdumping nicht beendet. Dann sehen ArbeitnehmerInnen die EU als Treibstoff für den Motor Lohn-, Sozial- und Steuerdumping an. Daher gibt es keine Alternative zu einem sozialen Europa.
    Es funktioniert nicht, die EU nur als Freihandelszone zu gestalten und die Mitgliedstaaten das Soziale selber ausmachen zu lassen: Die soziale Spaltung und die sozialen Unterschiede in und zwischen den Mitgliedstaaten nehmen zu. Europa würde zerreißen. Aber leider geht es in letzter Zeit in die falsche Richtung. Einige Mitgliedstaaten wollen überhaupt keine soziale Konvergenz, sondern lieber die Uhr Richtung 80er- und 90er-Jahre zurückdrehen.

    Und diese Staaten sind so dominant?
    Sie sind nicht dominant, aber sie versuchen, so viel Widerstand zu mobilisieren, dass es zu keinen Mehrheiten kommt oder Vorschläge so zu verwässern, dass nichts Substanzielles übrigbleibt. Wir haben früher oft die Kommission für ihr geringes Engagement für ein soziales Europa kritisiert. Doch die Juncker-Kommission hat hier versucht, viel auf den Weg zu bringen.
    Der Widerstand kommt jetzt aus den Mitgliedstaaten. Traditionell war das immer Großbritannien mit einigen Verbündeten aus Osteuropa. Wir sehen, dass Staaten wie Polen und Ungarn, die das auf europäischer Ebene völlig blockieren, jetzt auch unterstützt werden von Italien und leider zunehmend auch von Österreich. Die Kommission und das Europäische Parlament wären durchaus bereit, weiter zu gehen als einige Mitgliedstaaten.

    Welche positiven Dinge sind bisher passiert?
    Wir sind beim Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort einen Schritt weiter. Wir haben die Entsenderichtlinie deutlich verschärft – eine langjährige Forderung von ÖGB und AK – und uns dort mit der Kommission gegen die Arbeitgeber auf europäischer Ebene und gegen massive Widerstände aus den ost- und mitteleuropäischen Ländern durchgesetzt. Das ist ein Schritt, um das Geschäftsmodell Lohn- und Sozialdumping in die Schranken zu weisen.

    Worauf fokussieren Sie sich als nächstes?
    Es sind Initiativen am Weg wie zum Beispiel die Europäische Arbeitsschutzbehörde oder auch ein Projekt von ÖGB, AK und dem DGB, in dem es um europäische Mindeststandards für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme geht.
    Wir wollen keine europäische Arbeitslosenversicherung, die für alle gelten soll, sondern dass es endlich Mindeststandards gibt, von denen die Menschen profitieren, zum Beispiel bei der Bezugsdauer: In einigen Mitgliedstaaten ist nach drei Monaten Schluss. Es stellt sich auch die Frage, wie viel Geld die Menschen bekommen, also wie hoch die Nettoersatzrate ist, und wie viele Leute überhaupt von der Arbeitslosenversicherung abgedeckt sind.
    Europäische Mindeststandards in den Mitgliedstaaten wären ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Auch da gibt es große Widerstände. Wir sind erst am Anfang der Debatte. Aber auch da ist die Soziale Säule der Ansatzpunkt, weil sie grundsätzlich angemessene Leistungen für Arbeitslose aus den Arbeitslosenversicherungen festschreibt.

    Lohn- und Sozialdumping in der EU zu bekämpfen, ist sicher wichtig. Aber auch andere Länder treiben Sozialdumping voran. Was tun?
    Ja, das stimmt. Und auch beim Steuerdumping spielen außereuropäische Länder mit. Aber wir sollten den ersten Schritt vor dem zweiten machen. Wenn wir das über globale Lösungen schaffen wollen, werden wir sie wahrscheinlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Bis wir zum Beispiel globale Regeln für eine Finanztransaktionssteuer festlegen, wird sehr viel Zeit vergehen. Deshalb sollten wir den Mut und das Selbstbewusstsein haben, zu sagen: Die EU ist einer der größten und mächtigsten Wirtschaftsräume und wir sollten hier verbindliche und fortschrittliche Regeln festschreiben. Danach können wir uns um globale Standards kümmern. Das Herausreden auf den Rest der Welt ist ja oft eine Strategie, damit überhaupt nichts weitergeht.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Oliver Röpke ist in Hamburg geboren und aufgewachsen und kam nach der Matura nach Wien, wo er Jus studierte. Anschließend arbeitete er in der Arbeiterkammer und danach in der Gewerkschaft, bis er 2001 nach Brüssel ging. Seit 2008 ist Röpke Leiter des ÖGB-Europabüros und Mitglied im Exekutivausschuss des Europäischen Gewerkschaftsbunds EGB.

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    Interview: Alexandra Rotter Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028304 "Wir brauchen eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik, also eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, die endlich mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in den Vordergrund stellt." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028309 Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533780028275 Coverstory: Kurswechsel längst überfällig! Das soziale Europa ist doch nur ein Wunschtraum von realitätsfremden Linken. Die EU ist ja nur für die Großen da, die es sich richten können. Eindrücke wie diese haben wohl viele Menschen, und sie sind auch nicht völlig von der Hand zu weisen. Schon gar nicht, wenn man sich die vielen Enthüllungen vergegenwärtigt, die à la Lux-Leaks, Panama Papers und Co in letzter Zeit zwar Schlagzeilen gemacht haben, aus denen man aber keine ernstzunehmenden Konsequenzen zu ziehen scheint. Gleiches gilt für den Umgang der Regierenden in Europa mit der Krise, den nicht zuletzt Arbeiterkammer und Gewerkschaften vehement kritisieren.
    Doch hat das eine mit dem anderen überhaupt etwas zu tun? Und wenn ja, was hat das mit der Idee des sozialen Europas zu tun? Und vor allem: Hat man als einfache/r BürgerIn dabei etwas mitzureden? Petra Völkerer, zukünftige Leiterin des AK-Büros in Brüssel, hat ein Beispiel in petto, das zeigt, dass einzelne Menschen sehr wohl etwas bewirken können – und dass auch die EU etwas bringt. Es geht dabei um die geplante EU-Arbeitsbehörde, die Arbeitgebern auf die Finger schauen soll. Als Vorbild dient die Europäische Bankenaufsicht: „In seiner Rede zur Lage der Union hat Jean-Claude Juncker letztes Jahr gesagt, er findet das eigentlich seltsam, dass es das für Banken gibt, aber für ArbeitnehmerInnen und deren Schutz nicht“, erzählt Völkerer die Vorgeschichte.
    Der Kommissionspräsident kündigte daraufhin die Schaffung der Behörde an. Eine ihrer Aufgaben ist die Koordinierung von grenzüberschreitenden Kontrollen: „Genau davon ist Österreich extrem betroffen, wenn man zum Beispiel ins Burgenland schaut“, so Völkerer. Auch verweist sie auf Schilderungen von Gewerkschafter Beppo Muchitsch betreffend ausländische Firmen, die in Österreich tätig sind und hier gegen Regeln verstoßen: „Da wird zwar gestraft, aber die fahren heim und lachen sich ins Fäustchen, weil das in Ungarn niemand vollstrecken würde.“
    Der springende Punkt ist daher, ob diese Agentur ein zahnloser Papiertiger oder aber ein sinnvolles Instrument wird, das auch Sanktionen verhängen kann – und ob diese auch tatsächlich vollstreckt werden. „Wir haben letzten Dezember eine Kampagne gemacht mit der Forderung, diese Agentur mit möglichst viel Pouvoir auszustatten“, erzählt die AK-Expertin. „Da haben wirklich viele Menschen mitgemacht und es haben sich Teile dessen wiedergefunden in den Begleitdokumenten zur Verordnung. Das hat uns sehr gefreut, weil da sieht man auch: Wenn alle zusammentun und die nationalen Gewerkschaften mithelfen und viele Leute unterschreiben bei einer solchen Kampagne, dann kann das die Kommission nicht ignorieren.“ Mehr noch: „Dass sie darauf reagiert und Dinge aufnimmt“, so die AK-Expertin. „Ich finde, das ist ein positives Beispiel. Das muss halt jetzt noch zum Leben erweckt werden, aber das heißt einfach: weitermachen, langen Atem haben und sich da nicht unterbuttern lassen.“

    EU-Kritik, nicht Ablehnung
    Begleitdokumente zu Verordnungen, Richtlinien, Behörden: Die Sprache der EU ist freilich nicht immer attraktiv, was sicherlich eine Ursache dafür ist, dass vielen Menschen Europa fremd erscheint. Auch üben Arbeiterkammer und Gewerkschaften genügend Kritik an der EU, die sicherlich auch zum negativen Bild beiträgt, auch wenn das so keineswegs beabsichtigt ist. AK-Expertin Völkerer zieht dazu einen Vergleich: „Das ist so wie bei den GlobalisierungskritikerInnen, denen unterstellt wurde, gegen die Globalisierung an sich zu sein. Darum ging es aber nie, sondern nur um die Globalisierung, wie sie jetzt gestaltet wird.“ Gleiches gilt für die EU, aber auch für das soziale Europa: so schwach ausgeprägt es ist – völlig inexistent ist es keineswegs. Evelyn Regner, die auf einem Gewerkschaftsticket für die SPÖ im Europäischen Parlament sitzt, fallen gleich mehrere Beispiele ein, eins davon betrifft LeiharbeiterInnen: „Das war ja eine große Geschichte, dass sie nicht mehr ausgebeutet werden dürfen, sondern grundsätzlich gleichgestellt sind“, erinnert sich die EU-Parlamentarierin. „Das hat zu großartigen Veränderungen zugunsten der Menschen geführt, und zwar auch derjenigen, die keine LeiharbeiterInnen sind. Weil man übt ja immer über die Schwächeren Druck auf die anderen aus.“

    Positive Impulsgeberin
    Oft genug ist die EU auch Impulsgeberin für Veränderungen in den Mitgliedstaaten. In Österreich etwa ist in Sachen Gleichstellung erst dann so richtig etwas weitergegangen, als es durch EU-Richtlinien dazu verpflichtet war. Gleiches gilt für die Kinderbetreuung, insbesondere jene von Kindern unter drei Jahren. „Da ist ja in Österreich nur deshalb was vorangegangen, weil es die Barcelona-Ziele gegeben hat, weil wir unter Druck standen“, hält Regner fest, und sie ergänzt: „Da ist sehr vieles an Substanz da, die wir der europäischen Zusammenarbeit verdanken. Europa sind also nicht die anderen, sondern es besteht darin, dass wir alle zusammen daran arbeiten, dass es besser wird.“
    Einer der aktuellen Punkte auf der Tagesordnung in Brüssel: die Work-Life-Balance. „Alle reden immer davon, dass sie bald im Burn-out sind, deshalb müssen wir uns dringend etwas einfallen lassen, dass man alles halbwegs unter einen Hut bringt: dass man Kinder oder Familie hat, sich ehrenamtlich engagiert, arbeitet und dabei auch halbwegs verdient, ohne rund um die Uhr arbeiten zu müssen, während andere arbeitslos sind“, so Regner. „Da sind gewisse Mindeststandards für Papamonat, Karenzzeit und auch für die Pflegetage drinnen, die durchaus über das hinausgehen, was es in Österreich gibt.“
    AK-Expertin Völkerer verweist auf eine Verbesserung beim sogenannten Europäischen Semester. Dieses ist an sich eine der Konsequenzen, die man aus der Krise gezogen hat. Es bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre Budget- und Wirtschaftspolitik an bestimmten Zielen und Regeln ausrichten müssen. Bei aller Kritik, die auch die AK an diesem Mechanismus übt, hält Völkerer eine Verbesserung fest: „Seit letztem Jahr werden nicht nur die makroökonomischen Daten abgeklopft, sondern es wird auch geschaut, wie die Staaten die Europäische Säule sozialer Rechte umsetzen.“
    Bei all den positiven Punkten haben aber sowohl AK-Expertin Völkerer als auch EU-Abgeordnete Regner jede Menge Kritik an der EU übrig. Die größte Hürde auf dem Weg zu einem sozialen Europa sei im Moment gar nicht so sehr die EU-Kommission, die von AK und Gewerkschaften immer wieder für ihre neoliberale Agenda kritisiert wird. Vielmehr seien es die Länder und damit der EU-Rat, so Völkerer. Zugleich verweist sie auf die grundsätzliche Kritik an der EU-Politik, die ihr Kollege Nikolai Soukup immer wieder äußert und der sie sich vollinhaltlich anschließt.

    Grundlegendes Ungleichgewicht
    Der AK-Experte beschäftigt sich in der Wiener Arbeiterkammer mit dem Thema EU. Er sieht zwar auch mehrere positive Entwicklungen, diese können ein grundlegendes Ungleichgewicht aber nicht ausgleichen. „Die Herausforderung besteht darin, sich nicht in den Details der einzelnen Rechtsakte zu verlieren, sondern zu schauen, was eigentlich die grundsätzliche Ausrichtung der EU ist“, so Soukup. „Hier kommt man zu einem sehr ernüchternden und enttäuschenden Bild, das man als massive soziale Schieflage beschreiben kann.“ Deutlich gemerkt habe man dies bei der EU-Krisenpolitik. Ansätze für diese Schieflage seien zwar schon vorher in die EU eingeschrieben worden, die Krisenpolitik hat diese aber noch zusätzlich verschärft. „Das Binnenmarkt-Projekt und die Währungsunion waren stark an marktliberalen Prinzipien ausgerichtet, während die sozialen Abfederungsmechanismen eher schwach ausgeprägt waren“, bemerkt der AK-Experte. „Vor allem konnten die sozialen Rechtsakte nicht ausgleichen, was der Druck der neoliberalen Integration der EU angerichtet hat.“
    Soukup blickt dafür zurück in die Geschichte der Europäischen Union, genauer gesagt zum Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992. Damals wurde die EU im eigentlichen Sinn erst gegründet, davor sprach man von den Europäischen Gemeinschaften. Eine der wesentlichen Weiterentwicklungen war die Wirtschafts- und Währungsunion. Um auch Deutschland mit an Bord zu holen, vereinbarte man die damals vielzitierte Budgetdefizitgrenze von drei Prozent. „Das heißt, man hat von Beginn an schon eine Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen, die auf eine restriktive Budgetpolitik ausgerichtet war“, so der AK-Experte.

    Paradoxien
    Dazu kommt eine gewisse Paradoxie: „In den 1980er-Jahren wurden die Weichen für eine neoliberale Integration gestellt, mit dem Binnenmarktprogramm und später mit der Wirtschafts- und Währungsunion, wo es sehr stark um eine Marktliberalisierung gegangen ist und Handlungsspielräume der Staaten eingeschränkt wurden.“ In diese Zeit fällt aber auch die Amtszeit von Jacques Delors als EU-Kommissionspräsident. Der französische Sozialist engagierte sich dafür, nicht nur die vielzitierte Harmonisierung des Marktes voranzutreiben, sondern auch soziale Harmonisierungsschritte zu setzen.

    Missbrauch von Sozialpolitik
    „Im Sozialbereich sind laufend Kompetenzen erweitert worden. Sie sind aber vergleichsweise wenig genutzt worden“, so Soukup. Aber nicht nur das. Zusätzlich sind oftmals die Ziele von Wohlfahrtsstaat und Sozialpolitik in den letzten Jahrzehnten uminterpretiert worden: „Arbeitsmarktpolitik wurde in die Richtung umgedeutet, dass sie dazu dienen soll, die Arbeitsmärkte wettbewerbsfähig zu machen.“
    Dazu gehören einerseits Deregulierungen der Arbeitsmärkte, andererseits hinterließ die sogenannte Budgetkonsolidierung ihre Spuren, sprich Sozialleistungen wurden gekürzt – was mit Vorgaben aus Brüssel legitimiert wurde. Dass die Mitgliedstaaten dabei ein Wörtchen mitzureden hatten, ließ man fürs innenpolitische Publikum nur allzu gerne unter den Tisch fallen.
    Verändert hat sich nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form. „Auf der inhaltlichen Ebene wurden Elemente der Marktkorrektur reduziert und Elemente der Markteffizienz gestärkt“, so der AK-Experte. „Auf Ebene der Form sind EU-Richtlinien im Sinne von Mindeststandards immer weniger geworden. Stattdessen setzt man auf rechtlich unverbindliche Methoden.“ Letzteres bringt auch EU-Parlamentarierin Evelyn Regner in Rage, und sie zieht Parallelen zu Österreich. Denn hierzulande hat die Regierung erst kürzlich die Regeln im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping aufgeweicht, für die sich unter anderem Regner im EU-Parlament eingesetzt hatte. „Es ist wirklich ein Hohn, eine echte Ohrfeige und ein schlechter Witz, wenn man sich bemüht, solche Regeln zu bekommen, und dann hat man eine Regierung, die die Regeln so anwendet, dass es reicht, für einen illegal Beschäftigten Strafe zu zahlen, auch wenn man mehrere erwischt – und die meint, es sei besser zu verwarnen, als zu bestrafen.“ Sie sieht darin geradezu eine Einladung für jene, die „Gesetze nicht achten wollen und Leute ausbeuten. Das ist wirklich eine Ohrfeige für GewerkschafterInnen und für all jene, die sich ans Recht halten wollen“, macht Regner ihrem Ärger Luft.
    So manche wichtigen Regelungen werden also von den Mitgliedstaaten verwässert. Bei einigen Themen wiederum hat nur die EU genug Gewicht, um überhaupt etwas bewirken zu können, wie Regner betont. „Die ganz Großen, also Google, Amazon und Co, zahlen ja quasi keine Steuern. Wie kann man die erwischen, und zwar wirklich erwischen? Das kann man in Europa nur über die Kommission, die über die Wettbewerbsprüfung ja wirklich auch Instrumente in der Hand hat, um ganz empfindliche Strafen – nämlich in Milliardenhöhe – zu verhängen. Und das tut sie auch“, hält die EU-Parlamentarierin fest. „Allein dieser Bereich ist eine solche Legitimation für eine Stärkung der EU-Institutionen, dass ich mir denke, dass es sich allein dafür auszahlt, wählen zu gehen und das einzufordern – abgesehen von allen anderen Gründen, die dafürsprechen.“
    Zurück zum sozialen Europa, dem Kommissionspräsident Juncker wieder Leben einzuhauchen versprach. AK-Experte Soukup hält diese Initiativen für viel zu wenig weitreichend, vor allem vermutet er eine andere Motivation hinter den Bemühungen, als jene, die soziale Schieflage effektiv anzugehen: „Die Kommission verspürt einen gewissen Druck, dass die EU doch auch ein soziales Gesicht haben soll.“ Denn dass die EU in einer Vertrauenskrise ist, hat sich freilich auch in Brüssel herumgesprochen. Entsprechende Initiativen in diese Richtung seien aber mit Vorsicht zu genießen, so der AK-Experte. „Die Europäische Säule sozialer Rechte ist eine Liste rechtlich unverbindlicher Prinzipien. Diese klingen zwar schön, nur entfalten sie an sich noch keine rechtliche Wirkung“, mahnt Soukup.

    Priorität für sozialen Fortschritt
    Vor allem aber signalisieren sie nicht jenen Kurswechsel, der in den Augen aller drei InterviewpartnerInnen längst überfällig ist. Soukup beschreibt die Richtung, in die es gehen sollte, folgendermaßen: „Es ist ein Bild des sozialen Fortschritts, der bedeutet, die gegenwärtigen Formen der Ausbeutung und Ungleichheit zu bekämpfen und für gute Lebensbedingungen hier und jetzt einzutreten, und Strukturen zu schaffen, die das in Zukunft ermöglichen.“ Dies heißt seiner Ansicht nach, „letzten Endes auch Machtfragen zu stellen und die Machtdominanz des Kapitals über die Arbeit umzukehren.“
    Hier sind nicht nur Gewerkschaften und andere progressive Kräfte gefordert. Letztlich ist dies nämlich auch ein Auftrag an jeden Bürger und jede Bürgerin, immerhin bestimmen sie erstens mit ihrer Stimme bei den Parlamentswahlen in den jeweiligen Mitgliedstaaten die Zukunft der EU mit. Und zweitens können alle europäischen WählerInnen kommendes Jahr bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ihre Stimme abgeben.
    Für die drei InterviewpartnerInnen jedenfalls bleibt weiterhin genug zu tun. Denn so gut Österreich im EU-Vergleich dasteht: innerhalb der Europäischen Union gibt es weiterhin riesige Unterschiede im Wohlstandsniveau und was die Rechte und den Schutz von ArbeitnehmerInnen betrifft. Nicht vergessen werden darf die Ungleichheit, die auf vielen Ebenen zunimmt und die populistische PolitikerInnen momentan lieber unter den Tisch fallen lassen.
    Der Brüsseler AK-Expertin Petra Völkerer ist es wichtig, zum Schluss noch über einen größeren Tellerrand zu blicken, als es die EU selbst ist. Denn auf internationaler Ebene spielt die Union eine maßgebliche Rolle. Auch wenn andere Akteure an Bedeutung gewinnen: Die EU ist der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt und kann entsprechend Einfluss ausüben, wie AK-Expertin Völkerer betont. „Ein soziales Europa kann nur gelingen, wenn wir uns auch für menschenwürdige Arbeitsbedingungen außerhalb Europas und faire Wertschöpfungsketten einsetzen. Mittlerweile wird bei jedem Handelsabkommen ein Nachhaltigkeitskapitel mitverhandelt, in dem auch ArbeitnehmerInnenrechte verankert sind“, so Völkerer.

    Über den Tellerrand hinaus
    So positiv dies ist, gilt erneut: Es gibt keine Sanktionen. Nichtsdestotrotz misst die AK-Expertin diesen Handelsabkommen eine sehr große Bedeutung bei, schließlich betrifft das, was dort vereinbart wird, auch die Menschen in den Mitgliedsländern: „Wenn es den ArbeitnehmerInnen außerhalb Europas sehr schlecht geht, dann wird es immer schwieriger werden, das soziale Schutzniveau in Österreich oder Europa aufrecht zu erhalten. Und es ist auch ein Indikator dafür, wie wichtig der Europäischen Union ein soziales Europa ist: wie man mit dem Rest der Welt umgeht.“
    Das soziale Europa: Es ist vermutlich stärker, als man glaubt. Aber um dem Anspruch auch wirklich gerecht zu werden, der in diesem Begriff steckt, ist zweifellos noch viel Engagement und Durchhaltevermögen gefragt.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Text: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028250 Die EU ist auf dem sozialen Auge allzu blind. Ob Binnenmarkt, Währungsunion oder Krisenpolitik: Die neoliberale Agenda ist überall deutlich zu sehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028255 Die Konsequenzen bekommen die Menschen zu spüren. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028260 Es ist allerhöchste Zeit, das soziale Europa wieder ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533780028222 Historie: "In einen Markt verliebst du dich nicht" Schon bei den ersten Plänen zur Integration Europas nach dem Zweiten Weltkrieg forderte die Gewerkschaftsbewegung, dass dabei die Förderung des Sozialstaats eine ebenso große Rolle spielen müsse wie rein wirtschaftliche Überlegungen. Dazu kam es nicht. Die Integration beschränkte sich vorerst auf die Schaffung einer gemeinsamen Marktwirtschaft – Sozial- und Verteilungspolitik sollten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten bleiben.

    Aber noch bis zum Ende der 1970er-Jahre herrschte die allgemeine Überzeugung, dass soziale Rechte auch auf einem freien Markt schützenswert seien. Als Jacques Delors, der Präsident der Europäischen Kommission, in den 1980er-Jahren die Vereinigung der europäischen Staaten zur Union vorantrieb, kämpfte er für das Beibehalten dieses Prinzips. Ein freier Markt allein, davon war Delors überzeugt, sei zu wenig, um das europäische Friedensprojekt abzusichern, denn You don’t fall in love with a market – in einen Markt verliebst du dich nicht, selbst wenn er Vorteile wie die Reisefreiheit oder eine gemeinsame Währung bringt. Doch gegen die zunehmend vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsideologie hatte die „soziale Dimension“ vorerst wenig Chancen, das musste auch Delors erkennen. Trotzdem hoffte er auf ein Umdenken und hielt sogar funktionierende europäische Tarifverträge für nicht ausgeschlossen, wie er in einem Referat bei einer Tagung des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1994 feststellte:

    … wie können die aufgezeigten Fehlentwicklungen korrigiert werden? Zunächst besteht keinerlei Anlass, auf das zu verzichten, worauf wir weiterhin stolz sein können und wofür wir eintreten werden: das europäische Gesellschaftsmodell. … Der Rückgriff auf die altvertrauten Rezepte wie Rückzug auf den Protektionismus, drastische Senkung der Einkommen oder Herabsetzen der Normen bei der sozialen Sicherung würde in jedem Falle in eine gefährliche Sackgasse führen. Untätigkeit aber würde das Aus bedeuten. Wir müssen also die defensive Haltung aufgeben und die sozialen Errungenschaften an den gesellschaftlichen Wandel anpassen, anstatt sie aufzugeben. Für diese Anpassungen müssen Solidarität und Verantwortung auf den verschiedensten Ebenen zum Tragen kommen, wobei in beiden Fällen vorrangig die Sozialpartner die auslösenden Kräfte sein sollten.
    Trotz aller Schwierigkeiten wollen wir die soziale Dimension in ganz Europa stärken. Sie wissen, dass ich mich seit 1985 dafür eingesetzt habe und das auch weiterhin tun werde. … Wir haben einen brauchbaren Rahmen geschaffen. Jetzt liegt es an uns, ihn auszufüllen, damit wir eines Tages zu europäischen Tarifverträgen gelangen. Wir können aber nur dann Erfolg haben, wenn wir die Werte und Grundsätze, die unsere Identität ausmachen, bestätigen. Vor allem müssen wir klarstellen, dass es keinen sozialen Fortschritt ohne wirtschaftliche Entwicklung gibt, dass aber umgekehrt auch keine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung möglich ist, wenn die soziale Dimension vernachlässigt wird. Dies gilt für das Unternehmen, für den einzelnen Staat, jedoch auch für Europa.
     

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1533780028216 Das Banner am Gebäude der EU-Kommission in Brüssel verweist auf das 2017 von der EU-Kommission erstmals wieder proklamierte Ziel einer "Europäischen Säule sozialer Rechte". http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 10 Aug 2018 00:00:00 +0200 1533780028189 Standpunkt: Nicht mit uns! Es ist zweifellos verführerisch, sich über den Hang von US-Präsident Donald Trump lustig zu machen, die Realitäten zu ver- bzw. entrücken. Weniger amüsant ist es freilich, vor der eigenen Haustür zu kehren. Dabei haben auch europäische PolitikerInnen vergleichbare Eigenschaften entwickelt. So wird der Eindruck erweckt, Europa sei mit einer ähnlich großen Flüchtlingswelle konfrontiert wie vor drei Jahren.
    Nun könnte man sich auf diese Diskussion einlassen und anführen, wo dieser Populismus jene Ansprüche und Werte mit Füßen tritt, die Europa ausmachen. Ablenken lassen wir uns aber nicht, denn virulente Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit oder die weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich dürfen nicht unter den Tisch fallen – ganz im Gegenteil. Der Kampf für ein soziales Europa mag schwer sein, doch er ist wichtiger denn je.

    Mehr soziale Risse
    Mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Das beschreibt wohl am besten, wie Arbeiterkammer und Gewerkschaften Europa wahrnehmen. Denn die EU ist zweifellos eine wichtige Errungenschaft und hat viel Positives gebracht: 70 Jahre Frieden, eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Ausgleich. Letzterer aber hat starke Risse bekommen – und die Europäische Union ist nicht im Stande, dies auszugleichen. Verantwortlich dafür ist die grundlegende marktliberale Ausrichtung der Union.
    In diese Logik passen leider auch die aktuellen Entwicklungen – in Österreich wie in der EU. Es ist kein Zufall, dass das soziale Europa kaum mehr Thema ist. Vielmehr passt es zur ideologischen Ausrichtung vieler Regierungen in Europa, nicht zuletzt der österreichischen.
    Das neoliberale Programm ist höchst problematisch. Es geht von der Vorstellung aus, dass der Mensch alles schaffen kann – und wer es nicht schafft, ist selbst schuld. Das ist nicht nur kurzsichtig, es ignoriert auch die gesellschaftlichen Gegebenheiten, die von unterschiedlichen Ungleichheiten geprägt sind. Schlimmer noch, denn manche Ungleichheiten etwa im Bildungssystem sind festgefahren – zulasten der zukünftigen Generationen. Andere Ungleichheiten wiederum nehmen sogar noch zu, Stichwort weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich.
    Hier muss endlich ein Ausgleich geschaffen werden, sei es über ein gutes Bildungssystem, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und vor allem über die längst fällige Wiedereinführung von Erbschaftssteuern. Auf EU-Ebene muss Lohn- und Sozialdumping – im Klartext: die Ausbeutung von Menschen – energisch bekämpft werden. Gleiches gilt für Steuerflucht, die den Staaten der Europäischen Union enorme Summen kostet. All das würde voraussetzen, dass man eine Vision davon hat, wie die Gesellschaft besser werden könnte. Davon ist aber bei der österreichischen Regierung nichts zu merken. Neben einer Vision braucht es auch den Willen, schwierige oder unangenehme Themen anzugehen – im Sinne der Menschen. Momentan scheint es aber vor allem um eines zu gehen: die Macht und wie diese gesichert werden kann. Ja, die österreichische Regierung schreckt nicht einmal davor zurück, als EU-Vorsitzland die eigene populistische Agenda auch Europa aufs Auge zu drücken.
     
    Sozial statt neoliberal
    Gewerkschaften und AK mögen allein nicht in der Lage sein, den längst überfälligen Kurswechsel der EU zu erreichen. Davon beeindrucken lassen sie sich aber nicht – und vor allem werden sie nicht aufhören, die Probleme vor der österreichischen und europäischen Haustür und im Hause Europa anzuprangern. Am schlimmsten finde ich persönlich, wie fahrlässig die Regierung unter Sebastian Kurz das Projekt der Europäischen Union selbst aufs Spiel setzt. Klar, viele Versprechungen kann die EU nicht einhalten, vielmehr hat sie eine äußerst problematische Richtung genommen. Und doch gibt es zu einer weiteren europäischen Integration keine sinnvolle Alternative. Die Frage ist nur, wie sie gestaltet ist: neoliberal oder sozial?

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 6/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809757 Sprache 4.0 Block-Chain
    Bezeichnet eine dezentrale Datenbank. Eine Block-Chain wird ständig erweitert, vergleichbar einer Kette, der am unteren Ende ständig neue Elemente hinzugefügt werden. Block-Chains sind dezentral, das bedeutet, dass die Datenbank nicht auf einem Server oder bei einem Unternehmen liegt, sondern über viele Computer verteilt ist. Es gibt niemanden, dem die Block-Chain gehört. Sie ist schwer zu manipulieren oder zu hacken. Viele Unternehmen testen gerade, wie die Block-Chain-Technologie für sie anwendbar ist. Noch ist nicht gewiss, ob und wie sich die Technologie weiterentwickeln wird.

    Data-Mining
    Bezeichnet die die systematische Anwendung computergestützter Methoden, um in vorhandenen Datenbeständen Muster, Trends oder Zusammenhänge zu finden. Anwendungen sind beispielsweise im Marketing, im Finanz- und Versicherungswesen, im Onlinehandel, in der Verbrechensbekämpfung oder in der Medizin zu finden. Allerdings können falsche Zuschreibungen entstehen oder aus Zusammenhängen Schlüsse gezogen werden, die sich statistisch nicht ziehen lassen und für ArbeitnehmerInnen zu ungerechtfertigten Folgen führen. Außerdem ist es datenschutzrechtlich äußerst bedenklich.

    Digitalisierungsdividende
    Durch den Einsatz von Technik in der Industrie und Dienstleistung werden hohe Produktivitätsgewinne erwartet. Aus ArbeitnehmerInnensicht gilt es, einen Anteil dieser Profite durch ein angepasstes Steuersystem abzuschöpfen, um sie für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

    Digitales Shopfloor Management
    In der vernetzten Fabrik müssen MitarbeiterInnen komplexe IT-Systeme überwachen und als flexible und kreative ProblemlöserInnen agieren. Ein Instrument zur Unterstützung der MitarbeiterInnen in diesem Prozess bildet das Shopfloor Management. Es bedeutet „Führung am Ort der Wertschöpfung“ oder „Führung am Ort des Geschehens“. Alles soll darauf ausgerichtet werden, dass die Produktion möglichst gut und fehlerfrei funktioniert. Es ist ein ganzheitliches Führungsinstrument, das von der Produktion ausgehend auf administrative Bereiche ausgedehnt wurde. Dabei spielen flache Strukturen, Visualisierung und Kennzahlen eine wichtige Rolle.

    Digitales Personalmanagement
    Die Digitalisierung verändert auch das Personalmanagement. Personal kann über Internet-Stellenbörsen angeworben werden. Über Karrierenetzwerke wie LinkedIn können ArbeitnehmerInnen sich untereinander und mit Arbeitgebern verknüpfen. Gefahren aus ArbeitnehmerInnensicht liegen etwa in neuen Formen der Überwachung.

    Standardisierung
    Bezeichnet eine Vereinheitlichung von Produkten, Bauteilen oder Verfahren nach bestimmten Mustern. Auch im Managementbereich werden Prozesse vermehrt standardisiert. Unter dem Begriff „Shared Services“ werden diese standardisierten Prozesse dann ausgelagert, etwa die Buchhaltung, die Lohnverrechnung oder IT-Dienstleistungen. Standardisierte Prozesse eignen sich in weiterer Folge auch besonders gut zur Automatisierung.

    Verschwommene, intransparente Wertschöpfungsketten
    Wertschöpfungskette bezeichnet alle Aktivitäten eines Unternehmens in der Herstellung und Vermarktung eines Produkts. Die Digitalisierung ermöglicht Geschäftsmodelle, in denen einzelne Aktivitäten zunehmend flexibel verschoben werden können.
    Aus einer Wertschöpfungskette, in der eine Leistung von einem Akteur zum nächsten weitergereicht wird, entsteht ein schillerndes Wertschöpfungsnetzwerk, in dem die Art der Leistungserbringung (Outsourcing, Crowdworking, Personalbereitstellung, Partnerunternehmen) und die Rollen ständig verändert werden. Der Auftraggeber der Wertschöpfungskette hat volle Kenntnis darüber, für Außenstehende sind die einzelnen Mitglieder der Kette meist intransparent.
    Es verschwimmen auch die Grenzen zwischen Produktion und Dienstleistung – eine Turbine für ein Kraftwerk wird heute nach der Lieferung weiter „betreut“, Daten werden gesammelt, um die zukünftige Produktion zu optimieren und Service und Wartung gehören mittlerweile ebenfalls zum Normalbetrieb. Es verschwimmen aber auch die Grenzen zwischen KonsumentInnen und ProduzentInnen (= ProsumerInnen).

    Mehr: www.arbeitfairgestalten.at/glossary

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    Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809748 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809738 Wie gemeinnützig ist das Internet? Wie kann man unterschiedliche Computersysteme dazu bringen, miteinander zu kommunizieren? Dieses Problem trieb Ende der 1980er-Jahre den Wissenschafter Tim Berners Lee vom Forschungszentrum CERN um. Um das Problem zu lösen, entwickelte er 1990 die Programmiersprache HTML. Sie ist bis heute der grundlegende Baustein des modernen Internets.
    Lee betrachtete seine Erfindung als einen Dienst für die Allgemeinheit. Er wollte, dass sich WissenschafterInnen weltweit miteinander vernetzen können, um an den Problemen der Menschheit zu arbeiten. Deshalb meldete er auch kein Patent an. Hier liegt der Gründungsmythos des Internets: eine Technologie, welche der Information zur Freiheit im Dienste aller Menschen verhelfen soll.
    Schon in den vorhergehenden Jahrzehnten wurden Vorläufer des Internets entwickelt. 1960 arbeitete das US-amerikanische Militär an einem Computernetzwerk, um die Rüstungsforschung besser verknüpfen und koordinieren zu können. Die chilenische Linksregierung unter Salvador Allende bastelte in den frühen 1970er-Jahren an dem computergestützten Fernschreibernetzwerk „Cybersyn“. Dieses sollte der Regierung bei der effizienten Gestaltung einer sozialistischen Planwirtschaft helfen.
    Die Wurzeln des Internets liegen also im staatlichen oder zumindest staatlich geförderten Bereich. Das gerät leicht in Vergessenheit, betrachtet man die schöne bunte Onlinewelt der heutigen Zeit. Spätestens Ende der 1990er-Jahre sprangen private Konzerne auf den digitalen Zug auf. Sie profitierten von der Vorarbeit, die der öffentliche Sektor geleistet hatte. Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass nie zuvor in der Menschheitsgeschichte so viele Menschen über Computer miteinander vernetzt waren wie heute, während zeitgleich eine Handvoll Großkonzerne die weitgehende technologische Kontrolle über das Internet übernommen hat.

    Problematische Monopole
    Es ist ja so praktisch. Soziale Medien sind auch in der internationalen gewerkschaftlichen Arbeit nicht mehr wegzudenken. AUVA-Beschäftigte organisierten sich in Facebook-Gruppen, um für ihre Demonstration gegen die von der Regierung geplanten Einsparungen am 1. Mai zu mobilisieren. Als ebenfalls am 1. Mai in Großbritannien Beschäftigte von McDonald’s streikten, konnte man über Twitter weltweit live dabei sein. Auch Onlinepetitionen gehören inzwischen zum Standardrepertoire bei der Durchführung gewerkschaftlicher Kampagnen.
    Doch wie immer, wenn es um Produkte privater Konzerne geht, gibt es auch hier einen Preis zu zahlen. Zwar verlangt Facebook von seinen NutzerInnen kein Geld, aber das weltgrößte soziale Netzwerk verdient seine Milliarden mit Werbung und Datenhandel. Der in London lehrende, aus dem Waldviertel stammende Medienwissenschafter Christian Fuchs sieht hier den größten Knackpunkt der „sozialen Medien“. In seinem Text „Internet, Kapitalismus und periphere Entwicklung im Waldviertel“ schreibt er: „Das Problem sozialer Medien ist, dass sie primär von kalifornischen Unternehmen betrieben werden, die die persönlichen Daten der NutzerInnen zur Ware machen und diese Daten nutzen, um Werbetreibenden personalisierte Werbung auf den Profilen der AnwenderInnen zu ermöglichen. Soziale Medien wie Facebook und Google sind keine sozialen Kommunikationsunternehmen, sondern die größten Werbeunternehmen der Welt, die an individueller Profitsteigerung orientiert sind und dazu die digitale Arbeit der NutzerInnen ausbeuten.“
    Die so gesammelten Daten können auch noch ganz anderen Zwecken zugeführt werden. Fuchs erklärt dazu: „Die Aufdeckungen von Edward Snowden haben verdeutlicht, dass es einen überwachungsindustriellen Komplex gibt, in dem Geheimdienste mit privaten Sicherheitsunternehmen wie Booz Allen Hamilton und Kommunikationsunternehmen wie AOL, Apple, Facebook, Google, Microsoft, Paltalk und Yahoo zusammenarbeiten, um die Destinationen und Inhalte der Kommunikation von BürgerInnen zu überwachen.“ Das betrifft auch gewerkschaftliche Kommunikation in sozialen Medien, was vor allem dann bedacht werden sollte, wenn sich etwa eine Belegschaft unter klandestinen Bedingungen in einem gewerkschaftsfeindlichen Unternehmen organisiert.

    Doch zurück zur Frage nach dem Gemeingut Internet. Fuchs nähert sich dieser Frage von seiner Kenntnis der Zustände im Waldviertel aus. Er beschreibt die Gegend als spärlich besiedelt, wofür er auch die De-Industrialisierung der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich macht. Viele Orte im Waldviertel hätten nur eine langsame, teilweise auch gar keine funktionierende Internetverbindung. Das wird von den Versorgern durchaus zugegeben. Fuchs zitiert Hermann Gabriel, den Unternehmenssprecher der A1 Telekom Austria AG: „Man muss sagen, dass das Waldviertel einerseits aufgrund seiner topografischen Situation und der dichten Bewaldung, andererseits durch die dünne Besiedelung sehr schwierig zu versorgen ist.“
    Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Menschen im Waldviertel zwar dieselben Preise für ihre Telekommunikationsversorgung zahlen wie anderswo auch, dafür aber geringere Dienstleistungen erhalten. Dieser Zustand erinnert an die immer noch schwelende Diskussion rund um die sogenannte Netzneutralität. Damit ist gemeint, dass alle Daten bei ihrer Übertragung im Internet gleichbehandelt werden müssen. Die großen Internetprovider wollen das jedoch ändern. Sie wollen, dass man zukünftig für schnelle Datenübertragung besonders viel Geld hinlegen muss. In den USA wird diese Frage gerade in Senat und Repräsentantenhaus heftig diskutiert. Das Beispiel Waldviertel zeigt allerdings, dass auch bei (noch) bestehender Netzneutralität längst nicht alle Gegenden von den Telekommunikationskonzernen gleichbehandelt werden.
    Hier kommt das „Gemeingut“ ins Spiel. Trotz der Dominanz der großen Konzerne haben sich Elemente der Gemeinnützigkeit im Internet erhalten. Mit Wikipedia ist eine internationale, nicht kommerzielle Enzyklopädie herangewachsen. Gewerkschaftsnahe Webseiten wie der Blog der Arbeit&Wirtschaft veröffentlichen Beiträge mit der Creative-Commons-Lizenz, um diese der Allgemeinheit zugänglich zu machen. All diese Initiativen haben sich die Verbreitung frei zugänglicher Information über das Internet auf die Fahnen geschrieben.

    Nichtkommerzielle Alternativen
    Fuchs hält es für absolut vernünftig, hier anzusetzen. Für Österreich fordert er: „Es wäre durchaus sinnvoll, dass der ORF eine Art nichtkommerzielles YouTube entwickelt, während ein nichtkommerzielles Facebook und nichtkommerzielle WIFI-Netzwerke zivilgesellschaftlich organisiert sein sollten und durch eine partizipative Mediengebühr staatliche Hilfen bekommen könnten.“ Auf internationaler Ebene gibt es so etwas Ähnliches bereits. Die „Diaspora Foundation“ bietet eine gemeinnützige Facebook-Alternative an, die nicht auf Datenhandel beruht und anonyme Kommunikation ermöglichen soll. Weite Verbreitung fand sie allerdings nicht.
    Für das Waldviertel entwickelt Fuchs die Idee lokaler und regionaler Freifunknetze, die von „nichtkommerziellen, gemeinwohlorientierten, selbstverwalteten Betrieben oder Gemeinden“ angeboten werden sollen. Hierin sieht er auch eine Chance für eine Wiederbelebung der Region, die seit Jahren durch starken Bevölkerungsrückgang gekennzeichnet ist: „Eine kommunalisierte oder selbstverwaltete Kommunikationsinfrastruktur kann Teil gemeinnütziger lokaler Strukturen in globalen Dörfern sein, die es für junge Menschen attraktiv machen, in Regionen wie dem Waldviertel zu leben und tätig zu sein.“
    Ein ähnliches kommunalisiertes Internetsystem sei im Jahr 2005 infolge des Hurrikans Katrina in New Orleans in Planung gewesen. Allerdings habe es dagegen „großen Widerspruch der lokal einflussreichen Telekommunikationskonzerne“ gegeben, die versucht hätten, das Projekt „zu boykottieren“. Ohne eine Auseinandersetzung mit den Großkonzernen wird es auch im Internet keinen Fortschritt geben.

    Weiterführende Links:
    Der Text „Internet, Kapitalismus und periphere Entwicklung im Waldviertel“ von Christian Fuchs ist als kostenloser Download erhältlich: tinyurl.com/y7tobd78
    Eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Formen von Creative Commons findet sich hier: creativecommons.org/
    Im Februar 2014 beschäftigte sich der Fernsehsender 3sat mit den gemeinnützigen Wurzeln des Internets: tinyurl.com/ydhnygr2
    Der Verein „Wikimedia“ fühlt sich der gemeinnützigen Informationsverbreitung verpflichtet:
    www.wikimedia.at/

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809726 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809717 Betriebsratsarbeit 4.0 Kommunikation ist ein unerlässliches Kernstück der Betriebsratsarbeit. Der Austausch mit der Geschäftsführung muss genauso funktionieren wie die Abstimmung mit den KollegInnen im Gremium. Das Wichtigste ist aber, dass der Betriebsrat die Belegschaft erreicht – und die Belegschaft den Betriebsrat. Wie das funktioniert, weiß Selma Schacht, Betriebsratsvorsitzende der Wiener Kinder- und Jugendbetreuung: „Uns ist die Kommunikation mit den MitarbeiterInnen sehr wichtig. Dafür nutzen wir alle möglichen Medien: klassische gedruckte, wie Infomappen für alle Neuangestellten oder die Zeitung, klassisch-digitale, wie einen monatlichen Mail-Newsletter und Info-SMS, bis hin zu den Neuen Medien wie unsere Facebook-Seite.“ Zusätzlich stellt das Gremium auf der Betriebsratswebsite Veranstaltungstipps, Neuigkeiten von der Gewerkschaft, aber auch verschiedene Themenpapiere zur Verfügung, etwa zur Arbeitszeitverkürzung oder zum Streikrecht. „Gerade während des Streiks war es toll und wichtig, auf vielen Wegen mit Informationen zu den KollegInnen wie auch an die Öffentlichkeit gehen zu können“, erzählt Schacht.

    Der richtige Weg ist das halbe Ziel
    Damit der Informationsaustausch funktioniert, müssen Betriebsräte die richtigen Kommunikationskanäle wählen. Ein allgemein-gültiges Rezept dafür gibt es nicht. Was aber feststeht, ist, dass Betriebsräte mit der Zeit gehen müssen, um wirklich alle KollegInnen zu erreichen. „Neue Medien sind schlichtweg der Weg, um vor allem mit jungen MitarbeiterInnen in Kontakt zu treten, aber auch zu bleiben“, erzählt Andreas Horak, Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrats beim Samariter-Bund Wien. „Wichtige Infos können in Sekundenschnelle ausgetauscht und übermittelt werden. Sie sind kostengünstig und mittlerweile kann sie so ziemlich jeder, der im Arbeitsleben steht, bedienen oder zumindest daraus Informationen beziehen.“ Die Kombinationsmöglichkeiten der Neuen Medien sind nahezu unbegrenzt. Die entscheidende Frage bei der Wahl der richtigen Kanäle muss lauten: Was ist meiner Zielgruppe wichtig?
    Gibt es mehrere Zielgruppen, muss es auf diese Frage auch mehrere Antworten geben. Wie ein Kanalmix für mehrere Zielgruppen in der Praxis aussehen kann, schildert Markus Simböck, Betriebsratsvorsitzender im Krankenhaus Braunau: „Im Haus nutzen wir SharePoint, geben unsere Betriebsratszeitung heraus, machen Betriebsversammlungen. Für uns als Betriebsrat haben wir eine interne WhatsApp-Gruppe, mit Facebook gehen wir mehr in die Breite.“ Die Facebook-Seite hat der Betriebsrat vor zwei Jahren eingerichtet, weil sich das Gremium weiterentwickeln wollte. „Die Leute sagen uns immer wieder, dass sie unsere Seite klass finden – vor allem, weil es eine aktuelle, eine dynamische Seite ist“, erzählt Simböck. Gleichzeitig weiß er genau, dass eine Facebook-Seite den nach wie vor wichtigsten Kommunikationskanal nicht ersetzen kann: das persönliche Gespräch. „Die Facebook-Seite ist trotzdem nur ein Beiwerk. Die direkte Arbeit mit den Leuten bleibt viel wichtiger.“

    Aktiv sein, kreativ sein
    Dennoch sind Neue Medien mittlerweile etabliert und es ist kaum vorstellbar, dass sie wieder verschwinden: Zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung nutzen WhatsApp, mehr als die Hälfte hat ein Facebook-Konto, fast alle haben ein Smartphone. Neue Medien sind kostengünstig oder gratis, schnell und unkompliziert. Und sie bieten einfache Möglichkeiten, sich orts- und zeitunabhängig auszutauschen und kontinuierlich über die eigene Arbeit zu berichten. Wenn ein Betriebsrat immer wieder Artikel zu den ihm wichtigen Themen postet und auf Anfragen und Kommentare reagiert, zeigt er, dass er aktiv ist, und lädt zur Kontaktaufnahme ein.
    Wo früher ein großer Aufwand getrieben werden musste und hohe Kosten anfielen, können heute mit dem Smartphone einfach und schnell ansprechende und abwechslungsreiche Inhalte produziert werden. Das weiß auch das Betriebsratsteam des oberösterreichischen Getränkeherstellers Spitz. Um ein breiteres Publikum zu erreichen, hat der Betriebsrat zusätzlich zur eigenen Website und dem monatlichen E-Mail-Newsletter eine Facebook-Seite eingerichtet, auf der selbst produzierte Videos und Fotos von der Betriebsratsarbeit veröffentlicht werden. „Aus meiner Sicht ist es gerade im Zeitalter des Smartphones, Laptops und so weiter nur so möglich, schnell und ansprechend ein breites Publikum zu erreichen“, meint der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, Roland Pascher.

    Zuerst denken, dann posten
    Einfach irgendwelche Inhalte ins Netz zu stellen, ist jedoch keine gute Idee. Wer kommuniziert, sollte auch die Regeln kennen – und einhalten. Wenn ein Betriebsrat ein für den Kollegen unvorteilhaftes Foto von der letzten Weihnachtsfeier auf die Facebook-Seite stellt, wenn er Mails verschickt, in denen er den Chef als Affen bezeichnet, wenn er Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse auf Twitter veröffentlicht, dann läuft etwas falsch. Denn die goldene Regel des Internets lautet: Das Internet vergisst nicht. Auch wenn eine Äußerung nur in den Kreis der privaten Kontakte gepostet wird, kann sie von allen EmpfängerInnen weiterverteilt werden. Und auch wenn ein Beitrag gleich wieder gelöscht wird, kann zuvor schon jemand einen Screenshot angefertigt haben. Deshalb ist ein sorgfältiger Umgang mit Neuen Medien geboten. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass Informationen „unter uns“ bleiben. Ist ein Beitrag im Netz, verliert der bzw. die Sendende die Kontrolle darüber.
    Jede Form der Öffentlichkeitsarbeit erfordert strategische Planung. In den sozialen Medien kommt einer klaren inhaltlichen Ausrichtung bzw. einem klaren Rahmen jedoch eine besondere Bedeutung zu. Sie sind so schnelllebig, dass nicht jede Äußerung abgesprochen werden kann. Deshalb ist es für die Öffentlichkeitsarbeit über soziale Medien sinnvoll, sich innerhalb des Gremiums über die Umgangsformen zu verständigen. Was auf diesem Weg beschlossen ist, sollte in Richtlinien festgehalten sein, die kommuniziert werden können und für alle verbindlich sind. Das schafft Klarheit nach außen und auch innerhalb des Gremiums, beispielsweise im Umgang mit negativen Äußerungen. Zu einer guten Strategie gehört aber auch die Beobachtung. Einfach etwas auf Facebook zu stellen und sich dann eine Woche lang nicht mehr einzuloggen, kann ernsthafte negative Folgen haben. Kritische und für den Betriebsrat unbequeme Kommentare können jederzeit geäußert werden und sich potenziell zu einem Shitstorm entwickeln, der dem Image des Betriebsrats nachhaltig schaden kann. Wenn aber der Betriebsrat rasch auf Kritik oder Vorwürfe antwortet, kann sich daraus eine konstruktive Diskussion entwickeln, die Vorteile für alle Beteiligten bringt.

    Über die Gewerkschaft vernetzt
    Wenn die Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft gut läuft, wenn das Feedback positiv ist, wenn es keine Beschwerden wegen fehlender Transparenz oder Information vorgebracht werden, wenn es keine Gerüchte und Vorwürfe gibt, sollte der bestehende Weg weitergegangen werden. Wenn das aber nicht der Fall ist und der Betriebsrat die Belegschaft oder einen Teil davon nicht erreicht, sollte in der Kommunikation etwas geändert werden. Neue Medien können dabei sehr nützlich sein und kein Betriebsrat sollte sich davor fürchten, etwas Neues auszuprobieren. Über die Gewerkschaft sind Betriebsräte miteinander vernetzt und haben die Gelegenheit, Wissen über Neue Medien auszutauschen, Erfolgskonzepte kennenzulernen und von den Erfahrungen anderer – und bestenfalls auch aus deren Fehlern – zu lernen.

    Mehr Informationen:
    Der VÖGB bietet für Betriebsräte sowohl Seminare zur Gestaltung von Zeitungen, Plakaten und Flyern an als auch zum Umgang mit Websites, Blogs, Facebook und Co:
    www.voegb.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor dietmar.meister@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Tipps für Betriebsräte

    • Zielgruppen definieren
    • die richtigen Kanäle wählen
    • einen Plan entwickeln
    • neue Formate ausprobieren
    • Reaktionen beobachten
    • Gesetze und Regeln einhalten
    • von anderen Betriebsräten lernen
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    Dietmar Meister, ÖGB-Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809705 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809697 Würde statt Profit Wie ist der digitale Wandel bereits im betrieblichen Alltag spürbar? Vor welchen neuen Herausforderungen stehen BetriebsrätInnen und Gewerkschaften? Und was ist zu tun, um soziale Sicherheit, gerechte Verteilung und starke Mitbestimmung durchzusetzen? Genau über diese Fragen haben im Herbst 2017 über 500 Beschäftigte in 16 World Cafés in ganz Österreich diskutiert. Die Ergebnisse wurden an jeweils drei Thementischen auf Transparenten festgehalten: Zu den Schwerpunkten Faire Arbeit 4.0, Mitbestimmung 4.0 und Fair Teilen 4.0 haben alle TeilnehmerInnen die gleichen Fragestellungen in ganz Österreich diskutiert. Die Ergebnisse zeichnen ein schönes Bild, wo die TeilnehmerInnen die größten Chancen und Herausforderungen in einer digitalisierten Zukunft sehen.

    Laufende Veränderung
    Die Digitalisierung, also die zunehmende Erfassung und Vernetzung von Daten und die damit verbundenen Innovationen, schafft laufend neue Geschäftsmodelle und Arbeitsprozesse. Stetig ändert sich also die Art, wie wir arbeiten und was wir arbeiten – und das in rasender Geschwindigkeit. Dazu ein Beispiel: Vor 15 Jahren waren noch 75 Prozent aller Daten analog gespeichert, also auf Papier, Tonband oder Film. Heute ist es nicht einmal mehr ein Prozent. Viele Veränderungen sind bereits im Gange und sie gehen weit über den industriellen Sektor (Industrie 4.0) hinaus. Sie betreffen auch Branchen wie Handel (Onlinehandel), Dienstleistungen (Roboter zur Pflegehilfe, Service-Bots, Selbstbedienungskassen, Hotelplattformen), Transport und Verkehr (Uber, fahrerlose Busse/U-Bahnen), um nur einige Entwicklungen zu nennen. An den Thementischen zu Faire Arbeit 4.0 haben sich die TeilnehmerInnen darüber ausgetauscht, welche Beispiele für Digitalisierung sie aus ihren Betrieben kennen und welche Entwicklungen für sie wünschenswert bzw. weniger wünschenswert sind.

    Entwicklungschancen
    Der Wandel ist im Arbeitsalltag der TeilnehmerInnen bereits deutlich spürbar. Technische Systeme werden allerdings häufig dazu benutzt, um ArbeitnehmerInnen zu kontrollieren und zu überwachen. Sie bemerken, dass sie einem steigenden Druck ausgesetzt sind, und sie fühlen sich stärker belastet. Den Umgang mit Daten und die Durchsetzung der Datenschutzrechte sehen sie als besondere Herausforderung auf uns zukommen. Es entstehen laufend neue Tätigkeiten, die auch mit neuen Anforderungen an die KollegInnen verbunden sind. Viele sehen darin Entwicklungschancen für die Beschäftigten, sofern parallel dazu auf gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten Wert gelegt wird.
    Es überwiegt die Einschätzung, dass viele Arbeiten, die heute von Menschen erledigt werden, in Zukunft von „intelligenten selbstlernenden Systemen und Maschinen“ übernommen werden. Besonders gering qualifizierte Tätigkeiten sehen die TeilnehmerInnen als gefährdet an. Als Herausforderung sehen sie auch, wie die Maschinen/Systeme eingesetzt werden und wie die „Zusammenarbeit“ mit den Menschen gestaltet ist. Der Tenor: Neue Technologien dürfen nicht der Profitmaximierung dienen, sie sollen zur Arbeitserleichterung eingesetzt werden und Menschen müssen die Letztkontrolle behalten.
    Eine zentrale Frage der Gewerkschaftsbewegung war und ist auch in Zukunft, wie wir Wohlstand und Macht fair in der Gesellschaft verteilen. Wenn neue Technologien Produktivitätszuwächse schaffen, die nicht mehr im gleichen Ausmaß zu mehr Beschäftigung führen (eher zu weniger), so braucht es neue Wege, wie der Profit nicht nur einigen wenigen gehört, sondern allen in der Gesellschaft zugutekommt. Diskutiert wurde, welche neuen Wege wir einschlagen können, um weiterhin Bildung, Gesundheit, Einkommen zum Auskommen, Absicherung im Alter etc. für alle gewährleisten zu können. Ebenso wurde bei den Thementischen zu Fair Teilen 4.0 über den Tellerrand geblickt: Welche Themen sind aus einer globalen Sicht wichtig, um eine faire Verteilung von Wohlstand und Macht im Einklang mit der Umwelt zu erreichen?
    Klar ist: Verteilungsgerechtigkeit gehört gesteuert. Es wurden zahlreiche Ideen gesammelt, wie ein faires Steuersystem in Österreich, der EU und auch weltweit hergestellt werden kann. Dazu gehören Vermögenssteuern, die Wertschöpfungsabgabe, der Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung oder die Forderung, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie anfallen. Besonders wichtig waren den TeilnehmerInnen auch weiterhin ein starker Staat und ein guter sozialer Airbag. Dieser beinhaltet einen gerechten Zugang zu Bildung, Gesundheit und Absicherung im Alter, aber auch der Zugang zu Internet, sauberem Wasser, Energie und leistbarem Wohnraum für alle wurde mehrfach genannt.

    Mehr als Erwerbsarbeit
    Besonders bewegt hat das Thema Bildung: Aus- und Weiterbildung brauchen ausreichend Mittel (etwa durch Ausbildungsfonds) und es muss verstärkt auf soziale und kreative Bildung sowie Medienkompetenz gesetzt werden. Viel diskutiert war auch der Begriff von Arbeit, denn Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit. Es gab teils sehr kontroversielle Diskussionen zum Modell des bedingungslosen Grundeinkommens. Mehr Einigkeit herrschte bei Arbeitszeitverkürzung, einer gerechten Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und bei der Notwendigkeit, Arbeit neu zu bewerten. Besonders die Wertigkeit von Non-Profit-Arbeit und For-Profit-Arbeit wurde hier thematisiert – durch eine Neubewertung kann für die Gesellschaft sinnvoll umverteilt werden. Nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften, speziell die Förderung lokaler Produkte und Dienstleistungen, war vielen TeilnehmerInnen ebenfalls ein großes Anliegen.
    Verändern sich die Arbeit und die Arbeitsorganisation, verändert sich auch die Mitbestimmung in den Betrieben. Betriebsrätebefragungen zeichnen ein deutliches Bild: Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Arbeitsbelastung, Datenschutz, Teleworking und Co sind die heißen Themen der heutigen Betriebsratsarbeit. Neue Arbeitsformen wie etwa Crowdwork brauchen neue Formen der Mitbestimmung und Gewerkschaftsarbeit. Gleichzeitig bieten neue Technologien Möglichkeiten, um die Vertretungsarbeit zu verbessern. An den Thementischen zur Mitbestimmung 4.0 wurde besprochen, wo ArbeitnehmervertreterInnen die größten Herausforderungen bei ihrer täglichen Arbeit sehen und wo sich der ÖGB ihrer Meinung nach besonders stark positionieren soll.

    Zukunftsaufgaben
    Ortsungebundenes Arbeiten, Homeoffice usw. bringen einerseits mehr Freiheiten, aber auch Schwierigkeiten. Es wird dadurch mühsamer, den persönlichen Kontakt zu den MitarbeiterInnen zu erhalten. Die TeilnehmerInnen merken auch, dass es technologische Entwicklungen schwieriger machen, bestehende (Mitbestimmungs-)Rechte einzuhalten, sei es bei der Arbeitszeit, beim Datenschutz oder bei der wirtschaftlichen Mitbestimmung. Sie fordern klare Regeln und vor allem strengere Kontrollen sowie spürbare Sanktionen. Sie wollen ihre eigenen Kompetenzen stärken, etwa durch zusätzliche Unterstützung durch ExpertInnen und Weiterbildung – hier wurde vor allem der Umgang mit sozialen Medien genannt. Neue Arbeitsformen wie etwa Crowdwork, Scheinselbstständigkeit und Ein-Personen-Unternehmen zu organisieren, das sehen die DiskutantInnen als wichtige Zukunftsaufgabe des ÖGB. Stark ist das Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft und zu solidarischem Handeln auf allen Ebenen, von der internationalen Zusammenarbeit bis zu einer intensiveren Kooperation der Gewerkschaften in Österreich.

    Gerechte Verteilung
    Dank der TeilnehmerInnen konnte der ÖGB einen guten Einblick gewinnen, welche Sorgen, aber auch positive Zukunftsvisionen für eine faire Arbeits- und Lebenswelt bei den BetriebsrätInnen vorherrschen: Der Wandel ist für sie vielerorts erlebbar. Der Weg zu einer gerechten Verteilung von Arbeit, Einkommen und Steuern ist noch ein langer, er gehört aber unbedingt weiter beschritten. Denn es soll auch weiterhin ein Leben in sozialer Sicherheit, mit guten Einkommens- und Bildungschancen und einer intakten Umwelt möglich sein.

    Hier finden Sie die Ergebnisse der World Cafés sowie Fotos und Videos von den Veranstaltungen:
    www.arbeitfairgestalten.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin karin.zimmermann@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Karin Zimmermann, ÖGB-Präsidentenbüro Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809688 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809674 Der Roboter steht bereit Wenn KundInnen heute ein Unternehmen kontaktieren, kann es sein, dass ein sogenannter Chatbot antwortet. Dies ist eine Software, die programmiert ist, um unsere E-Mail- oder Chat-Anfragen zu beantworten. Die China Merchants Bank etwa bearbeitet laut eigenen Angaben bis zu zwei Millionen Anfragen täglich auf diese Art und Weise. Früher wurden dafür 7.000 MitarbeiterInnen eingesetzt. Und die digitalen Helfer können noch mehr. Das von IBM entwickelte Computersystem Ross etwa durchforstet als Assistenzsystem für AnwältInnen Gerichtsurteile zu einem bestimmten Thema, um spezifische Fragen für sie zu beantworten. Die KI-Plattform Amelia unterstützt MitarbeiterInnen im Service dabei, Anfragen von KundInnen schneller zu beantworten, oder sie hilft Beschäftigten in der Produktion beim Bedienen von Geräten.

    Was ist künstliche Intelligenz?
    Künstliche Intelligenz, wie wir sie heute antreffen, basiert meist auf maschinellem Lernen. Dabei werden große Datenmengen mithilfe statistischer Verfahren nach Mustern durchsucht. Darauf basierend stellt das System Regeln auf, die es stetig an neue Rückmeldungen, die es bekommt, anpasst. Mit jeder Rückmeldung und jedem Datensatz wird die KI „intelligenter“. Am Ende soll sie eigenständig Lösungen für neue, unbekannte Probleme finden.
    Die großen technischen Fortschritte in diesem Bereich haben viel mit gesteigerter Rechenleistung von Computern, der Verfügbarkeit großer Datenmengen, mit Entwicklung zu Bild- und Spracherkennung und Wissensverarbeitung zu tun. Diese Fortschritte schlagen sich in neuen Anwendungen wie dem autonomen Fahren, Übersetzungsprogrammen oder medizinischen Analysen nieder. Es ist anzunehmen, dass sich in den nächsten Jahren weiterhin viel tun wird. Immerhin liegt das Marktvolumen für KI laut Europäischem Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) heute bei rund 664 Millionen US-Dollar und soll bis 2025 auf circa 38,8 Milliarden US-Dollar wachsen.
    Die Hoffnungen sind groß. KI-Anwendungen haben das Potenzial, medizinische Diagnosen zu verbessern, Emissionen im Transportbereich zu verringern oder in unterschiedlichsten Bereichen die Sicherheit zu erhöhen. In der Arbeitswelt könnten gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeiten minimiert werden. Vor allem ruhen auf KI-Anwendungen aber Erwartungen zu Effizienzsteigerung, Fehlerminimierung und Entwicklung neuer Geschäftszweige.

    KI im Büro
    Es gibt sie schon: Start-ups, die anpreisen, voraussagen zu können, ob BewerberInnen erfolgreich sein werden oder nicht. Das tun sie zum Beispiel anhand der Anzahl der Wörter in Bewerbungsschreiben. Andere Firmen werben damit, anhand von Videoanalysen die Körper- und verbale Sprache von BewerberInnen zu analysieren und so deren Kündigungswahrscheinlichkeit bestimmen zu können. Die KI-Funktion Xander soll die Emotionen von Menschen erkennen. Im Werbevideo heißt es: „Xander existiert, um das Mysteriöse aus menschlichen Entscheidungen zu entfernen. Jedes Mal, wenn Sie herausfinden wollen, wen Sie einstellen, wen Sie befördern, wie Sie Ihre Mitarbeiter motivieren können.“ Wie treffsicher Xander ist, wissen wir nicht.

    „Einprogrammierte“ Ungerechtigkeit
    Solche Anwendungen könnten, so die Hoffnung, Diskriminierung entgegenwirken, da Computer keine menschlichen Vorurteile in Bezug auf Geschlecht, Herkunft oder Alter haben. Es kann aber auch das Gegenteil passieren – und zwar dann, wenn die „Trainingsdaten“, mit denen das System „gefüttert“ wird, eine Schieflage haben. Denn wenn bisher immer jüngere Menschen in Bewerbungsverfahren erfolgreich waren, wird das System dieses Kriterium erkennen und künftig auch jüngere Menschen empfehlen. Es fragt nicht, was die Gründe dafür waren, ob diese Entscheidungen sinnvoll oder gerecht waren. Das System „lernt“ lediglich aus menschlichem Verhalten und kopiert es. Die Ungerechtigkeit wäre quasi „einprogrammiert“. Im Endeffekt kann ein Algorithmus so sexistischer oder rassistischer agieren als ein Mensch.
    Gruselig muten Entwicklungen an, bei denen künstliche Intelligenz nicht mehr nur Grundlage für menschliche Managemententscheidungen sind, sondern selbst Beschäftigte kontrollieren und „managen“. Ein Beispiel dafür ist Cogito, ein System, das einem Bericht des Economist zufolge die Stimmen von Callcenter-Beschäftigten analysiert sowie Alarm schlägt, wenn diese zu unfreundlich klingen, und sie an einen freundlicheren Tonfall erinnert. In eine ähnliche Richtung gehen Versuche von Amazon und JD.com, die mit Armbändern experimentieren, die Handbewegungen der ArbeitnehmerInnen in Echtzeit verfolgen und leiten.

    Arbeiten mit schlauen Robotern
    Besondere Herausforderungen entstehen, wenn KI-Systeme Objekte steuern – und das in komplexen, von Menschen bevölkerten Umgebungen. Das prominenteste Beispiel dafür: autonome Autos, die ohne FahrerInnen auskommen, aber auch kollaborierende Anwendungen von Maschinen im Arbeitsprozess. Hier entstehen vielschichtige Sicherheitsrisiken, wie eine Studie des US-amerikanischen National Science and Technology Council Committee on Technology zeigt. Anders als bei klassischen Industrierobotern, bei denen aus Sicherheitsgründen tunlichst Sicherheitsabstände zu Menschen eingehalten werden müssen, ist eine solche Isolation bei kollaborativen Robotern nicht vorgesehen. Das kann zur Gefahrenquelle für Menschen werden. Interessant ist, dass es bisher noch keine internationalen Standards für diesen Bereich gibt.
    Ist das alles in Österreich erlaubt? Grundsätzlich gilt hierzulande: Wird ein neues technisches System eingeführt, braucht es die Zustimmung des Betriebsrates. Gibt es keinen Betriebsrat, muss die individuelle Einwilligung der Beschäftigten eingeholt werden. Gerade in Zeiten großer technischer Umwälzungen ist das eine herausragende Chance, um den digitalen Wandel so zu gestalten, dass auch die ArbeitnehmerInnen davon profitieren. Die Ressourcen der Betriebsräte werden dabei mehr als gefordert sein. Die Fragen, die KI-Anwendungen aufwerfen, sind vielfältig, von den Arbeitsmarkteffekten der neuen Technologien bis zu gigantischen Herausforderungen für den betrieblichen Datenschutz. Wir werden aber auch eine Debatte über ethische Fragen führen müssen: Was darf KI und was nicht? Verletzt es etwa die menschliche Würde, wenn man von einem Computer gesagt bekommt, wie freundlich man sein soll? Und wie setzt man ethische Standards in der Realität durch? Anregungen dazu kann man sich in der traditionellen Wirtschaft holen. Standards und Normen, deren Einhaltung auch geprüft werden, sind in anderen Technikbereichen üblich – ein bewährtes Prinzip, das angesichts von KI-Systemen mit neuen, zusätzlichen Inhalten gefüllt werden muss.

    Sinnvoller Rahmen nötig
    Wichtig ist zudem größtmögliche Transparenz, um zum Beispiel die Risiken von Diskriminierung zu verhindern und zu sichern, dass Gesetze und soziale Normen eingehalten werden. Manchen Entwicklungen muss man auch grundsätzlich entgegentreten. Tatsächlich gibt es bereits Stimmen, die eine „Rechtsperson“ für Roboter fordern. Denn, so das Argument, niemand könne kontrollieren, was eine selbstlernende Software im Laufe der Zeit lernt. Eine solche Aufweichung der Herstellerhaftung würde moralischen Risiken und Missbrauchsmöglichkeiten das Tor öffnen. Das sind nur einige der großen Fragen, die KI-Anwendungen aufwerfen. Wir dürfen die Entwicklung nicht Technik und Markt überlassen. Wir müssen das diskutieren und einen sinnvollen Rahmen gestalten.

    EWSA zur Informationsgesellschaft:
    tinyurl.com/ybnq4tpd
    US-Studie zur KI:
    tinyurl.com/h4ekpt2

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sylvia.kuba@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sylvia Kuba, Bereichsleitung Wirtschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809668 Wir dürfen die Entwicklung nicht Technik und Markt überlassen, sondern müssen diskutieren und einen sinnvollen Rahmen gestalten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809651 Der digitale Graben Es ist manchmal leicht, zu vergessen, welche gewaltigen Veränderungen die Entwicklung des Internets in unserem Alltagsleben ausgelöst hat. Mitte der 1990er-Jahre hatten die meisten Menschen noch kein Handy. Ende der 1999er-Jahre waren drahtlose Internetverbindungen in der eigenen Wohnung oder am Arbeitsplatz weitgehend Science-Fiction. Mitte des ersten Jahrzehnts der 2000er-Jahre waren internetfähige Smartphones noch ein Gerücht. Heute sind iPhone, Tablet und Co nicht mehr wegzudenken.
    Diese atemlose und manchmal atemraubende Entwicklung hat das Potenzial, Menschen abzuhängen. Schon lange sprechen WissenschafterInnen deshalb von der Gefahr einer „digitalen Spaltung“ der Gesellschaft. So veröffentlichte das Schweizer Bundesamt für Berufsbildung und Technologie im Juni 2004 einen Bericht über die „digitale Spaltung in der Schweiz“. Darin heißt es: „Bestimmte gesellschaftliche Gruppen haben offenkundig mehr Schwierigkeiten mit IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) als andere. So haben zum Beispiel ältere Menschen, Frauen, Behinderte, Einkommensschwache oder auch die Bevölkerung im ländlichen Raum messbar weniger Kontakt mit IKT und nutzen diese weniger restriktiv.“
    Dem Bericht merkt man stellenweise sein Alter an. So heißt es an einer Stelle, dass „E-Mail bereits bei rund 47 Prozent der Bevölkerung zum Alltag“ gehört. Inzwischen ist diese Zahl weitaus höher. Eine im November 2017 von der AK Wien herausgegebene Studie zitiert eine Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts INTEGRAL, wonach im dritten Quartal 2017 rund 6,45 Millionen ÖsterreicherInnen ab 14 Jahren das Internet nutzen. „Dies entspricht einem Prozentsatz von 86 Prozent. Demgegenüber stehen 14 Prozent der österreichischen Bevölkerung, welche praktisch kein Internet nutzen.“

    Von Off- und OnlinerInnen
    Diese 14 Prozent, das sind die sogenannten OfflinerInnen. Dabei handelt es sich um Menschen, die das Internet entweder gar nicht oder nur wenig nutzen wollen oder können. In der Studie „Benachteiligungen von OfflinerInnen im KonsumentInnenalltag“ heißt es dazu: „Tendenziell handelt es sich bei den OfflinerInnen um weibliche Personen höheren Alters mit formal niedriger Bildung und beschränkten finanziellen Mitteln.“ Es scheint, als seien manche Dinge seit dem Jahr 2004 gleich geblieben. Die Studie verweist zudem auf Erhebungen der Statistik Austria aus dem Jahr 2017, wonach 630.000 Personen in Österreich das Internet überhaupt noch nie genutzt haben sollen.
    Alter, Geschlecht und Bildungsniveau werden als entscheidende Faktoren für die Häufigkeit der Internetnutzung angegeben: „Kennzeichnend für die Personengruppe der NutzerInnen ist, dass mehr Männer (93 Prozent) als Frauen (80 Prozent) auf das Internet zugreifen.“ Im Alter von 60 bis 69 Jahren sind 25 Prozent den NichtnutzerInnen zuzuordnen, in der Altersgruppe 70 Jahre und älter sind es sogar 45 Prozent. Personen mit Matura nutzen das Internet häufiger (96 Prozent) als jene ohne Matura (80 Prozent).
    630.000 Menschen, die das Internet nicht nutzen, sind wahrlich eine große Personengruppe. Zum Vergleich: Wiens bevölkerungsreichster Bezirk Favoriten beheimatet rund 200.000 Menschen. Umgekehrt betrachtet aber sind 14 Prozent OfflinerInnen eine schwindende Minderheit. Und Minderheiten haben es schwer, das ist auch in der Onlinewelt so. Es lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, die zeigen, dass OfflinerInnen im öffentlichen Leben zunehmend benachteiligt werden.
    Daniela Zimmer ist Expertin für Konsumentenschutz bei der Arbeiterkammer. Sie meint: „Durch die Digitalisierung vieler Lebensbereiche laufen KonsumentInnen, die an der Internetentwicklung nicht teilhaben können oder wollen, immer öfter Gefahr, bei ihrer Alltagsbewältigung benachteiligt zu werden.“ In einem Blogbeitrag für die Arbeit&Wirtschaft fasst sie zusammen: „Offliner verzichten auf den raschen Zugang zu Infos und zunehmend auch auf kostengünstige Onlineservices – etwa Diskontbanken, die nur E-Banking anbieten, billigere elektronische Zugtickets, Dienste der Sharing Economy, Kleinanzeigenplattformen und so weiter.“
    Um hier einer weiteren Diskriminierung vorzubeugen, fordert Zimmer ein „rechtlich verankertes Mindestmaß an analog erbrachten Leistungen“. Sie führt folgende Beispiele an: Papierrechnungen, gedruckte Formulare bzw. Informationen sowie persönliche Kontaktangebote für zentrale Lebensbereiche wie Mobilität, Energie, Telefonie, Kontoführung oder Gesundheit.

    Österreichs digital gespaltene Jugend
    Allerdings existiert die digitale Spaltung nicht nur zwischen OnlinerInnen und OfflinerInnen. Das verdeutlicht eine weitere, ebenfalls von der Wiener Arbeiterkammer in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Digitale Kompetenzen für eine digitalisierte Lebenswelt“. Diese Studie beschäftigt sich mit dem Onlineverhalten der 15- bis 19-Jährigen in Österreich. Hierbei handelt es sich um jene Altersgruppe, die laut regelmäßig geäußerten Behauptungen mit der neuen Onlinewelt spielend zurechtkommen müsste.
    Tatsächlich ist jedoch zu lesen: „Ein genauerer Blick zeigt aber, dass es in der jungen Generation sehr wohl einen breiten digitalen Graben gibt und dass längst nicht alle Jugendlichen nur auf Grund des Umstandes, dass sie in einer digitalisierten Lebenswelt aufgewachsen sind, über alle notwendigen Kompetenzen verfügen, um sich in dieser Welt auch zurechtzufinden.“ Dabei gehe es weniger um den Zugang zum Internet an sich: „Mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones stieg auch der Anteil jener Jugendlichen, die sogar über einen eigenen Internetzugang verfügen, noch einmal an. Wo der Aspekt des technischen Zugangs also in den Hintergrund tritt, wird derjenige unterschiedlicher Nutzungsarten dafür immer wichtiger.“ In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass 96 Prozent der für die Studie befragten Jugendlichen ein Smartphone besitzen. Über 60 Prozent verfügen über einen Laptop. Stand-PCs sind mit unter 40 Prozent nur noch relativ selten anzutreffen.

    Problematisches Markenbewusstsein
    Und doch sind deutliche Klassenunterschiede zu beobachten: „Hochpreisige Laptops und Tablet-Computer sind in den privilegierteren Haushalten deutlich weiter verbreitet. Dazu kommt noch, dass Jugendliche mit höherer formaler Bildung eine selbstbewusstere Einstellung an den Tag legen, wenn es darum geht, die Technik zur Gestaltung des eigenen Lebens einzusetzen.“ Während diese privilegierte Schicht digitale Geräte aufgrund der von ihnen verfolgten Ziele aussucht, stehen bei den „formal niedriger gebildeten Jugendlichen“ andere Prioritäten im Vordergrund. Hier gehe es vor allem um ästhetische Überlegungen und die Marke: „In diesem Segment übernimmt das Smartphone die Rolle eines Statussymbols, das heißt, es ist besonders wichtig, hier immer ein aktuelles Modell vorweisen zu können.“
    Dieses Konsumverhalten hat Auswirkungen auf andere Aspekte des Onlineverhaltens, etwa wenn es um Recherchen für Schularbeiten geht. So stimmen rund 70 Prozent der befragten Jugendlichen der folgenden Aussage zu: „Im Großen und Ganzen kann ich gut einschätzen, ob etwas, das ich im Internet lese oder sehe, wahr oder gelogen ist.“ Allerdings basieren diese Einschätzungen hauptsächlich auf einer besonderen Form des Markenbewusstseins. Den Jugendlichen geht es um die Ästhetik einer Webseite, deren Bekanntheitsgrad und quantitative Größen, wie etwa die Anzahl der erreichten Klicks oder „Likes“.
    Als direkte Folge dieser Sichtweise werde die Intention des Absenders nicht reflektiert: „Ein reines Werbeangebot kann in diesem Sinne durchaus als eine vertrauenswürdige Information gelten (…).“ Eine Sonderstellung nehme die Marke Google ein: „Diese ist nicht nur selbst vertrauenswürdig, sie verleiht auch anderen Anbietern ein großes Ausmaß an Glaubwürdigkeit.“ Es zeigt sich, dass der Umgang mit der digitalen Welt bewusst gelernt werden muss. Das gilt sowohl für OfflinerInnen als auch für jene, die scheinbar natürlich mit den neuen Medien aufwachsen.

    Blogtipp:
    www.awblog.at/offliner-ohne-internet
    AK-Studie zum Thema OfflinerInnen:
    tinyurl.com/yby3rc2b
    AK-Studie zum „Digital Divide“ unter österreichischen Jugendlichen:
    tinyurl.com/y95lglxr

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809639 Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Bild der umfassend kompetenten "digital natives" als Mythos. Wie die "New York Times" treffend formulierte: "Die Zeitverschwendung im Internet ist die neue digitale Spaltung." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809621 Kontrastreiche Zukunft Zukunftsprognosen genießen spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Jahr 2008 ihren Ausgang genommen hat, kein gutes Image mehr. Niemand konnte vorhersehen, dass die Pleite einer einzigen Investmentbank die Weltwirtschaft auf den Kopf stellen würde. Auch rasante technologische und politische Entwicklungen machen glaubwürdige Vorhersagen schwieriger. Umso vorsichtiger ging die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds an die Frage heran: Wie kann Mitbestimmung im Jahr 2035 aussehen? Statt für eine genaue Prognose als Antwort hat sich die Stiftung für vier verschiedene Zukunftsszenarien entschieden. Jedes davon könnte genau so eintreffen – oder in einer Variante oder Mischform.

    Szenarien als Dialogangebot
    Die Szenarien lauten: Fairness, Verantwortung, Wettbewerb und Kampf. Je nachdem, in welche Richtung sich Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln, wird auch Mitbestimmung anders aussehen müssen. So heißt es etwa im Szenario Wettbewerb: „Die Gesellschaft ist allgemein unpolitischer geworden. Die frühen 20er Jahre sind durch den Rückzug ins Private geprägt, die Orientierung auf die eigenen Belange und einen guten Lebensstandard. Flexibilität und Mobilität sind das Gebot der Stunde.“ In Bezug auf die Gewerkschaftsarbeit heißt es dazu unter anderem: „Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitnehmer sinkt ins Bodenlose. Nur noch in den großen Unternehmen einiger Branchen und im öffentlichen Sektor gelingt es den Gewerkschaften, überbetriebliche Tarifabschlüsse zu erzielen. In anderen Bereichen bleiben nur diejenigen Gewerkschaften und Interessenverbände im Spiel, die für ihre Mitglieder einen spürbaren konkreten Mehrwert erbringen können.“ Das Szenario Fairness geht dagegen davon aus, dass die Arbeitswelt demokratischer wird, kollektive Interessenvertretungen an Bedeutung gewinnen, um individuelle Handlungsspielräume zu vergrößern und faire Arbeitsbedingungen abzusichern.

    Kein Masterplan
    Die Szenarien, welche die Stiftung 2015 erarbeitet hat, sind als Dialogangebot gedacht, als Anregung, darüber zu diskutieren. Michael Stollt hat das Projekt koordiniert und schon zahlreiche Workshops mit diversen Teams dazu durchgeführt. Er sagt: „Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, ein Wunschszenario oder einen Masterplan zur Verfügung zu stellen.“ Von Anfang an war der offene Zugang wichtig, der signalisiert: „Wir wollen nicht die Antworten liefern, sondern alternative, plausible Entwicklungspfade mit euch diskutieren.“ Als Grundlage für einen weiterführenden Diskurs dienen unter anderem die ausformulierten Szenarien, aber auch kurze Zusammenfassungen davon, Audiodateien, Leitfragen, Illustrationen, Artikel und Werkzeugkästen sowie Erklärtexte zur eigenständigen Arbeit mit den Szenarien (siehe mitbestimmung.de/mb2035).
    Das Angebot wird seit drei Jahren rege angenommen. Die TeilnehmerInnen, darunter BetriebsrätInnen, GewerkschaftsmitarbeiterInnen, AufsichtsrätInnen, Human-Resources-MitarbeiterInnen, Lehrende und Studierende, arbeiten im Rahmen von Veranstaltungen und Workshops mit den Szenarien. Wer Interesse hat, muss nicht auf die nächste Veranstaltung warten, sondern kann sich an die Stiftung wenden und Michael Stollt ins Unternehmen einladen – oder selbstständig mit dem Tool arbeiten. Meist werden in den Workshops Fragen gestellt, die für die eigene Gruppe relevant sind, und dann Antworten für jedes Szenario erarbeitet. Stollt: „Diese Anschlussfähigkeit ist enorm wichtig, damit es nicht abstrakt bleibt. Je konkreter man die Szenarien auf die eigene betriebliche oder institutionelle Welt überträgt, umso spannender wird es.“ Nicht immer ist Mitbestimmung dabei das zentrale Thema. Es gab etwa einen Workshop mit Studierenden, die über Zukunftsszenarien der Nachhaltigkeit debattierten. Auch die Diskussionsform ist offen: „Wir versuchen bewusst, methodisch nicht vortragsmäßig vorzugehen, sondern die Szenarien gemeinsam zu erkunden und weiterzudenken.“ Der Kreativität sind dabei kaum Grenzen gesetzt, so gab es etwa Improvisationstheater-Workshops.
    Im Jahr 2017 fand auch in Wien ein Workshop zur Mitbestimmung statt. Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien, nahm gemeinsam mit rund 20 KollegInnen aus AK, Gewerkschaften und Betriebsräten teil. Die TeilnehmerInnen arbeiteten in vier Räumen an den Szenarien. „Die Szenarientechnik hat’s in sich“, berichtet Leitsmüller. „Man kommt damit sehr gut in kreative Lösungsansätze hinein.“ Die Technik fördere die Kreativität viel besser, als wenn angestrengt über Zukunftsindikatoren nachgedacht werde.

    Parallele Szenarien
    Die kreative Debattenform führte nicht nur dazu, breiter und offener auf Mitbestimmung zu blicken, sondern brachte auch eine ermutigende Erkenntnis. „Ich bin dadurch ein bisschen vom Gedanken weggekommen, dass die Zukunft nur in Richtung stärkerer Wettbewerb und Individualisierung rennt“, so Leitsmüller. Der AK-Experte glaubt zwar, dass das Wettbewerbsszenario vorherrschen wird. Aber: „Parallel dazu finden auch die anderen Szenarien statt, je nach Unternehmen und Branche.“ In manchen Unternehmen stünden Fairness und Verantwortung vor Wettbewerb und Kampf, was sich auf die Mitbestimmung auswirke. Ein Ergebnis des Workshops war die Erkenntnis, dass es in Zukunft nicht nur die eine Lösung in der Mitbestimmung geben kann, sondern es auf die jeweiligen Arbeitsbedingungen zugeschnittene Lösungen geben muss, je nach Unternehmensgröße und Branche. Organisationsformen wie etwa Crowdworking erfordern ganz neue Arten der Mitbestimmung als etwa in einem Konzern.
    Ist das Tool Mitbestimmung 2035 auch ein Weg, jene Menschen anzusprechen, die sich von Gewerkschaften und Betriebsräten nicht mehr vertreten fühlen? Für Michael Stollt geht es insbesondere darum, ins Gespräch zu kommen und über langfristige Perspektiven für die Mitbestimmung in sich verändernden Kontexten zu diskutieren: „Die Szenarien sind hervorragend dafür, weil sie nicht schwarz-weiß malen, sondern ein kontrastreiches Bild abgeben.“ Stollt ist überzeugt, dass die Szenarien auch nach drei Jahren noch ein gutes Werkzeug sind, um sich auf eine offene Art der Zukunft der Mitbestimmung zu widmen. Doch etwas hat sich stark verändert: Das Thema Digitalisierung mit all seinen Folgen hat noch viel stärker Einzug in viele Unternehmen gehalten und wirkt sich gravierend auf die Arbeitswelt aus. Weil Digitalisierung ein so beherrschendes Thema geworden ist, erarbeiten die MitarbeiterInnen der Böckler-Stiftung in Kooperation mit dem Institut für prospektive Analysen in Berlin jetzt vier sogenannte Fokusszenarien dazu. Erstmals wurden sie im Mai auf der re:publica in Berlin vorgestellt und in zwei Poster-Sessions diskutiert.
    Die Szenarien heißen Peak Performance, Persönliche Entfaltung, RESET und Zusammenhalt. Das Szenario Peak Performance etwa beschreibt einen digitalen Wandel, der weitgehend von ökonomischen Gesichtspunkten angetrieben wird, in dem Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund stehen. Das Szenario Persönliche Entfaltung dagegen rechnet damit, dass die Digitalisierung zu mehr individuellen Gestaltungsspielräumen, Flexibilität und Vielfalt in der Arbeitswelt beitragen wird.
    Die Fokusszenarien werden im Herbst publiziert. Generell geht es dabei laut Stollt darum, „der Digitalisierung eine gute Richtung und eine menschliche Gestalt zu geben“. Eine Teilnehmerin, die direkt nach dem Workshop auf der re:publica befragt wurde, sagte, sie nehme mit, dass man der Digitalisierung nicht ausgeliefert sei, sondern den Prozess mitgestalten könne. Die Conclusio freut Stollt: „Das ist genau die Essenz unseres Anliegens, nämlich vom passiven Zukunftsnehmer zum handelnden Akteur zu werden.“ Das Fatale im Diskurs über die Digitalisierung sei nämlich, dass sie oft wie eine Naturgewalt wahrgenommen werde und man nur schauen müsse, dass man dafür fit werde. Doch: „Die Zukunft ist noch nicht geschrieben.“ Außer in Form von Szenarien – und welches sich durchsetzen wird, daran haben wir alle Anteil.

    Mehr Information:
    www.mitbestimmung.de
    www.boeckler.de

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809615 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809607 Vernetzung gegen das Monopol Gerade für junge ArbeitnehmerInnen scheint Foodora ein attraktiver Arbeitgeber zu sein: Die meisten besitzen ein Fahrrad oder können sich leicht eines besorgen, das Gleiche gilt fürs Handy. Für den Essenslieferanten ein enormer Vorteil, denn er braucht diese Arbeitsmittel nicht bereitzustellen. Bald aber bekam der Lack des jungen Start-ups erste Kratzer, nicht zuletzt durch Verschlechterungen der Arbeitsverhältnisse. Deshalb formierte sich über den Winter 2016/17 in Wien der Betriebsrat (BR).
    Die Gründung war alles andere als einfach, denn die Arbeitsweise und die inhomogene Zusammensetzung der FahrerInnen bringen einige Hindernisse mit sich. Im Gegensatz zur „klassischen“ Arbeitsstätte gibt es bei der Botentätigkeit keinen fixen Ort, an dem sich täglich alle einfinden und austauschen können. Man arbeitet komplett unabhängig von Büro bzw. Zentrale auf der Straße. Gab es bis März 2017 in Wien noch eine eigene Werkstätte, in der die privaten Fahrräder gewartet werden konnten und die FahrerInnen einen Treffpunkt hatten, wurde diese aus Kostengründen eingespart und ersatzlos geschlossen. Der persönliche Austausch beruht auf zufälligen Begegnungen auf der Straße bzw. bei Wartezeiten in Restaurants. Die Kommunikation zwischen den FahrerInnen wurde anfangs über Nachrichtendienste wie WhatsApp geführt, in denen sich auch Vorgesetzte und Geschäftsführung befinden.
    Den BetriebsrätInnen ist es gelungen, sich persönlich zu vernetzen. Sie verwendeten zur weiteren Absprache getrennte Chaträume, in denen sie geheime Treffen organisierten und Informationen austauschten. Mithilfe der Gewerkschaft gelang es, die Wahlen unbemerkt vorzubereiten und die Geschäftsführung mit der Bekanntgabe zu überraschen. Als Reaktion drohte die damalige Geschäftsführung mit der Schließung der Filiale in Wien. Am Folgetag wurde zudem jemand aus Berlin eingeflogen, um die FahrerInnen wieder von der Gründung eines Betriebsrates abzubringen.

    Kleiner Vorteil
    Die Nichtexistenz eines örtlich fixen Arbeitsplatzes hatte auch einen kleinen Vorteil: Sie vereinfachte die Geheimhaltung der BR-Gründung, da unbemerkt Absprachen getroffen werden konnten. Allerdings waren sehr viele Einzelgespräche bei zufälligen Treffen notwendig, um InteressentInnen zu finden und ein zuverlässiges Team zu organisieren. Erschwerend kommt bei Foodora hinzu, dass bei Weitem nicht alle FahrerInnen angestellt sind, der Großteil arbeitet vielmehr als freie DienstnehmerInnen. Diese sind nicht wahlberechtigt und rechtlich nicht durch den Betriebsrat oder die Gewerkschaft vertreten. Auch bleiben viele nur wenige Wochen bis Monate im Betrieb. Die MitarbeiterInnenzahl mit echten Dienstverträgen sinkt zudem kontinuierlich – bei wachsendem Personal. Dies lässt vermuten, dass es sich um eine gezielte Maßnahme handelt, um die Organisation der ArbeitnehmerInnen zu verhindern und die Legitimität des BR infrage zu stellen.

    Kontakte geknüpft
    Durch die geplante Verschmelzung des deutschen Mutterkonzerns Delivery Hero AG mit seinem niederländischen Ableger zu einer Europäischen Aktiengesellschaft wurde – wie im europäischen Recht vorgesehen – im Jahr 2017 ein Verhandlungsgremium einberufen, das eine Form der ArbeitnehmerInnen-Mitbestimmung im Konzern ausverhandeln sollte. Im Rahmen dieser Verhandlungen wurden von jedem betroffenen EU-Land VertreterInnen nach nationalem Recht entsendet, in Österreich ein Mitglied des Betriebsrates. Dadurch konnten neue Kontakte geknüpft werden, da es auch aus anderen Ländern einige FahrerInnen geschafft haben, in dieses Gremium gewählt zu werden.
    Aus diesem Prozess heraus schlugen die Gewerkschaft vida und die Arbeiterkammer vor, ein EU-weites Treffen von FahrerInnen und Gewerkschaften zu organisieren. Über verschiedene Kontakte gelang es, FahrerInnen und GewerkschaftsvertreterInnen aus Norwegen, Deutschland, Italien, Frankreich und den Niederlanden im April nach Wien einzuladen. Der dortige Erfahrungsaustausch war ebenso wertvoll wie aufschlussreich.
    Foodoras Firmenstruktur ist streng hierarchisch organisiert, Informationen werden nur spärlich von oben nach unten kommuniziert, meist in Form von bereits gefällten Entscheidungen. In dieser Struktur stehen die BotInnen ganz unten, nach Möglichkeit sollen keine Informationen über Pläne oder Änderungen durchdringen. Diese Desinformationsstrategie wird in allen Ländern angewendet, da sich durch die kurzfristige Bekanntgabe eventuell unangenehme Entscheidungen leichter durchsetzen lassen und Argumente nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können. ArbeitnehmerInnen, die Vorgangsweisen im Unternehmen kritisch hinterfragen, werden jegliche Aufstiegschancen genommen, sie werden leicht Opfer der nächsten Einsparungs- bzw. Umstrukturierungsmaßnahmen.
    Foodora versucht zu verhindern, dass sich FahrerInnen kritisch über die Arbeitsbedingungen austauschen. Probleme wie die Schichtplanung, die eigentlich die gesamte Flotte betreffen, werden individualisiert und Diskussionen abgewürgt. Die Spaltung zwischen Büro und FahrerInnen geht stellenweise so weit, dass Letztere in manchen Ländern keinerlei Zugang mehr zum Büro haben oder in einigen Fällen gar nicht wissen, wo es sich befindet.

    Billigste Variante
    Es ist auch zu beobachten, dass das Unternehmen in jedem Land versucht, die für sich billigste Variante von Anstellungen aufrechtzuerhalten. In Frankreich und Italien werden etwa nur „FreelancerInnen“, also selbstständige BotInnen engagiert. Sie werden nur nach Bestellung bezahlt und haben keinerlei soziale Absicherung. Wo dies rechtlich zulässig ist, wird auf „Selbstständige“ gesetzt oder auf Formen wie den Freien Dienstvertrag in Österreich. Dies geschieht entweder von Beginn an oder aber es wird sukzessive umgestellt und das unternehmerische Risiko ausgelagert – zumindest drängt sich dieser Eindruck auf.
    Erschwerend kommt hinzu, dass die FahrerInnen eine äußert inhomogene Gruppe sind: von Studierenden, Drittstaatsangehörigen, AkademikerInnen über BerufseinsteigerInnen bis hin zu VollblutbotInnen. Oftmals fehlt die rechtliche Grundlage für die Organisation über Gewerkschaften oder das Wissen um die eigenen Rechte. Auch die hohe Fluktuation erschwert kollektives Handeln, da viele Prozesse viel Zeit benötigen und Betroffene oftmals bereits den Job gewechselt oder frustriert aufgegeben haben. Der Informationsmangel kommt Foodora momentan noch zugute.

    Monopol aufgebrochen
    Durch das Vernetzungstreffen in Wien konnte das Informationsmonopol aufgebrochen werden, es war ein Signal der Stärke an das Unternehmen. Indem sich die FahrerInnen organisierten, wurde auch auf die prekären und sich sukzessive verschlechternden Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht – und der zum Teil verklärte Blick auf Start-ups infrage gestellt. Durch den internationalen Austausch können die ArbeitnehmerInnen neuen Mut fassen und ihre Verhandlungsposition stärken, da es für das Unternehmen nicht mehr so einfach ist, den FahrerInnen Informationen oder Änderungen vorzuenthalten oder schlichtweg falsche Informationen weiterzugeben.
    Über die sozialen Medien kann man direkt in Kontakt treten, um Informationen zu überprüfen oder Solidarität zu bekunden. Formen des Protests oder Verhandlungserfolge können leicht ausgetauscht werden und am eigenen Standort als Argumente verwendet werden. Das mediale Interesse ist international betrachtet ebenso wichtig, da Druck aufgebaut werden kann und den ArbeitnehmerInnen eine Stimme verliehen wird. Auch die Weitergabe von Informationen über Proteste, Organisation oder Erfolge an die eigene Belegschaft schafft Mut und zeigt den KollegInnen, dass aktiv nach positiven Veränderungen gesucht wird und der Kampf nicht allein ausgefochten wird. Für ein internationales Unternehmen braucht es internationale BetriebsrätInnen, um auf Herausforderungen gemeinsam reagieren zu können und zusammen für gerechte Arbeitsverhältnisse zu kämpfen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor fooriders.vienna@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Robert Walasinski, Betriebsrat bei Foodora Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809595 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809583 Mitbestimmung 4.0 Die Vernetzung von Industrieunternehmen und Wertschöpfungspartnern nimmt unter dem Schlagwort Industrie 4.0 eine ganz neue Dimension an. Das klassische Computer Integrated Manufacturing (CIM) aus den 1980er- und 1990er-Jahren wurde schrittweise weiterentwickelt und durch hochautomatisierte, miteinander vernetzte und mit komplexer Sensortechnik ausgestattete Fertigungsroboter abgelöst. Brauchen wir in diesen vollautomatisierten Industrie-4.0-Betrieben überhaupt noch Beschäftigte und betriebliche Mitbestimmung? Welche neuen Chancen und Herausforderungen birgt die fortschreitende Digitalisierung für die arbeitenden Menschen? Im Rahmen einer ExpertInnendiskussion in der Fachbuchhandlung des ÖGB-Verlags zeigte sich, dass Mitbestimmung und gute Beschäftigung in Zeiten künstlicher Intelligenz und automatisierter Roboterfertigung immer noch unerlässlich sind.

    Transformationen
    Die Digitalisierung birgt Potenziale und Risiken. Neue technische Innovationen wie etwa 3D-Druck, kollaborative Roboter oder digitale Maschinensteuerung können eine neue wirtschaftliche Aufbruchstimmung einläuten. Andererseits stellt die zunehmende Digitalisierung Unternehmen und ihre Beschäftigten vor große Herausforderungen. Denn neue Formen der Arbeitsorganisation und -gestaltung, die verstärkte Automatisierung von Arbeitsprozessen und die zunehmende räumliche und zeitliche Entgrenzung von Arbeit haben auch weitreichende Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Mitbestimmung. Wie können ArbeitnehmervertreterInnen die Transformation im Zeitalter der Digitalisierung mitgestalten und welche Entwicklungsperspektiven eröffnen sich für die betriebliche Mitbestimmung? Im Frühjahr 2018 diskutierten BetriebsrätInnen und ExpertInnen der ArbeitnehmerInnenvertretung über Mitbestimmung im Zeitalter der Digitalisierung und die Rolle der Beschäftigung.

    Mitbestimmung muss sein
    Ausgangspunkt war ein neu erschienenes Buch mit dem Titel „Auf der Suche nach Industrie-4.0-Pionieren“, in dem der Buchautor Christoph Mandl über seine Eindrücke und Erfahrungen von acht digitalisierten Industriebetrieben in ganz Europa und den USA berichtete. Er veranschaulichte, was hinter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ steckt, wie diese modernen Fabriken konkret aussehen und was sie für die Menschen bedeuten, die darin arbeiten. Es zeigte sich in seinen Beispielen, dass bei den digitalisierten Industrie-4.0-Betrieben keine Jobs verloren gingen. Jedoch waren Umschulungen, Weiterbildungen sowie die prozessorientierte, menschengerechte Mitbestimmung wesentliche Voraussetzungen für bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzsicherung. Das Fazit des Buchautors: „Ohne Mitbestimmung geht es gar nicht. Man kann nie solche Projekte umsetzen, ohne die Leute einzubeziehen.“
    BetriebsrätInnen berichteten über ihre praktischen Erfahrungen im Betrieb. Denn Industrie 4.0 oder Mitbestimmung 4.0 kann nicht von heute auf morgen stattfinden. Sie schilderten einen schrittweisen Prozess der Digitalisierung und die Veränderung von Kompetenzprofilen bei der Einführung neuer Technologien in ihrem Betrieb. „Dabei sollte die Einführung neuer Technologien auch als Chance für menschengerechtere Arbeitsbedingungen gesehen werden“, hieß es. Und es sei auch wichtig, eine Schnittstelle zwischen den Beschäftigten und dem Management zu sein. Denn wenn die Organisation nicht mitmache, wenn die Beschäftigten Angst hätten oder wenn BetriebsrätInnen keine Mitgestaltungsmöglichkeiten hätten, dann werde eine digitale Transformation nicht funktionieren – selbst mit der tollsten Elektronik oder dem lässigsten Roboter nicht. Moderatorin Lara Hagen („Der Standard“) kam zu dem Schluss: „Das Fazit ist ein sehr schönes, wenn man sagt, dass die Mitbestimmung eine Rolle spielt, nämlich, dass Mitbestimmung für den Unternehmenserfolg notwendig ist. Es geht gar nicht ohne.“
    Die Aufgaben des Betriebsrats haben sich freilich verändert: Neben dem Aufbau von neuen Kommunikationsmöglichkeiten ist es auch dessen Aufgabe, sich mit einer Fülle von Informationen und Daten zu beschäftigten. Ganz wichtig ist es zudem, dass sich die Betriebsräte untereinander vernetzen. Thomas Stoimaier von Magna Steyr: „Einer weiß nie alles, das ist ein Ding der Unmöglichkeit, speziell in der heutigen Zeit.“ Reinhard Wimmler vom Unternehmen AVL List meinte, dass die Betriebsratsarbeit nicht weniger, sondern mehr Zeit beanspruche und man immer mehr Kommunikationswerkzeuge einsetzen müsse. Darüber hinaus sei eine Absicherung der betrieblichen Mitbestimmung sowie Aus- und Weiterbildung der betrieblichen ArbeitnehmerInnenvertretung eine wichtige Grundlage für ihre Arbeit. Der Bildungsexperte Philipp Schnell (AK Wien) fügte hinzu: „Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt kommt es zu ganz neuen Kompetenzen. Dazu gehören digitale Kompetenzen, fachübergreifende Kompetenzen und Problemlösungskompetenzen. Und diese muss man auch erlernen. Deshalb rückt die Weiterbildungsdebatte ebenfalls stark ins Zentrum der Mitbestimmung.“

    Technologie versus Geschäftsmodell
    In einer weiteren Diskussionsrunde kamen DigitalisierungsexpertInnen der Gewerkschaften GPA-djp und PRO-GE zu Wort. „Ich glaube, wir müssen bei der Digitalisierung unterscheiden, was Technologie und was Geschäftsmodell ist. Wenn man das Buch genau liest, dann kann man schon sehen: Es geht nicht nur um Technologie, sondern es geht um die Menschen in den Organisationen, die das Unternehmen auch weiterentwickeln“, so Agnes Streissler-Führer (GPA-djp). Und dabei sei es auch die Rolle der Gewerkschaften, „ihre BetriebsrätInnen zu befähigen und sie dabei unterstützen, den digitalen Wandel im Betrieb zu verstehen und zu gestalten“, meinte Kerstin Repolusk von der PRO-GE.

    Qualifizierungsnotwendigkeit
    Zudem kommt die wirtschaftliche Mitbestimmung wieder stärker aufs Tapet. Denn durch neue Investitionen müssen alle mitreden können. „Viele ArbeitnehmerInnenvertreter im Aufsichtsrat berichten, dass sie besser in die Kostenrechnung eingebunden werden.“ Während die wirtschaftlichen Themen in den letzten Jahren oft ignoriert wurden, rückt auch die Unternehmensstrategie stärker in den Fokus des Aufsichtsrats. Ein weiteres Handlungsfeld betrifft die betriebliche Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten, damit diese nicht VerliererInnen einer neuen industriellen Revolution werden. „In einer immer komplexeren und global vernetzten Welt ist die Qualifizierungsnotwendigkeit ein wesentliches Kriterium, um den ArbeitnehmerInnen neue Perspektiven zu geben und ihnen Zukunftsängste zu nehmen“, so Magna-Betriebsrat Stoimaier.
    Schließlich ist neben der technischen auch die soziale Innovation ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Unternehmen. Denn was macht eine Organisation großartig? Es sind die darin arbeitenden Menschen. Aufgrund neuer Organisations- und Investitionsentscheidungen rückt die Corporate Governance – also die Überwachung und Steuerung von Unternehmen – für die in den Aufsichtsrat entsandten BetriebsrätInnen stärker in den Mittelpunkt.

