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Zeit ist Geld

Schwerpunkt Kollektivverträge

Arbeitgeber beklagen gerne die angeblich mangelnde Flexibilität der Arbeitszeit. Tatsächlich gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, doch diese haben ihren Preis.

Im Arbeitsverhältnis gibt es zwei wesentliche Interessenbereiche: Zeit und Geld. Beide sind Kernelemente der Kollektivverträge – wenig überraschend, dass genau diese zunehmend unter Beschuss geraten. Gleichzeitig wird gebetsmühlenartig eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit gefordert, selbstredend unter Ausdehnung der Höchstarbeitszeit. Auch an der vermeintlichen Inflexibilität sollen die Kollektivverträge schuld sein. Tatsächlich aber gibt es in Österreich bereits mannigfaltige Möglichkeiten einer Arbeitszeitflexibilisierung – doch sie haben ihren Preis. Und das ist gut so.

Gehörige Ausnahmen
Unser Arbeitszeitrecht kennt zwei relativ simple Grundregeln: Acht Stunden am Tag/40 Stunden in der Woche – jede Arbeitsleistung, die darüber hinausgeht, stellt eine zuschlagspflichtige Überstunde dar. In der Tat, sehr flexibel klingt das nicht. Doch arbeitet in der Realität kaum jemand nach diesem starren Schema. Keine Regel ohne gehörige Ausnahmen: Schichtarbeit, Gleitzeit, „lange Woche – kurze Woche“, Freitag-Frühschluss, Einarbeiten von Fenstertagen, Bandbreitenmodelle (die klassischen Flex-Zeit-Modelle), Durchrechnung im Handel, Sonderüberstunden im wirtschaftlichen Notfall, Arbeitsbereitschaft … Das Arbeitszeitgesetz strotzt nur so von Formulierungen wie „abweichend von“ oder „kann zugelassen werden“. Es macht sich aber nicht selbst die Finger schmutzig, sondern delegiert diese Entscheidung weiter – in aller Regel an den Kollektivvertrag und nur in sehr untergeordnetem Ausmaß an die Betriebsvereinbarung.

Garant des Interessenausgleichs
Das Gesetz ermächtigt den Kollektivvertrag, bestimmte andere Verteilungen der Arbeitszeit zu regeln, ja mehr noch: diese überhaupt erst zuzulassen. Völlig im rechtsfreien Raum findet dies natürlich nicht statt, das Gesetz gibt dem Kollektivvertrag daher gewisse Rahmenbedingungen mit. Macht der Kollektivvertrag von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch, kann das entsprechende Modell innerbetrieblich in aller Regel nicht eingeführt werden. Um niemandem einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, gilt dies bundesweit für die gesamte Branche. Der Kollektivvertrag stellt daher mit Abstand das wichtigste Instrument der Arbeitszeitflexibilisierung dar.
Mit den erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten, die das Arbeitszeitgesetz den Kollektivvertragsparteien damit gibt, geht auch eine große Verantwortung einher. Wesentliche Aufgabe der Kollektivvertragsparteien ist es daher, Nachteile und Gefahren im Zusammenhang mit einer abweichenden Gestaltung von Arbeitszeit auszugleichen.

Maßnahmen zum Ausgleich der negativen Auswirkungen vor allem schwankender Arbeitszeiten sind üblicherweise:

  • Zuschläge für Stunden, die im neuen Arbeitszeitmodell eigentlich Normalarbeitszeit darstellen, zusätzliche geblockte Freizeit,
  • autonomer Verbrauch der erworbenen Freizeit,
  • Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit etc.

Damit sind Arbeitszeitregelungen aufs Engste mit kollektiven Lohnregelungen verknüpft. Doch genau daran stoßen sich jene PolitikerInnen, die wiederholt eine Zurückdrängung der Kollektivverträge in Arbeitszeitfragen fordern. Derartige Verhandlungsergebnisse machen die neu gewonnene Flexibilität (zu Recht!) teuer. Wie praktisch wäre es doch, diese lästigen Verhandlungen künftig nur noch auf Betriebsebene führen zu müssen!

Machtungleichgewicht
Gerade im Arbeitszeitrecht besteht die Gefahr, dass bei Fehlen überbetrieblicher zwingender Regelungen der Schutz vor überlangen, gesundheitsschädlichen Arbeitszeiten sowie des Privat- und Familienlebens nicht mehr gewährleistet werden kann. Auf betrieblicher Ebene besteht sehr schnell ein Machtungleichgewicht, zu groß ist die Gefahr, dass die die BetriebsrätInnen unter Druck gesetzt und – z. B. unter der Androhung einer Standortverlegung – zum Abschluss vollkommen unausgewogener Vereinbarungen getrieben werden.
Zudem räumt bereits der Gesetzgeber dem Kollektivvertrag wesentlich weitreichendere Befugnisse ein, als dies bei einer Betriebsvereinbarung der Fall ist. Im Kollektivvertrag können daher relativ problemlos Maßnahmen getroffen werden, die auf betrieblicher Ebene bes­tenfalls in eine sogenannte „freie“ Betriebsvereinbarung gegossen werden können. Die rechtlichen Wirkungen einer solchen sind aber seit jeher Zankapfel der Rechtswissenschaft, und sie bieten nicht immer den rechtlichen Bestand wie eine „echte“ Betriebsvereinbarung oder gar ein Kollektivvertrag (siehe auch „Gut zu wissen“).

