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Vom Webstuhl bis zur Qualitätskontrolle Im Gloggnitzer Unternehmen Huyck.Wangner arbeiten 540 MitarbeiterInnen. Ihnen wurde schon bisher mehr bezahlt, als im Kollektivvertrag als Minimum vorgesehen ist.
Vom Webstuhl bis zur Qualitätskontrolle Oben: Andrea Schremser ist Betriebsratsvorsitzende von Huyck.Wangner.
Unten: Josef Stellnberger, Betriebsrat in Linz.
Vom Webstuhl bis zur Qualitätskontrolle Nur noch wenige Arbeitsschritte müssen im Gloggnitzer Textilbetrieb von Hand gemacht werden.

Reportage: Weben am 1.500er-Stoff

Schwerpunkt Mindestlohn

Die Textilindustrie ist eine jener Branchen, in denen sich die Sozialpartner kürzlich auf eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf mindestens 1.500 Euro brutto geeinigt haben. Arbeit&Wirtschaft hat zwei Textilbetriebe besucht und mit BetriebsrätInnen über die neuen Entwicklungen gesprochen.

In einem Jazzsong aus den 1930er-Jahren, der unter anderem von Ella Fitzgerald genial interpretiert wurde, lautet die Schlüsselzeile: „Denk dran: Wenn du dich zu sehr anstrengst, hat es nichts zu bedeuten.“ Mit wenig Anstrengung, ganz im Sinne des Lieds, haben die VerhandlerInnen des Textil-Kollektivvertrags Mitte März binnen kürzester Zeit ein gutes Ergebnis erzielt: die stufenweise Anhebung der Löhne und Gehälter auf mindestens 1.500 Euro brutto bis 2018, dazu die Lehrlingsfreifahrt sowie die volle Anrechung von Karenzzeiten.
Andrea Schremser, Betriebsratsvorsitzende des Gloggnitzer Textilunternehmens Huyck.Wangner Austria GmbH, hat solch eine positive Atmosphäre bei KV-Verhandlungen bisher noch nie erlebt – und das, obwohl sie schon seit 2004 den Kollektivvertrag der Textilindustrie mitverhandelt: „Heuer war es so ein entspanntes, angenehmes Verhandeln, dass man sich als Sozialpartner wirklich wertgeschätzt gefühlt hat.“ Nach nur einem einzigen Tag waren die Ergebnisse unter Dach und Fach – und die Verhandlungen dauerten gerade einmal bis zum frühen Abend des 14. März.

Mindestens 1.500 Euro

Konkret wurde beschlossen, dass ab Dezember 2018 alle ArbeiterInnen und Angestellten in der Branche mindestens 1.500 Euro brutto verdienen werden, ausgegangen wird dabei von einer Vollzeitstelle. Das hat Auswirkungen auf vier der insgesamt sechs Lohngruppen, denn sie lagen bis März unter diesem Betrag. Am stärksten fällt die Erhöhung für die unterste Lohngruppe aus: In Gruppe A wird der KV bis Ende 2018 von 1.325,81 Euro auf 1.500 Euro angehoben; in Gruppe D steigt der Satz von 1.476,47 auf 1.592 Euro. Diese Erhöhungen erfolgen in drei Schritten: Schon jetzt bekommen die MitarbeiterInnen der Textilbranche mehr Geld, dann wieder im April 2018 und erneut am 1. Dezember 2018.
Das Verhandlungsergebnis wird aber nicht nur die absoluten GeringverdienerInnen der Branche freuen, denn auch die Ist-Löhne und -Gehälter werden angehoben. Damit verdienen auch jene mehr, deren Löhne und Gehälter schon bisher höher waren, als im KV vorgesehen. Konkret bekommen auch sie schon jetzt um 1,25 Prozent mehr und in einem Jahr noch einmal um 0,25 Prozent plus Inflationsanpassung.
Beim Textilunternehmen Huyck.Wangner betrifft das sämtliche MitarbeiterInnen, also rund 410 ArbeiterInnen und 130 Angestellte, die alle schon zuvor überzahlt wurden. Der Betrieb, der seit der Jahrtausendwende in der Hand des amerikanischen Konzerns Xerium ist, ist der größte Arbeitgeber von Gloggnitz. In riesigen Werkshallen werden hier unter anderem hochautomatisierte Webmaschinen betrieben, welche etwa bei einem elf Meter breiten Stoff bis zu 35-mal pro Minute einen Schussfaden hin- und herschicken. Bedient, also eingestellt werden die Maschinen nach wie vor von menschlichen MitarbeiterInnen – übrigens vorwiegend Männern, von denen wiederum die meisten angelernt sind. Auch Lehrlinge werden hier ausgebildet, aktuell sind es 15. Und es werden momentan noch weitere gesucht, konkret für die Berufe Elektro-/MetalltechnikerIn, Industriekaufmann/-frau und LabortechnikerIn.