    Neue Möglichkeiten
    Für die betriebliche Mitbestimmung bietet sich somit eine neue Möglichkeit im Rahmen der Digitalisierung. Die umfangreichen Informations- und Beratungsrechte müssen wahrgenommen werden, denn Fragen wie „In welche Richtung entwickelt sich unser Unternehmen?“ oder „Welche Arbeitsbedingungen sind morgen notwendig?“ werden immer relevanter. „Unternehmen sind dann nachhaltig erfolgreich, wenn Digitalisierung mit einer klar kommunizierten Strategie verbunden ist“, hielt Streissler-Führer fest. „Das funktioniert mit einer mitbestimmten Unternehmenskultur, die auch Freude auf Veränderung macht. Dazu gehört etwa Feedbackkultur oder Fehlerkultur. Aber vor allem soll es die Strategie sein, dass BetriebsrätInnen und Beschäftigte die Digitalisierung mitbestimmen können.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor simon.schumich@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Simon Schumich, Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809569 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809574 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809551 Fließband-App Der Prozess der Digitalisierung von Arbeit transformiert Arbeit in allen Facetten, verändert Tätigkeitsprofile und Organisationspolitik, Produktionsketten und Beschäftigungsverhältnisse, schreiben die deutschen Soziologen Oliver Nachtwey und Philipp Staab in ihrem Aufsatz „Die Avantgarde des digitalen Kapitalismus“, erschienen in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Wohin die Entwicklung bei der Beschäftigung im digitalen Produktionszeitalter geht, ist ungewiss. Die Frage, wie ein ‚digitaler Kapitalismus‘ aussehen könnte, führt aber nicht ins Reich reiner Spekulation, denn in einigen wichtigen Unternehmen des Weltmarkts ist er bereits Realität.
    Die vier einflussreichsten Schlüsselunternehmen der Internetökonomie, Amazon, Apple, Google und Microsoft, geben die Richtung vor, wie die Arbeit im kommerziellen Internet gestaltet werden könnte. Sie bilden, so die These von Nachtwey und Staab, die Avantgarde des Kapitalismus in digitaler Ausprägung. Ihr primäres Kapital, das digitale Feedback der KonsumentInnen, trägt zu weiterer Rationalisierung bei und ist ein Rohstoff, der kaum versiegt.

    Digitale Lagerlogistik
    Trotz eines futuristisch anmutenden Logistiksystems erinnern die Arbeitsbedingungen bei Amazon an Fabriken zu Beginn der Industrialisierung. Das datengesteuerte Effizienzgebot gilt gleichermaßen für Waren wie für MitarbeiterInnen. Strichcode-Lesegeräte weisen den Arbeitskräften den effizientesten Weg, erfassen die ankommende Ware, messen aber auch die Arbeitszeit. Was früher das Fließband war, sind heute Apps und Algorithmen.
    „Wir machen jeden Tag dieselbe Arbeit“, berichtet etwa ein Lagermitarbeiter vom Amazon-Standort Leipzig. „Am Morgen bekommen wir die Vorgaben, dann nimmt man seinen Wagen mit den Artikeln, die scannt man ab und räumt sie dann ins Fach, den ganzen Tag.“ Vor fünf Jahren hatte die deutsche Gewerkschaft verdi erstmals zu Streiks aufgerufen. Das Ziel – Verhandlungen über einen Tarifvertrag – wurde bisher nicht erreicht.
    „Bei Arbeit 4.0 stellt sich in Hinblick auf Technikgestaltung und Arbeitsorganisation die Frage, welche Rolle den Arbeitenden und ihrem Erfahrungswissen beigemessen wird“, meint der Soziologe Jörg Flecker in seinem Beitrag zum österreichischen Sozialbericht zum Thema „Arbeit 4.0“. Mit einer technikzentrierten Entwicklung würden Chancen auf Beschäftigung und günstige Arbeitsbedingungen verschenkt, während eine humanzentrierte Technik arbeits- und sozialpolitische Ziele verfolgen könne.

    Crowdwork und Crowdsourcing
    Bei Crowdwork, also der Auslagerung einzelner Arbeitsschritte in eine betriebsexterne Masse (Crowd) selbstständiger Arbeitskraftanbieter, wird digitale Einfacharbeit (Clickwork), aber auch hochspezialisierte Arbeit im IT- oder Kreativ-Bereich vergeben.
    Auch analoge Arbeitskräfte werden über Plattformen wie Uber oder MyHammer digital vermittelt. Die von der AK Wien geförderte Forschungsarbeit „Österreichs Crowdworkszene“ der britischen Soziologin Ursula Huws befasste sich erstmals näher mit den Arbeitsbedingungen in der „Gig-Economy“ in Österreich. Jede/r Fünfte der Befragten hatte bereits digital vermittelte Jobs ausgeführt.
    Nur für eine Minderheit ist Crowdwork die einzige bzw. wichtigste Einkommensquelle, elf Prozent beziehen über die Hälfte des Einkommens daraus. Dieses ist generell bescheiden: Fast 50 Prozent verdienen (nicht nur aus Crowd-Arbeit) weniger als 18.000 Euro im Jahr. Unter den „digitalen MassenarbeiterInnen“ gibt es viele, die qualifizierte und nicht qualifizierte Arbeit gleichermaßen anbieten. Am häufigsten (74 Prozent) sind Büroarbeit, Hilfstätigkeiten und „Click-Arbeit“. 62 Prozent sind im Kreativ- oder im hochspezialisierten IT-Sektor tätig.
    Ein Report der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zeigt, dass weltweit bereits mehr als 20 Millionen Menschen auf den elf größten Crowdsourcing-Plattformen registriert sind. Weltweit agierende Unternehmen wie Siemens, IBM, SAP, Bosch und BMW lagern Clickwork und qualifizierte Arbeit, wie Design oder Software-Entwicklung, über eigene Plattformen aus.
    „Die Gig-Economy untergräbt die normativen Arbeitsmodelle“, meint die britische Arbeitsforscherin Ursula Huws. „Sie führt zu Entprofessionalisierung. Kundenbewertungen sind Werkzeuge dazu. Eine Arbeit wird nicht mehr durch Kollegen bewertet, sondern durch den Kunden, der von Faktoren beeinflusst ist, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Leute geben eine schlechte Bewertung, weil ihnen das Gesicht des Uber-Fahrers nicht gefällt.“

    Atomisierter Wettbewerb
    Die Digitalisierung bietet auch neue Möglichkeiten hybrider betrieblicher Beschäftigungssysteme. ArbeitnehmerInnen werden zunehmend an der Peripherie des Unternehmens angesiedelt, wo sie nach Bedarf über Crowdsourcing-Modelle in den Arbeitsprozess integriert werden können.
    Durch die Arbeit „on demand“ löst sich die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend auf. „Mit der Organisationsmitgliedschaft ist der Konfliktpartner abhandengekommen, mit dem auch Kompromisse geschlossen werden können. Atomisierter Wettbewerb tritt an die Stelle kollektiver Konflikte. Dem Arbeitskraftanbieter bleibt nur die Expansion der eigenen Arbeitszeit“, schreiben Nachtwey und Staab.
    Noch verdienten sich auf den digitalisierten Arbeitsmärkten vielfach Selbstständige oder studentische ClickworkerInnen ein Zubrot zu regulärer Beschäftigung. Der digitalisierte Kapitalismus zeige aber Monopolisierungstendenzen. Er zerstört kollektive Institutionen und setzt auf freie Marktakteure, die autonom, aber machtlos um Aufträge konkurrieren.
    Weniger drastisch fällt die Prognose des österreichischen Soziologen Flecker aus. „Digitale Arbeit kann mit der Ausweitung von Handlungsspielräumen und partizipativen Managementformen verbunden sein, aber auch mit hoch arbeitsteiligen und dequalifizierenden Formen der Arbeitsgestaltung.“ Niedrig Qualifizierte würden aber voraussichtlich weiter unter Druck geraten.
    Geeignete politische Maßnahmen könnten den Verlust von Arbeitsplätzen zumindest minimieren. Schreckensszenarien wie „Uns geht die Arbeit aus“ liegt oft die viel zitierte „Oxford-Studie“ von Frey und Osborne zugrunde, die das Automationsrisiko von Berufen beschreibt. Demzufolge sind in den nächsten Jahren 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA automatisierbar.
    Andere Untersuchungen schätzen, dass im Durchschnitt der 21 OECD-Länder neun Prozent, in Österreich zwölf Prozent automatisierbar sind. Laut Studie des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) über die Beschäftigungswirkung von Industrie 4.0 in Deutschland entstehen bis 2020 zusätzlich 250.000 Arbeitsplätze, 260.000 könnten verloren gehen. Demnach ist die Wirkung im Saldo gering – bei beträchtlicher Verschiebung innerhalb der Berufe.

    Gerechte Verteilung
    Durch die Digitalisierung der Arbeit stellt sich eine alte Frage neu: Wie organisiert sich das globale „Cybertariat“, wenn bisherige Institutionen des Arbeitsmarktes wegfallen? Ansatzpunkte ergäben sich laut dem Soziologen Jörg Flecker daraus, dass sich die Arbeit über das Internet nicht im globalen Cyberspace auflöst, sondern in der Regel noch im nationalstaatlichen, zumindest aber im europäischen Rahmen verbleibt.
    Arbeitszeitverkürzung wäre ein Ansatz, meint Flecker. „Wir könnten mit weniger Erwerbsarbeit auskommen, wenn eine gerechtere Verteilung garantiert, dass alle an der stärker automatisierten Wertschöpfung teilhaben.“

    Lesetipp: „Arbeit 4.0 – Auswirkungen technologischer Veränderungen auf die Arbeitswelt“, Jörg Flecker et al. In: „Sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen 2015–2016“:
    tinyurl.com/y8lf8s87

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809539 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336809475 Reportage: Freund und Helfer Albert ist ein Mitarbeiter, wie ihn sich viele Vorgesetzte wünschen: Er arbeitet gründlich, bildet sich weiter und ist immer erreichbar. Er fügt sich in jedes Team ein, beantwortet bereitwillig KundInnenanfragen, macht keinen Urlaub und keine Pausen. Und wenn er seine Arbeit beendet hat, hinterlässt er die Büroküche so, wie er sie vorgefunden hat – denn anders als seine menschlichen KollegInnen betritt er sie nie. Albert ist kein Mensch, sondern ein Chatbot. Sein Arbeitsplatz ist ein Server des Österreichischen Patentamts.
    Ein Chatbot ist ein Programm, das Fragen beantwortet und einfache Anweisungen verarbeitet – im Grunde ein virtueller Roboter. Bekannte Artgenossen heißen Alexa (von Google) oder Siri (von Apple) und werden unter anderem im Haushalt eingesetzt. Sie geben Auskunft über das Wetter, spielen Musik ab oder tätigen Bestellungen im Internet. Albert wird dort eingesetzt, wo im Patentamt ein hoher Kommunikationsaufwand entsteht: im Callcenter, wo er KundInnenanfragen beantwortet. Ist Albert somit ein Beispiel für jene Digitalisierung, die Arbeitsplätze kostet?

    Zero-Level-Support
    „Albert Patent Bot“ ist der erste seiner Art, er ist der bis heute einzige Chatbot im Bundesdienst. „Albert leistet ,Zero-Level-Support‘“, erklärt Christoph Mandl, Alberts „Vorgesetzter“ aka Projektleiter im Patentamt. Der Begriff „Zero-Level-Support“ ist von der typischen Arbeitsorganisation eines Callcenters abgeleitet. Callcenter bearbeiten ihre Anfragen in unterschiedlichen Stufen, abhängig von der Komplexität. Einfache Anfragen bearbeitet der „First-Level-Support“, wird es schwieriger, wird an den „Second Level Support“ weitergegeben. Die MitarbeiterInnen des First- und Second Level Supports ergänzt Albert um eine Dimension: „Albert setzt früher an. Er hat einen einfachen ,Usecase‘, mit dem er genau die Fragen beantwortet, die am häufigsten an uns gestellt werden und die wir standardisiert verarbeiten und beantworten können“, erläutert Mandl.
    Dieser Usecase definiert Alberts Spezialisierung: UserInnen können abfragen, ob ein möglicher neuer Markenname bereits existiert und geschützt ist. In der Situation der Gründung werde genau diese Frage oft gar nicht oder zu spät gestellt, so Mandl. „In dieser frühen Phase bieten wir Gründerinnen und Gründern ein neues Angebot. Albert ist unser Eisbrecher und generiert so neue Anfragen – weil er Kunden erreicht, die sich sonst nicht so schnell an uns gewendet hätten“, so Mandl. Und er fügt hinzu: „Weil die Frage oft kommt: Nein, Albert kann niemanden ersetzen und es werden auch keine Stellen abgebaut. Er ist eine Ergänzung und generiert zusätzliche Nachfrage.“
    Das macht Albert nicht nur zu einem Beispiel für Veränderungen in der Wirtschaft, er „arbeitet“ an einer wichtigen Schnittstelle: an jenem Punkt, wenn Unternehmen oder Start-ups neu gegründet werden. Albert funktioniert dort deshalb so gut, weil er alles andere als bürokratisch oder wie eine Behörde auftritt. Er ist auf der Website des Patentamts zu finden oder auch im Facebook-Messenger. Albert tritt in der Figur eines Emoticons auf, gemischt mit der Kontur eines Smartphones. Kein Anruf ist notwendig, eine einfache Eingabe des Markennamens und zwei Nachfragen reichen, um eine erste Auskunft zu bekommen.

    Testfälle ÖGB und AK
    Im Praxistest kennt Albert die Marke „ÖGB“. Sie ist am Johann-Böhm-Platz 1 als Marke „in allen ,Klassen‘ von Waren und Dienstleistungen“ registriert. Die „Arbeiterkammer“ oder auch „AK Wien“ hingegen nicht. An dieser Stelle gratuliert Albert: „Glückwunsch! Ihre Marke scheint einzigartig zu sein. Damit sich daran nichts ändert, beraten Sie sich mit einer oder einem unserer Expertinnen und Experten.“
    Das Beispiel zeigt Alberts Grenzen auf: Die Marke „Arbeiterkammer“ lässt sich in der Praxis von Unternehmen weder schützen noch neu anmelden. „Genau darum geht es“, betont Mandl: „Albert bietet nur eine Orientierung, sein Suchergebnis hält vor keinem Gericht stand. Nach Albert beraten unsere Expertinnen und Experten mit ihrem Spezialwissen.“
    Alberts Beispiel zeigt weiter, wie Beschäftigte unterstützt oder vielleicht sogar entlastet werden. Die MitarbeiterInnen im Callcenter können sich auf wichtigere Aufgaben konzentrieren – im Idealfall bleiben ihnen Tätigkeiten, die ihren Qualifikationen mehr entsprechen. Albert steht stellvertretend für jene technologische Weiterentwicklung, die im Dienste von Beschäftigten wirkt und sie nicht zusätzlich unter Druck setzt oder das Ziel verfolgt, Arbeitsplätze zu rationalisieren.

    Eine App wird zum Kollegen
    Technologisch betrachtet ist der Chatbot „Albert Patent Bot“ eine App, die sich aus mehreren kleineren, miteinander kommunizierenden Apps zusammensetzt, darunter eine Suchfunktionalität, eine Datenbank und ein Thesaurus. Für die MitarbeiterInnen im Callcenter des Patentamts ist Albert keine App, sondern „vom Prinzip her ein weiterer Kollege“, wie es Mandl ausdrückt. Auch die MarkenschützerInnen greifen für einfache Abfragen immer häufiger selbst auf Albert zu. „Albert arbeitet 24 Stunden täglich, an sieben Tagen in der Woche“, ergänzt Mandl. Damit kommt er auch etwaigen Start-up-GründerInnen entgegen, denn deren Bürozeiten weichen oft von jenen des Patentamts ab.
    Albert ist nun seit rund einem Jahr im Patentamt tätig. In Zahlen gemessen hat er rund 6.600 Beratungsgespräche geführt, mit einer durchschnittlichen Dauer von siebeneinhalb Minuten. Dabei hat er rund 12.000 Fragen beantwortet. Umgerechnet auf Arbeitstage entspricht das einer Teilzeitstelle mit 17,5 Stunden pro Woche. Durch begleitende Werbemaßnahmen steigt die Nutzung, sein Potenzial ist praktisch nur technisch durch Serverkapazitäten begrenzt.
    Albert hat gerade eine Weiterbildung oder technisch ausgedrückt ein Update erhalten: Seit Mitte Mai kennt er neue Usecases – dazu gehören die Abfrage von Förderungen und der Hinweis auf Seminarangebote.

    Der Chatbot, das kleine Kind
    Die Idee für einen Chatbot im Patentamt entstand im Rahmen eines internen Workshops im Dezember 2016. „Wir haben uns die Frage gestellt: Wie können wir neue Technologien für das Patentamt nutzen? Da sind wir sehr schnell auf Chatbots gekommen.“ Mit der Umsetzung des Projekts wurde die „Chatbots Agency“ rund um die Wiener Informatikerin Barbara Ondrisek beauftragt. Gemeinsam wurde der Name „Albert“ gefunden, mit Bezug zu Albert Einstein, der als Angestellter im Patentamt in Bern die Relativitätstheorie entwickelt hat. Zur Auflockerung wird Albert deshalb auch programmiert, zwischen der teils trockenen Materie Physikerwitze zu erzählen.
    Auch Ondrisek sieht den Sinn von Chatbots in der Ergänzung eines bestehenden Beratungsangebots: „Wenn ich gefragt werde, ob Chatbots Menschen ersetzen, sage ich immer: ,Nein!‘ Vielmehr geht es um einen Shift von Anfragen in eine bestimmte Richtung.“ Im Fall des Patentamts etwa wurde der Zero-Level-Support durch einen Chatbot überhaupt erst möglich. Deshalb ist Albert für die Informatikerin auch ein gutes Beispiel für die Herausforderungen, die ein Einsatz von Chatbots mit sich bringt. Denn weil sie mit normaler Sprache kommunizieren, wird von ihnen oft eine Intelligenz erwartet, die sie gar nicht besitzen. „Je klarer kommuniziert und abgegrenzt ihr Anwendungsgebiet ist, umso besser funktionieren sie“, so Ondrisek. Genau das ist bei Albert gegeben.
    Albert vergleicht sie dabei – wie alle Chatbots – mit einem kleinen Kind. Er wird aufgezogen, seine Fähigkeiten werden ständig trainiert und weiterentwickelt. Sie gibt zudem zu bedenken: Nicht nur Chatbots allgemein müssen lernen, die Anfragen von UserInnen zu verarbeiten, sondern umgekehrt müssen sich UserInnen daran gewöhnen, Anfragen an Chatbots zu richten. Dazu erzählt sie eine Anekdote: „Bei einem Telekomanbieter war nach der Einführung eines Chatbots die häufigste Anfrage: ,Wie lautet die Nummer der Telefonhotline?‘“

    Neue Berufsbilder
    Das Team um Ondrisek ist als ARGE organisiert, mit ihr als Geschäftsführerin. Es ist eine Gruppe von selbstständigen Einzelunternehmen, die vernetzt höchst komplexe Aufgabenstellungen bearbeiten. Ein gemeinsames Büro gibt es nicht, Meetings finden in hippen Cafés statt. Nicht zufällig: Das Prestigeprojekt der Chatbots Agency ist „Mica, the Hipster Cat“, ein Chatbot, der ortsbezogen Tipps zu Szenecafés und trendigen Restaurants gibt. Die „Hipster Cat“ zeigt auch das Potenzial für einen spezialisierten Chatbot auf: Sie führt 250.000 Gespräche im Monat und bearbeitet damit 450-mal so viele Anfragen wie „Albert Patent Bot“. Ondrisek gibt allerdings zu bedenken, dass der Vergleich keinen Sinn macht: „Wichtig ist, dass der Chatbot seinem Publikum und Umfeld entspricht. Albert Bot ist beispielsweise in der Ansprache per Sie, die Hipster Cat per Du.“
    Die Entwicklung und der Einsatz dieser neuen Technologien lässt neue Berufe entstehen, auch innerhalb der Chatbots Agency. Damit der Dialog mit den UserInnen gut gelingt, wurde ein eigenes Berufsbild entwickelt: der/die „DialogdesignerIn“. Das Anforderungsprofil kombiniert verschiedene Kenntnisse, von Linguistik über Programmierung bis zur Psychologie. Klar ist: Das neue Berufsbild ist ein sehr hoch qualifiziertes, interdisziplinäres, das noch in keiner etablierten Ausbildungslaufbahn erlernbar ist. Die Geschwindigkeit, mit der diese neuen Qualifikationsprofile entstehen und sich auch wieder verändern, stellt Arbeitsmarkt und Bildungspolitik vor Herausforderungen.
    Chatbots werden zu neuen Kollegen in der Arbeitswelt. In der Medienwelt wirbeln andere Player den Markt um das rare Gut Aufmerksamkeit auf. Sie werden „InfluencerInnen“ genannt und erreichen in sozialen Medien teilweise weit mehr Menschen, als mit traditionellen Leitmedien wie Radio, TV, Print und ihren Online-Kanälen angesprochen werden könnten. Damit ziehen sie auch das Interesse der Werbewirtschaft auf sich, und zwar zum Nachteil von klassischen Medien. Als InfluencerInnen werden einzelne Personen bezeichnet, die mit ihren Blogs und in Social-Media-Kanälen wie Instagram, YouTube, Pinterest und natürlich Facebook eine große Anzahl von FollowerInnen an sich binden. Ihre Themen sind auf den ersten Blick unpolitisch. Doch sie ziehen die Aufmerksamkeit gerade junger Menschen massiv auf sich und verändern die Gewohnheiten ihres Medienkonsums. Das macht es für politische AkteurInnen wie Gewerkschaften und AK notwendig, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bei genauerem Hinsehen wird zudem deutlich, dass sie sehr wohl gesellschaftspolitisch relevant sind.

    InfluencerInnen erreichen Millionen
    Sophie C. Ryba war selbst Influencerin. 2008 hat sie den Beauty-Blog thelipstick.net gegründet und damit in kurzer Zeit 30.000 Newsletter-Abonnements generiert. Ryba beschreibt, was das InfluencerInnen-Sein ausmacht: „Influencer sind Ich-Blogger, die über ihr Leben schreiben und ihr Publikum daran teilhaben lassen. Das ist vergleichbar mit Reality-TV auf Online-Medien.“ Heute betreibt sie eine Kosmetik-Shop-Plattform und hat ihr Engagement auf thelipstick.net reduziert. Ihre Erfahrung als Influencerin nutzt sie allerdings, um Unternehmen zu beraten, die mit InfluencerInnen zur Bewerbung von Produkten oder Marken kooperieren wollen.
    Jasmin Fichtinger ist Head of Operations der Social-Media-Agentur Bacon & Bold, tätig in Wien und Linz. Auch sie berät Unternehmen in der Kooperation mit InfluencerInnen und streicht einen entscheidenden Unterschied zu Offline-Medien wie Print oder TV hervor: „Die Aufmerksamkeit in sozialen Medien ist ,data-driven‘, also komplett messbar. Klicks, Reaktionen und Kommentare sind in genauen Zahlen nachvollziehbar und transparent, in Echtzeit.“ Dies ist ein großer Unterschied und zugleich enormer Vorteil im Vergleich zu Print, TV und Radio, deren Reichweiten mit statistischen Verfahren berechnet werden. Die Website likeometer.at analysiert die Zahlen der Instagram-Accounts von Medien, Prominenten, SportlerInnen, PolitikerInnen und eben InfluencerInnen. Ein Blick auf diese Zahlen macht die Dimensionen deutlich.

    Einseitige Freundschaften
    Mit knapp 1,6 Millionen FollowerInnen ist „KS“ als @ksfreak der erfolgreichste Influencer Österreichs, gefolgt von „Mr. K“ als @krappiwhatelse mit rund 1,2 Millionen FollowerInnen. Die erfolgreichste Influencerin ist „Tatjana Catic“ als @tatjanamariposa mit etwas mehr als einer Million FollowerInnen. Zum Vergleich: Alexander Van der Bellen liegt bei knapp 44.000 FollowerInnen, Sebastian Kurz bei 38.000, HC Strache, Matthias Strolz und Christian Kern liegen zwischen 20.000 und 18.000 FollowerInnen. HC Strache verzeichnet rund 770.000 „Gefällt mir“-Angaben auf seiner Facebookseite.
    Die Accounts von „KS“, „Mr. K“ und „Tatjana Catic“ haben eines gemeinsam: Sie zeigen das „schöne Leben“ mit Fotos, Videos und kurzen Texten. Bei den Herren geht es um Muskeln, Tattoos, schnelle und noch schnellere Autos. Tatjana wiederum zeigt Kleider, schöne und noch schönere Reiseziele, kombiniert mit Beautytipps. Fichtinger analysiert das Erfolgskonzept: „Ich möchte exakt ein solches Leben führen wie der Influencer. Ich vertraue dem Influencer außerdem, wie ich meiner besten Freundin vertraue – ein Vertrauen, das sich über eine längere Zeit und viele Postings aufbaut.“ In Wahrheit geht es sogar um mehr als um Vertrauen: „Die Follower nehmen so stark am Leben des Influencers teil, dass dadurch eine Art einseitige Freundschaft entsteht. Der Influencer kennt seine Follower in der Regel ja gar nicht.“
    Abseits der Wahrnehmung vieler Menschen entsteht eine neue Online-Welt, die immer stärker an gesellschaftspolitischem Einfluss gewinnt und von Unternehmen, aber auch zunehmend politischen Kräften instrumentalisiert wird. Es ist jene Welt, mit der Interessenvertretungen konkurrieren, wenn sie sich um die Aufmerksamkeit gerade junger Zielgruppen bemühen. Für AK und Gewerkschaften führt kein Weg daran vorbei, Teil dieser Online-Welt zu werden. Es gilt für sie, sich dort mit neuen Mitteln und Strategien sowie neuen eigenen Playern für mehr Fairness und Gerechtigkeit einzusetzen. Dabei geht es nicht nur um Geschlechterstereotype, die InfluencerInnen wie „KS“, „Mr. K“ und „Tatjana Catic“ vermitteln und die so ein Comeback erleben – ganz im Sinne der Werbewirtschaft, wenn auch nicht im Sinne der jungen Mädchen und ihrer Chancen.

    Enthält Produktplatzierungen
    Neben den reichweitenstärksten haben sich auch viele kleinere, aber oft sehr spezialisierte InfluencerInnen etabliert. Wer eine Anzahl von 10.000 FollowerInnen erreicht, wird als InfluencerIn betrachtet und erscheint auf dem Radar der Werbewirtschaft. Ryba präzisiert: „Es gibt nicht den einen Typ Influencer, alle sind unterschiedlich. Wir haben eine große Vielfalt an Themen – und auch der Qualität, mit der Postings aufbereitet werden.“ Die beliebtesten Kategorien: Lifestyle allgemein, Food, Fashion, Reise oder Kosmetik. Fotografie, Film, Kindererziehung, Medizin zählen zu den spezialisierten Themengebieten.
    Diese Kombination aus Reichweite und freundschaftlicher Verbindung lassen sich Unternehmen durchaus einiges kosten: Zehn Euro pro 100 FollowerInnen gelten als sehr grober Richtwert, abhängig von der Zusammensetzung der FollowerInnen, dem Themenschwerpunkt und den Social-Media-Kanälen (Instagram, Facebook, YouTube, eigener Blog). Aber was genau bekommen Unternehmen von InfluencerInnen? „Unternehmen und Influencer entwickeln gemeinsam eine Idee für eine Kooperation“, so Fichtinger. „Letztendlich geht es darum, dass ein Produkt oder eine Marke in Social-Media-Postings platziert wird – ein Foto auf Instagram, ein YouTube-Video. Wie genau das geschieht, das hängt stark mit dem Influencer und seinem Auftritt zusammen, denn die Kooperation funktioniert nur, wenn sie zum Influencer passt.“ So müssen InfluencerInnen unbedingt authentisch bleiben. Ryba weist zudem auf einen zeitlichen Aspekt hin: „Diese Beiträge sind nicht kurzlebig, sie bleiben im Regelfall für mindestens ein Jahr online.“ Auch für diese gesponserten Beiträge gilt übrigens das Medienrecht – sie müssen als Werbeformate gekennzeichnet werden.

    Professionalisierung und Vernetzung
    „InfluencerIn“ als Berufsbild ist vergleichbar mit einer journalistischen Tätigkeit, die viele Medienformate bedient: „Ein Influencer ist eine One-Man-Show, die sich ein Konzept überlegt, Texte schreibt, Fotos macht, Videos dreht und schneidet, postet, mit den Followern in Kommentaren kommuniziert“, erzählt Ryba auch aus ihrer eigenen Vergangenheit. Weit mehr als 40 Stunden in der Woche hat sie für thelipstick.net aufgewendet, Privatleben und Berufsleben waren vollständig entgrenzt.
    „Die Szene professionalisiert sich zunehmend. Dazu gehört beispielsweise, dass Influencer Unternehmen fertige Mediakits zur Verfügung stellen, ähnlich wie Printmedien mit Mediadaten arbeiten. Darin legen sie die Struktur ihrer Follower offen, welche Kanäle und Formate sie anbieten, und vor allem: ihre Preisvorstellungen für Kooperationen“, führt Fichtinger aus. Ryba sieht die Professionalisierung weiters in einer Vernetzung der InstagramerInnen, YouTuberInnen, BloggerInnen & Co. Sie organisiert einmal im Jahr das „Fashion Camp“, in dem sich rund 150 InfluencerInnen austauschen. „Da geht es um Social-Media-Trends genauso wie um die Gestaltung von Fotos und Videos oder eben die Zusammenarbeit mit Unternehmen.“
    Es gibt sogar schon Initiativen, Ausbildungen zum Influencer oder zur Influencerin anzubieten. Im Herbst des vergangenen Jahres hat der Otto-Versand für Aufsehen gesorgt. Der Konzern hat 100 BewerberInnen rekrutiert und zu Otto-InfluencerInnen ausgebildet. Diese „Corporate-InfluencerInnen“ haben unter anderem die Aufgabe, das Versandhaus als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren. Ryba weist noch auf einen anderen Aspekt hin: „Gerade rund um die Influencer entstehen neue Jobs und ändern sich bestehende Job Descriptions.“ Für einige Agenturen, wie jene von Fichtinger, gehört es zum Dienstleistungsportfolio, InfluencerInnen zu vermarkten und bei der Produktion von Postings zu unterstützen. Traditionelle Werbeagenturen müssen InfluencerInnen in ihren Werbeplanungen berücksichtigen, eigene „Influencer Scouts“ suchen für Unternehmen passende Kooperationen. Fichtinger bemerkt abschließend: „Viele junge Menschen schauen kein TV mehr, lesen keine Zeitschriften. Die erreicht man nur mehr über Social Media. Auch die Generationen ab 30 sind sehr aktiv auf Social Media und sind sich oft nicht bewusst, dass sie Inhalte von Influencern konsumieren.“

    Verändern, nicht verdrängen
    Beide Beispiele – Chatbots wie InfluencerInnen – zeigen: Wir lernen neue Verhaltensweisen und werden Chatbots bald nicht mehr nach der Telefonnummer für die Hotline fragen. Genauso entstehen neue Berufsbilder und Formen der Arbeitsorganisation, und unsere Medienlandschaft erweitert sich. Sowohl Chatbots als auch InfluencerInnen schaffen neue Jobs und verändern bestehende. Mit Sicherheit ändern sie als neue AkteurInnen die Systeme, in die sie eindringen: den Kundenservice und die traditionelle Medienlandschaft. Gerade mit Blick auf die Printmedien wird es dabei nicht nur GewinnerInnen geben. „Albert Patent Bot“ kann dazu einen passenden Witz erzählen: „Zwei Atome treffen sich in einer Bar. Sagt das eine: ,Ich glaube, ich habe ein Elektron verloren.‘ Sagt das andere: ,Sieh’s positiv.‘“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor michael.mazohl@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Text: Michael Mazohl Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809456 Christoph Mandl ist als Projektleiter im Patentamt für den Chatbot "Albert Patent Bot" verantwortlich. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809461 Barbara Ondrisek entwickelte "Albert Patent Bot" mit ihrer Chatbots Agency, einer ARGE aus selbstständigen Einzelunternehmen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336809466 Jasmin Fichtinger (links) von der Social-Media-Agentur Bacon & Bold berät Unternehmen in der Kooperation mit InfluencerInnen. Sophie C. Ryba generierte als Influencerin mit ihrem Blog thelipstick.net innerhalb weniger Monate 30.000 Newsletter-Abos. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 01 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808791 Interview: Weggabelung zwischen sozial-digital und neoliberal-digital Arbeit&Wirtschaft: Viele Menschen haben das Gefühl, mit dem rasanten technischen Wandel nicht mehr mithalten zu können. Haben Sie in Erinnerung, wann Sie zum ersten Mal Technikstress erlebt haben?
    Agnes Streissler-Führer: Das war in den ersten Anfängen des Internets. Damals sind unterschiedliche Plattformen aufgekommen, eine davon hieß ICQ und war eine der ersten Kommunikationsplattformen. Da habe ich mich gefragt: Was entsteht da, wem kann ich trauen? Wo ich immer wieder neuen Technikstress habe, ist, wenn neue Apps auf den Markt kommen: Auf welche Pferde muss man in dieser technologischen Welt setzen? Der größte Technikstress ist allerdings, wenn etwas nicht funktioniert.

    Für die Zukunft gibt es verschiedene Szenarien, im positiven werden Menschen durch Technik entlastet, im negativen wird sie gegen die Menschen eingesetzt. Ist der zweite Zug nicht schon fast abgefahren?
    Ich bin nicht dazu bereit, zu sagen, dass der Zug abgefahren ist. Wir stehen an der Weggabelung und müssen uns entscheiden: Wollen wir Sozial-Digital oder wollen wir Neoliberal-Digital? Natürlich gehen enorm viele Entwicklungen schon in Richtung Neoliberal-Digital.
    Sie erhöhen den Druck, führen zu mehr Prekarisierung und können auch für das demokratische Zusammenleben problematisch sein. Aber es ist genau unsere Aufgabe als Gewerkschaften, da jeden Tag aufs Neue dagegenzuhalten, und zwar nicht in dem Sinne, technologische Entwicklung an sich zu verhindern. Vielmehr wollen wir sie dazu nützen, dass Arbeit besser wird, Menschen zufriedener sind und der gesellschaftliche Zusammenhalt besser funktioniert – und natürlich im Endeffekt, dass wir zu mehr Fairness und Wohlstand für alle kommen.

    Durch die Digitalisierung werden Tätigkeiten wegfallen, was für die dort Beschäftigten Arbeitslosigkeit bedeuten kann. Diese geht aber mit Stigmatisierung einher sowie mit einem riesigen Druck, den die Regierung noch einmal erhöht.
    Das ist leider richtig. In diesem gesamten Hype von Industrie 4.0, wo tatsächlich großartige Sachen passieren und großartige Arbeitsplätze entstehen, übersehen wir, dass das Ganze einer unheimlich großen Transformation bedarf. Und in jedem Unternehmen macht man Change-Management, wenn es große Veränderungen gibt. Genauso müssen wir auch diesen gesellschaftlichen Wandel managen, und da ist die Politik gefragt.
    Wir müssen Technologie dafür einsetzen, dass Arbeit gesünder wird, und nicht dafür, um sie zu entwerten, sodass man nur noch simple Zuleistungen zur Maschine macht. Sie sollte Arbeit reichhaltiger machen und sie aufwerten, sodass Routinearbeiten, die nicht taugen, von der Maschine übernommen werden. Dafür sollten jene Arbeiten gestärkt werden, die interessanter und komplexer sind und die auch mehr soziale Kompetenz erfordern. Aber das passiert nicht einfach, sondern das muss politisch gesteuert sein.

    Stehen wir vor dem Ende der Arbeit?
    Ich bin davon überzeugt, dass es nicht das Ende der Arbeit ist. Seit es technologische Entwicklungen gibt, sind immer Arbeitsplätze dazugekommen. Nur können wir uns zwar gut vorstellen, welche Arbeit wegfällt, denn diese kennen wir. Wir können uns aber nur schwer vorstellen, welche neue Arbeit entsteht, weil die kennen wir noch nicht. Wenn man in den 1990er-Jahren zu jemandem gesagt hätte, es wird einmal Social-Media-Manager oder Drohnenspezialisten geben, dann hätte man gesagt: Was ist denn das? In unserer Wirtschaft entstehen dauernd neue Jobs, nicht nur in der Digitalisierung. Wenn man in den 1990er-Jahren jemandem gesagt hätte, es wird einmal einen Proteomiker oder Feng-Shui-Berater geben, hätte der wohl gestaunt.
    Die Automatisierung in den 1990er-Jahren ist ganz stark in der Industrie passiert, wo Roboter viele Routine- und Hilfsarbeiten übernommen haben. Diese Transformation findet jetzt sehr stark im Dienstleistungssektor statt. Momentan kommen deshalb tendenziell eher jene mit mittleren Qualifikationen unter Druck. Betroffen ist der typische Sachbearbeiter, die typische Sachbearbeiterin. Im Handel ist weniger die Verkäuferin oder der Verkäufer betroffen, der oder die unmittelbar mit dem Kunden zu tun hat. Deren Tätigkeiten werden sich zwar verändern, aber nicht unbedingt wegfallen. Aber das Backoffice wird in sehr naher Zukunft so automatisiert sein, dass Arbeitsplätze wegfallen. Ähnlich wird es auch im Bankensektor sein. Da müssen wir uns etwas überlegen, was wir da machen.

    In den digitalisierten Branchen sind atypische Arbeitsverhältnisse sehr verbreitet. Die GPA-djp tut bereits einiges, um diese Beschäftigten zu organisieren. Wie herausfordernd ist das?
    Das ist auf jeden Fall herausfordernd. Junge IT-Unternehmen etwa haben eine eigene Arbeitskultur, wo es nicht immer ganz einfach ist, den Kollegen und Kolleginnen klarzumachen, dass Arbeitnehmerschutzrechte nicht nur verstaubte Regeln von vorgestern sind, sondern dass es darum geht, dass man achtsam mit seiner eigenen Arbeitskraft umgeht. Das Burn-out-Risiko in so einem Jungunternehmen ist relativ hoch. Was wir derzeit versuchen, ist, sehr aktiv in den Dialog mit dieser Szene zu gehen, sodass man auch das gegenseitige Verständnis entwickelt. Denn das sind Beschäftigtengruppen, die nicht unbedingt von vornherein gewerkschaftsnah sind. Da muss man sich dann schon überlegen, wie man sie gut ansprechen kann.
    Es entstehen ja sehr viele unterschiedliche Formen von Arbeit. In einem kleineren IT-Unternehmen gibt es eine andere Arbeitskultur als beispielsweise, wenn persönliche Dienstleistungen über eine Plattform vermittelt werden. Der einzelne Foodora-Fahrer wird sich nicht als der große Entrepreneur oder Plattformarbeiter fühlen, sondern der ist einfach ein Fahrradbote – und so verstehen sie sich auch.
    Da sind wir aber mittendrin in der Diskussion: Welche Arbeitsrechte hat denn dieser Fahrradbote und wie können wir ihn oder sie dabei unterstützen, diese Rechte auch durchzusetzen? Dabei ist die Arbeit selbst nicht neu, denn Fahrradboten gibt es ja schon seit den 1980er-Jahren. Nur ist die Art, wie diese Arbeit vermittelt wird, eine andere. Die große Gefahr in der Plattformarbeit besteht darin, dass sich der Plattformanbieter in keiner Weise als Arbeitgeber versteht, sondern eben nur als Vermittler von Selbstständigen, und sich daher aus jeder arbeits- und sozialrechtlichen Verantwortung stiehlt.
    Was Crowdwork betrifft, sind wir in engem Kontakt mit europäischen Gewerkschaften etwa aus Deutschland oder Schweden, aber auch international. Da schauen wir gemeinsam darauf, wie wir Regeln finden können, dass auch diese Beschäftigten als ArbeitnehmerInnen gesehen und so behandelt werden. Und wir überlegen, wie wir ihnen helfen können, ihre Rechte durchzusetzen.
    Nicht jeder Plattformanbieter ist übrigens ein böser Kapitalist, sondern es gibt durchaus solche, die sagen, wir wollen faire und gute Arbeit anbieten. Es gibt die Frankfurter Erklärung, wo sich Plattformanbieter im deutschsprachigen Raum zusammengetan haben und sich zumindest einmal selbst verpflichtet haben. Da wird es im nächsten Schritt darum gehen, was Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen tun können, wenn sie bei einer solchen Plattform sind und Rechte verletzt werden.

    Lassen sich Arbeitsverhältnisse in einer digitalen Welt überhaupt noch regulieren?
    Man muss hier noch einmal unterscheiden. Das eine sind persönliche Dienstleistungen, da kannst du zumindest relativ gut definieren, wo diese Arbeit erbracht wird. Daher kannst du etwa bei einem Essenslieferanten sagen: Wenn der in Wien radelt, dann gilt auch österreichisches Arbeitsrecht.
    Das andere ist Crowdwork, also Dienstleistungen, die tatsächlich nur am Computer erbracht werden, wo es nie zu einem persönlichen Kontakt kommt. Da ist das noch einmal schwieriger. Natürlich kann man über IP-Adressen herausfinden, wo ein Kollege sitzt, der das Design gemacht, ein Programm geschrieben oder eine Übersetzung gemacht hat. Man kann auch hier den Arbeitsort definieren, aber es wird noch ein wenig ungreifbarer. Und dort sind solche Praktiken leider an der Tagesordnung, dass beispielsweise Designer über einen Wettbewerb aufgefordert werden, ihre besten Designs einzureichen, und nur der Gewinner bekommt das Geld – die anderen sind aber trotzdem gesessen. Der Kunde hat dann viele, viele Designs zur Auswahl, muss aber nur eins davon zahlen. Also die Zahlungsmodalitäten und die Zahlungsdisziplin und auch die Qualitätssicherung sind dort viel, viel schwieriger als in dem Bereich, wo physisch sichtbaren Personen persönliche Dienstleistungen vermittelt werden.
    Wie kann man es regeln? Ich bin überzeugt, dass wir Plattformarbeit im weitesten Sinn nur europäisch regulieren können. Da sind wir auch mittendrin in der Diskussion um die digitale Betriebsstätte: Wo findet denn Arbeit statt, die eigentlich nur im Internet erbracht wird? Welches Arbeitsrecht gilt dort? Welches Steuerrecht gilt dort? Da ist die Diskussion auf europäischer Ebene schon recht weit gediehen und da bringen wir uns auch sehr massiv ein.
    Die Grundforderung ist, dass jede Form von Arbeit – also in dem Moment, wo jemand mit seiner Arbeit sein Einkommen verdient und nicht mit der Arbeit von anderen, oder nicht weil er Zinsen aus einem Kapital bekommt – arbeitsrechtliche, sozialrechtliche und arbeitsverfassungsrechtliche Mindeststandards braucht.

    Zurück zu den Jobs, die verloren gehen könnten: Wie kann man erreichen, dass die Menschen nicht auf der Straße stehen?
    Erstens ist es glücklicherweise keine Entwicklung, die von jetzt auf morgen kommt. Wir haben schon ein paar Jahre Zeit dafür. Das heißt, es hilft auch die Demografie mit, sprich dass Leute aus dem Arbeitsmarkt hinauswachsen. Der zweite Punkt ist, dass wir es gerade in diesem mittleren Segment mit Menschen zu tun haben, die bildungsnah sind und zumindest Matura gemacht haben. Insofern dürfte es mit ausreichender Anstrengung nicht so schwierig sein, hier auch mit Weiterbildung oder Umschulungen etwas zu erreichen.
    Allerdings muss das vorausschauend sein. Sollte zum Beispiel der Job an der Supermarktkasse verschwinden, kann man den Menschen, die dann arbeitslos werden, nicht einfach sagen: Wir brauchen nun Drohnenspezialisten und sie mögen sich umschulen lassen. So geht es nicht, sondern das muss längerfristig begleitet werden. Und es erfordert massiv die Verantwortung der Unternehmen selbst. Für mich ist es absurd, wenn Banken beispielsweise Bankfilialen zusperren, Beschäftigte dort freisetzen und gleichzeitig sagen, sie suchen aber dringend Customer-Relationship-Manager. Das ist eigentlich nichts anderes als ein Job im Vertrieb, ergänzt um Datenanalyse. So etwas kann man umschulen, da muss nicht der Staat mit großen Bildungsbudgets eingreifen.
    Ich höre sehr wohl und verstehe auch, dass in manchen Bereichen der Industrie jetzt tatsächlich bestimmte Fachkräfte fehlen. Aber es liegt eben durchaus auch in der Verantwortung der Industrie und der Unternehmen selbst, dass sie über das wunderbare österreichische duale Ausbildungssystem selbst die Leute schulen, die sie brauchen, und nicht einfach nur warten, dass das Bildungssystem die notwendigen Qualifikationen ausspuckt.

    Leider gibt es eine digitale Kluft – beispielsweise in Berufsschulen gibt es Aufholbedarf. Wie lässt sich dies lösen?
    Ich glaube, wir brauchen auch ein bisschen Vertrauen in unsere Jugendlichen, weil sie aus ihrer Freizeit heraus unendlich viele digitale Kompetenzen mitbringen. Und die ganz Jungen, die noch unter 20-, 25-Jährigen, bringen ein höheres Verständnis für Datenschutz mit.
    In den einzelnen Berufen gibt es natürlich spezialisierte digitale Kompetenzen und in großen Industriebetrieben gibt es hervorragende Lehrwerkstätten. Aber ich könnte mir vorstellen, dass im Gewerbebereich alle digitalen Kompetenzen geschult werden. Ich glaube, dass man da stärker über Ausbildungsverbünde etwas machen muss. Es gibt auch die Überlegung, ob man nicht nur duale, sondern triale Ausbildung anbietet: Berufsschule, das Unternehmen und überbetriebliche Lehrwerkstätten, wo man gemeinsam solche Techniken lernt.

    Wer ist mehr unter Druck: Frauen oder Männer?
    Die jetzige Phase der Digitalisierung betrifft Dienstleistungen und die Verwaltung, wo wir sehr, sehr hohe Frauenquoten haben. Frauen drohen daher stärker unter Druck zu kommen. Das ist der eine Punkt.
    Der zweite Punkt sind die Qualifikationen, die bereits heute, aber noch viel mehr in der Zukunft stärker nachgefragt werden, also im weitesten Sinn Kompetenzen in der IT- und Datenanalyse. Wenn man in die berufsbildenden Schulen und Universitäten schaut, so haben wir in diesen Fächern in Österreich sowieso schon zu wenige junge Leute, und die Frauenanteile sind verschwindend gering. Das ist zwar leider auch inzwischen ein alter Hut, aber trotzdem muss man auf dieser Forderung bleiben: Wir müssen mehr dafür tun, dass wir kleine Mädchen bereits im Kindergarten für Technik interessieren.

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    Zur Person
    Agnes Streissler-Führer ist seit 2017 Mitglied der Bundesgeschäftsführung der GPA-djp und als solche für das Thema Digitalisierung zuständig. Die studierte Historikerin und Volkswirtin arbeitete von 1993 bis 2005 in der AK Wien in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik. Von 2005 bis 2007 leitete sie die Abteilung Wirtschaftspolitik. Von 2007 bis 2008 war sie Geschäftsführerin des ZIT (Zentrum für Innovation und Technologie GmbH) in Wien. Im Jahr 2009 gründete sie ihre eigene wirtschaftspolitische Beratungsagentur. Unter anderem moderierte sie das Dialogforum Hirschwang der AK Niederösterreich. Streissler hat zahlreiche Studien publiziert, unter anderem „Digitalisierung, Produktivität und Beschäftigung“.

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    Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808780 Agnes Streissler-Führer ist seit 2017 Mitglied der Bundesgeschäftsführung der GPA-djp und als solche für das Thema Digitalisierung zuständig. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808785 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808764 Coverstory: Vom Bleisatz über Klebesatz zu Indesign Sehe ich richtig?“, fragt ein früherer Arbeitskollege ungläubig und zugleich hocherfreut, als er Dietmar Kreutzberger an jenem Ort antrifft, wo sie beide bis vor Kurzem noch gemeinsam gearbeitet haben. Es ist gerade einmal wenige Wochen her, dass sich der langjährige Layouter der Arbeit&Wirtschaft in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet hat. Gut gelaunt und gelöst begrüßt der frischgebackene Pensionist seine früheren WeggefährtInnen.
    Im Jahr 2005 ist Kreutzberger zum ÖGB-Verlag dazugestoßen – zum zweiten Mal. Doch seine Biografie ist so bewegt, dass selbst er bisweilen nachdenken muss, um die Stationen in der richtigen Reihenfolge aufzuzählen. Was sich an seinem Lebenslauf als gelernter Schriftsetzer ablesen lässt, sind die enormen Entwicklungen und Umbrüche in der Wirtschaft und Arbeitswelt der letzten Jahrzehnte. „Damit habe ich auch noch gelernt“, sagt er lachend, als er ein historisches Bild eines Setzers mit Bleibuchstaben sieht. Sowohl die Technik als auch die Arbeitswelt haben sich seit seiner Lehre massiv verändert. Zuletzt sorgte die Digitalisierung für den momentan größten Umbruch, der viele Berufsbilder in seiner Branche endgültig verschwinden ließ.
    Hände und Augen: Das sind die wichtigsten Werkzeuge geblieben. Zusätzlich musste man als SetzerIn in Mathematik firm sein, denn es musste viel gerechnet werden, als man noch nicht mit dem Finger in die Tastatur hackte und den Cursor über den Bildschirm bewegen konnte, um den Text richtig zu setzen oder Korrekturen vorzunehmen. In den Zeiten des Bleisatzes hielt man jene Textzeilen noch in Händen, die man zuvor gesetzt hatte. Somit konnte man sehen, wo man Anpassungen vornehmen musste, damit der Text gut „fällt“, sprich so gut über die Zeilen und Spalten verteilt ist, wie in der vorliegenden A&W. Dafür dürfen etwa die Abstände zwischen den Buchstaben nicht zu groß sein, Wörter müssen an der richtigen Stelle abgetrennt oder Absätze gemacht werden.

    Fallende Buchstaben
    Als Kreutzberger die erste Ausgabe der A&W aus dem Jahr 1923 aufschlägt, stellt sein geschultes Auge sofort fest: „Das ist schon im Maschinensatz gesetzt worden.“ Dieser war die nächste technische Weiterentwicklung und ermöglichte es, die Bleibuchstaben über eine Tastatur zu setzen. Dabei wurde offenbar nicht immer darauf geachtet, wie der Text fällt, sondern die Buchstaben fielen, wie sie eingetippt wurden. „Ich kenne keinen Schriftsetzer, der diesen Beruf wirklich gelernt hat, der so etwas gemacht hätte“, erklärt Kreutzberger seine Reaktion auf den historischen Text.
    Auf den Bleisatz folgte der Foto- oder Lichtsatz. Dieser funktioniert ganz so wie die analoge Fotografie. Doch statt einer Landschaftsaufnahme oder eines Porträts kamen Buchstaben auf die Negative, statt eines Fotos wurde anschließend der Text belichtet und so auf Papier gebracht. Die neue Art des Setzens war zwar eine technische Weiterentwicklung, allerdings bedeutete diese anfangs auch, dass man den Text zunächst tatsächlich blind setzte. Deshalb musste vorher gerechnet werden, was das Zeug hielt, um nachher ein gutes Ergebnis zu bekommen. „Wir waren eine der ersten Firmen, die mit dem Fotosatz begonnen haben“, erinnert sich Kreutzberger an einen seiner früheren Jobs. Für ihn hieß es umlernen, denn nun waren Fotografiekenntnisse zusätzlich gefragt.
    In dieser Zeit begann für Kreutzberger der Weg in Richtung Bildschirm: „Da gab es eine kleine Leuchtanzeige, ein winziges Fenster, wo man immer die letzten fünf Buchstaben gesehen hat“, erzählt er und lacht bei diesem Gedanken auf. „Da hast du vorher immer alles ganz genau ausrechnen müssen. Da hast du sagen müssen: Das kommt auf Position sowieso, hat diese Größe, diese Schrift, diese Auszeichnung – also fett, halbfett oder kursiv.“ Und wehe, man vertippte sich, denn im Fotosatz wurde auch gleich ein Film belichtet. „Dann hast du von vorne anfangen müssen. Das war schon eine feine Hack’n“, meint er lachend.

    Bildschirmanfänge
    Mit den ersten Computern hielt auch in der Grafikbranche jene Entwicklung Einzug, die inzwischen in der gesamten Arbeitswelt Alltag ist. Allerdings ist der Begriff Computer im Falle von Kreutzbergers erstem Exemplar mit Vorsicht zu genießen, denn mit einem heutigen PC hatte das noch wenig zu tun. „Die haben einen grünen Bildschirm gehabt, auf dem du eine gewisse Zeit gesehen hast, was dort gerade passiert, und dann ist es wieder verblasst.“ Zudem ließ sich die Arbeit auf Band speichern. Dieses diente noch nicht dazu, um die Arbeit darauf auch anderen zugänglich zu machen. Aber es war immerhin eine Sicherung, die hilfreich war, wenn man einen Fehler gemacht hatte: „Dann hat man das Band wieder auslesen und was korrigieren können. Das war schon ein Fortschritt.“
    Schließlich war es dann so weit: Der erste Computer im heutigen Sinne wurde das Werkzeug des nun zum Layouter gewordenen Schriftsetzers. Erneut hieß es für Kreutzberger umlernen. Ob er damit eigentlich nie gehadert habe, ständig neue Techniken zu lernen? „Ich hab das eigentlich immer als spannend empfunden“, antwortet der Grafiker. Er ergänzt allerdings: „Gut, ich war jung.“ Nicht allen Kollegen fiel die Umstellung leicht, erinnert er sich: „Wir haben natürlich Kollegen gehabt, vorwiegend ältere, die darunter wirklich gelitten haben, weil für die war der Umstieg natürlich enorm.“
    Kein Wunder, immerhin war über Jahrzehnte die gleiche Technik zum Einsatz gekommen, nur dass mit dem Maschinensatz eine Automatisierung vollzogen worden war. „Die Kollegen haben 30, 40 Jahre so gearbeitet, da hat es vorher nichts anderes gegeben“, hält er fest. Doch dann war plötzlich alles neu. Viele seiner Kollegen sind auch arbeitslos geworden, erzählt Kreutzberger. „Sie haben den Sprung zu den Lichtsatzgeräten, die den Bleisatz ziemlich verdrängt haben, nicht mehr geschafft. Für viele war das sicher die Hölle“, meint er. Immerhin ist das Berufsbild innerhalb von wenigen Jahren völlig verschwunden – und es ist nicht das einzige.

    Ausschneiden und platzieren
    Die Arbeitswelt hat sich massiv verändert und nicht immer nur zum Positiven, darin ist sich Kreutzberger mit Sonja Adler einig. Die Redaktionsassistentin der A&W stieß im Jahr 2002 dazu und hat noch das Klebelayout miterlebt. Mit diesem nach Bastelei anmutenden Begriff ist gemeint, dass der Redakteur die einzelnen Elemente einer Zeitungsseite als einzelne Papierausdrucke bekam. „Er hat das ausgeschnitten und platziert“, erläutert Kreutzberger, und Adler ergänzt: „Damit das am Ende wirklich so ist, wie die Seite ausschauen soll.“ Im Falle der A&W machte diese Arbeit nicht der Redakteur, sondern ein weiterer Kollege: „Der ist immer ein, zwei Wochen im Monat gekommen, um das zu machen“, erinnert sich Adler. Mit dem Ende des Klebesatzes wurde auch der Arbeitsplatz in der A&W hinfällig, glücklicherweise war der Kollege da bereits in Pension.
    Adler spricht weitere Veränderungen an, von denen natürlich auch der ÖGB-Verlag nicht verschont wurde. Denn als sie im Jahr 2002 in einem Büro im Dachgeschoß der Hohenstaufengasse begann, war sie nur für die A&W zuständig. Das ist inzwischen anders – wie bei vielen anderen Beschäftigten auch. Um es neutral auszudrücken: Durch neue technische Möglichkeiten lassen sich Tätigkeiten schneller erledigen oder werden überhaupt vom Computer durchgeführt, weshalb Kapazitäten frei wurden und den ArbeitnehmerInnen neue Aufgaben zugeteilt wurden. Dazu kommt, dass bestimmte Berufsbilder eben verschwunden sind, manche Tätigkeiten aber übriggeblieben sind. Diese wiederum wandern oftmals in die Agenden der bestehenden Belegschaft. „Sekretärinnen müssen heute viel mehr machen“, meint auch Adler.
    Kreutzberger blickt kopfschüttelnd zurück: „Wenn du daran denkst, wie viele verschiedene Berufssparten an einem Produkt gearbeitet haben, und es war eigentlich überhaupt kein Thema, dass das bezahlt wird. Und heute macht man alleine fünf Berufe und es ist trotzdem zu teuer. Diese Entwicklung ist schon krank. Wirklich krank.“ Nicht nur die SchriftsetzerInnen wurden von den LayouterInnen ersetzt, rundherum wurde durch Automatisierung Personal abgebaut. Denn zusätzlich zum Fotografen gab es zuvor einen Lithografen, der für das „Setzen“ der Bilder zuständig war, dazu kam die Retusche, also die Fotomontage. Heute sind Teile dieser Tätigkeiten zu den FotografInnen und LayouterInnen gewandert – oder gar zu RedakteurInnen, die oftmals selbst Fotos schießen oder andere Formate bis hin zum Video bespielen müssen.

    Freude bei der Arbeit
    Trotz aller Wehmut: Noch heute kommen beide ins Schwärmen, wenn sie an die Zeit zurückdenken, als Computer und das Internet Einzug in ihren Arbeitsalltag gehalten und diesen erleichtert haben. Was ihnen jedoch fehlt: der persönliche Kontakt und die damit verbundene Kommunikation. Denn es ist eben diese, die einem Arbeitsplatz erst jene Qualität verleiht, die Beschäftigte auch gut arbeiten lässt. Dass das nicht auf Kosten der Arbeit gehen muss, weiß Kreutzberger aus Erfahrung: „In der Druckerei waren nicht nur zwei Leute, sondern wir waren 20 in einer Gasse – so hat das geheißen. Da ist ’kudert und g’lacht worden – und die Arbeit wurde trotzdem gemacht.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin mail@sonja-fercher.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Für einen fairen Wandel
    Welche Berufe laufen eigentlich durch die Digitalisierung Gefahr zu verschwinden? An sich haben jene Berufsbilder die besten Zukunftschancen, die nur schwer automatisierbar sind, schreibt AK-Expertin Sylvia Kuba in ihrem Beitrag zum Buch „Überall ist Zukunft“. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass es sich nur um hoch qualifizierte Tätigkeiten handelt. Auch persönliche Dienstleistungen können nicht so einfach von Maschinen ersetzt werden, selbst wenn Dinge wie der Pflegeroboter längst nicht mehr der Science-Fiction angehören. Gerade die Pflege ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie Technik eingesetzt werden kann, um Beschäftigte zu entlasten und ihnen mehr Zeit für andere Tätigkeiten zu lassen, etwa für die persönliche Ansprache der PatientInnen.
    Die Digitalisierung selbst hat nicht automatisch zur Folge, dass die Beschäftigung sinkt. In einer Studie ging die nunmehrige GPA-djp-Geschäftsführerin Agnes Streissler-Führer der Frage nach, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Beschäftigungswachstum gibt. Das Fazit: Der Zusammenhang ist jedenfalls nicht eindeutig, denn die Entwicklung am Arbeitsmarkt wird natürlich von vielerlei Faktoren beeinflusst. Stichworte sind etwa der demografische Wandel oder veränderte Konsumgewohnheiten, die neue Jobs entstehen lassen. Im Bankbereich wiederum hatte die Finanzkrise logischerweise einen negativen Einfluss. Die Digitalisierung selbst habe insgesamt zu mehr Beschäftigung geführt (siehe auch Interview).
    „Kein Grund zur Sorge?“, fragt die Gewerkschafterin, um diese Frage sogleich negativ zu beantworten. „Denn zum einen wissen wir nicht, wie die Qualität der neu entstehenden Arbeitsplätze ist. Und zum anderen wissen wir, dass in den kommenden Jahren gerade in den mittleren Qualifikationen große Umbrüche entstehen.“ Diese Veränderungen machten Um- und Weiterqualifizierungen nötig. Die Verantwortung dafür dürfe allerdings keinesfalls nur den Beschäftigten umgehängt werden. „Im Gegenteil: Die Gewinne, die aus der Digitalisierung gezogen werden, müssen einen wesentlichen Beitrag zu diesen Qualifizierungskosten leisten. Sei es, indem die Unternehmen bereits intern proaktiv und vorausschauend ihre Belegschaft für die Digitalisierung fit machen, oder sei es, indem über höhere bzw. effektivere Besteuerung von (Digitalisierungs-)Gewinnen zusätzliche Steuereinnahmen für das Bildungssystem generiert werden“, hält Streissler-Führer fest.
    Angesichts der negativen Entwicklungen in der Arbeitswelt zeigt sich die Streissler-Führer kämpferisch. Gewerkschaften müssten alle „Mittel des Arbeitsrechts, der Kollektivverträge und der betrieblichen Mitbestimmung dazu nutzen, Digitalisierung mitzugestalten“. Dafür definiert sie vier Ziele: Digitalisierung muss human und sozial erfolgen; der Mensch muss die Technik bestimmen und nicht umgekehrt; für alle Menschen, „die mit Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen“, muss es, „ein gutes Mindestmaß an Arbeits-, Sozial- und Koalitionsrechten“ geben; all jene, die mit dem Wandel nicht mithalten können, müssen „noch immer sinnstiftende und adäquat abgesicherte Beschäftigung haben“.

    Optionen für gute Arbeit
    Über die Zukunft der Arbeit angesichts der Digitalisierung lässt sich trefflich spekulieren. Viele negative Entwicklungen zeichnen sich jetzt schon ab. Zu den atypischen Beschäftigungsformen haben sich Wirtschaftsformen wie die Gig-Economy gesellt, bei der Dienstleistungen über Plattformen im Internet vermittelt werden.
    Zahlreiche Entwicklungen sind problematisch, wie Jörg Flecker im Buch „Überall ist Zukunft“ festhält. Über die Industrie 4.0 meint er gar, dass diese „weitgehend ein neoliberales Programm“ sei, „mit dem Flexibilitäts- und Anpassungsdruck auf die Arbeitenden ausgeübt wird“. Umso wichtiger sei es, dass Gewerkschaften sich entschieden für gute Arbeit einsetzen.
    In seinem Beitrag legt der Soziologe zwei Optionen dafür dar. Die erste hat die Verbesserung der Qualität der Arbeit zum Ziel. Dies bedeutet für ihn: „weniger körperliche und psychische Belastungen, lernförderliche Arbeit, alternsgerechte Arbeitsgestaltung, faire Aufteilung unbeliebter Arbeiten, Chancengleichheit, Vermeidung von Nachtarbeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc.“ Die zweite Option hat den Ausbau der Beschäftigung zum Ziel, der mit einer Arbeitszeitverkürzung einhergehen könnte. Sein Fazit: „Die Gestaltung und den Einsatz der Technik strikt an gesellschaftlichen Zielen aufzuziehen, wäre eine technologiepolitische Option – und könnte zu einer echten industriellen Revolution führen.“
    Auch die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik stehen vor großen Herausforderungen. AK-Experte Gernot Mitter legt in seinem Beitrag Reformvorschläge vor. Unter anderem regt er einen erweiterten ArbeitnehmerInnen-Begriff an, in den er Freelancer, Scheinselbstständige, WerkvertragsnehmerInnen und jene Arbeitsformen, „die ihnen ähnlich sind“, miteinbezieht. Dieser wäre Grundlage für die soziale Absicherung.
    Zusätzlich schlägt der AK-Experte eine neue Geldleistung vor, und zwar für den Fall von „fehlender oder nicht (mehr) nachgefragter Qualifikation“. Diese soll den Betroffenen „auch längere Weiterbildungsphasen für das Erlernen eines neuen Berufes oder eines auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten qualifikatorischen Fertigkeits- und Fähigkeitsbündels“ ermöglichen.
    In der von Mitter entworfenen Arbeitsmarktpolitik 4.0 spielen Aus- und Weiterbildungen natürlich eine wichtige Rolle. Diese müssten stärker individualisiert angeboten werden, so der AK-Experte. „Das erfordert unter anderem vor allem den Aufbau von quantitativ und qualitativ ausreichender Bildungs- und Bildungswegberatung sowie von Unterstützungsangeboten, wenn Probleme während bzw. mit den Bildungsmaßnahmen bewältigt werden müssen.“ Zudem müsse die Arbeitsmarktpolitik Instrumente entwickeln, um den technologischen Wandel zu begleiten.
    Die dritte Säule besteht darin, auch für jene Menschen eine Teilhabe an der Erwerbsarbeit zu sichern, die „Vermittlungseinschränkungen“ haben. Als Vorbild nennt Mitter die Aktion 20.000. Nicht zuletzt regt Mitter an, dass sich die Arbeitsmarktpolitik die neuen Technologien zunutze macht, um Arbeitslose erfolgreicher vermitteln zu können.

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    Text: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808742 Digitalisierung und Globalisierung machen es möglich, dass sich Unternehmen aus dem Wohlfahrtsstaat verabschieden und diesem gut funktionierenden System immer stärker die finanzielle Grundlage entziehen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808747 Dietmar Kreutzberger an seinem langjährigen Arbeitsplatz im ÖGB-Verlag. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808755 Redaktionsassistentin Sonja Adler im ÖGB-Archiv. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808698 ÖGB/AK: Faire Regeln für Praktika! Ohne Praktikum ist es jungen Menschen kaum mehr möglich, eine Anstellung zu bekommen. In den kaufmännischen Schulen sind Pflichtpraktika seit dem Schuljahr 2014/15 allen SchülerInnen vorgeschrieben. Die Bedingungen für PraktikantInnen müssen allerdings verbessert werden, wie eine Studie des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung (öibf) belegt. Dafür wurden 2.000 SchülerInnen von Handelsakademien und Handelsschulen befragt.
    Sechs von zehn Befragten waren mit dem Praktikum insgesamt unzufrieden. Ein Drittel bekam keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, knapp die Hälfte musste das Praktikum in einem Bereich machen, der nichts mit der beruflichen Ausbildung zu tun hatte. Weitere zehn Prozent bekamen bei ihrem letzten Praktikum überhaupt kein Geld, zehn Prozent wurden mit einem Taschengeld abgespeist.
    In einigen Branchen ist die Bezahlung von PraktikantInnen im Kollektivvertrag (KV) geregelt, so etwa im Handel, der chemischen Industrie oder in der IT. „In diesen Branchen orientiert sich das Gehalt an der Lehrlingsentschädigung und liegt zwischen mindestens 590 Euro im Handel und knapp über 900 Euro in der IT“, so die neue ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer. „An diesen Regelungen sollten sich andere Branchen ein Vorbild nehmen.“ Es sei nicht akzeptabel, dass viele Jugendliche zu Hilfsarbeiten eingeteilt würden, anstatt berufsspezifische Tätigkeiten und Kenntnisse vermittelt zu bekommen.
    „Behandelt die Jugendlichen ordentlich, wenn ihr die Fachkräfte von morgen braucht“, appellierte Christoph Klein an die Verantwortung der Unternehmen. Klein ortet bei vielen Firmen Wissenslücken: „Viele Arbeitgeber glauben, Praktika sind Volontariate.“ Letzteres sei aber ein „reines Reinschnuppern“ in eine Firma, ohne fixe Arbeitszeiten oder Pflichten. „Sobald ein Betrieb sagt, du bist um 8.30 Uhr da, ist es schon eine Weisung und somit kein Volontariat“, hält der AK-Direktor fest.
    GPA-djp und AK empfehlen, bereits vor Beginn jedes Praktikums darauf zu achten, ob Bezahlung, Beschreibung der Tätigkeit und Arbeitszeiten passen. „Wir versuchen, mehr Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen, indem wir Betroffene aufmerksam machen auf ihre Rechte und auf die Möglichkeiten, die sie haben, um diese einzufordern“, so Hofer.
    Mehr: www.watchlist-praktikum.at

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    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808695 ÖGB: Erstmals Frau an der Spitze der ÖGJ Mit Susanne Hofer ist zum ersten Mal in der Geschichte der Österreichischen Gewerkschaftsjugend seit 1945 eine Frau Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend. Nach ihrer Wahl zeigte sie sich kämpferisch: „Die Bundesregierung glänzt mit einem Frontalangriff nach dem anderen auf die ArbeitnehmerInnen, und das betrifft auch junge Menschen: Die Kürzung der Ausbildungsbeihilfe für über 18-jährige Lehrlinge in überbetrieblicher Ausbildung, die geplante Abschaffung des Jugendvertrauensrates, das Aus für die Ausbildungsgarantie ab 2019, die Kürzung der Mindestsicherung, das Arbeitslosengeld neu und vieles mehr. Das werden wir uns nicht gefallen lassen!“
    Die 23-jährige Grazerin folgt auf Sascha Ernszt, der den ÖGJ-Vorsitz nach fünf Jahren abgibt. „Wir haben bereits über 4.000 Unterschriften für den Erhalt des Jugendvertrauensrats gesammelt und werden auch weiterhin für den Erhalt der LehrlingssprecherInnen in den Betrieben kämpfen“, so Hofer. „Wenn die Regierungsmitglieder sich die Mühe machen würden und JugendvertrauensrätInnen selbst kennen lernen würden, würden sie wissen, welche großartige Arbeit sie in den Betrieben für das gesamte Unternehmen leisten. Sie unter dem Deckmantel der ‚demokratischen Partizipation‘ abschaffen zu wollen, ist ein Faustschlag in das Gesicht junger Menschen“, ist Hofer empört. „Mehr Mitbestimmung sieht anders aus.“
    Susanne Hofer kommt aus der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp). Die 23-Jährige arbeitet als Assistentin für Kinder mit Behinderung bei der Lebenshilfe in Graz und studiert Pädagogik, Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Als ÖGJ-Vorsitzende will sie sich für eine qualitativ hochwertige Lehrlingsausbildung einsetzen. Betriebe müssten wieder mehr ausbilden, nur so könne der Fachkräftemangel beseitigt werden. Eine zentrale Forderung ist eine kollektivvertragliche Lehrlingsentschädigung von mindestens 850 Euro im ersten Lehrjahr. Besonders am Herzen liegt ihr die Gleichbehandlung und Gleichberechtigung von Frauen, nicht nur in der Lehrlingsausbildung, sondern im gesamtgesellschaftlichen Leben.
    Mehr:
    www.oegj.at

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    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808651 Frisch gebloggt Staatshaftung statt unternehmerisches Risiko
    Susanne Wixforth

    Seit den 1990er-Jahren, zuerst vor allem in Großbritannien und in den letzten Jahren vermehrt auch in Kontinentaleuropa, macht sich das Konzept „Public Private Partnerships“ breit. Das bedeutet, private Unternehmen betreiben öffentliche bzw. gemeinnützige Infrastruktur. Erwirtschaften sie Gewinne, fließen diese in die Unternehmen, Verluste sind durch eine staatliche Ausfallshaftung abgesichert und werden damit gewissermaßen sozialisiert.
    Sichtbar wurde das Problem anhand einer Insolvenz der zweitgrößten britischen Baufirma Carillion, die im staatlichen Auftrag u. a. Krankenhäuser errichtet und betrieben hat. Betroffen sind rund 11.500 Krankenbetten. Großbritannien war und ist Vorreiter der Privatisierung vormals typischer Staatsaufgaben und ist somit zum „Worst Practice“-Fall geworden. Carillion steht als ein Beispiel für diese unsozialen Geschäftsmodelle und für den Niedergang von öffentlicher Infrastruktur. Dennoch wird es von vielen EU-Mitgliedstaaten und von der EU-Kommission noch immer als praktisches Geschäftsmodell gesehen. Doch Dienstleistungen wie diese müssen geschützt werden.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/yccdrqva

    Strenge Regeln für Arbeitslose
    Sonja Ertl & Jutta Keul

    Der politische Wind, der arbeitslosen Personen in Österreich entgegenbläst, wird rauer, die ÖVP-FPÖ-Regierung hat sich eine stärkere Aktivierung und eine Reform der Arbeitslosenversicherung sowie der Arbeitsmarktpolitik auf die Fahnen geheftet. Dazu wird der Frame des „faulen Arbeitslosen“ bzw. des „Durchschummlers“ aufgebaut. Man solle glauben, dass arbeitslose Menschen derzeit fast schon paradiesische Zustände vorfinden. Doch ein Blick auf die aktuell geltenden Regelungen des Arbeitslosenversicherungsrechts zeigen, dass dies bei Weitem nicht der Fall ist. Und auch die zentrale Forderung – wer länger eingezahlt hat, soll mehr bzw. länger etwas bekommen – ist bereits jetzt geltendes Recht.
    Der Artikel führt die recht strengen geltenden Bestimmungen zu Dauer und Höher der Leistungen, Zumutbarkeit und Sperren aus. Die geltenden Regelungen sind umfassend und führen bei vielen Menschen bereits jetzt zu schwierigen Lebenslagen und/oder problematischen beruflichen Verläufen. Wo hier noch verschärft werden soll, ohne die arbeitslosen Menschen in eine schwierigere Situation zu drängen, ist ein Rätsel.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y8ask7yp

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    Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808642 "Nicht zuletzt" ... Gestalten wir die Digitalisierung! Bundesvorsitzender der GPA-djp, designierter ÖGB-Präsident]]> Die Digitalisierung stellt für die Gewerkschaft eine Chance dar – wir müssen sie allerdings nützen. Als Gewerkschaften müssen wir alles daransetzen, die Risiken der neuen Entwicklungen möglichst zu minimieren und die Vorteile wirklich allen zugutekommen zu lassen. Zunächst bedeutet Digitalisierung einen enormen Innovationsschub und damit eine Dynamisierung der Wirtschaft. Das ist gut, denn wirtschaftlicher Stillstand ist nicht nur für die Unternehmen schlecht, sondern auch für Arbeitsplätze und Staatsfinanzen. Gute Daseinsvorsorge und ein ausgebauter Sozialstaat sind sowohl Basis als auch Folge einer florierenden Wirtschaft. Wir müssen allerdings als Gesellschaft gemeinsam darüber diskutieren, welche Innovationen wir wollen, welche ethischen Implikationen bestimmte Entwicklungen haben (man denke an die künstliche Intelligenz) und ob die Innovationsgewinne wirklich allen zugutekommen. Es ist ganz sicher nicht in unserem Sinn, wenn die Monopolbildung begünstigt wird und sich die großen Internet-Giganten einer fairen Besteuerung entziehen. Dagegen müssen wir massiv ankämpfen.

    Wert und Bedeutung von Arbeit
    Zweitens werden im Zuge der Digitalisierung der Wert und die Bedeutung von Arbeit neu diskutiert. Es entstehen ganz neue Arbeitsformen, mit dem Risiko, dass sie ohne ausreichende Regulierung das Prekariat verstärken und herkömmliche Arbeitsplätze bedrohen. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung bisher nicht gekannte Autonomiespielräume – wir können überall und jederzeit arbeiten. Wir werden in den kommenden Jahren auf österreichischer und europäischer Ebene daran arbeiten müssen, dass all diese neuen Entwicklungen im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden. Das heißt, dass es auch in der entgrenzten Welt der Digitalisierung klare und nachvollziehbare Regeln geben muss. Die Arbeit der Zukunft darf nicht von arbeitgeberverordneter Flexibilität und Dauerverfügbarkeit geprägt sein, sondern es geht um die Selbstbestimmung der ArbeitnehmerInnen.

    Große Umbrüche
    Es entstehen neue Arbeitsplätze, vor allem im Bereich der Datenökonomie. Gleichzeitig fallen auch Arbeitsplätze weg. Dieser große Umbruch am Arbeitsmarkt macht vielen zu Recht Angst. Diese Veränderung muss gut begleitet werden – mit Qualifikation und Umschulungen, aber auch mit dem Ermöglichen von Arbeitsplätzen, für die digitale Kompetenzen nicht so wichtig sind. Es ist Aufgabe der Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen, hier bestmögliche Rahmenbedingungen einzufordern und mitzugestalten, damit es möglichst viele GewinnerInnen und möglichst wenig VerliererInnen gibt.
    Drittens kann die Digitalisierung für uns als Gewerkschaft selbst eine große Chance sein. Wenn wir jene Daten und Informationen, die uns unsere Mitglieder geben, so nützen, dass wir sie mit genau jenen Angeboten und Services versorgen, die sie brauchen, dann werden auch wir stärker und besser in der KundInnenorientierung und damit in unserer politischen Mitgestaltungsfähigkeit. Partizipation wird ebenfalls in der digitalen Welt einfacher und schneller. Es ist klar, dass wir dafür ein wenig umdenken müssen, dass wir auch unsere Kultur verändern müssen. Fakt ist aber, dass die Gewerkschaft in der digitalen Welt nicht nur nicht überflüssig oder veraltet ist, sondern notwendiger denn je.

    Faire Arbeit 4.0 ist keine Vision
    Damit wir hier glaubwürdiger Ansprechpartner sind, müssen auch wir selbst uns der digitalen Transformation stellen und über all unsere Kanäle – analog wie digital – all unsere Zielgruppen ansprechen, von Start-ups und CrowdworkerInnen bis hin zu IndustriearbeiterInnen und Handelsangestellten. Faire Arbeit 4.0 ist keine Vision, wegen der man einen Arzt braucht, sondern machbar und gestaltbar – und wir haben uns bereits auf den Weg gemacht.

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    Wolfgang Katzian, Bundesvorsitzender der GPA-djp und designierter ÖGB-Präsident Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808633 Wolfgang Katzian, Bundesvorsitzender der GPA-djp und designierter ÖGB-Präsident http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808621 Digitale Kompetenzen Nicht alle Menschen haben gleichermaßen Zugang zu digitalen Ressourcen und digitaler Bildung. Das führt zu immer größeren sozialen Spaltungen in der digitalen Gesellschaft (digital divides): Je höher der Bildungsabschluss, desto eher werden Lernsoftware oder Onlinerecherche genutzt.
    Gleichzeitig zeigen sich in allen Teilen der „digital natives“ große Lücken bei der Informationsbewertung und der kritischen Auseinandersetzung mit den Anbietern und Inhalten von Onlinequellen.
    Was Unterschiede bei den Schultypen betrifft: Vor allem die Berufsschule hinkt der Digitalisierung hinterher.

    Alle Statistiken dazu finden Sie anbei zum Downloaden! 

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    Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808612 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808556 Historie: (Arbeits-)Welt 1.0 Der Einsatz von dampfbetriebenen Maschinen in Produktion und Verkehr revolutionierte im 19. Jahrhundert das Leben. Ein Standardwerk über die Wirtschaftsentwicklung aus dem Jahr 1874 beschrieb diese Revolution eindrücklich: Alte Lumpen werden mit Maschinen wieder aufgedröselt und mit Maschinen wieder zu schöner Kunstwolle versponnen, Maschinen besohlen Stiefel, fertigen Stahlfedern, streichen an, glätten, mustern – alle nützlichen Beschäftigungen haben sie fast dem Menschen abgenommen.

    Aus Sicht des bürgerlich-liberalen Autors, der Maschinen als „eiserne Hilfsarbeiter“ bezeichnete, war auch die Arbeit an diesen Maschinen ein Fortschritt: Man hat viel von der „menschenentwürdigenden“ Arbeit … der Maschinenindustrie gesprochen, dabei aber außer Acht gelassen, dass es doch weit weniger ehrenrührig und langweilig sein muss, eine monotone Arbeit zu leiten und die Leistungen der Maschine zu beaufsichtigen, als dieselbe Arbeit selbst auszuführen. Gerade die Maschine befreit den Menschen von der physischen Last der Arbeit … wohl aber hat die Beschäftigung an Arbeitsmaschinen … gerade durch ihre Einförmigkeit den Arbeiter zum Nachdenken veranlasst, ihm zunächst einen Einblick in das Wesen der eigenen Maschine aufgezwungen, dadurch aber nach und nach Gedanken hervorgebracht, welche schließlich sehr oft neue und mitunter bedeutende Erfindungen hervorgebracht haben.

    Was der Autor zu erwähnen vergisst: Die angesprochene Innovativkraft und das geistige Potenzial der FabrikarbeiterInnen wurden nicht einmal annähernd honoriert, von einer gerechten Entlohnung ganz zu schweigen. Etwa dreißig Jahre später war die elektrotechnische Revolution in vollem Gange, an der Lohnfront hatte sich aber wenig geändert. Die Zeitschrift der freigewerkschaftlichen Metallarbeiterorganisation berichtete 1901 über die Lage der Mechaniker: In den letzten Jahrzehnten hat die Mechanik allerdings einen riesigen Aufschwung genommen. Die Erfindungen, die auf allen Gebieten, insbesondere der Elektrotechnik gemacht wurden, hatten das Aufblühen von vielen größeren und kleineren Unternehmungen ermöglicht. Veraltete und nicht mehr entsprechende Apparate mussten durch modernere und vollkommenere ersetzt werden, neue Systeme und Konstruktionen wurden ausgeführt, unzählige Installationen und elektrische Einrichtungen besorgt.

    Aber, so die Metaller-Organisation, das gute Image des Mechanikerberufs als erstrebenswerter Zukunftsberuf entspräche keineswegs der Realität: In die Öffentlichkeit dringt über die wahren Zustände im Gewerbe sehr selten etwas, im Gegenteil, die öffentliche Meinung wird noch irregeführt durch einzelne Mechanikergehilfen, die gegen ihr besseres Wissen günstigere Meinungen verbreiten, und zwar hauptsächlich bezüglich der Löhne.

    Diese Hightech-Spezialisten hielten es lange Zeit ebenso für überflüssig, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, wie die Beschäftigten im Hightech-Paradies Silicon Valley des 21. Jahrhunderts. Aber beide lernten dazu und auch im Silicon Valley beginnen sich die ArbeitnehmerInnen zu organisieren. 

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1528336808550 Emblem der Maschinenbauer: Im Zentrum des historischen Logos stand das Flugrad, das Symbol der Eisenbahn. Von den Arbeitern der Bahnwerkstätten ging die gewerkschaftliche Organisation der Bahnbediensteten aus. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 08 Jun 2018 00:00:00 +0200 1528336808539 Standpunkt: Bitte mehr Wagemut! Eine rund 70-jährige Nachbarin meinte kürzlich zu meiner gleichaltrigen Mutter: „Wie sich die Arbeitswelt, aber auch die private Welt geändert hat, seitdem wir zu arbeiten begonnen haben und welche Techniken wir uns seither aneignen mussten ...“ Das ist in dem Zeithorizont von etwas mehr als 40 Jahren in der Tat eine ganze Menge. Erst wenn ich mitbekomme, wie schwer sich manche AltersgenossInnen meiner Mutter mit Computern und dem Internet tun, ziehe ich meinen Hut vor Ehrfurcht, mit wie viel Wagemut sie sich an die verschiedenen neuen Technologien heranwagen.
    Viel Wagemut braucht es momentan auch, wenn man den technischen Wandel im Sinne der Menschen gestalten möchte. Und doch ist es schlichtweg eine Notwendigkeit, dagegenzuhalten. Immerhin stehen die Chancen der Menschen auf dem Spiel.

    Energisch für Leistung
    Schon seit Jahren hinterlässt auch die Digitalisierung ihre Spuren am Arbeitsmarkt. Doch statt damit zu beginnen, die jungen Menschen für die weiteren Entwicklungen fit zu machen, macht die Regierung in Sachen Bildung eine Retro-Politik, die bestehende Ungleichheiten noch weiter verstärkt. Auch wenn ich es an dieser Stelle bereits öfter geschrieben habe, werde ich nicht müde, es immer wieder zu wiederholen: Österreich hat eines der am stärksten sozial selektierenden Bildungssysteme Europas. Statt dem energisch entgegenzuwirken, hält die Regierung am Status quo fest.
    Rund um den Tag der Arbeit widmeten sich mehrere Medien dem Thema „Zukunft der Arbeit“. Eine häufig gestellte Frage: Kommt mit der Digitalisierung das Ende der Arbeit? Diese Fragestellung aber ist falsch, suggeriert sie doch, dass es momentan genug Arbeit gäbe. Dem ist aber bei Weitem nicht so, sondern vielmehr gibt es eine enorme Lücke, die zusätzlich Beschäftigte betrifft, die es ohnehin schon schwer am Arbeitsmarkt haben.
    Doch statt dies zum Anlass zu nehmen, um einen Blick in die weitere Zukunft zu richten, hat die Regierung nur zwei Antworten parat: Die Arbeitslosen seien zu faul und zu viele MigrantInnen würden in den Sozialstaat zuwandern wollen. Die Lösung: Druck erhöhen, Grenzen schließen. Es hat zwar angesichts der ideologischen Verfasstheit dieser Koalition durchaus eine gewisse Logik, kommt jedoch geradezu einer Realitätsverweigerung gleich. Immerhin hinterlässt die Globalisierung nicht jetzt erst ihre Spuren, und es ist längst klar, dass sich viele Dinge nur auf europäischer oder gar internationaler Ebene überhaupt noch regulieren lassen.
    Es steht zu befürchten, dass die Digitalisierung noch weitere Beschäftigtengruppen in die Arbeitslosigkeit führen wird. Freilich wird sie auch neue Arbeitsplätze schaffen, doch nicht alle Beschäftigten werden so einfach umgeschult werden können. Doch statt erfolgreiche Maßnahmen wie die Aktion 20.000 weiterzuführen, wird sie abgedreht, ganz zu schweigen davon, dass man noch eine ganze Reihe neuer Konzepte wird entwickeln müssen.

    Bremsen ziehen
    Auch die zukünftige Finanzierung des Wohlfahrtsstaates – die beste Absicherung gegen Krisen, wie das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO kürzlich bestätigt hat – muss mutig angegangen werden. Diese steht nämlich auf wackeligen Beinen, wenn jene Form der Digitalisierung, wie sie momentan in der Wirtschaft vollzogen wird, ungebremst weitergeht. Denn woher sollen die finanziellen Mittel für ein gutes Bildungssystem herkommen, das die jungen Menschen fit für den Arbeitsmarkt 4.0 macht oder für eine Arbeitsmarktpolitik, die die Folgen des Wandels abfedert? Dies macht die Frage um Vermögenssteuern umso relevanter. Dazu kommt die Frage, wie die Erträge aus den Gewinnen der Digitalisierung fair verteilt werden können, sodass alle an diesem Wohlstand teilhaben können.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 5/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1527127231749 Verteilung von unten nach oben Bei der Vielzahl an einzelnen im Regierungsprogramm geplanten Verschärfungen im Bereich der Gesellschafts- und Sozialpolitik darf der verteilungspolitische Blick aufs Ganze nicht verloren gehen. Die budgetären und steuerpolitischen Vorhaben der Regierung werden die bestehende Schieflage noch weiter verschärfen.
    Während im unteren und mittleren Einkommens- und Vermögensbereich um Peanuts gestritten wird, werden „oben“ sogar großzügig neue Zuckerl verteilt. Besonders augenscheinlich wird das z. B. bei Privatvermögen: Jene der Reichen werden nicht angerührt, die von Arbeitslosen, welche längere Zeit keinen Job finden können, stehen sehr wohl zur Disposition.
    Dabei darf eines nicht vergessen werden: Es ist definitiv höchst problematisch, dass die Schwächsten durch Diffamierung, Generalverdacht und Verschärfungen auf allen Ebenen mit Füßen getreten werden oder – im besten Fall – Minderheiten und Randgruppen (wie z. B. auch AlleinerzieherInnen) einfach nicht bedacht werden. Die Problematisierung dieses Umstandes ist wichtig, die Fokussierung darauf jedoch sehr wahrscheinlich vonseiten der Regierung durchaus intendiert. Es geht dieser um die Spaltung der Gruppe der arbeitenden Menschen, weil damit von der verheerenden Schieflage (sowohl der bestehenden als auch jener im Regierungsprogramm) zwischen brav steuerzahlenden ArbeitnehmerInnen und den steuertricksenden Großkonzernen, zwischen den „kleinen Leuten“ und den MillionärInnen, zwischen jenen, die für ihr Geld arbeiten und jenen, die ihr Geld für sich „arbeiten“ lassen, zwischen Arbeit und Kapital, abgelenkt wird.

    Wirtschaftsstandort über alles
    Die gesellschaftliche Spaltung wird vor allem über den Angriff auf das Vermögen der breiten Masse, den Sozialstaat, betrieben. Im Regierungsprogramm positionieren sich die neuen Koalitionäre klar gegen einen aktiven Staat. Bereits im Vorwort heißt es, dass Österreich „Weltmeister im Regulieren und im Einschränken von Freiheit und Selbstverantwortung sei“ und dass „der staatlichen Bevormundung ein Ende“ gesetzt werden müsse. Dies scheint jedoch für Bereiche wie Verwaltung, Ordnung und Überwachung nicht zu gelten. Hier wird mit weiterem Ausbau nicht zimperlich umgegangen; man denke etwa an zusätzliche Bürokratie (z. B. im Bereich der Indexierung der Familienbeihilfe), zusätzliche kostspielige Spitzenbeamte (weisungsbefugte Generaldirektoren in Ministerien) oder den Ausbau im Bereich der Überwachung und Sicherheitsapparate.
    Rasch gelangt die Ausführung aber hin zum eigentlichen Kern des Interesses: die „drückende Steuer- und Abgabenlast“. Diese müsse nachhaltig gesenkt werden, um „den Menschen mehr individuelle Spielräume“ zu geben und scheint damit den Kern der neuen „Freiheit“ darzustellen. Gemeint können nur jene Menschen sein, die es sich leisten können, privat für ihre Gesundheitsversorgung, ihre Absicherung im Alter oder die Schulbildung ihrer Kinder aufzukommen. Denn die Freiheit der einen kann zu einer zusätzlichen Last für die anderen werden. Jedenfalls ist klar, dass alles, was nicht staatlich zur Verfügung gestellt wird, privat und oft zu höheren Kosten finanziert werden muss.
    Vordergründig werden die gravierenden Einschnitte im Regierungsprogramm mit dem Standortwettbewerb argumentiert. In der Präambel wird behauptet, dass unser Wirtschaftsstandort „im Vergleich mit unseren Nachbarn nicht mehr wettbewerbsfähig genug ist“. Und obgleich das durch Fakten nicht zu belegen ist, soll der Wirtschaftsstandort gleich als „Staatszielbestimmung“ eingeführt werden. Diesem Ziel wird sogleich im gesamten Programm Folge geleistet, denn in erster Linie werden die Interessen von Wirtschaft und Kapital vertreten. Besonders absurd daran: Die dahinterliegende Annahme, dass ein magerer Staat förderlich für die Wirtschaft sei, ist empirisch nicht zu belegen.

    Wackelige Finanzierung: Grundlage der neuen Verteilungspolitik
    Grundlage für die neue Verteilungspolitik stellen die Finanzpläne der Regierung dar. Hier wird die Senkung der Steuer- und Abgabenquote beziffert: Es soll in Richtung 40 Prozent des BIP gehen. Dies würde einem Volumen im zweistelligen Milliardenbereich entsprechen. Die Finanzierung des Steuerausfalls soll durch „ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen“ erfolgen – genaue Zahlen und Gegenfinanzierungsmaßnahmen fehlen weitgehend.
    Tatsächlich gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie die großen Steuergeschenke finanziert werden können – gegeben der Tatsache, dass eine Schuldenbremse gleich in den Verfassungsrang gehoben werden soll. Entweder es werden die Versprechen später mit Verweis auf „Budgetrestriktionen“ wieder abgesagt oder die Entlastungen auf der einen Seite führen zu Belastungen auf der anderen Seite. Und das in Form von Leistungskürzungen oder in Form von höheren Beiträgen und Streichungen von Begünstigungen (wie wir das bereits aus Oberösterreich kennen). Kurz gesagt: Die breite Masse finanziert sich ihre „Entlastungen“ selbst.

    Wenig echte Entlastung für ArbeitnehmerInnen
    Hinzu kommt: Selbst bei den geplanten Entlastungen ist nur ein (kleiner) Teil für ArbeitnehmerInnen vorgesehen, und hier bei weitem nicht für alle. Entlastungen sind hauptsächlich für jene angedacht, die Lohnsteuer zahlen. „Das Steuersystem honoriert Leistung zu wenig“, lautet der Slogan dazu. Herzstück der arbeitnehmerseitigen Entlastung wird der Familienbonus sein, mit jährlichen Kosten von 1,5 Milliarden Euro. Viele Menschen haben aber ein zu geringes Einkommen, um den Bonus (zur Gänze) ausschöpfen zu können.
    Zentral im Programm ist auch die Vereinfachung des Steuersystems. Es sollen „unzählige unsystematische Ausnahme- und Sonderbestimmungen“ entrümpelt werden (insbesondere in der Lohnsteuer). Hier ist zu befürchten, dass die Reduktion von Ausnahmen teilweise geplante Entlastungen finanzieren wird. Explizit unangetastet bleiben soll nur die begünstigte Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts. Vergünstigungen wie beispielsweise die Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen oder Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen stehen im Rahmen der Neukodifizierung des Einkommensteuergesetzes („EStG 2020“) potenziell zur Disposition.
    Teilweise werden Leistungskürzungen auch gleich mitgeliefert: Die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge geht einher mit Einsparungen bei Arbeitslosen. Und auch im Bereich des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) können weitere Senkungen zu Finanzierungsproblemen wichtiger Leistungen führen. Es wäre denkbar, dass später mit Verweis auf den Ausgleich durch den Familienbonus und der verschärften Unterdotierung schließlich Leistungen aus dem FLAF gekürzt werden (oder zumindest Inflationsanpassungen ausbleiben).
    Die geplanten „Entlastungen“ für ArbeitnehmerInnen laufen also Gefahr, zu einem wesentlichen Teil auch durch ebendiese selbst finanziert zu werden. Eine Umverteilung innerhalb der ArbeitnehmerInnen, oder eben der Versuch der gesellschaftlichen Spaltung im Bereich der Lohnabhängigen.

    Erhebliche Entlastungen für Unternehmen
    Gleichzeitig ist im Bereich der Unternehmen – neben zahlreichen kleineren Maßnahmen – eine massive Gewinnsteuersenkung (Körperschaftsteuer – KöSt) geplant. Es sollen insbesondere Begünstigungen für nicht entnommene Gewinne eingeführt werden. Begründet wird diese Maßnahme wieder mit dem internationalen Standortwettbewerb und der Behauptung, dass mittlerweile alle Nachbarländer (mit der Ausnahme von Italien) niedrigere Körperschaftsteuersätze als Österreich haben. Auch diese Behauptung erweist sich, wie Werner Doralt ausführt, als falsch (und auch darüber hinaus attestiert Doralt dem Steuerprogramm einen „Verzicht auf Expertise“).
    Noch wichtiger aber: Budgetär wird sich diese Maßnahme, bei einer Halbierung des Steuersatzes (angedacht war auch schon eine gänzliche Freistellung), in einem Minus im Staatshaushalt von bis zu 2,5 Milliarden Euro im Jahr niederschlagen. Im Vergleich zu den prognostizierten Kosten für das Herzstück der Entlastungen in der Lohnsteuer für Familien (Familienbonus) ist die KöSt-Senkung wesentlich großzügiger. Vor allem wenn man bedenkt, dass das Körperschaftssteueraufkommen bereits jetzt nur etwa 7,5 Milliarden Euro umfasst, während über die Lohnsteuer ca. 25,5 Milliarden Euro lukriert werden (laut Budgetvoranschlag 2017). Anders formuliert: für Unternehmen eine Entlastung von einem Drittel, für ArbeitnehmerInnen weniger als sechs Prozent.

    Aber auch über die „Prestigeprojekte“ hinaus gibt es zahlreiche kleine Beispiele, in denen von der breiten Masse hin zu Unternehmen umverteilt wird bzw. die Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit entlastet werden – diese sind vielfach nur versteckt im Regierungsprogramm. Dabei geht es meist darum, dass Maßnahmen (z. B. die betriebliche Lehrstellenförderung, die Kostentragung des FLAF von „nicht oder nur teilweise familienrelevante[n] Leistungen“ oder die AUVA), die bislang – inhaltlich durchaus begründet – (hauptsächlich) von Unternehmen getragen wurden, künftig aller Voraussicht nach aus anderen Töpfen finanziert werden sollen. Etwa aus allgemeinen Steuermitteln, die zum Löwenteil von den ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen getragen werden oder anderen Trägern, welche ebenfalls überwiegend von der Allgemeinheit finanziert werden.
    Hinzu kommen unter dem Titel „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im Steuerrecht“ auch in der Landwirtschaft weitere Steuergeschenke und die Fortführung bestehender Zuckerl, wie der pauschalierten Gewinnermittlung, bei gleichzeitigem Fehlen einer steuerlichen Umweltstrategie (ökosoziale Steuerreform). Und auch der Kampf gegen Steuertricks wird viel zu wenig ambitioniert geführt, obgleich mit der geplanten Einführung einer „digitalen Betriebsstätte“ ein Schritt in die richtige Richtung gesetzt werden soll, der vonseiten der AK ebenfalls gefordert wird.

    Auf den Punkt gebracht: Die Schieflage im österreichischen Steuersystem, aber auch in der Einkommens- und Vermögensverteilung, wird nicht beseitigt, sondern weiter verschärft! Eine Umverteilung von unten nach oben.

    Linktipps:
    Regierungsprogramm
    und
    AK-Budgetanalyse
     
    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
    Gerhartinger.P@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Philipp Gerhartinger, Abteilung Wirtschafts-, Sozial- u. Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich A&W blog http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1527127231743 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628615 Im Dienste der Menschen Der Widerstand gegen neoliberale Freihandelsabkommen hat in Österreich Tradition. Schon Ende der 1990er-Jahre engagierten sich Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), danach folgte der Kampf gegen das General Agreement on Trade in Services (GATS). Die jüngsten Kampagnen gegen TTIP, TiSA und CETA sind noch im Gange, während die EU bereits zig weitere Abkommen verhandelt. Nach jenem mit Japan stehen jene mit Mexiko und den MERCOSUR-Staaten kurz vor dem Abschluss.

    Profitinteressen
    Die grundlegende Ausrichtung der EU-Handelspolitik hat sich im Lauf der Jahre kaum geändert. Während etwa Konzernen Sonderklagerechte zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen eingeräumt werden, sind Menschenrechte und Umweltstandards nachrangig. Von den BefürworterInnen der Abkommen werden mehr Wohlstand und Beschäftigung versprochen, tatsächlich zielt die neoliberale Handelsagenda lediglich auf die Steigerung der Konzernprofite ab. Handels- und Investitionsabkommen haben genau aus diesem Grund zu prekärer Arbeit sowie zu massiven Umweltbelastungen geführt.
    Die Kritik an der EU-Handelspolitik ist mannigfaltig. Seit 2014 haben sich mehr als 60 Organisationen zur Plattform „TTIP STOPPEN“ zusammengeschlossen, über 400 österreichische Gemeinden erklärten sich zur TTIP/CETA/TiSA-freien Zone, auch im Bundesrat wurde beschlossen, dass private und internationale Schiedsgerichte abzulehnen sind.

    Alternativen
    Die Arbeit der Plattform war erfolgreich: TTIP und TiSA sind auf Eis gelegt, CETA wurde zwar beschlossen, aber der EuGH hat bestätigt, dass auch die nationalen Parlamente ratifizieren müssen. Die ÖVP/FPÖ-Regierung will die Ratifikation möglichst bald durchziehen, hält sich aber bedeckt, wann genau dies geschehen soll. Der Widerstand dagegen ist jedenfalls tief in der Gesellschaft verankert und geht weit über eine kleine Gruppe von GlobalisierungskritikerInnen hinaus.
    „Wir wollen nicht nur ,Nein!‘ sagen, sondern auch Vorschläge machen, wie eine Handelspolitik aussehen soll, damit es nicht nur den Konzernen, sondern auch den Menschen und den ArbeitnehmerInnen dient“, erläutert Angela Pfister vom Volkswirtschaftlichen Referat im ÖGB die Ziele der am 12. März 2018 gestarteten Plattform „Anders Handeln“. Die Initiative wird von Attac, Global 2000, Südwind, KAB, Via Campesina, PRO-GE, younion und vida getragen. Auch der ÖGB und die GPA-djp unterstützen das Bündnis. „Das wichtigste Ziel ist weiterhin, dass wir diese Freihandelsabkommen stoppen. Das andere Ziel ist, Alternativen für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung aufzuzeigen“, so Pfister. Mittlerweile arbeiten über 40 Organisationen an konkreten Vorschlägen für ein alternatives Handelsmandat.
    Aus gewerkschaftlicher Sicht steht dabei besonders die Frage nach guter Arbeit für alle im Vordergrund. Bei einer grundlegenden Änderung der Handelspolitik soll der Einhaltung von ArbeitnehmerInnen-, Menschen- und Umweltrechten Vorrang vor Handels- und Investitionsregeln eingeräumt werden. Verstöße gegen ArbeitnehmerInnenrechte müssen mit Sanktionen geahndet werden. Nur so kann ein internationaler Wettlauf zur Einschränkung sozialer Rechte verhindert werden und ein wichtiger Grundstein für den Ausbau der Sozialstandards gelegt werden.

    Aktiv werden
    Derzeit läuft eine Petition zum Thema „Anders Handeln – Globalisierung gerecht gestalten!“, welche die Abgeordneten des österreichischen Nationalrats, die österreichischen EU-Abgeordneten und die österreichische Regierung auffordert, die EU-Handels- und Investitionspolitik im Interesse der Mehrheit der Menschen grundlegend neu auszurichten.

    Petition unterschreiben:
    www.anders-handeln.at/Petition

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor michael.woegerer@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Michael Wögerer, weltumspannend arbeiten Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628602 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628591 Welcher Wohlstand für wen? Regierung, Opposition und viele NGOs sind sich auf der Überschriftenebene einig, dass Wohlstand gemehrt und Lebensqualität verbessert werden sollte. Sie meinen aber trotzdem Unterschiedliches für unterschiedliche Menschen. Gleich im ersten Absatz des neuen Regierungsprogramms wird „unser Wohlstand“ erwähnt, der auch in Zukunft erhalten und weiter ausgebaut werden solle. Was darunter zu verstehen ist, wird klar, wenn man sich die Kapitel ansieht, in denen auf Wohlstand verwiesen wird: Es geht vor allem um die Stärkung des Wirtschaftsstandortes bzw. mehr Exporte, unter anderem durch Innovation und Digitalisierung. Und um Sicherheit, Sport, Mobilität und Tourismus.

    Exporte = Wohlstand?
    Materieller Wohlstand ist unbestritten ein wesentliches Ziel für die Verbesserung der Lebenssituation. Allerdings umfasst dieser vor allem Güter und Dienstleistungen, über die man tatsächlich verfügen kann, die also im Inland sind. Exporte sind also zunächst einmal exportierter Wohlstand. Erst wenn mit den erzielten Gewinnen bzw. den für die Produktion ausbezahlten Löhnen Dinge erworben werden, lässt sich der Wohlstand der hiesigen Bevölkerung verbessern. Ein direkterer Wohlstandsbezug wäre somit bei Gütern und Dienstleistungen gegeben, die nicht exportiert werden und damit direkt die materiellen Möglichkeiten im Inland ausweiten – für KonsumentInnen und ProduzentInnen. Und die nach wie vor den überwiegenden Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage darstellen.
    Diese Logik ist jedoch ideologisch verschüttet angesichts einer nationalistischen Anrufung von einem einheitlichen Subjekt „Österreich“, das sich im Wettbewerb gegen andere durchsetzen müsse. In diesem Österreich kommen unterschiedliche Ausgangslagen und Interessen nicht vor, allerdings ist es ständig bedroht: von „Durchschummlern“, „Ausländern“, der EU, „Systempolitikern“, Feministinnen, „Asylanten“, „Islamisten“ etc. Darum brauche es auch – neben einer starken Regierung – viel mehr Polizei und Militär, um Österreich zu schützen. Und einen Abbau des Sozialstaates, der angeblich die Falschen schützt und Leistung verhindert.
    Folgerichtig hat die Regierung im aktuellen Budget den Sozialstaat beschnitten. Und daneben eine „Offensive für den Wirtschaftsstandort Österreich“ gestartet, der nun sogar als Staatsziel in der Verfassung verankert werden soll.