Rolle der betrieblichen Ebene
Die konkrete innerbetriebliche Ausgestaltung des Arbeitszeitmodells selbst überlässt der Kollektivvertrag oft sehr wohl der Betriebsvereinbarung: Es macht keinen Sinn, mehr als den Rahmen und die Bedingungen branchenweit zu regeln. Insgesamt ist eine Delegierung der Entscheidung auf Betriebsebene immer dann risikolos und auch sinnvoll, wenn es sich um ein Arbeitszeitmodell handelt, das nicht oder nur sehr eingeschränkt in die Interessen der ArbeitnehmerInnen eingreift.
Das klassische Beispiel hierfür ist die Gleitzeit, und sie ist gleichzeitig das einzige Arbeitszeitmodell, das ArbeitnehmerInnen eine Autonomie hinsichtlich Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit gibt. Sie ist daher auch Gegenstand einer Betriebsvereinbarung und nicht des Kollektivvertrags. Genau dasselbe gilt auch für Regelungen wie „Freitag-Frühschluss“ oder Vereinbarungen, mittels derer Fenstertage zwischen Feiertagen über einen längeren Zeitraum eingearbeitet werden.
Dort, wo die sozial- und gesundheitspolitischen Auswirkungen jedoch schnell ins Negative kippen können, gilt: Arbeitszeitgesetz und Kollektivvertrag erfüllen hier eine ganz wesentliche Schutzfunktion. Daher: Hände weg von unserem Kollektivvertrag!

Buchtipp:
„Leitfaden Betriebsvereinbarungen“ von Achitz/Fritsch/Haslinger/Müller,
erschienen im ÖGB Verlag:
www.leitfaden-betriebsvereinbarungen.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin susanne.haslinger@pro-ge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

INFOBOX

Flexible Arbeitszeit, was ist das?

Das klassische kollektivvertragliche flexible Arbeitszeitmodell stellen „Bandbreitenmodelle“ dar. Sie finden sich in einer Vielzahl von Kollektivverträgen: vom Gesundheits- und Pflegebereich über die IT und den Handel bis hin zur Industrie.
Die Idee dahinter ist, dass die Gesamtarbeitszeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums gleich bleibt, während sie zur Abdeckung von Spitzen oder schwankenden Aufträgen innerhalb einzelner Wochen völlig anders verteilt werden kann. Wesentlichster Eckpunkt ist hierbei das Verlassen-Können des engen und gleichzeitig Überstunden-auslösenden Korsetts der vorgeschriebenen Normalarbeitszeit von acht Stunden bzw. 40 Stunden (oder einer kollektivvertraglichen niedrigeren Wochenarbeitszeit von z. B. 38,5 Stunden).
Hierzu legt das Gesetz bestimmte Obergrenzen fest:

  • Grenze der täglichen Arbeitszeit: Diese wird in der Regel von 8 Stunden auf 9 oder 10 Stunden ausgeweitet
  • Grenze der wöchentlichen Arbeitszeit: Diese wird von 40 Stunden je nach Länge des Durchrechnungszeitraums auf 48 oder 50 Stunden ausgeweitet. Die Kollektivvertragsparteien können sich aber auch dafür entscheiden, die vom Gesetz angebotenen Grenzen nicht in vollem Umfang auszuschöpfen, auch dies wäre die weniger belastende Variante. Lässt das Gesetz z. B. eine Ausweitung der Normalarbeitszeit auf bis zu 50 Stunden zu, kann der Kollektivvertrag diese Ausweitung auch mit z. B. 45 Stunden deckeln.
  • Der sog. „Durchrechnungszeitraum“ kann zwischen mehreren Wochen und einem Jahr liegen. Nur im Durchschnitt dieses Durchrechnungszeitraums muss die Arbeitszeit wieder auf die 40 Stunden (bzw. die niedrigere kollektivvertragliche Wochenarbeitszeit) kommen. Vereinfachtes Beispiel: In einem Durchrechnungszeitraum von acht Wochen kann in vier Wochen die Normalarbeitszeit auf 45 Stunden erhöht werden. Wenn sie in den anderen vier Wochen auf 35 Stunden reduziert wird, so bleibt der Durchschnitt gewahrt.
    An jenen Tagen und in jenen Wochen, in denen erlaubterweise die Normalarbeitszeit über acht Stunden/40 Stunden hinaus ausgedehnt wird, fallen durch diese Mehrleistung keinerlei Zuschläge an – einer der Hauptnachteile von Arbeitszeitflexibilisierung.

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