Arbeit mit den Händen

Neben der Weberei mit zahlreichen Webmaschinen gibt es etwa auch eine Zwirnerei, wo mehrere Einzelfäden zu stärkeren Zwirnen zusammengefügt und für die Weiterverarbeitung aufgespult werden. Relativ viele ArbeiterInnen sind in der Filzerei tätig, wo teilweise sogar händisch einzelne Fäden aus den Stoffen gezogen oder Stoffteile ebenfalls per Hand miteinander vernäht werden. In der Nadelei sorgen Maschinen, in denen sich Tausende kleine Nadeln mit Widerhaken befinden, dafür, dass die Gewebe verfilzen und damit fester werden. Dazu kommen eine Sattlerei, das Lager sowie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit dem Labor. Dort werden systematisch sowohl die Qualität der zugekauften Grundmaterialien wie Fäden und Zwirne überprüft, aber auch die hier selbst produzierten Zwirne und Textilien, beispielsweise auf ihre Reißfestigkeit.
Am Ende des Produktionsprozesses entstehen hier in Gloggnitz Industrietextilien für Papiermaschinen. Vereinfacht gesagt entsteht hier „das Laufband“, auf dem das Papier aufliegt und von der Maschine weitertransportiert wird. Dabei handelt es sich um meist mehrere Meter breite Textilbahnen, deren Enden miteinander verbunden werden. Die dabei entstandenen Schleifen werden dann auf die Papiermaschinen aufgespannt. Ein überwiegender Teil der hier hergestellten Produkte wird exportiert, die Exportquote liegt bei rund 90 Prozent. Es wird laufend in neue und zusätzliche Maschinen und aktuell auch in einen neuen Zubau investiert. Der Grundstein für die Fabrik wurde übrigens schon 1852 von den Brüdern Volpini de Maestri gelegt, die hier eine Streichgarnspinnerei gründeten, die sie 1871 zu einer Kappen- bzw. Fezfabrik machten.

Überdurchschnittlich bezahlt

In der Branche gibt es einige Betriebe, die schon bisher über dem KV-Satz gezahlt haben. Mit ein Grund dafür ist oft die geografische Lage der Textilproduktionen. So pendelt etwa ein einziger Mitarbeiter von Huyck.Wangner aus Wien zu seinem Arbeitsplatz in Gloggnitz – für eine Richtung braucht man mindestens eine Stunde. Näher liegt da der Ballungsraum Wiener Neustadt, wobei die Anfahrt mit dem Auto rund 20 Minuten dauert.
Wären die MitarbeiterInnen, von denen relativ viele angelernt sind, nicht überdurchschnittlich gut bezahlt, würden sie vermutlich in anderen Industriebetrieben arbeiten. Das gilt für einige der großen Unternehmen, die in Österreich noch Textilien herstellen. Dennoch verdienten im vergangenen Jahr immer noch 1.100 Menschen in der Branche weniger als 1.500 Euro, wie der ÖGB auf Basis von Umfragedaten der Wirtschaftskammer berechnete. Wahrscheinlich liegt diese Zahl noch höher – um wie viel höher, ist schwer zu sagen. Jedenfalls wird davon ausgegangen, dass bisher die MitarbeiterInnen unter anderem in jenen Textilbetrieben, welche keinen Betriebsrat haben, weniger als 1.500 Euro brutto verdient haben.

Anders ist dies bei der Linz Textil AG, ähnlich wie in Gloggnitz werden die ArbeiterInnen und Angestellten auch hier über Kollektivvertrag bezahlt. Das Unternehmen betreibt unter anderem am Standort Linz eine Spinnerei und eine Weberei und beschäftigt hier aktuell 121 Menschen. Der Großteil der Arbeit verläuft auch hier bereits automatisiert, in den Produktionshallen sind relativ wenige MitarbeiterInnen unterwegs: Mal bringt ein Mitarbeiter neue Zwirnspulen zu den Maschinen, zwei Frauen reinigen Maschinenteile, Staplerfahrer transportieren Stoffe, und andere Mitarbeiter schlichten fertig verpackte Ware in einen Lkw. Die Kapazitäten der Produktion sind dennoch enorm, schließlich laufen die Maschinen rund um die Uhr, auch am Wochenende. So entstehen hier etwa täglich mehr als 20 Tonnen Garnspulen.
Im gesamten Konzern arbeiten rund 600 Personen, wobei rund die Hälfte davon beim Frotteewarenhersteller Vossen im burgenländischen Jennersdorf tätig ist – Linz Textil übernahm das Unternehmen im Jahr 2004. Linz Textil investiert in den Produktionsstandort Österreich und hat etwa erst im Jahr 2000 in Linz die neue Weberei auf die grüne Wiese gestellt. Auch am Tiroler Standort Landeck investierte das Unternehmen. Es muss aber ebenfalls erwähnt werden, dass auch einige Standorte im Land geschlossen wurden. Investiert wurde dafür unter anderem in China, wo Linz Textil seit 2009 ein Werk betreibt.
Josef Stellnberger hat hier Anfang der 1980er-Jahre als Staplerfahrer angefangen. Es sollte nur ein Überbrückungsjob sein, zuvor hatte er eine Lehre zum Kfz-Mechaniker absolviert. Doch es kam anders und Stellnberger wurde Leiter der Instandhaltungsabteilung, engagierte sich im Betriebsrat und übernahm 1990 dessen Vorsitz, den er nach wie vor innehat.