    Wohlstand ist mehr
    Wohlstand ist aber mehr als verfügbare Einkommen bzw. Konsummöglichkeiten. Es geht auch um das subjektive Wohlergehen, das nicht nur materielle Aspekte umfasst, sondern darüber hinaus insbesondere Gesundheit, Verwirklichungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, soziale Beziehungen, die Einbindung in die gesellschaftlich immer noch zentrale Arbeitswelt und eine intakte Umwelt. Bei all diesen Aspekten stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit und nach den Unterschieden zwischen den Menschen. Vermögen ist etwa extrem ungleich verteilt, bestimmt aber wesentlich die einzelnen Faktoren des Wohlergehens.

    Möglichst breiter Blick
    Will man also Wohlstand und Wohlergehen in diesem Land fördern, braucht es zuerst einen möglichst breiten Blick auf die Ausgangslage. Je nach Weltanschauung wird die politische Prioritätensetzung dann immer noch unterschiedlich sein, doch könnte eine breite Betrachtung zumindest die Grundlage für eine transparente, sachorientierte Debatte schaffen.
    Die geplante Verfassungsänderung der Regierung ist das genaue Gegenteil davon: Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes soll jedenfalls prioritär behandelt werden, ganz egal, ob das im Moment überhaupt ein wichtiges tatsächliches Problem darstellt. Da nie alle Ziele gleichzeitig erfüllt werden können und sie sich zum Teil untereinander ausschließen (z. B. führte eine Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zu einer Verschlechterung der materiellen Möglichkeiten der Mehrheit der Lohnabhängigen), ist eine automatische einseitige Priorisierung per Verfassung langfristig daher das Gegenteil von einer wohlstandsfördernden Politik.
    Will man auf höherer Ebene grundsätzliche wirtschaftspolitische Ziele verankern, so sollten Wohlstand und Wohlergehen als Orientierungspunkte gewählt und in Folge konkretisiert werden. Auch gilt es, Mechanismen zu entwickeln, wie konkrete Prioritäten regelmäßig demokratisch festgelegt werden können. Über Jahrzehnte galt das magische Vieleck der Wirtschaftspolitik über Parteigrenzen hinweg als ein solcher Referenzrahmen. Es fokussierte vor allem auf Wirtschaftswachstum, aber auch auf Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Zwar müsste ein Vieleck heute breiter definiert werden, doch wäre es nach wie vor sinnvoll, einen allgemeinen Referenzrahmen – mit ausreichend Spielraum für die politische Auseinandersetzung um die aktuell adäquate Schwerpunktsetzung – zu definieren.

    Wie soll Wohlstand?
    Was wäre nun aktuell eine adäquate Prioritätensetzung? Ausgehend von der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit und im historischen Maßstab großen sozialen Unterschieden müsste eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik vor allem hier ansetzen. Angesichts der großen Herausforderung, unseren hohen materiellen Wohlstand auch ökologisch nachhaltig zu gestalten, ist zudem auch auf diesen Bereich ein besonderes Augenmerk zu legen. Der gut ausgebaute Wohlfahrtsstaat, der gute Gesundheitsleistungen und ein hohes Bildungsniveau sowie materielle Absicherung im Alter, bei Arbeitslosigkeit und anderen Schwierigkeiten bietet, ist weiter zu verbessern. Wenn die aktuelle Regierung den Sozialstaat nun zusammenstreichen will (mit dem Ziel der Steuersenkung vor allem für Bessersituierte bzw. der angeblichen Attraktivierung des Standortes), betreibt sie das Gegenteil einer wohlstandsorientierten Politik.
    Welche konkreteren Maßnahmen wären nun geeignet, Wohlstand und Wohlergehen in Österreich zu fördern? Gesucht sind Initiativen, die die Arbeitslosigkeit reduzieren und die Arbeitsqualität fördern, die ökologische Nachhaltigkeit verbessern und eine faire Verteilungssituation schaffen – ohne die hohe ökonomische Stabilität zu gefährden. Leisten kann das ein weiterer Ausbau sozialer Dienstleistungen, eine verstärkte öffentliche Investitionstätigkeit mit ökologischem Schwerpunkt und eine Arbeitszeitverkürzung:

    • Soziale Dienstleistungen – wie Kinderbetreuung, Ganztagesschulen, Bildungsangebote, Sozialarbeit und Pflege – sind sehr beschäftigungsintensiv, sodass zusätzliche Ausgaben von einer Milliarde Euro mit einem Beschäftigungseffekt von mindestens 20.000 Personen einhergehen. Frauen profitieren davon besonders, da vor allem sie diejenigen sind, die diese Dienstleistungen derzeit großteils unbezahlt erbringen.
    • Die Herausforderungen der Ökologisierung und Digitalisierung unserer Lebensweise sowie das anhaltende Bevölkerungswachstum insbesondere in den Ballungsräumen erfordern eine Ausweitung der Investitionen, vor allem in den Bereichen sozialer Wohnbau, Energienetze, Forschung und öffentlicher Verkehr. Investitionen in Forschung sind darüber hinaus ein entscheidender Faktor, um Österreich fit für die Zukunft zu machen.
    • Arbeitszeitverkürzung kann nicht nur die bezahlte Arbeit gerechter verteilen, sondern ermöglicht jenen, die Arbeit haben, steigenden Wohlstand in Zeitwohlstand umzusetzen. Besonders sinnvoll wäre eine Verkürzung überlanger Arbeitszeiten durch stärkere Kontrolle der Arbeitsgesetze und Anreize zum Abbau von Überstunden. Auch eine Ausweitung des Urlaubsanspruchs, die Erleichterung von Elternteilzeit, Sabbaticals, Qualifizierungsstipendien und Bildungskarenzen eröffnen neue Möglichkeiten für Beschäftigung und Lebensqualität.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.feigl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Georg Feigl, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628585 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628548 Umweltschutz: Was steht an? Etwa ein halbes Jahrhundert ist es her, seit Umweltpolitik als Politikfeld eine eigene Bedeutung erlangt hat, die über den reinen Nachbarschutz hinausgeht. Anfangs standen technologische Lösungen im Vordergrund, um Umweltprobleme zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen. Nach dem Ölpreisschock im Jahr 1973 gab es in der Umweltpolitik eine Verschiebung hin zu Ressourcenfragen. Der Verbrauch von unwiederbringlichen Gütern rückte ins Zentrum: das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten sowie der Verlust einzigartiger natürlicher Lebensräume; die Ausbeutung von Rohstoffen; die Verbauung und Versiegelung von Boden für Siedlungsgebiete und Verkehrsflächen.
    Gleichzeitig wurde deutlich, dass das Versprechen nicht mehr hielt, dass bei hohen Wachstumsraten auch für die Ärmsten der Kuchen weiterhin größer würde. In vielen Industriestaaten stieg das Realeinkommen der ärmsten Menschen seit den 1990er-Jahren nicht mehr. Umweltpolitik verschob sich hin zu einer Suche nach einem sparsamen Umgang mit Ressourcen – einer Zielsetzung, für die das Modewort „Nachhaltigkeit“ geläufig wurde.
    In Österreich wurde der Konflikt um die Erhaltung der Donau-Au bei Hainburg zum Symbol für diesen Wandel: Es ging nicht mehr um die Verbesserung der Gewässerqualität, sondern um die grundsätzliche Frage, ob der Erhaltung des Auwaldes der Vorzug vor der wirtschaftlichen Nutzung der Wasserkraft gegeben werden solle.
    Zusehends wurde klar, dass es Instrumente brauchte, um in derartigen Interessenkonflikten zu vermitteln. Im Jahr 1985 wurde in der EU die erste Richtlinie über Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) erlassen. Heute muss bei allen größeren Infrastruktur- und Industrievorhaben eine UVP durchgeführt werden. An den Konflikten, die sich daran entzünden, lassen sich viele der heutigen umweltpolitischen Herausforderungen illustrieren. So lauten wichtige Fragen: Wer spricht für die Umwelt? Welche Umweltorganisationen, welche Bürgerinitiativen sollen gehört werden? Wie kann sichergestellt werden, dass ein UVP-Verfahren nicht bloß zur Verzögerung missbraucht wird? Sagt der Gesetzgeber klar genug, welches Schutzniveau erreicht werden muss? Wie ist abzuwägen, wenn durch ein Projekt manche Personen stärker belastet werden, während andere entlastet werden?

    Gerade um Infrastrukturprojekte wie Bahnstrecken, Straßenbauprojekte oder Hochspannungsleitungen entspinnen sich regelmäßig anhaltende Streitigkeiten, die zu sehr langen UVP-Verfahren führen können. Die Betreiber wünschen sich, dass per Gesetz bestimmt wird, dass solche Projekte im öffentlichen Interesse liegen. Damit erhofft man sich einfachere UVP-Verfahren. Dieser Wunsch ist verständlich. Das bedeutet aber, dass der Gesetzgeber abwägen kann, welches Projekt realisiert werden soll und welches nicht. Mit einer solchen Planung gibt es in Österreich wenig Erfahrung. Sie hätte den Vorteil, dass sie auch in der Raumordnung berücksichtigt werden könnte. Doch diese ist Aufgabe der Länder, und die notwendige Koordination zwischen Bund und Ländern fehlt.
    Mindestens ebensolche Schwierigkeiten macht die Klima- und Energiepolitik. Im Übereinkommen von Paris einigten sich die Staaten der Welt vor zwei Jahren darauf, dass in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts netto kein Kohlendioxid mehr ausgestoßen werden soll. Heute stammen etwa 80 Prozent der weltweit verwendeten Energie aus fossilen Quellen. Diese Energiemenge muss entweder eingespart werden oder durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden. Bisher ist der Versuch missglückt, eine Klima- und Energiestrategie zu entwickeln. Die neue Bundesregierung steht nun unter Zeitdruck: Wenn sie nicht entschieden handelt, wird Österreich die Treibhausgasziele für 2020 verfehlen. Die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 ist eine noch viel größere Aufgabe.

    Allgemeine Leitlinien
    Der kürzlich vorgestellte Entwurf der Regierung enthält vorerst nur recht allgemeine Leitlinien. Um dem Namen Strategie gerecht zu werden, dürfen darin allerdings nicht nur verschiedene politische Maßnahmen genannt werden. Es müssen auch Mechanismen vorgesehen sein, wenn diese Maßnahmen einander widersprechen. Es braucht nicht nur ein langfristiges Ziel bei den Emissionen, sondern für jedes Jahr müssen die angestrebten Werte festgelegt werden – Emissionsniveaus, Energieverbrauch, produzierte Mengen erneuerbarer Energieträger. Gleichzeitig muss klar sein, wie reagiert wird, wenn diese Zwischenziele nicht erreicht werden. Schließlich ist ein wesentlicher Teil der Strategie die Ausrichtung der Maßnahmen an übergeordneten Zielen wie Beschäftigung, Verteilung und wirtschaftliche Stabilität. Hier wartet viel Grundlagenarbeit auf eine neue Regierung.
    An der Klimapolitik zeigt sich ein besonderes Problem der heutigen Umweltpolitik: Sie sprengt den nationalen Rahmen. Während etwa Gewässerreinhaltung eine im Wesentlichen lokale Aufgabe ist, ist eine Klimapolitik ohne Berücksichtigung der Tätigkeit anderer Staaten völlig sinnlos. Sie ist dementsprechend heute auf der europäischen Ebene angesiedelt und die internationale Koordinierung wird immer wichtiger. Ein Beispiel: Der internationale Flugverkehr zeigt rasante Wachstumsraten, die Folgen für die globale Erwärmung sind entsprechend heftig. Doch nicht einmal die EU hat es geschafft, diesem auch nur einen kleinen Beitrag zur Emissionsminderung abzuverlangen.

    Schattendasein
    Heute dominieren Klima- und Energiepolitik so stark die umweltpolitische Agenda, dass die Vielfalt an anderen umweltpolitischen Herausforderungen fast ein Schattendasein führt. So spielen in der landwirtschaftlichen Produktion die Bodenpolitik und der Bodenschutz eine zentrale Rolle. Dabei geht es um die dauerhafte Sicherung der vielfältigen Funktionen des Bodens, etwa für die Produktion, für die Kohlenstoffspeicherung oder für den Wasserhaushalt. Eine weitere Herausforderung in der Landwirtschaft ist die Gewährleistung strenger Standards bei der artgerechten Tierhaltung. Die höheren Kosten einer würdigeren Tierhaltung können durch einen – gesundheitspolitisch durchaus wünschenswerten – geringeren Fleischkonsum kompensiert werden. Hier gibt es nationale Spielräume; längerfristig müssen diese höheren Standards aber auf EU-Ebene umgesetzt werden. Anderenfalls können die ungleichen Kosten im Binnenmarkt zu unverhältnismäßigen Wettbewerbsverzerrungen führen.
    Eine landwirtschaftliche Produktion, die mit weniger Pestiziden und Düngemitteln auskommt, mit einer höheren Vielfalt an Sorten arbeitet und zur Regenerierung der Biodiversität wieder Flächen aus der Produktion nimmt, ist möglich – und sie ist auch bezahlbar. Der derzeit zu beobachtende Rückgang an Insekten und in der Folge von bestimmten Vogelarten ist ein eindringliches Warnsignal. Für die Produktion von Treibstoffen (Bioethanol, Biodiesel) aus Rohstoffen für Lebensmittel oder Futtermittel ist in einem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten System kein Platz.
    Auch die industrielle Produktion steht vor Herausforderungen. Es geht nicht mehr nur um die Verminderung des Ausstoßes von Schadstoffen und die Vermeidung von Unfällen. Vielmehr spielt die Produktionsweise selbst eine immer wichtigere Rolle: Es geht um die Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Produkten und um eine Verbesserung des Recyclings bei bestimmten wertvollen Stoffen. Dabei muss klargestellt werden, dass derartige Zielsetzungen, wenn sie konsequent gedacht werden, zu einer Verringerung des Umsatzes führen können.

    Sparsamer Umgang mit Ressourcen
    Heute spielt sich Umweltschutz – allgemein gesprochen – im sparsamen Umgang mit Ressourcen ab. Neben Klimaschutz sind etwa die Erhaltung der Biodiversität oder der Schutz der Weltmeere Beispiele dafür. Für diese Herausforderungen braucht es internationale Institutionen, die für eine weltweite Umsetzung dieser Ziele stehen. Doch statt der Stärkung der internationalen Dimension im Umweltschutz ist immer öfter eine nationalistische, protektionistische Bewegung zu beobachten. Für die heutigen Umweltziele ist das eine ebenso bedenkliche Entwicklung wie für die Interessen der ArbeitnehmerInnen im Allgemeinen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christoph.streissler@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christoph Streissler, Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628542 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628534 Gefährliche Nebenwirkungen Die Bundesregierung will den „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“ als Staatsziel in der Verfassung verankern. Verfassungsgesetze spiegeln die Grundordnung einer Gesellschaft wider. Insofern ist es wichtig, was in einer Verfassung verankert wird und was nicht. Verfassungsgesetze haben nicht nur erhöhte Bestandskraft – sie können nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat geändert werden –, sondern auch hohe Symbolkraft. Verfassungsbestimmungen sind damit Leuchttürme, die Orientierung geben sollen – und deren Interpretation auch Schatten auf die einfache Gesetzgebung wirft.

    Sinn und Zweck?
    Vor diesem Hintergrund muss nachgefragt werden, was das geplante Staatsziel bezwecken soll. An sich geht es um folgende Änderung: Das bestehende Verfassungsgesetz über „die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung“ soll um das Staatsziel „Wirtschaftsstandort“ ergänzt werden. Aufgekommen ist diese Idee nach einem Gerichtsurteil zum Bau der dritten Piste des Flughafen Wien. Das Bundesverwaltungsgericht hatte diesen in einem Verfahren mit Hinweis auf die EU und österreichische Umweltgesetzgebung untersagt, mittlerweile in einem neuen Verfahren aber genehmigt. Daraus entspann sich aber ein breiter Diskurs zu überlangen Verfahren zur Errichtung von Infrastrukturprojekten, Investitionsschutz und zur Bedeutung von Klimaschutzzielen. Welches dieser Probleme würde die neue Verfassungsbestimmung nun angehen? Gar keines. Damit zeigt sich, dass es sich um einen symbolischen Akt handelt, allerdings mit Nebenwirkungen.

    Gefährliche Schlagworte
    Die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und der Wettbewerbsfähigkeit sind zu Schlagworten geworden, mit denen auch Maßnahmen wie Lohndruck, Abbau sozialer Sicherungssysteme und der Rechte von ArbeitnehmerInnen vorangetrieben werden. Auch die vorgeschlagene Staatszielbestimmung könnte in diesem Sinne benutzt werden.
    Dass diese Annahme nicht nur Spekulation ist, zeigt eine Stellungnahme des Finanzministeriums, die nach Veröffentlichung wieder zurückgezogen wurde. Darin heißt es, dass es mit dem neuen Staatsziel zu Zielkonflikten in Verfassungsrang kommen könnte: „Zudem könnte die explizite Nennung des Ziels eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts bei Nichteinhaltung oder allenfalls auch nur Änderungen im Ausland Klagen gegen die Republik induzieren.“ Gemeint ist damit, dass ausländische Investoren Österreich klagen könnten, wenn sie, warum auch immer, ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Es obläge damit einem Gericht zu bewerten, ob ein Gesetz Unternehmen unsachlich benachteiligt. Dabei wägt es Grundrechte der Unternehmen und unter Umständen jene der Beschäftigten gegeneinander ab. Wenn nun die aktuell zur Diskussion stehende Formulierung in die Bundesverfassung aufgenommen wird, allerdings keine sozialen Grundrechte verankert werden, so ist absehbar, auf welche Seite sich die Waagschale eher senken wird.
    Das ursprüngliche Staatsziel zum umfassenden Umweltschutz wurde 1984 als bewusstes Gegengewicht zu den ohnehin verfassungsmäßig gut abgesicherten wirtschaftlichen Grundrechten (z. B. Erwerbsfreiheit, Unverletzlichkeit des Eigentums) geschaffen. Es sollte sicherstellen, dass neben den in Marktwirtschaften dominanten wirtschaftlichen Interessen auch ökologische Interessen Berücksichtigung finden. Würde nun der Wirtschaftsstandort in der Verfassung verankert, so stünde dieser neben dem Staatsziel der Nachhaltigkeit. Dieser Widerspruch erhöht die Unklarheit in Verfahren, statt Klarheit zu schaffen.
    Während der Entwurf der Regierung versucht, eine vermeintliche Schieflage zwischen Umweltanliegen und Wirtschaftsanliegen zu korrigieren, schafft er in Wirklichkeit eine viel gefährlichere Schieflage zwischen den sozialen Interessen der Bevölkerung und Interessen der Wirtschaft. Schon jetzt enthält die österreichische Verfassung – anders als die meisten europäischen Verfassungen – keine sozialen Grundrechte etwa auf faire Entlohnung und Arbeitsbedingungen sowie auf soziale Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter. Sehr wohl aber enthält sie eben wirtschaftliche Grundrechte. Würden die letztgenannten wirtschaftlichen Grundrechte nun um eine Staatszielbestimmung zur Wettbewerbsfähigkeit erweitert, würde das Ungleichgewicht in der österreichischen Bundesverfassung zwischen den Interessen der (meist unselbstständig beschäftigten) Menschen an sozialem Schutz einerseits und der Wirtschaft andererseits noch weiter verschärft.

    Allgemein statt partikular
    Ein Staatsziel sollte ganz allgemein über Partikularinteressen stehen, im konkreten Fall nicht einseitig Unternehmensinteressen bedienen. Der Fokus der Bestimmung ist sehr eng und folgt der Logik der Betriebswirtschaftslehre. Während aus betriebswirtschaftlicher, unternehmerischer Sicht zumeist die kurzfristige Optimierung der Produktionsfaktoren im Mittelpunkt steht, dominiert aus volkswirtschaftlicher Perspektive die mittel- und langfristige Sicht, wenn es darum geht, das ökonomische Potenzial einer Volkwirtschaft zu erhöhen. Volkswirtschaftlich zentral ist eine langfristige, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Strategie zur Weiterentwicklung wirtschaftlicher Aktivitäten, bei der die Menschen mit ihren Ideen, Fähigkeiten und Potenzialen sowie deren Umwelt im Mittelpunkt stehen. Denn diese Faktoren bestimmen schließlich das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft und damit auch deren Wohlstandsniveau. Eine langfristige Nachhaltigkeitsperspektive ist daher kurzfristigen Wettbewerbsfaktoren, die auf kostenmäßige bzw. preisliche Aspekte fokussieren, vorzuziehen.
    Ziel einer ökonomischen Betrachtungsweise und damit einer Staatszielbestimmung sollte daher eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik bzw. ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit sein. Österreich hat sich im Rahmen internationaler Verträge wie den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Ziel acht definiert, dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern.
    Als Argument für das neue Gesetz werden auch zu lange Genehmigungsverfahren genannt. Die AK sieht die lange Verfahrensdauer bei großen Infrastrukturprojekten als problematisch an. Die geplante Staatszielbestimmung ist aber nicht zielführend, weil damit kein Genehmigungsverfahren schneller ablaufen wird. Wenn etwas für zügigere Verfahren und mehr Vorhersehbarkeit von Entscheidungen getan werden soll, dann sollte über eine Bündelung der relevanten Kompetenzen beim Bund geredet und für eine verbindliche Planungskoordination zwischen der Landesraumordnung und der Bundesinfrastrukturplanung gesorgt werden.
    Die Staatszielbestimmung kann also nur als Anlassgesetzgebung bezeichnet werden. Der Kollateralschaden, der mit dieser Bestimmung im Hinblick auf eine nachhaltige gesamtwirtschaftliche Strategie entstehen kann, ist indes enorm. Statt den „Wirtschaftsstandort“ verfassungsrechtlich abzusichern, gilt es, die längst überfällige verfassungsmäßige Verankerung sozialer Grundrechte als Gegengewicht zu wirtschaftlichen Grundrechten in der Verfassung zu verankern. Aus der Sicht der AK gibt es keinen unmittelbaren Bedarf für ein Staatsziel „Wirtschaftswachstum“ oder „Wirtschaftsstandort“ in der Verfassung. Ein einseitiger Wettbewerbsbegriff, der nur das Wohl der Unternehmen, nicht aber der Menschen im Blick hat, hat in der österreichischen Verfassung nichts verloren.

    Stellungnahme der Bundesarbeitskammer zum Verfassungsgesetz:
    tinyurl.com/yal7nogu
    Nachhaltige Entwicklung – Agenda 2030/SDGs:
    tinyurl.com/y7g6dtk8

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen christa.schlager@akwien.at und werner.hochreiter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christa Schlager, Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien</br>Werner Hochreiter, Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628496 Die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und der Wettbewerbsfähigkeit sind zu Schlagworten geworden, mit denen auch Maßnahmen wie Lohndruck, Abbau sozialer Sicherungssysteme und der Rechte von ArbeitnehmerInnen vorangetrieben werden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628475 Nicht vergebens Öffentliche Aufträge sind ein großer Wirtschaftsfaktor und es ist wichtig, welche Regeln dafür gelten. „Das Vergaberecht behandelt, zu welchen Bedingungen öffentliche Auftraggeber einkaufen“, erklärt Lena Karasz. Die Juristin arbeitet in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien. Ideal angewendet, dient das Vergaberecht dem fairen Wettbewerb, soll Ungleichbehandlungen wie Diskriminierungen vermeiden und bei den Verfahren für Transparenz sorgen – insbesondere, da es sich um Steuergeld handelt, mit dem schließlich effizient und nachhaltig gewirtschaftet werden sollte. Ohne derartige gesetzliche Regelungen wäre es leichter zu „mauscheln“. „Eine Gemeinde könnte etwa Aufträge an befreundete Unternehmen vergeben, ohne dafür groß Rechenschaft abzulegen“, so Karasz. 
    Insgesamt wird durch die öffentlichen Vergaben sehr viel Geld bewegt. Eine Studie der TU Wien aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die Vergabestellen von Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungen und ausgelagerten Unternehmen in Österreich jährlich rund 60,7 Milliarden Euro für die öffentliche Beschaffung ausgeben. Das entspricht etwa 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit besitzt die öffentliche Auftragsvergabe eine enorme wirtschaftliche Bedeutung.
    Die öffentlichen Beschaffungsstellen sind dabei keine gewöhnlichen Marktteilnehmer, deshalb dürfen betriebswirtschaftliche Überlegungen nicht das alleinige Kriterium für einen Auftrag sein. „Der Staat als öffentlicher Auftraggeber muss einer besonderen Vorbildrolle gerecht werden“, sagt die AK-Expertin. „Denn bei der Auftragsvergabe geht es um eine nachhaltige, gesamtwirtschaftlich effiziente Verwendung von Steuergeldern.“ Somit birgt das Vergaberecht eine soziale Verantwortung in sich. Bei vielen öffentlichen Aufträgen hätte es Sinn, soziale Kriterien wie die Beschäftigung von Frauen, Langzeitarbeitslosen, Personen in Ausbildungsverhältnissen, Menschen mit Behinderung und von älteren ArbeitnehmerInnen zu berücksichtigen und zu fördern.

    Ungenutzte Potenziale
    Die elsässische Stadt Straßburg, die bei ihren Stadterneuerungsprojekten mit dem Verein Relais Chantiers zusammenarbeitet, ist dafür ein gutes Beispiel: „Der Verein recherchierte, wer in den zu sanierenden Vierteln arbeitslos ist und welche Ausbildung diese Menschen haben“, erzählt Karasz. Da in den betroffenen Gebieten auch eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht, waren einige Jugendliche Teil des Projekts und hatten für die Dauer der Arbeiten einen Job. Im Optimalfall wirken sich die Maßnahmen wie folgt aus: „Die Jugendlichen haben eine Beschäftigung und erwerben eine Qualifikation, die sie unter Umständen am ersten Arbeitsmarkt einbringen können. Außerdem verbessert sich die Identifikation mit ihrem Stadtteil.“ Vergleichbare Projekte gibt es auch in Italien und Spanien.
    In Österreich wird die öffentliche Vergabe allerdings relativ selten mit sozialen Kriterien verknüpft. Bei den Olympischen Jugend-Winterspielen 2012 in Innsbruck war die Beschäftigung von langzeitarbeitslosen Menschen ein Zuschlagskriterium – die Aufträge ergingen deshalb an zwei sozial-ökonomische Betriebe aus Osttirol. Im „Wiener Modell“ müssen sich Bieter seit 2010 zur Umsetzung von Frauenfördermaßnahmen verpflichten. Lena Karasz: „Bei Aufträgen ab einer gewissen Größe fordert die Stadt, dass Gleichstellungsmaßnahmen verwirklicht werden.“ Die Unternehmen müssen in einem Fragebogen angeben, welche Frauenfördermaßnahmen sie bereits berücksichtigen oder in Zukunft einführen wollen. Die Themen reichen dabei von Bildungsmaßnahmen exklusiv für Frauen über die Bereitstellung einer betrieblichen oder externen Kinderbetreuung bis hin zu einem Wiedereinstiegsplan.

    Soziale Kriterien als Kernelement
    EU-weit sind die sozialen Kriterien ein Kernelement der Vergaberechtsreform. Es liegt aber im Ermessen der Mitgliedstaaten, diese Regelungen anzuwenden. In Österreich gibt es bei den Sozialpartnern bisher leider keinen Konsens über die sozialen Kriterien. AK-Expertin Karasz: „Die Wirtschaftsseite steht der Anwendung von sozialen Kriterien in der öffentlichen Vergabe eher skeptisch gegenüber.“ Denselben Zugang hat auch die Regierung: Sie legt den Schwerpunkt beim Vergaberecht auf den wirtschaftlichen Einkauf und auf Innovationsförderung, will damit aber keine sozialpolitischen Zwecke verknüpfen.

    Nicht immer ist es fair
    Fakt ist allerdings, dass es bei der öffentlichen Auftragsvergabe oft nicht fair zugeht. Vor allem bei einem hohen Auftragsvolumen werden lange und komplexe Subunternehmerketten gebildet, die besonders gut dazu geeignet sind, Lohn- und Sozialdumping im Baubereich zu verstecken. Gibt es Ärger, haben die Arbeiter einer Baufirma oft Probleme herauszufinden, wer überhaupt ihr Arbeitgeber ist. Da es sich dabei oft um ein Subunternehmen handelt, war es bis vor Kurzem sehr schwierig, den Auftraggeber des Arbeitgebers zu eruieren. „Wenn sich Arbeiter an die Arbeitsrechtsabteilung der AK gewendet haben, war es oft auch für unsere Experten schwierig, die Kette der Subunternehmen zu entwirren“, weiß Jurist Walter Gagawczuk von der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien.
    In den letzten Jahren konnte die AK viel bei der öffentlichen Vergabe erreichen. Durch die Novelle des Bundesvergabegesetzes 2015 dürfen Subunternehmer nur mit vorheriger Zustimmung des Auftraggebers eingesetzt werden. Auch das heuer beschlossene Bundesvergabegesetz wurde noch unter Beteiligung der AK entwickelt. Es sieht vor, dass wichtige Daten zu Bauaufträgen ab einem Wert von 100.000 Euro an die Baustellendatenbank der BUAK (Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse) weitergeleitet werden. Eine vollständige Erfassung aller Auftragnehmer sowie Subauftragnehmer soll erreicht und die Transparenz im öffentlichen Bausektor wesentlich erhöht werden. Dies ermöglicht auch den Beschäftigten, ihre Ansprüche schneller durchzusetzen, und erleichtert den Kontrollorganen die Überprüfung der Baustellen.

    Lohndumping ohne Konsequenzen
    Offen bleibt, ob die neue Regierung diesen Kurs weiter fortsetzen wird. Derzeit können Firmen in Europa ohne Beschränkungen grenzüberschreitend tätig sein. Verstoßen sie gegen Gesetze, ist eine Verfolgung über die Landesgrenzen hinaus für die Behörden schwierig. Das wird von vielen Unternehmen ausgenutzt. Wenn etwa ein slowenisches Unternehmen in Österreich tätig ist und beim Lohndumping erwischt wird, ist es trotzdem oft problematisch, die Firmenchefs zur Rechenschaft zu ziehen. In der Steiermark wurden Bauarbeiter einer slowenischen Firma eingesetzt, die nur den slowenischen Lohn erhielten. „Die AK Steiermark hat den ausstehenden Lohn eingeklagt und hatte damit vor Gericht Erfolg. Das ist aber mit viel Aufwand und Kosten verbunden“, erklärt AK-Experte Gagawczuk.
    Kurz darauf ist die betreffende Baufirma in Konkurs gegangen – damit wurde das slowenische Insolvenzrecht gültig. Gagawczuk: „Aber der slowenische Insolvenzfonds sieht vor, dass sich die Entgeltsicherung nur auf die slowenischen Löhne bezieht. Die Arbeiter haben durch die Finger geschaut.“ Trotz bester juristischer Betreuung sind die ArbeitnehmerInnen manchmal chancenlos, wenn es um ihre berechtigten Ansprüche geht.

    Europäische Arbeitsbehörde schaffen
    Um diesen Missstand zu bekämpfen, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Einführung einer europäischen Arbeitsbehörde angeregt. Wird in einem anderen EU-Land gearbeitet, soll diese EU-Agentur die Überwachung und Kontrolle von Mindestlohn und Sozialstandards sicherstellen. Ferner soll sie die Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten unterstützen und gewährleisten, dass EU-Regeln geschützt und Betrug sowie Missbrauch verhindert werden. Doch einige der neuen Mitgliedstaaten wehren sich gegen die Einführung dieser europäischen Arbeitsbehörde. „Österreich verhält sich zurückhaltend, dabei würde sich gerade Wien als Sitz für diese Europäische Arbeitsbehörde besonders eignen“, sagt Walter Gagawczuk. Der AK-Experte befürchtet, dass hier eine einmalige Chance verpasst wird.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen resei@gmx.at und sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sophia T. Fielhauer-Resei und Christian Resei, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628463 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628449 Nein zum Steuerdumping Die Regierung plant eine umfassende Senkung der Körperschaftssteuer. Damit soll Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Die etwas nebulösen Ankündigungen im Regierungsprogramm lauten folgendermaßen: „Österreich darf im internationalen Wettbewerb nicht an Attraktivität verlieren. Daher soll die Körperschaftssteuer auf ein Niveau gesenkt werden, das unsere heimischen KMU nachhaltig entlastet und einen Anreiz setzt in Österreich zu investieren. Gleichzeitig soll aber kein ,Steuerdumping‘ betrieben werden.“ Etwas später findet sich der Hinweis, dass der Schwerpunkt bei den nicht entnommenen Gewinnen und bei der Mindestkörperschaftssteuer liegen soll. Die genaue Ausgestaltung scheint noch offen: Während Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs im Budgetausschuss von einer Senkung des Satzes Richtung 20 Prozent gesprochen hat, hatte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck in der Pressestunde eine Halbierung des Steuersatzes für nicht entnommene Gewinne in Aussicht gestellt.

    Mehrere Steuern im Spiel
    Grundsätzlich sind bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen mehrere Steuern im Spiel. So unterliegen die Gewinne von Einzelunternehmen und Personengesellschaften der Einkommensteuer. Der Spitzensteuersatz liegt bei 55 Prozent. Die Gewinne von Körperschaften wiederum, im Wesentlichen Aktiengesellschaften (AG) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), unterliegen der Körperschaftssteuer; der Steuersatz beträgt 25 Prozent. Und bei Gewinnausschüttungen an die Eigentümer (natürliche Personen) fällt die Kapitalertragsteuer in Höhe von 27,5 Prozent an. Dadurch ergibt sich eine Gesamtbelastung (Körperschaftssteuer und Kapitalertragsteuer) von insgesamt 45,63 Prozent. Im Vergleich dazu beträgt die Steuerbelastung bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften bis zu 55 Prozent. Durch den progressiven Einkommensteuersatz und den Gewinnfreibetrag liegt die Steuerbelastung aber auch hier in aller Regel unter 55 Prozent.
    Diese annähernd gleiche Steuerbelastung gilt aber nur für ausgeschüttete Gewinne. Verbleiben die Gewinne im Unternehmen (nicht entnommene Gewinne), so gelten andere Steuersätze. Einzelunternehmen und Personengesellschaften zahlen bis zu 55 Prozent Steuer, Kapitalgesellschaften nur maximal 25 Prozent. Mit anderen Worten: Schon jetzt werden nicht entnommene Gewinne bei Kapitalgesellschaften massiv gegenüber natürlichen Personen begünstigt. Die Begünstigung noch weiter auszubauen, wäre also nicht nur systematisch fragwürdig, sondern hätte auch Auswirkungen auf die Einkommensteuer. Denn wenn die Attraktivität der Kapitalgesellschaften weiter gesteigert wird, wickeln bald alle JournalistInnen, HandelsvertreterInnen und sonstigen Selbstständigen ihre Geschäfte über eine GmbH ab. Und das führt zu entsprechenden Ausfällen bei der Einkommensteuer. Oder es gibt eine vergleichbare Begünstigung für natürliche Personen, was ebenfalls zu entsprechenden Ausfällen bei der Einkommensteuer führt.

    Begünstigung für Unternehmer
    Eine Begünstigung für nicht entnommene Gewinne in der Einkommensteuer gab es übrigens von 2004 bis 2009, eingeführt von Schwarz-Blau. Personengesellschaften konnten nicht entnommene Gewinne bis zu 100.000 Euro pro Jahr mit dem halben Durchschnittssteuersatz versteuern, zahlten also nur die Hälfte ihres eigentlichen Steuersatzes. Eine Verpflichtung zu investieren gab es nicht. Wer das Kapital sieben Jahre am Firmenkonto geparkt hatte, konnte es steuerfrei entnehmen. Eine nette Begünstigung für die private Pensionsvorsorge von Unternehmern, die auch von vielen entsprechend genützt wurde.
    Zurück zum Versprechen der Regierung, wonach eine Senkung der Körperschaftssteuer Unternehmensinvestitionen ankurbeln würde. Nur: Kann das funktionieren? In der wissenschaftlichen Literatur ist diese These umstritten. Grundsätzlich investieren Unternehmen dann, wenn die Nachfrage und die Auslastung entsprechend hoch sind. Die Steuerbelastung ist nachrangig, solange die Investitionen nach Abzug aller Steuern rentabel bleiben. Es ist zu befürchten, dass eine Senkung der Körperschaftssteuer in erster Linie Mitnahmeeffekte produziert. Das heißt, die Unternehmen investieren sowieso, das Geldgeschenk nehmen sie dankbar mit. Die letztmalige Senkung der Körperschaftssteuer 2004 ist ein guter Beleg dafür: Nach der Dotcom-Blase schaltete die Wirtschaft gerade wieder in den Vorwärtsgang, die Steuersenkung brachte nur Mitnahmeeffekte und finanzierte sich so vermeintlich (!) selbst.
    Eine Senkung der Körperschaftssteuer wirkt wie eine Gießkanne, weil sie keinerlei Verpflichtungen für die Unternehmen voraussetzt: Jeder bekommt sie, egal, ob man investiert oder das Geld aufs Bankkonto legt. Tatsächlich zeigen Statistiken und Studien, dass gerade große Unternehmen heute vermehrt in Finanzanlagen statt in Maschinen und Personal investieren. Mitunter könnte eine Senkung der Körperschaftssteuer dieses Missverhältnis also sogar noch weiter verschärfen. Das heißt, wenn man einen Investitionsanreiz setzen will, dann sollte man das gezielt tun. So bringt beispielsweise die Forschungsprämie einen echten Anreiz für Unternehmen mit Forschungsschwerpunkt, ihre Geschäftstätigkeit in Österreich auszubauen, wie das Beispiel Boehringer Ingelheim in Wien zeigt. Das Ausschütten einer Gießkanne aber bringt – abgesehen von den erwähnten Mitnahmeeffekten – wohl eher wenig.

    Kosten, nichts als Kosten
    Die Kosten einer Senkung der Körperschaftssteuer lassen sich nur schätzen. Das Finanzministerium schätzt die budgetären Kosten einer Senkung des allgemeinen Satzes auf 20 Prozent mit 1,5 Milliarden Euro. Eine Senkung des Steuersatzes auf nicht entnommene Gewinne wäre wegen der oben dargestellten Flucht in die Kapitalgesellschaften und der erwartbaren Begünstigung in der Einkommensteuer vermutlich noch erheblich teurer. Die Arbeiterkammer schätzt die Kosten der Maßnahme daher auf 2 bis 2,5 Milliarden Euro.
    Das Körperschaftssteueraufkommen im Jahr 2017 betrug nicht ganz 8,5 Milliarden Euro. Das sind 5,6 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Damit liegt Österreich unter den Schlusslichtern in der OECD. Schon jetzt werden über 80 Prozent des Steueraufkommens von ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen erbracht. Eine Senkung der Körperschaftssteuer würde dieses Missverhältnis weiter verschärfen und dem Staat wichtige Einnahmen für die Finanzierung von Schulen, Krankenhäusern und Kultureinrichtungen entziehen. Eine Selbstfinanzierung über höhere Investitionen darf bezweifelt werden.

    Schädlicher EU-Steuerwettbewerb
    Gegen die Senkung der Körperschaftssteuer spricht auch ein anderes Argument: Es gibt keinen Wirtschaftsraum der Welt, in dem der Steuerwettbewerb so intensiv ist wie in der EU. Noch Mitte der 1990er-Jahre betrug der durchschnittliche EU-Körperschaftssteuersatz ganze 35 Prozent. Heute, mehr als 20 Jahre später, liegt der Durchschnitt unter 25 Prozent. Spitzenreiter im negativen Sinne ist Ungarn, wo seit 2017 der Körperschaftssteuersatz bei neun Prozent liegt. Dieser Steuerwettbewerb ist ruinös: Multinationale Großkonzerne zahlen kaum noch Steuern, den Regierungen fehlt das Geld für wichtige Zukunftsinvestitionen. Warum sich Österreich daran beteiligen sollte, bleibt schleierhaft.
    Wenn es stimmt, dass die Bundesregierung kein Steuerdumping betreiben will, wie sie im Regierungsprogramm angekündigt hat, dann sollte sie von einer Senkung der Körperschaftssteuer Abstand nehmen und sich für einen EU-weiten Mindeststeuersatz einsetzen. Die laufende Diskussion über die Richtlinienvorschläge der EU-Kommission zur Harmonisierung der Körperschaftssteuersysteme in der EU ist ein guter Rahmen dafür. Eine Harmonisierung mit Mindeststeuersatz würde nicht nur die Steuertricks der Konzerne erschweren, sondern auch dem Steuerwettbewerb einen Riegel vorschieben. Will man einen wirtschaftlichen Impuls setzen, sollte man eine zielgerichtete Investitionsbegünstigung einführen. Oder am besten gleich die ArbeitnehmerInnen entlasten: Das stärkt den Konsum und damit die Nachfrage, und eine bessere Investitionsbegünstigung gibt es nicht.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren dominik.bernhofer@akwien.at und martin.saringer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Dominik Bernhofer, Martin Saringer, Abteilung Steuerpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628440 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628425 Standortpolitik, die; weiblich Die neue Regierung präsentiert sich gerne als dynamisch und als Motor der Veränderung. Dabei könnte die Entwicklung von Frauen am Arbeitsmarkt in den letzten Jahrzehnten als Benchmark dienen: Neben einer steigenden Erwerbsbeteiligung sticht vor allem die unglaublich rasante Entwicklung bei der Bildung ins Auge. Es wäre also mehr als vernünftig, dieses Potenzial auch wirtschaftlich zu nutzen.
    Denn Volkswirtschaften verlieren durch Benachteiligung von Frauen viel ökonomisches Potenzial. Das behauptet nicht eine radikal-feministische Vereinigung, sondern McKinsey, also eines der größten Unternehmens- und Strategieberatungsunternehmen der Welt. In seiner Studie „The Power of Parity“ hat es berechnet, dass die Wirtschaftsleistung (BIP) in Österreich bis 2025 um knapp 40 Milliarden Euro steigen könnte, würde die soziale und wirtschaftliche Benachteiligung von Frauen beseitigt. Voraussetzung dafür wäre, dass sich insbesondere die Frauen-Erwerbstätigenquote und die Anzahl der von Frauen geleisteten Erwerbs-Arbeitsstunden denen der Männer annähern.

    Arbeit mit und ohne Geld
    Frauen verdienen zwar weniger und sind oft in Teilzeit. Sie arbeiten aber insgesamt sogar mehr als Männer, weil sie den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten. Mit Erwerbstätigkeit, Hausarbeit und Kinderbetreuung kommen sie auf 65 Arbeitsstunden pro Woche – um zwei mehr als die Männer. Viele Frauen sind auch nicht freiwillig in Teilzeit: 55 Prozent geben an, dies aufgrund von Betreuungspflichten oder aus anderen familiären Gründen zu tun. Vor diesem Hintergrund ist es sehr problematisch, dass ab 2019 keine Bundesmittel mehr für den Ausbau der Kinderbetreuung vorgesehen sind und die Mittel für die Ganztagesschulen de facto halbiert wurden. Denn beides wäre dringend notwendig, um Frauen ein höheres Stundenausmaß zu ermöglichen.
    Schließlich sollte Volkswirtschaft vernünftigerweise die Talente aller zu nutzen wissen und erst recht die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die durch Ausbildung erworben und verbessert wurden. Lange Zeit lagen Frauen im Haupterwerbsalter (zwischen 25 und 64 Jahren) weit hinter den Männern zurück. Im Jahr 1981 hatte mehr als die Hälfte dieser Frauen maximal einen Pflichtschulabschluss, aber keine darüber hinausgehende Ausbildung. Das hat sich radikal geändert: Bis 2015 ist dieser Anteil auf ein Fünftel zusammengeschrumpft.
    Am anderen Ende der Ausbildungsskala geht die Dynamik in die gegenteilige Richtung: Vor 35 Jahren waren Frauen mit einem höheren Abschluss eine kleine Minderheit: nur 6 Prozent hatten Matura und nur 3 Prozent eine Akademie oder Universität absolviert. Kaum wiederzuerkennen ist das Bild 2015: 15 Prozent der Frauen haben Matura, 18 Prozent einen darüber hinausgehenden Abschluss. Kurz gesagt: Während es zunehmend kaum noch Frauen im Erwerbsalter ohne Ausbildung gibt, „explodiert“ die Zahl jener, die sehr gut (aus)gebildet sind. Natürlich ist in dieser generellen Entwicklung auch die Zahl der Männer mit höheren Bildungsabschlüssen stark gewachsen, aber Frauen haben sie überholt. So hat fast die Hälfte (47 Prozent) der Frauen zwischen 25 und 34 Jahren Matura oder einen höheren Abschluss. Bei den Männern sind es mit 37 Prozent zwar immer noch viele, aber doch deutlich weniger.

    Brachliegende Kompetenzen
    Aus Sicht der Wirtschaft sind Ausbildungen natürlich vor allem dann relevant, wenn sie auch am Arbeitsmarkt zur Anwendung kommen. Das ist definitiv der Fall, immer mehr Frauen sind am Arbeitsmarkt aktiv. Während die Erwerbstätigenquote der Männer in den letzten 20 Jahren von 77 Prozent auf 76 Prozent leicht gesunken ist, ist die der Frauen spürbar angestiegen. Lag sie 1997 noch bei 58 Prozent, hat sie mittlerweile auf 68 Prozent angezogen und rückt damit immer weiter zunehmend an jene der Männer heran.
    Das Wissen und die Fertigkeiten, die Frauen erwerben, finden also direkte Anwendung in der Wirtschaft und sind somit ein wichtiger Beitrag zur Produktivität und damit dem Standort Österreich. Wie wichtig es ist, die Kompetenzen der Frauen zu nutzen, wird auch daraus ersichtlich, dass die Wirtschaftskammer in einer Metaanalyse von 180 Standort-Rankings den Fachkräftemangel als das größte Problem für die Standortqualität einstuft. Es wäre also nicht gerade smart, Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.

    Was macht die Regierung?
    Es wäre unfair zu sagen, die Regierung verfolge im Bereich Frauen eine reine Retro-Politik. Sie spricht sich sehr wohl für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, Gleichstellung am Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit für Frauen aus. Allerdings gibt es im Frauenkapitel des Regierungsprogramms keine konkreten Maßnahmen zur Förderung von Frauen im Berufsleben und nur wenige Vorschläge zur Verringerung der Einkommensschere, die noch dazu sehr allgemein gehalten sind. Die geringe Ambition zeigt sich auch beim Frauenbudget, das mit 10,2 Millionen Euro – das sind etwas über zwei Euro pro Frau in Österreich – sogar hinter die Ausgaben von 2017 zurückfällt.
    Auch in die Qualifikation von arbeitsuchenden Frauen soll offenbar weniger investiert werden als bisher. Die langjährige Vorgabe, dass 50 Prozent der Mittel aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik beim Arbeitsmarktservice (AMS) für Frauen zu verwenden sind, ist im Regierungsprogramm nicht mehr enthalten. Sie wurde zwar vorläufig durch die Sozialpartner ins aktuelle AMS-Budget wieder hineinverhandelt, allerdings vor dem Hintergrund einer massiven Kürzung der Mittel.
    Auch wenn Frauen- und Familienpolitik getrennte Felder sind, so hat Letztere doch massiven Einfluss auf die Erwerbs- und Einkommenschancen von Frauen. Ein Schlüsselfaktor dabei ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und die hängt wiederum stark vom Angebot ganztägiger Betreuung in der Elementarbildung und Schule ab. Obwohl das Regierungsprogramm in diesen Bereichen sehr viele positive Absichtserklärungen enthält, spricht das türkis-blaue Budget eine deutlich andere Sprache. So fehlen ab 2019 die Mittel für einen weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, enthalten ist lediglich eine Absichtserklärung, diese bis August des heurigen Jahres zu verhandeln. Bei der Ganztagsschule wurden jene Mittel, die bis 2025 zur Verfügung gestellt werden sollten, bis 2032 gestreckt. Das ist nichts anderes als de facto eine Halbierung. Viele Eltern werden nichts mehr davon haben, dass ein ganztägiger Platz in der Schule für ihr Kind zur Verfügung steht, weil das Kind in der Zwischenzeit dem schon entwachsen ist.

    Vom Arbeitsmarkt gedrängt
    Auf der arbeitsrechtlichen Seite schafft die geplante Verlängerung des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes Anreize zu langen Berufsunterbrechungen, statt einen frühen Wiedereinstieg zu unterstützen. Statt partnerschaftliche Teilung und eine Annäherung der Arbeitszeiten zwischen Paaren zu unterstützen, wird mit dem 12-Stunden-Tag die gegenteilige Entwicklung forciert. So werden Frauen vom Arbeitsmarkt gedrängt.
    Wenig hilfreich ist auch der Familienbonus, der mehr als 1,5 Milliarden Euro jährlich kosten wird. Dabei gehen allerdings Familien mit geringen Einkommen oder in prekären Lebensumständen wie Arbeitslosigkeit leer aus. Schon das ist wirtschaftspolitisch wenig sinnvoll, weil Menschen mit geringen Einkommen eine hohe „Konsumneigung“ haben, sprich: ihr Geld zur Gänze ausgeben (müssen) und so wiederum die Wirtschaft ankurbeln.
    Man hätte aber mit dem Geld für den Familienbonus wirtschaftlich noch viel mehr bewegen können, wenn man die Mittel in die Kinderbetreuung und Elementarbildung investiert hätte. Damit hätte man österreichweit flächendeckende Plätze und Vollzeit-Öffnungszeiten finanzieren,  eine der größten Hürden für die Frauenerwerbstätigkeit beseitigen und die Basis für erfolgreiche Bildungskarrieren durch gute Frühförderung schaffen können.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sybille Pirklbauer, Abteilung Frauen und Familie der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628409 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628390 Maßgeschneidert für die Großen Das Lobbying der Wirtschaftsverbände und die Wahlkampfspenden einiger Industrieller haben sich gelohnt. Im Regierungsprogramm finden sich zahlreiche Vorschläge, um die Unternehmen vom „Joch der Bürokratie“ und der „hohen Abgabenlast“ zu befreien. Bei näherer Analyse wird rasch klar: Es ist ein maßgeschneidertes Programm für die ganz Großen.

    Einschränkung der Transparenz
    Mit einer Reihe von Maßnahmen zum vermeintlichen „Bürokratieabbau“ zielt die Regierung darauf ab, der Öffentlichkeit Informationen über Unternehmen und Konzerne vorzuenthalten. Um die wirtschaftliche Lage von Unternehmen beurteilen zu können, braucht es verlässliche Daten. Hier liefert die Statistik Austria unverzichtbare Grundlagen. Im Regierungsprogramm ist nun eine Entlastung der Unternehmen von statistischen Meldepflichten angekündigt. Dort ist von „überbordenden Melde- und Informationspflichten“ die Rede. Dies geht ganz klar in Richtung des Abbaus von Transparenz. Bei anderen Quellen wie dem Firmenbuch richtet sich der Umfang der veröffentlichten Daten nach der Unternehmensgröße. Die 105.000 Kapitalgesellschaften des Landes müssen im Firmenbuch Jahresabschlussdaten hinterlegen. Bei kleinen Gesellschaften (bis 50 MitarbeiterInnen) reicht eine verkürzte Bilanz. Bei den rund 5.500 mittelgroßen Gesellschaften (50 bis 250 MitarbeiterInnen) muss zusätzlich eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung veröffentlicht werden. Nur bei den rund 1.200 großen Kapitalgesellschaften (ab 250 MitarbeiterInnen) ist ein vollständiger Jahresabschluss zu hinterlegen.
    Wie steht es nun eigentlich um die österreichischen Unternehmen? Die Arbeiterkammer verfügt über eine eigene Bilanzdatenbank, in welcher die vollständigen Jahresabschlüsse der größten heimischen Unternehmen (ohne Finanz- und Versicherungswirtschaft) erfasst werden. Damit werden nicht nur Branchenanalysen erstellt, sondern jährlich auch der AK-Unternehmensmonitor. Mit diesem Instrument wird die wirtschaftliche Performance der größten 1.000 gewinnorientierten Kapitalgesellschaften analysiert. In diesen ist rund ein Fünftel aller unselbstständig Erwerbstätigen beschäftigt.

    Tolle Performance
    Die wirtschaftliche Performance zwischen 2014 und 2016 kann sich sehen lassen. Im Schnitt ergibt sich 2016 eine operative Gewinnspanne von 4,3 Prozent. Damit bleiben den Unternehmen aus dem eigenen Geschäft von 100 Euro Umsatz mehr als vier Euro an Gewinn. Ein Viertel der Unternehmen erwirtschaftet sogar Quoten von über 7,3 Prozent. Die Sachgüterindustrie erweist sich als besonders ertragsstark: Im Schnitt erzielen die heimischen Industrieunternehmen eine Gewinnspanne von 5,6 Prozent, das beste Viertel sogar über 8,3 Prozent. Vor diesem Hintergrund lohnen sich Investitionen ins Unternehmen. Denn auch die Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals brachte den Gesellschaftern in den letzten Jahren zweistellige Spitzenrenditen. Die durchschnittliche Eigenkapitalrentabilität konnte sich 2016 nochmals verbessern und liegt bei sehr lukrativen 11,9 Prozent. Die Hälfte der Unternehmen erwirtschaftete Renditen von über 13,9 Prozent. Beim besten Viertel (250 Unternehmen) liegt die Eigenkapitalrentabilität sogar jenseits von 28 Prozent. Von den guten Gewinnen profitieren die Aktionäre, nicht nur durch Renditen und die Steigerung des Unternehmenswertes, sondern auch in Form von sehr hohen Ausschüttungen. Konkret wurden im Durchschnitt 33,4 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme an die Eigentümer ausbezahlt.

    Aus der Krise gelernt
    Die Auswertung der Bilanzdaten bescheinigt den Unternehmen eine gesunde, straffe Finanzierungsstruktur und legt den Schluss nahe, dass die großen Unternehmen aus der Krise, den volatilen Märkten und restriktiveren Kreditvergaben gelernt haben. Im Jahr 2016 konnte sich die Eigenkapitalquote weiter verbessern und liegt im Durchschnitt bei sehr guten 41,2 Prozent – ein sicherer „Krisenpolster“ für die Zukunft. Nur acht der tausend großen Unternehmen sind buchmäßig überschuldet. Auch die Zahlungsfähigkeit – ein weiterer Stabilitätsindikator – erweist sich mit einem Liquiditätsgrad von 117 Prozent als äußerst zufriedenstellend. Sollte es zu finanziellen Engpässen kommen, sind die großen Kapitalgesellschaften gut gerüstet und verfügen über ausreichend liquide Mittel, um mögliche Schwierigkeiten kurzfristig zu überbrücken.
    Der nominelle, das heißt der im Gesetz verankerte Steuersatz für Körperschaften liegt seit der letzten Senkung bei 25 Prozent. Seitens der Bundesregierung gibt es Überlegungen, die Körperschaftssteuer weiter zu reduzieren. Der gesetzliche Steuersatz sagt allerdings wenig über die tatsächliche Unternehmensbesteuerung aus. Durch viele bilanzpolitische (Ausnutzung von Bewertungsspielräumen) und konzernpolitische Maßnahmen (Verrechnungspreisgestaltung, Marken- und Lizenzrechte etc.) wird bereits im Vorfeld der im Inland zu versteuernde Gewinn auf ein Minimum gedrückt.

    Geringer Obolus noch zu viel?
    Stellt man den bereits reduzierten Gewinn der tatsächlich abgeführten Gewinnsteuer gegenüber, dann liegt der effektive Steuersatz bei den großen Kapitalgesellschaften im Jahr 2016 bei 20,5 Prozent (Industrieunternehmen: 18,7 Prozent) – und damit signifikant unter dem gesetzlichen Steuersatz. Die Ursachen liegen in der Verwertung von Verlustvorträgen, der Gruppenbesteuerung und anderen Steuerbegünstigungen. Da im Vorfeld mit allen Mitteln versucht wird, die Bemessungsgrundlage zu drücken, liefert die effektive Steuerquote keinen ausreichenden Anhaltspunkt für eine Steuer- oder Standortdebatte. Setzt man die Körperschaftssteuer in Relation zur Betriebsleistung, zeigt sich, dass bei den Großen im Durchschnitt von 100 Euro Umsatz gerade einmal 1,22 Euro an Gewinnsteuer abgeführt werden. Dieser geringe Obolus an den Fiskus erscheint noch zu viel: Es gibt im Regierungsprogramm Überlegungen, das Steuerrecht an das Unternehmensbilanzrecht anzugleichen sowie degressivere Abschreibungen auch im Steuerrecht zu erlauben. Dies würde zu einem weiteren Absinken der Steuerbemessungsgrundlage führen. Die Regierungsideen gehen noch weiter: Von einer Halbierung der Steuer auf nicht entnommene Gewinne bis zu einer generellen Tarifsenkung ist alles möglich.
    Wer profitiert von der Halbierung des KÖSt-Satzes auf nicht entnommene Gewinne? Zum Beispiel Dietrich Mateschitz mit seiner Red Bull GmbH (2016: 3,4 Mrd. Euro Umsatz, 702 Mio. Ergebnis vor Steuern). An sich kann man Red Bull steuerlich nichts vorwerfen: Es gibt keine Steuerumgehungskonstruktionen (Lizenzzahlungen, Steueroasen), sondern das Unternehmen zahlt angemessen Körperschaftssteuer in Österreich. Doch der Plan der Regierung ist wie gemacht für reiche Eigentümer. Ein Unternehmen wirft viel Gewinn ab, der nicht oder nicht zur Gänze benötigt wird. Bei Red Bull wurde in den letzten Jahren nur die Hälfte ausgeschüttet, der Rest blieb im Unternehmen. Durch eine Halbierung des Steuersatzes auf nicht entnommene Gewinne hätte sich Dietrich Mateschitz für die Jahre 2015 und 2016 zusammen 110 Millionen Euro Körperschaftssteuer erspart.
    Neben der Senkung der Körperschaftssteuer und des Bürokratieabbaus sieht das Regierungsprogramm auch eine Senkung der Lohnnebenkosten vor. Der erste, bereits heftig diskutierte Schritt soll eine Absenkung der Beiträge zur Unfallversicherung, die derzeit 1,3 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme ausmachen, auf 0,8 Prozent sein. Während dies für die vielen kleinen Unternehmen keine nennenswerte Ersparnis bringt und ein Kollaps der Unfallversorgung droht, wandert das Geld zurück in die Taschen der Konzernherren. So sparen sich allein die Handelsriesen Billa und Spar jeweils knapp drei Millionen Euro pro Jahr.
    Wie die Zahlen des AK-Unternehmensmonitors zeigen, sind die großen Unternehmen wirtschaftlich gut aufgestellt. Es braucht daher nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an gesellschaftlicher Verantwortung. Die großen Unternehmen sollten in Form eines fairen Steueranteils und durch die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen, anstelle einer weiteren Ausweitung der Arbeitszeit, vermehrt ihren Beitrag leisten. 

    Der Unternehmensmonitor 2018 erscheint Ende Mai unter:
    www.arbeiterkammer.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.oberrauter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Markus Oberrauter, Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628384 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628314 Budget der vergebenen Chancen Im ersten Budget der neuen Regierung werden entscheidende Herausforderungen nicht angegangen, obwohl die gute wirtschaftliche Ausgangslage beträchtliche Gestaltungsspielräume eröffnen würde. Die AK-Budgetanalyse zeigt, dass diese nicht für Zukunftsinvestitionen und Verbesserungen im Wohlfahrtsstaat genutzt wird, sondern vor allem für einseitige Steuersenkungen, von denen in erster Linie besser Situierte profitieren.

    Weniger Zukunftschancen
    Trotz des aktuellen Konjunkturaufschwungs liegt die Zahl der Arbeitslosen nach wie vor um 60 Prozent über dem Niveau vor der Wirtschaftskrise 2008 – das sind knapp 130.000 Personen mehr. Dessen ungeachtet werden die Mittel für das AMS gekürzt und die Aktion 20.000 gestrichen. Dadurch kann etwa das von der AK vorgeschlagene Qualifizierungsgeld, mit dem man 40.000 Weiterbildungsplätze für gering qualifizierte ArbeitnehmerInnen schaffen hätte können, nicht eingeführt werden. Österreich ist vom Ziel der Vollbeschäftigung weit entfernt. Hinzu kommt, dass ab dem Jahr 2020 ein erneuter Anstieg der Arbeitslosigkeit droht.
    Auch in der Bildung wird gespart. Der durch die vorige Regierung initiierte Ausbau der Ganztagesbetreuung in Schulen wird verzögert. Dabei braucht es für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen ausreichend Ressourcen: Durch die Einführung des Chancenindex würden Schulen mit vielen benachteiligten SchülerInnen mehr Mittel bekommen und könnten etwa mehr Förderangebote und pädagogisches Unterstützungspersonal aufbringen.
    Die rasche Integration von Geflüchteten in das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft gilt laut Einschätzung aller einschlägigen ExpertInnen als ein taugliches Instrument für eine sozial-, wirtschafts- und budgetpolitisch erfolgreiche Politik. Aktuell werden die Mittel für Deutschkurse und berufliche Qualifikationen am Arbeitsmarkt und jene für DeutschlehrerInnen und SozialarbeiterInnen in der Bildung gekürzt. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Betroffenen, deren Abhängigkeit von Staatstransfers ansteigt, sondern – angesichts des dadurch ungenutzten Potenzials an Wissen und Leistung − auch auf die Gesellschaft insgesamt.

    Weniger Wohlfahrtsstaat
    Für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wurden Einsparungen in Höhe von 500 Millionen Euro angekündigt. Dies entspricht einer Kürzung von knapp einem Drittel des AUVA-Budgets und würde zu Leistungskürzungen in der Unfall- und Gesundheitsversorgung für die Versicherten – zu denen neben ArbeitnehmerInnen auch Studierende und SchülerInnen zählen – führen.
    500 Millionen Euro hätte die AUVA einsparen sollen. Entgegen einiger Bekundungen seitens der Regierung wäre dies nicht einmal dann möglich, wenn man die gesamte Verwaltung streichen würde, denn deren Gesamtkosten betragen nur 90 Millionen Euro. Geplant ist, dass die bei der AUVA eingesparte Summe über eine Lohnnebenkostensenkung den Unternehmen zugutekommt. Das System, in dem gespart wird, ist aber letztlich das Gesundheitssystem.

    Unterschätzter Pflegeregress
    Zu wenig Geld wurde auch für den Ausgleich der Abschaffung des Pflegeregresses den Ländern und Gemeinden zur Verfügung gestellt. Berechnungen des Städtebundes gehen – aufgrund steigender Nachfrage nach Heimplätzen – von einem Mehrbedarf von 530 bis 650 Millionen Euro aus. Im aktuellen Budget sollen sie weniger als ein Fünftel davon erhalten. Mit Einführung einer zweckgewidmeten Erbschaftssteuer für die Finanzierung der Pflege könnten rund 650 Millionen Euro an Steueraufkommen lukriert und damit der dringend benötigte Ausbau von Pflegeleistungen erreicht werden.
    Obwohl die Regierung Personalaufstockungen in einigen Bereichen des öffentlichen Dienstes plant, sollen die ausgegliederten Unternehmen wie die ÖBB oder die Statistik Austria rund 2.000 Arbeitsplätze einsparen. Ökonomisch unsinnig ist die Streichung von 171 Planstellen in der Finanzverwaltung. Zudem scheinen in den aktuellen Budgetunterlagen 80 Planstellen, die noch Anfang 2018 in der Finanzverwaltung angesetzt waren, nun jeweils zur Hälfte im Verfügungsbereich von Kanzler und Vizekanzler auf. Langfristig können Kürzungen – gerade bei der innerhalb der Finanzverwaltung angesiedelten Betriebsprüfung – den Staat teuer zu stehen kommen: Ein Betriebsprüfer bringt durchschnittlich das bis zu 30-Fache seines Jahresgehalts an Steuern ein. Im Jahr 2016 betrug das steuerliche Mehrergebnis aus allen Prüftätigkeiten rund 1,8 Milliarden Euro – dies entspricht etwa der Finanzierung jedes dritten Kindergartens und jeder dritten Volksschule.
    Während in der Finanzverwaltung gespart wird, soll es für Unternehmen im Rahmen einer Ausweitung des sogenannten „Horizontal Monitorings“ weniger Kontrollen geben. Zudem werden die Strafzahlungen für Verstöße seitens der Unternehmen – etwa gegen Arbeitszeitregelungen – künftig gedeckelt. Die verstärkte Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung sowie Lohn- und Sozialdumping wäre allerdings ein wichtiger Schritt für eine Reduktion ungerechter Arbeitsbedingungen sowie eine gerechtere Steuerstruktur.

    Leere Versprechen
    Entgegen den Ankündigungen im Regierungsprogramm sind für die Bekämpfung von Steuerbetrug und -umgehung keine großen Maßnahmen geplant. Dies wird durch die geplante Reduktion der Zahl der FinanzprüferInnen und das Ablehnen der Veröffentlichung der Unternehmensberichte im Rahmen des Country-by-Country-Reportings (CbCR) seitens des Finanzministers noch verschärft. Damit bleibt die Verteilung der Erträge, Steuern und Geschäftstätigkeit multinationaler Konzerne weiter unter Verschluss, obwohl dies ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer fairen Besteuerung wäre.

    Mehr für manche
    Der Familienbonus ist mit budgetierten Mindereinnahmen von über einer Milliarde Euro die steuerlich bedeutendste Maßnahme. Laut einer Schätzung des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik werden rund zehn Prozent der Haushalte nicht davon profitieren – dies betrifft rund 150.000 Kinder, und weitere 26 Prozent der Haushalte können die Maßnahme nicht zur Gänze ausschöpfen – dies betrifft rund 550.000 Kinder. Familienpolitisch bedeutet die Steuersenkung für Familien einen weiteren Anstieg des im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Anteils an Geldleistungen. Eine äquivalente Steigerung der Ausgaben für die Kinderbetreuung hätte hingegen unter anderem die Finanzierung von 37.000 neuen Plätzen für die Frühförderung, flächendeckend ganztägig und ganzjährig geöffneten Kindergärten sowie das zweite kostenlose Kindergartenjahr für alle möglich gemacht.
    Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes im Tourismus von 13 auf zehn Prozent kostet rund 120 Millionen Euro. Angesichts immer neuer Nächtigungsrekorde und steigender Preise sind beträchtliche Gewinnsteigerungen der Hoteliers zu erwarten – die dafür weder zusätzliche Investitionen tätigen noch die Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten verbessern müssen.

    Später spürbare negative Folgen
    Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik braucht einen Wohlfahrtsstaat, auf den die Menschen sich in schwierigen Situationen verlassen können. Gerade jene Bereiche, in denen aktuell besonders bei benachteiligten Gruppen gekürzt wird, sollten daher ausgebaut werden: Arbeitsmarkt, Frühförderung, Bildung und Pflege. Von den neuen Maßnahmen im vorliegenden Budgetentwurf profitieren hingegen insbesondere Tourismusunternehmen, aber auch jene Unternehmen, die sich nicht an Gesetze halten. Der Familienbonus kann von einem Drittel der Familien nicht bzw. nicht im vollen Ausmaß in Anspruch genommen werden. In diesem Sinne ist das Budget eines der vergebenen Chancen – in einigen Jahren, wenn die Konjunktur wieder abflacht, kann dies deutlich spürbar werden.

    AK-Budgetanalyse:
    tinyurl.com/yb5v9h8z

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin romana.brait@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Romana Brait, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628301 Die neue Regierung geht entscheidende Herausforderungen nicht an, obwohl die gute wirtschaftliche Lage beträchtliche Gestaltungsspielräume eröffnen würde. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 14 May 2018 00:00:00 +0200 1525917628293 Budget = Prioritäten setzen Das Budget ist in Zahlen gegossene Politik. Die strategischen Schwerpunkte eines Regierungsprogrammes spiegeln sich somit in den Anforderungen der Budgetpolitik. In der Kreisky-Ära galt – auch aufgrund der Erfahrungen des Bundeskanzlers in der Zwischenkriegszeit – Vollbeschäftigung als wichtigstes wirtschaftspolitisches Ziel. Entsprechend wurde das Budget als eines der Instrumente der Beschäftigungspolitik eingesetzt. Mit Erfolg, denn in Österreich blieb die Arbeitslosenquote bis Anfang der 1980er-Jahre – und damit länger als in fast allen anderen europäischen Ländern – unter zwei Prozent der unselbstständigen Erwerbspersonen. Entgegen der öffentlichen Meinung geschah dies übrigens nicht auf Kosten der Budgetzahlen: Unter Finanzminister Androsch wies Österreich von 1970 bis 1974 durchgehend erhebliche Budgetüberschüsse auf und das Defizit in der gesamten Vollbeschäftigungsperiode bis 1982 lag mit durchschnittlich 1,5 Prozent des BIP pro Jahr niedriger als im EU-Durchschnitt und in Deutschland.

    Sozialstaat und Abgabenquote
    Beginnend mit den 1960er-Jahren und noch bis Mitte der 1990er-Jahre prägten Auf- und Ausbau des Wohlfahrtsstaates die Budgetpolitik. Die Sozialquote, also der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Soziales und Gesundheit, stieg von 20 auf 30 Prozent des BIP. Inkludiert man die Ausgaben für Bildung, dann gehen heute sieben von zehn Euro der Staatsausgaben in diese drei Bereiche. Nahezu völlig parallel zum Anstieg der Sozialquote stieg auch die Abgabenquote, der Anteil von Steuern und Beiträgen am BIP, von 32 auf 42 Prozent. Denn der Politik und der Gesellschaft war klar, dass ein Ausbau des sozialen Sicherungssystems aus Steuern und Beiträgen finanziert werden muss und nicht aus Kreditaufnahmen.
    Die politischen Alternativen sind also recht eindeutig definiert: gutes Sozialsystem kombiniert mit hoher Abgabenquote oder niedrige Steuern verbunden mit schlechtem Sozialsystem. Österreich hat seinen Weg gewählt, nicht zum Schaden der Menschen und der Wirtschaft im Land.

    Das Erbe der Bankenrettung
    Dennoch ist über die Jahrzehnte die Schuldenquote, also der Anteil der Bruttoschulden des Gesamtstaates am BIP, gestiegen, von 43 Prozent am Ende der Ära Kreisky auf 65 Prozent im Jahr 2007 und 85 Prozent im Jahr 2015. Der sprunghafte Anstieg in der Finanzkrise nach 2007 ist das Ergebnis der umfangreichen Hilfen für das Bankensystem (30 Milliarden Euro) und des tiefen Wirtschaftseinbruchs, der die Staatseinnahmen nach unten drückte und die Ausgaben für die Arbeitslosigkeit nach oben schnellen ließ. Doch selbst im Jahr 2016 haben die öffentlichen Vermögenswerte die Schulden merklich überstiegen. Staatliche Infrastruktur (Schienennetz, Straßen, Wohnbau, Bildungseinrichtungen und Ähnliches), staatliche Unternehmensbeteiligungen, Finanzvermögen und Grundstücke wurden mit Kreditaufnahme finanziert.

    Kuriose Unterlassung
    Aus ökonomischer Sicht ist das vernünftig, weil dieser öffentliche Kapitalstock den künftigen Generationen zugutekommt. Doch kurioserweise wird das öffentliche Vermögen in internationalen Vergleichen oder budgetpolitischen Analysen gar nicht berücksichtigt, ganz im Gegenteil zum Unternehmenssektor, wo es einem niemals einfallen würde, die Solvenz eines Unternehmens nur anhand seiner Schulden und nicht auch anhand seines Anlagevermögens zu beurteilen.
    Eine markante Trendwende in den Zielsetzungen der Budgetpolitik ging von den EU-Vorgaben aus: Stabilitätspakt und Fiskalpakt stellten die Erreichung von Budgetzielen – mittelfristiges strukturelles Nulldefizit und Schuldenquote von 60 Prozent des BIP – in den Mittelpunkt. Österreich hat diese Weichenstellung akzeptiert und die budgetpolitische Strategie neu ausgerichtet. Das strukturelle Defizit wurde durch einen ausgewogenen Maßnahmenkatalog aus Steuererhöhungen und Ausgabeneinsparungen von drei Prozent in der Finanzkrise 2009 auf 0,3 Prozent im Jahr 2015 zurückgeführt.
    Die Staatsschuldenquote reagiert langsamer, sie erreicht dieses Jahr 74 Prozent des BIP, wird 2021 das Vorkrisenniveau von 65 Prozent und 2023 auch die Marke von 60 Prozent des BIP unterschreiten. Im Wesentlichen war das Budget aber im Jahr 2015 saniert.
    Österreich erfüllt also die Fiskalkriterien der EU. Und jetzt bei saniertem Budget und guter Wirtschaftslage stellt sich die Frage nach den budgetpolitischen Prioritäten noch einmal sehr explizit.

    Verschiedene Strategien
    Strategie I stellt zwei Ziele in den Mittelpunkt: erstens ein Nulldefizit, selbst wenn, wie derzeit in den Prognosen festgehalten wird, die Arbeitslosigkeit ab 2020 wieder zu steigen droht. Zweitens die Senkung der Abgabenquote auf unter 40 Prozent des BIP, mit Schwerpunkten der Steuersenkung für Besserverdiener (Ausschaltung der kalten Progression, Familienbonus nicht für das untere Einkommensdrittel der Familien), die Großunternehmen (Senkung des Körperschaftssteuersatzes, Begünstigung von nicht entnommenen Gewinnen) und einzelne Lobbys (Mehrwertsteuersenkung Tourismus, Abschreibungsregeln für Immobilienwirtschaft).
    Strategie II stellt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Investitionen in sozialen Zusammenhalt und ökologischen Umbau in den Mittelpunkt: etwa in die aktive Arbeitsmarktpolitik durch Stärkung der Vermittlung und Qualifizierung der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten für gute Jobs; in die Integration der Geflüchteten in das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft; in den weiteren Ausbau von Kindergärten und Krippen und die bessere Bezahlung der dort beschäftigten LeistungsträgerInnen; in Ganztagsschulen und Schwerpunktmaßnahmen nach dem Chancenindex; in den Ausbau des Pflegesystems, damit der soziale Unterschied zwischen Arm und Reich nicht im Alter nochmals schlagend wird.
    Sie beinhaltet auch Investitionen in den öffentlichen Verkehr, damit der Anteil des motorisierten Individualverkehrs verringert werden kann; in den sozialen Wohnbau, der leistbaren Wohnraum bietet und die Zersiedelung der knappen Bodenflächen vermeiden hilft; in die Erneuerung der Energieerzeugung und der Energienetze; in die Entlastung der Arbeitseinkommen durch Abgaben, damit sich Leistung lohnt.

    Kein Konflikt mit Schuldenabbau
    Strategie II muss übrigens nicht in Konflikt mit der Verringerung der finanzkrisenbedingten Staatsschulden kommen: Momentan entgehen dem Staat Milliardenbeträge durch Steuerhinterziehung und -umgehung sowie den geringen Anteil von vermögensbezogenen Steuern.
    Würde man diese Mittel lukrieren, würde dies budgetäre Spielräume eröffnen, durch die ein nachhaltiger Finanzierungssaldo mit einer ökologisch-sozialen Investitionsstrategie und einer Entlastung der Arbeitseinkommen kombiniert werden kann. Allerdings würde bei steigender Arbeitslosigkeit die Bekämpfung dieser sozialen Geißel Priorität vor einem Nulldefizit haben.
    Die Differenzen in diesen unterschiedlichen politischen Strategien sind nicht nur Grundsatzfragen, sondern sie wirken sich in der konkreten Budgetpolitik jeden Tag aufs Neue aus. Im Budget 2018/19 kam der Unterschied zwischen Strategie I und II auf den Punkt: Wären die Aktion 20.000 für ältere Langzeitarbeitslose (Nettokosten 220 Millionen Euro pro Jahr) oder das Integrationsjahr für Asylberechtigte (100 Millionen Euro) oder das zweite kostenlose Kindergartenjahr (90 Millionen Euro) nicht wichtiger als eine Mehrwertsteuersenkung im Tourismus (120 Millionen Euro pro Jahr)?

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Markus Marterbauer, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917628287 Es gibt mehr Wege zur Null beim Defizit als nur Kürzungen im Sozialbereich. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525917626394 Keine Gerechtigkeit zu finden Die Regierung schreibt: „Wir wollen eine Politik … machen, die neue Schulden so weit wie möglich einschränkt, sich nicht auf dem Rücken der nachfolgenden Generation finanziert.“ So richtig das Ziel ist, sich um das Wohl der nächsten Generation zu kümmern, so falsch ist es, dass dies etwas mit den Staatsschulden zu tun hätte. Wenn der Staat Schulden macht, dann macht er diese bei den jetzt lebenden SparerInnen. In Zukunft bekommen diese bzw. deren ErbInnen Zinsen und Tilgung.

    Kapital der nächsten Generation
    Für die nächste Generation stellt sich nur die Frage, ob sie in Zukunft ein höheres Real- und Humankapital in Form von Infrastruktur und Bildung bekommt – oder eben weniger Staatsschulden, weil zu wenig investiert wurde.

    Genauer betrachtet
    Die Idee, dass alle Generationen ein Recht auf gleiche Ausgangschancen haben, klingt naheliegend, ist es aber bei genauerer Betrachtung nicht. Ziel muss vielmehr sein, dass es den Kindern einmal besser geht und nicht gerade einmal gleich gut. Die Säuglingssterblichkeit etwa betrug noch 1988 (also vor 30 Jahren) 8,1 Gestorbene auf 1.000 Lebendgeburten, inzwischen sind wir bei 3,1 angelangt. Auch die Bildungschancen haben sich seit damals massiv verbessert. Der heutigen Generation nur die gleichen Chancen wie deren Eltern zuzugestehen, wäre eine massive Verschlechterung für die meisten Kinder und jungen Menschen.
    Für die Gerechtigkeit ist relevant, was mit dem geborgten Geld gemacht wird: Wird durch die Senkung von Gewinnsteuern die Spaltung der Gesellschaft für die nächste Generation verschärft oder werden Ausgaben finanziert, welche die Chancen der nächsten Generation auf Bildung, Gesundheit oder auch Integration erhöhen?

    Gespaltene Gesellschaft
    Werden nur niedrige Profitsteuern, kaputtgesparte Schulen und eine in Arm und Reich gespaltene Gesellschaft hinterlassen, so ist das ungerecht gegenüber den nächsten Generationen. Generationengerechtigkeit heißt, der nächsten Generation eine funktionierende Infrastruktur, eine intakte Natur und eine geeinte Gesellschaft zu hinterlassen.
    Interessant ist die Vorstellung der Regierung von einem gerechten Mietrecht. Einerseits soll „nicht in bestehende Verträge eingegriffen werden“, andererseits sollen Mieten auf ein marktkonformes Niveau angehoben werden. Das führt zwangsläufig zu Ungerechtigkeit zwischen Alt- und NeumieterInnen: Junge Leute, die ihre Familie aufbauen, haben die hohen „marktkonformen“ Mieten für zu kleine Wohnungen und die älteren leben in zu großen Wohnungen, die sie nicht aufgeben können, weil eine kleinere Wohnung mit neuem Vertrag teurer wäre. Es ist auch nicht gerecht, wenn das Recht, Mietverträge zu übernehmen, bei privaten Haushalten abgeschafft, bei Betrieben aber ausgebaut wird. Beim Mietrecht scheint die Regierung das gerecht zu finden, was Hausherren und Unternehmern hilft.
    Haus- und Wohnungseigentum soll gefördert werden, während die Mieten für „Besserverdiener im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau“ regelmäßig erhöht werden. Die Konsequenz: Wer genug Geld hat, bekommt eine Förderung für den Kauf seiner Wohnung. Wer nicht ganz so viel hat, bekommt eine höhere Miete.

    Ungleich verteilt
    Die Familienbeihilfe soll für Kinder, die im Ausland leben, an das dortige Preisniveau angepasst werden. Die gering verdienende Pflegekraft, die Kinder im billigen Bulgarien hat, bekommt weniger, der Vorstandsvorsitzende mit Kindern in Paris bekommt mehr. Mit dem Familienbonus bei der Lohn- und Einkommensteuer bekommen jene Eltern mehr, die mehr verdienen. Nicht erwähnt wird die ungerechte Finanzierung von Familienleistungen. Nach wie vor finanzieren Abgaben auf die Lohnsumme die Leistungen für alle, also auch für Unternehmer- und Bauernfamilien.
    Mit dem Pensionskonto besteht in Österreich ein klares Proportionalsystem. Wer mehr und wer länger einzahlt, bekommt mehr Pension. Wer 30 Beitragsjahre hat, bekommt 53,4 Prozent der Bemessungsgrundlage, wer 40 Jahre eingezahlt hat, bekommt 71,2 Prozent, also genau um jenes Drittel mehr, das er oder sie auch länger eingezahlt hat. Große Unterschiede gibt es dagegen bei der Finanzierung: Die Unselbstständigen finanzieren sich ihre Pensionen zu über 85 Prozent aus eigenen Beiträgen, nur 14,4 Prozent kommen aus dem Budget. Die Pensionen der Selbstständigen werden dagegen bei den Unternehmern zu 48 Prozent und bei den Bauern zu 77 Prozent von den SteuerzahlerInnen bezahlt.

    Symbolpolitik
    Nun will die Regierung im Bereich der Ausgleichszulage Symbolpolitik betreiben, die nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat. Die Ausgleichszulage ist eine Zuzahlung des Staates zu niedrigen Pensionen. Diese wird so berechnet, dass die Summe aus Pension und Ausgleichszulage ein Mindestniveau erreicht. Dieses liegt derzeit für Alleinstehende bei 14-mal 909 Euro und 1.363 Euro für Ehepaare, ebenfalls 14-mal. Ein Ehepaar, bei dem ein/e PartnerIn 40 Beitragsjahre hat, soll nun eine höhere Ausgleichszulage bekommen, ein Paar, das zweimal 35, also in Summe 70 oder mehr Beitragsjahre hat, hingegen nicht. Ein System, das weitgehend fair ist, nur aus Populismus umzubauen, wird dadurch aber nicht fairer.
    Die Liste der Gerechtigkeitsfragen im Regierungsprogramm ließe sich fortsetzen. So soll die AUVA, die letztlich eine Haftpflichtversicherung für Unternehmen ist, plötzlich über die Krankenkasse von den Beschäftigten finanziert werden. Ein Unternehmer, der einmal einen Beschäftigten falsch anmeldet, soll dieselbe Strafe bekommen wie einer, der dies mit Hunderten Beschäftigten zum Unternehmensmodell macht.
    Ein Grundsatz einer gerechten Finanzierung wäre, dass jene, die das Glück besserer Startvoraussetzungen und höherer Leistungsfähigkeit haben, auch mehr beitragen. Im Gegenzug gibt es in einer funktionierenden Gesellschaft Lob und Anerkennung und das Versprechen, ebenfalls unterstützt zu werden, wenn es einem einmal schlechter geht.
    Ganz im Gegensatz dazu wird die bestehende Ungerechtigkeit noch verschärft. Für Zins- und Dividendeneinkommen wird schon jetzt ein geringerer Steuersatz verrechnet als für die meisten Arbeitseinkommen: ein einheitlicher von derzeit 27,5 Prozent bzw. 25 Prozent. Obwohl man für Zinsen und Dividenden nichts leisten muss und für Löhne und Gehälter schon. Das Regierungsprogramm plant die Körperschaftssteuer noch weiter zu senken. Und das, obwohl nur die reichsten paar Prozent der österreichischen Gesellschaft Einkommen aus Unternehmensgewinnen in relevanter Höhe haben. Diese profitieren überproportional vom sozialen Frieden in Österreich, tragen aber immer weniger dazu bei.

    Zu wertvoll für Floskeln
    Gerechtigkeit hat viele Seiten und viele Aspekte kann man unter mehreren, auch widersprüchlichen Gerechtigkeitsvorstellungen beurteilen. Sollen die am meisten bekommen, die viel einzahlen, oder jene, die es besonders brauchen, oder jene, die besonders viel für andere tun? Im Wahlkampf war zwar viel von Gerechtigkeit die Rede, im Regierungsprogramm ist davon allerdings nicht viel übrig geblieben. Die Debatte darüber, was gerecht ist, wird also weitergehen – und man muss sie ernsthafter führen, als dies im vorliegenden Regierungsprogramm geschieht. Gerechtigkeit ist ein zu wichtiges Ziel, um es durch Floskeln zu verwässern. Eine faire Wohlstandsverteilung und faire Beiträge dazu von allen müssen wieder im Mittelpunkt der Gerechtigkeitsdebatte stehen.

    Eine handliche Übersicht über philosophische Gerechtigkeitstheorien:
    tinyurl.com/y9a95v3w
    tinyurl.com/y7volryk
    tinyurl.com/ycy8985o
    tinyurl.com/y8op6r8y

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor sepp.zuckerstaetter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sepp Zuckerstätter, Abteilung für Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626386 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525917626333 Interview: Sozialstaat - Der Dorn im Auge der Neoliberalen Arbeit&Wirtschaft: Die türkis-blaue Regierung will den wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort in die Verfassung heben. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben?
    Stephan Schulmeister: Eher sehr kritisch, denn in die Verfassung gehören die grundlegenden Ziele unseres Gemeinwesens. Viel eher würde für mich das Prinzip der Sozialstaatlichkeit als Grundsatz in die Verfassung gehören. Wirtschaft ist ein unglaublich wichtiger Bereich des gesellschaftlichen Lebens, der unserem Wohlergehen dienen soll. Aber sie ist letztlich nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, um gutes Leben zu ermöglichen. Daher bin ich dagegen, den Wirtschaftsstandort als Staatsziel in die Verfassung zu nehmen. Aber wie es scheint, werden sie ohnehin dafür keine Verfassungsmehrheit bekommen.

    Falls doch, würde das negative Auswirkungen für ArbeitnehmerInnen haben?
    Kann sein, aber das halte ich für eher unwahrscheinlich. Es handelt sich dabei um eine Art von „Wischiwaschi-Bestimmung“, denn in dieser Allgemeinheit kann man nicht so ohne Weiteres ganz konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Es ist eher eine ideologische Botschaft: Für uns ist die Wirtschaft etwas ganz Hochrangiges. Genau aus diesem Grunde würde ich vorschlagen, man möge den Grundsatz der Sozialstaatlichkeit in die Verfassung nehmen. Denn Sozialstaatlichkeit ist etwas, das tatsächlich einen Eigenwert hat. Da geht es darum, dass die Absicherung gegen die fundamentalen Risken des menschlichen Lebens – wie Krankheit, Unfall, Armut im Alter, Behinderung, Arbeitslosigkeit – durch die Solidargemeinschaft zu erfolgen hat. Wenn man dieses Prinzip in der Verfassung verankern würde, dann würde sehr bald klar sein, dass dieses Ziel höherwertiger ist als zum Beispiel jenes eines hohen Wirtschaftswachstums.

    Ein weiterer großer Punkt auf der Agenda der Bundesregierung ist der Bürokratieabbau und die Deregulierung für Unternehmen. Welche Wirkung hat das auf den Wirtschaftsstandort?
    Es kommt immer darauf an, welche Einzelmaßnahmen entsprechend dieser Leitlinie gesetzt werden. Wenn die Regierung zum Beispiel unter dem Vorwand, man wolle den bürokratischen Aufwand in der Sozialversicherung reduzieren, de facto die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger reduzieren würde, dann wäre offenkundig, dass diese Regierung mit dem Grundsatz der Sozialstaatlichkeit auf Kriegsfuß steht. Beispiel: Man kann unter dem Titel Bürokratieabbau von der AUVA fordern, sie möge 500 Millionen Euro einsparen. Aufgrund der konkreten Ausgabenstruktur ist aber klar, dass ein solches Einsparungsziel nicht durch Bürokratieabbau erreicht werden kann, sondern nur indem Leistungen für die Versicherten geschmälert werden. Damit werden gleichzeitig die Unternehmer entlastet, weil sie die AUVA ausschließlich allein finanzieren.

    Wie würden Sie das Regierungsprogramm im Allgemeinen bewerten?
    Aus meiner Sicht kann man generell sagen, dass das Regierungsprogramm ganz klar neoliberale Züge trägt. Aber in der Vermarktung und Verpackung wird alles vermieden, um diesen an sich richtigen Anschein zu erwecken. Das heißt, in den Formulierungen bekennt man sich immer wieder zu „unserem Sozialstaat“, man spricht von „wir alle miteinander“, „gemeinsam“ und so weiter. Die Sprache ist sehr stark darauf ausgerichtet, Solidarität zu vermitteln. Die konkreten Inhalte sind aber so, dass geradezu systematisch Menschen umso mehr benachteiligt werden, je schlechter ihre soziale Stellung ist. Das beginnt bei den Kürzungen bei Flüchtlingen und Asylberechtigten. Hier muss man immer wieder betonen: Wer heute in Österreich Asyl bekommt, der hat schon Schreckliches mitgemacht.
    Flüchtlinge befinden sich in der gesellschaftlichen Rangordnung am unteren Ende. Dann kommen die GeringverdienerInnen, mehrheitlich Österreicherinnen und Österreicher, die bis zu einem Monatseinkommen von etwa 1.400 Euro brutto von den Steuersenkungen oder Senkungen des Arbeitslosenversicherungsbeitrages nichts haben. Und je weiter wir nach oben bis zu den Besitzern der Kapitalgesellschaften gehen, desto größer werden die Vergünstigungen, siehe die angekündigte Senkung der Körperschaftssteuer. Das Schlaue – würde ich fast sagen – ist, dass diese systematische Verschärfung der sozialen Ungleichheit sehr geschickt in eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen verpackt wird. Daher ist sie nicht so ohne Weiteres für die allgemeine Öffentlichkeit erkennbar.

    Ist es nicht auch zynisch, Menschen vorzuwerfen, dass sie sich nicht gut genug um eine neue Arbeit bemühen, und ihnen jegliche Absicherung zu nehmen, wenn es auf der anderen Seite offensichtlich nicht genug Jobs für alle gibt?
    Natürlich ist das zynisch, aber das ist quasi das Wesen einer neoliberalen Politik. Das haben bedauerlicherweise schon die deutschen Sozialdemokraten und Grünen vor etwa 15 Jahren umgesetzt und damit die neoliberale Grundannahme übernommen. Die Grundvorstellung lautet: Zwischen dem Apfelmarkt und dem Arbeitsmarkt gibt es keinen Unterschied. Wenn der Apfelhändler auf seinem Angebot sitzen bleibt, dann hat er eben einen zu hohen Preis für die Äpfel verlangt. Und wenn die Arbeitslosen auf ihrem Angebot sitzen bleiben, dann sind sie eben zu teuer. Und damit man Lohnsenkungen durchsetzen kann, muss man zuallererst das Arbeitslosengeld senken.

    Wie meinen Sie das?
    Ein Gedankenexperiment: Würde man jedem Arbeitslosen 1.000 Euro zahlen, dann würde niemand bereit sein, für weniger als 1.000 Euro zu arbeiten. Das ist, wenn man so will, der wirtschaftstheoretische Hintergrund dieser ganzen Debatten. Als eine Partei, die früher auch mal christlich-soziale Wurzeln hatte, hat die ÖVP natürlich ein Problem, diesen unsozialen Charakter zu verdecken. Das tut sie mit einer Sprache, die bei den Rechtspopulisten den Begriff „Sozialschmarotzer“ umfasst. Dieses Wort würde der Sebastian Kurz nie in den Mund nehmen, und so spricht man halt abgemildert von „Durchschummlern“.
    Man unterstellt die ganze Zeit, wenn die Leute sich nur bemühen würden, könnten sie eine Arbeit haben. Das ist vollkommen falsch. Die über 50-Jährigen sind dafür geradezu exemplarisch. Die Regierung hat es geschafft hat, eine wirklich vernünftige Aktion – die Aktion 20.000 für Personen über 50 – nicht mal ins Laufen kommen zu lassen, ohne dass ihr bisher daraus ein größerer politischer Schaden erwachsen wäre.

    Macht die Regierung das Gleiche in puncto Arbeitszeitflexibilisierung und 12-Stunden-Arbeitstag?
    Ja, natürlich. Der Witz der neoliberalen Wirtschaftstheorie besteht ja darin, dass sie allgemeine Gesetze behauptet, um partikuläre Interessen durchzusetzen. Das gilt generell für den Sozialstaat. Man argumentiert, dass, wenn die Sozialleistungen zu großzügig sind, die Menschen zu wenig Anreiz haben, arbeiten zu gehen. Daher müsse man das Arbeitsrecht, den Kündigungsschutz und die Arbeitszeitregelungen – Stichwort Zwölfstundentag – lockern. Alle diese Argumente dienen im Konkreten einer Umverteilung zugunsten der Unternehmer. Dabei kann man durchaus argumentieren, dass es in bestimmten Situationen, etwa bei besonderen Auftragsspitzen, zweckmäßig erscheint, auf einen Zwölfstundentag zu gehen. Wenn das aber gleichzeitig mit längeren Durchrechnungszeiträumen verknüpft ist, dann wird einfach die Arbeitskraft effizienter eingesetzt. Wenn es dann nicht zusätzliche Leistungen für die Arbeitnehmer gibt, etwa zusätzlich eine Urlaubswoche, bedeutet das, dass per saldo die Unternehmer gewinnen werden.

    Wenn Sie das im Ganzen analysieren: Wie wirken sich die Pläne der Regierung auf die Verteilung aus?
    Wenn wir die verschiedenen Maßnahmen – angefangen von der Kürzung der Mindestsicherung über die Streichung der Aktion 20.000, die Streichung des Beschäftigungsbonus, die mögliche Einführung des Arbeitslosengeldes neu bzw. die Streichung der Notstandshilfe bis hinauf zur Senkung der Körperschaftssteuer – im Ganzen betrachten, ist ganz offensichtlich, dass hier die Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen, aber auch der Lebenschancen erhöht wird. Das ist umso problematischer, als gleichzeitig fundamentale Bedingungen, um überhaupt für junge Menschen eine Entfaltung, ein selbstständiges Leben zu ermöglichen, immer weniger gewährleistet sind.

    Von welchen Bedingungen sprechen Sie hier?
    Damit meine ich den zweiten wichtigen Bereich für junge Menschen. Das ist neben der Arbeit das Wohnen. Es wäre unglaublich dringend notwendig, den gemeinnützigen Wohnbau massiv zu fördern, egal ob in Form von sozialem Wohnbau der Gemeinden oder in Form von Wohnungsgenossenschaften. Denn anders können wir den Anstieg der Mieten nicht in Grenzen halten. Wien war und ist im internationalen Vergleich deshalb noch immer eine relativ günstige Stadt zum Wohnen, weil der Anteil der Gemeindewohnungen in keiner europäischen Großstadt größer ist als in Wien.
    Aber statt den gemeinnützigen Wohnbau zu fördern, hat die Regierung bisher nur einen einzigen Akt gesetzt, den ich tatsächlich als Bosheits-Akt bezeichnen würde: Der Finanzminister hat erklärt, eine Haftung des Bundes für 500 Millionen Euro an Wohnbaukrediten nicht mehr zu geben, also zurückzuziehen. Dabei hätte das den Bund überhaupt nichts gekostet. Das geht in die Richtung – und das ist die Gefahr, die ich sehe –, dass die private Immobilienwirtschaft zulasten des gemeinnützigen Wohnbaus begünstigt wird. Und das wiederum steht vermutlich und bedauerlicherweise in Zusammenhang mit der Liste der Spender für den Wahlkampf von Sebastian Kurz.

    Diese Ungleichheit, die Sie angesprochen haben, hat die ein Geschlecht?
    Die Ungleichheit hat ganz viele verschiedene Dimensionen: Inländer, Ausländer, Ungleichheit in unterschiedlichen Berufsgruppen, Stichwort Landwirte, Besitzer von Kapitalgesellschaften, und eine ganz wichtige Dimension ist natürlich die des Geschlechts. Es ist ja unbestritten, dass wir in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen keine Gleichheit haben. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit deutlich weniger als Männer. Es gibt einen Bereich, wo das nicht ausgeprägt ist, das ist der öffentliche Dienst. Aber auch da soll eher eingespart werden, statt in die Sozialarbeit, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, in Kindergärten, Volksschulen, das mittlere und höhere Bildungssystem zu investieren. In all diesen Bereichen werden keine expansiven Maßnahmen gesetzt, obwohl sie gerade dort besonders wichtig wären. Das wird natürlich indirekt und langfristig auch die Ungleichheit erhöhen.

    Gibt es ein Instrument, das der Ungleichheit entgegenwirken könnte? Was würden Vermögenssteuern bringen?
    Das liegt in der Natur der Sache, dass eine Vermögenssteuer die Ungleichheit verringern würde. Ideologisch ist das bei dieser Regierung natürlich nicht zu erwarten. Zu den faszinierendsten Dingen, die meiner Ansicht nach noch viel zu wenig beachtet werden, gehört, dass die FPÖ, also die Partei, die sich immer als jene im Dienste der kleinen Leute versteht, sich schon seit Jahren an den Empfehlungen des österreichischen Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek orientiert. Der wiederum ist einer der Vordenker des Neoliberalismus gewesen. Ich bin immer verblüfft, dass die Präsidentin des Hayek-Instituts, Frau Dr. Barbara Kolm, von der freiheitlichen Partei für alle möglichen Funktionen von der Rechnungshofpräsidentin bis zur Gutachterin in Sachen Budget herangezogen oder jedenfalls vorgeschlagen wird.
    Die neoliberale Ausrichtung zeigt sich natürlich auch bei ganz konkreten Vorschlägen wie jenen einer Vermögenssteuer, gegen die die Partei der kleinen Leute immer schon eingetreten ist, obwohl sie ganz offensichtlich den kleinen Leuten nützen würde. Denn man würde sich alle möglichen Einsparungen im Sozialbereich ersparen, wenn die wirklich Vermögenden einen nennenswert höheren Beitrag zum Gemeinwesen leisten würden.

    Welche Rolle spielt der Sozialstaat? Spielt er überhaupt noch eine Rolle?
    Der Sozialstaat ist vielleicht das beste Beispiel für diese sehr geschickte Strategie, die ich anfangs angesprochen habe:  das Marketing, die Werbung, in der die Verpackung ganz anders gestaltet wird als der Inhalt. Das war schon beim Wahlprogramm des Sebastian Kurz so, aber auch bei den Freiheitlichen. Dort wird geradezu ein hohes Lob auf den Sozialstaat gesungen und man bekennt sich zum Sozialstaat, aber die konkreten Maßnahmen bis hin zur drohenden Auflösung der AUVA weisen genau in die Gegenrichtung. Denn was ist Sozialstaatlichkeit anderes als institutionalisierte Solidarität? Ich möchte daran erinnern, dass der Begriff der Krankenkasse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt. Warum? Weil die Krankenkasse eine Kassa war. Das war eine Schachtel, wo jeder Arbeiter im Unternehmen jede Woche ein paar Pfennige oder Heller eingezahlt hat. Sie haben sich also selber organisiert, damit für den Fall, dass einer von ihnen krank wird, er daraus eine kleine Unterstützung bekommen kann. Das ist der Ursprung von Sozialstaatlichkeit.
    Ab den 1880er-Jahren hat man diesen Grundgedanken institutionalisiert und die allgemeine Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Pensionsversicherung etc. geschaffen. Und es gibt nichts, was dem neoliberalen Denken unangenehmer wäre als der Sozialstaat. Aber hier sehen wir, wenn man so will, das Schlaue der Regierung, dass sie auf der Ebene der Propaganda, der Werbung eben nicht zur Praxis ihrer Politik steht. Fürs Schaufenster hält sie immer gute Worte für den Sozialstaat bereit, aber in den konkreten Maßnahmen möchte sie den Sozialstaat schwächen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin barbara.kasper@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Stephan Schulmeister (70) ist einer der bekanntesten Ökonomen Österreichs. Er war 40 Jahre lang Wirtschaftsforscher beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO und ist Universitätslektor in Wien. Schulmeister übt in seinen zahlreichen Publikationen unter anderem eine dezidierte Kritik am Neoliberalismus – den er als „Marktreligiosität“ bezeichnet – und fordert Alternativvorschläge wie einen gesamteuropäischen New Deal.
    Am 24. Mai 2018 erscheint Stephan Schulmeisters erstes und nach seiner Aussage einziges Buch „Der Weg zur Prosperität“. In seinem Lebenswerk, an dem er rund 30 Jahre arbeitete, erklärt er den „marktreligiösen“ Charakter der neoliberalen Theorien und entwirft eine neue „Navigationskarte“ für den Weg zur Prosperität in einem gemeinsamen Europa..

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    Das Interview führte Barbara Kasper Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626318 Am 24. Mai 2018 erscheint Stephan Schulmeisters Buch "Der Weg zur Prosperität". http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626364 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525917626327 Interview: Standortqualität ist mehr als Wettbewerbsfähigkeit Arbeit&Wirtschaft: In der im Februar veröffentlichten WIFO-Studie „Sozialstaat und Standortqualität“ wird gezeigt, dass eine hohe Sozialquote die Standortqualität keineswegs negativ beeinflusst. Kann man sagen: Im Gegenteil, hohe Sozialquoten wirken sich positiv auf die Standortqualität aus?
    Christine Mayrhuber: Man kann zwar nicht von direkter Kausalität sprechen, aber es besteht eine sehr hohe Korrelation: Große Wirtschaftskraft von Staaten geht mit hohen Sozialstandards und hohe Sozialstandards gehen mit großer Wirtschaftskraft einher. Die Sozialstandards in Ländern mit einem niedrigeren BIP sind in der Regel auch niedriger. Ähnlich ist die Korrelation zwischen Umweltstandards und Wirtschaftskraft. Diese Verflechtungen kann man durchaus mit den zwei Seiten derselben Medaille vergleichen. Im öffentlichen Diskurs wird das eher nicht so wahrgenommen. Hohe Sozialstandards werden hier eher als Hemmschuh oder Fessel der Wirtschaft dargestellt.

    Aber man kann nicht sagen, was zuerst war, die hohen Sozialstandards oder die erfolgreiche Wirtschaft?
    Nein, das geht Hand in Hand. In der Studie wird eine Vielzahl von Indikatoren diskutiert: Arbeitslosen- und Beschäftigungsquote, CO2-Ausstoß, Lebenszufriedenheit, Gesundheit etc. Die Werte bei diesen Themen sind dort gut, wo eine hohe Wirtschaftsleistung besteht und umgekehrt.

    Was versteht man eigentlich genau unter Standortqualität?
    Der Begriff bezieht sich auf eine Region oder ein Land, im Unterschied zur Wettbewerbsfähigkeit, die sich auf einzelne Unternehmen bezieht. Wettbewerbsfähigkeit auf betrieblicher Ebene ist in der ökonomischen Theorie definiert als Produktion zu geringen Durchschnittskosten; unternehmerischer Wettbewerb forciert Innovationen und technologischen Fortschritt und kann auf diese Weise wachstumssteigernd wirken.
    Faktoren wie Infrastruktur, Marktgröße oder Marktnähe sind für die individuelle Wettbewerbsfähigkeit entscheidend. Dieses Konzept kann nicht einfach auf Staaten übertragen werden, weil die Ziele eines Landes und eines Betriebes nicht gleichgesetzt werden können. Und wenn ein Betrieb nicht wettbewerbsfähig ist, dann scheidet er aus dem Markt aus. Ein Staat hingegen kann als solcher nicht aus dem Marktgeschehen ausscheiden, von der Landkarte verschwinden.
    Zur Bestimmung der Standortqualität braucht es daher einen breiten Ansatz von Indikatoren in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Einkommen, Umwelt etc. Auch der Zeithorizont eines Staates unterscheidet sich von dem eines Unternehmens. Bei Unternehmen spielen Quartalsberichte eine Rolle, während bei Ländern mittel- und langfristige Ziele im Vordergrund stehen.
    Staaten müssen viele unterschiedliche Interessenlagen berücksichtigen. Zielkonflikte gibt es natürlich auch auf der Betriebsebene, etwa zwischen Umweltanliegen und Expansionsplänen, doch auf der Ebene der Ökonomien sind diese Zielkonflikte noch stärker. Wir haben in der Studie aber bemerkenswerte Korrelationen gefunden. Anders als oft dargestellt, sind Sozial- und Umweltstandards keine Hemmschuhe: So können sich etwa Ökologie und Ökonomie gegenseitig beflügeln, hohe Umweltstandards wirken also nicht zwangsläufig hemmend auf die Ökonomie.

    Die Europäische Kommission hat ja eigentlich schon 2001 Wettbewerbsfähigkeit um die Begriffe des hohen und steigenden Lebensstandards sowie der Gewährleistung von „Beschäftigungsraten auf einer nachhaltigen Basis“ erweitert. Dieser Ansatz ist noch nicht so weit verbreitet, oder?
    Es gibt Ansätze von Wettbewerbsfähigkeitskonzepten, die „Wohlfahrtsindikatoren“ wie Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Work-Life-Balance etc. in Zusammenhang mit Standortqualität verstärkt berücksichtigen. Die Europäische Kommission etwa hat schon vor einigen Jahren die Initiative „Beyond GDP“ gestartet, um das BIP um entsprechende Indikatoren zu erweitern. Wir haben in unserer Studie daher Konzepte einer erweiterten Wettbewerbsfähigkeit verwendet. Im (klassischen) Global Competitiveness Report, der jährlich vom World Economic Forum veröffentlicht wird, ist Österreich im oberen Mittelfeld angesiedelt. Sobald man auch Sozial- und vor allem Umweltindikatoren miteinbezieht, zeigt sich eine deutlich höhere, also sehr gute Standortqualität Österreichs.

    Immer wieder wird kritisiert, Österreich könnte viel besser dastehen. Ist es wirklich erforderlich, in internationalen Rankings ständig aufzusteigen, immer besser zu werden?
    Rankings haben generell den Nachteil, dass eine ganze Wirtschaft in wenige Zahlen gepresst werden soll. Die verschiedenen Länder auch innerhalb Europas sind wirtschaftlich zum Teil sehr unterschiedlich strukturiert. Österreich etwa ist exportorientiert, während beispielsweise Großbritannien auf dem Finanzmarkt stärker ist. In der Praxis geht es um die Leistungsfähigkeit einzelner Sektoren und Branchen. Wenn sich ein Unternehmen in Österreich ansiedeln will, dann braucht es konkretere Brancheninformationen etc. Wenn es darum geht, ob Österreich genug Investoren anziehen kann, dann reichen die veröffentlichten Summenindikatoren nicht aus, weil sie zu allgemein sind.

    Was könnte in Österreich besser laufen? Wo gibt es Entwicklungs- bzw. Verbesserungspotenzial?
    Im Bereich der Qualifikationen müsste viel getan werden. Innovation heißt immer auch, mit neuen Möglichkeiten – Stichwort Digitalisierung – umzugehen, und dafür braucht es immer auch ein bestimmtes technisches und soziales Know-how. Wenn wir jetzt beispielsweise darüber diskutieren, dass es in der Volksschule wieder Noten geben soll, versetzen wir die Kinder damit nicht in die Lage, sich Wissen und Kompetenzen besser anzueignen, ihre Neugierde, ihr Wissen und Können zu forcieren.
    Auch beim Weiterbildungssystem, das die Menschen dabei unterstützen soll, mit neuen Möglichkeiten umzugehen, ist hierzulande noch viel Luft nach oben. Eine moderne Wirtschaft verlangt viel Flexibilität und hohe Mobilität, sowohl von den Unternehmen als auch von den Beschäftigten. Um damit umgehen zu können, braucht es auch eine gewisse Sicherheit.
    Ökonomische und soziale Sicherheit sind eine Voraussetzung für Flexibilität und Mobilität. Es muss eine gewisse Absicherung, ein gewisses Grundvertrauen vorhanden sein, um den Job oder den Beruf zu wechseln, um auch im letzten Drittel des Erwerbslebens noch die Möglichkeit zu haben, etwas Neues auszuprobieren, sich den veränderten Anforderungen anpassen zu können.

    Wo könnte man hier ansetzen?
    Beispielsweise ist die Weiterbildungsbeteiligung in Österreich niedrig, obwohl es durchaus Möglichkeiten wie etwa die Bildungskarenz gibt. Es wäre daher vielleicht eine Option, einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung einzuführen.

    Da würden manche vielleicht einwenden, dass den österreichischen ArbeitnehmerInnen einfach der Mut zum Risiko fehlt.
    Wir haben in Österreich derzeit eine sehr angespannte Arbeitsmarktsituation. 2017 waren 340.000 Menschen arbeitslos. Da nützt auch Mut zum Risiko nichts, wenn nicht genug Arbeitsplätze vorhanden sind.

    Wo gibt es Verbesserungspotenzial bei den Sozialleistungen?
    In Österreich werden rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für soziale Zwecke ausgegeben, davon sind der Großteil monetäre Transfers, von Pensionen bis Kinderbeihilfe. Hier ist es wichtig anzuerkennen, dass diese Geldleistungen ökonomisch wichtig sind, weil sie Konsumnachfrage bewirken. Das haben wir in der Krise deutlich gesehen: Während die Auslandsnachfrage und die Investitionsnachfrage weggebrochen sind, blieb die private Konsumnachfrage positiv. Dadurch ist die Wirtschaft nicht noch stärker eingebrochen. Auch aktuell sehen wir, dass die positiven Wirtschaftsaussichten für 2018/19 zu gut einem Drittel durch die private Konsumnachfrage getragen sind. Ein stabiles Einkommen, ob aus Erwerbseinkommen oder den daraus abgeleiteten Ansprüchen, erhöht die gesamtwirtschaftliche (Krisen-)Widerstandsfähigkeit.
    Neben den Transfers fließt der zweite Teil der Sozialausgaben in Dienstleistungen. Mit den Betreuungs- und Gesundheitsdienstleistungen ist eine große Beschäftigungswirkung verbunden. Sozialausgaben haben über diese beiden Kanäle (Nachfrage und Beschäftigung) positive Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft, die in der WIFO-Studie detailliert dargestellt sind.

    Und Verbesserungspotenzial im Sinne von mehr Effizienz?
    Effizienzverbesserungen sind in den unterschiedlichen Sozialbereichen sicherlich möglich. Allerdings konnten wir im Rahmen der Studie nicht genauer hinschauen. In jedem Fall ist zu bedenken, dass Effizienz besonders im Gesundheits- und Sozialbereich immer auch im Hinblick auf die Versorgungssicherheit zu untersuchen ist.

    Sie haben in der Studie auch die Wechselwirkungen von Effizienz und Ungleichheit untersucht.
    Wir haben gesehen, dass es eine positive Wechselwirkung gibt, dass gleiche Einkommensverteilung sehr gut in eine starke Wirtschaft passt. Relativ geringe Einkommensungleichheit wirkt vertrauensbildend, und das ist auch für Betriebe mit positiven Effekten verbunden.

    Was war für Sie persönlich das überraschendste Ergebnis der Studie?
    Ich beschäftige mich schon länger mit dem Thema Sozialleistungen – hier gab es für mich keine Überraschungen. Überraschend war für mich, dass es keinen Widerspruch geben muss zwischen Ökologie und Produktivität. Dass reiche Staaten nicht unbedingt auf Kosten der Umwelt florieren, sondern beispielsweise ein geringerer CO2-Ausstoß auch mit einer hohen Wirtschaftsleistung verbunden sein kann, wie dies in Österreich der Fall ist.

    Stichwort Standortqualität als Staatsziel: Bis Ende Juni soll ja das sogenannte Standortentwicklungsgesetz ausgearbeitet sein. Wie stehen Sie dazu?
    Da kann ich wenig sagen, solange nicht geklärt ist, was mit Standortqualität gemeint ist.

    Welche Kriterien sollte diese beinhalten?
    Wie wir in der WIFO-Studie herausgearbeitet haben, gibt es hier zumindest drei Perspektiven: eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökologische. Alle diese Perspektiven müssten auch berücksichtigt werden. Dazu müssten die entsprechenden ExpertInnen ins Boot geholt werden.

    Und soll Wirtschaftswachstum in der Verfassung ergänzt werden?
    Auch hier gilt wieder: Welches Wirtschaftswachstum bekommt Verfassungsrang? Die traditionelle Maßzahl aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kann es jedenfalls nicht sein. Spätestens seit der Vorlage des Stiglitz-Sen-Fitoussi-Berichts im Jahr 2009  wissen wir, dass zur Entwicklung der Wirtschaft auch das Wohlbefinden (well-being) der Menschen und die Nachhaltigkeit der Wirtschaft zu rechnen sind.

    Wie sehen Sie die Rolle der EU, was eine Angleichung der Sozialstandards innerhalb der Europäischen Union betrifft?
    Ein Wirtschafts- und Währungsraum wie die EU braucht soziale Ausgleichsmechanismen. Eine europäische Arbeitslosenversicherung war ein Versuch in diese Richtung unter László Andor, dem Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration bis 2014. Diese Thematik ist wieder verschwunden. Vom derzeitigen Kommissionspräsidenten Juncker ist die „Europäische Säule sozialer Rechte“ entwickelt worden, wo in drei Bereichen (Arbeitsmarktzugang, Arbeitsbedingungen, Sozialschutz) Mindeststandards vorgeschlagen werden, die in Österreich derzeit weitgehend Status quo sind. In den Ländern mit niedrigeren Sozialstandards ist die Säule nur eine Aufforderung, weil die EU-Kommission im Sozialbereich keine direkten Kompetenzen hat.
    Aktuell sind die Nationalstaaten durch die strikten budgetpolitischen Vorgaben seitens der EU stark unter Druck. Das führt zwangsläufig zu Sparmaßnahmen bei den Sozialleistungen und verhindert die Angleichung der Sozialstandards unter den EU-Staaten, wie dies in der neuen Säule vorgesehen ist. Diese aktuelle ökonomische und vor allem soziale Situation ist eine große Herausforderung für Europa. Europäische Aufforderungen und nationale Abschottungen allein werden diese Herausforderungen nicht meistern können.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Christine Mayrhuber ist seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Ihre Schwerpunkte: Arbeitsmarkt und Genderfragen, Einkommen und Verteilung, Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat. 2013 wurde die Volkswirtschafterin mit dem Käthe-Leichter-Staatspreis für Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Arbeitswelt für ihre Forschungstätigkeit zu Genderfragen auf dem Arbeitsmarkt ausgezeichnet.

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    Das Interview führte Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626310 Ökonomische und soziale Sicherheit sind eine Voraussetzung für Flexibilität und Mobilität. Es muss eine gewisse Absicherung, ein gewisses Grundvertrauen vorhanden sein, um sich beruflich verändern zu können. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525917626285 Coverstory: Gutes Leben nicht nur für Gutgestellte An sich war die Diskussion ja schon in eine ganz andere Richtung unterwegs. Auf internationaler Ebene mehrten sich die Stimmen, die der alleinigen Ausrichtung der Wirtschaft auf die Bedürfnisse von Unternehmen oder der Finanzmärkte kritisch gegenüberstanden. Nicht nur Gewerkschaften oder NGOs beschäftigten sich mit der Frage, wie ein „gutes Leben für alle“ gewährleistet werden könnte. Mit dem viel diskutierten Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Wirtschaftswissenschafters Thomas Piketty wurde die Ungleichheit auf globaler Ebene diskutiert. Immer mehr KommentatorInnen kamen zu dem Schluss, dass diese so nicht mehr tragbar ist, weil sie nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Wirtschaft schädlich ist.
    Diese Themen scheinen inzwischen wie weggewischt. Die Regierung hat stattdessen wieder das fragwürdige Motto „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ aus der Mottenkiste hervorgeholt. Doch geht es Österreichs Wirtschaft überhaupt so schlecht, dass zahllose Entlastungen zu Ungunsten der ArbeitnehmerInnen vielleicht sogar gerechtfertigt sein könnten? Die Zahlen jedenfalls sprechen eine andere Sprache, wie Christa Schlager, Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien, festhält: „Österreich ist das viertreichste Land der Europäischen Union. Das Wirtschaftswachstum wird heuer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) mit 3,2 Prozent und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt prognostiziert. Die Forschungsquote Österreichs ist mit 3,19 Prozent mittlerweile die zweithöchste in der EU.“
    Außerdem zitiert die AK-Expertin eine andere gute Nachricht der Wirtschaftsansiedlungsagentur Austrian Business Agency, die 2017 kürzlich zum Rekordjahr erklärte: 344 Betriebe aus dem Ausland haben sich in Österreich angesiedelt, der höchste Wert seit deren Gründung vor 35 Jahren. „Stabilität, Sicherheit und hoch qualifizierte Fachkräfte werden hier als wesentliche Faktoren angeführt. Es sind nicht die einzigen Erfolgsmeldungen, die derzeit über die österreichische Wirtschaft geschrieben werden.“ Umso irritierender ist es für sie, dass nach wie vor der Wirtschaftsstandort Österreich schlechtgeredet wird. „Diverse Standortrankings, deren Wissenschaftlichkeit die AK schon oftmals kritisiert hat, dienen offensichtlich dazu, Anliegen, die schon lange auf der Wunschliste der Vertreter der Industrie stehen – wie der 12-Stunden-Tag oder Steuersenkungen für Unternehmen –, durchzusetzen.“
    Auch der Sozialstaat scheint dieser Regierung ein Dorn im Auge zu sein. Viel zu viele würden profitieren oder ihn gar ausnutzen, wird argumentiert. Die Umverteilung sei ein Problem, denn sie belaste jene, die Höchstleistungen erbringen würden. Erneut werden die Fakten ignoriert. Denn in diese Betrachtung wird nur ein Teil der Abgaben einbezogen, die in die Finanzierung des Sozialstaats fließen, nämlich die Lohnsteuer und die Einkommensteuer. Diese machen aber nur rund ein Sechstel der staatlichen Einnahmen aus, hält AK-Ökonom Markus Marterbauer fest. So treffe zwar die Feststellung zu, dass diese „in erheblichem Ausmaß vom oberen Einkommensdrittel“ stammen. Allerdings sei das „bei einer progressiven Steuer und relativ ungleicher Verteilung der Einkommen“ auch wenig verwunderlich. Unterm Strich zahlen „alle Bevölkerungsgruppen gemessen am Einkommen etwa gleich viele Abgaben“, so Marterbauer. „Nur die unteren und oberen Ränder der Verteilung bleiben leicht zurück.“

    Erhebliche Umverteilungswirkung
    So viel zu den Einnahmen des Staates. Um die Verteilungswirkung messen zu können, muss man zudem die Ausgaben miteinbeziehen, „Die positiven Verteilungseffekte gehen von sozialen Transfers wie den Kinderbeihilfen ebenso aus wie von sozialen Dienstleistungen wie der Gesundheitsversorgung und den Pflegeleistungen“, so der AK-Experte. Hier zeigt sich, dass nicht nur jene vom Sozialstaat profitieren, die wenig verdienen. Vielmehr ist er darauf ausgerichtet, dass Menschen dann Leistungen beziehen oder Einrichtungen in Anspruch nehmen, wenn sie diese zu unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrem Leben auch brauchen. Marterbauer sieht darin die wahre Stärke des österreichischen Sozialstaats: „Die erhebliche Umverteilungswirkung, die an konkrete lebensweltliche Bedürfnisse der Menschen anknüpft, ist Ausdruck der Stärke unseres breiten sozialen Sicherungssystems sowie Basis für wirtschaftlichen Erfolg und nicht Hinderungsfaktor.“ Dass der Sozialstaat sogar ein sehr wichtiger wie positiver Standortfaktor ist, hat kürzlich das WIFO in einer Studie belegt (siehe unten: Ein positiver Wirtschaftsfaktor).
    Deutlich weniger gerecht sieht Österreich aus, wenn man die Verteilung der Vermögen betrachtet. Laut Studie der Europäischen Zentralbank hat Österreich die zweithöchste Vermögenskonzentration aller dreizehn untersuchten EU-Länder. Laut Angaben der Österreichischen Nationalbank besitzt das oberste Prozent der Haushalte in Österreich ganze 41 Prozent des Gesamtvermögens. Dies ist 16-mal mehr, als die untere Hälfte der Bevölkerung hat. Dazu kommt, dass Menschen, die ihr Geld für sich arbeiten lassen, steuerlich bei Weitem nicht so stark belastet sind wie jene, die selbst Hand anlegen müssen. Diese Schieflage wird aber von der Regierung völlig ignoriert.

    Weitreichende Folgen
    Dabei hat diese Ungleichheit weitreichende Auswirkungen, die sich in Verbindung mit der zu geringen sozialen Mobilität in Österreich sogar noch negativ verstärken. „Während es etwa mithilfe beharrlicher Anstrengungen zur Öffnung des Bildungssystems in den 1970er- und 1980er-Jahren gelang, den Kindern aus den Arbeiterschichten die gesamte Bildungslandschaft zu öffnen, trifft dies heute immer weniger zu“, so Marterbauer. Der AK-Experte warnt: „Das Bildungssystem droht neuerlich schichtenspezifisch zu versteinern, was für die gesamte Gesellschaft äußerst gefährliche Auswirkungen mit sich brächte.“ Gerade um der starken Selektion im österreichischen Bildungssystem endlich entgegenwirken zu können, wäre der Ausbau der Elementarbildung ein wichtiger Baustein. Ähnliches gilt für den Ausbau der Ganztagsschulen, der von der Regierung auf die lange Bank geschoben wurde. Statt die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen auszubauen, auf die jene Länder setzen, deren Bildungssystem nicht nur durchlässiger, sondern insgesamt besser aufgestellt ist, setzt die neue Regierung wieder auf mehr Selektion. Eine Schulreform, die allen jungen Menschen gute Chancen bietet und nicht nur jenen, die schon aus „gut situiertem Hause“ kommen, ist wieder in weite Ferne gerückt.
    Auch bei der Pflege hat Österreich großen Nachholbedarf, erneut könnten staatliche Investitionen viel bringen. Würde man sie zudem, wie von der AK gefordert, durch eine Erbschaftssteuer finanzieren, könnte man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, wie AK-Ökonom Marterbauer erläutert: „Die Lebensbedingungen der Menschen im Alter würden unabhängig von ihrem Vermögensstatus merklich verbessert und eine dynastische Vererbung einer Vermögenskonzentration über Generationen hinweg könnte eingedämmt werden.“

    Mehrfachdividende
    Gerade beim Thema soziale Dienstleistungen zeigt sich, dass auch die gerne verbreitete Aussage viel zu kurz gegriffen ist, wonach nur die Wirtschaft Jobs schaffe. Viel zu teuer sei staatliches Handeln, lautet ein weiteres Argument, das auch nicht wahrer wird, wenn es öfter behauptet wird. Denn wie die AK anhand von mehreren sozialen Dienstleistungen vorgerechnet hat, rechnen sich Investitionen in den Sozialstaat nicht nur, sondern können sogar eine Mehrfachdividende bringen.
    Um es am Beispiel der Kinderbetreuung zu illustrieren: Es entstehen neue Jobs; wer aus der Arbeitslosigkeit heraus einen solchen Job gefunden hat, zahlt Steuern und Abgaben, statt Arbeitslosengeld beziehen zu müssen; sollten bauliche Maßnahmen nötig sein, entstehen dadurch zumindest vorrübergehend Arbeitsplätze; zugleich können Elternteile, die bisher gar nicht arbeiten konnten, vielleicht einen Job aufnehmen, oder jene, die Teilzeit arbeiten mussten, können auf Vollzeit wechseln, so ein solcher Job zu haben ist. All das bringt dem Staat Mehreinnahmen und den Menschen Vorteile – und zwar im Idealfall dauerhaft.
    All diese Fakten werden ignoriert, schlimmer noch: Die Arbeitsmarktpolitik erstreckt sich in der falschen Unterstellung, wonach die Arbeitslosen nur zu bequem wären, um auch Arbeit anzunehmen – und entsprechend in Maßnahmen, mit denen der Druck auf die Arbeitslosen erhöht wird. Doch auch wenn sich der Arbeitsmarkt glücklicherweise erholt, so gilt es einiges aufzuholen, seitdem die Finanzkrise 2008 ihre Spuren hinterlassen hat. Zwar ist die Arbeitslosigkeit seit einem Jahr um ca. 30.000 Menschen zurückgegangen,  die Beschäftigung steigt. Diese in der Tat gute Nachricht wird allerdings von einer anderen Zahl überschattet: Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 ist die Zahl der Arbeitslosen um 150.000 Personen angestiegen. Je nachdem, welche Berechnung man für die Arbeitslosigkeit zugrunde legt, wäre ein Rückgang zwischen 50.000 und 100.000 notwendig, rechnet Marterbauer vor (laut Eurostat-Berechnung stieg die Arbeitslosigkeit von 4 Prozent im Jahr 2008 auf 5,6 Prozent, laut nationaler Berechnung von 6 auf 8,5 Prozent).
    „Die Arbeitslosenquoten auf das Niveau von 2008 zu senken müsste eines der zentralen Ziele der neuen Bundesregierung für die kommende Legislaturperiode sein“, fordert der AK-Chefökonom. „Denn die hohe Arbeitslosigkeit bedeutet für die unmittelbar Betroffenen und ihre Familien massive Verschlechterungen im Lebensstandard. Sie trifft darüber hinaus aber auch viele andere Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen, deren Verhandlungsmacht durch die Schieflage des Arbeitsmarktes eingeschränkt wird; nicht zuletzt beeinträchtigt Arbeitslosigkeit die Finanzierbarkeit des Sozialstaates und geht damit zulasten der gesamten Bevölkerung.“ Dazu kommt, dass bestimmte Gruppierungen weiterhin enorme Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben, darunter ältere Beschäftigte, gering Qualifizierte oder Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Genau hier wären staatliche Interventionen notwendig – und genau hier setzt die türkis-blaue Regierung den Rotstift an.
    Zurück zum guten Leben für alle: Dieses ist der Regierung wahrlich kein erklärtes Anliegen. Genauso wenig trifft das auf die Frage zu, wie der auch von den ArbeitnehmerInnen erwirtschaftete Wohlstand möglichst fair verteilt werden kann.

    Worum es eigentlich gehen sollte
    Vielmehr wird jenen das Leben noch schwerer gemacht, die schon jetzt große Hürden zu überwinden haben, ob in der Bildung oder am Arbeitsmarkt. Der Wirtschaftsstandort Österreich wird auf eine sehr einseitige Art und Weise betrachtet, die Beschäftigten spielen darin eine untergeordnete Rolle. AK-Ökonomin Christa Schlager: „Kürzlich verkündete die Regierung eine Standortpartnerschaft mit Industrie und Wirtschaft, ohne die ArbeitnehmerInnen und deren Vertretungen zu erwähnen, geschweige denn einzubinden. Das führt zu einer verkürzten und einseitigen Sicht der Dinge.“ Denn damit werden die arbeitenden Menschen und ihre Bedürfnisse, aber auch ihre Fähigkeiten und Potenziale als zentrale Ressourcen in einer hoch entwickelten Volkswirtschaft beiseitegeschoben – bei einer gleichzeitig laufenden Debatte über Fachkräftemangel, kritisiert die AK-Expertin.
    „Wenn es darum geht, den Wohlstand zu steigern – und darum geht es ja eigentlich bei ökonomischem Handeln –, sollte über die Potenziale unserer Volkswirtschaft, über notwendige Zukunftsinvestitionen, wie diese entwickelt und besser nutzbar gemacht werden können, und über günstige Rahmenbedingungen nachgedacht werden“, hält Schlager fest. Und dazu gehört für sie auch eine Diskussion über den Sozialstaat: „Inwiefern er ein Bestandteil des wirtschaftlichen Erfolgs ist und wie er in Zukunft in Österreich noch verbessert werden kann.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

    Ein positiver Wirtschaftsfaktor
    Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat in einer Studie untersucht, welche Bedeutung dem Sozialstaat als Standortfaktor zukommt. Die wichtigsten Ergebnisse: 

    1. Um den wirtschaftlichen Erfolg einer Volkswirtschaft zu beurteilen, bedarf es einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise. Langfristig zentrale Erfolgsfaktoren sind auf soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtete Strategien zur Weiterentwicklung wirtschaftlicher Aktivitäten. Diese bestimmen schlussendlich das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft und damit auch deren Wohlstandsniveau. Österreich als entwickelte Volkswirtschaft sollte auf einen Qualitäts- statt auf einen Lohn- und Sozialdumping-Wettbewerb setzen, den wir ohnehin nicht gewinnen können.
    2. Der Sozialstaat gibt Sicherheit, hilft beim Strukturwandel, stabilisiert die Wirtschaft und fördert Resilienz (Widerstandsfähigkeit). Der Sozialstaat ist kein Bremsklotz, sondern vielmehr Triebfeder einer sozialen Marktwirtschaft. Es geht um eine Weiterentwicklung des Sozialstaats, mit der die Resilienz und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt wird. Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Klimawandel, von Veränderungen und Umbrüchen braucht es genau die Sicherheit und die Freiheit, die der Sozialstaat bietet.
    3. Der Sozialstaat eröffnet Chancen und fördert die Innovationsfähigkeit. Die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme sowie des Bildungs-, Aus- und Weiterbildungssystems hat unter den gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen Priorität. Viele Beispiele zeigen, dass gerade die Qualifikationen heimischer ArbeitnehmerInnen ausschlaggebend für Standortentscheidungen waren und sind. Selbst bei ressourcenintensiven Unternehmen wie der voestalpine AG in Kapfenberg: Letztendlich hat auch hier laut Management die „hoch qualifizierte und motivierte Mannschaft“ den Ausschlag für die Standortentscheidung gegeben.
      In der Arbeitsmarktpolitik und im Bildungsbereich fordert die AK Strukturreformen, damit sich die Menschen besser auf die Zukunftsaufgaben vorbereiten können. Die Begabungen und Fähigkeiten sowie die Lebenschancen jedes und jeder Einzelnen sind besser zu fördern.
    4. Wird – wie angekündigt – bei Arbeitsmarkt- und Bildungsausgaben gekürzt, produzieren wir heute die sozialen Probleme von morgen. Perspektiven und Chancen vieler Menschen würden eingeschränkt, Potenzial vernichtet.
    5. Der Sozialstaat fördert und stabilisiert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Kaufkraft der Menschen und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.
    6. Der Sozialstaat wirkt gegen die Spaltung der Gesellschaft. Weniger Ungleichheit erhöht die Kaufkraft und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage – immerhin werden zwei Drittel der Wertschöpfung in Österreich im Inland erwirtschaftet. Gerade in Krisenzeiten waren die gut ausgebauten „automatischen Stabilisatoren“ des Sozialstaates wie Arbeitslosengeld, Pensionszuschuss und Mindestsicherung besonders wirksam und schwächten krisenhafte Entwicklungen ab. Der Sozialstaat hat somit eine wichtige konjunkturstabilisierende Funktion, er hat Österreich besser als andere Staaten durch die Krise geführt.
    7. Der Sozialstaat wirkt, und er rechnet sich. Er ist funktional für eine Volkswirtschaft, ein zentraler Bestandteil des wirtschaftlichen Erfolgs Österreichs und wichtig, um künftige Herausforderungen bewältigen zu können.
      Sparen beim Sozialstaat ist falsches Sparen. Um das angestrebte Nulldefizit zu erreichen, sind tatsächlich keine Einsparungsmaßnahmen im Sozialbereich nötig. Die Kürzungen des Budgets im Arbeitsmarkt werden nicht dazu verwendet, um eine schwarze Null zu erzielen, sondern um Steuererleichterungen für Besserverdienende und für Unternehmen zu finanzieren. Das ist aus beschäftigungs- und verteilungspolitischer Sicht falsch. Der kräftige Konjunkturaufschwung sollte vielmehr für soziale Investitionen genutzt werden, die Arbeitslosen, prekär Beschäftigten und armutsgefährdeten Haushalten zugutekommen. Das ist nicht nur gesellschaftlich sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich. Schließlich geht es der Wirtschaft dann gut, wenn es den Menschen gut geht.

    von Christa Schlager

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    Text: Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626262 Die Regierung hat die Weichen in Richtung mehr Ungleichheit gestellt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626267 Der Sozialstaat soll gekürzt werden, statt seine Potenziale als positiver Standortfaktor auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525917626272 Auf mehr Chancengleichheit in der Bildung müssen die jungen Menschen weiter warten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525312808213 Stimme der Beschäftigten wichtiger denn je! 2019 finden in ganz Österreich wieder Wahlen zu den Vollversammlungen der Arbeiterkammern statt. In jedem Bundesland werden durch eine gleiche, geheime und direkte Wahl für jeweils fünf Jahre die Mitglieder der AK-Vollversammlungen gewählt.
    Als gesetzliche Interessenvertretung setzt sich die „Kammer für Arbeiter und Angestellte“ für Beschäftigung, Weiterbildung, Qualifizierung und Wiedereingliederung ihrer Mitglieder am Arbeitsmarkt ein. Daneben vertritt die Arbeiterkammer die ArbeitnehmerInnen bei einer Vielzahl von Themen, darunter Arbeits- und Sozialrecht sowie KonsumentInnenschutz.

    Zwei Millionen Beratungen
    Die AK hat 2017 österreichweit mehr als zwei Millionen Beratungen durchgeführt und für ihre Mitglieder über 532 Millionen Euro vor Gericht und außergerichtlich zurückgeholt. Über drei Viertel der Beratungen sind arbeits-, sozial- und insolvenzrechtliche Beratungen.

    Wer wird gewählt?
    Die Zahl der Mitglieder der AK-Vollversammlungen – den sogenannten KammerrätInnen – hängt von der Zahl der AK-Mitglieder im jeweiligen Bundesland ab. So hat z. B. Wien als mitgliederstärkstes Bundesland 180 Mandate.
    Bei den AK-Wahlen geht es um viel mehr als um die insgesamt 840 zu vergebenden Mandate oder um die Funktionen der damit ebenfalls zur Wahl stehenden neun AK-PräsidentInnen: Es geht darum, welches Gewicht die Stimme der ArbeitnehmerInnen in Österreich in Zukunft haben wird und wie deutlich sie deren Interessen gegenüber der Regierung, gegenüber den Arbeitgebern und in der Gesellschaft zum Ausdruck bringen kann. In der Vollversammlung oder in einzelnen Ausschüssen bestimmen die KammerrätInnen die Politik der AK mit. Die AK-Wahl ist somit eine politische Wahl!
    Das Ergebnis der AK-Wahlen bestimmt auch die Entsendung von VertreterInnen in die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer (BAK) sowie in die Gremien der Sozialversicherungsträger wie z. B. der Gebietskrankenkassen (GKK), der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) und der Pensionsversicherungsanstalt (PVA).

    Wie wird die AK-Wahl organisiert?
    Die AK-Wahlen werden von den einzelnen Länderkammern organisiert und so durchgeführt, dass jedes Mitglied die Möglichkeit hat, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Dazu werden Wahlbüros eingerichtet.

    Aufgaben des Wahlbüros
    Die Aufgaben des Wahlbüros sind im AK-Gesetz (AKG) und der AK-Wahlordnung (AKWO) geregelt. Das Wahlbüro ist dafür verantwortlich, dass die AK-Wahlen reibungslos und den rechtlichen Bestimmungen entsprechend ablaufen. Nach Möglichkeit soll die Wahl direkt in den Betrieben abgehalten werden, um den WählerInnen entgegenzukommen. Dabei wird selbstverständlich auf die betrieblichen Abläufe Rücksicht genommen.

    Wer ist wahlberechtigt?
    Wahlberechtigt sind sämtliche ArbeitnehmerInnen in aufrechten Dienstverhältnissen. Auch freie DienstnehmerInnen sind wahlberechtigt, da auch sie AK-Mitglieder sind.
    Nicht wählen dürfen z. B. BeamtInnen in der Hoheitsverwaltung, leitende Angestellte und Ärztinnen.

    Wer muss sich erst in die Wählerliste eintragen?
    Lehrlinge, AK-Mitglieder in Karenz, ArbeitnehmerInnen, die den Präsenz- bzw. Zivildienst leisten, geringfügig Beschäftigte und Arbeitsuchende können ebenfalls ihre Stimme abgeben. Allerdings müssen sie sich rechtzeitig in die Wählerliste eintragen („sich veranlagen“).

    BetriebsrätInnen spielen eine wichtige Rolle
    Die BetriebsrätInnen spielen bei den AK-Wahlen eine enorm wichtige Rolle. Sie organisieren den Ablauf der Wahl im Betrieb und informieren bzw. motivieren die KollegInnen zur Teilnahme an der AK-Wahl.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin elisabeth.glantschnig@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525312808195 Frisch gebloggt Solidarisch und stabil
    Steve Coulter

    In Europa gibt es solides Wachstum, Arbeitsplätze werden geschaffen und neue Unternehmen gegründet. Der Höhepunkt der Krise ist vorbei. Doch die einsetzende Euphorie ist auf Sand gebaut: Viele neue Arbeitsplätze sind prekär oder Teilzeitstellen. Fast ein Viertel der einfachen Beschäftigungen wird mittlerweile von hochqualifizierten Arbeitskräften erfüllt; vor der Krise waren es elf Prozent. Die Beschäftigten werden an der wirtschaftlichen Erholung nicht beteiligt – Löhne wurden gekürzt oder stagnieren. Der private Konsum liegt weiterhin nur knapp über dem Vorkrisenniveau und auch die Investitionen sind niedriger als 2008. Als Auswirkung harter Kürzungspolitiken vergrößern sich strukturelle Unterschiede wieder und gefährden die wirtschaftliche Stabilität. Was es jetzt braucht, sind folglich Jobs zum Leben und eine Ankurbelung der Nachfrage. Und vor allem: Verpflichtende Regulative, um den gegenseitigen Unterbietungswettbewerb zum Nachteil der Lohnabhängigen einzudämmen.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ycao8mmy

    Fortschritt statt Schicksal
    Kerstin Jürgens

    „Smarte“ Technologien sind in aller Munde: Produkte, die selbständig auf Entwicklungen reagieren und die Resultate kommunizieren. Auf diese Weise können sich Maschinen vernetzen, Systeme werden lernfähig und bisherige Arbeitsabläufe müssen neu strukturiert werden. Damit verbundene Fragen polarisieren: Geht uns die (Erwerbs-)Arbeit aus? Und wenn ja, was bedeutet das für den Sozialstaat? Tatsächlich folgt der digitale Wandel keinem Naturgesetz. Die soziale Wirkung neuer Technologien hängt nicht zuletzt davon ab, zu welchem Zweck und zu welchen Bedingungen sie eingesetzt werden. Wem kommen die Profite der Digitalisierung zugute? Werden die Innovationen genutzt, um Arbeitsbedingungen zu verbessern oder um das Arbeitsrecht auszuhöhlen? Wie diese und andere Fragen zukünftig
    beantwortet werden, hängt von den Regeln ab, die heute ausgehandelt werden. Wie „smart“ die Arbeit der Zukunft also letztlich sein wird, bestimmen weder das Schicksal noch die technische Machbarkeit – sondern (auch) wir selbst.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y7tq35tw

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    Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525312808177 "Nicht zuletzt" ... Die AK und ihre Gegner Präsidentin der AK Wien und der Bundesarbeitskammer]]> Wenn Sie diese Zeilen lesen, bin ich seit einigen Tagen AK-Präsidentin und damit an der Spitze jener Institution, die manchen Vertretern aus Industrie und Wirtschaft ein Dorn im Auge ist. Warum das so ist, ist schnell erklärt: Die AK steht grundsätzlich aufseiten der ArbeitnehmerInnen. Mehr als fünfhundert Millionen Euro, die für die Mitglieder im Vorjahr vor Gericht und außergerichtlich erstritten wurden, sprechen da eine sehr deutliche Sprache.

    Ziel: An den Rand drängen
    Insofern ist es fast logisch, dass auch eine Regierung, deren Programm sich stark an den Wünschen von Industrie und Wirtschaft orientiert, mit der AK nicht viel Freude hat. Kommuniziert wird das natürlich anders: Da ist dann von Effizienzsteigerungen die Rede, von Bürokratieabbau und einer „schlanken“ Verwaltung. Das ist ein sehr geschickter Schachzug: Niemand will sich mit Bürokratie herumschlagen und effizienter werden ist immer gut.
    Aber worum es den Gegnern der AK wirklich geht, ist, die mächtigste Verbündete der ArbeitnehmerInnen endlich an den Rand zu drängen und die Gewerkschaftsbewegung zu schwächen. Keine lästigen Einmischungen, wenn den Menschen zu wenig bezahlt wird, keine mahnende Stimme, die Gesetze begutachtet und Verbesserungen einfordert, kein starkes Bollwerk gegen den generellen 12-Stunden-Tag.
    Als Metallerin bin ich mit flexiblen Arbeitszeitmodellen bestens vertraut. Die Möglichkeit, bei Auftragsspitzen länger zu arbeiten, um ein Projekt oder eine Produktion fertigzustellen, gibt es bereits. Im Rahmen von Betriebsvereinbarungen ist es ohne Weiteres möglich, länger zu arbeiten – aber dafür gibt es Spielregeln. Lange Arbeitszeiten müssen planbar sein, und es muss einen Ausgleich geben, entweder in Form von Zeit oder Geld.
    Es ist außerdem keineswegs so, dass in ganz Österreich um 17 Uhr alle den Stift fallen lassen. Dort, wo es notwendig ist, wird ja rund um die Uhr gearbeitet, Aufträge werden erfüllt, der Konjunkturmotor brummt. Also worum geht es hier wirklich?
    Die Industriellenvereinigung hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass es um eine einseitige Arbeitszeitflexibilisierung geht, nicht darum, auch die Wünsche der Beschäftigten zu berücksichtigen. Im Regierungsprogramm ist hier die Rede von der „Verlagerung auf die betriebliche Ebene“. Das klingt eigentlich großartig, oder? Aber mit dieser Verlagerung ist nichts anderes gemeint als das Aushebeln der Kollektivverträge und das Rausdrängen der Sozialpartnerschaft aus Lohn- und Arbeitszeitverhandlungen.
    „Betriebliche Ebene“ heißt in letzter Konsequenz, dass jede und jeder Beschäftigte sich seine Arbeitszeit allein mit dem Chef oder der Chefin aushandeln muss. Das mag ja im einen oder anderen Fall auch funktionieren, aber wer die Realität der Arbeitswelt kennt, weiß, dass im Zweifelsfall immer der Chef das letzte Wort hat. Ohne Betriebsrat im Rücken wird es auch mit der „Freiwilligkeit“ nicht sehr weit her sein. Ich finde es daher bemerkenswert, dass sich ausgerechnet eine Partei, die sich selbst zur neuen „Arbeiterpartei“ stilisiert, für den 12-Stunden-Tag starkmacht.

    Gewinnmaximierung
    Dabei zeichnet sich ganz deutlich ab, dass mittelfristig kein Weg an einer Arbeitszeitverkürzung vorbeiführen wird. Die technologische Entwicklung, die den Kassier im Supermarkt und die Bankbeamtin ersetzt, ist nicht aufzuhalten. Sie bietet aber auch große Chancen, wenn wir die Sache richtig angehen.
    Konzerne, die sich viel Personal sparen, weil sie auf Technologie setzen, können ihre Gewinne maximieren. Es wäre also nur fair, würden sie auch einen fairen Anteil zum allgemeinen Wohlstand leisten. Diesbezüglich findet sich allerdings recht wenig im Regierungsprogramm. Macht nichts. Um das einzufordern, gibt es die AK!

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    Renate Anderl, Präsidentin der AK Wien und der Bundesarbeitskammer Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525312808168 Renate Anderl, Präsidentin der AK Wien und der Bundesarbeitskammer http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525312808083 Budgetzahlen, Daten, Fakten Der kräftige Konjunkturaufschwung sorgt dafür, dass das Budgetdefizit bereits 2018 auf nahe null sinken wird. Er trägt somit auch ganz ohne populistische Schuldenbremse in der Verfassung zum raschen Abbau der Staatsschulden bei.
    Viele ökonomische Analysen enden beim Bruttoschuldenstand. Anders als bei Unternehmensbilanzen werden beim Staat die positiven Vermögenswerte nicht in die Rechnung einbezogen. Dabei weist der öffentliche Sektor eine deutlich positive Vermögensbilanz auf.
    Immer öfter ist zu lesen, dass der Sozialstaat nur von einigen wenigen finanziert wird. Betrachtet man alle Abgabenformen, so zeigt sich, dass die Abgabenbelastung in Summe für alle Erwerbstätigen annähernd gleich hoch ist. GutverdienerInnen werden in der Tat stärker durch die Lohnsteuer in Anspruch genommen, GeringverdienerInnen zahlen aber im Verhältnis zu ihrem Einkommen wesentlich mehr an Sozialversicherungsbeiträgen und Verbrauchssteuern.
    Können kostspielige Steuersenkungen und neuerliche Finanzkrisen verhindert werden, so sind mittelfristig stabile Staatsfinanzen ebenso möglich wie Strukturreformen im Sinne wohlstandsorientierter Budgetpolitik.

    Alle Statistiken dazu finden Sie anbei zum Downloaden! 

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    Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525312808077 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525312808051 Historie: Das mit der Suppe und dem Löffel 1864 initiierte ein im Londoner Exil lebender Gelehrter und Revolutionär namens Karl Marx die Gründung einer „Internationalen Arbeiterassoziation“ (IAA). Diese erste internationale Plattform der sich gerade erst formierenden politischen und gewerkschaftlichen ArbeiterInnenbewegung fasste einen bunten Haufen zusammen, wie Friedrich Engels, Freund und Kampfgefährte von Karl Marx, später schilderte:
    Die Internationale musste ein Programm haben, breit genug, um für die englischen Trade-Unions, für die französischen, belgischen, italienischen und spanischen Anhänger Proudhons und für die Lassalleaner in Deutschland annehmbar zu sein. Marx, der dieses Programm zur Zufriedenheit aller Parteien abfasste, hatte volles Vertrauen zur intellektuellen Entwicklung der Arbeiterklasse, einer Entwicklung, wie sie aus der vereinigten Aktion und der gemeinschaftlichen Diskussion notwendig hervorgehen musste.

    Einer der Streitpunkte in den Diskussionen des IAA-Generalrats war die Rolle von gewerkschaftlichen Lohnkämpfen. Einige hielten Gewerkschaften für überflüssig, sie glaubten an eine Art „ehernes Lohngesetz“, das besagte, im Kapitalismus könnten die ArbeiterInnen über einen Lebensstandard bestenfalls knapp an der Armutsgrenze nicht hinauskommen. Vor allem der deutsche Arbeiterführer Ferdinand Lassalle und der Engländer John Weston vertraten diese These. Auch Marx glaubte nicht an echte Gerechtigkeit innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft, aber er hielt es für richtig und notwendig, die Verteilungsfrage schon vor der erhofften großen Revolution zu stellen:
    Bürger Weston illustrierte seine Theorie, indem er euch sagte, dass wenn eine Schüssel eine bestimmte Menge Suppe enthält, die von einer bestimmten Anzahl von Personen gegessen werden soll, eine Steigerung in der Breite der Löffel keine Steigerung der Menge der Suppe hervorbringen würde. Er muss mir gestatten, diese Illustration ziemlich ausgelöffelt zu finden. … Bürger Weston … hat vergessen, dass die Schüssel, aus der die Arbeiter essen, mit dem ganzen Produkt der nationalen Arbeit gefüllt ist, und dass es weder die Kleinheit der Schüssel, noch die Knappheit ihres Inhalts ist, was sie daran hindert, mehr herauszuholen, sondern nur die Kleinheit ihrer Löffel.

    Karl Marx wurde am 5. Mai 1818 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Trier geboren. Wie der Unternehmer Engels und eine Generation später Victor Adler in Österreich zählte er zu den wenigen gebildeten Bürgern, die Partei für die sich formierende ArbeiterInnenbewegung ergriffen. Was die Gewerkschaften betrifft, so maß er diesen vor allem auch eine politische Bedeutung zu. Isidor Ingwer, der vom NS-Regime ermordete Anwalt der Freien Gewerkschaften, stellte 1908 seiner Schrift über das „Koalitionsrecht der Arbeiter“ folgende Worte von Marx voran:
    Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maße, als die Kapitalisten sich behufs der Repression vereinigen, zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie, als die des Lohnes.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1525312808044 Karl Marx gießt das zarte Pflänzchen der gerechten Gesellschaft, die 200 Jahre nach seiner Geburt noch immer ein Fernziel geblieben ist. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 May 2018 00:00:00 +0200 1525312808036 Standpunkt: Vermögen lohnt sich, nicht Leistung Alles halb so wild: Nach diesem Motto veröffentlichte kürzlich das unternehmensnahe Institut EcoAustria eine Studie zur Verteilung. Nicht die Ungleichheit habe sich verstärkt, sondern ihr würde nur mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die gestiegene mediale Berichterstattung sei der Grund dafür, dass die Menschen die Gesellschaft als ungleicher wahrnehmen, als sie tatsächlich sei. Alles also nur ein Medienhype? Nein, meint dazu der Makroökonom Wilfried Altzinger und hält wichtige Fakten entgegen. Zum einen fokussiere EcoAustria ausschließlich auf die Periode zwischen 2007 und 2014. In dieser Zeit sei die Einkommensverteilung tatsächlich relativ stabil gewesen – mit einem wichtigen Aber: „Auf einem langfristigen Ungleichheitshöchststand.“ Zwischen Mitte der 1980er-Jahre und heute hat sich die Ungleichheit um ein ganzes Viertel erhöht.
    Was EcoAustria zudem geflissentlich unter den Tisch fallen lässt: die Verteilung der Vermögen. Dies aber ist der gar nicht so kleine, sondern vielmehr relevante Unterschied. Betrachtet man die Verteilung der Vermögen in Österreich, so zeigt sich eine große Kluft:  Laut OeNB besitzen zehn Prozent der Haushalte 60 Prozent des Gesamtvermögens.
    Dies macht die Frage nach der gerechten Verteilung des Wohlstandes umso virulenter. Nicht so aber für die neue Regierung, denn beide Parteien haben sich schon bisher vehement gegen Vermögenssteuern gewehrt. Das Motto: Leistung muss sich lohnen. Dabei arbeiten sie genau mit ihrer Weigerung, auch Vermögen in die Finanzierung des Gemeinwesens miteinzubeziehen, in eine gegenteilige Richtung. Erschwerend kommt hinzu, dass in Österreich Aufstiegschancen insbesondere im Bildungssystem mit dem monetären Hintergrund der Eltern zusammenhängen. Doch statt dem entgegenzuwirken, setzt die neue Regierung Maßnahmen, mit denen dies weiter verschärft wird.

    Stigmatisierung statt Lösungen
    Alles halb so wild: Dies trifft jedenfalls zu, was den Wirtschaftsstandort Österreich betrifft, der von Vertretern der Wirtschaft regelmäßig krankgejammert wird. Dabei gibt es dafür absolut keinen Grund: Die Unternehmen stehen gut da, die Wirtschaft wächst, die Prognosen sind gut. Gute Voraussetzungen also auch für das Budget. Doch statt die gute Situation zu nutzen, um energisch die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, schiebt die Regierung ihre Verantwortung an die Betroffenen ab: Sie sollen sich nur mehr bemühen, dann würde auch die Arbeitslosigkeit sinken. Schlimmer noch: Sie werden als Durchschummler abgestempelt und damit weiter stigmatisiert, als sie als Arbeitslose ohnehin schon sind. Dem werden selbst so sinnvolle Projekte wie die Aktion 20.000 geopfert, die vielen Menschen eine Beschäftigung geboten hätte.

    Völlig verantwortungslos
    Gar nicht halb so wild ist die Situation in der Kinderbetreuung und der Pflege. Weitere Investitionen in diesem Bereich wären dringend nötig, damit Frauen so am Arbeitsmarkt partizipieren können, wie sie dies wollen – kurzum, um Wahlfreiheit zu gewährleisten. Investitionen in die Bildung, angefangen mit dem Kindergarten, sind zudem ein wichtiges Instrument, damit auch jene Kinder sich entfalten können, deren Eltern keine Zeit oder nicht die Möglichkeit haben, ihnen beim Lernen zu helfen. Die Regierung aber nimmt in Kauf, dass viele junge Menschen weiterhin ein hohes Risiko haben, später in der Arbeitslosigkeit festzuhängen. Das ist völlig verantwortungslos.
    Eine gerechte Verteilung des Wohlstands sowie bessere Chancen für die Menschen: Dies sind keine Anliegen der neuen Regierung. Vielmehr setzt sie auf Spaltung – und das ist letztlich auch für den Wirtschaftsstandort ein Problem.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 4/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498405180 Reportage: Der vertrauensvolle Bauer hat die dicksten Kartoffeln Das Marchfeld im Osten von Wien: Kein noch so kleiner Hügel bremst den Blick, die Windräder ziehen träge ihre Kreise an diesem sonnig-kalten Märzmorgen. Die meisten Äcker sind noch braun, nur die Spargelhügel sind mit weißen Folien bedeckt. Auch auf dem BioHof Adamah in Glinzendorf fehlt noch der bunte Blumenschmuck. Die Nussbäume im Garten sind kahl, doch hinter den Scheunentoren und in den Folientunneln hat der Frühling schon begonnen. Im Hofladen herrscht bereits geschäftiges Treiben, die Körbe und Regale sind gut gefüllt. Zwischen 9 und 18.30 Uhr, samstags bis 16 Uhr, können sich hier Ernährungsbewusste aus Wien und Umgebung mit Bio-Lebensmitteln versorgen.
    Der Name Adamah kommt übrigens aus dem Hebräischen und bedeutet lebendige Erde. Im Jahr 1995 hat das Ehepaar Zoubek den Bauernhof erstanden, um hier in Zukunft Karotten, Sellerie, Radieschen und Co biologisch anzubauen. 1997 war die Umstellung abgeschlossen und das von vielen kritisch beäugte Projekt startete. Es wurde eine österreichische Erfolgsgeschichte: Heute ist der BioHof mit anderen Bio-Produzenten international vernetzt, im Webshop werden 2.400 Produkte angeboten, pro Woche rund 8.000 BioKistln ausgeliefert. Und fast jedes Jahr gibt es eine Auszeichnung, 2017 etwa den TRIGOS Niederösterreich für „Ganzheitliches CSR-Management“. Einer von mehreren Gründen für die Auszeichnung war das besondere Arbeitszeitmodell, das bei Adamah gelebt wird: die Vertrauensgleitzeit.
    Vor rund sieben Jahren wurde dieses Modell ganz offiziell etabliert. Flexibel war man hier schon immer, „aber wir wollten dem Ganzen einen Namen geben und dass alle über ihre Rechte und Pflichten genau Bescheid wissen“, erzählt Christian Zoubek. Er ist der älteste Sohn von Gerhard und Sigrid Zoubek. Die drei Söhne und die Tochter sowie zum Teil auch deren PartnerInnen sind im elterlichen Betrieb beschäftigt. „Vertrauensgleitzeit, das bedeutet, dass die Beschäftigten zwar wie gesetzlich vorgeschrieben Arbeitszeitaufzeichnungen machen müssen, aber es gibt keine Kernzeit. Wenn jemand früher gehen oder länger Mittagspause machen will, dann ist das kein Problem.“
    Gleitzeit für FeldarbeiterInnen, geht das? „Tatsächlich ist das Modell nur für unsere Büroangestellten möglich, schon deshalb, weil es im Kundendienst ja fixe Zeiten gibt. Aber an sich sind wir auch in den anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei den PackerInnen, sehr flexibel. Unsere Teilzeitmodelle reichen von 16 bis 32 Wochenstunden. Der Kundendienst, etwa die Webshop-Betreuung, arbeitet zum Teil im Homeoffice. An schönen Tagen sitzen die MitarbeiterInnen auch draußen im Freien mit ihren Laptops. Der Telefon-Kundendienst funktioniert bis dato nur hier vor Ort, obwohl wir dabei sind, die Telefonanlage so zu ändern, dass KundInnen mit unserer Telefonnummer auch MitarbeiterInnen im Homeoffice erreichen.“ Allerdings gebe es in dieser Gegend noch immer keine ausreichend schnelle Internetverbindung. Betriebsrat gibt es bei Adamah übrigens keinen. Bisher sei noch kein Beschäftigter in diese Richtung aktiv geworden – auch wenn ein fixer Ansprechpartner vielleicht manche Veränderungen erleichtern würde, gesteht Zoubek ein und denkt dabei an die aktuelle Datenschutz-Grundverordnung.

    Drei Stunden Mittagspause
    In der großen Küche, die direkt an den BioLaden anschließt, steht ein riesiger rustikaler Esstisch. Hier wird täglich für die Angestellten frisch gekocht und für die ArbeiterInnen und FahrerInnen werden Jausenpakete zusammengestellt. Der Personalverantwortliche Christian Brenner – bei Adamah arbeiten zur Hauptsaison um die 125 Beschäftigte – kommt vorbei und setzt sich kurz dazu. Er findet die Vertrauensgleitzeit optimal für sich selbst, weil er gerade ein Studium absolviert, aber auch für die KollegInnen. „Früher musste man den Bereichsleiter vorher fragen, wenn man früher gehen oder später kommen wollte. Jetzt ist das nur in Ausnahmefällen nötig, etwa wenn ein Projekt beendet werden muss.“ So ist es möglich, dass eine Mitarbeiterin, die im Nachbarort wohnt, manchmal zwei bis drei Stunden Mittagspause macht und eine andere während eines bestimmten Zeitraums weniger arbeitet, weil ihre Kinder Ferien haben. Es gibt aber auch einen jungen Angestellten ohne Kinder, der Teilzeit arbeitet, weil er einfach mehr Freizeit haben will.
    „Wir legen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter das möglichst eigenverantwortlich regeln – natürlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“, so Christian Zoubek. „Und wir haben bisher noch keine schlechten Erfahrungen damit gemacht. Es geht eher um das Bremsen der Übermotivierten. Aber da reicht in der Regel das Gespräch.“ Serverabschaltungen abends oder am Wochenende seien nicht nötig.

    Grüne Ampel
    Gleitzeit von 6 bis 22 Uhr ohne Kernzeit, das funktioniert seit 2004 auch im Non-Profit-Unternehmen ABZ Austria, das sich mit der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt beschäftigt. Die Bedingungen hier sind allerdings ganz anders. Viele der rund 170 MitarbeiterInnen haben längerfristig vereinbarte Beratungstermine oder arbeiten zu bestimmten Zeiten mit Teilnehmerinnen in Workshops. Der Großteil arbeitet Teilzeit. Eineinhalb Jahre haben Geschäftsführung und Betriebsrat gemeinsam mit einem externen Berater an dem Modell gebastelt. Seit einiger Zeit erleichtert eine spezielle Software die Arbeitszeitaufzeichnung. Mit dem Ampelsystem in den Farben Grün, Orange und Rot erkennen die Beschäftigten jederzeit auf einen Blick den Stand ihres Arbeitszeitkontos und wie weit sie im Plus oder Minus sind. Erreicht der Saldo die doppelte Summe der Wochenarbeitszeit (= Orange), wird gemeinsam mit der Vorgesetzten ein Plan erstellt, wie man wieder in den grünen Bereich kommt.
    „Das System ermöglicht unseren MitarbeiterInnen viel Eigenverantwortung in der Zeiteinteilung. Technik wird bei uns zur Unterstützung eingesetzt und nicht zur Kontrolle. Bei Rot wird der Betriebsrat aktiv und es wird geschaut, wie es dazu kommen konnte“, beschreibt Geschäftsführerin Manuela Vollmann das Ampelsystem. „Rot gab es eigentlich ganz selten und nur anfangs, bis sich alle an das Modell gewöhnt hatten. Heute dominiert die Farbe Grün und selbst Orange kommt nur selten vor.“ Auch bei der jungen PR-Verantwortlichen Lena Obermaier, die seit rund einem Jahr bei ABZ Austria arbeitet und neben ihrem 30-Stunden-Job Gender Studies studiert, war die Zeitliste bisher noch nie gelb. „Zu Semesterbeginn vereinbaren wir meine Arbeitszeiten und eventuell auch die Homeoffice-Tage. Das klappt wirklich sehr gut.“

    30 Stunden als Ziel
    Bei ABZ Austria gibt es insgesamt 24 Teilzeitmodelle auf Basis einer Fünftagewoche. „Diese Flexibilität bedeutet viel Arbeit unter anderem für die Personalabteilung, aber unser Kerngeschäft ist die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben, und wir können nicht Wasser predigen und Wein trinken“, so Vollmann. „Das war auch der Grund für die Entwicklung des Modells, der Wunsch kam weniger von den MitarbeiterInnen. Bis dahin wurde es individuell vereinbart. Doch wir wollten ein gerechtes Modell, wo die Vereinbarungen nicht womöglich vom Verhandlungsgeschick einer Mitarbeiterin oder Gruppenleiterin abhängen.“
    Basis aller Dienstverträge ist immer die Fünftagewoche. Es gibt zwar bei Bedarf und nach individueller Vereinbarung die Möglichkeit einer Viertagewoche, aber keine fixen Zusagen. „Immer wieder bewerben sich Frauen, die das gerne hätten“, erzählt Manuela Vollmann. „Aber dann wäre die Diensteinteilung für unsere Projektleite-rinnen noch komplizierter. Schließlich müssen Stundenpläne eingehalten und Ziele erfüllt werden. Da kann die Geschäftsführung nicht mit individuell vereinbarten Vier-Tage-Verträgen dagegen arbeiten.“
    Dem Leitbild entsprechend haben bei ABZ Austria auch Frauen mit Kindern faire Karrierechancen: Von 18 Führungskräften sind 15 Mütter. Doch prinzipiell ist man sich des Risikos bewusst, dass bei Arbeitszeitreduzierung bzw. -flexibilisierung in der Regel die Frauen die gewonnene Zeit für die Familie verwenden, während Männer auf Weiterbildung setzen oder (noch mehr) Überstunden machen. So spricht sich Vollmann durchaus für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung aus. „Doch wenn man nicht gegensteuert, besteht die Gefahr, dass konservative Geschlechterrollen einzementiert werden. Und ganz praktisch betrachtet möchte ich verhindern, dass das Einkommen unserer Mitarbeiterinnen so weit sinkt, dass es dann später in der Pension zu Problemen kommt. Daher streben wir auch für Teilzeitkräfte 30 Wochenstunden an (der Durchschnitt liegt derzeit bei 28,2). Wir haben auch in der Beratung festgestellt, dass spätestens der Pensionskonto-Auszug für viele Frauen eine negative Überraschung war. Insofern bieten wir unseren MitarbeiterInnen je nach Projektmöglichkeiten immer wieder die Erhöhung der Wochenstunden an. Es kommt auch vor, dass wir mit Mitarbeiterinnen darüber sprechen, wie die Väter mehr einbezogen werden können. Uns ist wichtig, dafür Bewusstsein zu schaffen, dass auch Männer weniger Stunden fordern können, um ihren Anteil an der Versorgungs- und Erziehungsarbeit zu leisten.“

    Massentaugliche Modelle?
    Flexible Modelle, die es Beschäftigten ermöglichen, die Arbeitszeit ihren Bedürfnissen anzupassen, gibt es immer häufiger auch dort, wo nicht Bio, Sozial oder Non-Profit draufsteht. Aktuell wagen sich etwa auch Banken und internationale Konzerne an variable Arbeitszeitmodelle ohne Kernzeit heran. Fraglich ist allerdings, wie weit die Freiheit in freiwillige Mehrarbeit und noch mehr Stress ausartet. Ein von den Gewerkschaften hart erkämpftes Modell ist die Freizeitoption. Sie ist seit 2013 in einigen großen Industriezweigen wie Elektro(nik), Papier, Bergbau, Stahl und Metall möglich. Dabei kann die jährliche Ist-Erhöhung der Löhne und Gehälter statt in Geld in Freizeit abgegolten werden. Diese Freizeit kann nach den Wünschen des/der Beschäftigten konsumiert werden.
    Eva Scherz, Sekretärin Geschäftsbereich Interessenvertretung der GPA-djp, fasst die bisherigen Erfahrungen zusammen: „Beschäftigte zwischen 31 und 40 wählen häufiger als andere Altersgruppen die Freizeitoption, wobei die Zeit ganz unterschiedlich verwendet wird.“ Manche gehen bei Bedarf früher, um ein Kind abzuholen, oder nützen die Freizeit für den Hausbau. Wer etwa ein FH-Studium absolviert, kann sich für die Blockveranstaltungen am Wochenende den jeweiligen Freitag freinehmen. Manche sparen länger an für sechs Wochen Urlaub am Stück. Vergleichsweise selten wird regelmäßig die wöchentliche Arbeitszeit reduziert.
    „Insgesamt“, so Eva Scherz, „kommt die Freizeitoption bei den Beschäftigten gut an. Zum Teil bremsen allerdings die Firmen, vor allem wegen des bürokratischen Aufwands.“ Immerhin ist die Freizeitoption schon jetzt in mehreren Kollektivverträgen für zehn Jahre gesichert. Innerhalb eines Unternehmens ist es viermal (= vier Jahre) möglich, sich für dieses Modell zu entscheiden, davon maximal zweimal vor dem 50. Lebensjahr. Nicht aufgebrauchte Freizeitgutschriften behalten bis zur Pensionierung ihre Gültigkeit.

    So macht flexibel Spaß
    Zurück ins Marchfeld zum BioHof Adamah. Hinter den kühlen Lager- und Landwirtschaftshallen liegt einer der Folientunnel. Weil sich diese auf der anderen Seite der Ortschaft befinden, fahren wir ein Stück mit dem Elektroauto (auf dem Hof gibt es eine Solarstrom-Tankstelle). Im Gewächshaus ist es hell und angenehm warm, zahlreiche Pflänzchen sprießen in kleinen Anzuchttöpfen. Ganz hinten treffen wir Johannes. Er ist verantwortlich für alles leichter Verderbliche, das in den Folientunneln wächst, also Salate und Jungpflanzen. Der Kulturtechniker hat auch einen eigenen Betrieb, kommt morgens meist später zur Arbeit und bleibt gern länger: „Mein Kollege beginnt schon zeitig in der Früh. So ist immer wer da und ich kann vor Arbeitsbeginn noch die Arbeiter in meinem Betrieb einteilen. Außerdem: Je später es wird, desto ungestörter kann ich arbeiten. Die Unterbrechungen durch Kollegen oder Anrufe werden seltener.“
    Auch Hansi, wie Johannes auf dem Hof genannt wird, springt hin und wieder im Verkauf ein. Das kurzzeitige Wechseln in andere Arbeitsbereiche scheint den Beschäftigten hier eher Spaß zu machen, als Stress zu bereiten. Für Johannes, der ganz in der Nähe wohnt, ist es kein Problem, auch einmal für zwei Stunden vorbeizukommen, etwa weil eine Lieferung ausnahmsweise erst spät nachts ankommt. Als wir wieder ins Auto einsteigen, kommt uns eine Gruppe FeldarbeiterInnen entgegen, die gerade ihre Mittagspause beginnen. Normalerweise dauert diese eine Stunde. Doch im Hochsommer, wenn es richtig heiß ist, gibt die Natur den Takt vor und die ArbeiterInnen machen mittags auch einmal zwei Stunden Pause.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Text: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498405127 Christian Zoubek prüft, wie weit die Saatkartoffeln schon austreiben. Im Marchfeld gedeihen alle Arten von Wurzelgemüse besonders gut. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498405155 oben: Senada arbeitet in der Landwirtschaftshalle als Packerin für die BioKistln. </br>unten: Christian Brenner ist Personalverantwortlicher und schätzt die Vertrauensgleitzeit. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498405160 oben: Kulturtechniker Johannes kommt gerne später und arbeitet dafür abends länger.</br>unten: Robert ist seit Jänner stellvertretender Produktionsleiter. Ihm gefällt das Arbeitsklima. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403464 Angriffe auf leistbares Wohnen In Österreich steigen die Wohnkosten rasant, vor allem in den Städten. Überproportional davon betroffen sind vor allem jene Haushalte im privaten Mietwohnungssegment, die einen neuen Mietvertrag abschließen oder deren abgelaufener befristeter Mietvertrag verlängert werden soll. In Wien sind jährlich rund zwei Drittel der jeweils neuen Mietverträge diesem Segment zuzuordnen, in anderen Städten und Ballungsgebieten ist es ähnlich. Die aktuellen privaten Mieten sind in der unteren Einkommenshälfte vielfach nicht oder nur kaum erschwinglich. Nicht selten beläuft sich die Belastung des monatlich verfügbaren Einkommens auf mehr als 40 Prozent, und zwar ohne dass Heiz- und sonstige Energiekosten berücksichtigt wären.
    Reagiert die neue Regierung auf diese Herausforderungen? Zum Thema Wohnen finden sich im VP/FP-Regierungsprogramm unter der Überschrift „Modernisierung des Wohnrechts“ und vereinzelt an anderen Stellen einige mehr oder minder konkret ausformulierte Änderungsvorhaben. So will die Regierung ein neues Mietrecht schaffen, das Regierungsprogramm ist dabei jedoch recht vage. Die Rede ist von einem „verständlichen, anwenderfreundlichen, gerechten und transparenten Mietrecht, das ausgewogen die berechtigten Interessen von Mietern und Vermietern als mündige Vertragspartner widerspiegelt“. Über die Interpretation dieses Satzes ergeben sich jedenfalls erhebliche Auffassungsunterschiede, je nachdem, ob man ihn aus MieterInnen- oder VermieterInnensicht betrachtet.
    Problematisch ist jedenfalls die Ankündigung, dass das neue Mietrecht ausdrücklich eine „marktkonforme Miete“ ermöglichen soll. Eine solche führt unweigerlich zur Abbildung der Überhitzungen des Marktes. Da zahlt man dann schon einmal 300 Euro Miete für ein 8 m² großes Zimmer mit Gemeinschaftsdusche oder 1.300 Euro für eine 75-m²-Wohnung. In Ballungsgebieten, in denen es einen Nachfrageüberhang bei den niedrig- bis mittelpreisigen Wohnungen gibt, sind dann für Durchschnitts- und GeringverdienerInnen unleistbare Mieten die Regel.

    Unfaire Logik
    Fair ist es sicher nicht, wenn sich die Höhe der Miete nicht an den Kosten von baulichen Investitionen orientieren muss. Der Marktwert von Immobilien und ihre Marktwertsteigerungen resultieren nämlich nicht nur aus der eigenen Leistung der EigentümerInnen, sondern auch aus den Investitionen und Entscheidungen der Allgemeinheit. Wohnungen können zumeist nur dort lukrativ vermietet werden, wo die öffentliche Hand für die Infrastruktur, für die Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen und die Attraktivität des Wohnumfeldes sowie den sozialen Frieden sorgt. Auch die Finanzkrise und die Flucht in Betongold haben Wert- und Mieterhöhungen am Markt bewirkt. So stellt sich die Marktmiete eher als Profit aus Spekulation statt als Rendite auf Investition dar.

    Mietadel?
    Als Maßnahme nennt das Regierungsprogr
    amm ausdrücklich die „Abschaffung des Mietadels“, und zwar durch eine „zeitgemäße Ausgestaltung der Eintrittsrechte“. Dies bedeutet offensichtlich eine gesetzliche Einschränkung der Rechte von MieterInnen, unter bestimmten Voraussetzungen den Mietvertrag der Eltern/Großeltern zu übernehmen, etwa bei deren Tod. Damit werden noch weniger jüngere, nicht wohlhabende Wohnungssuchende Zugang zu günstigen Wohnungen haben, insbesondere in zentralen und innenstadtnahen Lagen. Doch es ist sehr kurzfristig gedacht: Zwar werden die betreffenden Wohnungen frei, zugleich drängen aber Tausende Haushalte mehr auf den Wohnungsmarkt – und erhöhen damit die Nachfrage, was wiederum preistreibend wirkt. Dazu kommt, dass die frei gewordenen Wohnungen für einen Großteil der Wohnungssuchenden trotzdem nicht leistbar sind.
    Ist es für die Gesellschaft wirklich erstrebenswert und von der Regierung tatsächlich gewollt
    , dass etwa in Wien Wohnungen innerhalb des Gürtels praktisch nur mehr vom obersten Einkommensdezil bewohnt werden können? Wollen wir, dass PolizistInnen, KrankenpflegerInnen oder KindergärtnerInnen zwar dort arbeiten, aber ohne Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie dort auch wohnen können? Nebenbei bemerkt ist es geradezu grotesk und beschämend, dass die Regierung und die Immobilienwirtschaft Menschen, die oft (weit) unter dem Medianeinkommen verdienen, als „Mietadel“ bezeichnen.
    Einige mietrechtliche Maßnahmen, die nach der Absicht der VP/FP-Koalition schon vor einer großen Mietrechtsreform umgesetzt werden sollen, lassen teils massive Verteuerungen für Wohnungssuchende sowie MieterInnen, deren befristete Verträge ablaufen, befürchten. Der Grund: Die Teile des Mietrechts, die der Verfassungsgerichtshof vor Kurzem als Ausdruck des öffentlichen Interesses an Mietzinsdämpfung und Erschwinglichkeit von Wohnraum bestätigt hat, sollen rasch beseitigt werden. Geplant ist etwa die Aufhebung des Verbots des Lagezuschlages in Gründerzeitvierteln. Damit werden die bestehenden Mietenbegrenzungen weiter aufgeweicht.
    Das derzeitige gesetzliche System, das sogenannte Richtwertsystem, kann schon heute seine mietpreisdämpfende Wirkung nur sehr beschränkt entfalten. Zum einen gilt es nur für Altbauwohnungen in Gebäuden, die vor 1945 errichtet wurden. Zum anderen wird in diesem System für viele Wohnungen ein „Lagezuschlag“ berechnet, der sich in der Praxis anhand der explodierenden Grundstückspreise errechnet. Gebiete ohne Lagezuschlag sind in größeren Städten daher die einzigen Lagen, in denen die gesetzliche Mietobergrenze tatsächlich für die Erschwinglichkeit von Wohnraum für weite Bevölkerungskreise sorgt. Das Gesetz definiert bisher (noch) die Gründerzeitviertel, in denen noch immer viele Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Mietskasernen stehen, ausdrücklich als maximal durchschnittliche Lage. Das ist der Immobilienwirtschaft und den in- und ausländischen ImmobilienspekulantInnen ein Dorn im Auge.

    Unverhältnismäßige Erhöhungen
    Dazu ein Beispiel: Eine vierköpfige Familie bewohnt eine 85 m² große Altbauwohnung. Sie hat einen auf vier Jahre befristeten Mietvertrag. Die Wohnung liegt im 17. Wiener Gemein
    debezirk, also einem sogenannten Gründerzeitviertel. Die Miete beträgt derzeit 660 Euro netto plus 180 Euro Betriebskosten plus 10 Prozent Umsatzsteuer, gesamt also 924 Euro (kalt, sprich ohne Heiz- und Energiekosten). Wenn die Regierung ihre Absicht umsetzt, dann droht der Familie bei Verlängerung des Vertrages eine Erhöhung des Mietzinses für diese Wohnung um mehr als 200 Euro. Allein in Wien kann die „Aufhebung des Verbots des Lagezuschlages in Gründerzeitvierteln“ Verteuerungen bei circa 100.000 Wohnungen um bis zu 60 Prozent bewirken, wenn diese neu vermietet oder befristete Verträge verlängert werden. Offensichtlich ist nicht Wohnsicherheit der Bevölkerung das Ziel, „ein selbstbestimmtes, abgesichertes Leben“, wie im Regierungsprogramm behauptet wird. Das bisherige Bekenntnis – im Sinn des Wohls der Familien – zum unbefristeten Mietvertrag und zu seiner Attraktivierung gilt nicht mehr.
    Bezieht man die Wahlprogramme in die Auslegung dieser Formulierung mit ein, bedeutet dies die Abschaffung oder eine erhebliche Verminderung der derzeitigen gesetzlichen Regelung, wonach befristete Mieten um 25 Prozent niedriger sein müssen als unbefristete. Damit können in Zukunft viele befristete Mietverträge im Altbau bei ihrer Verlängerung mit einem Schlag um bis zu ein Viertel teurer werden, ebenso die Neuverträge. Die Konsequenz: Das Angebot von kostengünstigem Wohnraum wird noch kleiner.

    Mogelpackung
    „Mehr Gerechtigkeit im sozialen Wohnbau sicherstellen“ – unter diesem Titel werden regelmäßige Mi
    etzinsanpassungen für BesserverdienerInnen im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau gefordert. Dies ist allerdings eine Mogelpackung. Denn wenn man schon argumentiert, dass jemand „nicht ein Leben lang von einer Wohnbauförderung profitieren darf, wenn er nicht ein Leben lang bedürftig bleibt“, dann müsste man die „soziale Treffsicherheit“ jedenfalls auch bei der Förderung von Eigentum regelmäßig überprüfen. Denn wie ist es zu rechtfertigen, dass jemand – gefördert aus den Mitteln der SteuerzahlerInnen – vor Jahren eine geförderte Eigentumswohnung um einen Bruchteil des heutigen Marktwertes erworben hat und weiter in den Genuss dieser günstigen Wohnmöglichkeit kommt, obwohl er oder sie als mittlerweile BesserverdienerIn die Fördervoraussetzungen schon lang nicht mehr erfüllt?
    Ob beim geförderten Einfamilienhaus, bei der geförderten Eigentumswohnung oder bei den Mietkaufwohnungen der gemeinnützigen Bauvereinigungen: Hier trifft es noch mehr zu, dass die EigentümerInnen lebenslang von der Wohnbauförderung (also durch die SteuerzahlerInnen) profitieren, als bei MieterInnen im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau. Ja, es profitieren sogar noch die unter Umständen bestverdienenden ErbInnen von der Förderung durch die SteuerzahlerInnen. Wenn man also Maßnahmen im Sinn des Regierungsprogramms ergreift, dann auch im geförderten Eigenheim- und Eigentumswohnbau.

    Kurzsichtige Forderung
    Höhere Mieten für BesserverdienerInnen im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau sind zudem sehr kurzsichtig, weil dies dazu führen wird, dass die Wohnungen an Menschen mit geringerem Einkommen gleich gar nicht vermietet werden. Kommunale, gemeinnützige und private, mit Fördermitteln agierende Wohnbauunternehmen könnten Mieteinnahmen optimieren und tendenziell an Besserverdienende vermieten – und müssten dies aus aufsichtsbehördlichen, budgetoptimierenden und betriebswirtschaftlichen Zwängen sogar. Somit haben gerade jene Menschen, für die geförderte Wohnungen eigentlich errichtet wurden, weniger Zugang zu günstigem Wohnraum. Viel sinnvoller ist da die bisherige Praxis, dass alle MieterInnen prinzipiell einen gleich hohen Mietzins bezahlen, jedoch die einkommensschwächeren Haushalte Wohnbeihilfe zur effektiven Wohnkostensenkung erhalten. Damit bezahlen BesserverdienerInnen im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau schon derzeit im Endeffekt mehr.
    Immerhin, für die Menschen, die sich Eigentum leisten können, soll es finanzielle Erleichterungen geben. Das Regierungsprogramm wird dazu blumig: Familien sollen sich „ihren Traum von den eigenen vier Wänden wieder einfacher erfüllen können“. Die Begründung: „Eigentum ist eine wichtige Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.“ Konkret ist darin das Vorhaben verankert, dass „staatliche Gebühren und Steuern im Zusammenhang mit dem Eigentumserwerb“ wegfallen sollen. Klingt ja alles wunderbar, zumindest in der Theorie. Denkt man diesen Vorschlag aber durch, werden sich Familien ihren Traum von den eigenen vier Wänden doch nicht einfacher (= kostengünstiger) erfüllen können, wie die Koalitionspartner glauben machen wollen. Im selben Ausmaß, wie sich die Steuern und Gebühren vermindern, werden die Kaufpreise der Eigentumswohnungen und Eigenheime steigen. Die Kaufpreise am freien Markt bilden sich ja je nachdem, welche Kostenbelastung sich Menschen insgesamt beim Kauf einer Immobilie leisten können. Bauträger werden die Verbilligung der Kaufnebenkosten also schlichtweg „aufsaugen“. Das bedeutet mehr Gewinne für Bauträger auf Kosten des Staates, also der Allgemeinheit.
    „Bauland mobilisieren“: Dieses Stichwort im neuen Regierungsprogramm ist nicht neu. Schon in der alten Regierung war vereinbart, dass „Vorbehaltsflächen für den förderbaren Wohnbau“ bei Umwidmungen von Grundstücken der öffentlichen Hand in Bauland geschaffen werden sollen. Mehr ist mit der ÖVP offensichtlich nicht möglich. Man fragt sich aber zu Recht, warum dies nur für Grundstücke der öffentlichen Hand gelten soll?
    Kann man es von einem privaten Grundeigentümer nicht verlangen, dass er einen Teil seines Grundstücks zu einem sozialen Preis für den geförderten Wohnbau zur Verfügung stellen muss, wenn er nicht durch eigene Leistung, sondern durch die Baulandwidmung der öffentlichem Hand zum Millionär wird?

    ArbeitnehmerInnen ignoriert
    Schon StadtforscherInnen des Kollektivs urbaniZm haben nachgewiesen, dass die Regierung die Forderungen der Immobilientreuhänder und institutionellen Anleger wie Banken, Versicherungen oder ausländische Investmentfonds im Regierungsprogramm zu den ihrigen gemacht hat. Schwarz-Blau will also offensichtlich deren Interessen fördern, die Nöte der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen spielen offensichtlich keine Rolle. Für die mittleren und einkommensschwächeren Haushalte wird nichts getan, ganz im Gegenteil: Für ein großes Wohnungssegment, das meist von Durchschnitts- und GeringverdienerInnen bewohnt wird, werden die Mieten noch teurer.

    Linktipp:
    „Wie sich die Immobilienwirtschaft in das Regierungsprogramm eingebracht hat“:
    tinyurl.com/y75qbtx9

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor walter.rosifka@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Walter Rosifka, Abteilung KonsumentInnenschutz der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403450 Die Regierung hat die Forderungen der Immobilienwirtschaft zu den ihrigen gemacht. Die Nöte der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen spielen offensichtlich keine Rolle. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403458 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403439 Öffentlich-rechtlicher Zankapfel Propaganda, Lügensender, Fake News. Der Ton der FPÖ gegenüber dem ORF ist in der Regierung rau geblieben. Vizekanzler Heinz-Christian Strache spricht von „Zwangsgebühren“ und ruft via Facebook zur Unterstützung des von der Christlichen Partei initiierten Anti-GIS-Volksbegehrens auf. Die Gebührenfinanzierung ist bei den Freiheitlichen Feindbild und Druckmittel. So empörte sich Infrastrukturminister Norbert Hofer im Februar auf Facebook: „Der ORF schafft es tatsächlich, in der ZIB1 über den Transitgipfel zu berichten, ohne den Verkehrsminister zu erwähnen. Ob ich für Zwangsgebühren bin? Nein!“ Für Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell ist es „ungehörig, in einer Demokratie Druck auf Medien aufzubauen“. PolitikerInnen dürften Unzufriedenheit mit Berichten äußern. „Die Grenze wird überschritten, wenn das mit Forderungen verknüpft wird, wie der Zustimmung zum Budget im Stiftungsrat.“ Die Redaktion entscheide, wie eine Geschichte aussieht, nicht die Politik.

    Objekt der Begierde
    Im Regierungsprogramm bekennt sich Türkis-Blau zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sender sollen nicht veräußert werden. Geplant ist ein neues ORF-Gesetz samt Weiterentwicklung von Struktur und Gremien. Bei Schwarz-Blau 1 war das so: Enquete, neues ORF-Gesetz, neue Generaldirektorin. ORF-Publikumsrat und Stiftungsrat konstituieren sich im Mai 2017 neu. Im Stiftungsrat mit 35 Mitgliedern hat die Regierung dann eine Zweidrittelmehrheit und könnte den bis 2021 bestellten Generaldirektor Alexander Wrabetz absetzen. Im Juni soll es eine Medienenquete geben. Willi Mernyi vertritt den ÖGB (noch) in beiden Gremien. „Meine Funktion im Stiftungsrat wird aber umgefärbt.“ Im Publikumsrat leitet er den Programmausschuss. Eine Errungenschaft sei es, „Arbeitswelt-Aspekte“ im Programm verankert zu haben. Mit Programmschwerpunkten, wie zum Gedenkjahr 1938, habe der ORF seine gesellschaftspolitische Rolle wahrgenommen. „Wo waren die Privaten?“, fragt der Gewerkschafter. Mernyi hält es für zentral, kritische ORF-JournalistInnen gegen politische Intervention zu verteidigen.
    Dem stimmt Hans-Henning Scharsach zu. In seinem Buch „Stille Machtergreifung“ beschäftigt er sich auch mit der Medienpolitik der Freiheitlichen. Für ihn haben die verbalen Attacken der FPÖ auf den ORF System, beispielsweise die anhaltende Empörung nach einem Fehler des ORF Tirol. In einem Beitrag wurde die Entgegnung des FPÖ-Obmanns Markus Abwerzger auf antisemitische Aussagen eines älteren Passanten weggeschnitten. Eine Entschuldigung und die Neuausstrahlung des ungeschnittenen Beitrags halfen nicht. In der ORF-Debatte rief Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zur „Ent-Emotionalisierung“ auf. Scharsach glaubt, dass die Freiheitlichen im neuen Stiftungsrat die GIS-Gebühren kappen möchten. Die FPÖ setze auf Social-Media-Kanäle und parteinahe Medien, wo Botschaften ohne kritische Nachfragen gestreut werden. „Wird der ORF aus dem Budget gezahlt, wäre das ein starkes Druckmittel für die Regierung“, sagt Scharsach. Gewerkschafter Mernyi fasst das so zusammen: „Mit Gebühren ist der ORF dem Publikum verpflichtet, beim Budget der Regierung.“

    Gebühr vs. Budget
    Zur Finanzierung heißt es im Regierungsprogramm für alle Mediengattungen: „Ganz ohne öffentliche Teilfi-nanzierung wird es nicht möglich sein, österreichische Identität in den Medien auf Dauer zu sichern.“ Gebühren sind die Haupteinnahmequelle des ORF. 2018 sind 635 Millionen Euro budgetiert. Das Entgelt fließt in vier TV-Kanäle, zwölf Radioprogramme, Teletext und Internet. Die GIS-Rechnung beträgt je nach Bundesland zwischen 20,93 und 26,73 Euro. Konsumentenschützerin Daniela Zimmer vertritt die Arbeiterkammer im Publikums- und Stiftungsrat. Sie kritisiert, dass es für KonsumentInnen nicht ersichtlich ist, dass mit 17,21 Euro nur ein Teil ihrer Gebühren an den ORF geht. Der Gesamtbetrag inkludiert einen Kunstförderungsbeitrag und – mit Ausnahme von Oberösterreich und Vorarlberg – eine Länderabgabe. „Das Mindeste wäre es, das aufzuschlüsseln oder die Länderabgabe zu entkoppeln“, so Zimmer.
    Eine Alternative zur GIS könnte eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz sein. Jeder zahlt, egal, ob er ein Rundfunkempfangsgerät hat oder nicht. Das findet Publizistikprofessor Hausjell fair: „In Österreich ist befreit, wer ORF-Angebote nur streamt. Mit der Zeit entfernen sich zu große Gruppen von der solidarischen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ Es bräuchte außerdem keine GIS-Überprüfungen mehr. Doch Medienminister Blümel hat sich in einer Aussendung dagegen ausgesprochen: Die Regierung wolle die Steuer- und Abgabenquote senken.

    Österreich-Fokus
    Die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft vielerorts. In Deutschland protestiert die AfD gegen „Zwangsgebühren“. In der Schweiz lehnten 71,06 Prozent eine Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ab. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) möchte aber 100 Millionen Franken einsparen, Gebühren senken und mehr Schweizer Programm senden. Die türkis-blaue Regierung in Österreich will den öffentlich-rechtlichen Auftrag im Gesetz neu festschreiben. Ein Fokus liegt auf österreichischen Inhalten. Für AK-Konsumentenschützerin Zimmer ist ein Mix aus regional, national und international wichtig. „Das Programm sollte in einer globalisierten Welt über den Tellerrand blicken.“ Österreichische Inhalte würden nicht automatisch die Negierung von Minderheiten bedeuten: „Diese können auch jene von Minderheiten sein. Sie sind im ORF-Gesetz durch den Pluralitätsanspruch geschützt.“
    Minderheitenprogramme sieht auch Hans-Henning Scharsach nicht in Gefahr. Er befürchtet nur, dass der Ton gegenüber Randgruppen in anderen Bereichen rauer werden könnte. Der ORF fahre einen „vernünftigen Mittelweg“ mit Information und Unterhaltung. Im Regierungsprogramm ist die Rede von „nachhaltiger Identitätssicherung“. Scharsach hofft, dass die Vielfalt erhalten bleibt: „Wenn der Großteil des Publikums lieber englische Musik hört und es kommt zu viel Schlager, ist das nicht meine Auffassung vom ORF.“ Die Vielfalt Österreichs in Musik, Film und Kultur müsse fernab von Klischees gezeigt werden.

    Schuhlöffel für die Privaten
    Der ORF und die Privaten sollen enger zusammenarbeiten, fordert die Regierung. So soll es eine gemeinsame digitale Vermarktungsplattform geben, um österreichische Public-Value-Inhalte einem möglichst großen Publikum zu präsentieren. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum „Schuhlöffel für die Privaten“ werden soll, wie Blümel es ausgedrückt hat, kann Willi Mernyi nicht goutieren. „Ich habe kein Verständnis, dass mit Gebührenentgelt Boulevard-Gratiszeitungen querfinanziert werden, die zur Gebührenabschaffung aufrufen.“
    „Die Digitalisierung ist im Vormarsch“, heißt es im Regierungsprogramm. Mernyi sieht hier Nachholbedarf im ORF. „Die Gebührenzahler finanzieren eine Sendung, können sich diese online aber nur sieben Tage anschauen. Wieso? Die private Konkurrenz will das nicht“, so Mernyi. Weiters kritisiert er, dass Radio, Online und TV unzureichend verknüpft sind. „Wenn Sie einen Artikel auf ORF.at lesen, finden Sie nur Links zu anderen Artikeln, aber nicht zur TVthek.“ Der ORF müsse sich als Einheit präsentieren.

    Behäbigkeit
    Konsumentenschützerin Zimmer kritisiert die Dauer von Genehmigungsverfahren, die der ORF bei neuen Vorhaben durchlaufen muss. „Mit Konkurrenz von Netflix & Co muss der ORF schneller reagieren können.“ Nicht kundInnengerecht sei die Verpflichtung, „nur Sendungsbegleitendes online stellen zu dürfen, was vertiefende Information ausschließt“. Auch eine hohe Medienkompetenz sei zentral für den VerbraucherInnenschutz. Das im letzten Jahr gestartete Ö1-Medienmagazin „Doublecheck“ wertet Zimmer als großen Erfolg. Schlussendlich geht es darum, dem Publikum zu vermitteln, was der ORF für die Demokratie leistet und dem Bürger, der Bürgerin nützt. Fritz Hausjell bringt das auf den Punkt: „Es geht um die Wahrnehmung Ihrer Interessen, Ihrer Sichtweisen und darum, dass sie medial nicht unter die Räder geraten.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sandra.knopp@gmx.at und udoseelhofer426@msn.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sandra Knopp und Udo Seelhofer, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403433 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403425 Gefährliches Spiel mit Standards Bevor Österreich der Europäischen Union beitrat, wurden Verschlechterungen befürchtet. In Österreich galten viel bessere Regelungen, als sie von der EU verlangt wurden. Würde der Beitritt zur Folge haben, dass hierzulande die Standards sinken? Damals beruhigte man zu Recht: Die EU lege Mindeststandards fest und es stehe jedem Mitgliedsland frei, bessere Regelungen zu beschließen. Der Fachbegriff für diesen Umstand lautet Gold Plating. Die türkis-blaue Koalition hat dem nun den Kampf angesagt. Im Regierungsprogramm ist gleich mehrmals davon die Rede, dass Gold Plating beseitigt werden soll. Damit wären ganz erhebliche negative Auswirkungen in Bereichen wie der Beschäftigung, dem Konsum und der Umwelt für breite Teile der Gesellschaft verbunden. Darüber spricht die Regierung freilich nicht, vielmehr wird Gold Plating als Fessel der Wirtschaft dargestellt, die es zu zerreißen gelte.

    Gold Plating – was ist das?
    Worum geht es beim sogenannten Gold Plating? Regelmäßig werden auf EU-Ebene Richtlinien verabschiedet, die Mindeststandards für die jeweiligen Politikbereiche enthalten, beispielsweise Beschäftigung, VerbraucherInnenschutz oder Umwelt. Diese Richtlinien müssen in nationales Recht umgesetzt werden, wobei die im EU-Rechtstext definierten Mindeststandards nicht unterschritten werden dürfen.
    Bereits im Vorfeld zu Verhandlungen für neue EU-Rechtsakte kämpfen Mitgliedsländer, die selbst niedrige Schutzniveaus haben, dafür, dass die Minimumstandards dieser Rechtsakte möglichst tief angesetzt werden. Damit wollen diese Länder die Aufwendungen möglichst gering halten, die eine Hebung ihrer rückständigen, teils veralteten Standards mit sich bringen würde.
    Viele EU-Staaten haben demgegenüber wesentlich fortschrittlichere Gesetze mit weit besseren Standards für ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen oder die Umwelt. Diese fortschrittlichen Regelungen mit überbordender Bürokratie oder besonderem Luxus in Verbindung zu bringen, ist irreführend. Im Gegenteil: Es geht um selbstverständliche, teilweise seit Jahrzehnten bestehende Standards, die nun unter dem Vorwand des Gold Plating infrage gestellt werden sollen.
    Grundsätzlich finden sich schon in früheren Gesetzen Ansätze, die dem jetzigen Vorhaben der Regierung ähneln. Sowohl im Deregulierungsgesetz von 2001 als auch im Deregulierungsgrundsätzegesetz vom April 2017 findet sich der Passus, dass vorgegebene Standards in EU-Richtlinien nicht ohne Grund übererfüllt werden sollen. Allerdings ist diese Formulierung eher als genereller Grundsatz zu verstehen. Davon, dass der Gesetzgeber ohne jeglichen Grund fortschrittlichere Regeln erlässt, als an EU-Mindeststandards vorgesehen, ist wohl kaum auszugehen.
    Die jetzige Gold-Plating-Diskussion ist jedoch vor allem als eines zu sehen: Als Wunschprogramm der Wirtschaft, um lästige, mit Kostenaufwand verbundene Standards loszuwerden. Die neue Regierung verliert dabei keine Zeit, die Wünsche der Großindustriellen und -unternehmerInnen zu erfüllen: Bis Mai haben Ministerien und Interessenvertretungen die Möglichkeit, Bestimmungen zu melden, die (aus Sicht der jeweiligen VertreterInnen) eine „Übererfüllung“ der im EU-Recht vorgegebenen Mindeststandards darstellen. Nach einer Begutachtungsphase könnte die Debatte im Nationalrat über die eingebrachten Vorschläge bereits im Herbst folgen.

    Über das Mindestmaß hinaus
    Die Standards, die letztlich gestrichen werden sollen, könnten en bloc gegen Ende des Jahres bzw. Anfang kommenden Jahres verabschiedet werden. Viele der Regeln, die in einem durchdachten demokratischen Prozess – abgestimmt mit den VertreterInnen der früheren Regierungskoalitionen, zumeist unter Mitwirkung der Sozialpartner – beschlossen wurden, wären damit ohne viel Diskussion weggewischt. Dass es zu einer Streichung von Beschäftigten-, KonsumentInnen- oder Umweltstandards kommen könnte, streitet der zuständige Bundesminister Josef Moser allerdings ab. Seiner Darstellung nach sollen die infrage stehenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, Beschäftigung und Sozialstandards untersucht werden.
    Österreich geht in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen über das in den EU-Richtlinien formulierte absolute Mindestmaß hinaus:

    • Gemäß der Arbeitszeitrichtlinie ist ein bezahlter Jahresurlaub von mindestens vier Wochen im Jahr vorgesehen. Das österreichische Arbeitsrecht sieht im Vergleich dazu einen bezahlten Jahresurlaub von mindestens fünf Wochen bzw. nach 25 Jahren Dienstzeit sechs Wochen vor. Das Gold Plating bringt in diesem Fall also ein bis zwei Wochen mehr Jahresurlaub – ermöglicht durch nationale Regelungen.
    • Beim VerbraucherInnenschutz geht Österreich ebenso in vielen Fällen über die EU-Mindeststandards hinaus. Bei Strom und Gas etwa ist eine Grundversorgung auch bei Zahlungsschwierigkeiten in Österreich gesetzlich verankert. Auch diese Regelung geht über die Vorschriften in den EU-Rechtstexten hinaus. Ein weiteres Beispiel ist die Deckelung der Pönale, wenn der Konsument bzw. die Konsumentin seinen bzw. ihren VerbraucherInnenkredit vorzeitig zurückzahlt. Diese beträgt ein Prozent des vorzeitig zurückgezahlten Betrags (früher waren es sogar fünf Prozent). In der EU-Verbraucherkreditrichtlinie ist eine derartige Deckelung nicht vorgesehen.
    • Aus den Erfahrungen mit (illegalen) Mülldeponien und deren kosten- und zeitaufwendiger Sanierung hat Österreich strenge Standards für die Errichtung von Deponien und deren Betrieb entwickelt. Diese gehen weit über die vagen Formulierungen in der EU-Deponienrichtlinie hinaus. Sie haben vor allem bei Bevölkerung und Wirtschaft Vertrauen geschaffen. Müllentsorgungsprobleme, wie es sie beispielsweise in Italien gibt, kennt Österreich daher nicht.

    Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, die der Definition nach als Gold Plating eingestuft werden müssten. Regelungen zum Mutterschutz, zur Elternkarenz, zu LeiharbeitnehmerInnen, zur Entsendung von Beschäftigten, zur Berufsqualifikation, aber auch zu wirtschaftspolitischen Bereichen wie der Energiepolitik und der Kontrolle von Unternehmen fallen beispielsweise ebenso darunter.
    Eine ähnliche Entwicklung wie in Österreich kann man auch auf EU-Ebene verfolgen. Seit vielen Jahren arbeitet die Europäische Kommission daran, die „überbordende Bürokratie“ auf EU-Ebene abzubauen. Die Beteuerung der Kommission: Es gehe ihr um die BürgerInnen, um die Gesellschaft und auch um die kleinen Unternehmen. Im Rahmen von REFIT, dem Programm zum Abbau von Verwaltungslasten, soll mehr Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung gewährleistet werden – auf den ersten Blick eine begrüßenswerte Initiative. Ein Blick hinter die Kulissen sorgt jedoch für Ernüchterung. Eine eigene von der Kommission eingesetzte hochrangige Gruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber stellt im Abschlussbericht klar: Es ist die konsequente Anwendung des Prinzips „Vorfahrt für Klein- und Mittelunternehmen“ vorzusehen. Die Gruppe um Stoiber empfiehlt im Bericht darüber hinaus den Mitgliedstaaten ausdrücklich, das Gold Plating auf nationaler Ebene zu überprüfen.
    Von den Anliegen der Beschäftigten und der Gesellschaft ist in der weiteren Folge nichts mehr zu lesen, ganz im Gegenteil: Die derzeit in Verhandlung befindliche REFIT-Initiative zur Einführung der sogenannten Europäischen Elektronischen Dienstleistungskarte würde beispielsweise Scheinselbstständigkeit und Scheinentsendungen fördern. Sie schadet also den Beschäftigten.

    Parallelen zum Steueroasen-Skandal
    Bei der Gold-Plating-Diskussion zeigen sich Parallelen zu den Gewinnverlagerungen der Konzerne in Steueroasen: Das Verhalten von Steuersumpf-Ländern führt zu einem Wettlauf um die niedrigsten Gewinnsteuersätze auf Kosten anderer Staaten. Ähnliches könnte beim Gold Plating passieren. Die Mitgliedsländer könnten einen Wettkampf um die schlechtesten möglichen Standards beginnen. Dieses Verhalten hätte gravierende negative Folgewirkungen für die gesamte Gesellschaft. Gewinner wären wie schon bei den Steueroasen-Skandalen hauptsächlich Großindustrielle und multinationale Konzerne.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor frank.ey@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Frank Ey, Abteilung EU & Internationales der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403413 Die jetzige Gold-Plating-Diskussion ist vor allem eins: ein Wunschprogramm der Wirtschaft, um lästige, mit Kostenaufwand verbundene Standards loszuwerden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403396 Ohne großes Aufsehen Die Bundesregierung – nun seit Mitte Dezember im Amt – sieht in der Deregulierung und Rechtsbereinigung eine ihrer dringlichsten Aufgaben. Kurz gesagt: Es wird wieder einmal reformiert. Weil der Begriff Reform so überzeugend klingt, möchte sich auch Justizminister Josef Moser ein Stückerl davon abschneiden und damit Geschichte schreiben – und das möglichst schnell. Bereits bis zur Sommerpause will er die Gesetzbücher durchforsten lassen. Im Visier: Bundesgesetze, die vor 2000 erlassen wurden und von anderen Ministerien als nicht absolut notwendig erachtet werden. Diese sollen gestrichen werden.
    „Was mir in der augenblicklichen Diskussion nicht gefällt, ist, dass die Regierung das Rechtssystem des Staates als Last definiert“, erklärt Wolfgang Kozak, Rechtsexperte der AK Wien. Schon allein die Benennung in „Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz“ lässt den Zugang erahnen. Kozak: „Die Regierung vermittelt folgenden Eindruck: Die derzeitige Rechtsordnung hat offenbar zu viele Regeln und das hindert den freien Handel.“

    Historisch gewachsenes Gut
    Die österreichische Rechtsordnung versucht, das Recht möglichst genau verschriftlicht abzubilden – dabei hat sie sich historisch entwickelt. Eine gut strukturierte Rechtsordnung sorgt für sichere Verhältnisse. Wolfgang Kozak: „Wenn ich eine große Regelungsstruktur habe, dient diese auch der Streitvermeidung.“ Das heißt andererseits: Je weniger Regeln es gibt, desto größer ist die Gefahr, dass es zu juristischen Auseinandersetzungen kommt. Ein Beispiel: Wenn es eine Bestimmung gibt, dass Schanigärten bis 22 Uhr geöffnet haben dürfen und danach schließen müssen, erzeugt das klare Rechtsverhältnisse für die Wirte und die AnwohnerInnen. Existiert aber keine eindeutige Bestimmung, müssen sich die AnrainerInnen ihre Ruhe möglicherweise erst erstreiten. Das kann kompliziert werden und auch die Fantasie der JuristInnen beschäftigen. Es wäre etwa zu klären, ob der Schanigarten eine ortsübliche oder nicht mehr ortsübliche Immission ist. Zumutbarkeitskriterien müssten erstellt werden.
    Dazu wären unter anderem folgende Fragen zu klären: Ist es zumutbar, dass im Sommer das Fenster geschlossen ist? Habe ich die Möglichkeit, ein Fenster hin zu einem ruhigen Hof zu öffnen? Sind gewisse Verhaltensweisen ortsüblich oder nicht ortsüblich?
    Langwierige und teure Verfahren könnten die Folge sein. Das bevorzugt Menschen, die es sich leisten können, ein längeres Verfahren zu finanzieren. Je weniger Regeln es gibt, desto besser ist das für Menschen, die über mehr Geld verfügen, und umso schlechter für jene, die finanziell wenig Reserven haben. Gleiches gilt auch im Wirtschaftsrecht: Große Unternehmen profitieren dann, wenn es wenig Regelungen gibt. Wer ohnehin Verhandlungs- und Lobbyingmacht besitzt, hat mehr Geld und Ressourcen und kann sich damit auch leichter durchsetzen.

    Lohndumping leicht gemacht
    Aber auch das Regierungsprogramm erweckt den Eindruck, vor allem die Anliegen großer Unternehmen und der Industrie zu verfolgen. ÖGB-Präsident Erich Foglar fürchtet, dass die angekündigten Deregulierungsmaßnahmen als „Feigenblatt für den Abbau von Schutzbestimmungen und von Arbeitnehmerrechten“ dienen werden. In den letzten Jahren wurden wichtige gesetzliche Regelungen geschaffen, die sowohl ausländischen als auch inländischen ArbeitgeberInnen das Lohndumping erschweren – damit sind auch erhebliche Strafandrohungen verbunden. Nun werden diese Maßnahmen unter dem Titel „praxisgerechte“ Lohn- und Sozialdumpingbekämpfung verschlechtert. Gerät ein Unternehmen in Verdacht, Lohndumping zu betreiben, soll jetzt der – bei der Überprüfung maßgebliche – Entgeltbegriff (Lohn inklusive Sonderzahlungen, Zulagen und Zuschlägen und insbesondere Überstundenabgeltung) nur noch für die Baubranche gelten. In allen anderen Branchen wird nur mehr der Grundlohn geprüft. Darüber hinaus soll ein neuer Strafkatalog das Kumulationsprinzip (Strafe pro Delikt und ArbeitnehmerIn) aufheben. Die Strafhöhe würde sinken, weil es statt Mehrfachstrafen bloß noch eine Strafe gibt. Dadurch werden die Regelungen des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes zahnlos.
    Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung möchte die neue Bundesregierung auch ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen „evaluieren“. Darunter fällt etwa die Meldepflicht bei „Sonderüberstunden“ oder für Sicherheitsvertrauenspersonen. Das erschwert den Arbeitsinspektionen die Kontrolle. Es scheint, dass diese wichtige Instanz geschwächt werden soll. Auch die „Verschuldensvermutung“ bei Strafdrohungen soll abgeschafft werden. Für die Durchsetzung von Verwaltungsstrafen oder Regressverfahren bei Arbeitsunfällen und der Verletzung wichtiger ArbeitnehmerInnenschutzgesetze ist sie allerdings wesentlich. Dem Regierungsprogramm nach wird auch die Einrichtung einer Agentur für Unfallverhütung, Arbeitsinspektion und Arbeitsschutzberatung geprüft. Die Arbeitsinspektion würde dadurch ausgebootet und Kompetenzen der Unfallversicherung (AUVA) würden zu dieser neuen Agentur verlagert.
    Es liegt aber auch der Verdacht nahe, dass nicht nur das Arbeitsrecht, sondern auch die allgemeine Judikatur industriefreundlicher wird. Das Ziel ist, den Handel möglichst wenig einzuschränken. „Eine gesamte Rechtsordnung in einem knappen Vierteljahr zu durchforsten, wie es Justizminister Moser vorschwebt, das ist wahrlich ein sehr ambitioniertes Vorhaben“, wundert sich Kozak. Die Gefahr: Ein eiliger Deregulierungsprozess schafft Intransparenz. Jedes Gesetz, das abgeschafft wird, hat eine parlamentarische Grundlage. Doch es steht zu befürchten, dass Änderungen im Parlament einfach mit Tempo durchgepeitscht werden. Kozak: „Es wird nicht lange darüber diskutiert, welche Gesetze verloren gehen.“ Aber immerhin sind im Vorfeld die Sozialpartner eingeladen, die Deregulierungsvorschläge zu begutachten.

    Unfaire Diskussion
    Auch die öffentliche Diskussion ist problematisch. Denn ist eine Regelung unbequem, werden gerne Sachverhalte – die unlogisch erscheinen – aufgebauscht, um damit die allgemeine Stimmung zu beeinflussen. So ist mit Gold Plating eigentlich die Übererfüllung der Standards, die von der EU vorgegeben werden, gemeint. Im Arbeitsrecht ist es durchaus vernünftig und notwendig, höhere Standards als etwa Ungarn oder Tschechien festzulegen. In der öffentlichen Diskussion werden aber im Zusammenhang mit Gold Plating gerne Beispiele wie die Allergen-Verordnung genannt, welche Ende 2014 als EU-Richtlinie in Kraft trat. Österreich legte diese EU-Vorgabe jedoch sehr streng aus, die Speisekarten wurden fortan von einer unverständlichen Buchstabensuppe begleitet. Bereits 2017 wurde diese Regelung wieder entschärft. Nun wird Gold Plating gerne als unnötige, bürokratisch aufwendige Übererfüllung gesehen.
    Stimmung wird auch beim Thema Arbeitszeitflexibilisierung gemacht. Denn das derzeit geltende Arbeitszeitrecht kann sehr flexibel angewendet werden, „doch dafür brauche ich einen Betriebsrat“, weiß Kozak. „Ohne Betriebsrat geht es nicht und bei manchen Regelungen ist auch die Arbeitsinspektion nötig, um nachzukontrollieren.“

    Wachsam bleiben
    Der Verdacht steht im Raum, dass das immer mehr Firmen zu aufwendig ist. Sie wollen Diskussionen mit den ArbeitnehmerInnen vermeiden und ihre Pläne einfach durchziehen. Es ist schon eigenartig: Einerseits gibt es immer mehr Freiheitseinschränkung im öffentlichen Raum. Man denke etwa an die Diskussion, wie viel Geld Demonstrationen den Staat kosten und ob sie nur mehr in Außenbezirken stattfinden dürfen. Auch das Vermummungsverbot – das eigentlich auch gilt, wenn nur ein Schal ins Gesicht gezogen wird – ist ein großer Einschnitt in die persönliche Freiheit. Andererseits wird von der gleichen Gruppe eine Deregulierung in anderen gesellschaftlichen Bereichen, etwa bei der Arbeit oder im Sozialen, betrieben. „Es zahlt sich aus, wachsam zu sein“, mahnt AK-Rechtsexperte Kozak.