Rasanter Fortschritt der Technologie

Seither hat sich vieles geändert, die Automatisierung ist stark vorangeschritten: „Die Technologie hat sich in den letzten zwanzig Jahren rasend verändert.“ In der Nachkriegszeit haben laut Stellnberger in Linz noch 1.200 Menschen gearbeitet, 90 Prozent davon übrigens Frauen. Das Verhältnis hat sich gedreht, heute arbeiten hier nur noch 19 Frauen und mehr als 100 Männer. Ein Grund für diese Entwicklung war der Beginn des Vier-Schicht-Betriebs im Jahr 1983. Für Stellnberger, der die Kollektivvertragsverhandlungen für die Gewerkschaft geführt hat, ist das aktuelle 1.500-Euro-Ergebnis „ein großer Erfolg und eine Freude“, zumal er nicht damit gerechnet hat, dass die Gewerkschaft sich auch mit ihrer Forderung durchsetzen würde: „Ich persönlich habe nicht so recht daran geglaubt. Die Arbeitgeber hätten sich auch zurücklehnen und sagen können: Wir warten ab, was von Foglar und Leitl kommt.“
Das Thema wird ja gerade breit diskutiert, angestoßen von der Forderung von Bundeskanzler Christian Kern, die Sozialpartner sollten einen Generalkollektivvertrag mit 1.500 Euro Mindestlohn für alle Branchen erarbeiten – und der Ankündigung, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu veranlassen, würde das nicht passieren. Doch aus Sicht des ÖGB ist die Sache klar: Einen gesetzlich verankerten Mindestlohn lehnt man ab. Stattdessen will man auf Verhandlungsebene in allen Branchen zu diesem oder einem noch besseren Ergebnis von zum Beispiel 1.700 Euro gelangen. Der Verhandlungserfolg in der Textilbranche schlägt damit aus Gewerkschaftssicht genau in die richtige Kerbe. Und es gibt noch weitere Branchen, in denen ein Verhandlungserfolg im Hinblick auf die 1.500 Euro Mindestlohn gelungen ist. Wer meint, die Textilindustrie in Österreich sei angesichts der Billigkonkurrenz aus Fernost und ost- und südeuropäischen Ländern längst abgewandert, irrt. Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass heute wesentlich weniger Menschen in der Branche arbeiten als früher, wo etwa Vorarlberg eine lebendige Textilindustrie hatte.
Aber nach wie vor gibt es hierzulande Textilunternehmen – der Fachverband Textil-, Bekleidungs-, Schuh und Lederindustrie der Wirtschaftskammer hat laut eigenen Angaben 282 Mitglieder, wovon aber 150 meist sehr kleine Unternehmen aus dem Stickereigewerbe sind. Im Juni 2016 waren in diesen Unternehmen insgesamt 12.000 Beschäftigte und damit 1,2 Prozent weniger als im Juni 2015 tätig, so der Fachverband. Zu den Größen der Branche gehören neben Huyck.Wangner und Linz Textil unter anderem auch Getzner Textilien aus Vorarlberg und die Sattler AG aus Graz. Laut Gerald Kreuzer, Branchensekretär für die Textilbranche beim ÖGB, spürt man besonders dort Druck, wo der Technologiegrad niedrig ist – hier kam es zu einem Verdrängungswettbewerb.

Die Textilbranche lebt

Wo die Branche nach wie vor in Österreich punktet, das sind vor allem die technischen Textilien. So werden Hightech-Textilien zum Beispiel in der Verkleidung von Fassaden, in der Autoproduktion, bei Funktionsbekleidung oder etwa Gastanks eingesetzt. Der Kollektivvertrag wurde übrigens nur für den Bereich Textilindustrie verhandelt, jenen Bereich also, wo Stoffe und Textilien hergestellt werden. In diesem Teilbereich sind rund 8.000 Personen beschäftigt. Der neue KV gilt dagegen nicht für die Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie – dort wird erst verhandelt. Die Hoffnung der Beteiligten: dass das Ergebnis der Textilindustrie positive Signalwirkung auch für jene hat, denen die Verhandlungen noch bevorstehen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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