    Blogtipp:
    „Markt oder Sozialpartnerschaft?“:
    tinyurl.com/y8csaw45

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen resei@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sophia Fielhauer, Christian Resei, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403384 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403361 Arbeitszeit in Anekdoten Es ist eine oft strapazierte Geschichte, die gern zur Bekräftigung der Notwendigkeit des Zwölfstundentages herangezogen wird: Ein Installateur zerlegt bei einem Kunden die Therme und braucht dringend ein Ersatzteil, das er nun besorgen muss. Will er aber – natürlich ganz im Interesse des Kunden – das Ersatzteil einbauen und die Therme wieder zusammensetzen, so überschreitet der Arbeiter die Arbeitszeitgrenze von zehn Stunden und dem Unternehmen droht deshalb eine Strafe.
    Gerne ist man geneigt zu sagen, dass es ungerecht ist, dem Unternehmen hier eine Strafe anzudrohen. Schließlich sei doch alles im Interesse des Kunden geschehen. Wer wollte denn schon mit zerlegter Therme dastehen, vielleicht noch im Winter? Außerdem habe der Arbeiter das ja auch noch selbst entschieden. Der Chef habe ihm doch gar nicht aufgetragen, dass er die Arbeitszeitgrenze überschreiten soll. Und schon hat man eine schöne Geschichte, die wieder einmal zeigt, wie wirtschaftsfeindlich und unflexibel die Arbeitszeitbestimmungen in Österreich sind.

    Konstruierte Geschichten
    Nach demselben Strickmuster lassen sich Dutzende weitere Geschichten konstruieren – mit Betonung auf konstruieren, denn in der Regel haben solche Darstellungen mit der Realität nur wenig zu tun. Nehmen wir einmal unsere Geschichte auseinander. Stellen wir uns die Frage, wie realitätsnah die Story wirklich ist. Dann erkennen wir zunächst, dass hier scheinbar eine Fehlkalkulation seitens des Unternehmens vorliegt. Denn wenn ein Spezialist gerufen wird, weil ein Gerät nicht funktioniert, dann ist anzunehmen, dass das Zerlegen und Zusammenbauen eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Zusätzlich muss eine gewisse Zeit für die eigentliche Reparatur geschätzt werden. Das alles sollte sich in der Regelarbeitszeit von acht Stunden ausgehen. In diesem Fall sind es noch zwei Stunden Spielraum bis zur Höchstgrenze – für den Fall, dass etwas schiefgeht. Sieht der Unternehmer, dass sich das so nicht ausgeht, sollte er dem Kunden sagen, dass die Reparatur an einem Tag nicht zu schaffen ist. Oder er wird anders planen und zwei Arbeiter nacheinander hinschicken, die dann die Arbeit innerhalb der jeweiligen Arbeitszeitgrenze erledigen. Kalkuliert der Unternehmer aber bereits so, dass sich die Arbeit schon irgendwie innerhalb der Höchstarbeitszeitgrenze von zehn Stunden ausgehen wird, und es kommt etwas Unvorhergesehenes dazwischen, dann wird auf einmal eine Geschichte daraus. Doch in Wirklichkeit haben wir es hier mit einem Problem des Managements zu tun – und nicht mit einem Problem der starren Arbeitszeitgrenzen.
    Ein weiterer wichtiger Punkt dieser Geschichte betrifft die Frage, ob es sich um eine Ausnahmesituation handelt oder ob wir daraus eine Regel machen. Denn die geschilderte Situation beschreibt einen Fall, in dem etwas Unvorhergesehenes passiert. Es ist also eine Ausnahmesituation. Gerade anhand solcher Ausnahmesituationen stellt die Wirtschaft gleich die ganze Regel infrage. Dabei haben wir sogar Regelungen für genau solche Situationen: Bis zu zwölf Stunden am Tag und bis zu 60 Stunden in der Woche sind im Ausnahmefall heute schon möglich. Das gilt allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum und nur unter bestimmten Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Vorhandensein einer Betriebsvereinbarung, also für den Fall der vorhersehbaren Ausnahme.

    Fremdbestimmt
    Was uns zur nächsten Frage bringt: Wer bestimmt, wann wie viel gearbeitet werden soll? In aller Regel teilen sich die Beschäftigten die Arbeit nicht selbst ein. Üblicherweise wird ihnen gesagt, wann sie zu arbeiten haben – vor allem dann, wenn es sich um Mehrarbeit handelt. Wir kennen Klauseln in vielen Dienstverträgen, die Mehrarbeit nur dann als zulässig erachten, wenn sie angewiesen wird. Daraus ist bereits ganz klar ersichtlich, dass sich ArbeitnehmerInnen normalerweise nicht selbst zu Mehrleistungen einteilen.
    Was sind aber die Folgen, wenn nun die Grenzen der möglichen Mehrarbeit ausgeweitet werden? Überstunden können vergleichsweise kurzfristig angeordnet werden. Wenn sie ein, zwei Tage vorher angekündigt werden und der/die ArbeitnehmerIn keine wichtigen Gründe anzuführen weiß, die ihn/sie daran hindern, so sind diese in der Regel auch zu leisten. Heute geht das üblicherweise bis zu maximal zehn Stunden am Tag. Wenn der Zwölfstundentag die Regel wird, dann heißt das, dass auch kurzfristig bis zu zwölf Stunden Arbeit angeordnet werden können.
    Die gesundheitlichen Folgen von regelmäßiger langer Arbeit sind hinlänglich bekannt. Durch überlange Arbeitszeiten werden Körper und Psyche sehr stark beansprucht. Wenn dies regelmäßig passiert, dann kommt es sehr schnell zur Überlastung. Die Unfallhäufigkeit steigt nach der achten und besonders nach der zehnten Arbeitsstunde signifikant an. Dafür sinken die Konzentrationsfähigkeit und damit auch die Produktivität stark ab. Die Kosten, die als Folge der Überlastung im Sozialsystem entstehen, trägt dann die Allgemeinheit.

    Soziales Leben in Gefahr
    Doch auch der soziale Aspekt ist nicht zu vernachlässigen. Wenn Beschäftigte regelmäßig und kurzfristig zu überlanger Arbeitszeit herangezogen werden, dann fällt es ihnen immer schwerer, ihr soziales Leben zu organisieren. Sie können sich schwerer unter der Arbeitswoche mit FreundInnen verabreden oder sie müssen die Treffen öfter kurzfristig absagen. Auch die Folgen für das Familienleben sind verheerend. Immer seltener kommen Eltern und Kinder zum Abendessen zusammen, weil ein Elternteil schon wieder länger – und dann noch länger – arbeiten muss.
    Das eröffnet ein weiteres Problemfeld. Wer kann dem Arbeitgeber zwölf Stunden am Tag zur Verfügung stehen? Oder anders gefragt: Wer wird als leistungsbereiter empfunden, wenn es Beschäftigte gibt, die dazu eher bereit sind als andere? In der Regel werden Männer eher die Möglichkeit haben, es sich auch kurzfristig einzurichten, einen überlangen Arbeitstag zu leisten. Das liegt klarerweise nicht an ihrer größeren Leistungsbereitschaft, sondern an den gesellschaftlichen Gegebenheiten. In der Regel haben Frauen den größten Teil der unbezahlten reproduktiven Arbeit des Haushalts, der Kindererziehung und der Pflege naher Angehöriger zu leisten. Mit der generellen Ausweitung der Höchstarbeitsgrenzen macht man es Frauen noch schwerer, den Ansprüchen der Wirtschaft an Flexibilität und Einsetzbarkeit gerecht zu werden.
    Gerne wird – vor allem vonseiten der Industrie – betont, dass es bei der Ausweitung der Arbeitszeit zu keiner Reduktion von Zuschlägen kommen soll. Es soll nur mehr gearbeitet werden dürfen. Angeblich geht es nicht darum, weniger zu zahlen. „Die Botschaft hör’ ich wohl“, beginnt sich Goethes Faust in mir zu melden, „allein mir fehlt der Glaube.“ Denn die Forderung nach genereller Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden steht ja nicht allein da. Sie ist Teil eines ganzen Pakets von Wünschen der Industrie, und in diesem Paket befindet sich auch die Forderung nach längeren Durchrechnungszeiten.

    Keine Zuschläge
    Das bedeutet, dass Überstundenzuschläge nicht sofort fällig werden, sondern erst dann, wenn die Arbeitszeit innerhalb eines gewissen Zeitraums im Durchschnitt bestimmte Grenzen überschreitet. Je länger dieser Zeitraum ist, desto eher lassen sich längere Arbeitszeiten durch Freizeit wieder ausgleichen. Und so wird heute die generelle Ausweitung der Höchstarbeitszeit gefordert, um morgen die Zuschläge über den Umweg der Durchrechnung zu streichen.

    Erst zu unflexibel, dann zu teuer
    Heute sagen sie „Es ist so unflexibel“ und morgen sagen sie „Es ist so teuer“. In diesem Fall ist das leicht zu durchschauen. Aber was wäre mit unserem Installateur, wenn nun wirklich zwölf Stunden auch kurzfristig ohne Strafdrohung generell möglich wären? Wären damit die Probleme gelöst? Der Soziologe Jörg Flecker hat die Arbeitszeitgrenzen öfters mit Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr verglichen. Sind 50 km/h erlaubt, dann fahren viele 60. Bei 70 km/h sind es dann 80 – es gibt immer Überschreitungen. Wenn zehn Stunden erlaubt sind, dann werden es manchmal zwölf. Wenn zwölf Stunden erlaubt sind, dann werden auch diese überschritten.
    Was uns zu unserem Beispiel zurückbringt. Denn was wäre nun, wenn die Therme auch nach zwölf Stunden Arbeit nicht wieder funktionstüchtig zusammengebaut wäre?

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.mueller@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Martin Müller, ÖGB-Sozialpolitik Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403355 Die gesundheitlichen Folgen von regelmäßiger langer Arbeit sind hinlänglich bekannt. Die Kosten, die als Folge der Überlastung im Sozialsystem entstehen, trägt dann die Allgemeinheit. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403313 Perspektiven statt Beschränkungen! Ende Februar hat der Nationalrat eine weitreichende Änderung des Universitätsgesetzes beschlossen. Neben der Umstellung des Finanzierungssystems der Universitäten beinhaltet das neue Gesetz eine deutliche Reduktion der Studienplätze. Ab Herbst 2019 kommen neue bundesweite Zugangsbeschränkungen in den Fächern Recht, Erziehungswissenschaften und Fremdsprachen. Die Plätze für StudienanfängerInnen werden in diesen Studien drastisch – zum Teil um mehr als die Hälfte – reduziert. Zusammen mit einer weiteren Kürzung im schon beschränkten Psychologiestudium ab Herbst 2019 bedeutet dies eine Reduktion um bis zu 10.000 Plätze für StudienanfängerInnen. Das entspricht im Vergleich zum Studienjahr 2015/16 rund jedem sechsten begonnenen Studium. Junge Menschen, die 2019 eines der betreffenden Studien beginnen wollen, werden sich daher einem selektiven Aufnahmeverfahren stellen müssen. Viele von ihnen werden wohl kein Studium im geplanten Studienfeld aufnehmen können.

    Kompetenzverschiebung
    Zusätzlich zu den bundesweiten Beschränkungen ermöglicht das Gesetz, stark nachgefragte Fächer an einzelnen Hochschulstandorten zu beschränken. Das bedeutet nicht nur eine weitere Reduktion der Plätze, sondern stellt einen hochschulpolitischen Paradigmenwechsel dar. Denn bisher war für neue Beschränkungen ein Gesetzesbeschluss notwendig, nun soll eine ministerielle Verordnung genügen. Dies könnte in den kommenden Jahren zu einer weiteren schrittweisen Streichung von Studienoptionen führen, ohne dass dafür ein Gesetzesbeschluss notwendig wäre. Die weitgehende Verordnungsermächtigung des Ministeriums bedeutet also eine deutliche Kompetenzverschiebung weg vom Nationalrat. Da die betreffende Verordnung noch nicht veröffentlicht ist, stellt dies nicht zuletzt auch ein Transparenzproblem dar: Wie viele Studienplätze schlussendlich gekürzt werden, ist noch nicht bekannt.

    Unerwünschte Nebenwirkungen
    Die drastische Reduktion der Plätze rückt die Frage in den Fokus, was diejenigen tun werden, die keinen Studienplatz in ihrem geplanten Studienfeld bekommen oder von Aufnahmeverfahren abgeschreckt werden. Zu rechnen ist jedenfalls mit deutlichen Verschiebungen hin zu anderen Studienrichtungen, einhergehend mit einer Verschlechterung der dortigen Betreuungsverhältnisse. Diese Tendenz war schon bei anderen Fächern zu beobachten – z. B. Biologie als Ausweichstudium bei nicht bestandener Medizin-Prüfung. Die Folgen werden wohl auch in Zukunft neben der Verschiebung schlechter Betreuungsverhältnisse weitere „Warteschleifen“ für Studierende sein – denn Ausweichstudien werden häufig nur belegt, bis die Aufnahmeprüfung für das Wunschstudium erneut versucht werden kann. Unerwünschte Folgewirkungen wie diese liegen zwar auf der Hand, wurden jedoch bisher kaum thematisiert.
    Werden die beschriebenen Verdrängungseffekte als Anlass genommen, per Verordnung Beschränkungen in den stark nachgefragten Ausweichfächern einzuführen, könnte dies zu einem Dominoeffekt führen. Mittelfristig könnte es so zu einer deutlichen Einschränkung der Studienoptionen kommen – und damit zu einer Verdrängung vieler Studieninteressierter aus dem Hochschulbereich.

    Verdrängungseffekte
    Aufgrund der massiven Reduktion der Plätze für StudienanfängerInnen und der potenziellen schrittweisen Einschränkung der Studienoptionen muss auch die Frage nach Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gestellt werden. Denn wer keinen Platz mehr bekommt, wird vermutlich versuchen, nach der Matura direkt am Arbeitsmarkt unterzukommen, oder sich nach einem alternativen Ausbildungsplatz (z. B. Lehre oder Kolleg) umschauen. Dabei ist zu befürchten, dass sich gegenwärtige, in einer aktuellen IHS-Studie identifizierte arbeitsmarktpolitische Trends weiter verstärken werden. Zu nennen sind hier insbesondere der Trend der Überqualifizierung (aktuell sind 54 Prozent der AHS-AbsolventInnen in ihren Jobs formal überqualifiziert), der Verdrängung nach unten und des Wettbewerbs um Lehrstellen. Treten solche Verdrängungseffekte ein, ist mit negativen Auswirkungen auf Jugendbeschäftigung und -arbeitslosigkeit zu rechnen. Besonders in Wien würde das einen erhöhten Druck auf den Arbeitsmarkt bedeuten, da ein Großteil der Studienplatzreduktionen auf Wiener Standorte entfällt.
    Welche Personengruppen betroffen sein werden, ist ein weiterer Aspekt, der im Gesetzwerdungsprozess unzureichend berücksichtigt wurde. Besonders häufig wird es junge Menschen und Studieninteressierte in Wien treffen, da dort am meisten Plätze gestrichen werden. Zusätzlich zeigt sich, dass die neu beschränkten Fächer zu einem sehr hohen Anteil von Frauen gewählt werden (67 Prozent der angefangenen Studien). Viele Frauen werden demnach in Zukunft häufiger nicht mehr das Studium im geplanten Bereich beginnen können.
    Studien zeigen außerdem immer wieder, dass Zugangsbeschränkungen sozial selektiv wirken können. Dies legt die Vermutung nahe, dass es auch in den neu betroffenen Fächern wie z. B. Jus zu einer stärkeren Selektion anhand sozialer Merkmale kommen wird, nicht zuletzt aufgrund privater Vorbereitungskurse, die in Jus wohl ähnlich wie bei Medizin boomen werden. Wer sich kostspielige Vorbereitungskurse nicht leisten kann, wird erheblich niedrigere Chancen auf einen der begehrten Plätze haben. Durch sehr kompetitive Aufnahmeverfahren wird sich der Druck auf junge Menschen und deren Eltern damit in Zukunft vermutlich deutlich verstärken.

    Bessere Studienbedingungen?
    Bei Beschluss des Gesetzes wurde betont, die Anzahl der Studierenden und AbsolventInnen würde insgesamt nicht sinken, da der Anteil prüfungsaktiver Studierender steigen würde. Allerdings fehlen konkrete Hinweise darauf, wie dies bewerkstelligt werden soll – und wie sichergestellt wird, dass die Anzahl der AbsolventInnen nicht zurückgehen wird. Denn die einzige eindeutige Maßnahme, die durch das Gesetz festgelegt wird, ist die Reduktion der Plätze für AnfängerInnen. Dies ist jedoch noch kein Garant dafür, dass die Studiensituation in den jeweiligen Fächern verbessert wird, von Auswirkungen auf andere Fächer, die potenziell zu neuen Ausweichstudien werden, ganz zu schweigen.
    Konkrete Maßnahmen, etwa zur Stärkung der Bildungs- und Berufsorientierung, für eine verbesserte Studieneingangsphase oder zur Vereinbarkeit von Beruf und Studium, fehlen gänzlich. Auch kann die Befürchtung nicht entkräftet werden, dass Studienchancen von unterrepräsentierten Gruppen durch die neuen Beschränkungen geschmälert werden. Zwar sieht das Gesetz zur neuen Finanzierung eine Regelung vor, dass seitens des Ministeriums ein Betrag von bis zu 0,5 Prozent des Globalbudgets für Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Durchmischung einbehalten werden kann. Diese Änderung ist als Anreiz für größere Aktivitäten in diesem Feld jedoch zu wenig – vor allem, da es sich lediglich um eine optionale Bestimmung handelt. Es wird damit in erster Linie im Ermessen der Universitäten liegen, ob es tatsächlich spürbare Verbesserungen für berufstätige Studierende oder „first academics“ gibt. Auch ein Ausbau des Fachhochschulsektors in einem Ausmaß, der die Auswirkungen von den Beschränkungen im Universitätsbereich etwas kompensieren könnte, wird nicht in Aussicht gestellt.

    Perspektiven?
    Das beschlossene Gesetz wird also weitreichende Konsequenzen haben – für die Universitäten selbst, aber auch in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht. Es ist zu befürchten, dass die Chancen auf höhere Bildung für viele junge Menschen geschmälert werden. Hier muss gegengelenkt und sichergestellt werden, dass die Zahl der Personen, die ein Hochschulstudium absolvieren können, nicht gesenkt, sondern im Gegenteil gesteigert wird. Darüber hinaus müssen Studierende aus sozial schwächeren Familien und erwerbstätige Studierende stärker gefördert werden. Denn diese brauchen mehr Perspektiven anstatt weitere Beschränkungen. 

    Linktipps:
    IHS-Studie:
    tinyurl.com/ybr8dycr
    AK-Studie „Zugangsbeschränkungen und Chancen(und)gleichheit“:
    tinyurl.com/ybfpvpss
     
    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
    iris.schwarzenbacher@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Iris Schwarzenbacher, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403304 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403292 Vorsicht Schnittgefahr! Zukunftsorientierte Familienpolitik setzt auf Frühförderung der Kinder und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Elternteile. Ein Blick auf das Regierungsprogramm zeigt in dieser Hinsicht eine seltsam gemischte Strategie. Es gibt durchaus ambitionierte Absichtserklärungen, aber nicht immer die finanziellen Vorkehrungen dafür. Zudem stehen einige Pläne im Bereich der Arbeitsmarktpolitik in spürbarem Widerspruch zu familiären Bedürfnissen. Was überhaupt als Familie gelten darf, ist darüber hinaus ziemlich eingeschränkt. In Summe ergibt sich ein zersplittertes Bild, an dessen scharfen Kanten sich Familien durchaus schneiden könnten.

    Ausgeblendete Männer
    Beginnen wir am Anfang, also mit
    der Frage: Was ist denn für die neue Bundesregierung überhaupt eine Familie? „Die Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern“ steht da in der Präambel zu lesen. Die Gemeinschaft wird in der Folge auch konsequent durchgehalten: Eltern werden immer gemeinsam genannt, kein einziges Mal finden Väter explizit Erwähnung. Das ist bedauerlich, denn Väter und Mütter nehmen gesellschaftlich noch immer sehr unterschiedliche Rollen ein. Es bedürfte daher konkreter Maßnahmen für eine stärkere Einbindung der Männer in die Familienarbeit. Das bleibt aber ausgeblendet.
    Ebenso ausgeblendet bleiben Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Identität und auch Patchwork-Familien. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu zehn Prozent der Bevölkerung homo- oder bisexuell sind. Zudem leben über 80.000 Paare mit Kindern in einer Patchwork-Konstellation. Der enge Fokus auf Familie = Mann + Frau mit eigenen Kindern geht somit an der Lebensrealität einer großen Zahl von Menschen vorbei.

    Familiensteuer
    Ein Liebkind der Regierung ist eine steuerliche Maßnahme, die schnittig „Familienbonus Plus“ getauft wurde. Künftig sollen Familien einen Absetzbetrag von 1.500 Euro pro Kind und Jahr bis zum 18. Lebensjahr erhalten. Satte 1,5 Milliarden Euro wird das kosten. Das ursprüngliche Modell sah vor, dass Familien mit geringen Einkommen, Teilzeit, prekären Lebensumständen wie Arbeitslosigkeit oder längere Krankheit sowie viele Alleinerziehende gänzlich leer ausgehen. Daher wurde nachgebessert, es bleiben aber weiterhin verteilungspolitisch einige unschöne Punkte:

    • Arbeitslose und armutsgefährdete Familien bekommen weiterhin nichts;
    • GutverdienerInnen bekommen mit 1.500 Euro sechsmal so viel pro Kind wie Alleinerziehende mit 250 Euro;
    • für studierende Kinder gibt es nur ein Drittel des „normalen“ Bonus.

    Das alles hätte sehr einfach vermieden werden können: Mit dem gleichen Geld hätte man die Familienbeihilfe generell für alle um 860 Euro im Jahr für jedes Kind anheben können – egal ob die Eltern zu den TopverdienerInnen gehören oder gerade einmal so über die Runden kommen. Es gäbe aber noch viel bessere Möglichkeiten, diese Mittel einzusetzen, etwa in der Kinderbetreuung und elementaren Bildung.
    Dort gibt es nämlich eine Reihe von ambitionierten Vorhaben. Neben dem weiteren Ausbau soll es künftig eine Bundeskompetenz für Elementarbildung geben, die beim Bildungsministerium angesiedelt wird. Dabei soll auch ein österreichweiter Bildungsrahmenplan mit neuen Qualitätsstandards geschaffen werden.
    Erfreulich ist zudem die geplante Reform des Finanzausgleichs in Richtung Aufgabenorientierung mit Pilotprojekten im Bereich der Elementarpädagogik und Pflichtschule. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass dort die notwendigen Mittel für die geplanten Verbesserungen zur Verfügung stehen. Allerdings braucht es dazu die Zustimmung der Länder, was erfahrungsgemäß überaus zähe Verhandlungen erfordert, die nicht immer von Erfolg gekrönt sind.

    Besser wäre kluge Familienpolitik
    Leichter wäre es für den Bund, seinerseits weiterhin Mittel für den Ausbau der Kinderbildung zur Verfügung zu stellen. Das hat er schon bisher gemacht, nur leider läuft die aktuelle Finanzierung 2018 aus. Unerfreulich, denn wie der internationale Vergleich deutlich zeigt, hinkt Österreich in diesem Bereich gegenüber anderen europäischen Staaten nach. Im Gegensatz zur Familiensteuer fehlen aber bei der Kinderbildung die konkreten finanziellen Vorgaben.
    Dabei h
    ätte man dort mit dem Geld für den Familienbonus unglaublich viel bewegen können: Flächendeckende Plätze für unter Dreijährige, Vollzeit-Öffnungszeiten in allen Kindergärten, ein kostenloses zweites Kindergartenjahr für alle und mehr qualifiziertes Personal in allen Gruppen hätten damit realisiert werden können. Man hätte beste Vereinbarkeit von Familie und Beruf und wirklich gute Frühförderung schaffen können. Ob sich das wirklich alles ausgegangen wäre? Aber ja! Denn 1,5 Milliarden wären ein Budgetplus von 67 Prozent für die Kinderbildung. Mit diesen Investitionen wären zudem Tausende Jobs geschaffen worden, was wiederum zu enormen Rückflüssen an die öffentliche Hand geführt hätte. Kurz: Es wäre kluge Familienpolitik in jeder Hinsicht gewesen. Leider hat die Regierung derzeit andere Prioritäten.

    Ungleiche Verteilung
    Wohin es künftig mit den Familien geht, wird nicht nur im Familienkapitel entschieden. Vor allem einige Maßnahmen aus dem Arbeitsmarktbereich werden spürbare Auswirkungen haben. Österreich hat schon jetzt eine sehr ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern: Fast die Hälfte der Paare mit Kindern folgt dem Muster Mann Vollzeit – Frau Teilzeit. Bei mehr als einem Drittel ist der Mann Alleinverdiener. Lediglich bei 13 Prozent teilen sich die Eltern die Erwerbs-Arbeitszeit relativ gleich auf.
    Das Zusammenspiel von kurzen Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen und überlangen Arbeitszeiten macht es Eltern schwer, sich für eine ausgewogene Verteilung der Arbeitszeit zu entscheiden. Notwendig wäre also eine Politik, die eine Annäherung der Arbeitszeiten zwischen Frauen und Männern fördert. Stattdessen soll der Zwölfstundentag kommen, der viele Familien ins Schleudern bringen wird. Verschärft wird die Situation dadurch, dass künftig bei der Jobsuche ein Arbeitsweg von 2,5 Stunden täglich bei Vollzeit zumutbar sein soll. So können es fast 15 Stunden werden, bis man an solchen Tagen wieder zu Hause ist.
    Es liegt auf der Hand, dass solche Tage mit Kinderbetreuung nicht einmal im Ansatz vereinbar sind. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen auf ein altbekanntes Szenario zurückgreifen, um diesen Konflikt aufzulösen: Der Vater widmet sich voll der Erwerbstätigkeit, die Mutter konzentriert sich auf die Familienaufgaben und arbeitet maximal ein paar Stunden. Der Zwölfstundentag droht somit die traditionelle Arbeitsteilung zu verstärken.

    Einkommensnachteile
    Vielleicht ist das nicht ganz ungewollt, denn an anderer Stelle soll das längere Zuhausebleiben definitiv unterstützt werden, nämlich beim Kinderbetreuungsgeld (KBG). Der Plan ist, den versicherungsrechtlichen Schutz in Richtung der längsten möglichen Bezugsvariante auszudehnen. Was das genau heißen soll, bleibt unklar, aber es ist zu befürchten, dass damit eine Verlängerung der Karenz gemeint ist. Derzeit geht die maximale Karenzdauer bis zum zweiten Geburtstag des Kindes. Eine Verlängerung auf bis zu drei Jahre würde vor allem für Frauen Anreize zu langen Berufsunterbrechungen schaffen, die in der Folge zu Einkommens- und Karrierenachteilen führen.

    Wirkliche Wahlfreiheit?
    Auch hier kommt wieder der Ausbau der Kinderbildung ins Spiel. Derzeit haben nicht einmal drei von zehn unter dreijährigen Kindern einen Platz in einer Krippe oder bei Tageseltern. Notwendig wäre daher ein Recht auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr des Kindes, damit Eltern wirkliche Wahlfreiheit haben, wann sie in den Beruf zurückkehren wollen.

    Blogtipp:
    www.awblog.at/kluge-familienpolitik

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sybille Pirklbauer, Abteilung Frauen und Familie, AK Wien Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403277 Notwendig wäre eine Politik, die eine Annäherung der Arbeitszeiten zwischen Frauen und Männern fördert. Stattdessen soll der Zwölfstundentag kommen, der viele Familien ins Schleudern bringen wird. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403257 Sind alle Kinder gleich viel wert? Die Regierung nennt ihn ein „Leuchtturmprojekt“ und er soll das zentrale Steuerzuckerl der Legislaturperiode für die lohnsteuerzahlenden Menschen sein: der Familienbonus Plus. Budgetär sind dafür immerhin 1,5 Milliarden Euro (bzw. circa 1,2 Milliarden Euro netto abzüglich gestrichener Freibeträge) vorgesehen. Eigenen Berechnungen zufolge werden die Kosten noch höher ausfallen.
    Umso problematischer ist, dass ein großer Teil der ArbeitnehmerInnen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht in den Genuss des Bonus kommen wird. Damit stellt der Familienbonus einen Bruch mit jener österreichischen Praxis der Kinderförderung dar, die seit den 1970er-Jahren unter Bruno Kreisky (bis auf budgetär unwesentliche Ausnahmen) dem Grundsatz folgt, dass jedes Kind gleich viel wert ist und somit gleich viel öffentliche Unterstützung erhalten soll.

    Wenig Geld, kein Bonus
    Ausgestaltet als A
    bsetzbetrag bewirkt der Bonus ab dem Jahr 2019 eine Reduktion der jährlichen Lohnsteuerschuld um bis zu 1.500 Euro pro Kind bzw. 500 Euro für volljährige Kinder bei laufendem Bezug der Familienbeihilfe. Voraussetzung ist jedoch, dass bislang genügend Lohnsteuer entrichtet wurde, denn der Bonus ist nicht negativsteuerfähig. Das bedeutet, dass es bei zu kleinem Einkommen keine Steuergutschrift gibt.
    Laut Rechnung der Regierung kann ein/e AlleinverdienerIn den Bonus für ein Kind ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1.750 Euro zur Gänze in Abzug bringen, bei zwei Kindern ab 2.300 Euro und bei drei Kindern ab 2.650 Euro. Wer weniger verdient, erhält auch weniger. Wer so wenig verdient, dass gar keine Lohnsteuer zu entrichten ist – also weniger als 11.000 Euro Bemessungsgrundlage bzw. circa 1.100 Euro brutto im Monat –, erhält gar nichts. In diese Gruppe fallen aber sehr viele Familien.
    Laut EU-SILC, einer Erhebung über die Lebensbedingungen der Privathaushalte in der Europäischen Union, leben circa 13 Prozent aller Kinder bei nicht lohnsteuerpflichtigen Eltern. In konkreten Zahlen sind dies rund 230.000 Kinder. Bei Alleinerziehenden beträgt dieser Anteil sogar knapp 45 Prozent. Sie profitieren vom Familienbonus also nicht, obwohl sie eine finanzielle Unterstützung gut brauchen könnten.

    Trügerische Zahlen
    Hinzu kommt: Die Re
    gierungszahlen sind trügerisch. Erstens werden zur Gegenfinanzierung des Bonus zwei bestehende Freibeträge abgeschafft, die auch bislang steuermindernd gewirkt haben: der Kinderfreibetrag und die absetzbaren Kinderbetreuungskosten. Zieht man die bisherige Entlastung, die durch die Abschaffung der beiden Freibeträge wegfällt, von der Entlastung des Familienbonus ab, so zeigt sich: Selbst wenn man so viel verdient, dass man die 1.500 Euro, die von der Regierung als maximaler Familienbonus kolportiert werden, von der Steuer absetzen kann, liegt die tatsächliche Netto-Entlastung (weit) darunter.
    Für sehr wenig verdienende AlleinerzieherInnen bzw. AlleinverdienerInnen wurde aufgrund des anfänglichen öffentlichen Protests eine Art Mindestbonus in der Höhe von 250 Euro pro Kind und Jahr in Form eines „negativsteuerfähigen“ Kindermehrbetrags eingearbeitet. Dieser fällt im Vergleich zum regulären Bonus jedoch sehr mager aus. Zudem sind Menschen mit ganzjährigem Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung bzw. Grundversorgung davon ausgeschlossen. Das führt mitunter auch dazu, dass AlleinerzieherInnen, die so wenig verdienen, dass ihr Einkommen durch die Mindestsicherung aufgestockt werden muss, ausgeschlossen werden. Auch Familien, die keinen Alleinverdienerabsetzbetrag in Anspruch nehmen können, weil beide Elternteile arbeiten, erhalten keinen Mindestbonus – egal wie wenig sie verdienen.
    Gänzlich vom B
    onus ausgenommen sind (wie bei der Familienbeihilfe) Kinder, die sich in Drittstaaten aufhalten. Für jene rund 150.000 Kinder, die im EU- bzw. EWR-Ausland oder der Schweiz leben, wird der (Mindest-)Bonus an das jeweilige Preisniveau im Wohnsitzland angepasst. Gegen dieses Vorhaben wurden übrigens bereits EU-rechtliche Bedenken angemeldet.
    Manche Familien und deren Kinder werden also gezielt gegenüber anderen benachteiligt. Eigentlich sollten familienpolitische Leistungen die Startchancen der Kinder verbessern bzw. den Mehraufwand der Eltern kompensieren. Der Familienbonus setzt jedoch weder am Bedarf noch an der Bedürftigkeit an: Kinder aus ärmeren Familien, die den Bonus am nötigsten hätten, bekommen am wenigsten (oder gar nichts), obwohl deren Bedarf im Verhältnis zu ihrem Einkommen besonders stark ins Gewicht fällt. Im Extremfall kann die Förderungsdifferenz zwischen zwei Kindern (bis zum 18. Lebensjahr) bis zu 27.000 Euro betragen.

    Keine LeistungsträgerInnen?
    Begründet wird der Ausschluss einzelner Gruppen vonseiten der Regierung damit, dass der Bonus die
    „Leistungsträger“ entlasten und nur jenen zugutekommen soll, die auch Steuern bezahlen. Dabei wird jedoch ganz bewusst ausgeblendet, dass Menschen, die zwar keine oder nur eine geringe Lohnsteuer zahlen, sehr wohl Abgaben in Form von Sozialversicherungsbeiträgen und Konsumsteuern leisten – und das, relativ betrachtet, sogar in einem überproportional großen Ausmaß.
    In Österreich leisten alle Einkommensgruppen im Verhältnis zu ihrem Einkommen einen ähnlich großen Beitrag zum Steueraufkommen, wie auch das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) immer wieder aufzeigt. LeistungsträgerInnen sind alle ArbeitnehmerInnen, auch jene, die wegen zu geringem Einkommen lohnsteuerfrei bleiben.
    Werden nun Besserverdienende viel stärker mit Steuerzuckerln bedacht und/oder GeringverdienerInnen nicht adäquat berücksichtigt, dann wirkt sich das weiter negativ auf die Gerechtigkeit im Steuersystem aus. Es sollten alle ArbeitnehmerInnen gleichbehandelt werden und nicht nur manche – als vermeintlich besondere LeistungsträgerInnen – herausgepickt werden.
    In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass ArbeitnehmerInnen ohne Kinder und jene, für deren Kinder keine Familienbeihilfe mehr bezogen wird, naturgemäß ebenfalls nicht in den Genuss des Bonus kommen. Das ist problematisch, da es sich um eine budgetär so bedeutende Maßnahme zur Reduktion der Lohnsteuer handelt. Denn auch für diese ArbeitnehmerInnen gilt: Sie leisten auf ihr Arbeitseinkommen einen so hohen Abgabenbeitrag wie in kaum einem anderen EU-Mitgliedstaat (ganz im Gegenteil zu Unternehmen und Vermögen).

    Ein Bonus für manche
    Der Bonus kann also für manc
    he ArbeitnehmerInnen eine erhebliche Reduktion der Lohnsteuer darstellen (wenn auch effektiv geringer als behauptet). Dies ist angesichts der hohen Abgabenlast auf Arbeit in Österreich durchaus zu begrüßen. Auch der Austausch der bestehenden Freibeträge zugunsten eines Absetzbetrags ist verteilungspolitisch grundsätzlich zu befürworten, zumal die steuerliche Entlastung bei Freibeträgen (noch stärker) mit der Einkommenshöhe steigt. Allerdings werden auch gezielt Eltern und Kinder (zur Gänze) vom Bonus ausgeschlossen. Dies ergibt sich für GeringverdienerInnen insbesondere durch die fehlende Wirksamkeit als Negativsteuer. Darüber hinaus wird bewusst ausgegrenzt, was dazu führt, dass nicht alle Kinder in gleichem Ausmaß gefördert werden und die Schere der verfügbaren Einkommen in Österreich weiter aufgehen wird.

    Sinnvollere Alternativen
    Einfacher, verteilungspolitisch und Volk
    swirtschaftlich vernünftiger wäre es, die Mittel in den Ausbau qualitativ hochwertiger öffentlicher Kinderbetreuung zu investieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Einnahmenausfälle durch den Kinderbonus zu einem Drittel von den Ländern und Gemeinden zu tragen sein werden, was wiederum dazu führen wird, dass dort das Geld auch für den erforderlichen Ausbau der Kinderbetreuung fehlt.
    Der Familienbonus ist weder als Steuerstrukturreform, noch als familienpolitische Maßnahme das am besten geeignete Mittel.

    Blogtipp: „Kinderbetreuung: 3 Baustellen – 3 wichtige Schritte“:
    tinyurl.com/yd2r8j4q

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gerhartinger.p@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Philipp Gerhartinger, Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik, AKOÖ Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403251 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498403233 Standesinstitution Schule? Österreich zählt in der OECD zu den Ländern mit der höchsten Bildungsvererbung. Der Sprung zu einer besseren Ausbildung als jene der eigenen Eltern gelingt hier seltener als in anderen Ländern. Das österreichische Schulsystem gleicht die unterschiedlichen Startbedingungen von Kindern wenig aus. Mit der Trennung im Alter von zehn Jahren ist Österreich eines der OECD-Länder mit der frühesten Bildungsauslese. Getrennt wird scheinbar zwar „nur“ nach Leistung, tatsächlich entscheidet aber immer noch die soziale Herkunft über den Bildungserfolg.
    Die bildungspolitischen Pläne im Regierungsprogramm dürften diese Ungleichheit eher verschärfen als reduzieren. Der Vielfalt der SchülerInnen – ihrer Talente, ihrer Interessen, ihres Förderbedarfs – will man durch eine noch stärkere „Differenzierung der Schulwege“ begegnen. Wie eng dabei individuelle Förderung einerseits und soziale Auslese andererseits zusammenhängen, zeigen die vielen neu vorgeschlagenen Tests und Weichenstellungen.

    Neues Eingangsverfahren
    Die Regierung will den Übergang von der Volksschule zur Sekundarstufe reformieren. Aus Sicht des Bildungsministers wechseln derzeit zu viele Kinder in die Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS), obwohl sie dafür eigentlich nicht geeignet seien. Ein neues Eingangsverfahren soll nun die bisherige Beurteilung durch das Abschlusszeugnis ergänzen. Dafür wird einerseits der bestehende Bildungsstandards-Test herangezogen, welcher im Jahr 2008 eigentlich als Qualitätssicherungsmaßnahme für Schulen eingeführt worden war und nicht für die Einzelbeurteilung von SchülerInnen. Zusätzlich sollen künftig „Talente-Checks“ schon in der 3. Schulstufe austesten, welcher Schulweg für ein Kind infrage kommt – und welcher eben nicht. Ist der Schulweg an die Neue Mittelschule (NMS) einmal eingeschlagen, ist eine Rückkehr an die AHS jedoch die Ausnahme: In Wien etwa wechselt derzeit nur jeder/jede zwölfte NMS-SchülerIn später in ein Gymnasium.
    Neue Testungen sollen aber auch beim Übergang von mittleren an höhere Schulen kommen. Mit dem „Chancenpass“ will die Bundesregierung quasi eine mittlere Reife einführen – eine Art Mini-Matura als Abschluss der Pflichtschule. Dafür soll die Bildungsstandards-Testung umgewandelt werden zu zentralen Prüfungen mit Projektarbeit in der 7. Schulstufe. Sogar vor dem Schuleintritt sollen Kleinkinder bereits Testungen unterzogen werden. Der Mutter-Kind-Pass wird künftig zum Instrument für die Bildungskontrolle weiterentwickelt. Bei Dreijährigen sollen „Sprachstandfeststellungen“ darüber entscheiden, ob sie ein zweites Kindergartenjahr – verpflichtend, aber nicht kostenlos – absolvieren müssen. Und zur Schulreifefeststellung kommen nun sogenannte Sprachscreenings hinzu. Sie messen die Deutschkompetenz (nicht Sprachkompetenz insgesamt) von Kindern und weisen sie künftig Deutschförderklassen zu. Dort erhalten sie, vom Regelunterricht getrennt, bis zu zwei Jahre lang ausschließlich Deutschunterricht.
    Die laufende Beurteilung von SchülerInnen ist wichtig, wenn sie bei der Selbsteinschätzung hilft und an angepasste Förderung geknüpft ist. Wird sie aber zum Dauerlauf, der Kinder und Jugendliche aussortiert und sie in starre Schullaufbahnen mit geringer Aussicht auf Umstieg zwingt, verfehlt sie ihren pädagogischen Zweck.

    Fair verteilen
    Baut man die Trennung von SchülerInnen weiter aus, dann ballen sich pädagogische wie soziale Herausforderungen noch stärker als bisher an bestimmten Standorten, vor allem an großstädtischen NMS. An diesen Standorten wird das Lernen somit noch schwieriger. Um dies auszugleichen, brauchen gerade diese Standorte mehr Ressourcen. Nur so können sie den dortigen Herausforderungen besser begegnen. Mit dem Chancen-Index hat die AK dafür bereits ein Modell vorgeschlagen: Zusätzliche Fördermittel für Schulen sollen auf Basis eines Index fair verteilt werden. So erhalten jene Standorte, die die höchste Zahl von Kindern mit Förderbedarf aufweisen, auch die meisten Zusatzmittel. Bildungsminister Faßmann hat unlängst Sympathie für das Modell erkennen lassen, was vorsichtig optimistisch stimmt. Im jüngst vorgelegten Budgetentwurf wird davon allerdings nichts erwähnt.
    Wenig Grund zu Optimismus gibt auch die angekündigte Kürzung der Mittel für NMS sowie Integrations-maßnahmen und das Aufschieben der Mittel für Ganztagsschulen. Gut geführte Ganztagsschulen stellen ein wichtiges Schulangebot gerade für jene Kinder dar, deren Eltern nicht beim Lernen unterstützen können. Durch die Streckung der 2016 für den Ganztagsschulausbau beschlossenen Mittel bis 2032 steht nun jährlich deutlich weniger für den Ausbau zur Verfügung. Zudem laufen die bisherigen Mittel aus der 15a-Vereinbarung zur Förderung von ganztägigen Schulformen aus.

    Problematische Kürzungen
    Den NMS werden künftig die Personalmittel für Teamteaching gekürzt – um circa 63 Millionen Euro, das ist ein Drittel des bisherigen Stundenkontingents. Gerade an den städtischen NMS sind die Herausforderungen meist am höchsten. Sie bräuchten deshalb dringend dieses zusätzliche Personal. Dies gilt besonders für NMS-Standorte mit einem hohen Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache, vor allem von solchen aus sozial schwächeren Familien und mit Fluchthintergrund. Außerdem wird der bisher jährlich mit 80 Millionen Euro dotierte Topf für Integrationsmaßnahmen (wie SchulsozialarbeiterInnen, IntegrationslehrerInnen, interkulturelle Teams) gestrichen. Das verschärft die Situation dieser Schulen, denn die Herausforderungen bleiben bestehen. Die Schulen bekommen aber keine Unterstützung mehr, um diese zu bewältigen.
    Ein zentrales Motiv des Regierungsprogramms über viele Politikbereiche hinweg lautet: strafen und Druck aufbauen, statt fördern und unterstützen. Dieses Motiv findet sich auch in der Bildungspolitik wieder, wie etwa der Umgang mit dem Thema Schulpflichtverletzungen zeigt. Die Missachtung der Schulpflicht stellt zweifelsohne ein ernstzunehmendes Problem für einen (kleinen) Teil der SchülerInnen dar. Üblicherweise ist sie durch kindes- und jugendpsychologische Probleme begründet: Prüfungsangst, Über- oder Unterforderung, Unsicherheit, Mobbing, familiäre Schwierigkeiten oder die Pflegebedürftigkeit von Eltern oder Angehörigen (Young Carers). Die bisherigen Ansätze, die Ursachen für Schulpflichtverletzungen zu bekämpfen, werden nun aber gestrichen. Stattdessen wird eine Mindeststrafe von 110 Euro (maximal 440 Euro) verankert, die Erziehungsberechtigte bei Schulpflichtverletzung bezahlen müssen. Und diese Strafe muss spätestens nach drei Fehltagen ausgesprochen werden.
    Finanzielle Sanktionen als letztes Mittel sind zwar zweifellos wichtig. Noch wichtiger wäre aber, Kindern und Jugendlichen zu helfen. Bevor verpflichtend finanzielle Strafen ausgesprochen werden, sollte man die Wurzel des Problems erkennen und dieses lösen. Eine gute Beziehung zwischen SchülerIn, Eltern und Schule ist ein besserer Garant für Schulerfolg in der Schule. Durch vorschnelle Strafen wird diese Beziehung zusätzlich belastet. Deshalb sollte weiterhin die Schulleitung die Entscheidung treffen, wann sie welche Maßnahmen setzt und welche Sanktionen (auch finanzielle) sie aussprechen will.
    Stärkerer Druck = höherer Bildungserfolg: Das ist eine riskante Gleichung. Das Mehr an Tests und Strafen sowie die ungleiche Ressourcenausstattung der Schulen mündet letztlich in mehr Notendruck, Leistungsstress und Schulangst. Sie sind bereits heute eine Hauptursache für die Zunahme psychischer Erkrankungen. An ihnen leiden mittlerweile rund 80.000 Kinder und Jugendliche in Österreich. Verstärkt man diesen Ansatz bereits vom Kindesalter an, wirkt sich das noch stärker aus. Die Grenze zwischen förderlichem Ansporn und schädlichem Druck ist stets im Auge zu behalten. Sonst ist nur ein noch weiterer Anstieg der Nachhilfekosten die Folge, und das in einem Land, in dem bereits jetzt 23 Prozent der Kinder auf Nachhilfe angewiesen sind. Im Jahr 2017 gaben die ÖsterreicherInnen allein 103 Millionen Euro für private Nachhilfe aus. Leisten können sich dies freilich immer nur finanzkräftige Haushalte.

    Enorme Folgekosten
    Damit das Schulsystem also die soziale Ungleichheit nicht weiter erhöht, braucht es mehr Ressourcen für schulische Bildung – nicht weniger. An der Bildung zu sparen, produziert langfristig enorme gesellschaftliche Folgekosten. Budgetsorgfalt ist wichtig, deshalb sollten Zusatzmittel zu allererst jenen Schulstandorten mit den größten Herausforderungen zukommen. Entscheidend für die Qualität ist jedoch, dass die finanzierten Maßnahmen laufend wissenschaftlich evaluiert werden und Korrekturen sich daran orientieren, nicht nur an budgetären Überlegungen. Die chancengerechte Schulbildung aller Kinder ist nämlich eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen des Landes.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnenn oliver.gruber@akwien.at, elke.larcher@akwien.at, boris.ginner@akwien.at oder die Redaktion
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    Oliver Gruber, Elke Larcher, Boris Ginner: Abteilung Bildungspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498403224 Unterschiedliche Bildungswegentscheidungen ... zum Vergrößern aufs Bild klicken. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402635 Interview: Umverteilung nach oben Arbeit&Wirtschaft: Sie sprechen sich für eine Arbeitszeitverkürzung – idealerweise auf 30 Stunden – aus. Der Trend geht in eine völlig andere Richtung. Träumen Sie gerne?
    Jörg Flecker: Der langfristige Trend der Arbeitszeitverkürzung im 20. Jahrhundert ist in den 1980er-Jahren gestoppt worden. Er geht jetzt eher in Richtung Verlängerung, aber das ist eine Frage der Kräfteverhältnisse und der politischen Dynamiken. Es ist ja nicht ausgemacht, dass es mit langen Arbeitszeiten weitergehen muss.

    Wollen die Menschen überhaupt weniger arbeiten?
    Ja. Sehr viele, die lange arbeiten, wollen deutlich kürzer arbeiten, und jene, die kurze Teilzeit arbeiten, würden gerne mehr arbeiten, weil sie dann entsprechend mehr verdienen oder vielleicht auch mehr arbeiten wollen. Die durchschnittliche Arbeitszeit, wo es nur wenige gibt, die länger oder kürzer arbeiten wollen, liegt bei 32 Stunden. Wenn es dann Richtung 45, 50 Stunden geht, wollen die Menschen im Durchschnitt viele Stunden weniger arbeiten.

    Österreich hat eine hohe Teilzeitquote. Welche Motive spielen dabei eine Rolle?
    Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bei den Frauen ist sehr hoch, er liegt fast bei 50 Prozent. Teilzeitarbeit ist auch nicht immer freiwillig, vor allem, wenn es darum geht: Findet man überhaupt einen Vollzeitjob oder gibt es Kinderbetreuung?
    Ich sage immer: Es gibt die freiwillige Teilzeit und die unter Anführungszeichen freiwillige Teilzeit. Es gibt schon jene, die lieber kürzer arbeiten wollen, weil sie eh genug verdienen. Und dann gibt es die, die unter Anführungszeichen freiwillig Teilzeit arbeiten. Sie sind dazu gezwungen, weil das öffentliche Angebot an Kinder-betreuung oder Altenpflege nicht ausreichend ausgebaut ist oder die Öffnungszeiten nicht passen. Ein weiterer Grund sind die unterschiedlichen Einkommen von Männern und Frauen, wo sich das Paar überlegen muss, wie es finanziell über die Runden kommt.

    Gilt das selbst bei gleich Qualifizierten?
    Ja, auch dann gibt es einen Unterschied. Der Hauptgrund ist aber schon, dass Frauen nicht die gleichen Berufe ausüben. Sie müssen also die Arbeitszeit aufgrund von Verpflichtungen gegenüber Familie und Haushalt verkürzen. Bei den Männern sind eher Weiterbildung und anderes Motive für Teilzeit.
    Einerseits arbeiten die Menschen also wegen anderer Verpflichtungen Teilzeit, andererseits schlichtweg wegen höherer Lebensqualität. Bei den Erhebungen über Zeitverwendung kommt raus, dass Frauen, die Teilzeit arbeiten, in Summe – also wenn man die unbezahlte Arbeit zu Hause miteinbezieht – länger arbeiten als Männer, die Vollzeit arbeiten. Da ist es natürlich eine höhere Lebensqualität, wenn man für die Erwerbsarbeit weniger Zeit aufwenden muss – wenn man es sich leisten kann.
    Dann gibt es wiederum die Älteren über 50 oder 55, die ganz gerne in Teilzeit sind, weil sie sagen, sie halten die Belastungen in der Arbeit nicht mehr so leicht aus. Die Motive sind also unterschiedlich, aber es gibt recht viele Wünsche in Richtung kürzere Arbeitszeit.

    Sie haben einmal gesagt, dass man rein rechnerisch mit Arbeitszeitverkürzung die Zahl der Arbeitslosen halbieren könnte. Warum macht man das dann nicht?
    Der Widerstand gegen Arbeitszeitverkürzung kommt primär, wenn nicht ausschließlich, von den Unternehmen und den Verbänden der Arbeitgeberseite. Arbeitszeitverkürzung ist mit Kosten und mit organisatorischem Aufwand verbunden. Die Vorteile, die den Firmen daraus erwachsen, werden da weniger gesehen.
    Die Vorteile sind, dass die Leute gesünder sind, dass sie motivierter sind, dass bei der Arbeit möglicherweise mehr rauskommt. Aber das wird in der Diskussion eher ausgeblendet. Es gibt ja Versuche, wo Firmen bewusst auf einen Sechsstundentag gehen und damit ganz gute Erfahrungen machen, weil sie weniger Krankenstände haben und die Leute ausgeruhter sind. Die Kosten von Krankenständen können also reduziert werden und die Leute sind produktiver - trotzdem sind die Arbeitszeiten für die Firmen teurer.

    Und doch würden Sie dies den Firmen abverlangen wollen?
    Es ist immer die Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum verteilt werden soll. Das sind gesellschaftspolitische Entscheidungen oder normative Fragen, das ist wissenschaftlich nicht zu beantworten. Man kann aus wissenschaftlicher Sicht nur darauf hinweisen, dass es Irrationalitäten gibt, Widersprüche in der Gesellschaft: Dass man auf der einen Seite Leute hat, die sehr lange arbeiten und dadurch krank werden, und auf der anderen Seite viele Leute, die arbeitslos sind und deswegen krank werden. Das ist ein Zustand, der gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht befriedigend ist.
     
    Zugleich wird Druck noch deutlich erhöht. Wem bringt das was?
    Das ist eine Frage der Verteilung. Der private Reichtum wächst, während die niedrigen Einkommen eher zurückgehen und die Leute Schwierigkeiten haben, bei steigenden Lebenshaltungskosten über die Runden zu kommen. Die nicht mehr weitergeführte Arbeitszeitverkürzung heißt ja auch eine Umverteilung hin zu den Reichen. Denn Firmen sparen sich dadurch Kosten und damit wachsen die Gewinne. Die Arbeitszeitverkürzung war immer eine Verteilungsfrage und ist normalerweise eine Umverteilung.

    Gilt das auch für Flexibilisierung?
    Die Flexibilisierung bringt eine Umverteilung hin zu den Gewinneinkommen zulasten der Löhne und Gehälter.

    Ist mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt denn automatisch schlecht?
    Flexibilisierung ist ein schwieriges Wort, denn es klingt zunächst einmal positiv. Man muss genauer schauen, was damit gemeint ist. Eigentlich ist damit gemeint, und in der Praxis wird es auch so gehandhabt, dass Arbeitskräfte dann eingesetzt werden, wenn es betrieblich notwendig oder gewünscht ist. Das heißt, dass die Arbeitszeit schwanken kann, je nach Bedarf.
    So können Kosten eingespart werden, weil man im Durchschnitt weniger Leute braucht. Dann arbeiten alle aber immer am Anschlag. Das heißt zugleich höhere Belastung und weniger Planbarkeit der Arbeitszeit, und das ist ein großes Problem für die Vereinbarkeit. Es wird immer so getan, als wären flexible Arbeitszeiten nützlich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das kann  im Einzelfall stimmen, aber die Planbarkeit ist wesentlich wichtiger. Damit sind starre Arbeitszeiten hilfreicher, um die Kinderbetreuung arrangieren zu können. Nur wenn man sich selber die Arbeitszeit wirklich nach privaten Bedürfnissen einteilen kann und das tut, bringt die Flexibilität Vorteile für die Vereinbarkeit. Das ist jedoch die Ausnahme.

    Firmen klagen, der Arbeitsmarkt in Österreich sei so starr. Stimmt das so?
    Im internationalen Vergleich nicht. In Österreich ist in hohem Ausmaß Arbeitszeitflexibilität möglich, über Bandbreitenmodelle, über Gleitzeit. Es gibt verschiedene Formen, die auf Kollektivvertragsebene oder Betriebsebene noch ausgeweitet werden können. Darüber hinaus gibt es weitere Flexibilitätsmöglichkeiten über Überstunden. Nur diese kosten etwas. Es geht in der Auseinandersetzung nicht wirklich um Flexibilität, sondern darum, ob Flexibilität etwas kostet.
    Und dann ist die Frage: Gibt es einen wirtschaftlichen Anreiz für die Unternehmen, vorauszuplanen und zu vermeiden, dass die Leute auf Abruf arbeiten müssen, oder ist das egal? Dazu kommt die Konkurrenz. Die Firmen sagen ja: Ich habe bessere Chancen, einen Auftrag zu bekommen, wenn ich einen kürzeren Fertigstellungstermin versprechen kann. Das heißt, ich muss die Beschäftigten in der Zeit, in der der Auftrag abgearbeitet wird, länger einsetzen können. Da hat der einzelne Betrieb Recht, wenn er sagt, dass das auch Arbeitsplätze sichert. Aber wenn ein Betrieb einen kürzeren Fertigstellungstermin verspricht, dann müssen das die anderen auch. Im Endeffekt entsteht kein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz, es arbeiten nur alle länger und unter mehr Druck. 
    Daher muss es Begrenzungen geben, und diese werden heute als wirtschaftlich schädlich hingestellt. Das sind sie aber nicht, sondern sie sind auch für die Unternehmen vorteilhaft, weil sie sich nicht ruinös konkurrenzieren müssen. Und für die Arbeitenden sind Arbeitszeitgrenzen buchstäblich lebensnotwendig. Nur wird dieses Denken immer mehr verdrängt.
    Eigentlich spricht man heute in der öffentlichen Diskussion meist über die Interessen einer kleinen Minderheit, nämlich über die, die ein Unternehmen führen oder Kapitaleinkommen besitzen. Die überwiegende Mehrheit von über 90 Prozent, zu der auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehören, kommt da kaum mehr vor.

    Das Ende der Arbeit wurde schon oft prognostiziert. Ist damit überhaupt noch zu rechnen?
    Na schon. Wir haben vor 20, 30 Jahren die Diskussion über die Automation in der Industrie gehabt, und die Industriearbeitsplätze sind weniger geworden. Der Dienstleistungsbereich ist gewachsen, aber in vielen Sektoren gibt es massive Rationalisierungen – denken wir an die Banken, wo viele Filialen geschlossen werden. Im Handel geht es jetzt wieder massiv in Richtung Rationalisierung. Noch dazu machen die Konsumentinnen und Konsumenten viel mehr selber als früher und arbeiten unbezahlt für Firmen, aber auch für den öffentlichen Dienst. Auch im öffentlichen Bereich haben wir schon längere Zeit die Austeritätspolitik und den damit verbundenen Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst.

    Aber ist es wirklich ein Verlust, wenn Menschen nicht mehr an der Kasse sitzen müssen?
    Na ja, es ist ein großer Verlust, wenn die Person stattdessen arbeitslos ist und Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft stigmatisiert ist, mit zu wenig Geld und mit zu viel Zeit einhergeht. Wenn man in der Zeit was Sinnvolles tun kann, genug Geld zur Verfügung hat und gesellschaftlich anerkannt ist, schaut es anders aus. Aber das ist nicht der Fall. Damit ist für die meisten ein entfremdeter Arbeitsplatz an der Kasse im Supermarkt besser als keiner. Das ist das Problem. Dieser Arbeitsplatz müsste ja auch nicht so ausschauen wie jetzt, er könnte menschenwürdiger sein.
    Auch im Zusammenhang mit Industrie 4.0 und Digitalisierung heißt es dann: Der Mensch wird frei für kreative Tätigkeiten. Das hat es vor 50 Jahren auch schon geheißen. Aber das ist nicht Sinn und Zweck der Übung. Sinn und Zweck der Übung ist es, Kosten einzusparen, und nicht die Arbeit zu humanisieren. Das wäre eigentlich eine Forderung der Gewerkschaften.
    Der Punkt ist immer, dass alle diese Themen – die Arbeitszeit, die Arbeitsgestaltung – umkämpft sind, seit es den Kapitalismus gibt. Und der Ausgang ist immer ein Ergebnis von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, von Kämpfen. Insofern ist die Frage, wie Digitalisierung die Arbeit verändert, falsch gestellt. Die Digitalisierung verändert einmal gar nichts, sondern da gibt es Akteure, die Entscheidungen über den Einsatz von Technik treffen, über ihre Gestaltung und Entwicklung. Das sind in Wirklichkeit hochpolitische Entscheidungen.
    Und diese haben entsprechende Folgen, die auch dadurch beeinflusst werden, was die Wirtschaftsseite durchsetzt und was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchsetzen, einzeln oder gemeinsam. In der politischen Situation in Österreich im Moment habe ich den Eindruck, dass da etwas wenig von den Gewerkschaften und Arbeiterkammern zu hören und zu spüren ist.

    Ist Arbeitslosigkeit wirklich die Hängematte, als die sie oft dargestellt wird?
    Das ist völlig absurd. Die Arbeitslosigkeit entsteht ja nicht dadurch, dass Leute nicht arbeiten wollen, sondern dass es zu wenige Arbeitsplätze gibt. Bei steigender Arbeitslosigkeit haben wir immer die Diskussion gehabt, dass die Leute nicht arbeiten wollen. Das dient wohl auch dazu, diesen gesellschaftlichen Skandal der Arbeitslosigkeit zu verdecken. Jetzt hat man diese Diskussion bei sinkender Arbeitslosigkeit noch dazu.
    Ich habe das Gefühl, dass die Politik der jetzigen Regierung generell in die Richtung geht, Public Relations zu betreiben und nicht Politik zu machen. Dafür werden dann auch Maßnahmen gesetzt, die Probleme suggerieren. Zum Beispiel werden Maßnahmen gesetzt, die sich gegen Arbeitslose richten, um zu suggerieren, dass die Arbeitslosen ein Problem wären. Dabei ist der Druck schon in den letzten 10, 15 Jahren erhöht worden. Jetzt wird noch einmal Druck gemacht, um primär Stimmung zu machen.
    Das bringt für die Gesellschaft keinen Vorteil. Insgesamt wäre es günstiger, wenn sich die Arbeitslosen besser aussuchen könnten, welche Arbeit sie annehmen. Das wäre volkswirtschaftlich sinnvoller, weil eher die richtigen Leute auf den richtigen Arbeitsplatz kommen und die Qualifikationen genutzt werden. Durch mehr Druck werden Qualifikationen mutwillig zerstört, weil man die Leute auf Arbeitsplätze setzt, wo ihr Wissen und ihre Erfahrungen nicht gefragt sind. Damit geht das Wissen aber auch verloren.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Jörg Flecker ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Uni Wien.
    Der 1959 in Graz geborene Wissenschafter studierte zunächst Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und gelangte über einen Postgraduate-Lehrgang am Institut für Höhere Studien zur Soziologie. Zwischen 1991 und 2013 war Flecker Wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), wo er weiterhin im Vorstand sitzt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Arbeitsorganisation, Arbeitsbeziehungen, Beschäftigungssysteme, Internationalisierung, öffentliche Dienstleistungen sowie Populismus.

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    Das Interview führte Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402618 Jörg Flecker: "Es geht in der Auseinandersetzung nicht wirklich um Flexibilität, sondern darum, ob sie etwas kostet." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402623 "Es gibt Versuche, wo Firmen bewusst auf einen Sechsstundentag gehen und damit ganz gute Erfahrungen machen, weil sie weniger Krankenstände haben und die Leute ausgeruhter sind." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402569 Coverstory: Unternehmen streicheln, Kinder strafen Manchmal ist schiere Quantität sehr aussagekräftig. Man nehme etwa das Regierungsprogramm und zähle, welche Begriffe besonders häufig verwendet werden. Der eindeutige Sieger: Österreich! Über 500 Mal wird darauf Bezug genommen. Das ist nicht überraschend, denn Regierungen pflegen sich auf das von ihnen regierte Land einzuschwören – was umso mehr bei einer Koalition aus einer konservativen und einer rechtsnationalen Partei gilt.
    Wer zu Österreich gehört, ist allerdings eine andere Frage. Die Präambel beschwört zwar die „individuelle Verantwortung [...] gegen jeden Versuch einer Diskriminierung oder Spaltung entschlossen aufzutreten“. Sehr im Gegensatz dazu setzt das Regierungsprogramm aber einen Schwerpunkt auf „wir“ versus „die anderen“. Das spiegelt sich hier wortreich wider: 46 Mal geht es um Asyl oder Migration, also Menschen, die von woanders herkommen. Was diese zu tun haben, darüber wird kein Zweifel gelassen: Mehr als 60 Mal ist von Integration die Rede. Menschenrechte spielen dagegen mit neun Erwähnungen eine ziemlich untergeordnete Rolle.
    Erst recht zum Schattendasein verurteilt ist die Solidarität mit gerade einmal fünf Zählern im Regierungsprogramm. Sehr anschaulich zeigt sich das an der Mindestsicherung. Dort soll es für Asylberechtigte eine deutliche Reduktion gegenüber InländerInnen geben, obwohl der Verfassungsgerichtshof eine solche unsachliche Unterscheidung gerade wieder als unzulässig anerkannt hat.

    Trennendes vor Gemeinsames
    Auch im Bildungskapitel wird gerne getrennt – und bewertet. So wird schon in der Elementarpädagogik (vulgo Kindergarten) auf Werte und die verbindliche Vermittlung der Verfassungs- und Gesellschaftsordnung gepocht. Wie das bei Drei- bis Fünfjährigen sinnvoll erfolgen kann, bleibt offen. Klar ist nur, dass es beim Verstoß gegen besagte Werte verstärkte „Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten“ geben soll.
    Außerdem soll es ein zweites verpflichtendes Vorschuljahr geben. Entsprechend dem Konzept, Trennendes hervorzuheben, gilt dieses nur für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen. Beim Formulieren dieser Forderung dürfte nicht unbedingt präsent gewesen sein, dass sich bei der bisher einzigen Sprachstandserhebung unter Vierjährigen herausstellte, dass die Mehrzahl der förderbedürftigen Kinder autochthone ÖsterreicherInnen waren – und dass keiner so recht weiß, wie man nun bei Dreijährigen einen Sprachförderbedarf sinnvoll feststellen soll.

    Fordern statt fördern
    In dieser Weltsicht ist es durchaus schlüssig, dass es für Schulkinder mit Sprachproblemen eigene Deutschklassen ohne Einbindung in den Regelunterricht geben soll. Die weitgehende Abschottung ist dem Deutschlernen allerdings nur bedingt zuträglich, da dafür der Sprachaustausch mit gleichaltrigen SchülerInnen essenziell ist. Wesentlich sinnvoller wäre eine gleichzeitige Förderung von Erst- und Zweitsprache mit einer Kombination von Sprach- und Fachunterricht. Auch fehlt eine Evaluation der bereits bestehenden Sprachförderkurse. Man weiß also nicht, welche Sprachmaßnahmen bisher erfolgreich waren und welche nicht. Lernen, wie Kinder am besten lernen, scheint nicht das zentrale Anliegen zu sein.
    Selektiert wird aber nicht nur bei Kindern anderer Herkunft, sondern generell: Mit den Talente-Checks soll bereits am Ende der 3. Schulstufe – also bei Achtjährigen – festgestellt werden, wer für höhere Schulen geeignet ist und wer nicht. Grundprinzip im Bildungskonzept der Regierung sind viele Testungen ohne ausgleichende Förderungen: Selektion als durchgängiges Prinzip.
    Was nicht bedeutet, dass Förderungen im Regierungsprogramm nicht erwähnt werden – mehr als 300 Mal kommt der Begriff vor! Dabei geht es allerdings sehr häufig um Unternehmen. Nur jedes zwölfte Mal ist damit die Unterstützung von Kindern oder Jugendlichen gemeint. Da ist es dann nur stimmig, dass die Mittel für Integration an den Schulen im aktuellen Budget um die Hälfte gekürzt wurden.

    Strafen und Sanktionen
    Stattdessen wird auf „Law and Order“ gesetzt, mehr als 100 Mal werden Strafen oder Sanktionen erwähnt. Auch bei jungen Menschen ist man nicht zimperlich: „Verschärfungen der Bestimmungen und Sanktionen für Eltern bei Sozialleistungen bei Schulpflichtverletzung oder bei Missachtung von Aufgaben und Pflichten“ setzt sich das Regierungsprogramm zum Ziel.
    Bei Unternehmen heißt es hingegen: „Zur Verhinderung von Strafexzessen soll das Kumulationsprinzip überarbeitet werden“. Gemeint ist damit die Verletzung von Schutzbestimmungen wie Arbeitszeitregeln oder Gesundheitsschutz. Dass schon jetzt nur in 1,4 Prozent aller Fälle, in denen das Arbeitsinspektorat Übertretungen feststellt, Strafen verhängt werden, scheint der Regierung noch immer zu viel zu sein.
    Schutz ist ein positiver Begriff und soll dementsprechend in einigen Bereichen ausgeweitet werden: selbstredend bei den Außengrenzen, ebenso bei Eigentum und Geschäftslokalen. Geht es aber darum, dass arbeitssuchende Menschen ein Berufs- und Entgeltschutz zugestanden wird, um nicht jeden noch so miesen Job annehmen zu müssen, geht es genau in die andere Richtung. „Stärkere Arbeitsanreize“ lautet die Formel, hinter der letztlich nichts anderes steht als der Abbau dieser Schutzbestimmungen. Und was für Kindergarten- und Schulkinder als richtig betrachtet wird, darf auch bei Arbeitslosen nicht fehlen, nämlich die Sanktionen, deren Wirksamkeit erhöht werden soll. Apropos Parallelen zur Schule: Auch beim Arbeitsmarkt werden die Mittel für Deutschkurse gekürzt. Fordern statt fördern scheint hier das Motto zu sein.
    Richtig wirksam als Sanktion wird es sein, wenn die Notstandshilfe mit der Mindestsicherung „harmonisiert“ wird. Das lässt eine Übernahme des höchst problematischen Hartz-IV-Systems befürchten, was auf eine Enteignung von länger arbeitslosen Menschen hinausläuft. Der Schutz von Eigentum gilt eben nicht für jene, die die Brutalität des Arbeitsmarktes – vor allem Älteren gegenüber – zu spüren bekommen.
    Dass die Arbeitslosigkeit durch höheren (auch finanziellen) Druck auf Arbeitslose behoben werden kann, ist aber erstens falsch und zweitens rückschrittlich. Weder die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes noch die Verschärfung der Zumutbarkeit (Wegzeiten, Entgeltschutz) sind Antworten auf fehlende Arbeitsplätze oder auf Vermittlungsprobleme wegen mangelnder beruflicher Qualifikation. Es sollte eben die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nicht die von arbeitslosen Menschen im Zentrum der Regierungspolitik stehen.
    Gleichmacherei ist der Regierung Sache nicht. „Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen, ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden.“ Diesem Ansatz folgend werden bei der Verantwortung von Frauen in „lebensentscheidenden Bereichen“ vorrangig Erziehung, Pflege, Bildung genannt. Kinder und Fürsorge sind schließlich weibliche Domänen.
    Befremdlich ist, dass Frauen mit Migrationshintergrund sowohl im Integrations-, als auch im Frauenkapitel als hilflos und von ihren Männern unterdrückt dargestellt werden. Mit Maßnahmen der Gewaltprävention sollen diese Frauen „befreit werden“ und mittels Werteschulungen soll die österreichische weibliche Bevölkerung „beschützt werden“.

    Frauenthemen, aber kein Budget
    Die Regierung spricht sich aber auch für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, Gleichstellung am Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit für Frauen aus. Konkrete Maßnahmen sucht man allerdings vergeblich. Auch das diesjährige Frauenbudget mit gerade einmal 10,2 Millionen – das sind etwas über zwei Euro pro Frau in Österreich – wird hier wenig bewegen.
    Allerdings wartet die Regierung ja immer wieder mit Überraschungen auf, wie etwa dem kolportierten Sonderbudget in der Höhe von 42 Millionen Euro für Kanzler und Vizekanzler für 2018. Also wer weiß, vielleicht wartet als nächste Überraschung ja eine Vervierfachung des Frauenbudgets auf uns.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    MEHR INFORMATION

    Zug um Zug zu einer „defekten“ Demokratie
    Die offensichtlich angetragene Schwächung der Gegenmacht und der Medien ist ein Mosaikstein von vielen zur Schwächung der Demokratie. Weitere dieser Steine sind Verschärfungen im Strafrecht („Sicherheitspaket“, das man eigentlich besser „Verunsicherungspaket“ nennen sollte) und aller Voraussicht nach Gegen-Geschenke der Politik für Wahlspenden bzw. erfolgreiches Lobbying. Der Tourismussektor wird beispielsweise ohne jede Not und bei hohen Buchungszahlen um rund 120 Millionen pro Jahr im Rahmen des Doppelbudgets 2018/2019 entlastet. Bis 2021 ist eine Senkung der Körperschaftssteuer in Milliardenhöhe geplant – ein Schelm, wer sich an den Spruch „Wer das Geld hat, macht die Regeln“ erinnert fühlt. Wahrscheinlich ist es aus heutiger Sicht zu früh, von einer autokratischen Wende in Österreich zu sprechen. Leider aber verdichten sich die Zeichen in diese Richtung.

    „Slim-fit-Sozialstaat“ funktioniert nicht
    Das im Regierungsprogramm und bei Interviews oft strapazierte Bild eines „schlanken Staats“ mag auf den ersten Blick verlockend wirken. Die Senkung der Abgabenquote von 42 auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, weniger Bürokratie, Verschlankung von Strukturen: Ziele wie diese können möglicherweise beeindrucken. Mitunter entstehen Erwartungen an breite Steuersenkungen, besseres Service bei öffentlichen Dienstleistungen oder Träume von budgetären Spielräumen für Zukunftsinvestitionen – vielleicht für die eigenen Kinder.
    Dieses vermeintlich hübsche Bild verblasst im Realitäts-Check ziemlich schnell und stellt sich als trojanisches Pferd erster Güte dar, vor allem beim Sozialstaat. Denn dieser funktioniert in der „Slim-fit-Version“ einfach nicht: Er passt weder für alle noch für verschiedene – oft schwierige – Lebenslagen. Österreich zählt zu den höchstentwickelten Sozialstaaten der Welt, und doch gibt es noch immer viel Luft nach oben. Herausforderungen wie die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft, unterschiedliche Startchancen im Leben, fehlende alternsgerechte Arbeitsplätze oder die fortschreitende Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sprechen für ein Mehr statt ein Weniger an sozialer Sicherheit. Darüberhinaus sichern und erhöhen die Sozialausgaben die Standortqualität.
    Dass niedrigere Abgaben und Steuern auch auf Sicht – sieben Milliarden Euro pro Jahr weniger im Vergleich zu 2017 ist die errechnete Unterkante (!) – notgedrungen zu schlechteren und niedrigeren Leistungen führen, ist augenscheinlich. Diese mutwillige Unterfinanzierung wird sich in einem Konjunkturabschwung sogar noch ver-stärken und mittelfristig Reformdebatten lostreten, den (Sozial-)Staat weiter diskreditieren und die „Sparspirale“ erst so richtig ins Drehen bringen. Die Entlastung wird dabei den Vermögens- und Einkommensstarken zugutekommen, die Einsparungen hingegen werden die Mitte der Gesellschaft und ganz besonders die Schwächsten, die es ohnedies schwer haben, treffen. Letztendlich ist das ein Bild voller Schatten!

    ArbeitnehmerInnenvertretungen „mundtot“ machen
    Aber nicht nur die ArbeitnehmerInnen, auch ihre Interessenvertretungen kommen im Regierungsprogramm in jeder Hinsicht unter Druck. Die Gewerkschaften werden durch die geplante Verlagerung von Kompetenzen von der Kollektivvertrags- auf die Betriebsebene geschwächt. Die Arbeiterkammer wird gesetzlich wie materiell bedroht. Alles in allem ist das Bild „stimmig“: Die Interessen der (Groß-)Industrie und bestimmter Interessengruppen werden absehbar bedient. So soll unter anderem die Körperschaftssteuer für große Unternehmen in Milliardenhöhe gesenkt werden, Arbeitszeitlimits sollen geöffnet werden, und es soll weniger Kontrollen in der Arbeitswelt im Bereich des ArbeitnehmerInnenschutzes geben. Dafür sind Leistungsverbesserungen für BäuerInnen und Selbstständige in der Pensionsversicherung geplant. Für diese Vorhaben sind „Gegenmächte“ wie Gewerkschaften und Arbeiterkammer unliebsam und müssen offenbar entsprechend geschwächt werden.
    Dass die 3,7 Millionen unselbstständig arbeitenden Menschen entgegen den Vorhaben der Bundesregierung eine starke Lobby für ihre berechtigten Anliegen und Sorgen verdienen, ist mehr als offensichtlich. Nicht nur das, es sollte selbstverständlich sein. Allein das zunehmende Machtgefälle zwischen einer Einzelperson und Unternehmen, die steigende Verunsicherung von Menschen und die Gefährdung des sozialen Ausgleichs machen starke ArbeitnehmerInnenvertretungen wichtiger denn je.

    Spaltpilz für die Gesellschaft, Gefahr für alle
    Wie (rechts)konservative und rechtsnationale Parteien in Europa zum Teil sehr subtil den Sozialstaat demontieren, zeigen die Erfahrungen in mittlerweile einigen Ländern. Sogar die skandinavischen Länder, für die der Sozialstaat über Jahrzehnte ein Wert für sich war, blieben davon nicht verschont. Die Rhetorik ist stets ähnlich: „Bessere Leistungen für UNSERE Leute, Kürzen bei AusländerInnen. Dann werden die Mittel frei für …“. Real umgesetzt werden dann erfahrungsgemäß Kürzungen bei den staatlichen Leistungen insgesamt – zuerst für die nicht alteingesessene Bevölkerung, auf Raten aber für alle, also auch die InländerInnen.
    Bei dieser Diffamierungsstrategie wird kaum zwischen AusländerInnen aus den EU-Ländern, AsylwerberInnen/-berechtigten oder GrenzgängerInnen differenziert. Nach dem Motto: „Und is er ned von do, dann is ma wuascht von wo.“ Was die moralische Komponente solcher Vorschläge betrifft, spricht allein schon die Wortwahl Bände. Das brutale Auseinanderdividieren von In- und AusländerInnen, das bewusste Emotionalisieren gegen Randgruppen ist sowohl menschenfeindlich als auch demokratiepolitisch brandgefährlich. Österreich hat in den 1930er-Jahren doch genug leidvolle Erfahrungen mit diesem Zugang gemacht und sollte eigentlich über diese Art der Demagogie erhaben sein.
    Sozialer Zusammenhalt sieht anders aus: Es geht um soziale Absicherung von Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind, und es geht um Solidarität. In einer entwickelten Gesellschaft sollten wechselseitiges Vertrauen und verlässliche Institutionen die Oberhand haben. Diskurse zu vermeintlichem Sozialmissbrauch/Sozialtourismus haben darin jedenfalls keinen Platz. Es sollten tragfähige Brücken zwischen den Menschen und zwischen dem Heute und dem Morgen gebaut werden!

    Massiver Druck auf ArbeitnehmerInnen
    Mit fadenscheinigen Argumenten, wie „die Menschen wollen ja zwölf Stunden arbeiten“ oder „Flexibilität bringt mehr Freizeit und Freiheit für die arbeitenden Menschen“, versucht die Bundesregierung, ihre einseitige Klientelpolitik zu legitimieren. Von den ArbeitnehmerInnen wird gefordert, noch flexibler zu werden, noch höheren Arbeitseinsatz zu zeigen. Statt die Arbeitszeiten in Richtung „gesunde“ Vollzeit für Beschäftigte weiterzuentwickeln oder innovative Arbeitszeit(verkürzungs)modelle zu fördern, riskiert die Bundesregierung durch die Anhebung der Höchstgrenzen der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (auf zwölf bzw. 60 Stunden) einen hohen gesellschaftlichen und ökonomischen Schaden. Das gilt für die Gesundheit der Menschen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Verfestigung von Arbeitslosigkeit und vieles mehr.

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    Text: Sybille Pirklbauer | Mehr Infos: Adi Buxbaum Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402553 Ob in der Bildung, der Sozialpolitik oder bei ArbeitnehmerInnen: http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402558 In der Gesellschaftspolitik setzt die Regierung auf Spaltung, ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402563 ... Druck und Sanktionen. Weniger streng ist sie bei Unternehmen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402510 AK: "Teils haarsträubende Überstundenmarathons" Es ist das täglich Brot der AK-JuristInnen: Wenn ein Dienstverhältnis beendet wird, dann fordern viele ArbeitnehmerInnen endlich auch die längst fällige Bezahlung geleisteter Überstunden ein. Hans Trenner, Bereichsleiter des AK-Rechtsschutzes, sagt: „Da zeigt sich dann, was für haarsträubende Überstundenmarathons die Menschen teils mitmachen müssen.“
    „Wie soll Arbeit?“ Das ist der Titel einer großen Initiative zum Mitreden und Mitbestimmen, die bis Ende Mai 2018 von Arbeiterkammer und ÖGB österreichweit durchgeführt wird. Einer von sieben Schwerpunkten ist das Thema Arbeitszeit. Trenner sagt: „Nein zu einem generellen Zwölfstundentag!“ Er fordert eine „Registrierkasse für die Arbeitszeit“: eine fälschungssichere, elektronische Arbeitszeiterfassung. Für mutwillig vorenthaltene Entgelte für Mehrarbeit soll der Arbeitgeber das Doppelte nachzahlen müssen (Überstundenduplum). In einem Fünftel aller Rechtsschutzfälle der AK Wien wurden Überstundenentgelte nachgefordert. 80 Prozent dieser Fälle betrafen ArbeiterInnen.
    Herr Ibrahim A. arbeitete 2016 als Küchenchef und kündigte, weil die Arbeitszeiten ausuferten: Im Sommer arbeitete er in einer Woche sogar 81 Stunden, in der nächsten 74. Bis Ende September waren es nie weniger als 60 Stunden in der Woche. 273 Überstunden sammelte Herr Ibrahim A. an – die er nicht bezahlt bekam und die er mithilfe der AK einklagte. Der Streit endete mit einem Vergleich, Herr Ibrahim A. bekam über 3.000 Euro nachbezahlt.
    Auch Herr Jan W. musste mit 80 Überstunden in einem Monat praktisch zwei zusätzliche Wochen arbeiten. Er wurde von seinem Arbeitgeber mit Teilzahlungen abgespeist, die nicht einmal seinen Grundlohn abdeckten, bis er sich an die Arbeiterkammer wandte. Er bekam 3.790 Euro nachbezahlt.
    Frau Martina S. arbeitete vom Mai 2016 bis März 2017 als Kellnerin in einem Imbiss immer von 11 bis 23 Uhr, hatte also regelmäßig 12-Stunden-Arbeitstage. Martina S. leistete sogar oft darüber hinausgehende Überstunden! Ihr Arbeitgeber blieb ihr 17.000 Euro an Überstundenentgelt, Feiertagsentgelt und Co schuldig. Erst auf die Klage der Arbeitnehmerin hin reagierte der Arbeitgeber damit, dass er der Arbeitnehmerin plötzlich vorwarf, sich aus der Kassa bedient zu haben. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
    Mehr Info: tinyurl.com/ybcmzze4

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    Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402507 AK/ÖGB: 50 Millionen mehr für das AMS-Förderbudget „Die heftige Kritik der ArbeitnehmerInnenvertretung an den von der Regierung vorgesehenen Kürzungen hat sich ausgezahlt: Nun stellt Sozialministerin Beate Hartinger-Klein 50 Millionen Euro zusätzlich aus der Arbeitsmarktrücklage bereit“, zeigt sich Bernhard Achitz erfreut. „Damit können wesentliche Arbeitsmarktprogramme, die in der Verantwortung des AMS-Verwaltungsrats liegen, wie geplant weitergeführt werden.“ Der leitende Sekretär des ÖGB fordert ein klares Bekenntnis zu der bisherigen Vorgabe, dass die Hälfte der Fördermittel für Frauen zu verwenden ist.
    Die Aktion 20.000 kann mit dem beschlossenen AMS-Budget aber nicht wieder aufgenommen werden, denn dafür gibt es nach wie vor keine Finanzierung. Durch eine geplante Änderung des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes sollen die Mittel dafür auf nur mehr 110 Millionen Euro gekürzt werden. Achitz: „Der ÖGB fordert, dass die von der Ministerin angekündigte Evaluierung rasch durchgeführt wird und die Aktion 20.000 dann umgehend wieder im vollen Umfang aufgenommen wird.“
    Ebenfalls kritisiert der ÖGB, dass dem AMS für den Bereich Asyl keine zusätzlichen Mittel mehr zur Verfügung gestellt werden sowie dass die Mittel aus dem Titel des Integrationsjahrgesetzes halbiert werden.
    Zur Diskussion über das AMS selbst meldete sich AK-Präsident Rudi Kaske zu Wort. Dass manche jetzt, wo die Arbeitslosigkeit zurückgeht, über einen Personalabbau beim AMS nachdenken, lehnt Kaske entschieden ab. Die Arbeitslosigkeit und die Betreuungsspannen im AMS sind viel zu hoch. Manche Gruppen – wie Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen – können vom momentanen Aufschwung kaum profitieren. Gerade bei guter Beschäftigungsentwicklung braucht es möglichst gute und passgenaue Unterstützung der Arbeitssuchenden und der Betriebe. „Da haben die AMS-Beschäftigten noch genug zu tun, da braucht es auch Verbesserungen“, sagt Kaske. „Dass auch Fachleute der OECD und der Europäischen Arbeitsmarktverwaltungen dem AMS hohe Leistungsfähigkeit bescheinigen, ist vor allem ein Verdienst der AMS-Beschäftigten.“
    Mehr Info: tinyurl.com/yd494ybp

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    Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Thu, 12 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402483 Frisch gebloggt Neue Energiepolitik – zwischen Chance und Gefahr
    Dorothea Herzele & Josef Thoman

    Die Umsetzung der EU-Energie- und Klimaziele wird sich nicht nur auf unser Wirtschaftssystem, sondern auch auf die Interessen der KonsumentInnen und Beschäftigten massiv auswirken. Die notwendige breite Unterstützung wird nur dann erreicht werden können, wenn die gewählten Maßnahmen und Strategien auch zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Verteilungssituation beitragen. Grundvoraussetzung zur Erreichung der Ziele ist die Steigerung der Energieeffizienz. Denn die Reduktion des Energieverbrauchs bedeutet nicht nur einen geringeren CO2-Ausstoß, sondern auch eine Verringerung der Importabhängigkeit von fossiler Energie und damit eine Erhöhung der Versorgungssicherheit. Ein effizienter Energieeinsatz senkt die Energiekosten für private Haushalte und Unternehmen nachhaltig und ist damit für die energieintensive Industrie ebenso wie für einkommensschwache Haushalte von besonderer Bedeutung. Die privaten Haushalte stemmen derzeit den Großteil der Kosten des Energiesystems. Umso mehr gilt es, die Kosten der Energiewende fair auf alle zu verteilen und sicherzustellen, dass nicht nur jene profitieren, die über ausreichend Kapital verfügen, um in eigene Photovoltaik-Anlagen und Stromspeicher investieren zu können.
    Lesen Sie mehr: www.awblog.at/neue-energiepolitik

    Institutionelle Kinderbetreuung in Wien
    Susanne Julia Groiß

    Eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und -bildung ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Insbesondere die frühkindliche Erziehung ist prägend für den weiteren Lebensverlauf eines Kindes. Wien hat im Vergleich zu den Bundesländern das beste Angebot hinsichtlich der Zahl der Plätze und der Öffnungszeiten. Es unterscheidet sich aber bei der Struktur der Anbieter. Das wirft die Frage auf, ob diese Unterschiede Auswirkungen auf die Qualität des Angebots haben. In ihrer Masterarbeit, die im Rahmen einer Forschungsassistenz in der Abteilung für Frauen und Familie der AK Wien fertiggestellt wurde, ging Julia Groiß dieser Frage nach. Der Wiener Kinderbetreuungsmarkt setzt sich aus einer Vielzahl von Anbietern zusammen. Das umfassende Betreuungsangebot ist vor allem für Eltern von Vorteil, da deren heterogene Nachfrage befriedigt werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass das Angebot auch für alle KonsumentInnen gleichermaßen zugänglich ist. Dabei spielen vor allem die Preise sowie die Verteilung der Einkommen eine wichtige Rolle.
    Lesen Sie mehr: www.awblog.at/kinderbetreuung-in-wien

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    Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402474 "Nicht zuletzt" ... Pech, Marie? Pech, Ali? Präsident der AK Wien und der Bundesarbeitskammer]]> Marie kommt aus bescheidenen Verhältnissen. Als ungeliebtes Stiefkind wächst sie bei der Tante auf, ihre Startchancen sind wesentlich schlechter als jene der verhätschelten Schwester. Doch dann kommt Frau Holle: Sie fördert das Mädchen, sie macht es zur „Goldmarie“.
    So ist es im Märchen. Im „echten“ Leben läuft es nicht ganz so. Ein wesentliches Ziel unseres Sozialstaates ist es aber, Chancengleichheit herzustellen und einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Die Sozialpartner, allen voran AK und ÖGB, sind hier aktiv beteiligt: Denken wir etwa an das Modell des Chancenindex, das die AK entwickelt hat und das von der Vorgängerregierung in ersten Ansätzen umgesetzt wurde. Es besagt, dass Schulen mit Kindern, die schwierigere Startchancen im Leben haben, mehr Mittel erhalten sollen als jene Schulen, in denen Kinder aus AkademikerInnen-Haushalten überwiegen. Auf diese Weise lassen sich schlechtere Startchancen, die Marie, Ali und anderen Kindern in die Wiege gelegt werden, zumindest teilweise ausgleichen.

    Starke ArbeitnehmerInnenbewegung
    Durch unser System der gesetzlichen Interessenvertretungen wird auf mehreren Ebenen ein Ausgleich erzielt. Innerhalb der Unternehmerschaft sorgt die Wirtschaftskammer dafür, dass nicht nur einige wenige finanzstarke Industrielle das Sagen haben. Die Zugehörigkeit aller ArbeitgeberInnen zur Wirtschaftskammer garantiert zudem, dass sich jeder Betrieb an den Kollektivvertrag seiner Branche halten muss. Keiner kann sagen: Ich zahle weniger. Dass die Beschäftigten in Österreich über eine starke ArbeitnehmerInnenbewegung verfügen, ist ebenfalls zu einem wesentlichen Teil der gesetzlichen Mitgliedschaft zu verdanken. Denn ihre umfassenden Aufgaben können die Arbeiterkammern nur deshalb erbringen, weil sie dafür von den Beschäftigten die nötigen Mittel erhalten.

    Kleiner Beitrag – große Wirkung
    Für die/den Einzelne/n ist die AK-Umlage ein kleiner Beitrag – in der Gesamtheit erzielen wir damit eine große Wirkung: Die AK bildet gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten einen starken Schutzschirm für die ArbeitnehmerInnen. Diese Stärke ist unseren Gegnern ein Dorn im Auge. Egal wie serviceorientiert wir arbeiten, diese Gegner werden immer darauf drängen, der AK Mittel zu entziehen. Denn in Wahrheit wollen sie die AK schwächen, weil sie die ArbeitnehmerInnen und ihre Rechte abräumen wollen. Genau diesen Aspekt gilt es aufzuzeigen.
    Deshalb haben AK und ÖGB die Mitgliederinitiative „Wie soll Arbeit?“ gestartet. Wir fragen die Beschäftigten, was sie zum Beispiel vom generellen Zwölfstundentag und der 60-Stunden-Woche halten. Schließlich ist dies eine zentrale Forderung, die die neoliberalen Kräfte durchsetzen wollen und zu der sich offenbar auch die neue Regierung bekennt. Auch die anderen Fragen, die wir stellen, sind brandaktuell – etwa jene, ob Lohn- und Sozialdumping stärker bekämpft und mehr für leistbares Wohnen getan werden soll.
    Wir wollen im Rahmen von „Wie soll Arbeit?“ aber auch wissen, wie zufrieden die ArbeitnehmerInnen mit unseren Leistungen sind und inwieweit sie hier Veränderungsbedarf sehen. In ihrem Programm hat die Regierung an die Kammern eine Art „Ultimatum“ gerichtet: Bis Ende Juni wird von uns ein Effizienz- und Einsparungskonzept verlangt. Wir fragen unsere Mitglieder, denn nur ihnen sind wir verpflichtet: Wollen sie eine Schwächung der AK? Oder sollen die Maries, die Alis, soll die Bevölkerung nicht doch auch zukünftig auf eine starke AK und den Sozialstaat, wie wir ihn kennen und schätzen, bauen?
    Mitmachen stärkt. Denn aus den Ergebnissen von „Wie soll Arbeit?“ formulieren AK und ÖGB bis Ende Juni ein Aktionsprogramm.

    Mehr unter: www.wie-soll-arbeit.at

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    Rudi Kaske, Präsident der AK Wien und der Bundesarbeitskammer Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402468 Rudi Kaske, Präsident der AK Wien und der Bundesarbeitskammer http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402423 Frauen, Männer, Arbeitszeiten
  • Wer leistet Überstunden?
  • Wer würde gerne weniger arbeiten?
  • Anteil unbezahlter Überstunden
  • Wer würde gerne mehr arbeiten?
  • Geleistete Überstunden pro Woche
  • Unterbeschäftigung
  • Normalarbeitsverhältnis
  • Teilzeit, Gründe für Teilzeit
  • Erwerbstätigkeitsquoten 20- bis 25-Jährige
  • Erwerbstätigkeitsquoten Frauen mit Kindern unter 15 Jahre
  • Erwerbstätigkeitsquoten Paar mit Kindern unter 3 Jahre
  • Erwerbstätigkeitsquoten Paar mit Kindern von 6 bis 15 Jahre
  • Quellen: Statistik Austria

    Die Statistiken dazu finden Sie anbei zum Downloaden! 

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    Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402406 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402364 Historie: Hoheitsrechte für BürgerInnen Dem modernen Staat sind Hoheitsrechte vorbehalten, damit das Zusammenleben funktioniert, etwa das Strafrecht oder das Festlegen von Verkehrsregeln. Mit der Einführung von Selbstverwaltung überträgt der Staat einige seiner Hoheitsrechte an Gruppen von BürgerInnen. Sie erhalten dadurch die Möglichkeit, Fragen, die sie gemeinsam betreffen, selbst zu regeln und für ihre gemeinsamen Interessen selbst einzutreten. In Demokratien erweitert die Selbstverwaltung die Mitsprache der Bevölkerung über Parlamentswahlen hinaus, ihre Wurzeln reichen aber bis in vor- und frühdemokratische Zeiten zurück. Das gilt für beide Formen der Selbstverwaltung, die die österreichische Verfassung seit 2008 vorsieht: die als „territoriale Selbstverwaltung“ bezeichnete Gemeindeautonomie und die „nicht-territoriale Selbstverwaltung“ sowie die Interessenvertretung durch Kammern und in der Sozialversicherung.

    Die Gemeindeautonomie forderten in Österreich schon die aufständischen Tiroler Bauern und Bergarbeiter im 16. Jahrhundert, verwirklicht wurde sie erst durch die demokratische Republik nach 1918. Damals erhielt auch die auf die liberalen Wirtschaftsreformen Napoleons zurückgehende Selbstverwaltung in Form von Kammern ihre volle demokratische Ausprägung. Durch die ab 1802 eingerichteten französischen Handelskammern sicherte sich das zur entscheidenden Wirtschaftskraft aufgestiegene Bürgertum interessenpolitische Mitsprache. Die „chambres de commerce“ hatten das Recht, direkt mit dem zuständigen Ministerium zu verhandeln und die Interessen des Unternehmertums in die Wirtschaftsgesetzgebung und Wirtschaftspolitik einzubringen. In den Ländern des Kaisers von Österreich waren solch liberale Wirtschaftsreformen kurz nach 1800 noch nicht durchzusetzen, das schaffte erst die Revolution von 1848. Das Revolutionsparlament, der Reichstag, beschloss am 3. Oktober 1848 das Gesetz zur Errichtung von Handels- und Gewerbekammern und die folgende Kaiserdiktatur behielt sie bei, weil sie die Unterstützung der bürgerlichen Unternehmerschaft benötigte. Die gleichberechtigte Selbstverwaltung der Interessen der ArbeitnehmerInnen konnte dann in der demokratischen Republik mit dem Gesetz zur Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte vom Februar 1920 erreicht werden. Landwirtschaftskammern und berufsständische Kammern wie die Ärztekammer oder Rechtsanwaltskammer ermöglichen auch für diese Bereiche das Recht auf Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch die Beiträge leistenden ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen besteht in Österreich seit den 1880er-Jahren, als die Versicherungspflicht für ArbeiterInnen eingeführt wurde.

    Selbstverwaltung setzt voraus, dass niemand, der/die zu einer Interessengruppe gehört, von ihr ausgeschlossen ist und alle das Wahlrecht für die Vertretungsorgane besitzen. Deshalb sind Selbstverwaltung und freiwillige Mitgliedschaft unvereinbar. Die Selbstverwaltungsorgane müssen demokratisch bestellt werden, nur so ist die in den Gesetzen verankerte politische Unabhängigkeit von der Regierung garantiert.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1523498402352 Mit den Arbeiterkammern, so der Gewerkschafter Anton Hueber in den 1920er-Jahren, sei die Arbeiterschaft erst zur uneingeschränkten gesellschaftlichen und menschlichen Gleichberechtigung aufgerückt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 13 Apr 2018 00:00:00 +0200 1523498402344 Standpunkt: Teufelskreise anstelle von Konzepten Kürzlich telefonierte ich mit einer Verwandten, die in Osttirol lebt und gerade schwanger ist. „Eigentlich ist das Fenster ziemlich klein, wo man als Frau für den Arbeitsmarkt interessant ist“, sinnierte sie. „Bis 30 oder sogar noch länger ist man es nicht, weil man ja schwanger werden könnte. Hat man Kinder und steigt wieder in den Beruf ein, ist man es nicht, weil man nicht oder nur wenig gearbeitet hat. Ab 40 wird man schon langsam zu teuer und ab 50 ist man dann schon wieder zu alt.“
    Doch damit nicht genug, denn sie macht sich nun logischerweise Gedanken darüber, wie es wohl mit Kind und Job weitergehen könnte. An sich wäre sie gerne lange beim Kind. Danach gar nicht mehr arbeiten zu gehen, kann sie sich aber auch nicht vorstellen. Daraus ergibt sich die nächste Herausforderung: Wie die Kinderbetreuung organisieren? Kinderkrippe gibt es im Ort keine, immerhin ist die Stadt nicht weit. Nichtsdestotrotz bedeutet es mehr Zeitaufwand – und ob die Öffnungszeiten passen, ist eine weitere offene Frage. Für sie ist schon jetzt klar, dass sich nur ein Teilzeitjob ausgeht.

    Die Frauen sollen’s richten
    „Ich kann verstehen, dass Frauen dann aus dem Arbeitsmarkt rausgehen, denn Kinderbetreuung kostet immerhin auch genug“, meinte sie und sprach eine weitere Hürde an: Den Gratis-Kindergarten gibt’s erst ab dem dritten Geburtstag des Kindes. Somit geht das verdiente Geld zu einem Gutteil in Kinderbetreuung und der Gedanke liegt nahe: Wozu arbeiten gehen, wenn ich nur so wenig mehr verdiene, aber so viel mehr Stress habe? Denn auch vor dem beschaulichen Osttirol hat der Wandel der Arbeitswelt und vor allem der gestiegene Druck nicht Halt gemacht.
    Auf all diese berechtigten Sorgen hat die Regierung herzlich wenig oder sehr unbefriedigende Antworten. Vom Familienbonus, der als Allheilmittel vermarktet wird, haben GeringverdienerInnen nur wenig bis gar nichts. Ein klares Bekenntnis zum weiteren Ausbau der Kinderbetreuungsplätze fehlt. Somit wird die Verantwortung wieder ins Private verschoben – in die hochgepriesene Familie. Doch so wichtig und gut Familie sein kann, angesprochen sind in erster Linie die Frauen, die nun wieder stärker unter Druck stehen, das Manko auszugleichen und unbezahlt zu Hause zu arbeiten.
    Ebenso eigenwillig wie die Familie wird auch das Thema Integration ausgelegt. Hier ist es nicht das andere Geschlecht, das zuständig ist, sondern es sind „die anderen“, also die Zugewanderten oder Geflüchteten. Dass Integration nur dann funktionieren kann, wenn sich alle in Österreich lebenden Menschen dafür engagieren, diese Grundregel hat im Weltbild der Regierung keinen Platz. Ganz im Gegenteil: Ob in der Arbeitsmarktpolitik, in der Bildung oder bei anderen Integrationsprojekten, überall wird der Rotstift angesetzt. So werden wieder Hürden aufgebaut, statt Integration zu erleichtern und zu fördern. Denn da kann der Wille der Zugewanderten noch so groß sein, arbeiten zu gehen: Es hilft alles nichts, wenn Arbeitgeber ihnen aufgrund von Vorurteilen, wie sie nun von der Regierung munter weiter geschürt werden, keinen Job geben oder ihnen manche KollegInnen das Leben im Betrieb schwer machen.

    Größte Gefahr durch Ungleichheit
    Spalten und ausgrenzen statt Politik für die Menschen – das ist das Rezept der Regierung, welches sie geschickt hinter verschwurbelten Marketing-Aussagen zu verbergen weiß. Verdeckt wird damit auch ein noch viel problematischerer Aspekt: Die Regierung betreibt Politik zugunsten der Reicheren und Reichen. Dabei gefährdet wohl kaum etwas den Zusammenhalt in der Gesellschaft mehr als die steigende Ungleichheit. Aber es passt zur neoliberalen Ausrichtung, die nichts anderes sagt als: Das Individuum kann alles schaffen. Doch wenn das Individuum schlechte Startchancen oder schlichtweg keine Wahlfreiheit hat, kann es noch so wollen, es wird scheitern. Und genau daraus wird die Regierung dann wieder Kapital schlagen – zumindest wenn man sie lässt.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 3/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478023574 Von wegen Missbrauch! Schon seit Jahren wird versucht, kranke MitarbeiterInnen eines Missbrauchs zu bezichtigen, der sich nach genauerer Recherche als unrichtig erweist. Dabei zeigt die Entwicklung der krankheitsbedingten Fehlzeiten in Österreich einen rückläufigen Trend. Der alleinige Fokus auf die Krankenstandsstatistik ist aber mitunter trügerisch, weil er ein anderes Phänomen ausblendet: Viele Beschäftigte gehen krank zur Arbeit, auch Präsentismus genannt.

    Kontinuierlicher Rückgang
    Die ÖsterreicherInnen waren im Jahr 2016 etwas weniger im Krankenstand als im Jahr davor. Auch im langfristigen Vergleich sinken die Krankenstände in Österreich kontinuierlich. Diese Entwicklung ist in allen westeuropäischen Dienstleistungs- und Industrienationen beobachtbar. Im Durchschnitt bewegen sich die Arbeitsunfähigkeitstage der unselbstständig Beschäftigten schon seit Jahren auf konstant niedrigem Niveau. Im Jahr 2016 (aktuellste Daten) waren die unselbstständig Beschäftigten durchschnittlich 12,5 Kalendertage im Krankenstand. Umgerechnet und bereinigt um Wochenenden und Feiertage entspricht das 8,9 Arbeitstagen.
    Ihren Höhepunkt hatten die krankheitsbedingten Fehlzeiten 1980, als pro unselbstständig Beschäftigtem/Beschäftigter 17,4 Krankenstandstage anfielen. In den 1990er-Jahren und den 2000er-Jahren waren die Beschäftigten 14,5 und 13 Tage im Krankenstand. Das kontinuierliche Sinken der Krankenstandszahlen im Zeitverlauf lässt sich nicht nur an einem Umstand erklären, sondern hat laut WIFO-Fehlzeitenreport 2017 vielfache Ursachen. Demnach wirkten sich die Reduktion der Arbeitsunfälle und die Verschiebung der Wirtschaftsstruktur in Richtung Dienstleistungen auf die Entwicklung der Fehlzeiten aus. Auch andere langfristige Entwicklungen wie die Erhöhung der Teilzeitbeschäftigung und die Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen dürften die Krankenstandsquote gedämpft haben.
    Die Entwicklung der Krankenstände ist ein wichtiger gesundheitspolitischer Indikator. Allerdings spiegelt dieser nicht automatisch das gesundheitliche Wohlbefinden der Beschäftigten wider. So können sich etwa die zunehmende Bereitschaft, krank arbeiten zu gehen, und frühzeitige Austritte aus dem Erwerbsleben von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen vorteilhaft auf die Krankenstandsstatistik auswirken. Fraglich ist allerdings, ob dies eine positive Entwicklung ist. Der Fokus sollte auf die Präsentismus-Häufigkeit gelenkt werden. 34 Prozent der Beschäftigten in Österreich gehen krank zur Arbeit – meist aus Pflichtgefühl gegenüber dem Team (58 Prozent), weil es keine Vertretung gibt (35 Prozent) oder aus Angst vor Konsequenzen (18 Prozent) wie Kündigung, wenn sie nicht zur Arbeit kommen, so das Ergebnis des Arbeitsgesundheitsmonitors aus dem Jahr 2016.
    Das Konstruieren von Krankenstandsmissbrauchsdebatten und die Kriminalisierung kranker ArbeitnehmerInnen ist nicht zielführend. Wichtiger wäre es, krank machende Faktoren wie Termin- und Zeitdruck, mangelnde Unterstützung der MitarbeiterInnen oder unzureichendes Führungsverhalten zu analysieren.

    Maßnahmen entwickeln
    Daraus ließen sich im Rahmen der Evaluierung psychischer Belastungen gezielt Maßnahmen entwickeln, die dann schrittweise in den Betrieben implementiert werden können. In Betrieben mit hohen Krankenständen herrschen meist schlechte Arbeitsbedingungen vor. Kranke MitarbeiterInnen sollten sich in Ruhe im Krankenstand auskurieren können und nicht um ihren Job bangen müssen.
    Krank werden ist eine große Belastung. Noch schlimmer ist es, wenn während der Krankheit auch noch das Kündigungsschreiben nach Hause geschickt wird. Gehört man nicht zu einem besonders geschützten Personenkreis – Schwangere, Lehrlinge, begünstigte Behinderte –, kann man jederzeit auch im Krankenstand gekündigt werden. Können sich Betriebe einfach aus der Verantwortung stehlen und kündigen, ist der Anreiz gering, eine Präventionskultur zu etablieren. Hierfür braucht es einen Kündigungsschutz im Krankenstand.

    Langfassung:
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    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor haider.r@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Reinhard Haider, Abteilung Arbeitsbedingungen der AKOÖ Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023597 Krankenstandstage und -quoten in Österreich seit 1970 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478023544 Dumping betrifft alle Im Februar hat die Wirtschaftskammer Alarm geschlagen. Immer öfter seien in Österreich Fälle von „Arbeitsboykott“ zu beobachten. Als Beispiel wurde die Firma technosert electronic GmbH aus Wartberg angeführt. Hier wurden zehn KollegInnen entlassen. Die Begründung: Sie hätten „aus Protest“ kollektiv einen Krankenstand vorgetäuscht. Dabei scheint bei der Firma einiges im Argen zu liegen. Am 14. Februar veröffentlichte die Lokalzeitung „Tips“ eine lange Liste von Vorwürfen: MitarbeiterInnen seien zu „freiwilliger“ Samstagsarbeit genötigt worden, nach zehn Stunden habe man ausstempeln, aber dennoch weiterarbeiten müssen, Dokumente seien gefälscht worden, um eine gesetzmäßige Ankündigung angeordneter Überstunden vorzutäuschen, junge Mütter seien ohne Rücksicht auf Kinderbetreuungspflichten zum Antritt der Frühschicht verdonnert worden.
    Man kann diese Vorgänge, sollten sie richtig sein, getrost als Sozialdumping bezeichnen. Doch darüber verliert die Wirtschaftskammer kein Wort. Stattdessen beschwert sie sich gebetsmühlenartig über eine angebliche Regulierungswut und einen Generalverdacht, dem österreichische Unternehmen ausgesetzt seien.

    Erhörte Signale
    Die schwarz-blaue Bundesregierung hat die Klagen der Wirtschaftskammer erhört. Ihr Regierungsprogramm enthält eine Reihe von Vorhaben, mit welchen der gewerkschaftliche Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping drastisch erschwert wird. Vorgänge, wie sie bei technosert scheinbar an der Tagesordnung standen, sollen zukünftig hinter einem schweren Vorhang verhüllt werden. Auch im öffentlichen Dienst wird man das merken, denn die hier geplanten Einsparungen werden zu einer Ausweitung von ohnehin schon virulenten Befristungen sowie Ketten- und Zeitarbeitsverträgen führen. Es sind die in Österreich arbeitenden Menschen, die darunter leiden werden.
    Ein Angriffsziel ist das etwas sperrig klingende „Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz“. Dieses recht neue Gesetz soll die Unterbezahlung von Lohnabhängigen in Österreich bekämpfen. Egal ob man für eine ausländische Firma in Österreich tätig ist, ob es einen Betriebsrat gibt oder nicht: Dieses Gesetz erlegt Unternehmen Strafen auf, wenn sie den für eine Branche geltenden Kollektivvertrag nicht einhalten. Das ist allein schon deshalb wichtig, weil rund 96 Prozent aller Löhne in Österreich über Kollektivverträge geregelt sind.
    Das Lohndumpinggesetz ist alles andere als perfekt und kein Allheilmittel. Zwar hat es seit 2011 zu rund 1.200 Entscheidungen wegen Unterbezahlung geführt. Doch die betroffenen Unternehmen können sich eine Bestrafung durchaus leisten. Nicht nur das: Sie machen sogar Profit damit. Das meint zumindest AK-Arbeitsrechtsexperte Walter Gagawczuk. Er sagt: „Die Strafen sind viel zu niedrig und tun den Unternehmen nicht weh.“
    Im Falle einer Überführung muss ein Unternehmen eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 bis 10.000 Euro pro unterbezahltem/r MitarbeiterIn zahlen. Ab drei unterbezahlten MitarbeiterInnen steigt diese Strafe auf 2.000 bis 20.000 Euro pro unterbezahlter Person. Dieses Vorgehen nennt sich „Kumulationsprinzip“. Da können je nach Schwere des Vergehens schon Zehntausende Euro zusammenkommen. Aber: „Die Lohndumping betreibenden Unternehmen sparen sich ja nicht nur Teile der Löhne, sondern auch Überstundenzuschläge und andere Zulagen. Das wird im Strafmaß nicht berücksichtigt. Meistens werden 40 Prozent der zustehenden Löhne nicht bezahlt“, so Gagawczuk. 
    Für die Durchsetzung des Lohndumpinggesetzes sind Behörden wie zum Beispiel die Finanzpolizei zuständig. Das sei eigentlich positiv, meint Gagawczuk: „KollegInnen haben ja meistens keine Handhabe, um ihre Rechte auf eigene Faust zivilrechtlich durchzusetzen.“ Doch auch hier liegt der Teufel im Detail, denn die Behörden sind chronisch unterbesetzt. „Derzeit werden von der Finanzpolizei 500 Personen gegen Lohndumping eingesetzt. Wir fordern eine Aufstockung auf 1.000“, so der AK-Experte.

    Gegenteil geplant
    Die Regierung plant aber das Gegenteil: Das Kumulationsprinzip soll abgeschafft werden. Unternehmen hätten dann noch geringere Strafen als jetzt schon zu befürchten. Außerdem sollen zusätzliche Aufgaben auf die Finanzpolizei abgewälzt werden. Dazu zählt die Kontrolle, ob Unternehmen ihre Beschäftigten ordentlich und für die korrekte Arbeitszeit bei der Sozialversicherung anmelden. Dabei kommt die Finanzpolizei schon jetzt kaum noch hinterher. PRO-GE-Arbeitsrechtlerin Susanne Haslinger kennt Fälle, in denen die Überprüfung eines Unternehmens durch die Finanzpolizei erst fünf Jahre nach Einreichung der Anzeige erfolgt ist. Der neuen Regierung wirft sie eine „Förderung von Lohndumping“ vor.

    Abzüge für jeden Blödsinn
    Haslinger hat nicht nur geplante Gesetzesänderungen oder den wachsenden Einsparungsdruck der Regierung auf die Arbeiterkammer vor Augen. Ihr geht es auch um Projekte zur Organisation von durch Lohndumping bedrohten Beschäftigtengruppen, die von staatlichen Geldern mitfinanziert werden. Ein Beispiel sind die ErntehelferInnen. Hier ist die Liste der alltäglichen Missstände lang. „99 Prozent der Leute kommen aus dem Ausland“, sagt Haslinger. „Es gibt Unterbezahlung, extrem lange Arbeitszeiten und Abzüge für jeden Blödsinn. So mussten die KollegInnen bei einem Tiroler Bauern sogar für Gummiringe zahlen, die sie für die Arbeit brauchten. Auch Schutzkleidung müssen die Beschäftigten oft selber zahlen.“
    Dabei gibt es auch für ErntehelferInnen einen Kollektivvertrag. Der ist mit einem Stundenlohn von zum Beispiel 7,38 Euro im Burgenland ohnehin schon extrem niedrig. Ohne Kontrolle wird er noch dazu oft unterschritten. Von der Einhaltung vorgeschriebener Arbeitspausen und anderer Dinge ganz zu schweigen. „Deshalb hat die PRO-GE zusammen mit anderen Gruppen eine Kampagne gegründet“, sagt Haslinger. „Wir gehen auf die Erntefelder, klären die KollegInnen über ihre Rechte auf und unterstützen sie bei der gewerkschaftlichen Selbstorganisation.“ Das kostet Geld, welches nicht nur aus Gewerkschaftskassen kommt. „Rechtshilfeorganisationen für Beschäftigte aus Drittstaaten wurden bislang oft staatlich gefördert. Diese Mittel möchte die neue Regierung einsparen. In den kommenden Jahren laufen viele Förderungen aus. Für die betroffenen KollegInnen ist das eine Katastrophe.“
    Dabei sollte man sich keine Illusionen darüber machen, dass Lohndumping „nur“ ein grenzüberschreitendes Phänomen ist. Das bestätigt eine Eurofound-Studie aus dem Jahr 2016, die sich mit „betrügerischer Vergabe von Arbeit in der Europäischen Union“ auseinandergesetzt hat. Mit dieser Formulierung ist die falsche Bezeichnung eines Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses als „Leiharbeit“, „Selbstständigkeit“ oder auch „Praktikum“ zum Zweck der illegalen Lohnkürzung gemeint. Die Studie ortet eine besondere Dichte solcher Praktiken in der Baubranche, der Medien-, Kunst- und Unterhaltungsbranche sowie im Tourismus- und Gastronomiebereich. Die AutorInnen schreiben: „Entgegen der landläufigen Meinung scheint die betrügerische Arbeitsvergabe keine grenzüberschreitenden Beschäftigungsverhältnisse zu umfassen. Die weite Verbreitung des inländischen Betrugs bestätigt, dass es sich beim Missbrauch von Beschäftigungsverhältnissen um eine nationale Angelegenheit handelt.“ Es schließt sich der Kreis nach Wartberg zur Firma technosert.

    Lippenbekenntnisse?
    BetriebsrätInnen komme eine große Verantwortung bei der Bekämpfung solcher Missstände zu, meint Susanne Haslinger. „Da gibt es auch tolle Beispiele. Zum Beispiel kümmert sich der Betriebsrat bei MAN in Steyr sehr gut um die dort eingestellten Zeitarbeitskräfte.“ Doch es brauche auch mehr Kreativität vonseiten der Gewerkschaften: „Wir müssen uns auch Organisationsmodelle jenseits der reinen Betriebsratsarbeit überlegen und Selbstorganisation fördern. Bei den ErntehelferInnen versuchen wir das bereits.“ Eines sei dabei besonders wichtig: „Das Lohndumping wird nie von den KollegInnen betrieben, ganz egal, welche Herkunft sie haben. Die Lohndumper: Das sind die Unternehmen.“

    Weiterführende Links:
    www.sezonieri.at
    www.undok.at
    www.watchlist-praktikum.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023644 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478023535 Es geht um die Zukunft! Der Einstieg ins Berufsleben stellt im Leben vieler Jugendlicher einen bedeutenden Wendepunkt dar. Mit dem ersten Job kommt nicht nur das erste eigene Geld, sondern auf einmal auch mehr Unabhängigkeit und Verantwortung. Viele Veränderungen und Herausforderungen, denen sich jedoch eine große Anzahl junger Menschen gar nicht stellen kann. Die Wirtschaftskrise hat ihre Narben hinterlassen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in vielen europäischen Ländern, wie etwa Griechenland (43,7 Prozent) und Spanien (36 Prozent), nach wie vor eines der größten Probleme. Jugendarbeitslosigkeit ist aber nicht nur ein Problem der Gegenwart, sondern hat auch weitreichende negative Auswirkungen auf die zukünftigen Lebens- und Arbeitschancen von jungen Menschen.

    Erst Ausbildung, dann Job
    Von erschreckend hoher Jugendarbeitslosigkeit wie in Griechenland oder Spanien ist Österreich meilenweit entfernt. Laut EUROSTAT betrug in Österreich die Jugendarbeitslosenrate im Dezember 2017 9,5 Prozent gegenüber 10,4 Prozent im Dezember 2016. Diese Zahl spiegelt aber nur einen Teil der Wirklichkeit wider. Viele Jugendliche haben auch hierzulande Schwierigkeiten, eine Beschäftigung zu finden. „Nur die Hälfte aller Arbeitsuchenden hat einen Pflichtschulabschluss. Jedes Jahr verlassen viele Jugendliche die Pflichtschule und machen dann keine weiterführende Ausbildung. „Die Gefahr, arbeitslos zu werden, verringert sich um 18 Prozent, wenn man eine weiterführende Ausbildung absolviert hat“, sagt Sascha Ernszt, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). Daher hat die ÖGJ die Einführung der Ausbildungspflicht begrüßt – ganz konsequent als Erweiterung der Ausbildungsgarantie. „Jugendliche Hilfsarbeit muss vermieden werden. Hier wird versucht, auch den letzten Jugendlichen von der Straße zu holen und erst dann in den Arbeitsmarkt zu schicken, wenn er eine Ausbildung gemacht hat.“
    Wie es nun mit dieser Maßnahme weitergehen soll, ist fraglich. Die neue Regierung will sie evaluieren. Außerdem wurde Ende Februar bekannt, dass die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik des Arbeitsmarktservice (AMS) um 600 Millionen gekürzt werden sollen. Das bedeutet wohl auch, dass die Ausbildung der so dringend benötigten Fachkräfte in Gefahr ist, sowohl in AMS-Schulungszentren als auch in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten. Anders ausgedrückt gefährdet die Kürzungspolitik das gesamte Jugendauffangnetz, das nur in einem Zusammenspiel von (aufsuchender) Jugend- und Sozialarbeit, niederschwelligen Angeboten, überbetrieblichen sowie betrieblichen Lehrplätzen funktioniert.

    Abkehr von Erfolgsmodellen
    Angesichts der positiven Entwicklung der vergangenen Monate – die Konjunktur springt an, die Beschäftigung steigt und die Arbeitslosigkeit sinkt – wäre es für die Regierung eigentlich ein guter Zeitpunkt, vorhandene Mittel in der Arbeitsmarktpolitik vor allem auch für benachteiligte Jugendliche zu verwenden. Doch stattdessen soll zusammengestrichen werden. Schaut man sich das Regierungsprogramm im Detail an, so ist von Jugendarbeitslosigkeit keine Rede. Hingegen kommt sehr oft das Wort „Fachkräfte“ vor. Einige der zentralen Jugendmaßnahmen zur Sicherung des Fachkräftebedarfs aus dem Regierungsprogramm lauten:

    1. Beihilfenbezug während der Überbetrieblichen Lehrausbildung (ÜBA) so ausgestalten, dass ein klarer Anreiz zur Aufnahme einer betrieblichen Lehre besteht;
    2. Verkürzung des Verbleibs in den Einrichtungen durch verstärktes Vermitteln auf betriebliche Lehrstellen und finanzielle Unterstützung des Betriebs;
    3. Verträge mit ÜBA sind so auszugestalten, dass ein klarer Fokus auf die möglichst rasche Vermittlung in Betriebe besteht;
    4. Produktionsschulen evaluieren;
    5. Ausbildungspflicht bis 18 und Ausbildungsgarantie bis 25 evaluieren;
    6. Ausbau der Förderung der betrieblichen Lehrausbildung durch das AMS, gleichzeitig Reduktion der ÜBA auf das zwingend Notwendige;
    7. Weiterentwicklung und Sicherstellung der Finanzierung betrieblicher Lehrstellenförderung aus den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik. Die Finanzierung soll aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds herausgenommen und beim AMS zusammengeführt werden;
    8. Prüfung eines Blum-Bonus Neu;
    9. Ausbildung stärker am Bedarf der Wirtschaft orientieren.

    Geplant ist also eine Umverteilung – im kurzfristigen Interesse der Betriebe und nicht der Jugendlichen. Die Regierung plant eine Abkehr von den Erfolgsmodellen ÜBA und Produktionsschulen hin zur betrieblichen Lehrausbildung (siehe Punkte 1 bis 5). Die ÜBA, die erst aufgrund des Lehrstellenmangels notwendig wurde, abzuschaffen, ohne entsprechende Lehrplätze in Betrieben garantieren zu können, ist aus Sicht der Gewerkschaftsjugend absurd. „Die Wirtschaft beklagt jetzt schon einen Fachkräftemangel, der auf jahrelanges Nicht-Ausbilden zurückgeht. Es wäre jetzt an der Zeit, in die Qualifikation von Menschen zu investieren und nicht auch noch die Plätze für die ÜBA zu streichen. Dadurch wird sich der Fachkräftemangel verschlimmern“, betont Ernszt.
    Für Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, muss gute Arbeitsmarktpolitik vorausschauend sein: „Statt schneller Vermittlung in schlechte Jobs müssen aktive Arbeitsmarktpolitik, Fachkräfteausbildung und Höherqualifizierung im Mittelpunkt stehen, also Investieren in Qualifizierung.“

    ÖGJ-Modell für einen Ausbildungsfonds
    Die Überbetriebliche Lehrausbildung wäre laut Ernszt erst dann nicht mehr notwendig, wenn die Unternehmen ihrer moralischen Ausbildungspflicht nachkämen. Die Zahl der Ausbildungsbetriebe ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, in neun Jahren (2007 bis 2016) von 38.132 auf 28.204. Auch eine Ausweitung der betrieblichen Lehrstellenförderung (Blum-Bonus Neu) würde vor allem zu höheren Gewinnen in den Betrieben führen und kaum neue Lehrstellen schaffen. Das Vorhaben, die betriebliche Lehrstellenförderung nicht mehr aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF), sondern aus AMS-Mitteln zu finanzieren, ist ebenfalls eine Umverteilung zugunsten der Betriebe und zulasten der ArbeitnehmerInnen. Derzeit zahlen Unternehmen rund 150 Millionen Euro in den IEF ein. Eine Finanzierung durch AMS-Mittel bedeutet, dass Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen zu gleichen Teilen die betriebliche Lehrstellenförderung zahlen.
    Damit generell wieder mehr Betriebe in Österreich ausbilden, hat die ÖGJ das Modell der Fachkräftemilliarde entwickelt. Die Gewerkschaftsjugend fordert einen Ausbildungsfonds (Fachkräftemilliarde), in den Unternehmen einzahlen, die nicht ausbilden, obwohl sie könnten, und aus dem Betriebe, die qualitativ hochwertig ausbilden, Förderungen erhalten. Der Fonds soll durch ein Prozent der Jahresbruttosumme durch die Unternehmen finanziert werden. Außerdem könnten aus der Fachkräftemilliarde auch die Plätze in der ÜBA finanziert werden.

    Ein Sicherheitsnetz
    Die ÜBA, die das Herzstück der europaweit nachgeahmten Ausbildungsgarantie ist, richtet sich an Lehrstellensuchende, die keine Lehrstelle in einem Betrieb finden können. Hier werden sie entweder auf eine betriebliche Lehrstelle vorbereitet oder schließen eine Berufsausbildung ab. Dieses Angebot der Berufsausbildung erhöht im Besonderen die Chancen für benachteiligte Jugendliche. Im Jahr 2016 wurden rund 10.000 junge Menschen in einer ÜBA ausgebildet. Die Verweildauer in der ÜBA zu kürzen und die finanziellen Mittel umzuschichten gefährdet die Ausbildung genau dieser Jugendlichen.
    „Jeder Euro, der bei der Ausbildung von jungen Menschen zu Fachkräften gespart wird, ist Zukunftsraub“, betont ÖGJ-Vorsitzender Ernszt und fügt hinzu: „Eine solide Ausbildung ist der beste Garant gegen Arbeitslosigkeit. Das sollte auch der Regierung klar sein. Dass jungen Menschen diese Chance genommen werden soll, ist unverständlich.“ Ähnliches ist auch von Arbeiterkammerpräsident Rudi Kaske zu hören: „Wer bei der Ausbildung der Jugend kürzt, spart am falschen Fleck. Der riskiert die Zukunft dieser Menschen und den wirtschaftlichen Erfolg Österreichs.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen amela.muratovic@oegb.at und tamesberger.d@akooe.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Amela Muratovic, ÖGB Kommunikation</br>Dennis Tamesberger, Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik Arbeiterkammer OÖ Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023667 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478023529 Von Angebot und Nachfrage Jedes Jahr vor Beginn der Wintersaison wird der Ruf der Tourismusbetriebe nach qualifiziertem Fachpersonal laut – besonders jener aus den Betrieben im Westen Österreichs. Schon seit Jahren beklagt vor allem diese Branche, nicht ausreichend Personal zu bekommen, was ihrer Meinung nach ganz leicht erklärt ist: Die Arbeitslosen (vor allem die im Osten Österreichs) sind zu unflexibel, um auch in einem anderen Bundesland einen Job anzunehmen. Neuerdings wird ihnen „Durchschummeln“ unterstellt.
    Darum fordern Vertreter der Wirtschaft, dass erstens die KöchInnen endlich auch auf die „Mangelberufsliste“ kommen und diese zweitens „regionalisiert“ wird. Denn dann könnten Stellen als Koch oder Köchin, beispielsweise in Tirol oder Vorarlberg, plötzlich die Voraussetzungen erfüllen, um als Mangelberuf anerkannt zu werden. Dies wiederum würde es den Arbeitgebern ermöglichen, KöchInnen aus Drittstaaten zu engagieren.
    In der Fachkräfte-Verordnung aus dem Jahr 2012 ist definiert, was die Voraussetzungen für Fachkräfte aus Drittstaaten sind, um auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zugelassen zu werden. Eine davon ist die „Mangelberufsliste“, die es ermöglicht, mit der Rot-Weiß-Rot-Karte eine Beschäftigung in Österreich aufzunehmen. Und hier wird klar festgehalten, dass diese Fachkräfte ihre abgeschlossene Berufsausbildung im jeweiligen Mangelberuf nachweisen müssen.
    Josef Muchitsch, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, meinte dazu vor Kurzem in einem Interview: „Wir haben alleine in der Bauwirtschaft 60.000 arbeitsuchende Menschen in Österreich. In den handwerklichen Berufen sieht es ähnlich aus. Die Wirtschaft will einfach ältere Arbeitnehmer durch jüngere und billigere aus Drittstaaten ersetzen. Niemand kann mir erklären, dass es in den EU-Ländern keine Maurer, Zimmerer oder Fliesenleger gibt!“

    Fragwürdig
    Um dies zu illustrieren, lohnt ein Blick auf die Statistik. So wurde die Bevölkerung der Europäischen Union (EU) am 1. Jänner 2017 auf 511,8 Millionen Menschen geschätzt. Rund 235 Millionen von ihnen stellten 2016 das sogenannte Arbeitskräftepotenzial innerhalb der EU dar. Das bedeutet, sie waren entweder in Beschäftigung (rund 214 Millionen) oder sind arbeitsuchend (rund 21 Millionen). All diese 235 Millionen ArbeitnehmerInnen sind potenzielle zukünftige Beschäftigte in Österreich (natürlich theoretisch!), denn für sie gilt der Grundsatz der ArbeitnehmerInnen-Freizügigkeit für EU-BürgerInnen. Da sei schon die Frage erlaubt, wieso es Arbeitgebern nicht gelingt, auf einem so großen Arbeitsmarkt, wie es der europäische ist, Arbeitskräfte zu rekrutieren?

    Regionalisierung?
    Die Wirtschaft fordert nicht nur, dass KöchInnen auf die Mangelberufsliste gesetzt werden. Sie will auch eine Regionalisierung dieser Liste. Eine solche gibt es etwa in Deutschland. Es lohnt sich, einen Blick auf die Situation im Nachbarland zu werfen, denn das dortige System hat dem österreichischen einiges voraus. 
    Auch dort fordert die Wirtschaft seit vielen Jahren die Zulassung von Drittstaatsangehörigen für den deutschen Arbeitsmarkt. Auch in Deutschland gibt es so etwas wie die Mangelberufsliste, sie wird dort Positivliste genannt. Zur Ermittlung des Mangels dient in Deutschland die sogenannte Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit. Die Engpassanalyse basiert auf Statistikdaten wie den gemeldeten Stellen und registrierten Arbeitslosen. Für das Bundesgebiet hält die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Bericht vom Dezember 2017 fest: „Es zeigt sich kein flächendeckender Fachkräftemangel in Deutschland.“
    Bei der österreichischen Mangelberufsliste hingegen wird für jeden Beruf der Stellenandrang berücksichtigt. Wenn einer offenen Stelle weniger als 1,5 Arbeitsuchende gegenüberstehen, wird von einem Mangel gesprochen. Eine Herausforderung sind die Arbeitsvermittler, denn meldet ein Betrieb fünf solcher Agenturen einen freien Job, sind dies beim AMS gleich fünf offene Stellen – auch wenn sich tatsächlich nur einer dahinter verbirgt. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wurde ein zehnprozentiger Abschlag vereinbart, das heißt, zehn Prozent der offenen Stellen werden nicht in die Berechnung einbezogen, um Doppel- oder Mehrfachmeldungen durch Arbeitskräfteüberlasser auszugleichen. In Deutschland werden solche offenen Stellen überhaupt nicht in die Berechnung einbezogen.

    Die deutsche Engpassanalyse ist diffiziler und beinhaltet zusätzliche Parameter. Sie definiert ganz genau, wer als Fachkraft gilt (abgeschlossene Berufsausbildung) und unterscheidet weiters nach SpezialistInnen (MeisterInnen oder TechnikerInnen) und ExpertInnen (mindestens vierjährige Hochschulausbildung). Nicht berücksichtigt werden offene Stellen für Hilfskräfte. Neben der Definition eines bundesweiten Engpasses können auch regionale Engpässe definiert werden, in diesem Fall steht regional für ein Bundesland.
    In einem ersten Schritt wird dafür überprüft, ob im betroffenen Bundesland mindestens 15 Prozent der bundesweit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem jeweiligen Beruf beschäftigt sind. Erst dann wird überhaupt erst darüber nachgedacht, ob dieser Beruf zum Mangelberuf auf Bundesländerebene erklärt wird. So soll gewährleistet werden, dass erst das heimische Arbeitskräftepotenzial ausgeschöpft wird. Um dies anhand eines Beispiels zu illustrieren: Deutschland hat 16 Bundesländer. Bei bundesweit 500.000 ArbeitnehmerInnen im Handel bedeutet dies, dass in einem Bundesland in dieser Branche mindestens 75.000 ArbeitnehmerInnen beschäftigt sein müssen, damit der Handel überhaupt in der Berechnung berücksichtigt wird. Relevant ist auch, wie lange eine offene Stelle unbesetzt ist. Um als regionaler Mangelberuf zu gelten, muss diese mindestens zehn Tage länger unbesetzt bleiben als im Bundesdurchschnitt. Auch die Altersstruktur der Beschäftigten bzw. Erwerbstätigen wird beachtet.
    Nicht zuletzt wird die Situation am Arbeitsmarkt betrachtet, beispielsweise die Vergütungsstruktur. Ein Beispiel: FriseurInnen könnten (statistisch errechnet) als Mangelberuf gelten. Ein genauer Blick zeigt aber vielleicht, dass es genug vorhandene FriseurInnen gibt, diese aber – aufgrund der Arbeitsbedingungen und des Lohnniveaus – nicht bereit sind, ihre Arbeitskraft in diesem Beruf weiter zur Verfügung zu stellen. Dann landet dieser Beruf nicht in der Engpassanalyse, da mithilfe der qualitativen Kriterien andere Schlussfolgerungen gezogen wurden. In diesem Fall gibt es nicht zu wenige qualifizierte FriseurInnen, sondern die Arbeitsbedingungen sind einfach nicht lukrativ genug – und genau dort muss angesetzt werden!
    Aber zurück nach Österreich. Bei Durchsicht der Juli-Ausgabe 2017 von „Rolling Pin“, einem Gastromagazin, zeigt ein Vergleich der Jobangebote die Bandbreite der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung im Tourismus sehr gut auf. So wurden etwa in einem Hotel in der Salzburger Gemeinde Anif für die Funktion des „Chef de Rang“ 1.800 Euro brutto angeboten. In einem Hotel in Lech wiederum waren es 2.300 Euro, dazu kamen freie Kost und Logis sowie ein gratis Saisonskipass.

    Angebot und Nachfrage
    Solche Unterschiede bzw. die vielfach unattraktiven Bedingungen im Tourismus werden aber in Österreich bei der Mangelberufsliste nicht berücksichtigt. Nicht nur das: Sie spielen auch in der öffentlichen Diskussion eine sehr geringe Rolle. Bevor man aber den Arbeitsmarkt öffnet, müssen Arbeitsbedingungen drastisch verbessert werden. Dass dies geht, zeigen Initiativen des AMS, bei denen Betriebe im Tourismusbereich, die Rekrutierungsprobleme hatten, gezielt angesprochen wurden und ihnen empfohlen wurde, ihre Angebote zu verbessern – und diese daraufhin erfolgreich Personal rekrutieren konnten. Dies sollte den Vertretern der Wirtschaft einleuchten, immerhin geht es um ein zentrales wirtschaftliches Prinzip: Angebot und Nachfrage nämlich.
    Das allerbeste Rezept, um Fachkräftemangel vorzubeugen, ist aber: ausbilden, ausbilden, ausbilden! Auch hier ist die Wirtschaft sehr „zurückhaltend“, die Österreichische Gewerkschaftsjugend beklagt regelmäßig den Rückgang an Lehrstellenplätzen.

    Lesetipp: „Das Märchen vom Fachkräftemangel“, Jakob Osman
    tinyurl.com/ybuhryds

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sylvia.ledwinka@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sylvia Ledwinka, Abteilung Sozialpolitik/Arbeitsmarkt und Bildungspolitik des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023679 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478023517 Eine Frage des Geldes? Wahlfreiheit: Zumindest theoretisch schreibt die Regierung dieser in ihrem Programm eine „bedeutende Rolle“ zu. Betrachtet man die reale Politik in den Bundesländern, in denen die beiden Regierungsparteien schon länger in Koalition miteinander arbeiten, so sind deutliche Zweifel angebracht. So führte Oberösterreich wieder Gebühren für die Nachmittagsbetreuung ein und die Zumutbarkeitsbestimmungen für die Annahme von Teilzeitjobs wurden verschärft. Denn die beiden Koalitionäre sind sich einig: Die Menschen brauchen mehr Druck, um arbeiten zu gehen. Zugleich aber legen sie den Menschen große Stolpersteine in den Weg.

    Existenzbedrohend
    „Die Kindergartengebühren sind für mich und meine Familie existenzbedrohend. Diese Gebühr kostet mich nämlich keine 50 oder 100 Euro, sie kann mich meinen Job kosten“, schrieb Christiane Seufferlein in einem Brief an Landeshauptmann Thomas Stelzer. Gemeinsam mit tausend anderen protestierte die in den Medien als „Wutmami“ bezeichnete Julbacherin vor dem Linzer Landtag. Oberösterreich liegt bei der Kinderbetreuung der unter Dreijährigen, die mit einer Vollzeitarbeit vereinbar ist, österreichweit an letzter Stelle. Da könnte man sich wohl zu Recht fragen: Das Netz ist ohnehin nur schwach ausgebaut und jetzt soll ich auch noch dafür bezahlen? Dennoch: Wer die Leserbriefe studiert, merkt, dass es nicht wirklich ums Geld geht. Vielmehr ist es die politische Haltung, die Achtlosigkeit und die erlebte Abhängigkeit, die Eltern beschämt und empört.

    Alleingelassen
    Gerade im ländlichen Raum fühlen sich viele Frauen alleingelassen. Das ist nicht nur in Oberösterreich so, sondern auch in der Oststeiermark, im Waldviertel oder im südlichen Burgenland. Es gilt als ein Grund, warum gerade junge Frauen abwandern. Work-Life-Balance heißt das in der Theorie – in der Praxis ist es ein Jonglieren mit brennenden Bällen. „Von Unternehmensseite werden flexible Arbeitszeiten gefordert. Die stehen aber im krassen Gegensatz zu starren Öffnungszeiten der Kindergärten sowie monatelangen Schließzeiten in den Ferien“, kritisiert Erika Rippatha, Leiterin des Frauenbüros der AK Oberösterreich.
    Die Kinderbetreuung ist (immer noch hauptsächlich) für Frauen eine Herausforderung, wenn sie bereits Arbeit haben. Bei der Jobsuche wird sie erst recht zu einem großen Hindernis. Oftmals führt die mangelnde Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen sogar dazu, dass Frauen ihren Job verlieren. Besonders betroffen sind Frauen im Handel oder in der Schichtarbeit. Diese Situation kennt auch Claudia aus Niederösterreich. Über zehn Jahre arbeitete sie im Verkauf in einer größeren Bäckerei mit mehreren Standorten im Raum St. Pölten. Mit zweieinhalb Jahren kam ihr Sohn in den Kindergarten, Teilzeit war kein Problem, die Arbeitszeiten sehr wohl. Zunächst arbeitete sie am Nachmittag in einer Filiale – etwas außerhalb, aber gut erreichbar. Doch dann bestand die Unternehmensführung auf Frühdienste, Dienstbeginn spätestens um halb sieben. Das Problem: Der Kindergarten öffnete erst um sieben Uhr. Anfangs waren die Nachbarn behilflich, aber auf Dauer geht das nicht. Trotz mehrerer Gespräche erhielt Claudia nach dem Ende der gesetzlichen Behaltefrist die Kündigung. Jetzt ist sie schon längere Zeit auf Arbeitsuche.
    Jede fünfte arbeitslose Frau in Österreich ist Wiedereinsteigerin. In der Praxis fühlen sich arbeitslose Mütter zu Recht in einem Teufelskreis gefangen: Ohne Betreuungsplatz tut man sich schwer, Arbeit zu finden, wer aber keine Arbeit nachweisen kann, verliert – wenn Plätze knapp sind – die Betreuung. Das gilt nicht nur für Krabbelstube und Kindergarten, sondern auch für die heiß begehrten, aber raren Plätze an Ganztagsschulen.

    Vollzeit Mutter – Teilzeit bezahlt
    Es gibt sie: die Politikerinnen, Fernsehmoderatorinnen, Unternehmerinnen, die Kinder und Job scheinbar spielend leicht vereinbaren können. Allerdings schaffen sie dies auch nur durch lückenlose, intensive, persönliche und bezahlte Unterstützung. In einer WU-Forschungsarbeit sagt eine dazu befragte Führungskraft: „Das Betreuungsangebot ist in Österreich völlig fernab: Ohne Hort und Leihoma ginge nichts, sonst müsste ich um 16 Uhr aufhören zu arbeiten, das ist etwas für Hausfrauen und für Teilzeitkräfte.“
    Für Vanessa ist das Problem anders gelagert. Sie arbeitete als Kellnerin in Krems. Als ihre Tochter ein Jahr alt war, begann sie, am Wochenende wieder in ihrer alten Arbeitsstelle geringfügig zu arbeiten. Ihr Partner und ihre Mutter kümmerten sich gerne um das Kind. Nach der Karenzzeit wollte sie die Arbeitszeit reduzieren, aber ihre Chefin war „wenig begeistert“, stimmte jedoch der 30-Stunden-Woche zu. Arbeiten am Wochenende ist für Vanessa selbstverständlich. Sie braucht nun öfters die Tagesmutter, die zwar recht entgegenkommend und flexibel ist. Billig ist das aber nicht: Rechnet sie den Stundensatz der Tagesmutter und das Essensgeld ab, arbeitet sie für knapp vier Euro in der Stunde. Dafür läuft sie täglich bis zu 20 Kilometer hin und her, verbrennt sich an heißen Tellern und bleibt dabei immer freundlich.

    Zwang zur Teilzeit
    „Wahlfreiheit gibt es, wenn es ganztägige, ganzjährige und leistbare Angebote der Kinderbetreuung gibt. Ansonsten entspricht es eher einem Zwang zur Teilzeit“, hält Martina Maurer, frauenpolitische Fachreferentin beim AMS Österreich, fest. Jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit, für ganze 80 Prozent der Mütter mit Kindern im Vorschulalter ist dies Alltag. Österreich hat die zweithöchste Teilzeitrate in Europa. Viele Mütter mit Kleinkindern streben gar keine Vollzeitbeschäftigung an, um mehr Zeit mit dem Kind verbringen zu können. Die Teilzeit hat weitreichende Folgen. Jede Statistik zu Einkommen und Pensionshöhe zeigt, dass sie für Frauen eine Falle ist. Sie belässt Frauen in der ökonomischen Abhängigkeit zum „Haupternährer“.
    Die Hauptverantwortung für die Familienarbeit bleibt bei den Frauen und diesen droht Armut in der Pension. Studien zur Zeitverwendung und zu Arbeitsbelastungen zeigen, dass Teilzeit fast ebenso belastend ist wie Vollzeit – nur gibt es dafür weniger Geld. 19 Prozent aller KarenzgeldbezieherInnen sind Männer, allerdings bleiben sie dem Arbeitsmarkt viel kürzer fern. Frauen gehen durchschnittlich 607 Tage in Karenz, Männer nur 91 Tage.
    Dies ist nur einer von vielen Unterschieden, wie der Gleichstellungsindex des AMS zeigt. Männer verdienen nach der Karenzzeit im Schnitt um zwei Prozent mehr, Frauen hingegen im Schnitt um 20 Prozent weniger Geld. 93 Prozent der Männer arbeiten nach der Karenz wieder Vollzeit, bei den Frauen sind es nur 22 Prozent. Erneut setzt die Regierung bei den Menschen an, statt die Rahmenbedingungen zu verbessern: In Zukunft soll es für arbeitslose Frauen zumutbar sein, einen Job anzunehmen, wenn die Anfahrt zwei statt bisher nur eineinhalb Stunden dauert – eine weitere halbe Stunde, in der Frauen sich über die Betreuung ihrer Kinder Gedanken machen müssen.

    Uneingelöstes Versprechen
    Um dem Versprechen der Wahlfreiheit gerecht zu werden, müsste der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen weiter vorangetrieben werden. Um Chancengleichheit zu erreichen, schwebt AMS-Expertin Martina Maurer ein partnerschaftliches Modell vor: „Statt dem Eineinhalb-Verdiener-Modell kann ein Modell, bei dem beide Elternteile eine hohe Teilzeitstundenanzahl – zum Beispiel 32 Stunden – arbeiten, für die gesamte Familie positiv erlebbar sein. Wir sehen bei vielen Vätern, dass sie am Leben ihrer Kinder mehr teilhaben möchten. Das ist eine positive Entwicklung und sollte nicht mit der Karenzzeit enden.“

    Lippenbekenntnisse?
    Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen ist Aufgabe der Politik. Nach den ersten Ankündigungen der Regierung bleibt Skepsis angebracht, ob sie den eigenen Ansprüchen gerecht werden kann, die sie in ihrem Programm formuliert hat: „In den Familien werden auch für die Zukunft unseres Landes wertvolle, unbezahlbare Leistungen erbracht, die in der Gesellschaft finanziell und ideell Anerkennung finden sollen. Familien sind Leistungsträger unserer Gesellschaft und verdienen Gerechtigkeit.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Beatrix Beneder, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023707 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478023508 Es geht um die Würde von Menschen Stefan R. ist 51 Jahre alt. Als seine alte Firma durch den Zahlungsausfall eines großen Kunden Insolvenz anmelden musste, verlor auch er im Juni 2016 seinen Arbeitsplatz als Lagerleiter. Seit diesem Zeitpunkt war er auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. Auf seine mehr als sechzig Bewerbungen erhielt er nicht einmal bei der Hälfte eine Antwort. Vorstellungstermine bekam er überhaupt nur drei.

    Knapp die Hälfte
    Statt 2.000 Euro netto zu verdienen, musste er auf einmal mit knapp der Hälfte davon auskommen und sein Leben drastisch umstellen. „Ohne Unterstützung von Familie und Freunden wäre ich nicht über die Runden gekommen. Als Erstes hat mir meine Bank gleich den Überziehungsrahmen gekürzt“, erinnert er sich an die ersten Monate zurück.
    Neben der angespannten finanziellen Situation kamen sehr rasch auch Probleme der sozialen Dimension hinzu. „Wenn du dir nichts leisten kannst, zu Hause Bewerbungen ins Leere schreibst und immer das Gefühl vermittelt bekommst, du bist zu alt und zu teuer, deprimiert dich das ungemein“, beschreibt Stefan R. seine Zeit in der Arbeitslosigkeit. Mit der Aktion 20.000 eröffnete sich aber auch für Stefan R. eine neue Chance. „Ich habe mich bei einer großen sozialen Organisation als Lagerarbeiter beworben und bin von siebzehn Bewerbern schlussendlich genommen worden“, freut er sich über seine neue Aufgabe.

    Sinnstiftende Aufgabe
    Obwohl Stefan R. mit der Notstandshilfe und der Möglichkeit, geringfügig dazuverdienen zu können, etwas mehr Geld hätte als mit seinem jetzigen Einkommen, hat er keine Sekunde gezögert, die Stelle anzunehmen. „Natürlich ist es nach wie vor auch finanziell nicht einfach und es wäre schön, wenn ich wieder mein altes Einkommen hätte, aber Geld ist auch in meiner Situation nicht alles. Ich habe wieder eine sinnstiftende Aufgabe, bin motiviert und habe das Gefühl, gebraucht zu werden. Auch mein Freundeskreis hat das bemerkt“, sagt der 51-Jährige und freut sich, wieder ein soziales Umfeld zu haben – und das Gefühl los zu sein, am Abstellgleis zu stehen.
    Mit Ende Jänner 2018 waren 2.722 Personen in einer ähnlich glücklichen Lage wie Stefan R., über die Aktion 20.000 einen neuen Arbeitsplatz gefunden zu haben. Insgesamt wären Finanzmittel für 4.400 Arbeitsplätze vorgesehen gewesen. Die ersten Zahlen zeigen, dass mit dem Programm, das ja bisher nur in Modellregionen umgesetzt wurde, die Arbeitslosigkeit von langzeitbeschäftigungslosen älteren Menschen um 5,1 Prozent gesenkt werden konnte. In allen anderen Regionen ist die Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen hingegen im selben Zeitraum um 2,1 Prozent gestiegen.
    Angesichts dieser Zahlen ist es umso unverständlicher, warum dieses Programm in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eingestellt wurde. Auch wenn die zuständige Ministerin nicht müde wird zu betonen, dass es sich um eine „Sistierung“ und nicht um eine Abschaffung handle, liegt der Schluss nahe, dass hier rein parteipolitisch und nicht im Interesse der betroffenen Personen gehandelt wurde.
    Unverständlich ist dieser Schritt der Bundesregierung auch deshalb, weil österreichweit enorme Anstrengungen unternommen wurden, um die nötigen Plätze zu akquirieren und gemeinnützige Einrichtungen sowie die Kommunen dafür zu motivieren. Dank des außerordentlichen Engagements vieler Menschen – von den AMS-MitarbeiterInnen über BürgermeisterInnen bis hin zu den sozialen Einrichtungen – war es möglich, das Programm so erfolgreich zu starten.

    Völlige Aufgabe
    Der Verdacht einer politisch motivierten Entscheidung, fern jeglicher sachlicher Begründung, erhärtet sich auch, wenn man die Argumentation der Regierungsparteien für die „Sistierung“ betrachtet. So lautet etwa eine Behauptung, dass Arbeitsplätze nur von der Wirtschaft geschaffen würden und nicht von der Politik. Diese Aussage offenbart das völlige Aufgeben der politisch Handelnden. Natürlich geht es nicht darum, dass von der Politik direkt Arbeitsplätze geschaffen werden. Sehr wohl aber geht es darum, für entsprechende Rahmenbedingungen und Anstöße zu sorgen.
    Mit der Beschäftigungsaktion 20.000 wurde einer am Arbeitsmarkt besonders benachteiligten Personengruppe ermöglicht, sich direkt an einem Arbeitsplatz zu behaupten. Es ist auch jene Personengruppe, die vom derzeit absehbaren Aufschwung und der damit einhergehenden leichten Entspannung am Arbeitsmarkt am wenigsten profitiert. Denn langfristiges Ziel der Aktion war, den betroffenen Arbeitgebern zu zeigen, dass auch ältere Beschäftigte einen sinn- und wertvollen Beitrag leisten können, eine Bereicherung für das Unternehmen darstellen und daher auch nach dem Förderzeitraum behalten werden sollten.
    Als weiteren Grund bringt die Regierung vor, dass durch Qualifizierung nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Dieser grundsätzlichen Aussage kann zwar zugestimmt werden; liest man diese aber im Zusammenhang mit dem Regierungsprogramm und der darin angeführten Ideen, etwa zur Veränderung des Arbeitslosengeldes oder der Verlagerung von Schulungen direkt in die Betriebe, kann man vermuten, wohin die Reise geht: Es stehen nicht die Interessen der arbeitsuchenden Menschen im Mittelpunkt, sondern allein jene der Betriebe.

    Nichts Gutes zu erahnen
    Selbstverständlich ist auch einer neuen Regierung zuzugestehen, laufende Programme zu evaluieren. Und es war und ist auch die Position der VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen im AMS, für Gespräche jederzeit zur Verfügung zu stehen. Einer Diskussion zur Anpassungen der Maßnahme hin zu mehr Nachhaltigkeit oder geänderten Instrumenten verschließt sich die ArbeitnehmerInnenseite sicher nicht. Der aber schon in den ersten Tagen der neu angetretenen Bundesregierung sich abzeichnende Stil lässt für zukünftige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nichts Gutes erahnen.

    Politisches Kleingeld
    Das Handeln der politisch Verantwortlichen erweckt den Anschein, dass hier auf dem Rücken arbeitsuchender Menschen politisches Kleingeld gemacht wird. Hierbei stehen die Sachlichkeit und die Bedürfnisse der Betroffenen im Hintergrund. Das Schicksal von Stefan R. ist kein Einzelfall, sondern vielmehr die traurige Realität für viele Betroffene. Diesen wieder einen sinnstiftenden Arbeitsplatz zu ermöglichen, sie wieder vom Rand der Gesellschaft in die Mitte zu holen und ihnen schlussendlich wieder ein Stück Würde zu geben: Das ist die Aufgabe der Politik. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung selbst erkennt, dass diese Aufgabe gemeinsam gelöst werden muss und nur im Dialog zum Erfolg führen kann.
    Stefan R. hat zum Abschluss noch eine Botschaft: „Ich wünsche mir, dass diejenigen, die solche sinnvollen Maßnahmen mit einem Federstrich streichen, nur ein paar Tage das erleben, was ich durchgemacht habe, bevor sie entscheiden.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor alexander.prischl@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Hintergrund

    • Die Beschäftigungsaktion 20.000 startete am 1. Juli 2017 in neun Modellregionen und sollte mit 1. Jänner 2018 österreichweit umgesetzt werden. Ziel war es, die Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen langfristig zu halbieren.
    • Gefördert wurden Arbeitsplätze bei Gebietskörperschaften, in überwiegend im öffentlichen Eigentum stehenden Einrichtungen sowie bei gemeinnützigen Unternehmen. Diese mussten zusätzliche Arbeitsplätze sein, d. h. mit einer existenzsichernden Beschäftigung bzw. Teilzeitbeschäftigung ab 30 Wochenstunden und kollektivvertraglicher Entlohnung.
    • Zielpersonen mussten mindestens 50 Jahre oder älter und mindestens zwölf Monate beim AMS vorgemerkt sein. Gefördert wurden bis zu 100 Prozent der kollektivvertraglichen Lohn- und Lohnnebenkosten für maximal zwei Jahre.
    • Für das Programm wurden für den gesamten Projektzeitraum von 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2019 insgesamt 778 Millionen Euro budgetiert. Inbegriffen waren schon 578 Millionen Euro, die bereits als Unterstützungsleistungen aus der Arbeitslosenversicherung für die betroffene Zielgruppe zur Verfügung standen.
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    Alexander Prischl, Referat Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik im ÖGB Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023722 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022635 Nur gut gemeint? Rehabilitation vor Pension“ lautet seit einigen Jahren das Motto im Umgang mit ArbeitnehmerInnen und Arbeitsuchenden, die nicht (mehr) in der Lage sind, ihre berufliche Tätigkeit auszuüben. Egal ob Burn-out, Krebs, chronische Wirbelsäulenbeschwerden oder Unfallfolgen: Individuelle Pläne für die medizinische und berufliche Rehabilitation sollen passgenaue Maßnahmen ermöglichen und Betroffenen neue Perspektiven bieten.
    Für ab 1964 Geborene brachte eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2012 entscheidende Neuerungen: Mit Jänner 2014 wurde die befristete Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension bei Angestellten bzw. Erwerbsunfähigkeitspension bei Selbstständigen) abgeschafft. Wer mindestens sechs Monate hindurch im Krankenstand bleiben muss, erhält Rehabilitationsgeld in der Höhe des Krankengeldes von der Gebietskrankenkasse und medizinische Rehabilitation durch die Pensionsversicherung. Case-ManagerInnen der Krankenkassen unterstützen und begleiten den Genesungsprozess und die Rehabilitation. Dafür wird ein individueller Versorgungsplan erstellt.

    Fast zwei Drittel abgelehnt
    Eine Invaliditätspension wird nur mehr bei dauernder Invalidität zuerkannt, sprich wenn eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist. Das heißt, diese Pension erhalten nur Menschen, die vollständig erwerbsunfähig sind oder denen eine berufliche bzw. medizinische Rehabilitation nicht zumutbar ist. Im Jahr 2016 wurden laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger 57.040 Anträge auf Erwerbsunfähigkeits-, Berufsunfähigkeits- oder Invaliditätspension eingereicht. Ca. 60 Prozent wurden abgelehnt. Rund ein Drittel der Abgewiesenen reagiert mit einer Klage beim Sozialgericht, etwa 20 Prozent dieser Fälle sind in der Regel auch erfolgreich. Wer den erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann, kann eine neue Ausbildung absolvieren. Der Anspruch auf das entsprechende Umschulungsgeld besteht nur dann, wenn die Betroffenen bei der Auswahl, Planung und Durchführung der Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation aktiv mitwirken.
    Soweit die juristischen Basics, doch wie schon erwähnt gibt es in der Praxis einige gravierende Mankos. So setzen die Maßnahmen meist viel zu spät an. „Typisch ist leider nach wie vor, dass die BezieherInnen von Rehabilitationsgeld schon längere Zeit arbeitslos sind“, berichtet AK-Pensionsexperte Wolfgang Panhölzl. „Und bei der beruflichen Rehabilitation hat sich gezeigt, dass einmal invalide Personen kaum mehr über die physischen und psychischen Ressourcen verfügen, die erforderlich sind, um – im fortgeschrittenen Alter – einen neuen Beruf zu erlernen.“
    Um hier gegenzusteuern, wurde mit einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2017 unter anderem der Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation schon bei drohender Invalidität eingeführt. Damit besteht erstmals die Möglichkeit, bereits bis zu fünf Jahre vor der Invalidität aus einer belastenden Tätigkeit auszusteigen und einen neuen Beruf zu erlernen.

    Wiedereingliederungsteilzeit
    Nach einem langen Krankenstand, etwa durch eine Krebserkrankung, möchten viele Betroffene gerne wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, befürchten aber, täglich acht Stunden nicht durchhalten zu können. Seit Juli 2017 gibt es die Möglichkeit, nach langen Krankenständen schrittweise wieder in den Beruf zurückzukehren. Diese freiwillige Wiedereingliederungsteilzeit wurde auf Vorschlag der Sozialpartner umgesetzt und kann schon jetzt als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Man erwartete jährlich rund 200 Anträge, tatsächlich sind es mehr als 1.000.
    Gute Ideen allein wären allerdings zu wenig, so Wolfgang Panhölzl, denn derzeit gäbe es keinen Ansatz, wie man die bereits vorhandenen Regeln mit Leben füllen könnte. Es gäbe verwirrende Zuständigkeiten, und ein Gesamtbudget für Prävention und Rehabilitation wäre nötig. Im aktuellen Regierungsprogramm werde ständig nur von Einsparungen geredet. Der Experte nennt ein Beispiel: „72 Prozent der Rehab-Geld-BezieherInnen haben als Hauptdiagnose eine psychische Erkrankung. Aber es gibt keine Psychotherapie auf Krankenschein und es kommt immer wieder zu sehr langen Wartezeiten.“ Der Weg in die Pension führt meist über lang andauernde Arbeitslosigkeit und je länger diese dauert, desto geringer sind die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Und bekanntlich wirkt sich längere Arbeitslosigkeit alles andere als positiv auf die Gesundheit aus.

    Early Intervention
    „Es wird bereits überlegt, die ohnehin knappen Mittel für Qualifikation und Wiedereingliederung auf jene Arbeitslosen zu konzentrieren, die noch Vermittlungschancen haben“, so Panhölzl. So entstehe ein regelrechtes Arbeitslosen-Ranking. Wichtig wäre, dass Beschäftigte nicht wegen Krankheit den Job verlieren und im Krankenstand Gekündigte dann zu Langzeitarbeitslosen werden. Immerhin wurde nach einem Vorschlag der Sozialpartner kürzlich die sogenannte Early Intervention eingeführt: Bei gewissen Schlüsseldiagnosen werden die PatientInnen schon nach 28 Tagen Krankenstand von der Krankenkasse zu einem Gespräch eingeladen, um den Krankheits- und Heilungsverlauf, aber auch die Arbeitsplatzsituation zu besprechen, über Prävention zu beraten etc. Falls nötig, erfolgt ein Verweis auf fit2work oder die Case-ManagerInnen der Krankenkasse, um professionelle Lösungen für komplexe finanzielle oder soziale Problemlagen zu ermöglichen.
    Prävention wird bei fit2work von Anfang an großgeschrieben. Die Beratungseinrichtung betreut und begleitet österreichweit ArbeitnehmerInnen und Arbeitsuchende, wenn gesundheitliche Probleme die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen oder zu Arbeitslosigkeit führen. fit2work berät aber auch Betriebe, die in die Gesundheit ihrer Beschäftigten investieren möchten, etwa in Form von Frühwarnsystemen für gesundheitlich gefährdete Beschäftigte, über alternsgerechte Arbeitsplätze oder die Unterstützung bei der Wiedereingliederung etc.
    Dementsprechend bietet fit2work auch Unterstützung bei der Suche nach Alternativen zur Invaliditätspension an. In der Regel fänden sich diese Alternativen auch, erzählt Barbara Haider-Novak, Leiterin des Geschäftsfelds Personenberatung, „doch wenn jemand absolut überzeugt ist, nicht mehr arbeiten zu können, wird es schwieriger. Wir informieren dann über die tatsächliche Höhe der im Fall einer Gewährung einer Berufsunfähigkeits- oder Invaliditätspension zuerkannten Leistung und über die Schwierigkeit, diese Leistung zuerkannt zu bekommen. Dies führt manchmal zu einem Umdenken und motiviert, doch Alternativen zu einem Pensionsantrag zu erwägen. Grundsätzlich ist die Einführung des Rehab-Geldes sinnvoll, denn es markiert nicht mehr die berufliche Endstation.“ Im Übrigen sind fit2work-BeraterInnen nur für freiwillige Maßnahmen zuständig. Sobald jemand Rehab-Geld erhält, erfolgt die Betreuung durch Case-ManagerInnen der Krankenkassen. Erst später, im Falle von Wiedereingliederungsmaßnahmen bzw. -teilzeit, kann fit2work wieder tätig werden.
    Auch Barbara Haider-Novak sieht die aktuellen Möglichkeiten an sich positiv, wünscht sich aber unter anderem, dass medizinische und berufliche Rehabilitation nicht nur früher ansetzen, sondern auch besser ineinandergreifen. „Aktuell wird dieses verschränkte Angebot erst in einigen wenigen Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation erstmals angeboten. Wir würden uns überhaupt wünschen, dass sich Betroffene an uns wenden, noch bevor der Arbeitsplatz wegen gesundheitlicher Probleme gefährdet ist. Dann können rechtzeitig und vor Ort entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.“

    Win-win-Situation
    Hier gibt es nach wie vor Aufklärungsbedarf: ArbeitnehmerInnen werden meist zu spät aktiv und Unternehmen wissen oft über Fördermöglichkeiten etc. kaum Bescheid. „Es geht nicht darum, Schon-Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Menschen dort einzusetzen, wo sie hinpassen und optimal ihre Leistungsfähigkeit ausschöpfen können. Wir schauen individuell für jeden einzelnen Fall, welche Möglichkeiten es gibt, um eine Win-win-Situation zu erreichen.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Astrid Fadler, Freie Journalistin und Autorin Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023739 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023731 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022625 Ablenkungsmanöver Die meisten Arbeitslosen sind vermögensarm: Die Hälfte besitzt weniger als 2.200 Euro Nettovermögen. Diese Maßnahme hat allerdings große Auswirkungen auf die Mittelschicht. Sie trifft jene, die das Pech hatten, nach dem Jobverlust etwa wegen ihres Alters keinen Arbeitsplatz zu finden, aber vielleicht am Land ein bescheidenes Eigenheim aufgebaut haben. Die Überlegung, diesen noch etwas wegzunehmen, verschiebt den Blick weg von einer Vermögenssteuer für die Superreichen hin zu Menschen mit einem Notgroschen oder einem Auto.

    Notwendigste materielle Absicherung
    Doch zunächst einmal einen Schritt zurück. Die Streichung der Notstandshilfe bedeutet, dass Betroffene zunächst ihr Vermögen bis zu rund 4.000 Euro aufbrauchen müssen, um die Mindestsicherung als letzten Rettungsring in Anspruch nehmen zu können. Die Daten zeigen eindeutig: Der Großteil der Arbeitslosen kann privat nur auf die notwendigste materielle Absicherung zurückgreifen. Wenn etwas Vermögen vorhanden ist, handelt es sich oft um ein Eigenheim. Eigenheime in „angemessener“ Größe müssen zwar nicht verkauft werden, aber die Behörde kann sich bei Bezug der Mindestsicherung ins Grundbuch eintragen lassen. Selbst wenn die Person mit Mindestsicherungsbezug dann wieder eine Arbeit findet, bleibt die Grundbuchseintragung weiter bestehen. Wird das Haus oder die Wohnung vererbt bzw. verkauft, holt sich die öffentliche Hand das ausbezahlte Geld zurück – das Vermögen wird also um den Betrag der Mindestsicherung „besteuert“.
    Für Fragen zu Vermögen ist die Vermögenserhebung HFCS der Österreichischen Nationalbank die beste Quelle. Sie ist die umfassendste Haushaltsbefragung zur Finanzlage und zum Konsumverhalten von Haushalten.

    Vermögensarme Mehrheit
    2014 wurden penibel die Vermögenswerte von österreichischen Haushalten erhoben. Bei den folgenden Berechnungen gelten jene Haushalte als arbeitslos, deren Referenzperson (mit der das Interview durchgeführt wurde) arbeitslos ist. Allerdings sind die Ergebnisse aufgrund der niedrigen Fallzahl mit großer Vorsicht zu interpretieren. Und doch lässt sich Folgendes sagen: Die meisten arbeitslosen Haushalte sind vermögensarm. Die Hälfte der arbeitslosen Haushalte hat weniger als 2.200 Euro Nettovermögen (Sachvermögen plus Finanzvermögen minus Schulden). Sie gehören damit zu den ärmsten in Österreich. Denn dieses Vermögen ist viel geringer als jenes der Gesamtbevölkerung, deren mittlerer Haushalt gut 85.000 Euro besitzt.
    Auch beim Durchschnitt zeigt sich diese Schieflage: Das durchschnittliche Nettovermögen von arbeitslosen Haushalten beträgt rund 40.000 Euro und ist damit weit geringer als das Durchschnittsvermögen aller österreichischen Haushalte, das bei etwa 260.000 Euro liegt. Weil die große Mehrheit der Arbeitslosen kaum Vermögen besitzt, wohnt sie meist zur Miete. Weniger als die Hälfte hat ein Auto, und wenn eines vorhanden ist, so ist dieses im Schnitt 6.000 Euro wert. Auch das Finanzvermögen ist sehr gering: Die Hälfte der Arbeitslosen konnte weniger als 1.100 Euro als Notgroschen zur Seite legen. 
    Was Langzeitarbeitslose betrifft, finden sich im Mikrozensus der Statistik Austria aufschlussreiche Daten. Demnach besitzen rund 20.000 Langzeitarbeitslose ein Haus oder eine Wohnung. Von allen Arbeitslosen (die also sowohl kürzer als auch länger als ein Jahr arbeitslos sind) wohnen laut Mikrozensus nur etwa 27 Prozent im Eigentum. Das heißt, bei den meisten Langzeitarbeitslosen ist kaum etwas zu holen. Aber dort, wo die Mindestsicherung greift, trifft es die Mittelschicht, die durchaus etwas Vermögen aufgebaut hat. Dieses besteht hauptsächlich aus einem Eigenheim, das mit zwei Dritteln den Löwenanteil des Nettovermögens der Arbeitslosen ausmacht.

    Langzeitarbeitslose betroffen
    Die Streichung der Notstandshilfe trifft zudem Menschen, die das Pech hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und nicht innerhalb eines Jahres einen neuen zu finden – das sind die Langzeitarbeitslosen. Besonders über 50-Jährige sind davon oft betroffen, gerade in ländlichen Regionen. Diese Gruppe hat auch am ehesten bereits ein bescheidenes, abbezahltes Eigenheim, ein Auto, um mobil zu sein, und ein Sparbuch für unerwartete Reparaturen.
    Weshalb steht also statt einer Diskussion über eine Millionärssteuer ausgerechnet das Vermögen von Langzeitarbeitslosen zur Debatte? Es wird nicht über das exorbitante Vermögen von Superreichen und MillionärInnen geredet, sondern über die Ersparnisse jener, die schon jetzt jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Eine dauerhafte Gegenfinanzierung für die von der Regierung geplanten Maßnahmen, wie die höhere Unterstützung am Beginn der Arbeitslosigkeit oder gar die geplanten Abgabensenkungen für Unternehmen und Besserverdienende, kann ein Vermögenszugriff bei den Arbeitslosen niemals leisten. Auch der bürokratische Aufwand ist durch das geringe Vermögen der langzeitarbeitslosen Mittelschicht wohl kaum gerechtfertigt.

    Grundlegende Reform nötig
    Dringend überfällig wäre stattdessen eine grundlegende Reform der Vermögensbesteuerung. Denn alle wissenschaftlichen Untersuchungen stellen für Österreich eine extreme Konzentration des Vermögens fest. Die reichsten fünf Prozent der Haushalte besitzen etwa 43 Prozent des gesamten Nettovermögens – das ist der vierthöchste Wert in der Eurozone. Der Gini-Index, mit dem die Ungleichheit bei der Verteilung von Vermögen beschrieben wird, ist ebenfalls nur in drei anderen Ländern der Eurozone höher. Dabei darf aber eines nicht übersehen werden: Dieses Ranking ist keine Reihung der Länder nach sozialer Ungleichheit. Denn Österreich bietet eine sehr gut ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge mit einer Vielzahl an wohlfahrtsstaatlichen Leistungen. Nicht zuletzt dank des Wohlfahrtsstaates ist die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit deshalb in Österreich geringer als in den meisten EU-Ländern.
    Ein ausgedehnter gemeinnütziger Wohnbausektor, die gut ausgebauten öffentlichen Verkehrssysteme, ein überwiegend frei zugängliches Bildungswesen und eine breite Absicherung gegen einen Verdienstausfall, vor allem in Form eines lebensstandardsichernden sozialen Pensionssystems: All diese staatlichen Angebote bieten auch Menschen ein gutes Leben, die nicht auf große Vermögen zurückgreifen können.
    Die Vermögenskonzentration bedeutet allerdings dennoch eine massive Verschiebung von ökonomischer und politischer Macht hin zu einer kleinen Besitzelite, die über unverhältnismäßigen Einfluss auf Medien, Politik und öffentliche Meinung verfügt. Dieser Macht der Multimillionäre gilt es im Interesse der Aufrechterhaltung eines demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegenzutreten.

    Vom Schicksal Begünstigte
    Die Forderung nach progressiven Vermögenssteuern stellt ein wesentliches Element dieser Auseinandersetzungen dar. Unmittelbar betrifft das in Österreich die Pläne zur Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer, deren Aufkommen für den Ausbau des Pflegesystems zweckgewidmet sein könnte. Die Zweckbindung verknüpft die Besteuerung von hohen Erbschaften mit den (finanziellen) Herausforderungen der familiären Pflege. Die steuerliche Belastung einer kleinen Zahl vom Schicksal begünstigter Menschen könnte so sozialpolitische Verbesserungen für die breite Masse der Bevölkerung in einer Phase des Lebens, in der diese besonders schutzbedürftig ist, ermöglichen.
    Kurzum: Eine fortschrittliche Politik würde den Fokus einerseits auf die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen legen, andererseits auf die Vermögenskonzentration bei den Reichsten abstellen, anstatt die Ärmsten ins Visier der Sparpolitik zu nehmen. Diese Regierung muss daran gemessen werden, ob ihre Politik der Vermögenselite dient oder ob sie die Lebensbedingungen für die ArbeitnehmerInnen und die Arbeitslosen verbessert. Bislang ist die „neue Gerechtigkeit“ nur Klassenkampf von oben.

    Weitere Infos:
    tinyurl.com/y7f4fcjf
    derStandard: „Wann das Sozialamt bei der Mindestsicherung auf Immobilien zugreift“:
    tinyurl.com/y83ua7q3

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen matthias.schnetzer@akwien.at und miriam.rehm@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Matthias Schnetzer, Miriam Rehm, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023615 Arbeitslose Haushalte: EUR 40.000</br>Alle österreichischen Haushalte: EUR 260.000 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022619 Damit sich Arbeiten wieder lohnt! Als Fachbereichssekretärin der vida betreut Ursula Woditschka die privaten Dienstleistungen. Sie hat dabei mit unterschiedlichen Berufen zu tun – das reicht vom Reinigungsgewerbe über die Pediküre bis hin zu den FriseurInnen. Was allen diesen Tätigkeiten gemeinsam ist: Sie sind verhältnismäßig schlecht bezahlt, Vollzeitarbeit gibt es kaum. „In diesen Berufen werden in der Regel nur Teilzeitjobs angeboten, egal ob für Jung oder Alt“, erklärt Woditschka.

    Dringender Bedarf
    Vor allem junge Menschen würden dringend eine Vollzeitstelle benötigen, um entsprechend zu verdienen. Noch dazu wird trotz Teilzeit ein Höchstmaß an Flexibilität von den Arbeitskräften gefordert – sich die Arbeitszeit selbst einteilen zu können, das ist eher die Ausnahme. Die vida-Expertin: „Teilzeit bedeutet im Normalfall leider nicht, dass sie geregelt ist und im Vorhinein klar wäre, wann gearbeitet werden muss. Die Zeit wird meistens von den Arbeitgebern sehr kurzfristig eingeteilt.“

    Teilzeit und hohe Konkurrenz
    Der Verdienst im Reinigungsgewerbe beträgt zwischen acht und neun Euro brutto pro Stunde. „Die Tendenz geht in Richtung neun Euro und die Untergrenze von 1.500 Euro brutto pro Monat ist mittlerweile erreicht“, sagt Ursula Woditschka. Doch freilich kann dieser Monatslohn nur mit einer 40-Stunden-Woche erarbeitet werden. Ähnliches gilt bei den FriseurInnen. Hier werden zu viele Lehrlinge für den Markt ausgebildet. Das FriseurInnen-Personal eines Ladens wird relativ häufig ausgewechselt – FriseurInnen, die angestellt und älter als 35 Jahre sind, haben eher Seltenheitswert. Wer in diesem Beruf weiterarbeiten will, wird zumeist selbstständig. Auch deshalb gibt es zu viele Läden – egal ob größer oder kleiner –, die sich einander das Leben schwer machen und die Preise drücken.
    Wechseln FriseurInnen den Laden, dann sollten sie am besten ihren KundInnenstock mitbringen und die Einnahmen des Geschäfts vergrößern. Gewöhnlich gibt es bei den FriseurInnen Teilzeitverträge: Wer bloß einen kleinen KundInnenstock hat, erhält auch nur wenige Stunden. Die Chance auf eine Vollzeitbeschäftigung ist daher gering. Das Trinkgeld hat einen entscheidenden Anteil am Einkommen. Doch davon werden keine Sozialabgaben bezahlt. Auf Dauer ist das problematisch. „In der aktiven Arbeitsphase leben viele Menschen knapp oberhalb des Existenzminimums und können mehr schlecht als recht überleben“, sagt Woditschka. Doch spätestens in der Pension ist es ein Leben unterhalb der Armutsschwelle.

    Kalkulierter Zugang zur Arbeit
    In Österreich kann der Sozialstaat noch ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit bieten. Die Differenz zwischen den Leistungen für Arbeitslose und dem Arbeitseinkommen ist dann in manchen Fällen gering. „Zwar gilt: Wer alleine lebt und Vollzeit arbeitet, der verdient mit dem Mindestlohn mehr als in der Arbeitslosigkeit oder in der Mindestsicherung“, erklärt Thomas Leoni, wissenschaftlicher Mitarbeiter im WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung). Bei Menschen aber, die Anspruch auf Kinderzuschläge haben und nur Teilzeit arbeiten können, verschwinden die Unterschiede nahezu komplett. „Inaktivitätsfalle“ nennen das ExpertInnen. Ähnlich verhält es sich bei ArbeitnehmerInnen, die nicht unter einen Kollektivvertrag fallen, und bei Menschen, die nicht kontinuierlich oder im größeren Ausmaß beschäftigt sind.
    Ursula Woditschka wird mit diesem Dilemma auch in ihrer Praxis konfrontiert: „Wenn sich eine Alleinerziehende von ihrem Arbeitslohn nicht einmal etwas leisten kann, etwa einen Urlaub oder am Wochenende eine Kinderbetreuung, dann kommt es vor, dass sie zu rechnen beginnt.“ Viele überlegen dann, wie viele Stunden sie arbeiten müssen, um Unterstützungen nicht zu verlieren. Nicht alle Berufssparten sind gleich stark betroffen. Eine Konzentration gibt es im Dienstleistungssektor unter VerkäuferInnen, Bürokräften, FriseurInnen, HilfsarbeiterInnen und MitarbeiterInnen im Fitnesscenter. Besonders Frauen, MigrantInnen und Menschen, die über keine höhere Ausbildung verfügen, sind betroffen. Über 35 Prozent der ArbeitnehmerInnen mit lediglich Pflichtschulabschluss arbeiten für einen Niedriglohn. Unter Teilzeitbeschäftigten beträgt der Anteil der NiedriglöhnerInnen 27,5 Prozent. Bei Vollzeitbeschäftigten sind es weniger als zehn Prozent.
    Warum so wenig bezahlt wird, erklärt Thomas Leoni: „Haushaltsnahe Leistungen werden gesellschaftlich nicht besonders wertgeschätzt, denn das wird ja daheim ohnehin gemacht. Das gilt auch bei der Betreuung von Kindern oder bei der Altenpflege.“ Ähnliches trifft auch im Reinigungsgewerbe oder auch bei den FriseurInnen zu. Obwohl es in manchen Sonntagsreden anders ausgedrückt wird, legt die Gesellschaft relativ wenig Wert auf die gerechte Entlohnung dieser Dienste. Dazu kommt, dass viele der betroffenen Branchen gewerkschaftlich schwer zu organisieren sind. „Die Betriebe sind in der Regel sehr klein“, erklärt Woditschka. „Im Dienstleistungsbereich arbeiten oft nicht mehr als fünf Personen in einer Filiale. Betriebe mit 20 oder mehr MitarbeiterInnen sind leichter zu betreuen.“

    Schlecht erreichbar
    Nachdem jene ArbeitnehmerInnen oft direkt „am Menschen“ arbeiten und die Dienstleistungen oft in kleinen Betrieben erbracht werden, sind die MitarbeiterInnen während der Geschäftszeit kaum erreichbar. Sie können nicht einfach unterbrechen und ein Gespräch führen, das nichts mit den KundInnen zu tun hat. „In vielen anderen Branchen ist das etwas leichter. Dort können wir schon mit einem Besuch mehr Menschen erreichen“, erklärt Woditschka.
    Es ist tendenziell schwieriger geworden, Gewerkschaftsmitglieder zu werben. Die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung sind im Laufe der Jahrzehnte zur Selbstverständlichkeit geworden. Junge Menschen wissen oft gar nicht mehr, wie sich die 40-Stunden-Woche entwickelt hat, wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zustande kamen oder weshalb es heute fünf bis sechs Wochen Urlaub gibt. „Jeder weiß, dass er das Recht darauf hat, aber wie diese Rechte seinerzeit von Menschen erstritten wurden, das weiß heute keiner mehr“, erklärt Ursula Woditschka.
    Auch bei den Kollektivvertragsverhandlungen gelten andere Rahmenbedingungen als in den klassischen gewerkschaftlich organisierten Bereichen. Bei den Metallern können sich die Verhandlungspartner an Umsätzen, an tatsächlichen Verkäufen, künftigen Geschäften, Bestellungen oder an Exporten orientieren. Konjunkturprognosen lassen sich hier leichter erstellen. Das ist im Dienstleistungsbereich schwieriger. Es gibt viel weniger verfügbare Daten. „Besonders bei den FriseurInnen gibt es sehr wenige Wirtschaftszahlen“, weiß Woditschka. Denn die meisten Unternehmen sind Kleinstbetriebe, die ihre Geschäfte nicht offenlegen. „Daher ist nicht bekannt, wie viel Geld diese Branche umsetzt und an Gewinnen lukriert.“ Auch ist der Produktivitätsfortschritt in Branchen, die besonders Technologie und Maschinen einsetzen, höher als bei den personenbezogenen Dienstleistungen.
    „Wir orientieren uns bei den Verhandlungen an der Inflationsrate. Da wird ein Anteil aufgeschlagen, um die Kaufkraft zu stärken“, sagt Ursula Woditschka. „Es wird dann nicht wie auf einem Bazar gefeilscht, sondern es geht darum, realistische Preise umzusetzen. Wir wollen höher als die Inflationsrate abschließen, damit den Menschen etwas im Börserl bleibt.“ Der Unterschied zwischen Leistungen für Arbeitslose und Arbeitseinkommen sollte größer werden. Aber dies sollte nicht durch Kürzungen des Arbeitslosengeldes, sondern durch die Erhöhung der Löhne und Gehälter erfolgen.

    Öffentliche Hand als Vorbild
    Hier könnte die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen. Denn viele Menschen, die wenig verdienen, arbeiten in der Alten- oder Kinderbetreuung oder im Pflegesystem. Hier werden die Lohnerhöhungen direkt oder indirekt mit der öffentlichen Hand verhandelt. „Es wäre ein richtiges Signal, wenn diese Einkommen adäquat angehoben werden“, sagt Thomas Leoni.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Resei, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023759 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022607 Politik der Entsolidarisierung Die neue Bundesregierung hat sich mit dem sogenannten „Arbeitslosengeld neu“ eine tiefgreifende Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung in Österreich vorgenommen. Diese Absicht hat gleich zu Beginn der Legislaturperiode zu ersten Meinungsverschiedenheiten in der Regierung selbst und zu recht heftiger Ablehnung in der Öffentlichkeit geführt. Am Ende steht ein Appell der Regierungsspitzen, man möge sie doch jetzt einmal in Ruhe bis Ende des Jahres daran arbeiten lassen. Ob man diesem Wunsch der Regierung entsprechen sollte, ist fraglich. Denn obwohl das Regierungsübereinkommen wenig Konkretes enthält, ist doch eine grundlegende Änderung der existenziellen Absicherung von erwerbsarbeitslosen Menschen zu erwarten. Das betrifft zunächst Menschen, die ohne Erwerbsarbeit sind. Die Auswirkungen der angekündigten Einschnitte in die Arbeitslosenversicherung werden aber auch die Beschäftigten deutlich zu spüren bekommen.

    Abbau des Schutzniveaus
    Zunächst soll ein degressiv gestaltetes Arbeitslosengeld geschaffen werden, in das die Notstandshilfe integriert wird. Diese Festlegung durch die Regierungsspitzen am Ende ihrer Regierungsklausur am 5. Jänner 2018 beseitigt jeden Zweifel: Die Notstandshilfe soll abgeschafft und durch die Mindestsicherung ersetzt werden. Die Wirkungen eines solchen Abbaus der Schutzniveaus der Arbeitslosenversicherung lassen sich in Deutschland an den Folgen der sogenannten Hartz-IV-Reform gut ablesen. Zusammengefasst laufen sie auf eine deutlich erhöhte Armutsgefahr für Arbeitsuchende hinaus und auf die Abkoppelung der Langzeitarbeitslosen vom sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt – in Österreich immerhin rund 160.000 Betroffene und ihre Familien. Denn Mindestsicherung beziehen zu wollen bedeutet, Erspartes bis zu einem Betrag von rund 4.300 Euro aufbrauchen zu müssen. Es bedeutet den Zugriff der Bundesländer auf das mühsam erarbeitete Eigenheim. Und es bedeutet in den meisten Fällen den Zwangsverkauf des Autos.

    Zu BittstellerInnen degradiert
    Menschen, die entweder am Beginn ihrer Erwerbstätigkeit stehen und es – wie etwa die „Generation Praktikum“ – schwer haben, eine stabile Beschäftigung zu finden, oder unter Umständen Menschen nach jahrzehntelanger Erwerbsarbeit würden nach 20 bis 52 Wochen Arbeitslosengeldbezug Rechtsansprüche gegenüber der Sozialversicherung verlieren. Sie würden zu Bittstellerinnen und Bittstellern in einem Fürsorgesystem degradiert. Dieser Statusverlust wiederum hat erhebliche negative soziale und gesundheitliche Folgen für die Betroffenen – doch nicht nur für sie, sondern auch für die gesamte Gesellschaft. Denn steigende Armut bedeutet auch steigende Kinderarmut, die langfristig größte Nachteile für die gesamte soziale und wirtschaftliche Entwicklung in einem Land hat – von den Schäden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Entfremdung und Radikalisierung gar nicht zu reden.

    Gefahr von Altersarmut
    Am Ende steht die große Gefahr von Altersarmut für all diejenigen, die in ihrem Erwerbsleben länger oder häufiger arbeitslos waren. Denn über die Mindestsicherung werden, im Gegensatz zur Notstandshilfe, keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung erworben. Das bedeutet für die Betroffenen zweierlei: später in Pension gehen zu können und dafür auch noch niedrigere Pensionen zu erhalten. Das arbeitsmarktpolitische Versprechen der Hartz-IV-Gesetzgebung wurde nicht eingelöst: die Beseitigung der Langzeitarbeitslosigkeit. Sie hat sich in Deutschland nur verfestigt. Rund 1,5 Millionen Arbeitsuchende haben auch im bereits längeren Wirtschaftsaufschwung in Deutschland keine Chance, aus der Grundsicherung herauszukommen. Kein Wunder, zeigen doch viele Forschungen, dass es nicht hoher existenzieller Druck ist, der Arbeitslose wieder in die Beschäftigung bringt. Vielmehr leistet dies ein ausreichendes Angebot an offenen Arbeitsplätzen, eine gute Unterstützung bei der Arbeitsuche und das Ausgleichen von Defiziten beim beruflichen Wissen und Können.
    Doch damit nicht genug: Längere Versicherung in der Arbeitslosenversicherung soll zu längerem und höherem Arbeitslosengeld führen. Das bedeutet nichts anderes, als dass nicht nur die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld von der Zahl der erworbenen Versicherungsmonate abhängt, sondern auch die Höhe des Arbeitslosengeldes. Das würde sich nur schwer mit dem Äquivalenzprinzip, einem Wesenskern der Sozialversicherung, vertragen und Menschen, die nur kurze Beschäftigung finden, systematisch benachteiligen. Das trifft neben den klassischen SaisonarbeitnehmerInnen in Bau und Tourismus mittlerweile auch LeiharbeitnehmerInnen und Beschäftigte in allen Branchen, BerufseinsteigerInnen und Menschen, die in der Erwachsenenbildung, der Wissenschaft oder im Kulturbereich arbeiten.

    Härtere Sanktionen zu befürchten
    Zudem sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen vor allem beim Einkommens- und Berufsschutz verschärft werden. Schon jetzt muten die geltenden Zumutbarkeitsregeln ArbeitnehmerInnen zu, auf ein Fünftel ihres früheren Einkommens zu verzichten. Dies gilt allerdings nur, wenn sie innerhalb der ersten 100 Tage wieder einen Job finden. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie sogar auf ein Viertel ihres früheren Einkommens verzichten. ArbeitnehmerInnen sollen also noch höhere Einkommensverluste bei einer Neubeschäftigung akzeptieren müssen, und zwar schon nach kurzer Arbeitslosigkeit. Dazu passt, dass die „Wirksamkeit“ der Sanktionen bei Verstößen erhöht werden soll. Noch härtere Sanktionen als den Verlust der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung für sechs bzw. acht Wochen sind also zu befürchten.
    Neben diesen Eingriffen sollen auch noch ein paar „Kleinigkeiten“ mit erheblichen Auswirkungen für die Betroffenen eingeführt werden. Ist man arbeitslos, werden die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld als Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung angerechnet.
    In Zukunft sollen nur noch zwei Jahre berücksichtigt werden. Für einen Bauarbeiter mit drei bis vier Monaten saisonbedingter Arbeitslosigkeit würde das etwa bedeuten, dass nach drei bis vier Jahren Berufstätigkeit in dieser Branche jede Winterarbeitslosigkeit seine Pension verringert. Die zeitliche Beschränkung des geringfügigen Zuverdienstes zum Arbeitslosengeld und die Anrechnung von Krankenständen auf die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld runden das Bild eines gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerichteten Umbaus der Arbeitslosenversicherung nur noch ab.

    Politik der Angst und Spaltung
    Die für diese Reformen vorgebrachten Argumente – „wer mehr und länger einzahlt, soll auch mehr und länger die Leistung bekommen“ und „Durchschummeln darf es nicht mehr geben“ – haben einen klaren Zweck: Nachdem es mit der Entsolidarisierung zwischen den „Eigenen“ und den „Fremden“ bei den letzten Nationalratswahlen für die Regierungsparteien schon so gut gelaufen ist, soll weiter auf eine Politik der Angst und der gesellschaftlichen Spaltung gesetzt werden. Dieses Mal zielt die Entsolidarisierungspolitik auf die ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungen. Denn neben den zum Teil verheerenden Wirkungen der Hartz-IV-Reform vor mittlerweile mehr als zehn Jahren für die unmittelbar Betroffenen kann in Deutschland noch etwas anderes beobachtet werden: ein deutlicher Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung mit so niedrigen Stundenlöhnen, dass letztlich sogar die konservativen Parteien aus wirtschaftlichen Überlegungen – es geht ja auch um den Binnenkonsum – einem gesetzlichen Mindestlohn zustimmen mussten. Dazu kommt eine Reallohnentwicklung, die hinter den erzielbaren und volkswirtschaftlich auch notwendigen Steigerungen zurückbleibt.
    Ein System, das für die Betroffenen raschen und tiefen sozialen Abstieg bei Arbeitslosigkeit bereithält, diszipliniert ArbeitnehmerInnen, macht sie gefügig, lässt sie Lohn- und Arbeitsbedingungen akzeptieren, die sie sonst nicht hinnehmen würden. Das aber schwächt auch die Gewerkschaften. Mit Angst lässt sich eben trefflich Profit machen – zumindest kurzfristig. Und nichts anderes sagt ja auch die Industriellenvereinigung, vor gut einem Jahr gefragt, was sie denn von Hartz IV in Österreich halten würde: Das sei gut, denn in Deutschland seien dadurch die Lohnstückkosten gesunken.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gernot.mitter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Gernot Mitter, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023771 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022596 Reportage: Letzte Chance Es direkt mitzuteilen geht nun doch nicht. Wer schreibt schon die wahren Gründe einer Absage? Und wozu auch, es sind ja genügend Arbeitskräfte da, die sich bewerben. Keine Antwort ist auch eine. „Am Anfang sind die Menschen total engagiert“, berichtet Petra Wellemsen, „sie schreiben Hunderte Bewerbungen, zielgerichtet, ohne utopische Vorstellungen. Von Monat zu Monat wächst die Frustration.“ Wellemsen ist Bereichsleiterin für Sozialarbeit im gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt ASINOE, wie die Abkürzung für Archäologisch-Soziale Initiative Niederösterreich lautet.
    Christian W. ist einer „von denen, die keine Antwort kriegen“. Außer vom Billa. Keine Zusage zwar, aber immerhin ein Schreiben. Das sei schon fein. Man könnte ihn für einen der Sozialarbeiter halten oder einen der Archäologen draußen bei den Grabungen am Sitz der ASINOE in Krems, wo er bis vor Kurzem beschäftigt war. Er trägt sein langes, grau meliertes Haar zusammengebunden, wie so mancher Ethnologe, um bei der Forschung im Feld vom Wind nicht zerzaust zu werden. „Ich weiß viel“, strahlt er ohne Überheblichkeit aus. Und: „Schade, dass ihr nichts davon nutzt.“ 

    Vermittlungshindernis
    Christian gilt jedoch als einer von jenen mit Vermittlungshindernissen. Als Ingenieur und Flugzeugtechniker ist es schwer, in der Region Krems Arbeit zu finden, noch dazu als älterer Mensch – wenn auch für Erwerbsarbeit nicht zu alt. „Ich bilde mir nicht ein, dass mich jemand auf der Stufe einstellt, auf der ich aussteigen musste“, sagt er, der – bis auf die sechsmonatige Tätigkeit bei ASINOE – seit 2013 Arbeit sucht. Er wäre bereit, „fast alles zu tun“. Gerne hätte er weiter bei den Grabungen mitgearbeitet, die unter Anleitung von ausgebildeten ArchäologInnen in den Einzugsgebieten von Krems, Horn und St. Pölten stattfinden. Todmüde sei er abends gewesen, erzählt er. Im Sommer meinte er mitunter, in der Hitze umfallen zu müssen.

    Mühevolle Kleinarbeit
    Rund sechs Dutzend arbeitsuchende Personen pro Jahr wirken hier an Aufträgen öffentlicher und privater Bauherren mit: von Rettungsgrabungen in Kirchen und Klöstern oder im historischen Stadtkern bis hin zu kommerziellen Großprojekten. In mühevoller Kleinarbeit legen die Teams Fundstellen frei, hacken, säubern, fotografieren, um dann von vorne zu beginnen. „Das große Ergebnis“, sagt Christian und seine Augen leuchten, „ist die so entstehende Information über die Geschichte der Region, nicht die manuelle Arbeit.“
    Sogenannte „arbeitsmarktferne“ Menschen werden über die Regionalgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (AMS) an die Initiative vermittelt, die vom AMS NÖ und Land NÖ gefördert wird. Die Zielgruppe verändere sich je nach Anforderung von Land und Politik, berichtet Petra Wellemsen. Seit 2016 liegt der Schwerpunkt auf der Altersgruppe „50 plus“.
    Die Entstehungsgeschichte der Initiative beginnt wie der Anfang eines Witzes, am Ende steht jedoch die Geburt eines sehr wichtigen Projekts: Saßen ein Archäologe und ein Sozialarbeiter zusammen. Der erste beklagte den Mangel an Personal, der zweite den an Arbeit.
    Heute wird bei ASINOE mit Menschen gearbeitet, deren „oft komplexe Problemlagen sie hindern, am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, erzählt Sozialarbeiter Thomas Schobel. Etwa Abhängigkeiten, prekäre Wohnsituationen, gesundheitliche Probleme oder Schulden. „Die sechs Monate Einkommen hier sind für so manchen die erste Möglichkeit, in Privatkonkurs gehen zu können.“ Etwa für den 46-jährigen Alfred Johann S., der sein Geschäft in Langenlois wegen Überschuldung zusperren musste. Bis zur Operation wegen eines Gehirntumors habe er von der Möglichkeit eines Krankenstandes für Selbstständige nichts gewusst. „Nur nicht bettlägerig“, war seine Devise, die oft gesellschaftliche Anerkennung bringt, ihm aber fast den Tod. Denn bald danach stand er erneut hinter dem Ladentisch, bis irgendjemand wieder die Rettung rief.
    Ausgenommen bei „Pensionsantrittsplätzen“, also bei Menschen, die maximal 3,5 Jahre vor dem Ruhestand stehen, ist die Befristung von einem halben Jahr nur unter bestimmten Voraussetzungen verlängerbar. Christa G. hat Glück: Sie geht mit erstem Dezember in den Ruhestand. „Es war meine letzte Chance“, sagt sie, „sonst hätte ich keine Pension gekriegt.“ „Sie haben ja noch nie gearbeitet“, habe eine AMS-Beraterin mit Blick auf ihre Akte angemerkt. „Stimmt“, kommentiert Christa und schmunzelt jetzt. Ihre fünf Kinder hätten sich halt nicht ganz allein aufgezogen.
    Heute sind diese zwar groß, aber ohne Führerschein in einer kleinen Gemeinde am Ostrand des Waldviertels Arbeit zu finden, ist dennoch nicht leicht bzw. eher unwahrscheinlich.
    Oft wird (älteren) Menschen ohne Arbeit mangelnde Flexibilität unterstellt. „Man könnte aber auch flexibler darüber nachdenken, wo die Leute zum Vorteil aller am besten einzusetzen sind“, meint Sozialarbeiter Thomas Schobel. Etwaige körperliche Einschränkungen seien bei der Gruppe 50 plus durch Kompetenzen wie Verlässlichkeit, Engagement oder Lebenserfahrung mehr als wettzumachen. „Die Älteren ziehen die Jungen mit“, ergänzt seine Kollegin Wellemsen. Zipperlein lassen sie nicht gelten, Termine müssen eingehalten werden. Schließlich wird Arbeit hier nicht bloß gespielt.

    Arbeit genug
    Auch bei der Jobsuche werden die Teams heterogen zusammengestellt. Die persönlichen Fähigkeiten und Umstände werden da durchgegangen. Zusätzlich setzt man auf persönliche Netzwerke und Mundpropaganda. Wesentliche Zusatzfrage beim Brainstorming: Wen kennen wir noch? „Fast die Hälfte läuft über persönliche Kontakte“, berichtet Wellemsen. So war es etwa bei Sepp, der den Job im Lager fand, weil der Sohn vom Fußballtrainer wen kannte, der wen kannte.
    Es gibt auch manche, die säßen im Bewerbungsraum und machten den Mund kaum auf, seien draußen aber die SuperarbeiterInnen, sagt die Sozialpädagogin Wellemsen. „Dann ist es unsere Aufgabe, zu den Firmen zu gehen.“ Sie hätten da einen guten Mann, eine gute Frau. Manchmal klappt’s, zumindest mit einem Praktikum. Der Vermittlungserfolg lässt sich nur anhand der Zahlen von Arbeitsaufnahmen direkt nach der Zeit bei ASINOE messen. Eine weitere Auswertung erfolgt über die Sozialversicherungsnummer am 92. Tag danach. Rund 30 Prozent hatten an diesem Stichtag noch den Job. „Das ist wirklich ein Erfolg“, meint Wellemsen, „und er dauert meist an: Man trifft die Leute ja auch später in der Stadt.“

    Durchschummler
    Nicht die strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt stehen heute im Zentrum aktivierender Arbeitsmarktpolitik. Betroffenen wird oft mangelnde Arbeitsbereitschaft unterstellt. Von „Sozialschmarotzern“ ist wieder die Rede. Zu diesen haben sich nun die „Durchschummler“ gesellt. Diese pauschalen Zuschreibungen haben tiefgreifende Folgen. Gerade wenn über sozial wenig anerkannte Gruppen gesprochen wird, wie „die Arbeitslosen“ oder „die Flüchtlinge“, herrschen schnell vereinfachte und oberflächliche Charakterisierungen vor, heißt es in der Ausgabe „Arbeit und Arbeitslosigkeit“, die das internationale Forschungszentrum (ifz) in Kooperation mit der Caritas Österreich in der Reihe „Fokus: Gutes Leben“ herausgibt. Die einseitige Wahrnehmung von Menschen als Teil einer Gruppe ohne Identität sei Resultat einer sozial bedingten „Blindheit“, die sich schleichend entwickle.
    „Wir sehen ja, wie gerne die Leute arbeiten würden. Jeder weiß doch: Arbeit und selbst erworbenes Einkommen stiften Identität“, sagt Christoph Parak, Geschäftsführer von arbeit plus Wien, dem Dachverband gemeinnütziger arbeitsmarktpolitischer Unternehmen. „Niemand will mehr schlecht als recht leben. Jeder Mensch will sich gebraucht und als aktiver Teil der Gesellschaft fühlen. Die, die so wenig arbeiten wollen wie möglich, sind keine systemrelevante Größe.“

    Innovative 1980er-Jahre
    Viele der rund 200 Mitgliedsunternehmen von arbeit plus Österreich gehen auf die 1980er-Jahre zurück, die das Ende der Vollbeschäftigung einleiteten. Unter Sozialminister Alfred Dallinger wurden Ideen zur Unterstützung von Menschen entwickelt, die es allein nicht in den ersten Arbeitsmarkt schafften. Die ersten Sozialökonomischen Betriebe (SÖB) und Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte (GBP) entstanden.
    „Die derzeitige Hochkonjunktur kommt natürlich auch unseren Betrieben zugute“, berichtet Parak. Erstmals seit längerer Zeit sinke die Arbeitslosigkeit auch bei Menschen ohne qualifizierte Ausbildung. Maßnahmen wie die nunmehr eingestellte Aktion 20.000 seien dennoch mehr denn je erforderlich. Rund 200 Personen waren im Rahmen des Pilotprojekts von der Stadt Wien und deren Unternehmen eingestellt worden.
    Mit dem Strukturwandel könne die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes nicht mithalten. Industrie und Gewerbe wandern aus der Großstadt ab. Dazu Parak: „Niedrigqualifizierte kämpfen im Dienstleistungsbereich um schlecht bezahlte Jobs, die außerdem durch voranschreitende Automatisierung immer weniger werden.“
    Die gelernte Glasmalerin Susanne G., 54, ist unversehens an den Rand gerutscht. Sie sucht seit 2016 Arbeit. Bis Anfang April läuft ihr Vertrag bei der Volkshilfe Wien SÖB, dem Betrieb, der Anfang 2016 durch Zusammenlegung mehrerer Teilprojekte entstanden war. Mit dem Räumungs- und Transportdienst, Secondhandshop, der Schneiderei, Wäscherei, Putzerei und dem Dyson Kundendienst ist er derzeit der größte sozialökonomische Betrieb in Wien.
    Susanne arbeitet hier im Verkauf. „Ich bin treu“, sagt sie. In den über 30 Jahren ihres Berufslebens war sie bei nur drei Firmen, zwei davon gibt es nicht mehr. „Ich kann nicht mehr tun, als mit Ihnen Bewerbungen zu schicken“, hatte die nette AMS-Beraterin zu ihr gesagt, „es wird halt nicht viel bringen.“

    Wiedergewonnenes Selbstvertrauen
    Sie solle nicht so wählerisch sein, hört Susanne oft. Manchmal kommt sie aber auch in die engere Auswahl – ihr wiedergewonnenes Selbstvertrauen trägt dazu bei. „Das Programm hier ist eine Überbrückung, aber man hat zumindest einen Platz, wird aufgerichtet, hat wieder mehr Selbstwertgefühl. Es geht ja nicht nur um die Arbeit, sondern auch um das Soziale. Jeder hat persönliche Probleme mit dem Altern und dann kommt das Finanzielle dazu. Es heißt: ‚Man muss auf die Erfahrung der Älteren zurückgreifen.‘ Ich habe eher das Gefühl, ein Wohnsilo soll her. Da stecken wir die Alten rein und machen die Türen fest zu.“
    Die dreisprachige Sekretärin Michaela Z., derzeit im „SÖB-Front-Office“ beschäftigt, ist seit 2014 auf der Suche. „Ihr Lebenslauf ist fantastisch“ und Ähnliches hört sie oft. „Jemand, der noch nicht länger arbeitslos war, denkt vielleicht, das ist wie Urlaub“, sagt sie und seufzt. Sie ist in eine kleinere Wohnung umgezogen, „um sich die Arbeitslosigkeit leisten zu können. Hier im Teamwork ist man wieder jemand“, sagt sie, „man ist wieder dort, wo man aufgehört hat. Man weiß: Ich kann noch mit Menschen umgehen. Nach einem halben Jahr ist das vorbei. Das trübt.“
    „Dass der Wert eines Menschen nur an der Arbeitskraft hängt, hat fast etwas Religiöses“, sagt Manfred K., Magister der Philosophie und studierter Historiker. Seine Pensionierung ist nicht mehr weit. „Sie sehen“, sagt er und deutet auf seinen Lebenslauf, „ich bin Akademiker und jetzt im Lager tätig. Aber ich bin nicht der Einzige. Ich habe andere ‚Studierte‘ getroffen, die auch positiv gestimmt waren, weil sie wieder etwas tun, wieder miteinander kommunizieren können.“ In der Arbeitslosigkeit lebe man oft am Existenzminimum, müsse auf vieles verzichten. Durch das Einkommen bei der Volkshilfe geht es ihm und seiner Frau momentan besser. Sie haben einen neuen Durchlauferhitzer angeschafft.

    Pufferzone MigrantInnen
    „MigrantInnen stellen einen Puffer am Arbeitsmarkt dar“, heißt es im Abschlussbericht des Forschungsprojekts über Integrationsmaßnahmen und Arbeitsmarkterfolg von Flüchtlingen (FIMAS). Sie werden als Erste entlassen, sind öfter in prekären Arbeitsverhältnissen und häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Zieht die Konjunktur an, schaffen sie rasch den Einstieg, meist aber wieder nur in prekäre Posten.

    Aufschwung spürbar
    Auch bei FAIR, der Beratungsstelle für MigrantInnen mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln, ist der aktuelle Wirtschaftsaufschwung zu spüren. „Allein heuer hat fast die Hälfte unserer Klienten und Klientinnen Arbeit gefunden“, freut sich Johanna Reithner, Projektleiterin der FAIR-Beratungsstelle, deren Trägerin die Volkshilfe Wien ist und die mit dem Arbeitsmarktservice (AMS) kooperiert. Im Schnitt der letzten Jahre fanden rund 45 Prozent der in St. Pölten beratenen Personen ein Dienstverhältnis oder kamen in eine weiterführende Schulung. „Niemand hat sie unter Auflagen zugewiesen: Die Menschen kommen freiwillig. Wir sehen, wie sehr sie arbeiten wollen.“
    Man müsse Plätze schaffen, damit die Menschen einander begegnen können, meint Reithner. Besonders in Städten entstünden „Communities“, wo es irgendwann nicht mehr nötig scheint, mit der Aufnahmegesellschaft in Kontakt zu treten.
    Vor allem ältere Frauen sind isoliert. Beim Montagstreff von FAIR kommen Frauen aus „allen möglichen Ländern“ zusammen. „Da geht es um Frauenrechte, um Aufteilung des Haushaltseinkommens, um Verhütung und um Gewalt in der Familie. Und sie verbessern dabei auch ihr Deutsch“, merkt Reithner an.
    Der fünfsprachige Berater aus Afghanistan, die Beraterin mit Kopftuch, der rund 60-jährige Deutschlehrer, die im Ramadan fastenden und dennoch anwesenden MitarbeiterInnen: Sie seien gute Rollenmodelle und die beste Motivation für Integration. 

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabrielemueller1@icloud.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Gabriele Müller Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023784 Sagt ein Archäologe: "Wir haben so viele Grabungen." Sagt der Sozialarbeiter: "Wir haben so viele Leute." Was wie ein Witz klingt, ist eine geniale Idee. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023795 Manche ziehen die Arbeit in der Werkstatt vor. "Man könnte flexibler nachdenken, wo die Leute zum Vorteil aller einzusetzen sind", meint Sozialarbeiter Thomas Schobel. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478023800 Die einseitige Wahrnehmung von Menschen als Teil einer Gruppe ohne Identität ist Resultat einer sozial bedingten "Blindheit", die sich schleichend entwickelt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022569 Interview: Entwürdigendes Signal Arbeit&Wirtschaft: An sich sind die Konjunkturaussichten positiv. Gute Aussichten auch für den Arbeitsmarkt?
    Judith Pühringer: Die Konjunktur zieht an, bei den Arbeitslosenzahlen gibt es einen sehr großen Rückgang. Das ist an sich sehr erfreulich. Aber es ist ein Trugschluss, dass es für alle besser wird. Für viele Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und die jetzt schon am Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden, wird es deshalb nicht einfacher.
    Gerade die Arbeitslosigkeit von Älteren sinkt nur in ganz minimalem Ausmaß, sie stagniert eher. Es wird immerhin nicht noch schlimmer, aber wir haben nach wie vor ein erschreckend hohes Niveau an Menschen, die über 50 Jahre alt sind und in Wirklichkeit überhaupt keine Chance mehr haben, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, wenn sie langzeitarbeitslos sind.

    Gibt es überhaupt genügend Jobs, sodass alle arbeiten könnten, die derzeit arbeitslos sind?
    Das ist die grundsätzliche Frage: Woran liegt es, dass Menschen keinen Job finden? Sind sie selber schuld oder ist es ein strukturelles Problem? Die Antwort ist: Es ist ein strukturelles Problem. Es gibt Jobs einfach nicht mehr in dem Ausmaß und nicht in der Bandbreite an unterschiedlichen Qualifikationen wie bisher. Gerade für Menschen, die die eine oder andere kleine Einschränkung haben oder die schlichtwegs älter sind, wird es noch enger.
    Und es gibt viele Menschen, die über ein Zuviel an Arbeit klagen und die ins Burn-out gehen, weil sie zu viel arbeiten. Wir sind ein Land mit extrem vielen Überstunden, und auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die keine Arbeit haben. Es ist also definitiv auch ein Verteilungsproblem.

    Ein Rezept, auf das man momentan zu setzen scheint, ist Qualifizierung. Bloß reicht dies?
    Das Problem ist, dass sie oft anstelle von anderen Formen von Beschäftigung aus dem Hut gezaubert wird. Qualifizierung an sich ist ein wunderbares und wichtiges Instrument. Aber es löst das Problem nicht, dass es zu wenige Jobs gibt. 
    Gerade bei der Gruppe der Älteren wird man über Qualifizierung alleine nichts erreichen. Diese Menschen brauchen in einem ersten Schritt eine Beschäftigung. Sie kommen aus Langzeitarbeitslosigkeit, haben oft schon zweihundert bis sechshundert Bewerbungen geschrieben und nicht einmal eine Absage erhalten. Das ist wirklich dramatisch, und das geht quer durch alle Qualifikationsniveaus.
    Was bei der Gruppe sehr hilft, ist die Kombination von Arbeiten und Lernen: Sie erhalten eine Beschäftigung und währenddessen schaut man darauf, was sie können. Es geht um Kompetenzerfassung, und das ist ein wirklich wichtiger Punkt. Es wird nicht nur das betrachtet, was im Lebenslauf steht, sondern was Menschen im Laufe ihres Lebens gelernt haben, welche informellen Kompetenzen sie erworben haben. Das den Menschen selber zugänglich zu machen, um ihnen so wieder den Zugang zu Weiterqualifizierung zu geben – an dieses Konzept glaube ich zutiefst, letztlich für alle Altersgruppen. Die Menschen nehmen sich selbst dann ganz anders wahr, weil sie gebraucht werden, sich ein neues Netzwerk aufbauen können und sich danach aus einem ganz anderen Zustand heraus wieder bewerben.
    Ältere Langzeitarbeitslose haben einen Fünfer vorm eigenen Alter stehen, und es wird ihnen de facto vom Arbeitsmarkt gesagt: Wir brauchen dich nicht mehr. Das ist eine unglaublich entwürdigende Erfahrung, dass Menschen, nur weil sie älter sind, signalisiert bekommen, sie werden nicht mehr gebraucht. Genau deshalb fand ich die Aktion 20.000 einfach so großartig, weil sie zu genau diesen Menschen gesagt hat: Wir brauchen dich! Und die Menschen sind total aufgeblüht.
    Dazu ein Praxisbeispiel: Ein Arbeiter, der sehr lange am Bau beschäftigt war, hatte einen Bandscheibenvorfall und kann diesen Job nicht mehr machen. Im Rahmen der Aktion 20.000 hat er in einem Altenheim Freizeitgestaltung übernommen. Er hat gesagt, das könne er deshalb so gut, weil er seine kranke Mutter auch sehr lange gepflegt hat – und es mache ihm großen Spaß. Die Organisation hat ihm angeboten, eine Ausbildung zur Altenpflegekraft zu machen. Die wird er machen, und die Jobchance danach ist 100 Prozent, weil genau solche Menschen gesucht werden. Und er sagt jetzt noch einmal mit über 50: Super, das ist eine neue Perspektive, mir macht das Spaß. Und man hat eine superwertvolle Arbeitskraft gewonnen. Das sind absolute Win-win-Situationen.

    Momentan wird Arbeitslosen unterstellt, sie wären nicht willig zu arbeiten, deshalb müsse man den Druck auf sie erhöhen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
    Unsere Erfahrung ist eine völlig andere. Unsere Erfahrung in den sozialen Unternehmen – in den letzten 30 Jahren – ist, dass die Menschen arbeiten wollen. Sie wollen beteiligt sein, arbeiten, sie wollen sich gebraucht fühlen, ihre Kompetenzen einbringen – umso mehr, wenn sie älter werden.
    Und das sind diese zwei Tatsachen, die überhaupt nicht zusammengehen, dass wir einerseits sagen, wir wollen eine höhere Erwerbsbeteiligung von älteren Menschen – und andererseits versagt der Markt total.

    Als Abschreckungsbeispiel wird das Unkrautjäten genannt: Wie viel Qualifikation können die Menschen da tatsächlich einbringen?
    In der Aktion 20.000 wurden in sehr breiten Beschäftigungsfeldern Jobs geschaffen, mit sehr, sehr unterschiedlichen Qualifikationsniveaus, entsprechend der Vielfalt der 20.000 Personen, die man identifiziert hat. Man muss ja auch sagen, mit der Aktion wurden nicht alle erfasst, wir sprechen in Summe von 50.000 Menschen, die älter und langzeitarbeitslos sind.
    Ein ganz großes Thema ist natürlich Pflege und Betreuung, vor allem die Alltagsbetreuung von älteren Menschen oder zu pflegenden Menschen. Der zweite große Punkt ist das Thema Schulen und Kindergärten, also Kinder und der Bildungsbereich – und das hat viel mit dem Thema soziale Inklusion zu tun. Das sind so einfache Beispiele, zum Beispiel, dass Schulen am Nachmittag oft nicht offen haben, weil es kein Personal gibt. Es gibt viele Kinder, die absolut davon profitieren würden, nicht zu Hause Hausaufgaben machen zu müssen, weil dort vielleicht gar kein Raum ist, um Hausübungen zu machen. Warum also nicht Schulen am Nachmittag aufsperren, da eine Betreuung anbieten und so auch in ländlichen Regionen eine Kinderbetreuung am Nachmittag zur Verfügung stellen?
    Und dann gibt es Jobs in der Grünraumbewirtschaftung, und es ist so schade, wenn man das auf Unkrautjäten reduziert. Es hätte ein Projekt in der Steiermark gegeben, wo es eine Gemeindeverordnung gibt, dass man dieses Ragweed, also das hochallergene Unkraut, beseitigen muss. Das ist an sich schon eine anspruchsvolle Tätigkeit – die in Wirklichkeit allen zugute kommt. Für einige Personen hätte das wunderbar gepasst.

    Ein weiterer Einwand lautet: Warum extra Arbeitsplätze schaffen, wenn auf der anderen Seite ein Fachkräftemangel beklagt wird?
    Das eine große Thema ist Bildung und Ausbildung. Da bräuchte es viel mehr Verschränkungen, denn die Diskurse über Bildung und Arbeitsmarkt laufen sehr getrennt voneinander ab. Es gibt schon im Bildungsbereich sehr viele Versäumnisse, und es ist sehr schwer, im Rahmen von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen das alles aufzufangen.
    Der andere Punkt sind die Köche und Saisonniers. Da denke ich mir: Wir haben Zumutbarkeitsbestimmungen, die schon sehr streng sind. Über mehr Druck und engere Zumutbarkeitsbestimmungen wird dieses Matching von Fachkräften und offenen Stellen nicht gelingen. Der viel größere Hebel sind die Arbeitsbedingungen: Wenn es so schwer ist, einen bestimmten Arbeitsplatz zu besetzen, wird es Gründe dafür geben.

    Im Regierungsprogramm steht die „Arbeits- und Teilhabepflicht“ festgeschrieben. Ist das schlecht?
    Da sind wir bei der Abschaffung der Notstandshilfe. Prinzipiell liegt noch kein Vorschlag auf dem Tisch. Wenn ich aber das Regierungsprogramm genau lese und dort von einem Arbeitslosengeld neu mit diversen Abstufungen die Rede ist, und danach steht darin die Abschaffung der Notstandshilfe, dann kann man schon sagen: Das ist der erste Schritt zu Hartz IV.
    Das bedeutet, und das muss man schon ganz klar sagen, einen völligen Bruch mit der Systemlogik. Menschen vertrauen im System der Arbeitslosenversicherung schließlich mit Recht darauf, dass dieses System sie in einer Notlage, nämlich wenn sie arbeitslos werden, nach dem Versicherungsprinzip unterstützt. Diesen Menschen wird dann gesagt: Ende der Versicherungsleistung, du kommst jetzt in eine Fürsorgeleistung, und zwar mit allen bekannten Konsequenzen, die es in der Mindestsicherung gibt, mit Vermögenszugriff, es gibt keine Möglichkeit mehr, geringfügig dazuzuverdienen, und es gibt keinen Pensionsanspruch mehr – auch ein ganz wichtiger Punkt, der oft vergessen wird.
    Für Frauen hat das natürlich auch noch einmal fatale Konsequenzen, denn sie sind eh schon von Altersarmut überproportional betroffen. Das heißt, mit allen nachteiligen Konsequenzen werden Menschen in ein anderes Prinzip, also in ein Fürsorgeprinzip und in das letzte Netz des Sozialstaats gedrängt. Davon wären mit einem Schlag 167.000 Menschen bedroht.
    Ich weiß nicht, was genau mit Arbeits- und Teilhabepflicht gemeint ist. In Wirklichkeit gibt es diese ja jetzt schon: Wenn Menschen Notstandshilfe beziehen – wo ja der Berufsschutz nicht mehr gilt – und eine Arbeit nicht annehmen, kann diese jetzt schon gestrichen werden.
    Was bedeutet es also? Es könnte sein, dass damit die Ein-Euro-Jobs gemeint sind. Das heißt, dass man sagt: Wenn du eine Sozialhilfeleistung willst, musst du einer gemeinnützigen Beschäftigung um einen Euro die Stunde nachgehen. Das sind schon klare Hinweise darauf, dass ein Systemwechsel zu Hartz IV gemeint sein kann.

    Ein-Euro-Jobs ja, Aktion 20.000 nein: Wie passt das zusammen?
    Die Logik der Aktion 20.000 sind normale kollektivvertragliche Jobs, die auch ein normales Gehalt bieten, wo man ganz normal Löhne bekommt und Steuern und Abgaben bezahlt. Das andere sind Ein-Euro-Jobs, wo man einen riesigen Niedriglohnsektor schafft – mit allen negativen Konsequenzen, wie in Deutschland.
    Es wird ja immer so getan, als wäre Arbeitslosigkeit eine gemütliche Hängematte, in der man sich chillig ausruht. Das stimmt nicht, denn wenn man genau das tut, wird man sanktioniert. Und worüber sehr wenig geredet wird, ist, was Langzeitarbeitslosigkeit mit Menschen macht. Sie macht Menschen krank, sie macht einsam, sie macht arm und sie ist eine wirkliche persönliche Katastrophe. Niemand will das – und wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen in dieser Situation alleingelassen werden.

    Mir scheint, „Alt-Sein“ wird nicht erst mit 50 Jahren definiert. Stimmt das?
    Stimmt, in Wahrheit beginnt das schon mit 45. Aber der Fünfer vor dem Alter führt dazu, dass man wirklich keine Chance mehr hat, wenn man langzeitarbeitslos ist. Da bleiben viele die Antwort schuldig, was die Alternative zur Aktion 20.000 ist, die Antwort auf dieses totale Marktversagen in Bezug auf ältere Arbeitslose: Lassen wir 50.000 Menschen, die einfach nur über 50 Jahre alt sind, im Regen stehen, und zwar für die nächsten 15 Jahre, bis sie in Pension gehen?

    Auch vielen jungen Menschen fällt es immer schwerer, stabile Arbeitsverhältnisse zu finden.
    In Wirklichkeit steigen die Jungen schon mit einem Prekariat ein und sind viele Jahre prekär beschäftigt. Das wirkt sich wiederum fatal auf die Pension aus. Insofern finde ich, dass es an der Zeit ist, über Lebensphasenmodelle nachzudenken. Da sind wir beim großen Geschlechterthema mit zwei Dritteln der Frauen, die unbezahlte Arbeit machen, 50 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit.
    Es ist offensichtlich, dass wir über eine Arbeitszeitverkürzung sprechen müssen, weil wir in einem ganz großen Transformationsprozess in der Arbeitswelt insgesamt stehen. Wir müssen über das Thema Verteilung von Arbeit sehr umfassend reden: zwischen Männern und Frauen, zwischen denen, die zu viel haben, und denen, die zu wenig haben, zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit.
    Im Moment gibt es ein Schwarz-Weiß-Denken: Die Unternehmen wehren sich mit Händen und Füßen gegen die Arbeitszeitverkürzung, weil sie Angst haben, dass sie den vollen Lohnausgleich bezahlen müssen. So muss das aber nicht sein, es gibt ja verschiedene Modelle. Und es geht darum, sich gemeinsam neue Modelle zu überlegen, um diesen offensichtlichen Ungleichverteilungen von Arbeit etwas entgegenzusetzen – und für eine wirkliche Arbeitswelt der Zukunft zu sorgen, wo wir ein paar Schritte vorankommen bei dem wichtigen Ziel „Gute Arbeit für alle“.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Judith Pühringer ist Betriebswirtin und Expertin in den Bereichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Seit 2004 ist sie Geschäftsführerin von arbeit plus, des österreichweiten Netzwerks von 200 gemeinnützigen sozialen Unternehmen. Soziale Unternehmen unterstützen Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind, durch Beschäftigung, Beratung und Qualifizierung bei ihrem (Wieder-)Einstieg ins Erwerbsleben. Darüber hinaus kooperieren sie mit anderen Unternehmen, die bereit sind, soziale Verantwortung zu übernehmen, sowie mit Regionen und Menschen, die dort arbeiten und leben. Pühringer ist außerdem im Vorstand der Österreichischen Armutskonferenz und im Aufsichtsrat des Projekts Bank für Gemeinwohl.

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    Das Interview führte Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022549 Judith Pühringer: "Die grundsätzliche Frage lautet: Woran liegt es, dass Menschen keinen Job finden, sind sie selber schuld oder ist es ein strukturelles Problem? Die Antwort ist: Es ist ein strukturelles Problem." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022557 "Wir sind ein Land mit extrem vielen Überstunden, und auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die keine Arbeit haben. Es ist also definitiv auch ein Verteilungsproblem." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022519 Coverstory: Die ignorierte Lücke Wenn man Silvia Hofbauer dieser Tage auf die Pläne der neuen Regierung in Sachen Arbeitsmarktpolitik anspricht, ist es mit der von der AK-Expertin sonst gepflegten Sachlichkeit vorbei. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für all jene Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwer haben“, ärgert sie sich. Erst kurz zuvor waren konkretere Informationen bekannt worden, wo Türkis-Blau beim AMS zu kürzen gedenkt. Die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik etwa sollen um 600 Millionen Euro sinken, das ist fast ein Drittel des bisherigen Budgets von 1,94 Milliarden Euro. Gekürzt werden soll ausgerechnet bei Maßnahmen für ältere Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Flüchtlinge. „Man lässt Jugendliche im Regen stehen, man lässt Flüchtlinge allein“, so Hofbauer und mahnt: „Wenn man sich jetzt nicht um die Integration von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt kümmert, haben wir in einigen Jahren große Probleme.“
    Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist nur ein Bereich, in dem Türkis-Blau kürzen bzw. ansetzen will. In einem unterscheidet sie sich von den vorherigen Regierungen, nämlich in ihrem Zugang zum Thema Arbeitslosigkeit. Dieser ist klassisch neoliberal: Das Individuum ist schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, Arbeitslose wollen nicht arbeiten. Ganz so hart klingt es freilich nicht, was im Regierungsprogramm steht. Da ist von „rascher Vermittlung Arbeitsloser“ die Rede, von „Beschäftigungsanreizen“ sowie davon, dass „Inaktivitätsfallen“ beseitigt werden müssten. Es fallen die Worte „Mitwirkung“ und „Teilhabe“. Hinter diesen so harmlos scheinenden Worten steckt eine Politik, die insbesondere auf Disziplinierung setzt. Doch ist dies wirklich dazu geeignet, das von der Regierung selbst gesteckte Ziel zu erreichen, nämlich die „tatsächliche und effektive Senkung der Arbeitslosigkeit“?
    Eine wesentliche Tatsache ignoriert dieser Zugang. „Wir haben nach wie vor eine beträchtliche Lücke, wenn wir die offenen Stellen mit der Zahl der Arbeitslosen vergleichen“, hält AK-Expertin Hofbauer fest. Im Jänner 2018 etwa waren rund 379.000 Menschen beim AMS als arbeitslos vorgemerkt. Diesen standen gerade einmal rund 59.000 offene Stellen gegenüber. Dabei gibt es momentan für Arbeitsmarkt-ExpertInnen sogar zur Abwechslung einmal Grund zur Freude. „Stärkster Arbeitslosenrückgang im Jänner seit 30 Jahren“, verkündete das AMS Mitte Februar.
    Auch WIFO-Experte Helmut Mahringer ist vorsichtig positiv: „Die Konjunktursituation ist jetzt, nach einer langen Flaute, in der es kein oder ein sehr geringes Wachstum gab, wieder besser. Darauf haben wir lange gewartet.“ Das große Aber ist die lange problematische Entwicklung am Arbeitsmarkt seit der Krise 2008, die ihre Spuren hinterlassen hat. „Sie hat zu einer Verfestigung von Arbeitsmarktproblemen geführt, weil ein hoher Stand an Menschen aufgebaut wurde, die länger in Arbeitslosigkeit sind, zudem sind mehr Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Situation hat sich dadurch verschärft“, so Mahringer. Besonders betroffen: ältere Arbeitslose, Geringqualifizierte und Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

    Hausgemachtes Problem
    Wenn man die Entwicklung seit der Krise betrachtet, so ist eine Tatsache erstaunlich: Obwohl die Konjunktur mau war, gab es „eine relativ günstige Beschäftigungsentwicklung“, so der WIFO-Experte. Warum dies nicht dazu geführt hat, dass die Arbeitslosigkeit entsprechend gesunken ist, hat viele Ursachen. Eine davon ist der demografische Wandel, der dazu führt, dass mehr ältere Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt sind. Auch die Bildungsexpansion der 1970er-Jahre spielt eine Rolle, denn höher Qualifizierte bleiben länger am Arbeitsmarkt. Eine weitere Ursache ist die Zuwanderung. Ein wesentlicher Faktor aber ist von der Politik gemacht: die Pensionsreformen, die den Zugang zu Formen der Frühpension erschwert haben.
    WIFO-Experte Mahringer hat an sich nichts an der Zielsetzung auszusetzen, dass ältere ArbeitnehmerInnen länger arbeiten sollen. „Aber das ist nichts, was man alleine dadurch lösen kann, dass man Gesetze ändert, die den Pensionszugang regeln. Das muss sich auch am Arbeitsmarkt realisieren.“ Die Menschen müssten eine Chance bekommen, tatsächlich einer Beschäftigung nachzugehen. Dafür braucht es einen Wandel am Arbeitsmarkt: „Man muss das Erwerbsleben und die Arbeitsplätze so gestalten, dass ältere Arbeitskräfte oder Arbeitskräfte mit gesundheitlichen Einschränkungen dort produktiv teilnehmen können.“ Eben da aber hakt es. AK-Expertin Hofbauer hat dazu folgende Beobachtung gemacht: „Unternehmen verzeihen Einschränkungen immer weniger.“
    Momentan ist „länger auf dem Arbeitsmarkt bleiben“ für viele Menschen nämlich nicht damit gleichbedeutend, dass sie arbeiten, sondern vielmehr damit, dass sie länger arbeitslos sind. Insgesamt ist die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen gestiegen, zwischen 2008 und 2017 hat sich ihre Zahl fast verdreifacht. Haben es vergangene Regierungen verabsäumt, die Konsequenzen der Pensionsreformen abzufedern? Es sei durchaus einiges geschehen, bestehende Modelle etwa zur Rehabilitation seien stark weiterentwickelt worden, meint AK-Expertin Hofbauer. „Aber es ist einfach schwer, die Betriebe wirklich dafür zu gewinnen.“
    Eine weitere große Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik ist die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt dynamischer geworden ist. Das erhöht die Anforderungen an das AMS im Allgemeinen – und im Besonderen, was Qualifizierungsmaßnahmen betrifft. WIFO-Experte Mahringer formuliert es folgendermaßen: „Wenn man einen flexiblen Arbeitsmarkt haben will, und den braucht man für eine flexible Wirtschaft, dann ist es gut, die Leute, die flexibel sein sollen, gut zu behandeln. Denn sonst werden sie sich davor scheuen, flexibel zu sein.“

    Fördern und fordern
    Eine Form dieser guten Behandlung bestehe darin, die Risiken für die ArbeitnehmerInnen nicht zu groß werden zu lassen. „Das kann man mit einer guten Existenzsicherung machen.“ Zwar gesteht Mahringer ein, dass es ein Spannungsfeld zwischen guter Existenzsicherung und ausreichenden Arbeitsanreizen gibt, sprich dass es sich lohnt, arbeiten zu gehen. Hier sind die Löhne freilich ein wichtiger Aspekt. Mahringer ergänzt dies um eine „aktive Arbeitsmarktpolitik, die fördernd und fordernd ist“. Just hier setzt die Regierung den Rotstift an.
    Eine Folge des dynamischen Arbeitsmarktes ist, dass Arbeitslosigkeit kein Randgruppenrisiko mehr ist. „Innerhalb von zehn Jahren ist nahezu die Hälfte der Arbeitskräfte irgendwann einmal von Arbeitslosigkeit betroffen“, hält Mahringer fest. Vor diesem Hintergrund hält AK-Expertin Hofbauer die Infragestellung des Berufs- und Einkommensschutzes für kontraproduktiv. Der Berufsschutz sei ohnehin nicht mehr sehr stark, dieser gelte schon jetzt nur noch für 100 Tage. Der Einkommensschutz wiederum spiele eine sehr wichtige Rolle: „Bei diesem dynamischen Arbeitsmarkt darf Arbeitslosigkeit nicht sofort dazu führen, dass sich dein Status massiv verschlechtert – und er verschlechtert sich eh sofort.“ Die Statussicherung sei ein wesentliches Ziel, „denn sonst geht die Spirale einfach nach unten“, warnt Hofbauer. Eine Folge: „Es geht ganz viel Humankapital verloren.“ Kurzum, es werden Fachkräfte vernichtet.
    Mit der türkis-blauen Regierung erlebt Österreich ein Revival des Nulldefizits. Dies lässt befürchten, dass für Investitionen nicht allzu viel Spielraum bestehen wird. Dabei würde es gerade diese brauchen, um die gerne bemühte Wahlfreiheit für Frauen zu ermöglichen. Ob in der Kinderbetreuung, der Pflege oder der Bildung: Für Ingrid Moritz ist hier schon in der Vergangenheit zu wenig weitergegangen. Die AK-Frauenexpertin hält fest: „Wenn man dies gut lösen will, dann muss da einfach viel Geld reinfließen. Weil das sind Jobs, die eine hohe Qualität erfordern, gute Ausbildungen und natürlich auch eine gute Bezahlung. Und genau das geschieht nicht.“ Vielmehr werde es wieder stärker den Frauen zugeschoben, sich um diese Dinge zu kümmern: Tagesmütter sollen gefördert, Au-pairs leichter eingesetzt werden können, Ganztagsschulen erst ab der Mittelschule ausgebaut werden.
    „Das ist eigentlich eine ziemliche Watsch’n für die Frauen“, findet Moritz. „Man macht permanent Druck auf die Frauen und putzt sich eigentlich ziemlich elegant ab, dass die notwendigen Investitionen nicht passieren.“ Für die Frauenexpertin ist klar, was nötig wäre. Um den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung voranzutreiben und dies den Gemeinden auch finanziell zu ermöglichen, müsse man die Aufgabenorientierung im Finanzausgleich ernsthaft angehen. Auch in die mobilen Dienste in der Pflege müsse investiert werden sowie in die Pflege insgesamt. Die Arbeit auf 24-Stunden-Pflegerinnen auszulagern hält Moritz aus vielen Gründen für problematisch, von der prekären Situation dieser Menschen angefangen bis hin zur mangelnden Qualitätssicherung. Dass auch noch die Familienbeihilfe für die Kinder gekürzt werden soll, die sie in der Heimat zurücklassen müssen, ärgert sie zusätzlich.

    Fehlende Quote
    Beunruhigt ist Ingrid Moritz darüber, dass im Regierungsprogramm die Quote für AMS-Förderungen nicht mehr enthalten ist. Bisher war dem AMS vorgeschrieben, 50 Prozent der Mittel für frauenspezifische Maßnahmen einzusetzen. „Laut Statistik sind Frauen zwar weniger von Arbeitslosigkeit betroffen, aber es gibt halt auch mehr unsichtbare Arbeitslosigkeit der Frauen und andere Benachteiligungen“, so Moritz. Mit der Quote sollte dies ausgeglichen werden. „In der Arbeitsmarktförderung hat es irrsinnig wichtige Programme gegeben.“ Als Beispiel nennt sie das Programm „Fit – Frauen in technische Berufe“. „Da wird jetzt möglicherweise einiges eingespart“, befürchtet die Frauenexpertin.
    WIFO-Experte Mahringer beschreibt das Spannungsfeld der türkis-blauen Frauenpolitik folgendermaßen: „Ich glaube, da muss man auf eine konsistente Politik achten. Es ist zum Beispiel in der Gesamtpolitik-Konzeption relativ ineffizient, wenn man zugleich lange Karenzunterbrechungen forciert und zugleich Reintegrationsbemühungen für Wiedereinsteigerinnen setzt. Das beißt sich.“ Im Regierungsprogramm steht „ein bisschen kryptisch“, so Moritz, dass der Kündigungsschutz bei der längstmöglichen Variante des Kinderbetreuungsgeldes verändert werden soll. „Das heißt eigentlich, dass man es leichter möglich machen will, länger in Karenz zu gehen“, so die AK-Expertin. Das aber sei eine „typische Falle“. Denn zahllose Studien haben eindeutig belegt, dass das lange Fernbleiben von Frauen vom Arbeitsmarkt ihre Wiedereinstiegschancen massiv schmälert.
    Doch zurück zu den Sanktionen, die von der Regierung als wesentliches Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit propagiert werden: Inwieweit kann dieses den Anspruch erfüllen, dass Menschen schneller wieder einen Job annehmen? Das WIFO hat sich das genauer angesehen, das Ergebnis fasst Mahringer vorsichtig, aber doch klar zusammen: „Man findet keine Evidenz dafür, dass mehr Sanktionen markant dazu beitragen würden, dass die Leute eher in Arbeit zurückgehen.“
    Den verstärkten Druck auf Arbeitslose hält AK-Expertin Hofbauer für das falsche Instrument. „Die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen geht einfach am Problem vorbei, weil es genügend Menschen gibt, die von Arbeitgebern nicht eingestellt werden“, so Hofbauer. Die Betriebe müssten gute Arbeitsbedingungen bieten, damit Menschen die Arbeit auch annehmen wollen bzw. dazu bereit sind, sogar ihren Wohnsitz zumindest temporär zu verlegen und dafür vielleicht sogar die Familie zu verlassen. Im Tourismus etwa, der momentan laut nach Fachkräften ruft, sieht sie genau in den schlechten Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung das eigentliche Problem.

    Gute Betreuung zentral
    Die Forschung hat zahlreiche Instrumente ausgemacht, die sinnvoll sind, damit Arbeitslose möglichst rasch wieder Beschäftigung finden. Es mag wenig erstaunlich sein, und doch ist es wichtig, dass dies wissenschaftlich untersucht wurde: Ein wichtiger Punkt ist eine gute Betreuung durch das AMS, sprich eine ausreichende Ausstattung an Ressourcen. „Das ist auch insofern plausibel, als mehr Betreuung automatisch höhere Anforderungen für die Arbeitslosen mit sich bringt“, so Mahringer. Auch die Beratung wird so logischerweise besser. „Die Menschen kriegen früher und mehr Vermittlungsvorschläge und Weiterbildungsmaßnahmen“, so Mahringer. Der WIFO-Experte verweist zudem auf einen Nebeneffekt, der durchaus im Sinne der Regierungspläne wäre: „Das Interessante ist, dass man zwei Aspekte gleichzeitig erreicht: Man hat eine plausiblere Prüfung, woran es liegt, dass Menschen keinen Job finden: Werden sie zu wenig unterstützt? Brauchen sie eine andere Maßnahme? Oder wollen sie nicht?“ Und: „Gerade bei Langzeitarbeitslosen erhöht die Beratung die Chancen, dass sie Arbeit finden.“

    Umdenken nötig
    Vor allem brauche es ein Umdenken, meint Mahringer: „Sowohl Arbeitskräfte als auch Unternehmen müssen einen neuen Umgang mit dem Thema Aging lernen. Die Arbeitskräfte müssen eine Perspektive für eine längere Erwerbsphase entwickeln, die Betriebe müssen sich überlegen, wie sie die Arbeitsplätze gestalten. Und natürlich braucht es auch eine Reihe von Maßnahmen von der öffentlichen Hand, beginnend mit Bildungsmaßnahmen bis hin zu gesundheitspolitischen Maßnahmen.“ Es gehe nicht nur darum anzusetzen, wenn Menschen bereits arbeitslos sind, sondern „noch bevor ein Arbeitsplatzverlust eintritt oder auch nur droht“. So könne man für die Betriebe Anreize setzen, damit sie „bestimmte Personengruppen länger in der Belegschaft halten. Da gibt es ein Set an Maßnahmen, wo man bei Weitem noch nicht alles ausgeschöpft hat“, so Mahringer.
    Gerade Maßnahmen für Langzeitarbeitslose zu kürzen, wie es die Aktion 20.000 ist, scheint vor diesem Hintergrund umso fragwürdiger. Die von den Regierungsparteien immer wieder ins Spiel gebrachte gemeinnützige Arbeit für Langzeitarbeitslose ist für AK-Expertin Hofbauer keine Alternative. „Die Aktion 20.000 bietet kollektivvertraglich entlohnte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, für gemeinnützige Arbeit kriegst du nichts“, erklärt die AK-Expertin den Unterschied. Ein weiterer Vorteil der Aktion: Die Langzeitarbeitslosen erwerben wieder einen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung. „Dann kehrst du zurück von der Notstandshilfe in den Arbeitslosengeldbezug. Das ist ein riesiger Unterschied, weil du hast ein Arbeitsverhältnis mit einem Urlaubsanspruch und den anderen Dingen, die halt ein Arbeitsverhältnis ausmachen.“ Für Hofbauer deutet sehr viel darauf hin, dass die neue Regierung sich in Richtung des Hartz-IV-Modells bewegt. Die Abschaffung der Notstandshilfe, stattdessen die Mindestsicherung anzuwenden, führt dazu, dass Langzeitarbeitslose noch mehr finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen. Schließlich ist die Notstandshilfe an das vorherige Einkommen gekoppelt, die Mindestsicherung hingegen ist ein fixer Betrag.

    Die eigentliche Herausforderung
    Für Hofbauer hätte die Aktion 20.000 noch weitergehende positive Effekte, nämlich dass in Gemeinden nun sinnvolle Aktivitäten möglich wurden, die es bisher nicht gegeben hat. „Dann überlegt man sich vielleicht auch, diesen Job doch dauerhaft zu schaffen, weil es einen so großen Mehrwert bringt, für das Klima in der Gemeinde, für die Betreuung der Älteren oder für den Schwimmbadbetrieb.“ So können dauerhaft Arbeitsplätze geschaffen werden – und genau das ist die eigentliche Herausforderung am Arbeitsmarkt. Diese Aufgabe muss man keineswegs nur der öffentlichen Hand zuschreiben, diese kann allerdings durchaus die Rolle als Impulsgeber spielen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022500 Es ist kurzsichtig zu denken, dass sich das Problem der hohen Arbeitslosigkeit vor allem dadurch lösen lässt, dass man den Druck auf die Betroffenen erhöht. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022505 Vor allem ist die Analyse falsch, dass die Menschen nicht arbeiten wollen. Das Gegenteil ist der Fall, wie die Aktion 20.000 eindrücklich gezeigt hat. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022510 Zwar ist auch in der Krise die Beschäftigung angestiegen. Doch erst seit relativ kurzer Zeit wächst auch der Arbeitsmarkt. Die Lücke bleibt aber weiterhin groß. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022447 Zahlen, Daten und Fakten
  • Zahl der offenen Stellen und der Arbeitslosen
  • Zahl der vorgemerkten Arbeitslosen pro gemeldeter offener Stelle
  • Teilzeitquoten im Vergleich (Männer, Frauen, gesamt)
  • Zahl der Arbeitslosengeld- und der NotstandshilfebezieherInnen
  • Entwicklung der Langzeitbeschäftigungslosigkeit
  • Quellen: AMS, Statistik Austria, WIFO

    Die Statistiken dazu finden Sie anbei zum Downloaden! 

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    AMS, Statistik Austria, WIFO http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022430 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022394 "Nicht zuletzt" ... Unterstützen statt bestrafen! Leitender Sekretär des ÖGB]]> Arbeitslosigkeit ist ein Schicksal, das jeden und jede treffen kann. Nur in den seltensten Fällen sind die Arbeitslosen selbst daran schuld. Was arbeitslos macht, ist die gesamtwirtschaftliche Situation (wenn es einfach zu wenig Jobs für alle gibt), die Situation im Unternehmen (wenn schlecht gewirtschaftet wurde oder die Jobs der Gewinnmaximierung zum Opfer fallen) und die gesellschaftspolitische Lage (Jugendkult führt dazu, dass ältere Arbeitsuchende einfach nicht genommen werden).

    Kein Verbrechen
    Arbeitslosigkeit ist also kein Fehlverhalten und erst recht kein Verbrechen. Daher muss man die betroffenen Menschen unterstützen, statt sie zu bestrafen. Konservative und Neoliberale bemühen dieses Motto zwar gerne, wenn es um weniger Kontrollen und Strafen für Unternehmer geht, die Vorschriften umgehen. In der Arbeitsmarktpolitik beschreiten sie aber den entgegengesetzten Weg: Arbeitslosen wird Faulheit und Unwilligkeit unterstellt, um sie für ihr vermeintlich schändliches Verhalten zu bestrafen.
    Es beginnt zum Beispiel mit dem Jammern über den sogenannten Fachkräftemangel. „Die wollen gar nicht arbeiten, machen es sich lieber auf Staatskosten bequem“, wird die Begründung unausgesprochen mitgeliefert. Ist der Ruf der Arbeitslosen als Gesamtheit demoliert, hat es jede und jeder Einzelne von ihnen noch schwerer, Arbeit zu finden. Denn welcher Unternehmer will schon einen Tachinierer in seiner Firma? Und so verfestigt sich die Arbeitslosigkeit weiter.

    Anreize erhöhen
    Deren Lösung: Der Anreiz zu arbeiten muss erhöht werden! Darunter verstehen die Neoliberalen aber nicht das Naheliegende, nämlich höhere Löhne. Nein, das Arbeitslosengeld müsse gekürzt, die Notstandshilfe sogar abgeschafft werden. Die Zumutbarkeitsbestimmungen müssten abgebaut werden, das heißt, Arbeitslose müssten den nächstbesten oder nächstschlechtesten Job annehmen, sonst würde ihnen die finanzielle Unterstützung entzogen.
    Wenn der Druck erhöht wird, schlechte Arbeit anzunehmen, führt das aber dazu, dass vorangegangene Ausbildungen wertlos werden. Auf individueller Ebene bedeutet das „arm trotz Arbeit“, auf Ebene der Gesellschaft wächst der Niedriglohnsektor, Investitionen in Ausbildung und Qualifikation verpuffen. Auch die Position derjenigen, die (noch) einen Arbeitsplatz haben, wird dadurch verschlechtert: Der Lohndruck steigt und die Beschäftigten werden sich aus Angst vor Arbeitsplatzverlust vieles gefallen lassen, zum Beispiel Verstöße gegen das Arbeitsrecht.
    Durch eine solche disziplinierende Arbeitsmarktpolitik werden einige Arbeitslose in Billigjobs gedrängt. Für andere, nämlich Ältere und Langzeitarbeitslose, wird sich gar nichts ändern, außer dass sie weniger Geld bekommen und voraussichtlich sogar ihr (ohnehin kaum vorhandenes) Vermögen verbrauchen müssen. Arbeitsplätze werden sie keine finden, da kann die Konjunktur noch so gut sein. Im Jahr 2017 ist die Arbeitslosigkeit um 4,9 Prozent zurückgegangen – bei den über 50-Jährigen ist sie hingegen um 2,7 Prozent gestiegen. Für diese Menschen klingt es nur zynisch, wenn man von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt schwärmt.
    Gute Arbeitsmarktpolitik muss daher vorausschauend sein. Statt schneller Vermittlung in schlechte Jobs muss Qualifikation im Mittelpunkt stehen. Sie ist nach wie vor das beste Mittel gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Aber vielen Menschen, die bereits seit Langem arbeitslos sind, besonders wenn sie auch gesundheitlich beeinträchtigt sind und nahe am Pensionsantrittsalter, kann die Politik nur helfen, indem sie ihnen einen konkreten, dauerhaften und geförderten Arbeitsplatz gibt. So wie das mit der Aktion 20.000 geschehen ist. Das führt zu keinen drastischen Mehrkosten, aber zu einem nicht bezifferbaren Gewinn: Die Menschen bekommen Würde und Selbstachtung zurück.

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    Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022385 Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022374 GPA-djp/vida | Sozialwirtschaft: erfolgreicher Abschluss Nach vielen Aktionen, Betriebsversammlungen, Unterschriften(-listen), Solidaritätsbekundungen und Streiks war es für die VerhandlerInnen von der GPA-djp und der vida Ende Februar so weit: Sie erreichten einen Kollektivvertragsabschluss für die rund 100.000 Beschäftigten in der Sozialwirtschaft. In der sechsten Verhandlungsrunde haben sie sich mit den Arbeitgebern auf eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 2,5 Prozent, jedoch mindestens 48 Euro, geeinigt. Dies ergibt eine Erhöhung in den unteren Gehaltsgruppen von über drei Prozent, durchschnittlich konnte eine Gehaltserhöhung von 2,55 Prozent erreicht werden.
    Die ArbeitnehmerInnen kommen zudem früher in den Genuss von mehr Urlaub: Alle Beschäftigten, die bereits fünf Jahre im Betrieb sind, erhalten einen zusätzlichen Arbeitstag als Urlaubstag. Für Lehrlinge wurde zusätzlich zur Erhöhung von 2,5 Prozent eine Erhöhung von 100 Euro in jedem Lehrjahr erreicht.
    Besonders erfreulich sind die Verbesserungen für die Pflegeberufe. Die Erhöhungen sind zeitlich gestaffelt. PflegeassistentInnen erhalten 2018 zusätzlich 20 Euro und 2019 zusätzlich zehn Euro monatlich. PflegefachassistentInnen werden in die Verwendungsgruppe 6 eingestuft und erhalten dieses Jahr zusätzlich 30 Euro und nächstes Jahr weitere 30 Euro monatlich. Diplomierte KrankenpflegerInnen erhalten mit 2018 zusätzlich 50 Euro und 2019 weitere 50 Euro monatlich.
    Die zuschlagsfreie Mehrarbeit für Teilzeitkräfte wurde massiv reduziert. Jetzt gilt eine einheitliche Grenze von 16 Stunden pro Durchrechnungszeitraum, die ohne Zuschläge ausbezahlt werden darf. So wird der Mehrarbeitszuschlag früher fällig, somit wurde eine langjährige Forderung der Gewerkschaft zwar nicht ganz erfüllt, aber wir haben einen ersten Schritt getan, um die „Pufferstunden“ zu minimieren.
    „Heuer haben wir gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir gemeinsam auftreten. Wie in anderen Branchen auch gilt: Je mehr Mitglieder wir sind, desto besser ist die Absicherung unserer Rechte, regelmäßige Gehaltserhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen“, freuten sich die VerhandlerInnen von GPA-djp und vida, Reinhard Bödenauer und Michaela Guglberger.
    Mehr Info: tinyurl.com/y7xrefae

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    Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022368 GBH: "Kräfte bündeln" Gerade die Baubranche ist übermäßig von Lohn- und Sozialdumping betroffen. Die Folgen daraus treffen nicht nur österreichische ArbeitnehmerInnen und jene aus EU-Ländern, sondern auch undokumentiert Arbeitende. „Umso wichtiger ist die Arbeit der UNDOK-Anlaufstelle, die gerade diese eine Gruppe unterstützt, die am stärksten von Ausbeutung betroffen ist“, betonte Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, bei einer Veranstaltung Ende Februar in Wien.
    Unter dem Titel „Sie haben das Land mit aufgebaut“ gaben ExpertInnen einen Einblick in die Arbeitsausbeutung in der Bauwirtschaft und den Kampf dagegen. „Es braucht eine Bündelung der Kräfte von Gewerkschaften, ArchitektInnen, TechnikerInnen, zivilgesellschaftlichen Initiativen wie Selbstorganisationen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und gemeinsam gegen das Gegeneinander-Ausspielen von ArbeitnehmerInnen vorzugehen“, so Muchitsch.
    Marica Guldimann von der UNDOK-Anlaufstelle wies darauf hin, dass undokumentierte Arbeit in nahezu allen Branchen stattfindet und dass es der Anlaufstelle vor allem darum geht, betroffene KollegInnen im Sinne ihres Empowerments zu unterstützen. Der Anteil an Frauen, die die Anlaufstelle aufsuchen, sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen, ergänzte Guldimann.
    Die beiden Betriebsräte Christian Sambs und Dagistan Özdemir sowie Christian Ringseis, Sekretär bei der Gewerkschaft Bau-Holz Wien, berichteten von ihren Erfahrungen auf Baustellen. Sie wiesen darauf hin, wie in der Baubranche durch die Aufträge an Sub- und Subsubunternehmen ein Verdrängungswettbewerb stattfindet und dadurch das Lohnniveau sowie arbeits- und sozialrechtliche Standards nach unten gedrückt werden. Davon wäre insbesondere der Neubausektor betroffen, hier wären viel stärkere Kontrollen und auch Solidarität unter ArbeitnehmerInnen notwendig. „Denn VerliererInnen dabei sind immer alle ArbeitnehmerInnen“, so Sambs, Betriebsratsvorsitzender der Firma HAZET.
    Mehr Info: tinyurl.com/y7qfzvnv

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    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022347 Frisch gebloggt Pensionen: Panikmache als dreiste Masche
    Josef Wöss

    Österreich hat eine starke öffentliche Alterssicherung. Und wie aus den einschlägigen Daten hervorgeht, ist diese nicht nur die sicherste, sondern auch die kostengünstigste Variante. Langfristige Prognosen zeigen zudem, dass die jüngsten Pensionsreformen besser greifen, als von neoliberalen Kommentatoren gebetsmühlenartig bestritten wird. Wozu also die Panikmache? Wer ein nachweislich lang bewährtes System gezielt schwächt oder schlechtredet, muss sich die Frage nach seinen politischen Motiven gefallen lassen. In diesem Fall spiegeln diese eindeutig private Profitinteressen wider (Steuersenkungen für Unternehmen, Privatisierung der Altersvorsorge) – und widersprechen weitgehend den Interessen der Lohnabhängigen. Es braucht aber keine weitere Umverteilung von unten nach oben unter dem Deckmantel der nächsten großen „Pensionsreform“. Stattdessen sollte eine faire und nachhaltige Alterssicherungspolitik danach trachten, die Arbeitsmarktchancen der Menschen zu verbessern.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ycztnyx4 

    Gemeinsam stark: Lohndumping, nein danke!
    Susanne Wixforth

    Bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 war die Lohnentwicklung in Europa durch Reallohnzuwächse gekennzeichnet. Auch das Lohnniveau der neuen Mitgliedsländer konnte sich stetig dem EU-Durchschnitt annähern. Nicht zuletzt aufgrund der konservativen Krisenpolitik kam diese Entwicklung jedoch zum Erliegen. Die Lohnzurückhaltung und die Dezentralisierung von Tarifverhandlungen haben weder zu Wachstum geführt noch Beschäftigung geschaffen. Stattdessen treiben nun starke Lohngefälle einen Keil zwischen die Beschäftigten der einzelnen Länder. Die ArbeitnehmerInnen in Europa werden in einen Negativ-Wettbewerb getrieben, Lohn- und Sozialdumping begünstigt den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) setzt dieser Entwicklung die einzige funktionierende Antwort entgegen: Solidarität. Im Rahmen einer gemeinsamen „Pay-Rise-Kampagne“ fordern europäische GewerkschafterInnen Seite an Seite mehr Lohngleichheit – vor allem durch höhere und gerechtere Löhne.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y9hfaley

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    Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022328 Historie: Am Unglück selbst schuld Wie das Betriebsrätegesetz ist die österreichische Arbeitslosenversicherung eine Errungenschaft der demokratischen Republik von 1918 und Vorbild für andere Länder. Nach einigen Wochen schwieriger Verhandlungen wurde am 12. November 1918 die Republik ausgerufen. Eine ihrer ersten Maßnahmen war die Einführung einer staatlichen Arbeitslosenunterstützung für die ArbeiterInnen der Industrie, weil es akuten Handlungsbedarf gab. Der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Antal Mühlberger schilderte die Situation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als Ausschussberichterstatter vor dem Beschluss des Gesetzes „über die Unterstützung der Arbeitslosen“ im März 1920:
    Sie kennen den Stand der Arbeitslosigkeit und Sie wissen, dass die Arbeitslosigkeit nicht nur auf den Zusammenbruch der Front, sondern auch auf die Zerreißung unseres Staates zurückzuführen ist, wodurch uns die nötigen Rohstoffe, Kohle und Halbfabrikate fehlen, so dass die Verhältnisse natürlich sehr traurig sind.

    Unter diesen Bedingungen konnte 1919 kein ausreichendes Beschäftigungsangebot geschaffen werden. Die Arbeitslosenrate erreichte in diesem Jahr 18,4 Prozent, ein Wert, der erst in der Weltwirtschaftskrise 1932 überschritten wurde. Da die Notunterstützung nur für den Bereich der Industrie galt, bot sie nur etwas über 40 Prozent der Arbeitslosen ein Mindestmaß an Hilfe. Obwohl in erster Linie heimgekehrte Soldaten davon profitierten, kam es auch schon damals zu populistischen Angriffen auf die „Sozialschmarotzer“. In seiner Bilanzrede vom März 1922 erinnerte der frühere Sozialstaatssekretär Ferdinand Hanusch, zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses, an diese Widerstände:
    Es ist damals über die Arbeitslosen geradezu geschimpft worden wie heute. Man stand immer auf dem Standpunkte, dass der Arbeitslose an seinem Unglück selbst schuld sei und dass die öffentliche Gewalt infolgedessen nicht Ursache habe, einzugreifen.

    Karl Mühlberger, ein ehemaliger Berufsoffizier, parierte die Angriffe, indem er die Kosten für die Arbeitslosenhilfe den Kosten für die Kriegsführung gegenüberstellte: … so möchte ich feststellen, dass die Arbeitslosenunterstützung in diesen 16 Monaten insgesamt 447 Millionen Kronen gekostet hat, also ungefähr soviel, als die Kriegsführung in einer Woche verschlungen hat.

    Im Jahr 1920 zeichnete sich ein rasanter Rückgang der Arbeitslosigkeit ab, gleichzeitig war die junge Republik so gut wie pleite und konnte die Unterstützungsleistung nicht mehr allein finanzieren. Die Situation schien günstig, um das soziale Netz für den Fall der Arbeitslosigkeit auf eine neue Grundlage zu stellen und gleichzeitig weiter zu spannen. Mit dem Gesetz vom März 1920 wurde auch für die Unterstützung von Arbeitslosen das Versicherungsprinzip eingeführt, mit Finanzierung zu je einem Drittel durch Beiträge der ArbeitnehmerInnen, der Arbeitgeber und aus dem Staatsbudget. Im Zuge der deflationären Budgetsanierung mit extremer Sparpolitik ging der Staatsanteil allerdings auf null zurück, bis die Weltwirtschaftskrise die „Selbstregulierungskräfte des Marktes“ infrage stellte.  

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1520478022322 Ein Heimkehrertransport in Marchegg im November 1919. An allen Grenzen sah es ähnlich aus. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 12 Mar 2018 00:00:00 +0100 1520478022314 Standpunkt: Selber Durchschummler! Es ist das neue Unwort, in seiner Form passend zur neuen Regierung, die sich so sehr darum bemüht, das Heft der (freilich nur positiven) Kommunikation in der Hand zu halten. Deshalb nimmt man auch nicht mehr das hässliche Wort „Sozialschmarotzer“ in den Mund. Vielmehr spricht man von „Durchschummlern“.
    Bloß um die Definition, wer denn diese nun genau sind, hat sich die Regierung selbst durchgeschummelt. Aus dem bisher Gesagten lässt sich schließen, dass in diese Kategorie etwa jene fallen, die erst kurz in das System einbezahlt haben. Bei ihnen will man auf das Vermögen zugreifen. Nur woher sollen sie dieses Vermögen haben, wenn sie erst kurz so viel verdienen, dass sie überhaupt Steuern und Sozialabgaben zahlen?

    Herzlich wenig zu holen
    Wie dem auch sei, sollten sie es geerbt haben, könnte man argumentieren, dass im Grunde wenig dagegenspricht, dass sie es vorher aufbrauchen, bevor sie Sozialleistungen beziehen. Ein Blick in die Statistik aber zeigt, dass es mit dem Vermögen bei Arbeitslosen nicht weit her ist – und von daher auch herzlich wenig zu holen ist, das einen so radikalen Systembruch legitimieren würde, wie es die Abschaffung der Notstandshilfe wäre.
    Sinnvoller wäre jedenfalls, über Vermögens- und insbesondere Erbschaftssteuern zu sprechen. Immerhin ließen sich dort dringend notwendige Finanzmittel lukrieren, um den Sozialstaat nachhaltig abzusichern; um ein Pflegesystem zu entwickeln, das nicht auf der Ausbeutung von MigrantInnen beruht; oder aber um Frauen tatsächlich Wahlfreiheit zu ermöglichen. Vor allem aber ließen sich wertvolle Maßnahmen für Arbeitslose finanzieren. Genau hier aber plant die Regierung weitere Kürzungen – und auch hier schummelt sie sich durch. Das größte Problem sei, dass Menschen nicht arbeiten wollten, so die Behauptung der Regierungsparteien. Die Lösung: mehr Sanktionen.
    Dabei gibt es aus der Forschung keine Evidenz, dass Sanktionen wirklich dazu führen, dass Menschen schneller wieder Arbeit finden. Das Beispiel Deutschland zeigt zudem eindrücklich, dass man mit der Abschaffung der Notstandshilfe das genaue Gegenteil dessen erreicht, was als Ziel lautstark verkündet wird, nämlich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Vielmehr nimmt man damit Menschen, die schon im Regen stehen, sogar noch den Regenschirm weg.
    Interessant in diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse einer Untersuchung, die das Forschungsinstitut Forba über Langzeitarbeitslose gemacht hat.  „Die wichtigsten Faktoren, die eine Arbeitsaufnahme beeinflussen, sind einerseits die Dauer der Arbeitslosigkeit selbst; die psychische Stabilität, die sich wiederum in einem ausgeprägten Selbstwertgefühl ausdrückt; ein guter körperlicher Gesundheitszustand; eine notwendige berufliche Neuorientierung und die dafür benötigten Qualifizierungsmaßnahmen; eingeschlagene Bewerbungsstrategien und die Unterstützung durch das AMS.“

    Völlig kontraproduktiv
    Liest man sich die Ergebnisse durch, so ist das Regierungsrezept „Disziplinierung“ völlig kontraproduktiv. Denn es lässt Vorurteile aufkochen – und eben diese Vorurteile behindern bei der Arbeitsuche. Sind Arbeitslose nämlich  davon überzeugt, dass nicht sie selbst dafür verantwortlich sind, dass sie keine Arbeit finden, sondern die Struktur, so haben sie deutlich bessere Chancen am Arbeitsmarkt als Menschen, die die Ursache bei sich selbst suchen.
    Und es ist in der Tat die Struktur, die verantwortlich ist, denn es gibt schlichtweg nicht genügend Arbeitsplätze. Nicht nur in den Ohren vieler (Langzeit-)Arbeitsloser muss es daher zynisch klingen, wenn ihnen unterstellt wird, sie seien einfach arbeitsunwillig – wo die meisten von ihnen nichts lieber tun würden als arbeiten.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 2/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058830333 Bildung als Basis Es ist der letzte Tag des dreitägigen Seminars „Kommunikation für die ArbeitnehmerInnenvertretung“. An den Wänden von Raum 24 im AK-Bildungszentrum im 4. Wiener Gemeindebezirk hängen jede Menge bunt beschriebene Flipchart-Seiten. Bunt ist auch die Gruppe von BetriebsrätInnen. Die insgesamt 16 TeilnehmerInnen kommen aus ganz Österreich und aus ganz unterschiedlichen Branchen. Die Stimmung ist locker und freundschaftlich, doch gleichzeitig auch ruhig und konzentriert, wenn Trainerin Barbara Albert oder ihr Kollege Heinz Eitenberger über Kommunikationsbasics referieren oder die nächste praktische Übung erklären. Kein Zweifel, die beiden sind ein gut eingespieltes Team. Die Mischung aus lebensnahen Beispielen aus dem Arbeitsleben, theoretischem Input, praktischen Übungen und humorvollen Statements lässt keinerlei Langeweile aufkommen.

    Zuhören
    So lautet das Thema der letzten Übung vor der Mittagspause. Acht TeilnehmerInnen verlassen mit Barbara den Raum. Sie sollen anschließend einen Partner oder eine Partnerin suchen und zwei Minuten lang über ein frei gewähltes Thema referieren. Die zweite Hälfte der Gruppe hat die Aufgabe, während der ersten Minute aufmerksam zuzuhören und danach eindeutig unaufmerksam zu sein. Sinn der Übung ist es herauszufinden, wie man sich fühlt und reagiert, wenn der oder die GesprächspartnerIn sich plötzlich mit dem Handy beschäftigt oder ständig auf die Uhr sieht.

    Mehr über mich selbst erfahren
    Dieser Wunsch steht unter anderem auf der Liste der Erwartungen auf einem der Flipcharts. Durch solche Übungen ist das zweifellos möglich. Wertschätzender Umgang mit anderen und sich selbst, das ist für BetriebsrätInnen besonders wichtig, um nicht irgendwann auszubrennen. Gerhard Schulz, Betriebsratvorsitzender in einem Wiener IT-Unternehmen, findet es auch mit über 60 noch gut, neben reiner Wissensvermittlung und vielen Beispielen aus der Praxis auch etwas über sich selbst zu lernen: „Durch die Übungen bekommt man quasi einen Spiegel vorgehalten. Das ist wichtig, schließlich gehören zur erfolgreichen Kommunikation immer mindestens zwei Menschen. Ich möchte fast sagen, das ist das beste Seminar, das ich je besucht habe.“
    Besonders wertvoll ist für die TeilnehmerInnen der Austausch mit den anderen SeminarteilnehmerInnen – sowohl direkt im Seminar als auch in den Pausen. Daniel Painter, 36, Lokführer und stellvertretender BR-Vorsitzender, hat bisher hauptsächlich Fachseminare mit Frontalunterricht besucht, wie etwa Kassaführung. „Hier läuft es zum Glück ganz anders, als ich erwartet habe. Toll finde ich auch, dass nicht nur Standardbeispiele verwendet werden, sondern die KollegInnen alle sehr offen über ihren Alltag, ihre Probleme, Schwierigkeiten und Erfolge erzählen.“ Der Kärntner hat das Seminar auch deshalb gewählt, weil er immer etwas Scheu vor dem Referieren hatte. „Da fühle ich mich jetzt sicherer. Durch die Gruppen- und Einzelübungen wurde mein Selbstvertrauen gestärkt.“

    Soziale Kompetenz
    Das Seminar „Kommunizieren – Kommunikation für die ArbeitnehmerInnenvertretung“ ist eines der beiden Basismodule des VÖGB-Lehrgangs „Soziale Kompetenz“, der zweite hat den Titel „Frei reden“. Aufbauend auf diese Basismodule können die TeilnehmerInnen dann zwischen fünf Spezialmodulen wählen: Organisation und Teamarbeit, Öffentlichkeits- und Medienarbeit, Prävention und Beratung, Kompetenter Auftritt und Präsentation, Vielfalt und Chancengleichheit im Betrieb.
    Sobald aus einem dieser Spezialmodule vier Seminare absolviert wurden, erhält man ein Zertifikat. „Es ist auch möglich, Seminare einzeln, also unabhängig von einer Lehrgangsteilnahme zu besuchen“, erklärt Lehrgangsleiterin Kristina Zoufaly. Wer die Gewerkschaftsschule, eine BetriebsrätInnen-Akademie oder Sozialakademie absolviert hat, kann die Seminare übrigens auch ohne Basismodule besuchen.
    Aufbau und Ablauf der verschiedenen Lehrgänge sind allerdings unterschiedlich, so gibt es etwa beim Lehrgang „Politik, Recht und Wirtschaft“ nur ein Basis- und zwei Spezialmodule. Doch eines bleibe immer gleich, betont Kristina Zoufaly: „Bei allen Seminaren legen wir großen Wert darauf, dass die ReferentInnen nicht nur fachlich versiert sind, sondern auch über den Alltag, die Probleme und Herausforderungen von BetriebsrätInnen gut Bescheid wissen. Der Besuch unserer ReferentInnen Akademie ist daher für externe TrainerInnen ohne gewerkschaftliche Erfahrung besonders wichtig.“ Wichtig sind aber auch die Rückmeldungen der SeminarteilnehmerInnen. Diese bekommen mittels Online-Fragebogen die Gelegenheit, ihr Feedback zu Hause und ohne Zeitdruck zu formulieren.

    Am Puls der Zeit
    Dass (Weiter-)Bildung eine grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche ArbeitnehmerInnenvertretung ist, hat man in der Gewerkschaftsbewegung schon früh erkannt. Schon einige Zeit bevor im Jahr 1870 Gewerkschaften erlaubt wurden, entstanden die Arbeiterbildungsvereine, um Gleichberechtigung für die ArbeiterInnen zu erreichen – der Nebeneffekt: Diese Vereine konnten in Zeiten politischer Unterdrückung eine Organisationsbasis bilden. Mit ihren Anfängen in der Ersten Republik und der Neubegründung 1947 ist die Wiener Gewerkschaftsschule heute eine der ältesten gewerkschaftlichen Ausbildungen in Österreich.
    Aktuell bieten AK und ÖGB allen interessierten Gewerkschaftsmitgliedern, FunktionärInnen und BetriebsrätInnen zahlreiche Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung – auch mit modernen Kommunikationsmitteln. So können die VÖGB/AK-Skripten jetzt auch via App gelesen werden.

    Vielfältige Angebote
    Grundsätzlich sind vor der Teilnahme an einer Veranstaltung des zentralen VÖGB/AK-Bildungsangebots die Grundseminare der eigenen Gewerkschaft zu besuchen. Ausnahmen sind mit Zustimmung der zuständigen Gewerkschaft möglich. Insgesamt gibt es heuer fünf Lehrgänge. Zum Teil finden die Basismodule und Seminare auch in Salzburg oder Linz statt. Zielgruppe sind BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen, Jugendvertrauenspersonen, GewerkschaftsfunktionärInnen, ÖGB- und AK-Angestellte sowie aktive GewerkschaftsschülerInnen. Außerdem unter anderem im Bildungsangebot: BetriebsrätInnen-Akademien in Wien, Nieder- und Oberösterreich sowie in der Steiermark, Sozialakademie (seit 2011 inklusive Auslandspraktikum), Seminare für Sicherheitsvertrauenspersonen, internationale und europäische Seminare des European Trade Union Institute (ETUI).
    Doch zurück ins AK-Bildungszentrum: Beim Mittagessen in der Kantine herrscht allgemein Einigkeit, alle sind vom Seminar sehr angetan und freuen sich über die Gelegenheit zum kollegialen Austausch. Als Wiener Betriebsrätin ist Sabine Rabek, 54, nicht zum ersten Mal hier: „Doch ich bin jedes Mal wieder beeindruckt, was die AK da aufgestellt hat und wie viele Menschen hier ausgebildet werden.“ Eine Teilnehmerin von der WU Wien möchte den kompletten Lehrgang „Soziale Kompetenz“ absolvieren. „Ich bin generell sehr weiterbildungsfreudig und habe schon mehrere Seminare mitgemacht. Nur der Themenkreis Gesundheit ist bei mir allerdings bisher zu kurz gekommen. Ich finde das Seminar wirklich hochwertig und sehr interessant.“
    Und zum Abschluss bringt es Trainer Heinz Eitenberger auf den Punkt: „Jetzt bei der Bildung zu sparen wäre ein großer Fehler. Nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeitgeber für ihre Weiterbildung auch viel Geld investieren. Und wir wollen mit diesen doch auf Augenhöhe reden können.“

    Download „Bildungsangebot 2018“:
    tinyurl.com/y9appu7d
    Skripten und Broschüren zum Download
    www.voegb.at/skripten
    Publikation 70 Jahre Wiener Gewerkschaftsschule:
    tinyurl.com/yd6dnptq

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058830327 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058830298 Die Erfolgsformel Im vergangenen Herbst ging es auf den Pariser Straßen heiß her. Hunderttausende DemonstrantInnen protestierten gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform von Präsident Emmanuel Macron. Landesweit fanden 200 Demonstrationen statt, zu denen die führende Gewerkschaft CGT aufgerufen hatte. Transparente mit „Faulenzer aller Länder, vereinigt euch“-Sprüchen wurden hochgehalten, als Anspielung auf Macrons Hardliner-Kurs, „Faulenzern und Zynikern“ keine Zugeständnisse zu machen. Die Proteste richteten sich gegen Lockerungen im Arbeitsrecht, Aufweichung des Kündigungsschutzes und Zusammenlegungen von ArbeitnehmerInnenvertretungen.

    Neidiger Blick auf Österreich
    Anders als in Österreich gibt es in Frankreich oder Großbritannien fast keine festgeschriebenen Rechte mehr, diese wurden im Zuge umfassender Reformen aufgehoben. In diesen Ländern kommt es also darauf an, wie stark die Gewerkschaft ist. Viele Gewerkschafter blicken von daher geradezu neidisch nach Österreich, wie Oliver Röpke aus seiner Arbeit in Brüssel weiß, wo er als Leiter des ÖGB-Europabüros täglich mit KollegInnen aus anderen Ländern zu tun hat. „Das Modell von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft, wie es in Österreich sowohl auf betrieblicher Ebene als auch durch die SozialpartnerInnen gelebt wird, ist eines der erfolgreichsten in Europa“, bestätigt er.
    Die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen ist in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt, aber inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil des europäischen Sozialmodells geworden, berichtet Röpke. „Deswegen verteidigt der ÖGB bei neuen europäischen Unternehmensformen die österreichischen Mitbestimmungsstandards. Erst kürzlich ist dies erfolgreich gelungen, denn die EU-Kommission musste ihren Vorschlag für eine ‚Europäische Einpersonengesellschaft‘ nach langer gewerkschaftlicher Kritik schließlich zurückziehen.“

    Große Kluft
    Die Rechte der ArbeitnehmervertreterInnen klaffen in Europa weit auseinander. Die Mitbestimmung kann dabei so weit gehen wie in Österreich und Deutschland, dass diese an unternehmerischen Entscheidungen und der Einsetzung des Managements beteiligt werden müssen. In den meisten Ländern gibt es eine Betriebsvertretung nur in Unternehmen mit mehr als 35 MitarbeiterInnen. In Ländern wie zum Beispiel Deutschland, Frankreich, Österreich oder Belgien wird die Mitbestimmung vom Gesetzgeber vorgegeben, in anderen Ländern wird sie im Betrieb zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen ausgehandelt.
    „Betriebsräte als gewählte autonome Belegschaftsvertretung auf gesetzlicher Grundlage gibt es außer in Österreich nur in Deutschland und in den Niederlanden. Betriebsräte in Österreich und Deutschland sind auf die große Demokratiebewegung nach 1918 zurückzuführen“, gibt Historikerin Brigitte Pellar einen geschichtlichen Einblick. Das österreichische Betriebsrätegesetz von 1919 war laut Pellar weltweit das erste, an dem sich später das deutsche Modell orientierte.

    Besorgniserregende Entwicklung
    „Faschistische Regime dulden natürlich keine demokratische Mitbestimmung. In Österreich wurden die Betriebsräte ab 1934 in ‚Werksgemeinschaften‘ unter Vorsitz eines Unternehmensvertreters bzw. einer Unternehmensvertreterin umgewandelt. Unter nationalsozialistischer Herrschaft verschwanden sie ganz und wurden durch eine soziale Belegschaftsorganisation im Rahmen der Deutschen Arbeitsfront ersetzt“, so Pellar. Das neue Betriebsrätegesetz konnte erst 1947 beschlossen werden. Die Historikerin zeigt sich ebenfalls über die aktuelle Entwicklung besorgt: „Die Absicht der österreichischen Politik, die Bedeutung der überbetrieblichen Kollektivverträge zu unterlaufen und betriebliche Vereinbarungen in den Vordergrund zu stellen, würde die Rolle der Betriebsräte als ‚Wächter der Kollektivverträge‘ praktisch unwirksam machen und sie dem Druck von oben im Unternehmen aussetzen.“ Erhöhte Wachsamkeit sei notwendig: „Überall dort, wo ein solcher Weg beschritten wurde, sind Lohnniveau und Arbeitsbedingungen in sehr kurzer Zeit deutlich schlechter geworden.“
    In Österreich wird im Vergleich zu Frankreich wenig gestreikt. Auch in Italien, Spanien oder Belgien steigt man weit häufiger auf die Barrikaden. So blicken auch internationale Unternehmen mit Neid auf den sozialen Frieden in Österreich. „Wir sind seit Jahrzehnten einen hohen Grad an sozialpartnerschaftlichem Grundkonsens gewohnt. Die offene Austragung von Konflikten wird nur als das letzte Mittel gesehen“, erklärt der Internationale Sekretär der GPA-djp, Wolfgang Greif. „Für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen steht die Kooperation im Vordergrund. Das gilt nicht nur bei Kollektivverhandlungen, sondern auch im Betrieb und Unternehmen.“  

    Gute rechtliche Grundlagen
    Warum funktioniert hierzulande die Belegschaftsvertretung besser als in vielen anderen EU-Ländern? „Nicht zuletzt, weil es gute rechtliche Grundlagen für die Betriebsratsarbeit gibt. Das Arbeitsverfassungsgesetz enthält umfangreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte“, weiß Greif aus der Praxis. Ein Betriebsrat kann in Österreich in allen Betrieben ab fünf Beschäftigten eingerichtet werden und wird von der Belegschaft für fünf Jahre gewählt. Der Betriebsrat hat nicht nur in sozialen und personellen, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen das Recht zur Unterrichtung und Anhörung. In einigen Fällen – etwa im Bereich der Arbeitsorganisation – bedarf eine Unternehmensentscheidung der Zustimmung des Betriebsrates. Dazu kommt in Kapitalgesellschaften auch noch die Mitwirkung der Betriebsräte bei der Unternehmensführung in den Aufsichtsräten. Der Betriebsrat ist somit nicht nur Schutzinstanz für Beschäftigte etwa bei Kündigungen, sondern auch deren Fürsprecher in der Unternehmensführung.
    Auch wenn der Betriebsrat als wichtigstes Organ der ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb als solches kein Gewerkschaftsorgan ist, so basiert die gewerkschaftliche Arbeit in enger Zusammenarbeit. Die überwiegende Mehrheit des Betriebsrats gehört einer Gewerkschaft an.
    Eine zweite Besonderheit in Österreich ist, wie Greif betont, dass für mehr als 95 Prozent aller Beschäftigten die Gehaltserhöhungen über Kollektivverträge von den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Das nimmt Druck vom Betriebsrat.

    Schwächung bewährter Strukturen
    Die neue türkis-blaue Regierung plant unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus – Stichwort Zusammenlegung von Betriebsratskörperschaften bis hin zur Abschaffung eigenständiger Jugendvertrauensräte –, bewährte Strukturen zu schwächen. Darüber hinaus sollen bislang überbetriebliche und konfliktbeladene Bereiche wie flexible Arbeitszeitregelung in den Betrieben selbst verhandelt werden.
    GPA-djp-Sekretär Greif warnt vor diesem neuen Reform-Wahn und erinnert an die heimische Stärke: „Der soziale Frieden ist einer der größten Standortvorteile Österreichs, der von Arbeitgebern hochgehalten wird und den man unbedingt pflegen soll.“ Es bleibt laut Greif abzuwarten, wie künftig mit dem bewährten Set des Interessenausgleich zwischen Wirtschaft und Politik umgegangen wird: „Das fängt beim Umgang mit der Arbeiterkammer an und setzt sich dort fort, wo mehrere Betriebsratskörperschaften als zu viele erachtet werden.“ Seit über 50 Jahren herrscht ein Grundkonsens darüber, dass eine starke Stimme der ArbeitnehmerInnen mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist. „Andere Länder haben uns stets um diesen sozialpartnerschaftlichen Konsens beneidet – in der Politik, in der Wirtschaft und in den Unternehmen. Wenig überraschend, dass vielerorts Kopfschütteln darüber vorherrscht, dass sich die neue Regierung davon verabschieden will und damit viel riskiert“, resümiert Greif.

    Weiterführende Links:
    etui.org
    www.boeckler.de

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058830288 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829827 Betriebsräte ohne Grenzen Renault, OMV, EVN, Siemens, Uni-Credit oder die Erste Group haben eines gemeinsam: Diese Unternehmen haben Standorte und Tochterunternehmen in mehr als nur einem Land. Wesentliche Unternehmensentscheidungen, die für alle Länder gelten, werden zentral am jeweiligen Hauptsitz getroffen und dann an den verschiedenen Standorten umgesetzt. Bei solchen grenzüberschreitenden Unternehmens- und Entscheidungsstrukturen stoßen die Interessenvertretungen zunehmend an ihre Grenzen, denn ihre Handlungsfähigkeit ist in hohem Maß auf den nationalen Rahmen beschränkt. Diese Herausforderung war vor mehr als 20 Jahren der Anstoß für die EU-Gesetzgebung zur Gründung des sogenannten Europäischen Betriebsrates.

    30 Jahre Warten
    Bereits in den 1960er-Jahren äußerten die Gewerkschaften Bedarf an einer europaweiten, grenzüberschreitenden ArbeitnehmerInnenvertretung, um die Ebene der nationalen Belegschaftsvertretungen zu ergänzen. Erst dreißig Jahre später sollte der Wunsch in Erfüllung gehen. Aufgrund der Einführung des EU-Binnenmarktes und des veränderten Vertrages der Europäischen Gemeinschaft gab das 1992 eingeführte Mehrheitsverfahren grünes Licht für die Gründung Europäischer Betriebsräte. Als Rechtsgrundlage für dessen Gründung gilt die am 22. September 1994 beschlossene Europäische Betriebsratsrichtlinie, die im Jahr 2009 auf Drängen der Gewerkschafen in Europa novelliert wurde. Darin vorgesehen ist eine grenzüberschreitende, europaweite ArbeitnehmerInnenvertretung mit Konsultations- und Informationsrecht in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen in der EU.

    Tu felix Austria?
    Die EBR-Richtlinie 2009/38/EG wurde – je nach nationaler Präferenz einmal mehr oder weniger – in den 28 EU-Mitgliedsländern umgesetzt. Wolfgang Greif, Vorsitzender des EU-Ausschusses in der AK Wien und Leiter der Europaabteilung der GPA-djp, zeigt sich über die Umsetzung der Richtlinie in Österreich zufrieden. „Es wurden in einzelnen Punkten auch die Möglichkeiten ausgeschöpft, dort, wo die Richtlinie den Mitgliedstaaten weiterführende Regelungen einräumt, Konkretisierungen vorzunehmen“, sagt Wolfgang Greif. So geschehen sei dies beispielsweise hinsichtlich einer konkreteren und umfassenderen Definition, bei welchen Entscheidungen es sich um eine sogenannte „länderübergreifende Angelegenheit“ handelt und somit der EBR befasst werden muss.
    Wie sehr ist der EBR in Österreich verankert? Bisher haben knapp 20 europaweit bzw. global agierende Unternehmensgruppen mit Sitz der Konzernzentrale in Österreich einen Europäischen Betriebsrat gegründet. „In diesen Fällen laufen die Verhandlungen zur Etablierung eines EBR nach österreichischem Recht ab, und die österreichischen Betriebsräte und die zuständige Gewerkschaft übernehmen hier zumeist die leitende Steuerungsfunktion“, sagt Wolfgang Greif. Dazu gesellen sich noch einige multinationale Konzerne mit Stammsitz außerhalb der EU, die Österreich als europäischen Konzernsitz gewählt haben. In der überwiegenden Anzahl sind aber österreichische Betriebsräte und Gewerkschaften mit Euro-Betriebsräten in Konzernen konfrontiert, die ihren Stammsitz in einem anderen EU-Land und an einem oder mehreren Standorten in Österreich haben. Und der EBR wächst, nicht nur in Österreich: Jährlich kommen zusätzlich zu den bereits mehr als 1.100 bestehenden Gremien rund 30 bis 40 neue, von den nationalen Gewerkschaften ausverhandelte Europäische Betriebsräte dazu.

    Komplexe Situation
    In großen, internationalen Unternehmen stehen Euro-Betriebsräte oft vor Herausforderungen, mit denen nationale Betriebsräte weniger konfrontiert sind. Verschiedene Rechtssysteme, Begriffsdefinitionen und Sprachenvielfalt können zu Missverständnissen führen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich Unternehmensleitungen nur allzu oft nicht an den Kern der EU-Gesetzgebung halten. Denn laut dieser müssen die ArbeitnehmerInnenvertretungen bereits vor Entscheidungsfindung über geplante Veränderungen im Unternehmen bzw. im Konzern informiert werden – beispielsweise über Restrukturierungspläne. Darauf muss eine seriöse Anhörung stattfinden, damit auch die Sicht des EBR noch miteinbezogen werden kann. Betriebsräte werden jedoch von vielen Unternehmensleitungen „übersehen“, vor allem bei Konzernen in Ländern, in denen keine stabile Gewerkschaftskultur vorhanden ist.

    Mangelnde Akzeptanz
    Tendenziell hängt die Qualität der Zusammenarbeit mit dem Europäischen Betriebsrat ohnehin von der Akzeptanz der Geschäftsführung ab. „Je mehr der soziale Dialog – die Kooperation zwischen Management und Betriebsrat – zum guten Standard der Unternehmenskultur in der Konzernzentrale gehört, desto produktiver zumeist auch die länderübergreifende Zusammenarbeit“, sagt Greif. So ist in skandinavischen, deutschen und österreichischen Konzernen zumeist eine bessere Kooperation gegeben als etwa in US-amerikanischen, britischen oder französischen Unternehmen. Denn wenn bereits auf nationaler Ebene Konflikte vorherrschen, stößt auch die EBR-Arbeit auf weniger fruchtbaren Boden. Langfristig gesehen, müssen Betriebsräte noch professioneller agieren und zu einem fixen Faktor der Unternehmensplanung werden, um gleichermaßen von der Geschäftsleitung akzeptiert und in Firmenentscheidungen miteinbezogen zu werden.
    Der grenzüberschreitende Kampf für die Rechte der ArbeitnehmerInnen in der EU lohnt sich trotz alledem: In seinem fast zwanzigjährigen Bestehen konnte der Europäische Betriebsrat nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa schon einige Erfolge verzeichnen. In mehreren Fällen wurden bei Restrukturierungen mit sozialverträglichen Maßnahmen harte Einschnitte verhindert und die Auswirkungen auf die Belegschaft abgemildert. Österreich gilt dank einer guten Gesetzgebung vielerorts als Modell, in dem die Betriebsräte mit starken Instrumenten ausgestattet sind. So kann beispielsweise der Betriebsrat im Falle einer Werksschließung einen Sozialplan einklagen und können somit den ArbeitnehmerInnen Kompensationszahlungen ausgezahlt werden.

    Wichtige Rolle
    In vielen anderen EU-Ländern sind solche sozialen Maßnahmen in der Gesetzgebung nicht vorgesehen – daher ist es von umso größerer sozialpolitischer Bedeutung, wenn etwa auch über den Europäischen Betriebsrat Sozialpläne und -leistungen in Ländern ausgehandelt werden, in denen dies innerstaatlich nicht vorgesehen ist. Hinzu kommen Interventionen seitens des EBR bei Übernahmeverhandlungen bis hin zur Rettung ganzer Standorte. In zahlreichen Fällen war der EBR auch Ausgangspunkt zur Einrichtung von lokalen und nationalen Belegschaftsvertretungen in bislang vertretungsfreien Länderstandorten.
    Im November 2018 bekannten sich die 28 EU-Staaten in einer Erklärung dazu, gemeinsame soziale Mindeststandards voranzutreiben, darunter faire Löhne, Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und angemessene Pensionen. Auch bei der Umsetzung dieser Initiative kommt den Europäischen Betriebsräten eine wichtige Rolle zu. Denn es liegt auch an ihnen, mit spürbaren Projekten der Initiative Leben einzuhauchen – in erster Linie gegen Lohn- und Sozialdumping vorzugehen – und den Menschen damit auch zu beweisen, dass die EU entscheidend zu der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen beiträgt.

    Der Elefant im Porzellanladen
    Ein weiteres Anliegen, das jeder EBR aktiv angehen sollte, ist, die Arbeitsmarktchancen Jugendlicher und Älterer gerade auch in der eigenen Unternehmensgruppe zu verbessern. „Der Elefant im Porzellanladen ist allerdings der bevorstehende Brexit, den es zu bewältigen gilt. Großbritannien muss sich rasch festlegen, welchen Weg es nun einschlagen will“, sagt Wolfgang Greif. „Davon hängt es letztendlich auch ab, ob EU-Recht auch künftig Rechtswirkung entfalten wird und wie es mit bestehenden Euro-Betriebsräten und britischen EBR-Mitgliedern nach einem formalen EU-Austritt weitergeht.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829821 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829813 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829704 Stimme der Jugend muss bleiben Als vor über 40 Jahren durch den Einsatz der Österreichischen Gewerkschaftsjugend im Jahr 1973 das Jugendvertrauensrätegesetz in Kraft trat, war das ein Meilenstein für die Mitbestimmung junger Menschen im Betrieb. Daran erinnert sich auch noch Rudi Kaske, Präsident der Arbeiterkammer und einer der ersten Jugendvertrauensräte in Österreich: „Die Aktion ‚M‘ stand für Mitbestimmung und wir sammelten dabei im Betrieb, unter Freunden, in der Berufsschule, aber auch auf der Straße Unterschriften für das Gesetz zur Schaffung eines Jugendvertrauensrats. Innerhalb von drei Monaten kamen so mehr als 51.000 Unterschriften zusammen. Unser Einsatz, das Mund-Aufmachen und sich zu engagieren hatten sich ausgezahlt!“
    Die JugendvertrauensrätInnen vertreten die Interessen der Lehrlinge und junger Beschäftigter im Betrieb. Sie kümmern sich darum, dass gesetzliche Bestimmungen zur Lehrlingsausbildung eingehalten werden, sind Ansprechperson bei schulischen und privaten Problemen, und sie dienen als Bindeglied zwischen Vorgesetzten und Lehrlingen.

    Hineinversetzen
    „Man kann sich als Jugendvertrauensrat viel besser in die Rolle der Lehrlinge versetzen, weil man selbst Lehrling war oder ist und sich auch im gleichen Alter befindet. Da weiß man einfach, mit welchen Problemen die Kollegen und Kolleginnen inner- und außerhalb des Betriebs zu kämpfen haben“, erzählt Amer Kaniza, Jugendvertrauensrat bei Anker Snack & Coffee in Wien.
    Ähnlich dem Betriebsrat ist in jedem Betrieb mit mehr als fünf Lehrlingen und/oder Jugendlichen ein Jugendvertrauensrat zu wählen. Wahlberechtigt sind alle Beschäftigten unter 18 Jahren bzw. Lehrlinge unter 21 Jahren. Als Jugendvertrauensrat kandidieren können alle, die das 23. Lebensjahr am Tag der Wahlausschreibung noch nicht vollendet haben. Gewählt wird alle zwei Jahre.
    Im Regierungsprogramm heißt es nun: „Das aktive Wahlalter bei Betriebsratswahlen wird von 18 auf 16 Jahre gesenkt (Harmonisierung mit ‚Wählen ab 16‘) und ersetzt den Jugendvertrauensrat.“ Dass das aktive Wahlrecht bei Betriebsratswahlen auf 16 gesenkt werden soll, ist grundsätzlich positiv. „Wir würden sogar weiter gehen und die Wahlalterbegrenzung für Betriebsratswahlen gänzlich streichen“, so Sascha Ernszt, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. Gegen das Vorhaben, den Jugendvertrauensrat ganz abzuschaffen, bildet sich aber eine breite Front. „Wenn das Wahlalter für Betriebsratswahlen auf 16 Jahre gelegt wird und damit Jugendvertrauensräte angeblich abgelöst werden, verlieren alle 15-jährigen Lehrlinge ihr Mitspracherecht im Betrieb. Das ist circa ein Drittel aller Lehrlinge, die damit ihrer Stimme beraubt werden“, ärgert sich Theresa Öfner. Die 19-Jährige war bis vor Kurzem Jugendvertrauensrätin bei Sandoz in Tirol und hat sich dort für die jungen Beschäftigten starkgemacht. „Viele könnten dann auch den Betriebsrat nicht wählen, weil eine Lehrzeit zwischen drei und vier Jahre dauert, der Betriebsrat aber nur alle fünf Jahre gewählt wird“, ergänzt sie.
    Auch René Pfister, Mitglied des Angestelltenbetriebsrates der Austrian Airlines, sieht in der Mitbestimmung von Jugendlichen nur Vorteile: „Die Interessen, Wünsche sowie Forderungen von Jugendlichen werden durch Jugendliche am besten artikuliert. Wie sollen die Jungen lernen, sich für Interessen einzusetzen, wenn sie selbst keine Möglichkeit dafür bekommen? Wenn es zum Beispiel ein Problem in der Lehrlingsausbildung gibt, ist es besser, wenn der Jugendvertrauensrat oder die Jugendvertrauensrätin direkt mit den Ausbildnern spricht, ohne mehrere Personen zwischenschalten zu müssen. Der direkte Weg ist der effektivste.“

    Jugendvertrauensräte gebraucht
    Die Ergebnisse des Lehrlingsmonitors 2015 der Österreichischen Gewerkschaftsjugend zeigen, dass es für den Jugendvertrauensrat viel zu tun gibt, vor allem in puncto Ausbildungsqualität. Weniger als die Hälfte der 6.000 Befragten gibt an, bei der Vorbereitung zur Lehrabschlussprüfung nicht vom Betrieb unterstützt zu werden. Nur zwei von fünf Lehrlingen haben über die Anforderungen der Lehrabschlussprüfung mit ihrem Ausbildner oder ihrer Ausbildnerin gesprochen. Ein Drittel der Lehrlinge leistet – nicht immer freiwillig – Überstunden und fast die Hälfte muss Arbeiten unter Zeitdruck durchführen.
    Jugendvertrauensräte vermitteln oftmals auch bei Streit zwischen Lehrlingen, helfen bei privaten und schulischen Problemen und dienen als Bindeglied zwischen Berufsschule und Ausbildung im Betrieb. „In der Welt der Lehrlingsausbildung verändert sich alles immer schneller und Betriebsräte haben oft keinen Einblick in die Berufsschule mehr. Es ist also essenziell wichtig, eine eigene Vertretung zu haben, die sich in der gleichen Situation wie die Lehrlinge befindet“, ist sich Theresa Öfner sicher. Die Erfahrung zeigt also, dass sich Jugendliche bei Problemen an gleichaltrige Vertrauenspersonen wenden und nicht an Betriebsräte, die meist deutlich älter als sie selbst sind. „Das Konzept ‚Jugendliche vertreten Jugendliche‘ hat sich voll bewährt. Denn nur der Jugendvertrauensrat vertritt ausschließlich die Interessen der jungen ArbeitnehmerInnen, daher muss der Jugendvertrauensrat bleiben“, so der Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. Auch von Wirtschaftsseite kommt Unterstützung. „Lehrlinge wenden sich naturgemäß lieber an gleichaltrige Interessenvertreter als an den ‚normalen‘ Betriebsrat“, meint auch Peter Buchmüller, Obmann der Bundessparte Handel, WKÖ.

    Betriebe profitieren
    Aber nicht nur bei zwischenmenschlichen Angelegenheiten ist der Jugendvertrauensrat von Bedeutung. Auch die Wirtschaft, in dem Fall der Betrieb, hat vom Einsatz eines Jugendvertrauensrates einen Vorteil, weil dieser als Schnittstelle zwischen Vorgesetzten und den Lehrlingen fungiert. Er übernimmt eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn es gilt auch schon mal zu verhandeln und sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. „Der Jugendvertrauensrat trägt dazu bei, Jugendliche in ihrer politischen Bildung zu festigen und sich im Rahmen der Qualitätssteigerung im Betrieb zu engagieren“, so Buchmüller. „Der Vertrauensrat sucht Konsens und Lösungsansätze, dadurch kann schon in jungen Jahren sozialpartnerschaftliches Denken entwickelt werden. Als Mitglied des Jugendvertrauensrats scheint es sichergestellt, dass sich junge Mitarbeiter mit beiden Sichtweisen – der des Arbeitgebers und der des Arbeitnehmers – auseinandersetzen und Verständnis für die jeweilige Seite gewinnen.“
    Auf mehr Mitbestimmung und Demokratie pocht auch die neue Regierung, und doch will sie die Stimme der Lehrlinge, den Jugendvertrauensrat, im Betrieb nun abschaffen. „Aber gerade in herausfordernden Zeiten, wo wir eine Situation am Arbeitsmarkt haben, die sich durch Digitalisierung enorm verändern wird, haben die Jugendlichen ein Recht auf eigenständige Vertretung und Mitbestimmung im Betrieb“, unterstützt auch ÖGB-Präsident Erich Foglar die Forderung der Gewerkschaftsjugend, den Jugendvertrauensrat unbedingt zu erhalten.

    Weiterführende Links:
    www.oegj.at
    www.oegj.at/jugendvertrauensrat
    www.lehrlingsmonitor.at
    www.betriebsraete.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin barbara.kasper@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    INFOBOX

    Wo kann ein Jugendvertrauensrat gewählt werden? – In jedem Betrieb mit mehr als fünf Lehrlingen und/oder Jugendlichen.
    Wer darf wählen? – Wahlberechtigt sind alle ArbeitnehmerInnen des Betriebs, die am Tag der Wahlausschreibung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sowie Lehrlinge, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die an diesem Tag sowie am Tag der Wahl im Betrieb beschäftigt sind (aktives Wahlrecht).
    Wer darf kandidieren? – Als Jugendvertrauensrat kandidieren können alle ArbeitnehmerInnen, die das 23. Lebensjahr am Tag der Wahlausschreibung noch nicht vollendet haben und seit mindestens sechs Monaten im Betrieb beschäftigt sind (passives Wahlrecht).
    Wie lange dauert eine Funktionsperiode? – Zwei Jahre.
    Alle Regelungen zum Jugendvertrauensrat finden Sie in der Betriebsratswahlordnung (BRWO) ab § 49.

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    Barbara Kasper, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829676 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829638 Engagierte Kämpferinnen Sabine Rauecker-Döll hat sich in der Traditions-Kaffeehauskette Aida von Beginn an durchgebissen. Angefangen hat das im Jahr 1981 mit dem Beginn ihrer Lehrzeit: „Mädchen waren in der Konditorlehre damals eine Ausnahme und wenig erwünscht.“

    Ellbogenkampf
    Das erste halbe Jahr beschreibt sie als Ellbogenkampf. „Mir war klar, dass ich mich entweder gegenüber meinen männlichen Kollegen behaupte oder draußen bin. Abzubrechen war aber auch für meine Eltern kein Thema.“ Rauecker-Döll lebt sich gut ein, verantwortet ab dem dritten Lehrjahr einen eigenen Posten und ist das erste Lehrmädchen bei Aida, das mit erfolgreichem Abschluss besteht. In ihrer Klasse waren damals 20 Burschen und nur sechs Mädchen. „Heute ist es wohl genau umgekehrt“, so die gebürtige Wienerin.
    Als sich Rauecker-Döll an die Lehre zurückerinnert, sitzt sie an ihrem Schreibtisch im Büro im 21. Wiener Gemeindebezirk. Nur wenige Schritte weiter werden unter anderem Punschkrapfen, Sachertorten und Makronen erzeugt, die in die 27 Wiener und zwei Franchise-Filialen geliefert werden. Diese werden von 80 Produktionsmitarbeitern und -Mitarbeiterinnen gefertigt, davon sind nun 60 Prozent Frauen. Diesen Wandel führt die 57-Jährige auf mehrere Faktoren zurück: Da wäre zum einen das im Vergleich zu anderen Branchen geringere Gehalt, zum anderen die Arbeitszeit. Produziert wird zwischen 6 und 14 Uhr. „Man kann sich nachmittags um die Kinder kümmern und hat trotzdem einen Vollzeitjob.“ Inzwischen ist Rauecker-Döll seit mehr als 40 Jahren im Betrieb und seit mehr als fünfzehn Jahren Betriebsrätin.

    Das liebe Geld
    Zunächst war sie Ersatz, dann Kassiererin, dann Stellvertretende und seit 2011 ist sie Betriebsratsvorsitzende mit einem Team von vier Frauen und einem Mann. Oft geht es um das liebe Geld. Sabine Rauecker-Döll stellt mit ihrer Arbeit sicher, dass Zusagen vonseiten der Geschäftsführung eingehalten werden. Einmal ging es gar vor Gericht, genauer vors Wiener Arbeits- und Sozialgericht. Vor zwei Jahren strich die Geschäftsführung betriebsintern zugesicherte Zulagen. Der Prozess lief von 2016 bis 2017. Das Gericht entschied zugunsten der ArbeitnehmerInnen. Das Geld floss jedoch weiterhin nicht. „Erst nachdem wir mit Betriebsversammlungen zur Hauptproduktionszeit gedroht hatten, kamen wir zu unserem Recht.“
    Als Betriebsrätin achtet sie auch darauf, dass gesetzliche Regelungen eingehalten werden: „Ein Lehrling unter 18 darf keine Überstunden machen.“ Abgesehen vom Gerichtsprozess ist Rauecker-Dölls Betriebsratsalltag ruhiger. Als Betriebsrätin braucht sie Hartnäckigkeit, diplomatisches Geschick und Geduld. Für ihre Arbeit ist sie nur teilweise freigestellt, sie arbeitet weiter in der Produktion. Für ihre Kollegenschaft hat sie immer ein offenes Ohr. „Manchmal komme ich mir vor wie die Mama der Nation“, lacht sie. So kümmert sie sich um die Anliegen von dreizehn Integrationslehrlingen aus einem AMS-Projekt. „Mir ist es wichtig, dass man sie wie alle anderen Lehrlinge behandelt und nicht wie Hilfsarbeiter.“

    Hohe Fluktuation
    Während der Job von Rauecker-Döll erst in den letzten Jahren frauendominiert wurde, arbeitet Karin Samer in einem Beruf, in dem traditionell mehrheitlich Frauen arbeiten: Sie ist Betriebsratsvorsitzende der Wiener Kinderfreunde. Die gebürtige Wienerin absolvierte eine fünfjährige Ausbildung zur Kindergartenpädagogin mit Matura. Seit ihrem Abschluss 1987 ist sie bei den Wiener Kinderfreunden beschäftigt. Zehn Jahre arbeitete sie in ihrem Beruf, später leitete sie mehrere Häuser. „Bereits früh habe ich mich für Bildungspolitik interessiert und eingesetzt.“ Im Jahr 2010 kandidierte Samer mit Kolleginnen für den Betriebsrat und gewann acht von dreizehn Mandaten.
    Gerne erinnert sie sich an eine Episode als frischgebackene Betriebsratsvorsitzende im Jahr 2011 zurück. Damals besuchte sie jenes Haus, das sie zuletzt geleitet hatte. Wer denkt, dass „ihre“ Kinder sie nach einem halben Jahr vergessen hätten, der irrt. „Die Karin ist wieder da!“, hätten fünf Kinder gerufen und seien ihr nachgelaufen, erzählt sie nicht ohne Stolz.
    Als Betriebsratsvorsitzende ist Karin Samer freigestellt. Die 48-Jährige vertritt die Interessen von 1.082 Pädagoginnen und 18 Pädagogen an 155 Standorten. Im Büro im achten Wiener Bezirk bereitet sie sich gerade auf Kollektivvertragsverhandlungen vor. Die jährliche Anpassung des Mindestlohns um 2,5 bis drei Prozent sowie die Abgeltung von Vorbereitungszeiten sind Erfolge, aber es gibt einige Bausteine. Da wäre zum einen die sehr hohe Fluktuation bei den PädagogInnen. „Vor allem die Jungen, die gerade maturiert haben, bleiben oft nur drei Jahre und studieren danach“, erzählt Samer. Jene, die sich erst nach der Schule für ein Kolleg entscheiden, haben sich den Einstieg in das Berufsfeld besser überlegt und bleiben eher.

    Einheitliches Gehalt als Ziel
    Mit der Fluktuation verbunden ist die Entlohnung. Bei einer 40-Stunden-Woche verdienen Pädagoginnen in privaten Kindergärten wie den Kinderfreunden ab 2.214 Euro brutto. Innerhalb Österreichs gibt es 60 verschiedene Gehalts- und Lohntabellen. „Wir brauchen ein einheitliches Gehaltsschema, denn es darf keinen Unterschied machen, in welchem Bundesland ich arbeite“, fordert Samer. Sie fordert auch ein Bundesrahmengesetz, in dem Arbeitsbedingungen klar geregelt sind. Da wäre etwa der Betreuungsschlüssel: In Wien darf eine Kindergartenpädagogin in einer Gruppe 25 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren betreuen. Samer fordert einen Schlüssel von 1:10. Bei Ein- bis Dreijährigen kommen auf eine Pädagogin 15 Kinder. „Zehn Kinder und zwei Pädagoginnen wären toll.“
    Als Einzelkämpferin sieht sich Samer nicht. „Es braucht unser gesamtes Betriebsratsteam, den Austausch mit den KollegInnen in den Kindergärten, um etwas zu verändern.“ Der Alltag als Betriebsrätin sei sehr abwechslungsreich. „Wir prüfen, ob Bestimmungen im Dienstvertrag eingehalten werden, das Gehalt den Qualifikationen entspricht, behandeln Anfragen von Mutterschutz bis Altersteilzeit.“ Manchmal gehe es um Sonderurlaub für die Pflege von erkrankten Angehörigen, dann wieder um Fortbildung oder Bildungskarenz. War ein Arbeitstag schwierig, erinnert sich Samer an den „Kinderdienst“, wie sie die Arbeit im Kindergarten nennt. „Kinder nehmen dich an der Hand, wollen, dass du mit ihnen spielst, und sie können so unverblümt sein“, schmunzelt sie. Als sie sich einen roten Kurzhaarschnitt zulegte, sagte ein Bub: „Du bist so schiarch.“ Samer nahm ihm das nicht übel. „Er war halt ehrlich.“
    Karin Samer betont, dass das Berufsbild der Kindergartenpädagogik in den letzten Jahren stark aufgewertet wurde. Um aber an den Arbeitsbedingungen etwas zu ändern, braucht es Aufmerksamkeit, auch über Proteste. „Wir müssen Menschen vermitteln, dass unsere Lebensumstände das Umfeld ihrer Kinder sind.“ Samer will die Kollegenschaft ermuntern, für sich einzustehen. Das sei schwierig: Es fehlen vielen die Zeit und die Kraft zum Protestieren. Ihr Engagement erforderte auch von Samer viel Zeit. „Ich hatte Rückhalt aus meiner Familie, meine Kinder mussten oft länger im Kindergarten und Hort bleiben.“ Wie sie alles geschafft habe, frage sie sich manchmal selbst, sagt Samer: „Ich habe nicht viel nachgedacht, sondern es einfach gemacht.“

    Entscheidung für das Engagement
    Zurück zu Aida. Sabine Rauecker-Döll hat sich bei den letzten Betriebsratswahlen kurz überlegt, ob sie abermals für den Vorsitz kandidieren möchte, und sich dafür entschieden. Ihr Engagement ist ungebrochen. Eines möchte sie unbedingt an ihre Stellvertreterin weitergeben. „Dass sie auch so hart kämpft, wenn es nötig ist. Es geht darum, dass Menschen nicht ausgenutzt werden. Am Ende des Tages zahlt es sich aus.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Udo Seelhofer und Sandra Knopp, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829632 Karin Samer vertritt die Interessen von 1.082 Pädagoginnen und 18 Pädagogen, die bei den Wiener Kinderfreunden arbeiten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829608 Keine halbe Sache Gegenwärtig steigt der öffentliche Druck für mehr Gerechtigkeit der Geschlechter, wie das Frauenvolksbegehren 2.0, die #MeToo- oder die „Time’s Up“-Bewegung zeigen. Denn noch immer leisten Frauen den Großteil der unbezahlten Arbeit und sind bei Einkommen und beruflichem Aufstieg benachteiligt. Gerade im Arbeitsleben wird die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern spürbar. Gewerkschaft und Betriebsrat sind von daher mehr denn je gefordert, Interessenpolitik für die (wachsende) Gruppe der weiblichen Beschäftigten zu betreiben.
    Bedeutende gleichstellungspolitische Handlungsfelder wie z. B. der Gender Pay Gap oder Frauen in Führungspositionen sollten – nachhaltig und mit Zielvorgaben – ihren Platz in der strategischen Gewerkschafts- und Betriebsratspolitik bekommen. Gleichzeitig muss verstärkt in den eigenen Reihen für mehr Geschlechtergerechtigkeit gesorgt werden. Gesetze wie die verpflichtende Geschlechterquote von 30 Prozent für den Aufsichtsrat ab 2018 nehmen dabei auch betriebliche Interessenvertretungen in die Pflicht.

    Gewerkschaftliche Frauenpolitik
    „Um den Kampf um die Gleichstellung der Frau in der Privatwirtschaft zu führen, bedarf es erst einmal der Gleichstellung der Frauen in der Gewerkschaft“, hat Johanna Dohnal, die österreichische Ikone der Frauenbewegung, bereits 1987 formuliert.
    In der Zwischenzeit hat sich in dieser Frage viel bewegt: Gleichstellungspolitische Strukturen wurden nicht nur im ÖGB, sondern in allen Fachgewerkschaften etabliert (z. B. Quoten für Führungsgremien). Zudem ist es gelungen, zahlreiche Initiativen für die Zielgruppe der weiblichen Beschäftigten auf den Weg zu bringen. So hat die Gewerkschaft maßgeblich an der gesetzlichen Verankerung der Einkommenstransparenz mitgewirkt und unterstützt nunmehr bei der praktischen Umsetzung.
    Als eine weitere Maßnahme zur Verringerung der Einkommensschere hat sich u. a. die PRO-GE dem Thema Anrechnung der Elternkarenz, insbesondere bei Vorrückungen im Gehaltssystem, erfolgreich angenommen. Die GPA-djp beispielsweise hat sich zuletzt immer wieder für Frauen in Führungspositionen starkgemacht. Mit der neuen Geschlechterquote für den Aufsichtsrat ist ein Schritt in Richtung mehr Frauen (auch für die ArbeitnehmerInnenvertretung) in der Unternehmensaufsicht gelungen. Zum anderen setzt sich die Gewerkschaft vida unter der Initiative „Tatort Arbeitsplatz“ gegen (sexuelle) Übergriffe und Gewalt an Frauen am Arbeitsplatz ein. Über alle Fachgewerkschaften hinweg kommt dem Schwerpunkt „Frauen in Teilzeit“ eine bedeutende Rolle zu.

    Luft nach oben
    Trotz der Gleichberechtigungsbestrebungen in den eigenen Reihen gibt es nach wie vor Handlungsbedarf. Was für Organisationsstrukturen in privatwirtschaftlichen Unternehmen gilt, lässt sich nämlich auch in Interessenvertretungen beobachten: Mit jeder Hierarchieebene nimmt der Frauenanteil ab. „So ist zum einen nur eine geringe Anzahl von Frauen in Führungspositionen vertreten und zum anderen orientieren sich Verhandlungsinhalte und -ergebnisse stark an der männlichen Norm“, hält die Soziologin Claudia Sorger in diesem Zusammenhang fest.
    Laut Sorger ist dies darauf zurückzuführen, dass sich die Gewerkschaft nach wie vor primär an der ursprünglichen Zielgruppe des männlichen Facharbeiters in Vollzeit ausrichtet. Die Zielgruppe der Frauen, die überwiegend in Teilzeit beschäftigt ist, findet sich kaum in den Verhandlungsteams der Kollektivverträge noch in den dort diskutierten Themen und Ergebnissen wieder.

    Männliche Kultur
    Die Wirtschaftssoziologin Sabine Blaschke führt noch weitere Gründe für die niedrige Vertretung von Frauen in Gewerkschaften an, unter anderem die Organisation gewerkschaftlicher Aktivitäten (z. B. Sitzungen am Abend) und eine männlich geprägte Organisationskultur (z. B. informelle Netzwerke). Auch auf Ebene der betrieblichen Interessenvertretungen herrscht, was die gleichberechtigte Vertretung von Frauen betrifft, Aufholbedarf. Obwohl der Frauenanteil an den Beschäftigten bei 47 Prozent liegt, sind Frauen in Betriebsratsgremien unterrepräsentiert: Unter den BetriebsrätInnen in Österreich findet sich rund ein Drittel Frauen, unter den Betriebsratsvorsitzenden sind es nicht ganz ein Viertel.
    In den Aufsichtsratsgremien liegt der weibliche Anteil etwas niedriger: Im Jahr 2017 sind 21,8 Prozent Frauen als Stimme der ArbeitnehmerInnenvertretung in den Aufsichtsräten der umsatzstärksten 200 Unternehmen Österreichs vertreten. Damit liegt der Frauenanteil unter den BetriebsrätInnen deutlich höher als jener der Kapitalvertretung, der bei 16,7 Prozent liegt. Gerade diese größeren Betriebsratsteams sind – wie das Forschungsinstitut FORBA kürzlich erhoben hat – in den meisten Fällen gemischtgeschlechtlich zusammengesetzt, was als sehr positiv zu beurteilen ist.

    Betriebsrat mit und für Frauen
    Dennoch: In vielen Betriebsratsgremien sind Frauen nicht entsprechend ihrem Anteil in der Belegschaft vertreten. Dies ist selbst dann nicht der Fall, wenn sie die Mehrheit der Gesamtbelegschaft stellen, wie eine Studie von Christoph Hermann und Jörg Flecker zeigt: So setzt sich zum Beispiel in Handelsunternehmen mit einem hohen Teilzeitbeschäftigungsgrad der Betriebsrat oft aus den wenigen (in Vollzeit beschäftigten) Männern zusammen. Zudem halten Hermann und Flecker fest, dass die meist weiblichen Teilzeitbeschäftigten nicht zu den primären Bezugsgruppen der Betriebsräte zählen. Dabei können teilzeitarbeitende Frauen das Betriebsratsteam mit ihren Erfahrungen bereichern und neue Perspektiven einfließen lassen.
    Immerhin fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeitet Teilzeit, die in vielen Fällen kein eigenständiges, existenzsicherndes Einkommen ermöglicht. Es ist daher wichtig, dass Maßnahmen rund um Teilzeit verstärkt Eingang in die Betriebsratspolitik finden. Selbst wenn es keinen generellen gesetzlichen Rechtsanspruch auf eine Vollzeitstelle gibt, besteht seit 2016 ein Recht auf Information über frei(werdend)e Jobs mit höherem Stundenausmaß im Unternehmen. Der Betriebsrat hat hier darauf zu achten, dass die Informationspflicht an Teilzeitbeschäftigte umgesetzt wird.

    Nützliches Instrument
    Schon einzelne Maßnahmen im Betrieb können also einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit leisten. So sollte das Betriebsratsteam insbesondere die Benachteiligung von Frauen beim Einkommen aufgreifen. Der Einkommensbericht ist dafür ein nützliches Instrument, um Diskriminierungen aufzuspüren. Dabei ist vor allem auf die Einstufung bei den (Einstiegs-)Gehältern und die Anrechnung von Vordienst- und Karenzzeiten zu achten. Nicht nur beim Berufs- oder Wiedereinstieg, sondern auch im Karriereverlauf werden Frauen häufig benachteiligt: Immer wieder werden Männer bei der Besetzung von Führungspositionen, Gehaltserhöhungen oder bei Prämien/Zulagen bevorzugt.
    Dabei ist hervorzuheben, dass die beliebte Ausrede beim Entgelt, „Er hat eben besser verhandelt“, nach dem Gleichbehandlungsgesetz keine zulässige Begründung für eine höhere Entlohnung ist.

    Vertrauensvolle Ansprechpersonen
    Mit der alleinigen Feststellung von Benachteiligungen kann es aber nicht getan sein: Der Betriebsrat sollte aus dem Einkommensbericht konkrete Maßnahmen ableiten, wie z. B. Frauenförderpläne oder antidiskriminatorische Betriebsvereinbarungen. Gerade Betriebsvereinbarungen eignen sich zudem bestens dafür, klare Regeln für den Umgang mit dem brennenden Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu verankern. BetriebsrätInnen sollten in sensiblen Situationen als vertrauensvolle Ansprechpersonen sichtbar sein, gerade junge Arbeitnehmerinnen (z. B. Lehrlinge, PraktikantInnen) sind dabei ins Auge zu fassen. Denn: Will der Betriebsrat bei der Zielgruppe Frauen gefragt sein, dann müssen jene Themen (verstärkt) aufgegriffen werden, mit denen Frauen in der Arbeitswelt konfrontiert sind.

    Claudia Sorger: „Gleichstellungspolitische Strategien österreichischer Gewerkschaften“, In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie (ÖSZ, Februar, 2017):
    tinyurl.com/y7387cgz

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen christina.wieser@akwien.at und bianca.schrittwieser@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Bianca Schrittwieser, Abteilung Frauen und Familie der AK Wien</br>Christina Wieser, Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829545 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829526 Als Softwarefirma aufgewacht „Man geht als Industriebetrieb zu Bett und wacht am nächsten Morgen als Softwarefirma auf.“ Mit dieser Beschreibung bringt es Jeffrey Immelt, der ehemalige CEO von General Electric, auf den Punkt: Digitalisierung, Globalisierung und neue rechtliche Rahmenbedingungen haben die Anforderungen an Aufsichtsräte enorm verändert. Aus vielen mittelständischen Unternehmen sind in den letzten Jahren global ausgerichtete Konzerne geworden, die sich nun in einem Umfeld von komplexen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bewähren müssen. Die Beurteilung von komplexen internationalen Verträgen, unterschiedlichen rechtlichen Standards, die Einschätzung teilweise volatiler wirtschaftlicher Rahmenbedingungen oder die Anwendung von nur schwer verständlichen internationalen Rechnungslegungsstandards sind mittlerweile alltägliche Themen in den Aufsichtsräten geworden. Dies stellt auch BetriebsrätInnen, die in den Aufsichtsräten vertreten sind, vor neue Herausforderungen.
    Gesellschaftsrechtliche und steuerliche Konstrukte führen zu schwer nachvollziehbaren Kapitalflüssen und Beherrschungs- und Einflussstrukturen zwischen Konzerngesellschaften. Der Aufsichtsrat hat diese zu überwachen und mit den immer komplexer werdenden Compliance- und Kapitalmarktregeln klarzukommen. ArbeitnehmervertreterInnen wiederum sind mit kaum überschaubaren „Big Data“-Beständen konfrontiert, die über sämtliche Arbeitsprozesse auf Unternehmensebene hinweg gesammelt werden – und die Beschäftigten damit völlig transparent werden lassen. Zusätzlich sind Betriebsräte permanent mit Umstrukturierungsaktivitäten wie Outsourcing, Ausgliederungen, Projekten zur Arbeitszeitflexibilisierung und nicht zuletzt der immer stärker fortschreitenden internationalen Arbeitsteilung konfrontiert.

    Professionalisierung
    Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat basiert auf den Regelungen des Arbeitsverfassungsrechtes und ist international – aber auch auf europäischer Ebene – keine Selbstverständlichkeit. Von konservativer bzw. neoliberaler Seite wird immer wieder versucht, die Mitbestimmung zurückzubauen. Vor allem in Konzernen unter angelsächsischem Einfluss werden Betriebsräte im Aufsichtsrat als „Fremdkörper“ empfunden. Auf EU-Ebene soll in den nächsten Monaten das Gesellschaftsrecht flexibilisiert werden, Spaltungen sollen erleichtert werden, Konzerne sollen ihren Sitz – unabhängig vom tatsächlichen Standort des Headquarters – innerhalb der EU frei wählen können. Damit wäre auch die Gefahr verbunden, dass die Mitbestimmung unter die Räder gerät und der Konzernsitz in jenem Land gewählt wird, in dem es die geringsten Mitbestimmungspflichten gibt.
    Einhergehend mit den veränderten Rahmenbedingungen zeichnet sich seit Jahren ein Trend Richtung stärkerer Professionalisierung des Aufsichtsrats ab. Deutlich erkennbar ist dies etwa bei kapitalmarktorientierten Unternehmen sowie Unternehmen im Finance-Bereich. Compliance-Regelungen sowie Aus- und Weiterbildungsverpflichtungen für die Mandatare wurden etwa unter dem Stichwort „Fit and proper“ in den letzten Jahren verschärft. Unter bestimmten Umständen müssen sogar Kompetenzüberprüfungen bei der Finanzmarktaufsicht bewältigt werden. Dies ist gerade für ArbeitnehmervertreterInnen eine Herausforderung, werden sie doch auf Basis einer Wahl (Betriebsratswahl) und anschließender Delegierung durch das Gremium in den Aufsichtsrat entsandt und nicht aufgrund ihres ExpertInnenwissens. Herausforderung wird trotzdem sein, sich entsprechendes Wissen und Know-how anzueignen, um die Funktion im Aufsichtsrat mit der notwendigen Verantwortung ausüben zu können. Hintergrund der Professionalisierung ist auch die zunehmende Sorge, bei nicht sorgfältiger Arbeit zur Haftung herangezogen zu werden. In Österreich hat der ÖGB dieser Sorge Rechnung getragen und die Haftungssummen im Rahmen der Versicherung für Betriebsräte im Aufsichtsrat deutlich erhöht.

    Anderer Umgang mit Risiko
    Verändert hat sich in den letzten Jahren auch der Umgang mit Risiko. Die zunehmende Komplexität macht es schwer, sorgfältige und verlässliche Risikoeinschätzungen vorzunehmen. Als Entscheidungsgrundlage ist der Vorstand und mittelbar damit auch das Überwachungsorgan Aufsichtsrat oft von mathematischen oder statistischen Modellen abhängig. Risiko ist Teil jedes unternehmerischen Handelns, aber wie erkennt das Überwachungsorgan Aufsichtsrat, dass vorgelegte Risikoeinschätzungen mangelhaft bzw. nicht verlässlich sind? Auf juristischer Ebene wird hier seit 2016 die „Business Judgement Rule“ als Maßstab herangezogen. Ihr Ziel ist es, die Haftung der Organe bei ihren Entscheidungen auf ein vernünftiges Maß einzuschränken. In der Praxis geht es wohl darum, relevante Fragestellungen zu identifizieren und entsprechende Informationen vom Vorstand zu verlangen sowie diese auf ihre Plausibilität zu überprüfen. BetriebsrätInnen im Aufsichtsrat können hier oft mit fundiertem internem Wissen über innerbetriebliche Schwachstellen, aber auch über potenzielle Chancen punkten. Voraussetzung dafür ist neben Sachverstand und relevanten Grundkenntnissen auch, dass genügend Zeit für den Aufsichtsratsjob aufgebracht wird und die Sitzungen sorgfältig vorbereitet werden.

    Chance für BetriebsrätInnen
    Teil der Professionalisierung ist auch der zunehmende Anspruch an Diversität. Erstmals wird es nun in Österreich unter bestimmten Bedingungen eine verpflichtende Frauenquote im Aufsichtsrat geben. Beim Reporting wird zukünftig auf die Diversitätsstrategien verstärkt einzugehen sein. Übrigens werden auch die Transparenzanforderungen im Sozial- und Umweltbereich verstärkt ein Thema im Aufsichtsrat sein. Denn dieser hat den entsprechenden Bericht zu prüfen. Daraus bietet sich eine Chance für Betriebsräte, ihren Anliegen in Richtung Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Berichterstattung im Nachhaltigkeitsbericht stärker Nachdruck zu verleihen.
    Die Professionalisierung macht auch vor den Betriebsräten nicht halt. Gefragt sind tragfähige Unterstützungsstrukturen: ExpertInnen im Unternehmen, Kooperation mit Gewerkschaften und Arbeiterkammern, die Pflege von Betriebsratsnetzwerken und vermutlich auch die Suche nach Verbündeten bei der lokalen Geschäftsführung oder dem/der einen oder anderen KapitalvertreterIn im Aufsichtsrat bilden die entsprechende Basis. Beim Erwerb von notwendigem Know-how für die verantwortungsvolle Aufgabe unterstützen Arbeiterkammer und ÖGB im Rahmen ihres weitreichenden IFAM Seminar- und Weiterbildungsangebots. Spezifische Veranstaltungen und ein umfangreiches Angebot an Büchern und Skripten speziell für Betriebsräte runden das Angebot ab. In der Praxis bewährt sich besonders das Beratungsangebot der Arbeiterkammer, BetriebsrätInnen spezifisch für bevorstehende Aufsichtsratssitzungen im Rahmen des AK-Beratungsangebots etwa durch Analyse von Jahresabschlüssen oder Unterstützung bei gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen vorzubereiten.

    Mitbestimmung als Erfolgsfaktor
    Die Nominierung von BetriebsrätInnen in den Aufsichtsrat und damit die wirtschaftliche Mitbestimmung wurde 1919 gesetzlich verankert und ist ein maßgeblicher sozialer Meilenstein in der Corporate Governance. Denn Mitbestimmung trägt positiv zum Unternehmenserfolg bei und bereichert das Aufsichtsratsgremium mit einer unternehmensinternen, praktischen Perspektive aus Sicht der arbeitenden Menschen in der Organisation. Der deutsche Mitbestimmungsindex zeigt zum Beispiel, dass Unternehmen mit ArbeitnehmervertreterInnen im Aufsichtsrat innovativer sind, nachhaltiger wirtschaften und eine harmonischere Organisationskultur haben. Dabei ist die betriebliche Mitbestimmung im Aufsichtsrat keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Viele europäische Länder haben überhaupt keine Regelungen der Miteinbeziehung auf Board-Level und auch im deutschsprachigen Raum wird oft versucht, die Mitbestimmung zu schwächen. Dabei ist es durchaus im Interesse von ManagerInnen, dass die Belegschaft aktiv einbezogen wird. Eine Studie der europäischen Stiftung Eurofound zeigt dies eindrucksvoll: Österreichische ManagerInnen vertrauen ihren Betriebsräten in 95 Prozent der Fälle, und sie wissen, dass das Engagement für das Unternehmen durch Partizipation der Beschäftigten steigt.

    IFAM – Institut für Aufsichtsrats-Mitbestimmung:
    www.ifam-aufsichtsrat.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren Heinz.Leitsmüller@akwien.at und Simon.schumich@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Heinz Leitsmüller und Simon Schumich, Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829505 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829460 Die Orchidee pflegen Weiterbildung bringt nicht nur den Beschäftigten, sondern auch den Betrieben etwas. Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch in der überwiegenden Mehrheit der österreichischen Unternehmen herumgesprochen. Für BetriebsrätInnen scheint sie jedoch ein Orchideenthema zu sein. Dabei hätten sie durchaus Möglichkeiten mitzubestimmen. Nicht nur das: Jene, die sich eingebracht haben, taten dies mit Erfolg.

    Nicht alle profitieren
    Nach der jüngsten Erhebung der Statistik Austria waren im Jahr 2015 88 Prozent aller Unternehmen des Produktions- und Dienstleistungssektors „weiterbildungsaktiv“, das heißt, sie investieren in Weiterbildungskurse oder andere Formen der betrieblichen Weiterbildung. So weit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Nicht alle Beschäftigten profitieren gleichermaßen davon. So nimmt nicht einmal die Hälfte aller Beschäftigten (45 Prozent) an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Eklatant benachteiligt sind die ArbeitnehmerInnen in Kleinbetrieben mit einer Teilnahmequote von 35 Prozent. Beschäftigte des Dienstleistungssektors kommen eher in den Genuss von Weiterbildungsmaßnahmen als Beschäftigte des produzierenden Bereichs. Frauen geraten gegenüber Männern auch bei der Weiterbildung ins Hintertreffen, ein Phänomen, das erstaunlicherweise im Dienstleistungssektor sogar noch stärker ausgeprägt ist als im produzierenden Bereich.
    Eine der Ursachen dafür ist wohl die seltene Einbindung der Belegschaftsvertretung in das Weiterbildungsmanagement. Insgesamt wird der Betriebsrat nur in fünf Prozent der Unternehmen mit Weiterbildungsfragen befasst, wobei die Situation in Großbetrieben mit 250 Beschäftigten und mehr mit einer 19-prozentigen Einbindung merklich besser ist. Das verwundert nicht, sind dort doch auch überdurchschnittlich häufig Belegschaftsvertretungen installiert. Doch auch dort, wo es Betriebsräte oder Personalvertretungen gibt, bringen diese sich nicht so stark ein, wie sie dies könnten.
    An sich muss der Betriebsrat über geplante Maßnahmen ehestmöglich in Kenntnis gesetzt werden. Er hat das Recht, Vorschläge zu machen und an der Planung und Durchführung mitzuwirken. Art und Umfang der Mitwirkung können auch in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Von Gesetzes wegen kann sich der Betriebsrat in Weiterbildungsfragen also sehr stark in einer beratenden Funktion einbringen. Im Zuge einer groß angelegten Mitbestimmungsstudie der AK Wien im Jahr 2012 wurden auf der einen Seite ArbeitnehmerInnen, auf der anderen Seite BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen repräsentativ befragt. Sie sollten unter anderem die verschiedenen Arbeitsgebiete der Belegschaftsvertretungen beurteilen.
    Das Engagement für die betriebliche Weiterbildung rangierte beiderseits etwa im Mittelfeld. Das Interessante dabei: Dieser Einsatz war überdurchschnittlich häufig von Erfolg gekrönt. Zudem wird es von den Beschäftigten positiv registriert, wenn BelegschaftsvertreterInnen hier aktiv werden.

    Nicht oberste Priorität
    In der Betriebsratsarbeit gehört das Engagement für Weiterbildung nicht zu den obersten Prioritäten. Bei BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen hat die Qualifikationsfrage unter 18 Tätigkeitsfeldern Priorität 11. Auch bei den Beschäftigten selbst kommt Weiterbildung als Aufgabe des Betriebsrats nur auf Rang 12 von 16. Die betriebliche Weiterbildung wird also weitgehend den Unternehmen und ihren Personalabteilungen überlassen. Damit werden die Möglichkeiten zur Weiterbildung nicht voll genutzt und zudem sehr ungleich wahrgenommen: vor allem von Beschäftigten (Führungskräften und ExpertInnen), die bereits hoch qualifiziert sind.
    Das Arbeitsverfassungsgesetz räumt BetriebsrätInnen zwar Beratungsrechte ein, das allein reicht aber nicht aus, um zu einem wirkungsvollen Player zu werden. Denn es fehlt das mächtigste Mitbestimmungsinstrument: die erzwingbare Betriebsvereinbarung. Deshalb muss die Mitwirkung über Umwege versucht werden, zum Beispiel über die Nutzung anderer Regulative. Weitgehend unbekannt ist, dass der Kollektivvertrag für Angestellte der Elektro- und Elektronikindustrie für Aus- und Weiterbildung pro Kalenderjahr eine Dienstfreistellung im Ausmaß ihrer wöchentlichen Normalarbeitszeit vorsieht – und zwar sogar bei Fortzahlung des Entgelts. Sowohl die Beschäftigten als auch der Betriebsrat haben damit ein starkes Druckmittel, Weiterbildung auch aktiv einzufordern. Kommt es nämlich auf individueller Basis zu keiner Einigung über die Bildungsmaßnahme, so ist der Betriebsrat beizuziehen. Umgekehrt bietet diese Regelung eine sehr gute Grundlage, dass die Belegschaftsvertretung das Gesetz des Handelns selbst in die Hand nimmt. Bei der Firma Siemens AG beispielsweise wurden auf Initiative des Betriebsrats eigene Schulungsmaßnahmen entwickelt. Unter Nutzung des BFI-Programms „Chancen durch Bildung“ konnte die betroffene Bereichsleitung des Unternehmens dafür als strategischer Partner gewonnen werden.
    Eine andere Mitwirkungsmöglichkeit bietet das kürzlich in Kraft getretene Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz. Dieses sieht für Großunternehmen, die an der Börse notieren, sowie für große Banken und Versicherungen ab dem Geschäftsjahr 2017 eine Berichtspflicht über nicht finanzielle Indikatoren vor. Im Regelfall müssen sie also auch über die Weiterbildungsaktivitäten des Unternehmens berichten, zum Beispiel gemessen an der durchschnittlichen jährlichen Stundenzahl für Aus- und Weiterbildung pro MitarbeiterIn, gegliedert nach Geschlecht und MitarbeiterInnenkategorie. Nach ersten Schätzungen werden zwar nur etwa 125 Unternehmen von dieser Berichtspflicht betroffen sein, es darf aber angenommen werden, dass diese Vorbildwirkung haben. Auf Basis einer hieb- und stichfesten betrieblichen Weiterbildungsbilanz können Betriebsräte ihre Rechte nach dem Arbeitsverfassungsgesetz natürlich ganz anders wahrnehmen.

    Solidarische Weiterbildung
    Weiterbildung kann aber auch anders verstanden werden: nicht nur als Pflege des individuellen Humankapitals, um die Wettbewerbsfähigkeit und die eigenen Beschäftigungschancen zu verbessern, sondern auch als Resultat eines Erfahrungsaustausches, in dem Wissen geteilt wird. Schließlich ist Wissen jene Ressource, die durch Teilen reicher statt ärmer macht. Eine geeignete und simple Methode dafür sind die sogenannten Communities of Practice (CoP). Dabei handelt es sich um Foren, in denen sich die Mitglieder zu einem brennenden Thema austauschen. So profitieren sie wechselweise und haben möglicherweise auch praktische Tipps für andere parat.

    Runde Tische als Einstieg
    Wollen BetriebsrätInnen damit arbeiten, so empfiehlt sich ein möglichst niederschwelliger Einstieg. Zum Beispiel lassen sich „runde Tische“ organisieren, bei denen sich die MitarbeiterInnen in der Freizeit über private Initiativen austauschen. Beim Österreichischen Austauschdienst unterhielten sich die KollegInnen beispielsweise über die Sozialpartnerschaft, soziale Projekte, aber auch über Urban Gardening. Dieses Format muss sich aber nicht auf persönliche Interessen beschränken, denn was sollte dagegensprechen, auch unternehmensbezogene Themen zum Gegenstand der Unterhaltung zu machen? Und wer weiß, vielleicht kann damit sogar von ArbeitnehmerInnenseite eine erste Saat zu einer „lernenden Organisation“ gesät werden.

    Viele Ideen
    Communities of Practice als Trägerrakete für das „lernende Unternehmen“, noch dazu angeregt von Belegschaftsvertretungen: Das wäre natürlich ein Traum. Die Realität schaut anders aus: Das Arbeitsverfassungsgesetz räumt BetriebsrätInnen in Angelegenheiten der betrieblichen Weiterbildung zwar zumindest Konsultationsrechte ein, diese werden aber viel zu selten in Anspruch genommen. Auch aus dem Nachhaltigkeitsverbesserungsgesetz und von Kollektivverträgen lassen sich Gestaltungsmöglichkeiten ableiten. Derzeit ist dies allerdings noch kaum auf der Agenda von BetriebsrätInnen, was einerseits mit der mangelnden Priorität und andererseits mit der fehlenden organisationalen Verankerung zusammenhängen mag. Ideen gibt es viele, deshalb gibt es auch viel zu tun.

    AK-Studie zu betrieblicher Mitbestimmung
    tinyurl.com/yc5x53we

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    Ulrich Schönbauer, Abteilung Betriebswirtschaft der Arbeiterkammer Wien Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829454 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829426 Niemand pfuscht mir in mein Reich Nach ihrer Karenz suchte Özlem Bakiray einen Job in einem Geschäft, das möglichst nahe zu ihrer Wohnung liegt. „Kurze Wege sind für mich als Alleinerzieherin besonders wichtig“, erklärt sie. Die ausgebildete Kosmetikerin freute sich über einen Arbeitsplatz in einer Filiale der Drogeriekette Müller. Mit den neuen KollegInnen kam Bakiray schnell in Kontakt: „Da haben wir uns auch bald über Dinge, die im Betriebsalltag passieren, ausgetauscht.“ Nach einiger Zeit drängten sich immer mehr Fragen auf: Manche MitarbeiterInnen wussten etwa nicht, wie sie laut Kollektivvertrag überhaupt eingestuft sind, und auch der Umgang mit den Zeitkonten war unklar. Ein Sprachrohr für die Belegschaft sollte gefunden werden, die Gründung eines Betriebsrates lag nahe. Özlem Bakiray fragte ihre KollegInnen, ob sie bereit wären, sich in einem Betriebsrat zu engagieren. „Die meisten haben mir auch signalisiert, mich zu unterstützen, wenn ich mich als Betriebsrätin bewerbe.“
    Doch bereits einige Tage später wurde Bakiray in das Büro der Filialleiterin zitiert und dort zur Rede gestellt. Die Vorgesetzte informierte sie, dass Bemühungen zur Gründung eines Betriebsrates ohnehin nutzlos wären, denn einen solchen gäbe es längst. Erst nach Bakirays Einwand, sich zuvor erkundigt zu haben und zu wissen, dass es in ganz Österreich keinen Betriebsrat bei Müller gäbe, machte die Filialleiterin klar: „Das Unternehmen wünscht keinen Betriebsrat!“ Nach dieser Unterredung durfte Bakiray das Büro verlassen und sich weiter ihrer Arbeit widmen. Die engagierte Müller-Angestellte ließ sich nicht einschüchtern, wandte sich an die GPA-djp und bat um Hilfe, wie zum Beispiel Vermittlung. Daraufhin folgte ein Treffen zwischen GewerkschaftsvertreterInnen und der Verkaufsleitung. „Die Gespräche sind freundlich verlaufen, aber es wurde kein Hehl daraus gemacht, dass für Firmenchef Erwin Müller ein Betriebsrat nicht infrage kommt“, beschreibt Barbara Teiber, Wiener GPA-djp-Geschäftsführerin, das Gesprächsklima.

    Patriarchen an der Macht
    Ähnlich der Drogeriekette Müller gibt es einige Unternehmen, die sich sprichwörtlich mit Händen und Füßen gegen die Gründung eines Betriebsrates wehren. Auffallend ist auch, dass viele dieser Firmen Familienunternehmen sind und von patriarchalisch agierenden – und meist nicht mehr ganz jungen – Chefs geleitet werden. Exemplarisch dafür steht Erwin Müller, Ähnliches galt für Anton Schlecker und Karlheinz Essl senior, deren Unternehmen inzwischen nicht mehr existieren und deren ehemalige MitarbeiterInnen keinen Betriebsrat gründen durften. „An der Geschäftstüre beginnt mein Reich und niemand darf mir dabei dazwischenfunken“, beschreibt Teiber das Firmen- und Verhandlungsklima in solchen Betrieben.
    Ähnlich agierte im Frühjahr 2016 Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz. In seinem Unternehmen Servus TV soll eine Doodle-Umfrage zirkuliert sein, die auszuloten versuchte, ob es innerhalb der Belegschaft eine Mehrheit für die Gründung eines Betriebsrats gäbe. Allein dieser Umstand habe Mateschitz schon derart erzürnt, dass er kurzerhand beschloss, den Sender aufzulassen. Etwa 260 Arbeitsplätze wären davon betroffen gewesen. In einem offenen Brief sprachen sich daraufhin mehr als 200 MitarbeiterInnen gegen die Gründung eines Betriebsrates aus und unterzeichneten diesen Kniefall vor dem Patriarchen. „Die anonyme Umfrage über die mögliche Gründung eines Betriebsrates unterstützen wir – und das ist die überwältigende Mehrheit aller Mitarbeiter von Servus TV – ausdrücklich nicht“, stand in dieser Erklärung unter anderem zu lesen. Der Patriarch wurde milde und führt nun den Sender weiter.

    Gut gegründet wehrt es sich besser
    Aus ihrer Erfahrung weiß die Wiener GPA-djp-Geschäftsführerin Teiber, dass MitarbeiterInnen gehörigen Mut aufbringen müssen, um in gewissen Firmen als Betriebsrat zu kandidieren. „Manche Geschäftsführungen bauen einen irrsinnigen Druck auf und verbreiten Dinge wie ‚Da zieht dann der Kommunismus ein‘ oder ‚Mit einem Betriebsrat wird alles schlechter und das Unternehmen geht deshalb zugrunde‘“, beschreibt Teiber manch wirre Versuche, die Belegschaft zu verängstigen und gegen die Gewerkschaft aufzubringen.
    Wer sich trotzdem entschließt, einen Betriebsrat zu gründen, sollte sich möglichst früh und im Vorfeld von seiner Gewerkschaft beraten lassen. Teiber: „Es ist wichtig, die richtige Strategie zu verfolgen und auch formal bei der Wahl des Betriebsrates alles korrekt zu handhaben.“ Damit rechtlich alles passt, sollten sich die ArbeitnehmerInnen, die für den Betriebsrat kandidieren wollen, unbedingt von ArbeitsrechtsexpertInnen der Gewerkschaften unterstützen lassen. Ein guter Grund dafür: Mögliche Einsprüche und Wahlanfechtungen der Geschäftsführung könnten sonst erfolgreich sein.

    Beeindruckende Erfolge
    Doch auch wenn eine Geschäftsleitung nicht aktiv gegen die Installierung eines Betriebsrates arbeitet, kann es nicht immer einfach sein, einen Betriebsrat zu gründen, etwa in größeren Unternehmen mit vielen Betriebsstandorten. Da kennen die MitarbeiterInnen oft nur die Belegschaft am eigenen Standort. Dementsprechend schwierig ist es für sie, ArbeitnehmerInnen in anderen Filialen anzusprechen. Damit einher geht auch die Herausforderung, genügend Menschen zu finden, die auch bereit sind, für den Betriebsrat zu kandidieren. Denn neben ihrer „normalen“ Arbeit sollten diese MitarbeiterInnen auch Engagement für die Betriebsratstätigkeit aufbieten. Trotz dieser Herausforderungen wurden in den vergangenen Jahren sehr beeindruckende Erfolge erzielt – so ist es etwa gelungen, bei großen Handelsketten wie Lidl und Zara in Österreich Betriebsräte zu gründen.

    Österreich rollt’s vor
    In einer ganz anderen Branche gibt es sogar eine europäische Besonderheit: den ersten Betriebsrat für FahrradbotInnen bei foodora. „Junge engagierte FahrradbotInnen sind an uns herangetreten und haben die vida gebeten, bei der Gründung zu helfen“, berichtet Gudrun Thiemer vom Wiener Landessekretariat der vida. FahrradbotInnen gehören zu einem Berufssektor, in dem es Gewerkschaften seit jeher nicht besonders leicht hatten. Denn die Fahrradbotendienste sind nicht bloß unterschiedlich organisiert – von der GesmbH bis zum Verein –, auch der Freiheitsbegriff der BotInnen spielt eine zentrale Rolle. Für die „Riders“ gilt: „Wir arbeiten, wann wir wollen und wie lange wir wollen.“ Eine wahre Herausforderung für die vida. Thiemer: „Wir wollen den BotInnen diese Flexibilität nicht nehmen. Wir möchten aber natürlich, dass sie zu ihrem Geld kommen.“ Als sie an die vida herantraten, haben die jungen Menschen ganz genau gewusst, was ihnen wichtig ist. Und ein Betriebsrat ist das stärkste Rechts-Instrument, um die Bediensteten zu vertreten. Ein weiteres Ziel in naher Zukunft: ein Kollektivvertrag für die gesamte Branche. Das würde zu besseren Dienstverhältnissen führen und einem Sozialdumping vorbeugen.

    Positiver Klima-Wandel
    Europaweite Studien belegen: Betriebsräte verbessern das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen. Sie sind die zentrale Anlaufstelle für alle MitarbeiterInnen, sie unterstützen sie in arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Belangen. Das schafft geordnete Verhältnisse – die Geschäftsleitung muss also nicht damit rechnen, dass eine Abteilung wilde Arbeitskämpfe ausruft. Wo gerne gearbeitet wird, ist auch die Fluktuation geringer. Ständiger Personalwechsel kostet die Firmen viel Geld. In Firmen mit Betriebsrat ist das Entgelt im Schnitt um 10 bis 15 Prozent höher. Gibt es einen Betriebsrat, geht es den Menschen in ihrem Arbeitsalltag besser.
    Argumente, denen sich Firmenchef Müller eisern verschließt. „Für uns ist es unverständlich, dass man sich in dieser Vehemenz gegen einen Dialog wehrt. Wir wollen ja das Unternehmen nicht zerstören, sondern die Lage der Beschäftigten verbessern“, wundert sich Barbara Teiber.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Resei, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829420 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829402 Geschafft! Die Betriebsratsarbeit ist geprägt durch eine große Themenvielfalt, was sie komplex und spannend macht. In kleineren Unternehmen ohne freigestellte KollegInnen kommen dazu meist noch Zeitdruck und Stress durch die fachliche Tätigkeit. In der Regel erfordert es viel Engagement, Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen (sowie idealerweise die Unterstützung der KollegInnen), um Forderungen durchzusetzen. Michael Bauer ist Zentralbetriebsratsvorsitzender der Wiener Linien. Als Reaktion auf Umstrukturierungen und Liberalisierungen wurde 2012 ein eigener Verein gegründet, um weiterhin gemeinsam für die rund 10.000 Beschäftigten von Wiener Stadtwerke GmbH, Wiener Linien und Bestattung Wien tätig sein zu können.

    Gesundheitstage
    Aktuell gibt es zahlreiche Angebote und Vergünstigungen, etwa einen Kleinbus-Verleih für die Beschäftigten, Urlaubszuschüsse, Einkommenszuschüsse für Lehrlinge oder zu Gesundenuntersuchungen sowie Impfaktionen. Seit 2016 gibt es auch die Gesundheitstage. Diese bestehen aus drei Modulen mit jeweils zwei Tagen Aufenthalt in einer Therme. „Hier gab es vor allem langwierige Verhandlungen zur Finanzierung der erforderlichen Urlaubstage“, erzählt Michael Bauer. „Letztendlich wurde beschlossen, dass die Beschäftigten für ein Modul zwei Tage Urlaub nehmen müssen, zwei Tage werden vom Arbeitgeber bezahlt und das dritte Modul wird halbe-halbe finanziert.“ Das Angebot der Gesundheitstage wird von ca. 500 Beschäftigten jährlich in Anspruch genommen.
    Michael Bauers Motto für seine Betriebsratsarbeit: „Aufmerksam zuhören, was die KollegInnen sich wünschen, um nicht an der Belegschaft vorbei zu verhandeln. Sobald die Geschäftsführung dann überzeugt werden kann, dass von den geforderten Veränderungen beide Seiten profitieren werden, entsteht eine echte Win-win-Situation.“

    Betriebsrats-App
    Ein großes Thema sind freilich Kommunikation mit und die Information der KollegInnen. Andreas Brich ist Betriebsratsvorsitzender bei der BMW Motoren GmbH. „An sich nutzen meine BetriebsratskollegInnen und ich schon längere Zeit mehrere Kommunikationskanäle wie beispielsweise unsere Betriebsratszeitung, Facebook und Intranet“, erzählt er. „Doch unseren SMS-Newsletter fanden wir Ende 2016 etwas langweilig beziehungsweise altbacken. Wir wollten aber nicht einfach nur eine WhatsApp-Gruppe gründen.“ So ist relativ bald die Idee entstanden, gleich eine App für den Arbeiterbetriebsrat erstellen zu lassen.
    Für die Partnersuche vor der Umsetzung hat sich das Team rund sechs Monate Zeit genommen. Denn es sollte nicht nur kostengünstig sein, der Betriebsrat wollte auch vermeiden, womöglich ein Unternehmen zu wählen, das nach kurzer Zeit wieder vom Markt verschwunden ist. Schließlich entschied man sich für das Baukasten-System von AppYourself. Die App „BMW – Betriebsrat Steyr“ wurde sehr gut angenommen, von den insgesamt 4.500 Beschäftigten haben sie bisher rund 1.600 heruntergeladen. Die Inhalte werden laufend erweitert: News – von Betriebsvereinbarungen bis zur Schimeisterschaft, Kontaktmöglichkeiten zu den BetriebsrätInnen, aber auch allgemeine Infos von AK und ÖGB.
    Die App ist frei zugänglich, kann also nicht nur von BMW-MitarbeiterInnen genutzt werden. „Das bedeutet natürlich, dass wir aufpassen müssen, was wir dort kommunizieren. Aber das wurde so gelöst, dass wir etwa bei einer neuen Betriebsvereinbarung im dazugehörigen Newsfeed nur Basisinfos bringen, ergänzt mit dem Hinweis ‚Nähere Infos bei deinem BR‘.“ Andreas Brichs Tipp für alle, die jetzt auf den Geschmack gekommen sind: „Für eine App muss man kein EDV-Profi sein. Wichtig ist, dass man sich über die Inhalte klar ist.“

    Datenschutz
    Kommunikation ist zentral, damit eng verbunden ist heutzutage der Datenschutz. Bewusstsein für die Notwendigkeit, auch die Daten in der Betriebsratsarbeit entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu regeln, ist im Betriebsrat der BAWAG P.S.K. schon Anfang 2017 entstanden, erzählt Verena Spitz, stellvertretende Vorsitzende des Zentralbetriebsrats BAWAG P.S.K. Denn die GPA-djp, besonders die Abteilung Arbeit und Technik, hatte im Vorfeld bereits sehr gut informiert. Im Zuge der Umsetzung wurde evaluiert, welche Daten in der Betriebsratsarbeit überhaupt anfallen. „Dafür haben wir uns mit der Datenschutzbeauftragten der Bank vernetzt. So konnten wir auch gleich festlegen, wie unsere Betriebsvereinbarungen zu MitarbeiterInnen-Daten mit der Arbeit der Datenschutzbeauftragten verknüpft werden.“ Erfreulicherweise habe sich dabei herausgestellt, dass alle derzeit bestehenden Themen bereits von einer Betriebsvereinbarung erfasst sind, in der auch schon die jetzt vorgeschriebenen Löschregelungen etc. eingebaut waren.

    Hand in Hand
    „An sich haben wir in den vergangenen Jahren schon mehrere Betriebsvereinbarungen zum Schutz der Beschäftigten erreicht. Bei den internen Kommunikationsmitteln oder bei der Arbeitszeiterfassung ist alles schon so geregelt, dass die Privatsphäre der Beschäftigten gut geschützt ist. So ist schon lange klar, dass wir auch in diesem Bereich ein wichtiger Gesprächspartner sind. Unsere Datenschutzbeauftragte braucht teilweise diese Betriebsvereinbarungen, um rechtliche Grundlagen für Datenverwendungen vorweisen zu können“, erzählt Verena Spitz.
    In Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit fallen mehr Daten an, als man auf den ersten Blick glaubt. Nicht zuletzt deshalb ist für Verena Spitz eine gute Zusammenarbeit mit dem oder der Datenschutzbeauftragten wichtig: „So können auch neue Entwicklungen immer von beiden Seiten, also Betriebsrat und Datenschutz, beleuchtet werden. Es ist ein gegenseitiger Nutzen: Wir fragen in der Geschäftsführung nach, ob neue Vorhaben schon mit der Datenschutzbeauftragten abgesprochen sind. Und diese fragt in der jeweiligen Fachabteilung, die Datenverarbeitungen mit den Beschäftigtendaten durchführt, ob dazu schon eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde.“
    Der Bereich Abfallwirtschaft ist heute eine der wenigen Branchen ohne Kollektivvertrag. Hier wird seit vielen Jahren verhandelt, und nach wie vor werden in diesem Bereich verschiedene Kollektivverträge angewandt – hauptsächlich jedoch der des Güterbeförderungsgewerbes, weil die meisten Beschäftigten Lkw-FahrerInnen sind. Markus Petritsch ist BR-Vorsitzender in einem Abfallwirtschaftsbetrieb in Kärnten: „Immerhin waren unsere Kollektivvertragsverhandlungen für diese Gruppe Ende 2017 erfolgreich. So haben wir für unsere Kraftfahrer Löhne von 1,30 Euro über dem Mindesttarif erreicht.“

    Wichtige Unterstützung
    Was bei den Verhandlungen geholfen hat: „Allgemein gibt es derzeit einen Mangel an Fahrern, rund 2.800 offene Stellen bundesweit. Der Lkw-Führerschein kostet rund 4.000 Euro, das ist jungen Leuten oft zu teuer.“ Die Unterstützung durch seine Gewerkschaft vida ist für Markus Petritsch besonders wichtig und wertvoll: „Der Umgang ist familiär, sowohl Landes- als auch Bundesorganisation sind für unsere Ideen immer sehr aufgeschlossen. Für mich und meine Kolleginnen und Kollegen draußen an der Front ist diese Unterstützung wichtig. Denn sonst könnte ich als kleiner Betriebsrat aus Kärnten nicht überleben.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    INFOBOX: Tipps und Anregungen

    • Nach wie vor wichtig ist das persönliche Gespräch. So erfährt man direkt und eindeutig, was die KollegInnen sich wünschen. Kontinuierlicher Kontakt während Projekten und Aktionen ist unerlässlich, um nicht an der Belegschaft vorbei zu verhandeln.
    • Keine Angst vor neuen Medien und der Arbeitswelt 4.0: Es zahlt sich aus, auf die/den Datenschutzbeauftragte/n zuzugehen. Denn von der guten Zusammenarbeit profitieren beide Seiten.
    • BetriebsrätInnen in kleineren Unternehmen stehen zum Teil vor zusätzlichen Herausforderungen: knappe Ressourcen, der Kampf um das Überleben des Betriebes oder fachliche Probleme. Spezialisierung bzw. klare Aufgabenteilung können sich aber auch in kleinen BR-Teams lohnen.
    • Freigestellte BetriebsrätInnen sind nicht selten EinzelkämpferInnen, so werden die Kompetenzen und Kapazitäten anderer BR-Mitglieder zum Teil ungenügend genutzt. Es ist leichter, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen.
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    Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829396 Manchmal müssen Betriebsräte kreativ werden, um die Interessen der Beschäftigten auch bei Umstrukturierungen gut vertreten zu können. Bei den Wiener Linien gründete man einen Verein. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829372 Reportage: Geballte Einheit trotz Veränderung Schon aus einiger Entfernung leicht zu erschnüffeln ist die Zentrale der Firma Manner. Rund um die Wilhelminenstraße 6 in Wien Hernals herrscht der Geruch nach leicht gebrannter Schokolade vor. Einst mischte sich dieser Duft rund um das Kongressbad mit dem Odeur von gekochter Marmelade und gerösteten Kaffeebohnen aus der Julius-Meinl-Zentrale in Wien-Ottakring. Mit Inhaber Carl Manner, dem Enkel des Firmengründers („Chocoladenfabrik Josef Manner“ ab 1890), ist vergangenes Jahr im April der letzte Namensgeber verstorben. Der Fortbestand des Traditionsunternehmens wird durch eine Stiftung gesichert. Produziert wird an zwei Standorten: Außer dem Hernalser Stammwerk gibt es den niederösterreichischen Standort Wolkersdorf. Neben der Firmeneinfahrt und dem historischen Eingangstor in Hernals dominiert ein rosafarbener Würfel, eine Produktionshalle, das Straßenbild. Was PassantInnen verborgen bleibt, sind die Innenhöfe und jeglicher Fertigungsschritt auf mehreren Stockwerken. Nicht von außen sichtbar war auch der Einsturz eines Gebäudeteils während des Umbaus im Oktober 2014.

    Näher zusammengerückt
    In der schwierigen Phase nach dem Einsturz, der auch Produktionsengpässe zur Folge hatte, leistete „die Belegschaft hervorragende Arbeit und rückte näher zusammen“ – tatkräftig von ArbeiterInnen- und Angestelltenbetriebsrat unterstützt, wie Peter Freudenschuss erzählt. Der 49-Jährige ist Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrats und feiert kommendes Jahr sein 30-jähriges Firmenjubiläum. Bis zu seiner Freistellung 2013 hat er bei Manner als Elektrotechniker gearbeitet. An seiner Seite setzt sich Christian Hackl für die Interessen der ArbeitnehmerInnen ein, er ist Vorsitzender im ArbeiterInnenbetriebsrat und heuer seit 15 Jahren bei Manner.
    Natürlich läuft nicht alles in der Firma rosarot. „In der heutigen Zeit ist es ja nicht mehr so, dass die Arbeit des Betriebsrates stets problemlos über die Bühne geht. Sie ist schwieriger und kräfteraubender geworden“, erklärt Freudenschuss. Die beiden Betriebsräte sind sich einig: Die Arbeit bei Manner ist durch die Umstrukturierungen der vergangenen Jahre eine völlig andere geworden. Ein neues Management verändert auch die Art und Weise, wie ein Betrieb gelebt wird. „Das ist ein Prozess, der uns schon die letzten Jahre begleitet und nicht von heute auf morgen stattfindet.“
    Kollege Freudenschuss erinnert sich daran, weshalb er sich zu Beginn im Betriebsrat engagierte: „Ich wollte vieles verändern, Positives für die Leute einbringen und Entwicklungen in der Firma aktiv mitgestalten.“ Gemeinsam haben die beiden Körperschaften „viel geschaffen“. Allerdings mit großen Schwierigkeiten, da sich vor fünf Jahren noch keine Freistellung für den ArbeiterInnenbetriebsrat ausgegangen ist. Erst 2017 wurde Christian Hackl, der in der Produktion begonnen, viele Abteilungen durchlaufen, jede Menge Jobs getätigt und eine Menge Positives wie Negatives erlebt hat, ebenfalls freigestellt.

    Kampf um Arbeitsplätze
    „Wir sind natürlich ein profitorientierter Betrieb. Dadurch, dass wir wachsen wollen, müssen wir durchleben, was auch in anderen Firmen passiert“, bringt Freudenschuss „den Kampf um Arbeitsplätze“ auf den Punkt: effizienter Ablauf, Modernisierung, Automatisierung. „Die Wahl von Hernals als Hauptstandort bedeutet ein hohes Auftrags- und Investitionsvolumen“, erklärt der Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrats. „Wir sind massiv gewachsen und als Betrieb, der nicht auf der grünen Wiese steht, wird stockwerksbezogen nach dem Konzept der vertikalen Produktion mit vielen Aufzügen gearbeitet.“ Produziert wird von oben nach unten – zusätzliche Fläche schuf der Neubau eines siebenstöckigen Produktionsgebäudes in einem der Innenhöfe.

    Ungeheure Geschwindigkeit
    Mittlerweile wird kaum mehr etwas mit dem Gabelstapler bewegt. Und gab es bis vor Kurzem noch neun Lifte mit jeweils einem Aufzugswart, so wird die Ware nun durch eine Zentral-Fördertechnik automatisch von einem Stockwerk ins andere befördert. Im obersten Stock werden Cremen produziert, einen Stock tiefer Waffeln gebacken, ganz unten wird verpackt. „Die ungeheure Geschwindigkeit dieser Maschinen ist eine Herausforderung für die MitarbeiterInnen“, weiß Freudenschuss. „Das kann eine Hand gar nicht mehr schaffen. Als ich hier angefangen habe, konnte ich noch mit freiem Auge erkennen, wie die Schnitten verpackt wurden.“ Heute muss bei der Suche nach einem Fehler eine Hochgeschwindigkeitskamera eingesetzt werden. Im unteren Gebäudebereich wird palettiert und ausgeliefert. Doch streikt der automatische Lift, „bringst du die Ware nicht mehr ins Erdgeschoß runter“, zeigt sich Freudenschuss nicht nur begeistert von den technischen Möglichkeiten.
    „Es ersetzt die Maschine halt immer mehr den Menschen“, fasst es ArbeiterInnenbetriebsrat Hackl zusammen. Doch ganz ohne humanes Zutun geht es nun auch nicht. „Es wird immer mehr qualifiziertes Fachpersonal gefordert. Allerdings ist es unser größtes Problem, diese Arbeitskräfte zu finden“, erklärt Peter Freudenschuss. Immer wieder werden Leiharbeitskräfte eingesetzt. Christian Hackl: „Das Unternehmensziel ist es aber, diesen Leiharbeiter-Anteil immer niedriger zu gestalten und eine Crew aufzubauen, die dann Jahre im Betrieb arbeitet“ – und die wenigen Tätigkeiten, die dann noch händisch zu machen sein werden, ausführt.
    In Wien sind rund 300 Angestellte und 200 ArbeiterInnen tätig, in Wolkersdorf etwa 40 Angestellte und 150 ArbeiterInnen. Zusätzlich sind in Hernals noch um die 100 LeiharbeiterInnen tätig. „Die Zahl hängt von der Saison ab. Heute brauche ich fünf, morgen keinen“, sagt Freudenschuss. Und Hackl ergänzt: „Dennoch geht es den Leiharbeitern in Österreich um einiges besser, denn sie bekommen zum Beispiel das Gleiche bezahlt wie unsere Leute, sind im selben Kollektivvertrag und als Betriebsrat haben wir natürlich auch ein offenes Ohr für ihre Anliegen und unterstützen sie.“ Doch Fachpersonal kann nicht geliehen werden. „Leiharbeiter können wir nur für Hilfstätigkeiten aufnehmen, doch Mechatroniker mit Erfahrung brauchen wir wie einen Bissen Brot“, weiß Freudenschuss. Im Produktionsbereich wird auch Bäcker-Personal benötigt.

    Ofen-Gigant und Fünffach-Schichtung
    Denn schließlich muss der Waffel-Ofen von Menschen bedient werden, die sich auch mit Mehl und Teig auskennen. Und es ist kein gewöhnlicher Backofen: Er zählt zu den weltweit größten und ist hochgradig automatisiert. „Es musste ein Schnitt in die Mauer gemacht werden, damit der Ofen überhaupt in der Produktion aufgestellt werden konnte“, erinnert sich Hackl. Mehrwert: Die Abwärme aus dem Backprozess wird in das lokale Fernwärmenetz eingespeist und erhitzt Heizung und Wasser für rund 600 Haushalte in der Umgebung. Ein Industrie-Bäcker bedient den Ofen-Giganten per Touch-Display, stellt die Parameter ein und zieht Teigproben, um die Konsistenz zu überprüfen. Sollte sich etwas „verheddern, muss er sehr schnell eingreifen, damit die Maschine nicht zum Stillstand kommt“, erklären die Betriebsratsvorsitzenden. Dieser Ofen-Gigant ist es auch, der heutzutage u. a. für jene ganz besonderen Schnitten sorgt – Nr. 239, vier Lagen Streichmasse zwischen fünf Lagen Waffeln. Seit 1889 und besser bekannt unter Manner Wien, Original Neapolitaner.
    Vom Backen kleiner Waffeln ist das weit entfernt – die Maschine wirkt wie ein gigantisches Waffeleisen, mithilfe von Förderschnecken wird Waffel auf Waffel geschoben, mittels Streichkopf die Schoko-Haselnuss-Masse verteilt. Überdimensionale Manner-Platten drängen aus dem Ofen, werden abgekühlt und vom Schnitten-Schneider zerteilt. Jährlich produziert Manner etwa 48.000 Tonnen Süßwaren. Sämtliche Waffelprodukte, Biskotten, Kekse etc. werden in Hernals fabriziert – Dragiertes, Saison- und Schaumware in Wolkersdorf.

    Noch Seite an Seite
    Noch arbeiten Hackl und Freudenschuss Seite an Seite und in zwei getrennten Körperschaften. Wenn es nach den Plänen der Regierung geht, sollen diese zusammengelegt werden. Das Argument: Dies sei der letzte Baustein der Angleichung von Rechten der ArbeiterInnen und Angestellten. Damit aber werden Äpfel mit Birnen verglichen, ärgert sich Martin Müller, ÖGB-Experte für Sozialpolitik.
    Denn die Angleichung der Rechte sei das eine, die Zusammenlegung von Betriebsräten das andere. Bei Ersterem ging es um individuelle Rechte der ArbeiterInnen, sprich ab 1. Juli 2018 wird die Entgeltfortzahlung vereinheitlicht, ab 2021 gelten für ArbeiterInnen die längeren Kündigungsfristen der Angestellten. „Der große Fortschritt liegt darin, dass schon nach einem Jahr Dienstverhältnis in beiden Gruppen ein Anspruch auf acht Wochen Entgeltfortzahlung besteht. Bisher waren es fünf Jahre“, erklärt Müller. Völlig anders verhält es sich mit den Vorschlägen, die im Regierungsprogramm erwähnt sind. Sie gehen davon aus, dass Angestellten- und ArbeiterInnenbetriebsrat ein gemeinsames Gremium bilden sollen – mit der zu befürchtenden Konsequenz, dass es in den Betrieben weniger Mandate gibt, also auch weniger Personen, die dann die MitarbeiterInnen vertreten können, und auch weniger Freistellungen für Betriebsräte. Derzeit existiert mit dem Betriebsausschuss bereits ein gemeinsames Gremium von ArbeiterInnen und Angestellten, und sie können einen gemeinsamen Betriebsrat wählen.
    Beide Gruppen haben jedoch unterschiedliche Anliegen: einerseits etwa funktionale Arbeits-Schichtmodelle, andererseits u. a. intelligente Gleitzeitregelungen aufseiten der Angestellten. Wer hier also von Angleichung oder Anpassung spricht, irrt, wie Martin Müller warnt. „Weshalb sollten sie gezwungen sein, eine gemeinsame Körperschaft zu bilden?“, fragt sich der ÖGB-Experte. „Das ist nur Propaganda, und zu sagen, der Arbeitgeber erspart sich dadurch bürokratischen Aufwand, ist eine Unterstellung.“
    Bereits seit dem Betriebsrätegesetz von 1919 existieren getrennte Körperschaften. Müller spricht auch von einem „historischen, soziologischen Unterschied“: ArbeiterInnen waren in der Produktion tätig, die Angestellten übten die Funktion der Vorgesetzten aus. „Angestellte sind zwar nicht auf der ‚anderen Seite‘, doch die Arbeiter wollen sich nicht unbedingt von den Vorgesetzten vertreten lassen.“ Die Gruppen sollten sich jeweils selbst vertreten können.
    Schlicht und schlecht: Vonseiten der Politik wird also eine Reduktion der BelegschaftsvertreterInnen angestrebt. Christian Hackl vergleicht den Betriebsrat mit einem „praktischen Arzt“: „Es ist halt ein Unterschied, ob 500 oder 1.000 PatientInnen betreut werden müssen. Die Menschen können halt nicht mehr so gut versorgt werden. Werden die Betriebsräte reduziert, ist das eine massive Verschlechterung, weil die Ressourcen schmäler werden.“ Die Betriebsratsvorsitzenden bei Manner sehen allenfalls einen Vorteil für das Unternehmen: „Wir hätten weniger Zeit und müssten mehr Leute betreuen.“ Peter Freudenschuss hat bereits eine Idee, wie man dies abfedern könnte: „Wenn es dazu kommt, dann werden wir uns die Freistellung aufteilen.“
    ÖGB-Experte Müller gibt zu bedenken: „Jetzt sehen manche die Chance, die Mitbestimmung zu reduzieren. Eine statt zwei Körperschaften bedeutet, ich habe weniger Menschen in der Belegschaft, die sich beteiligen. Die Kostenersparnis ist lächerlich.“ Doch die Stärke der Gewerkschaften hängt sehr von den Betriebsratsmitgliedern ab, die sich engagieren. Martin Müller: „Sie wollen uns die Basis abgraben.“ Neben diesen noch recht oberflächlich formulierten Absichten des Regierungsprogramms ist jedoch die Abschaffung des Jugendvertrauensrates (JVR) ein sehr konkretes Anliegen. „Der JVR ist unser Nachwuchs, seine Mitglieder sind das Rückgrat der Gewerkschaftsjugend“, macht Müller deutlich. „Damit würde der ÖGB geschwächt, und darum geht es.“

    Nicht kampflos
    Für den Ernstfall einer Zusammenlegung der Körperschaften hoffen Christian Hackl und Peter Freudenschuss zumindest auf eine Änderung der Freistellungsgrenzen. „Gewünscht wird ein Betriebsrat, der resigniert hat, sich nichts mehr traut und zu allem ja und amen sagt“, sind die beiden überzeugt. „Ich glaube aber nicht, dass ein Betriebsrat, der alles abnickt, der Idealfall für eine Firma ist. Der Betriebsrat ist ja ein Bindeglied“, sagt Hackl. „Kampflos dürfen wir das nicht über uns ergehen lassen. Wir ziehen an einem Strang, wir Manner-Betriebsräte sind alle Kämpfer und werden uns nichts gefallen lassen“, sind sich ArbeiterInnen- und Angestelltenbetriebsrat einig.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sophia Fielhauer-Resei Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829350 Gemeinsam haben ArbeiterInnenbetriebsratsvorsitzender Christian Hackl (l.) und Angestelltenbetriebsratsvorsitzender Peter Freudenschuss schon viel Positives bewirkt, doch ihr Einsatz für die Belegschaft ist schwieriger geworden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829361 Angestelltenbetriebsrat Peter Freudenschuss: "Wenn es dazu kommt, dann werden wir uns die Freistellung aufteilen." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829366 ArbeiterInnenbetriebsrat Christian Hackl: "Werden die Betriebsräte reduziert, ist das eine massive Verschlechterung, weil die Ressourcen schmäler werden." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1518058829308 Runder Tisch: Von Mut, Luxus und Solidarität BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen unterstützen ArbeitnehmerInnen bei den täglichen Problemen am Arbeitsplatz, beraten und informieren bei kniffligen Sachfragen. Sie ermutigen ihre KollegInnen aber auch, sich für gute, sichere und gerechte Arbeit einzusetzen. Die Arbeit von BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen ist vielseitig, anspruchsvoll und zeitaufwendig. Trotzdem machen sie sie gern. Um diese gut meistern zu können, ist ständige Weiterbildung besonders wichtig. Die Arbeit&Wirtschaft traf drei von ihnen, die derzeit die BetriebsrätInnen-Akademie (BRAK) absolvieren, zu einem Gespräch.

    Arbeit&Wirtschaft: Was hat Sie dazu bewogen, sich als Betriebsrat bzw. Betriebsrätin zu engagieren?
    Nicole Heimberger: Die Betriebsratsarbeit hat mich schon immer fasziniert – vor allem auch deswegen, weil man als Bindeglied zwischen Belegschaft und Führungsebene KollegInnen bei ihren täglichen Problemen unterstützen und Arbeitsbedingungen verbessern kann. Ein großes Vorbild für mich war unser Betriebsrat. Die Art und Weise, wie er die Funktion ausübt, auf die KollegInnen im Betrieb zugeht und mit ihnen spricht, hat mich begeistert. Da dachte ich mir: Ich will das auch machen.
    Julius Mayer: Bei mir war es ganz anders. Die Firma stand auf guten finanziellen Beinen, dennoch kam es von einem auf den anderen Tag zu Lohnkürzungen. Wie unsere Betriebsräte mit dieser Situation umgingen, war aus meiner Sicht schlecht und auch nicht nachvollziehbar. Das war auch der Moment, als ich entschied, bei der nächsten Möglichkeit zu kandidieren und Probleme im Sinne der Beschäftigten besser zu lösen.
    Mario Karner: Ich war lange Zeit als Teamleiter in der Privatwirtschaft tätig. Immer wieder gab es Probleme, die es zu lösen galt. Obwohl nie gewählt, habe ich mich schon damals in der Position des Betriebsrates gesehen und die KollegInnen verteidigt. Das liegt einfach in meiner Natur, ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
     
    Sind Sie auch aus diesem Grund in die Gewerkschaft gewechselt?
    Karner: In der Gewerkschaft vida in Kärnten wurde ein sechsmonatiges Pilotprojekt gestartet. Da ich mich mit dem Anforderungsprofil identifizieren konnte und auch Vertriebserfahrung hatte, bewarb ich mich. Das Projekt hat schnell gegriffen, und je länger es dauerte, desto mehr gefiel mir die Arbeit. Mittlerweile bin ich seit fast vier Jahren dabei.
     
    Was sind die häufigsten Probleme, mit denen sich Beschäftigte an Sie wenden?
    Heimberger:
    Das ist sehr unterschiedlich. Themen wie Pensionen und Mutterschutz sind ganz wichtig. Dazu gibt es immer wieder Fragen. Lehrlinge wollen oft wissen, wie viele Stunden sie arbeiten dürfen, was Wochenendruhe und was Reisezeit ist. Fakt ist aber auch, dass KollegInnen manchmal nur jemanden zum Reden brauchen. Und diese Zeit nehmen wir uns.
    Mayer: Die Anfragen fangen bei A an und enden bei Z. Neben dem persönlichen, schriftlichen und telefonischen Kontakt nutzen wir auch das sogenannte Schwarze Brett und alle anderen freien Flächen im Betrieb, um KollegInnen über bestimmte Themen aufzuklären und auf interessante Angebote aufmerksam zu machen. Wenn ich bei einem spezifischen Thema keine Antwort geben kann, dann vermittle ich weiter zur Arbeiterkammer und begleite sie zum Termin, wenn sie das möchten. Das ist zum Beispiel beim Thema Konsumentenschutz der Fall. Die AK-Spezialisten besprechen dann mit ihnen alle Details.
    Karner: Das Spektrum ist groß. In manchen Fällen geht es nur um kurze arbeitsrechtliche Fragen, wie etwa zum Urlaub oder zur Kündigung. Oft gibt es Anfragen zu sozialrechtlichen Themen: Was steht mir zu, wo bekomme ich es? Kontaktiert werden wir aber auch von BetriebsrätInnen, die Unterstützung für ihre Betriebsratsarbeit oder einen Referenten für eine Veranstaltung brauchen.
     
    Wie funktioniert der Informationsaustausch mit den BetriebsrätInnen?
    Karner: Es steckt viel Netzwerkarbeit dahinter – jede Gewerkschaft veranstaltet Klausuren und Veranstaltungen für die eigenen BetriebsrätInnen. Hier lernt man sich besser kennen, macht Betriebsratsmitglieder auf gewisse Programme und Seminare aufmerksam. Nach KV-Verhandlungen werden zum Beispiel immer wieder Info-Veranstaltungen organisiert, um die Beschäftigten in der betroffenen Branche über alle Neuigkeiten und Veränderungen zu informieren. Außerdem kann sich jeder und jede auf unserer Website für einen Newsletter anmelden. Wir nutzen wirklich alle Kanäle, die wir haben, um unsere BetriebsrätInnen auf dem Laufenden zu halten.

    Und wie steht es um den Informationsaustausch mit der Gewerkschaft?
    Mayer: Sehr gut. Da ich kein Wunderwuzzi bin, der auf Knopfdruck alles weiß und wissen muss, nutze ich mein persönliches Netzwerk. Mein Sekretär in der Gewerkschaft PRO-GE ist meine erste Ansprechperson. Ich tausche mich aber auch häufig mit allen anderen KollegInnen in der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer aus. Man erspart sich viel Zeit, wenn man bei bestimmten Themen gezielt jene um Rat fragt, die Spezialisten auf dem Gebiet sind. Bei der PRO-GE kann man sich auch für den „Pressespiegel“ anmelden und bekommt dann eine Zusammenfassung der wichtigsten Tagesmeldungen. Das ist wirklich sehr hilfreich.
    Heimberger: Gemeinsam mit der Gewerkschaft GPA-djp organisieren wir regelmäßig Filialen-Durchfahrten. Wir nehmen uns dann zwei Tage Zeit und sprechen vor Ort mit den MitarbeiterInnen. Dabei erklären wir ihnen, was die Gewerkschaft ist, was sie macht und welche Vorteile ihnen eine Mitgliedschaft bringt. Erfolgreich sind wir mal mehr, mal weniger. Diese Aktion ist insbesondere für unsere DM-Beschäftigten von großer Bedeutung. Es wird ein persönlicher Bezug zur Gewerkschaft hergestellt, sie haben ein Gesicht zur Organisation und erfahren so, an wen sie sich bei Unklarheiten und Fragen wenden können.

    Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Ihren Firmenchefs?
    Heimberger: Die Geschäftsführung ist für uns sichtbar. Jeder kennt jeden, bei DM sind wir eine große Familie. Gemeinsam mit der Geschäftsführung wurden zahlreiche – auch gesundheitsfördernde – Maßnahmen ins Leben gerufen, wie etwa der DM-Frauenlauf, Gesundheitsbotschafter und Sicherheitsvertrauenspersonen. DM ist auch als familienfreundliches Unternehmen ausgezeichnet worden. Die Zusammenarbeit ist eine sehr gute, aber wenn es um das Verhandeln geht, dann sind unsere freigestellten Betriebsräte am Zug.
    Mayer: Mein Chef sitzt nicht irgendwo im Glaspalast, sondern in einem Großraumbüro und ist für mich jederzeit verfügbar. Sowohl mit der Personalabteilung als auch mit meinen BetriebsratskollegInnen finden regelmäßige Meetings statt. In den Betriebsrats-Meetings werden unter anderem aktuelle Themen aus der Produktion besprochen und Lösungen für die Geschäftsleitung abgeleitet. Diese treffen wir alle drei Monate, außer es brennt.

    Was ist das Schönste an Ihrem Job als Gewerkschaftssekretär?
    Karner:
    Eine der schönsten Aufgaben ist es, KollegInnen zu finden, die sich organisieren wollen, und in Firmen vorzudringen, in denen es keinen Betriebsrat gibt.

    Wie schwer ist das?
    Karner: Grundsätzlich sehr schwer. Erstens, weil viele ArbeitnehmerInnen gar nicht wissen, welche Rechte sie haben. Und zweitens, weil Mut in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit schwer zu finden ist. Mut, den ersten Schritt zu machen. Mut, Gleichgesinnte zu finden. Mut, sich mit wichtigen arbeits- und gesellschaftspolitischen Themen auseinanderzusetzen.
    Mayer: Es ist aber nicht nur das. Ich habe auch das Gefühl, dass Menschen verlernt haben, solidarisch zu sein. Das birgt eine große Gefahr – vor allem in Zeiten, wenn versucht wird, die erkämpften Rechte der ArbeitnehmerInnen zu schmälern.
    Karner: Deswegen müssen wir auch immer daran erinnern, warum es wichtig ist, Informationen einzuholen, sich zu organisieren und Betriebsrat zu werden. Die Mittel dafür sind vorhanden, niemand ist auf sich alleine gestellt. Der ÖGB, die Gewerkschaften und die Arbeiterkammern stehen jederzeit unterstützend zur Seite.

    Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?
    Karner: Im Voraus sind unsere Einsatzzeiten schwer planbar: Termine werden oft sehr kurzfristig angesetzt – auch aus dem Grund, weil es zum Beispiel Probleme in den Betrieben gibt, BetriebsrätInnen genauso wie ArbeitnehmerInnen unsere Beratung und Unterstützung dringend brauchen. Dann fahren wir entweder in den Betrieb, treffen uns in der Gewerkschaft, an einem neutralen Ort oder wir telefonieren einfach mit ihnen.
    Mayer: Ich habe immer einen Überblick darüber, was in der kommenden Woche bei uns los ist. Mein typischer Arbeitstag fängt damit an, dass ich meine E-Mails checke und Notizen abarbeite. (Termin-)Freie Zeit nutze ich, um in die Produktion zu gehen und mit den KollegInnen zu sprechen, einfach präsent zu sein. Außerdem habe ich eine Laufgruppe ins Leben gerufen, die sich zweimal in der Woche um 6.30 Uhr trifft und gemeinsam Sport macht.
    Heimberger: Da ich keine freigestellte Betriebsrätin bin, gehe ich somit in erster Linie meiner Tätigkeit als Kosmetikerin und Fußpflegerin nach. Ich habe ein Betriebsratshandy und bin jederzeit für alle erreichbar. Meine KollegInnen in den 17 Filialen wissen, dass ich für sie zuständig bin, und melden sich, wenn sie etwas brauchen. An meiner Seite habe ich auch die freigestellten BetriebsrätInnen, die ich bei Problemen jederzeit kontaktieren kann.
    Mayer: Hier muss man schon sagen, dass es ein Luxus ist, freigestellter Betriebsrat zu sein oder freigestellte Betriebsräte zu haben. Bei mir kommt es zum Beispiel auch vor, dass ich mir während der Arbeitzeit die „Zeit im Bild“ ansehe. Denn es gehört zu meiner täglichen Arbeit dazu, auf dem Laufenden und gut informiert zu sein. Will man Betriebsratsarbeit gut machen – egal ob für 30 oder 130 MitarbeiterInnen –, dann braucht man auch ausreichend Zeit dafür.
    Heimberger: Ja. Obwohl man sich die Tätigkeit selbst aussucht und sehr gerne macht, ist Zeitmanagement schwierig. Das Tolle bei DM ist aber, dass wir ein Betriebsratsbüro haben, welches die wichtigsten Informationen filtert und sofort an die BetriebsrätInnen weiterleitet, einige Zeit später auch an alle MitarbeiterInnen. Früher wurden diese Infos zeitgleich an alle verschickt. Die Neuregelung hat den Vorteil, dass alle BetriebsrätInnen genug Zeit haben, zu recherchieren, und wenn die ersten Anfragen eintrudeln, auch Antworten geben können.

    Welche Rolle spielt Weiterbildung?
    Mayer: Immer dann, wenn es der Terminkalender zulässt, nehme ich an Tagesseminaren zu bestimmten Themen teil wie etwa zum Arbeitnehmerschutz. Absolviert habe ich schon die Gewerkschaftsschule und habe nun mit der ReferentInnen Akademie der Arbeiterkammer begonnen. Das sind drei sehr hochwertige und interessante Tagesseminare.
    Karner: Zusätzlich zu den spezifischen Ausbildungen der Gewerkschaft vida habe ich auch die Gewerkschaftsschule in Kärnten besucht. Wunschziel war die BetriebsrätInnen-Akademie, die ich zurzeit besuche.
    Mayer: Die Gewerkschaftsschule hat den Vorteil, dass man ein Netzwerk aufbauen kann und einen guten Überblick darüber bekommt, was man bereits kann und was man noch lernen muss, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen.
    Karner: Ja, die Gewerkschaftsschule macht einfach Lust auf mehr. Bei vielen wird erst hier das Interesse für Interessenpolitik geboren. Im eigenen Bundesland zu netzwerken ist etwas Tolles. Und das lernen viele erst in dieser Ausbildung.
    Mayer: Von zentraler Bedeutung war die Bildungsreise nach Brüssel, die im Rahmen der Gewerkschaftsschule organisiert wurde. Ich bin als EU-Bürger hingeflogen, und als ich zurückkam, war mir klar, dass die EU ein gutes Projekt ist, das sich lohnt.

    Wie überzeugen Sie ArbeitnehmerInnen am besten, der Gewerkschaft beizutreten?
    Karner: Das ist unterschiedlich. Es hängt immer davon ab, mit welchen Persönlichkeiten man es zu tun hat. Es kommt vor, dass sich Beschäftigte selbst bei uns melden oder wir aufgrund von bestimmten Signalen feststellen, dass in einem Betrieb etwas getan werden muss. Wenn wir Mitglieder werben, verteilen wir Info-Material und sagen ganz offen, wer wir sind, was wir machen und ganz wichtig: Wir drängen uns niemandem auf.

    Und als Betriebsrat?
    Mayer: In unserem Betrieb sind alle MitarbeiterInnen auch Gewerkschaftsmitglieder. Als Betriebsrat begegne ich allen KollegInnen auf Augenhöhe. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es nicht viel bringt, neue KollegInnen überfallsartig von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft überzeugen zu wollen. Deswegen bin ich da auch nicht so verbissen, in erster Linie bin ich ein Freund und Kollege, der für sie da ist, wenn sie Fragen haben, etwas nicht verstehen und Unterstützung brauchen. Alles andere ergibt sich mit der Zeit dann fast wie von selbst.
    Heimberger: Bei DM haben wir es bisher so gehandhabt, dass ich intensiv mit den JugendvertrauensrätInnen zusammenarbeite. Die Durchfahrten mit der GPA-djp, die ich bereits erwähnt habe, bieten eine gute Gelegenheit, sich auszutauschen.

    Was war bisher Ihr größter Erfolg?
    Karner:
    Die Pflege in Kärnten wirft immer gröbere Problemstellungen auf. Und damit haben wir uns in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt und eine Anpassung im Heimgesetz unterstützt. Der Pflegeschlüssel wurde gesenkt, für die Beschäftigten eine Entlastung. Wesentlich ist aber auch, dass die Strafen bei Übertretung für die Pflegeheimbetreiber drastisch erhöht wurden. Das ist ein sehr großer Erfolg, auf den wir stolz sind. Außerdem haben wir es geschafft, in diesen Jahren sehr viele Körperschaften zu gründen, vor allem in diesen Pflegeheimen. Dadurch war es auch möglich, für einige notwendige Veränderungen sowie eine breitere öffentliche Wahrnehmung für diese Berufsgruppe zu sorgen.
    Mayer: Besonders stolz bin ich auf zwei Sachen, eine davon die Verleihung des Betriebsrats-Awards vom Land Niederösterreich für erfolgreiche Mitgliederwerbung. Das war mein persönliches Superhighlight der vergangenen Jahre – es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn sich jemand, in diesem Fall die Fachgewerkschaft und der ÖGB, für all die Arbeit und Mühe im Betrieb bedankt. Viele unserer KollegInnen im Betrieb sind im Zuge der Lohnkürzungen aus der Gewerkschaft ausgetreten. Gemeinsam mit meinen BetriebsratskollegInnen konnte ich ihr Vertrauen zurückgewinnen. Wir sind mittlerweile zu 100 Prozent organisiert, auch die ZeitarbeiterInnen sind der Gewerkschaft beigetreten.

    Wie haben Sie das geschafft? Was ist Ihr Geheimnis?
    Mayer: Ganz wichtig ist es, authentisch zu sein. Es bringt nichts, wenn ich 20 gute Gründe für eine ÖGB-Mitgliedschaft aufzähle, wenn der Kollege, den ich versuche zu werben, nichts oder wenig damit anfangen kann. Daher versuche ich, immer meine eigenen Erfahrungen und plakative Beispiele in ein Gespräch einfließen zu lassen. Weil ich sehr gut in Bildern sprechen kann, funktioniert das bei mir nahezu immer.

    Können Sie ein Beispiel nennen?
    Mayer: Heutzutage hat doch fast jeder eine Haushaltsversicherung. Wenn die Bude abbrennt oder das Wasserrohr bricht, dann ist man versichert. Doch was passiert eigentlich, wenn jemand in der Firma einen Schaden verursacht? Sogar grob fahrlässig, weil er am Vorabend mit Freunden feiern war? Einem Kollegen zwei Finger abzwickt, wie bei uns im Unternehmen vor langer Zeit geschehen? Darüber denken die wenigsten nach. Damit man für so eine Situation gut gerüstet ist, ist für Gewerkschaftsmitglieder die Berufshaftpflichtversicherung des ÖGB da. Wenn ich dieses Beispiel nenne, muss ich in den meisten Fällen nicht viel mehr erzählen – obwohl das nur ein Vorteil von vielen ist.

    Verraten Sie uns nun auch Ihr zweites Erfolgserlebnis?
    Mayer: Dieses betrifft ZeitarbeiterInnen, die über einen Zeitraum von drei Monaten einen Arbeitseinsatz bei uns hatten. Nach Beendigung des Arbeitseinsatzes meldeten sie sich bei mir und baten um Überprüfung ihrer Löhne. Bei Durchsicht der Unterlagen kam mir das Grausen. Sie arbeiteten 40 Stunden in der Woche und am Monatsende bekamen sie nur etwas mehr als 700 Euro. Bei der Krankenkasse wurden sie immer wieder ab- und angemeldet.
    Ich nutzte all meine Kontakte und begleitete die 40 Betroffenen zur Gewerkschaft. Dort erhielten sie eine Soforthilfe in der Höhe von 260 Euro, wurden vor Gericht vertreten und bekamen Tausende Euro nachbezahlt. Außerdem kam die Zeitarbeitsfirma gewaltig unter Druck und zog sogar personelle Konsequenzen. Es war schön, hier mitzuwirken, die richtigen Fäden zu ziehen und den betroffenen ArbeiterInnen zu ihrem Recht zu verhelfen.
    Heimberger: Ich muss schon gestehen, dass ich hier nicht mithalten kann. So große Erfolge wie die beiden Kollegen hatte ich bisher nicht. Aber trotz großer Erfolge darf man die kleinen Freuden nicht vergessen, weil sie genauso wichtig sind. Mein persönliches Highlight erlebe ich jedes Mal, wenn mich jemand anruft und Danke sagt. Danke, dass du geholfen hast. Danke, dass du zugehört hast. Danke, dass du da bist.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Das Gespräch führte Amela Muratovic Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829272 Nicole Heimberger: "Es ist jedes Mal aufs Neue ein schönes Gefühl, wenn jemand anruft und Danke sagt. Danke, dass du geholfen hast. Danke, dass du zugehört hast. Oder danke, dass du da bist." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829280 Julius Mayer ist immer zur Stelle, wenn es darum geht, ArbeitnehmerInnen zu ihrem Recht zu verhelfen - wie etwa für ZeitarbeiterInnen, die über viele Monate falsch entlohnt wurden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1518058829299 Mario Karner: "Eine der schönsten Aufgaben ist es, KollegInnen zu finden, die sich organisieren wollen, und in Firmen vorzudringen, in denen es keinen Betriebsrat gibt." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1517454014901 Coverstory: 2 Seiten mit 1 Interesse Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. So lautet ein bekanntes Bonmot aus der Medienwelt. Auf das Thema Betriebsrat trifft es allemal zu, wenn man die Mainstream-Medienberichterstattung studiert. Da ist von Konflikten und Kampfmaßnahmen zu lesen, von Unternehmensbossen wie Dietrich Mateschitz, die durch Drohgebärden die Gründung von Betriebsräten zu verhindern wissen, oder von Drogerie-MitarbeiterInnen, die gekündigt werden, weil sie einen Betriebsrat gründen wollen.
    Sie sind zwar nicht so laut, aber es gibt auch die „Good News“ zum Thema Betriebsräte. Der European Company Survey (ECS), eine europaweite Studie über Mitbestimmung in Unternehmen, ergab für Österreich, dass die allermeisten ManagerInnen dem Betriebsrat positiv gesinnt sind. Befragt wurden sowohl BetriebsrätInnen als auch Führungskräfte. 95 Prozent der insgesamt fast 1.000 befragten ManagerInnen gaben demnach an, dem Betriebsrat zu vertrauen. 92 Prozent denken, die Einbindung des Betriebsrates führe zu mehr Engagement der MitarbeiterInnen. 86 Prozent sind der Ansicht, dass der Betriebsrat hilft, die Arbeitsleistung zu verbessern.

    Vertretung vs. direktes Verhandeln
    Ein für Österreich interessantes Ergebnis des ECS, da es hierzulande viele Klein- und Mittelbetriebe gibt: Rund ein Drittel der Führungskräfte vor allem aus kleineren Unternehmen gaben an, sie würden sich lieber direkt mit MitarbeiterInnen beraten als mit dem Betriebsrat. Und 20 Prozent der befragten VertreterInnen der Unternehmensführung sind der Ansicht, dass die Einbindung des Betriebsrats zu großen Verzögerungen führe. Die Zahl mag hoch klingen, doch Bettina Stadler, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsinstitut FORBA, relativiert. Sie hat im Auftrag der AK Wien die Österreich-Daten des ECS ausgewertet und hält die 20 Prozent sogar für überraschend wenig: „Natürlich dauert es länger, wenn der Betriebsrat in eine Entscheidungsfindung eingebunden wird, als wenn das Topmanagement etwas alleine entscheidet. Und auch wenn der Betriebsrat nur informiert wird, gibt es oft eine Verzögerung, weil es ja selten beim Informieren bleibt, sondern Diskussionen ausgelöst werden.“
    Auf eine wichtige Einschränkung weist Stadler bei der Bewertung der Studienergebnisse hin: „Es handelt sich um eine Unternehmensstichprobe.“ Es wurden knapp 1.000 Unternehmen kontaktiert und gefragt, ob sie – auf freiwilliger Basis – an der Erhebung teilnehmen wollen. „Die Stichprobe ist groß genug und die Auswahl der Unternehmen ist sicher seriös erfolgt. Trotzdem muss man dazusagen, dass Unternehmen, bei denen es gerade große Konflikte gibt oder die in einer akuten wirtschaftlichen Krise stecken, sicher nicht freiwillig an so einer Befragung teilnehmen.“ Anders gesagt: Wer Probleme hat, redet meist nicht gern darüber – jedenfalls nicht mit Außenstehenden.

    Seltener Einblick
    Dennoch sind die Studienergebnisse insofern interessant, als sie aufzeigen, dass Betriebsräte oft nicht nur bei MitarbeiterInnen, die sich ja vertrauensvoll an sie wenden können, einen guten Ruf genießen, sondern auch beim Management. Besonders wertvoll sind die Ergebnisse, weil die Sicht der Führung auf den Betriebsrat selten erhoben wird. Ursula Filipič, die für die AK sozialpolitische Grundlagenarbeit macht, sagt: „Es gibt sehr wenig Forschung zum Thema, wie das Management den Betriebsrat einschätzt. Die ECS-Ergebnisse füllen insofern eine Forschungslücke, als sie unter anderem auf die Einschätzung des Betriebsrats und seiner Arbeit durch die Führungskräfte fokussieren.“ Auch aus anderer Forschung sei aber bekannt, „dass das Zusammenwirken von Belegschaften, Betriebsrat und Management sehr oft sehr gut funktioniert“.
    Was die Studie aber nicht erhoben hat, sind qualitative Daten. Arbeit&Wirtschaft hat deshalb mit Top-Führungskräften gesprochen, wie sie die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat empfinden und inwiefern sie diese als sinnvoll oder als Hemmschuh empfinden. Aus Sicht von Peter Edelmayer, einem der beiden Geschäftsführer von Dussmann Service Österreich, ist es eine verkürzte Darstellung, zu glauben, dass die Geschäftsführung die Interessen des Unternehmens und der Betriebsrat jene der ArbeitnehmerInnen vertrete: Diese Reduktion sei „mehr als kurzsichtig und wird bei Dussmann nicht gelebt“. Das Gebäudemanagement-Unternehmen, das in Österreich rund 7.500 MitarbeiterInnen hat und Serviceleistungen wie etwa Reinigung, Gebäudetechnik, Catering und Energiemanagement anbietet, hat seit mehr als 30 Jahren einen Betriebsrat. Einmal pro Monat gibt es einen Jour Fixe, bei dem die Geschäftsführung und der Zentralbetriebsratsvorsitzende über aktuelle Themen und offene Punkte sprechen – und zwar „auf Augenhöhe“. Voraussetzung dafür ist laut Edelmayer „Wertschätzung auf beiden Seiten“. Daraus resultiere „eine offene Diskussion und konstruktive Lösungsfindung“.

    Zeit- und Ressourcenschonung
    Bei Dussmann habe man sowohl positive als auch negative Erfahrungen mit dem Betriebsrat gemacht. So sei es etwa schwierig, wenn Betriebsratsmitglieder ihre Stellung für rein persönliche Ansichten missbrauchen oder Aktionen setzen, die dem Unternehmen nachweislich schaden, ohne im Vorfeld die Kommunikation zu leitenden MitarbeiterInnen zu suchen. Als positiv erlebt es die Geschäftsführung dagegen, dass Themen gebündelt an das Management herangetragen werden: „So muss nicht jeder Fall einzeln behandelt werden, was Zeit und Ressourcen im Unternehmen schont.“ Gäbe es keinen Betriebsrat, würden die Expertise und Sichtweise zu manchen Themen aus Sicht der ArbeitnehmerInnen fehlen, über die BetriebsrätInnen meist genau Bescheid wissen. Edelmayer: „Eine zusätzliche alternative Sichtweise ist einer konstruktiven Lösung oft zugetan und kann Lösungsansätze aufzeigen, die sonst nicht angedacht werden.“
    Bei Dussmann wird der Betriebsrat von Beginn an miteinbezogen, was man als vertrauensbildende Maßnahme sieht. Wenn Dussmann etwa Dienstleistungen übernimmt, „die einen Betriebsübergang darstellen“, so Edelmayer, „werden in einem gemeinsamen Termin beim Kunden mit unserem Betriebsrat und den zu übernehmenden MitarbeiterInnen sämtliche offenen Fragen abgeklärt“. Dies zeige auf, dass im Unternehmen eine gute Zusammenarbeit von Management und Betriebsrat lange verankert sei. Edelmayer ist überzeugt: „Wo man konstruktiv zusammenarbeitet, kann man auch betriebswirtschaftlich bessere Ergebnisse erzielen: Das ist eine Win-win-Situation für Unternehmen und Mitarbeiter.“
    Eine Wechselwirkung zwischen wirtschaftlichem Erfolg von Unternehmen und der Arbeit des Betriebsrates zeigte sich auch in der ECS, wenn auch nicht explizit für Österreich. Für Ursula Filipič ist aber bemerkenswert, dass die gesamteuropäischen Daten zeigen, „dass mitbestimmte Unternehmen erfolgreicher sind: Sie erzielen die besseren wirtschaftlichen Ergebnisse und generieren gleichzeitig ein höheres Wohlbefinden der Beschäftigten am Arbeitsplatz.“ Zentral dafür seien aber Kommunikation und Information, denn EU-weit würden jene Unternehmen am besten abschneiden, in denen Betriebsratskörperschaften ausreichende Ressourcen für ihre Arbeit haben und die Betriebsräte vom Management ausreichend, also auch frühzeitig informiert werden.

    Vorteil oder Nachteil am Markt
    Sabine Mlnarsky, Personalchefin der Erste Bank und Erste Holding, hat schon in mehreren Unternehmen Erfahrung mit Betriebsräten gesammelt, unter anderem in ihrem letzten Job bei Austrian Airlines. Sie sieht den Betriebsrat im Allgemeinen positiv, unter anderem sei es in jeglichem Veränderungsprozess hilfreich, wenn Betriebsrat und Human-Resource-Abteilung eng zusammenarbeiten. Denn: „Betriebsräte können entweder sämtliche Prozesse gut unterstützen oder dramatisch stören.“ Mlnarsky hat in ihrer beruflichen Laufbahn beides erlebt. Bei früheren Arbeitgebern habe sich etwa der Widerstand des Betriebsrates gegen eine Flexibilisierung von veralteten Arbeitszeitzeitmodellen sehr negativ ausgewirkt: „Das ging so weit, dass ich verzweifelt bin. Ich habe gute Leute ins Unternehmen gebracht und sie nach drei Monaten wieder verloren, weil sie gesagt haben: Mit so starren Systemen will ich nicht arbeiten.“ Gebe es auf Betriebsratsseite sehr starre Persönlichkeiten, könne das teilweise gegen die Wünsche der Belegschaft laufen – und das sei „ein echter Marktnachteil“.

    Offenheit, Kritik und Mut
    Genauso könne ein Betriebsrat zum Marktvorteil werden, wenn er sehr offen ist. Die oft sehr kritische Haltung von BetriebsrätInnen sei eben auch wertvoll: „Auch wenn sie manchmal übervorsichtig sind, bringen sie oft einen neuen Blickwinkel ein und machen uns auf Dinge aufmerksam, auf die wir alleine nicht gekommen wären.“ Zwei Dinge sind Mlnarsky besonders wichtig. Erstens: Qualifikation. „Je besser der Betriebsrat arbeitsrechtlich ausgebildet ist, umso höher ist die Qualität in den Verhandlungen und umso besser das Resultat.“ Zweitens: Persönlichkeit. „Betriebsräte brauchen ähnliche Profile wie Mitarbeiter in anderen Schlüsselpositionen: Sie müssen Mut haben, Entscheidungen zu treffen, die manchmal Hunderte oder Tausende Personen betreffen.“ Da BetriebsrätInnen ehrenamtlich arbeiten, für ihre Wiederwahl kämpfen müssen und häufig mit unzufriedenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Kontakt stehen, weil selten jemand komme, um Lob auszusprechen, hat Mlnarsky Respekt vor dieser Aufgabe: „Der Betriebsrat ist manchmal ein Kummerkasten – in dieser Rolle will ich nicht mit ihm tauschen. Die Aufgabe ist eine große Bürde, die ich sehr anerkenne.“
    Und die Aufgabenbereiche der BelegschaftsvertreterInnen werden, wie die gesamte Wirtschaft, immer komplexer. Bettina Stadler von FORBA weist unter anderem auf das Thema Digitalisierung hin, das sich gravierend auf Unternehmen und MitarbeiterInnen auswirkt: „Es gibt viele Bereiche, wo tiefgreifende Veränderungen passieren. Betriebsräte müssen diese Entwicklungen bewerten.“ Hier tue sich für die Zukunft ein sehr weites Feld für BetriebsrätInnen auf, die sich weiterbilden und qualifizieren müssen. Zwar bieten Arbeiterkammer und Gewerkschaften viele Hilfestellungen an, doch „die Betriebsräte brauchen auch Ressourcen dafür“.

    Dramatisch unterschiedliche Systeme
    Ob es in Österreich tatsächlich einen direkten Einfluss von guter Betriebsratsarbeit auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens gebe, dazu äußert sich Stadler zurückhaltend: Die Datenlage sei nicht ausreichend und klar genug, als dass kausale Zusammenhänge seriös wären. Auch ein Ländervergleich ist aus ihrer Sicht problematisch, schon aufgrund anderer Ausgangssituationen: „Die Systeme der Mitbestimmung sind dramatisch unterschiedlich.“
    Auch wenn eine Belegschaftsvertretung nicht zwingend schnurstracks zum ökonomischen Aufschwung eines Betriebs führen mag, gibt es doch einiges, was ManagerInnen an ihr schätzen. Karl-Heinz Rauscher, Geschäftsführer Ressort Personal bei MAN Truck & Bus Österreich, schätzt in seinem Unternehmen, wo es schon seit der Gründung 1990 einen Betriebsrat gibt, dass dieser ein tiefgreifendes Verständnis für die betrieblichen Zusammenhänge und die Bereitschaft hat, sich an der Weiterentwicklung des Unternehmens aktiv zu beteiligen. Auch Rauscher erlebt den Betriebsrat teils als Bremse, aber das sei nicht nur schlecht: „Aufgrund der engen Einbindung des Betriebsrates verzögern sich gelegentlich Entscheidungen, dafür können von beiderseitiger Akzeptanz getragene Entscheidungen durchwegs als nachhaltiger bezeichnet werden.“ Der Betriebsrat begleite und unterstütze aktuelle Themen rund um die Neuausrichtung des Unternehmens, zum Beispiel den Aufbau neuer Fertigungsfelder wie etwa eines Truck Modification Centers oder einer Kunststoffteile-Lackierung: „Die Wirtschaftlichkeit und die Beschäftigungssicherung stehen dabei im Einklang.“ Wichtig sind Rauscher eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit, ein Verständnis für die Interessen der jeweils anderen Seite sowie Wertschätzung: „Letztlich sind es die gemeinsamen Ziele, die auch tragfähige Vereinbarungen möglich machen.“

    Laut nachdenken können
    Das sieht auch Silvia Hruška-Frank, stellvertretende Leiterin der Abteilung Sozialpolitik in der AK Wien, so: „Es wäre ein totales Missverständnis, wenn man glauben würde, dem Betriebsrat ginge es nicht darum, dass es dem Unternehmen gut geht.“ Um die Geschäfte gemeinsam voranzutreiben, ohne dass die MitarbeiterInnen auf der Strecke bleiben, ist die Vertrauensbasis essenziell – das betonen auch ManagerInnen. Erste-Personalchefin Mlnarsky: „Ich erachte es als wertvoll, wenn ich mich mit dem Betriebsrat unterhalten kann, ohne dass es sofort veröffentlicht wird.“ Sie schätzt es, „einfach einmal laut nachdenken zu können, ohne mich sofort einzementiert zu fühlen“. In einem Unternehmen zu arbeiten, in dem ein Betriebsrat verboten wird, kann sich Mlnarsky übrigens gar nicht vorstellen: „Das ist ein Armutszeugnis für ein Management.“ Es sei ihrem Wertempfinden nach falsch, wenn Geschäftsführer MitarbeiterInnen, die einen Betriebsrat gründen wollen, sagen: „Wehe, ihr traut euch das!“
    Ist das Vertrauen zwischen Management und Betriebsrat gut und die Zusammenarbeit anstatt von permanenter Konfrontation von dem gemeinsamen Verfolgen von Zielen geprägt, kann Betriebsratsarbeit auch Spaß machen – und das sollte sie auch, sagt Silvia Hruška-Frank. Sie verschweigt aber auch nicht, dass die Arbeit immer herausfordernder wird. Nicht nur Alltägliches wie Arbeitsverträge, kollektivvertragliche Einstufungen, der Umgang mit erhöhtem Arbeitsdruck, hohen Teilzeitquoten und vielem mehr fordern Betriebsräten Durchhaltevermögen, Verhandlungsstärke und Fingerspitzengefühl ab. Dazu kommt laut Hruška-Frank, dass sich Menschen heute als viel individualisierter wahrnehmen und Betriebsräte deshalb eher auf die Interessen Einzelner eingehen müssen.

    Ständiger Veränderungsdruck
    Eine der größten Herausforderungen liegt im wirtschaftlichen Umfeld, das sich durch Globalisierung und Technologie so rasant wandelt, dass auch die meisten Unternehmen ständig im Veränderungsmodus sind. Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft in der AK Wien, beobachtet vor allem in größeren internationalen Unternehmen, dass Umstrukturierung zur Routinearbeit geworden ist – und damit auch zum Hauptjob vieler Betriebsräte. Sie müssen nicht nur dafür sorgen, dass die Auswirkungen der Veränderungen möglichst wenige negative Folgen für die Belegschaft haben, sondern auch vorausdenken und etwa rechtzeitig Umschulungsmaßnahmen anregen. Leitsmüller: „Früher war Umstrukturierung die Ausnahme, heute ist es eher die Regel.“ In manchen Branchen, etwa im Finanzsektor oder in der IT, sei permanentes Abfedern zur Hauptaufgabe des Betriebsrats geworden.
    Ein großes Problem ist jedoch, dass viele strategische Entscheidungen mittlerweile nicht mehr frühzeitig mit dem Betriebsrat besprochen werden. Leitsmüller zufolge wird es die für Belegschaftsvertretungen immer schwieriger, rechtzeitig Informationen über gravierende Entscheidungen wie veränderte Standorte oder neue Produkte zu erhalten: „Diese Entscheidungen rücken in die Konzernsitze. Die Betriebsräte haben sie dann nicht mehr am Radar.“ Dabei macht es auch aus Sicht des Managements Sinn, frühzeitig zusammenzuarbeiten. Für Sabine Mlnarsky von der Ersten ist es sogar eine goldene Regel: „Involviere den Betriebsrat so früh wie möglich.“

    Lohn der guten Zusammenarbeit
    Eine offene, vertrauensvolle Zusammenarbeit von Management und Betriebsrat, hinter der gemeinsame Ziele stehen, hat einen Lohn, der gar nicht so klein ist: Der soziale Frieden im Unternehmen wird gesichert, das Betriebsklima positiv beeinflusst, Autonomie und Arbeitszufriedenheit der MitarbeiterInnen steigen. Betriebsräte helfen zudem, Konfliktsituationen frühzeitig zu erkennen, und tragen Informationen von der Mitte des Unternehmens bis zur höchsten Führungsebene. Wenn es nicht so rund läuft oder große Veränderungen ins Haus stehen, machen sie dem Management Vorschläge für konstruktive Lösungen. „Wir wissen, dass Unternehmen durch diese Umstände besser dastehen und produktiver sind“, hält Silvia Hruška-Frank fest. Um das sagen zu können, braucht es nicht nur knallharte wissenschaftliche Daten, dies zeigen auch die jahrelangen Erfahrungen mit den Betrieben und BetriebsrätInnen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexandra Rotter Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1517454014917 "Good News" zum Thema Betriebsräte: Fast alle von knapp 1.000 befragten Führungskräfte vertrauen ihren Betriebsräten. Der Großteil denkt zudem, dass der Betriebsrat hilft, die Arbeitsleistung der MitarbeiterInnen zu verbessern. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1517454014922 Von oben nach unten: Bettina Stadler, FORBA; Peter Edelmayer, Dussmann Service Österreich; Sabine Mlnarsky, Erste Bank und Erste Holding; Karl-Heinz Rauscher, MAN Truck & Bus Österreich; Silvia Hruška-Frank, Abteilung Sozialpolitik, AK Wien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1517454014930 Offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Management und Betriebsrat hat einen Lohn: Der soziale Frieden im Unternehmen wird gesichert, das Betriebsklima positiv beeinflusst. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1517454014827 Frisch gebloggt Arbeitsmarktpolitische Fehlentscheidung
    Ilse Leidl

    Der Stopp der Beschäftigungsaktion 20.000 für ältere ArbeitnehmerInnen ist eine arbeitsmarktpolitische Fehlentscheidung. Mitte 2017 wurden so zusätzliche und länger dauernde Arbeitsmöglichkeiten für ältere Langzeitbeschäftigungslose in Gemeinden oder im gemeinnützigen Bereich geschaffen. Ein Großteil der Kosten wäre dem Bund sowieso durch die Auszahlung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe in diesem Zeitraum entstanden. Aber statt Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung werden Löhne ausbezahlt, gleichzeitig entsprechende Sozialleistungen reduziert und die Kaufkraft der TeilnehmerInnen wird erhöht. Dies schlägt sich gerade im unteren Einkommensspektrum zum größten Teil in zusätzlichen Konsumausgaben nieder. Und die Aktion zeigte rasch Wirkung: In den Modellregionen sank die Zahl der arbeitslos vorgemerkten Langzeitbeschäftigungslosen über 50 Jahre im Schnitt um 1,4 Prozent, während sie im Rest Österreichs um 6,1 Prozent stieg. Auch nach Ablauf der Förderung wurde über die Hälfte der Personen beim selben Unternehmen weiterbeschäftigt.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y8ajnozy

    Familienbonus: wem er nutzt
    Romana Brait

    Die Regierung will einen Familienbonus einführen. Budgetär führt das zu einer Reduktion des Aufkommens der Einkommensteuer um insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro. Davon profitieren vor allem Männer: Ihnen kommen 2 von 3 ersparten Euro zugute. Wesentlicher Grund sind die deutlich niedrigeren Fraueneinkommen, die zu niedrigeren Steuerzahlungen im Bereich der Einkommensteuer führen. Würden die 1,5 Milliarden Euro an Einkommensteueraufkommen stattdessen für einen Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen genutzt werden, würden auch jene Eltern profitieren, deren Einkommen zu gering ist, um den Familienbonus beanspruchen zu können. Gerade jene Menschen mit den kleinsten Einkommen können vom Familienbonus nicht profitieren. Der Familienbonus begünstigt vor allem mittlere Einkommen. Geringe Verluste ergeben sich für die obersten 20 Prozent der Einkommensverteilung. Armutsgefährdete und materiell Benachteiligte hingegen profitieren im Durchschnitt mit rund 30 Euro netto pro Jahr nicht einmal halb so viel vom Familienbonus wie Menschen ohne Armutsgefährdung und materielle Benachteiligung.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y9g8jrvp

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    Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608439 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1517454014807 Statistiken: 3Mit Dir! Die BetriebsrätInnen

    • vertreten deine Interessen im Betrieb,
    • unterstützen und beraten dich und schließen Betriebsvereinbarungen ab,
    • bereiten nach den Bedürfnissen der Belegschaft KV-Forderungen vor und kontrollieren die Einhaltung des Arbeitsrechts,
    • mobilisieren für Kampfmaßnahmen wie Betriebsversammlungen, Demonstrationen und Streiks.

    www.betriebsraete.at

    Die Gewerkschaften

    • vertreten deine Interessen in deiner Branche,
    • beraten dich in rechtlichen Fragen und unterstützen dich vor Gericht,
    • verhandeln die Kollektivverträge gemeinsam mit den BetriebsrätInnen,
    • organisieren Kampfmaßnahmen wie Betriebsversammlungen, Demonstrationen und Streiks.

    www.oegb.at

    Die Arbeiterkammer

    • vertritt deine Interessen gegenüber Staat und Politik,
    • unterstützt dich bei arbeitsrechtlichen Problemen,
    • berät dich zu Arbeitsrecht und KonsumentInnenschutz,
    • analysiert und recherchiert für die Lohn- und Gehaltsverhandlungen.

    www.arbeiterkammer.at

    Die Grafik dazu finden Sie anbei zum Downloaden! 

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    Arbeiterkammer http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1517454014795 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1517454014767 Standpunkt: Nicht erst als Druckmittel gut Im Schlimmsten Fall müssen wir halt einen Betriebsrat gründen. Dieser Satz eines Bekannten von mir hallte noch eine ganze Weile in meinem Kopf nach: der Betriebsrat als Druckmittel gegen die Firmenleitung. Als ich fragte, warum sie nicht so oder so einen Betriebsrat gegründet hätten, erhielt ich eine sehr vertraute Antwort: Man verstehe sich eh gut mit den Chefs, könnte mit ihnen über alles reden, deshalb brauche es keinen Betriebsrat. Nur jetzt …

    Misstöne
    Der Hintergrund: Der Bekannte und seine Arbeitskollegen, an deren Gespräch ich beteiligt war, arbeiten in einer IT-Firma. Die Geschäfte laufen ausgezeichnet, und doch gibt es Misstöne. Die Themen sind nicht außergewöhnlich, es geht um Arbeitszeiten, Bereitschaftsdienste, Überstunden, aber auch um den Umgang mit den Mitarbeitern. Der Konflikt, in dem die Männer stecken, ist sehr typisch für die Arbeitwelt.
    Typisch für Betriebe dieser Branche: Sie fingen klein an und wuchsen zum Teil sehr stark, wie in diesem Fall. Der kleine Anfang brachte eine vertraute Atmosphäre zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten mit sich. Noch dazu arbeiten dort hoch qualifizierte Menschen, die kein großes Problem damit haben, sich die eigenen Rechte anzueignen. Doch auch die beste Qualifikation bringt eins nicht automatisch mit sich: die Kompetenz aller ArbeitnehmerInnen im Betrieb, sich auch im Konfliktfall gut mit dem Arbeitgeber auseinandersetzen zu können (im Übrigen stehen auch erfahrene BetriebsrätInnen immer wieder vor neuen Herausforderungen in solchen Situationen).

    Wie es kommen muss
    Aber dann kommt es, wie es in jedem Betrieb einmal kommen muss: Es gibt einen Konflikt. Und auf einmal wird klar: So ein Betriebsrat könnte gar nicht so schlecht sein. Doch dann hat man meistens schon wertvolle Zeit verloren. Wertvolle Zeit, um Kanäle zu entwickeln, in denen man mit den KollegInnen und der Geschäftsleitung Gespräche führen kann, sollte es denn einmal um unangenehme Themen gehen. So kann vermieden werden, dass Konflikte zu große Ausmaße annehmen. Es können Argumente ausgetauscht werden, die Stimmen und Einwände der Belegschaft eingebracht werden, die vielleicht von der Unternehmensleitung gar noch nicht bedacht wurden.
    Und wie viele Gespräche werden außerhalb der Arbeit über die Probleme im Betrieb geführt: Würden diese in den Bahnen eines Betriebsrats stattfinden, wäre dies nicht produktiver? Denn Konflikte führen zu Frust und Demotivation, was gar zur Folge haben kann, dass wertvolle MitarbeiterInnen einer Firma den Rücken zukehren. Auch dies ist ein wichtiges Argument, weshalb ChefInnen gut daran täten, sich nicht gegen einen Betriebsrat zu wehren. 

    Besser wirtschaften mit Betriebsrat
    Freilich gibt es genug Arbeitgeber, die (noch) nicht verstanden haben, dass die Gründung eines Betriebsrats – auch in einer Phase, in der es noch keine Probleme gibt – kein feindlicher Akt ist. Ja, dass dies sogar ganz im Gegenteil gut für das Unternehmen sein könnte.
    Aber warum sollte man sich das antun, als Betriebsrat oder Betriebsrätin zu kandidieren? Es ist eine Frage, die ich wirklich gut verstehen kann. Leider ist es tatsächlich oftmals so, dass andere ArbeitnehmerInnen sich zurücklehnen, sobald es einen Betriebsrat gibt. Es ist immer eine Herausforderung, denn natürlich bedeutet es mehr Arbeit, zumal in Betrieben, in denen es keinen freigestellten Betriebsrat gibt. Bloß die unangenehme Wahrheit lautet: Wer nicht möchte, dass über ihn oder sie bestimmt wird, muss sich selbst auf die Hinterbeine stellen. Ein großes Dankeschön deshalb an dieser Stelle an all jene BetriebsrätInnen, die dies tagtäglich tun.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1517454014749 Historie: Das erste Gesetz Viktor Stein war nicht nur Redakteur der Union der Metallarbeiter und ab 1923 von der Zeitschrift „Arbeit& Wirtschaft“, sondern auch ein gefragter Referent der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Nachdem in Deutschland und Österreich bereits ein Gesetz zur Errichtung von Betriebsräten beziehungsweise Betriebsausschüssen erlassen worden war, war es im Jahr 1922 auch in der Tschechoslowakei so weit. Der dortige deutsche Gewerkschaftsbund lud Stein daraufhin ein, das Gesetz mit den KollegInnen im Vergleich zu den beiden anderen Gesetzen unter die Lupe zu nehmen. Er kam dabei zu folgendem Ergebnis:

    Das älteste ist das österreichische Gesetz vom 15. Mai 1919. … Vor allem ist es ein aus dem Ganzen der Sozialisierungs-Gesetzmaterie herausgehobenes Gesetz. Und weiter stellt es sich ausschließlich in den Dienst der Arbeiter und ihrer gewerkschaftlichen und wirtschaftsorganisatorischen Bestrebungen. … Das österreichische Gesetz lässt die Betriebsräte sich nur um das Wohl der arbeitenden Menschen für den Augenblick und für die weiteste Zukunft kümmern.

    Diese klare Aufgabenstellung sei, so Stein, nur durchsetzbar gewesen, weil sich die österreichische ArbeiterInnenbewegung in entscheidenden Fragen einig gewesen war. In Deutschland habe dagegen nicht nur der spätere Zeitpunkt der Beschlussfassung, als die Revolutionsangst bereits verflogen war, sondern vor allem auch die Uneinigkeit der ArbeiterInnenbewegung zu einem schlechteren Ergebnis geführt:

    Das deutsche Gesetz trägt das Datum 4. Februar 1920 … nach dem deutschen Gesetz sind in den Betrieben zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke Betriebsräte zu errichten. … Kurz, das deutsche Gesetz denkt ganz unverhohlen an den kapitalistischen Wiederaufbau … und schützt daher die Unternehmungen – vor den Arbeitern. Aber die Demokratisierung der Betriebe strebt es energisch und ehrlich an.

    An dem tschechoslowakischen Gesetz, das Anfang 1922 in Kraft trat, kritisiert Stein zunächst seine juristische „Schluderhaftigkeit“. Es sei zu einem Zeitpunkt verabschiedet worden, als der Kapitalismus nach den revolutionären Unruhen wieder fest im Sattel saß, vor allem aber hätten die sozialdemokratischen Abgeordneten Gewerkschaften hinter sich, die sich nur mit Mühe einem selbstmörderischen Bruderkampf erwehren können – ein Hinweis auf die großen Spannungen zwischen tschechischen und deutschen ArbeiterInnenorganisationen. Unter solchen Umständen, so Stein, kann es nicht überraschen, dass dieses Gesetz sozusagen in der Luft schwebt…. Es tut merkwürdig weltfremd (so schützt es vor, Gewerkschaften der Unternehmer zu kennen!), es trachtet von der Machtvollkommenheit des Unternehmers möglichst viel zu retten, … es erweitert nur das Recht der (gewerkschaftlichen) Betriebsvertrauensmänner. 

    Bei aller Kritik sieht Viktor Stein dieses Gesetz aber als wichtigen Schritt zur Demokratisierung der Wirtschaft an, vorausgesetzt eine starke, einige Gewerkschaftsbewegung stehe hinter der betrieblichen Interessenvertretung.  

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1517454014741 Viktor Stein (1876-1940) war bis zum Verbot der Sozialdemokratie im Jahr 1934 Nationalratsabgeordneter, beteiligte sich dann an der verbotenen Oppositionsarbeit und wurde 1939 in das KZ Sachsenhausen deportiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 09 Feb 2018 00:00:00 +0100 1517454014649 "Nicht zuletzt" ... Keine Schwächung der Beschäftigten! Betriebsratsvorsitzende bei Opel Wien und Vizepräsidentin der AK Wien]]> Die neue Regierung hat so einige Pläne in der Schublade, die auf eine Schwächung der ArbeitnehmerInnen hinauslaufen. Ein Beispiel ist die Zusammenlegung von ArbeiterInnen- und Angestelltenbetriebsrat. Hier geht es nicht um eine Angleichung von Rechten, wie sie behauptet, das ist falsch. Denn wir haben eine ganz unterschiedliche Klientel – und das sage ich wirklich nicht, um die ArbeitnehmerInnen auseinanderzudividieren. Aber es ist einfach so, dass die Angestellten meistens die Vorgesetzten sind. Da kann ich nur sagen: Rede als einfache/r ArbeiterIn einmal mit der Leitung, das ist nicht so einfach!

    Nur für Reiche?
    Noch schlimmer ist der Plan, den AK-Beitrag zu senken. Um es wie Rudi Kaske zu sagen: Das ist eine Melange im Monat. Oder um es in die ArbeiterInnensprache zu übersetzen: ein Bier im Monat. Ob man das hat oder nicht, tut nicht unbedingt weh. Bei der AK ist das aber völlig anders, denn von der Kammer hat man direkte und indirekte Vorteile. Direkte Vorteile wie zum Beispiel den Insolvenzschutz: Wird der Beitrag gekürzt, gehen Beschäftigte in einer solchen Situation vielleicht leer aus. Oder es gibt keinen Rechtsschutz mehr, und einen Anwalt können sich nur Reiche leisten. Auch eine Rechtsschutzversicherung ist ganz schön teuer – und wer wird ihnen wegen versteckter Klauseln auf die Finger schauen, wenn nicht der KonsumentenInnenschutz der AK?

    Indirekte Vorteile
    Indirekt profitieren die Mitglieder von Gesetzesbegutachtungen, wo die Stimme der ArbeitnehmerInnen derzeit gehört wird. Dann macht die AK die Messe für Baby, Bildung und Beruf oder Berufsmesse, wo sich die jungen Leute Ideen für einen späteren Beruf holen können: Davon haben viele etwas. Dann fällt mir ein Kollege ein, der ist 61, hat zwei neue Knie und sie haben ihm die Berufsunfähigkeitspension abgelehnt. Er ist dann mit Unterstützung der AK vor Gericht gegangen. Aber wenn der Beitrag gesenkt wird, wird die Kammer schauen müssen, wo sie ihr Geld einsetzt: für den KonsumentenInnenschutz? Für die Jugend, für die Frauen?
    Und auch für unsere Arbeit als Betriebsrat/-rätin ist die AK wichtig. Denn sie macht die Grundlagenarbeit, zum Beispiel wenn es wieder KV-Verhandlungen gibt. Dann gibt es die Sozak, die frühere Arbeiterhochschule: Es hat ja einen Grund, warum man sie eingeführt hat, nämlich damit die BetriebsrätInnen den Arbeitgebern auf Augenhöhe begegnen können. Auch das hat eine Wirkung! Oder wenn ich an einen ganz konkreten Fall aus unserer Firma denke, nämlich als General Motors, wie wir damals noch geheißen haben, Insolvenz angemeldet hat. Da waren wir in der Kammer und haben uns beraten lassen, wie wir vorgehen sollen, und waren so gewappnet. Am Ende ist es dann zum Glück nicht dazu gekommen.

    Dreh- und Angelpunkt
    Zum Schluss noch ein paar Worte zum Betriebsrat: Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft, seit zehn Jahren als Vorsitzende. Das Wichtigste dabei ist, dass man sich sozial für andere Leute einsetzen kann. Es kostet natürlich sehr viel Zeit, nach Stunden darf man bei mir nicht fragen. Aber es ist das Schöne, wenn man Leuten geholfen hat und diese dann Danke sagen: Das entschädigt! Belegschaften in Betrieben, die noch keinen Betriebsrat haben, rate ich unbedingt: gründet einen, und zwar so schnell wie möglich! Denn sonst haben die Arbeitgeber die Kontrolle. Als Betriebsrat/-rätin hast du den Vorteil, dass du auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern sprechen kannst. Und du musst dir kein Blatt vor den Mund nehmen, weil du einen Kündigungsschutz hast. Im Übrigen haben auch die Arbeitgeber Vorteile, weil wir einen ganz anderen Zugang zur Belegschaft haben. Wir sind der Dreh- und Angelpunkt, und davon haben alle etwas: sozialen Frieden.

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    Renate Blauensteiner, BR-Vorsitzende bei Opel Wien und Vizepräsidentin der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 1/18 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1517454014643 Renate Blauensteiner, Betriebsratsvorsitzende bei Opel Wien und Vizepräsidentin der AK Wien http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
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