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Symbolbild zum Schwerpunktthema Gleichstellung von Mann und Frau
Symbolbild zum Schwerpunktthema Gleichstellung von Mann und Frau
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Coverstory: Noch immer kämpferisch

Schwerpunkt Gleichstellung

Geschlechterstereotype behindern Männer wie Frauen weiterhin. Eine Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie eine Neubewertung von "Frauenarbeitsplätzen" sind nötig.

„Noch immer“ ist die Phrase, die bei Artikeln über Gleichstellung gerne vorkommt. Noch immer verdienen Frauen weniger. Noch immer kümmern sie sich hauptsächlich um die Kinder. Und noch immer sind sie in Führungspositionen eine exotische Spezies. Doch wer verzweifelt, hat keine Kraft zu kämpfen. Und es wäre auch den Kämpferinnen der vergangenen Jahrzehnte gegenüber ungerecht, ihre Verdienste in Abrede zu stellen. Deswegen lohnt sich ein Blick darauf, was im Kampf für gleiche Chancen von Frauen bereits gelungen ist.

Frauen von heute sind topgebildet. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass gebildete Frauen noch vor nicht allzu langer Zeit etwas recht Ungewöhnliches waren. Noch Anfang der 1970er-Jahre hatten 70 Prozent der 25- bis 64-jährigen Frauen gerade einmal die Pflichtschule absolviert. Bei Männern lag der Anteil mit 43 Prozent deutlich niedriger. Mittlerweile hat nur mehr eine Minderheit von 23 Prozent bei den Frauen nur Pflichtschule, bei den Männern sind es 15 Prozent.
Am anderen Ende der Bildungsskala zeigt sich die gegenläufige Entwicklung: Hatten in den Siebzigern gerade einmal sechs Prozent der Frauen die Matura oder gar einen höheren Abschluss, explodierte dieser Anteil geradezu auf 32 Prozent im Jahr 2013. Damit haben sie auch die Männer mit 29 Prozent – knapp, aber doch – hinter sich gelassen.

Wer fand, dass ein Kind zur Mutter gehörte, für den oder die war die Welt in den Siebzigern noch in Ordnung. In ganz Österreich gab es 1972 gerade einmal für 4.900 Kleinkinder einen Krippenplatz. In ganz Österreich? Eigentlich nicht, denn satte 4.200 dieser Plätze waren in Wien. Im Burgenland, in Salzburg und Vorarlberg gab es diese Einrichtungen gar nicht, Tirol hatte eine, Kärnten zwei und selbst im großen Niederösterreich gab es nur sechs Krippen. Hier von Unvereinbarkeit von Familie und Beruf zu sprechen ist wohl keine Übertreibung.
Da ist es doch erfreulich, dass sich mittlerweile das Angebot versiebenfacht hat – und sich besser verteilt. Statt einer von zehn Plätzen entfallen jetzt immerhin sechs von zehn auf andere Bundesländer als Wien. Es bewegt sich also etwas.

Mehr Bildung, mehr bezahlte Arbeit
Beide Entwicklungen – die viel bessere Qualifikation von Frauen und die bessere Vereinbarkeit aufgrund von mehr Kinderbetreuung – haben zum Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen beigetragen. Auch hier war die Entwicklung dramatisch: Seit 1980 hat sich die Zahl der Frauen, die einer unselbstständigen Beschäftigung nachgehen, nahezu verdoppelt: von 1,1 auf 1,9 Millionen. Damit erwerben heute zwei Drittel der Frauen im Haupterwerbsalter ein eigenständiges Einkommen – Anfang der Achtzigerjahre war es gerade einmal die Hälfte.

Arbeit ist nicht das ganze Leben
Umgekehrt entdecken Männer zunehmend, dass Arbeit allein auch nicht das ganze Leben ist. So wächst der Anteil der Männer, die auch Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Väter in Karenz sind nicht mehr die exotische Ausnahme, auch wenn ein oberflächlicher Blick auf die Zahlen das andeutet.
Sieht man sich die Statistik zum Kinderbetreuungsgeld (KBG) an, so ist der Männeranteil von 4,4 Prozent noch immer erschütternd gering. Das ist zwar zweieinhalbmal so viel wie bei der Einführung des KBG im Jahr 2002, aber kaum ein Grund zum Jubeln. Allerdings liegt dies auch daran, dass Väter in der Regel deutlich kürzer als Mütter in Karenz gehen.
Optimistischer mag stimmen, dass der Anteil der männlichen Personen, die irgendwann, wenn auch nur kurz Kinderbetreuungsgeld beziehen, mittlerweile immerhin bei 20 Prozent liegt. Auch bei der partnerschaftlichen Aufteilung der Haus- und Familienarbeit tut sich etwas: Zwar verrichten Frauen immer noch den Großteil der Arbeit im Haushalt. Allerdings hat sich der Anteil jener Männer, die sich an Hausarbeiten beteiligen, seit Anfang der 1980er-Jahre von nicht einmal einem Viertel auf beinahe drei Viertel erhöht.
Und doch gibt es noch genügend Gründe, um kämpferisch zu bleiben. „Es gab die Bildungsreformen und Frauen haben bei der Bildung aufgeholt“, hält Ingrid Moritz fest. „Aber in der Familienpolitik haben wir keinen Aufbruch gehabt. Deshalb verändert sich bei der partnerschaftlichen Teilung nur irrsinnig langsam etwas. Das tröpfelt so dahin“, bemängelt die Leiterin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien.

Halbe/halbe
Fast wehmütig blickt Moritz auf die Kampagne von Frauenministerin Helga Konrad aus dem Jahr 1996 zurück, die den Titel „Ganze Männer machen halbe/halbe“ trug. Thema war die gerechte Aufteilung der Haus- und Familienarbeit, die Kampagne sorgte für einen Sturm der Empörung. „Das war eine der besten Kampagnen, die wir jemals hatten, weil überall über das Thema diskutiert worden ist. Genau diesen Rückhalt aus der Politik braucht es, damit sich in den Köpfen etwas ändert.“
Eben dieser Rückhalt fehlte auch Helga Konrad, nur wenig später musste sie ihren Hut nehmen. Ihre Nachfolgerin Barbara Prammer distanzierte sich von der Kampagne. Dabei thematisierte sie einen wesentlichen Punkt, an dem die Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt „noch immer“ scheitert.
Kern- und Angelpunkt bleiben die Einkommen der Frauen, die „noch immer“ niedriger sind als jene der Männer. Vergleicht man beispielsweise nur ArbeitnehmerInnen, die das ganze Jahr über Vollzeit erwerbstätig sind, so beträgt der Unterschied zwischen Frauen und Männern immerhin noch 22 Prozent. In Euro ausgedrückt heißt das, dass Arbeitnehmerinnen um 10.928 Euro im Jahr weniger haben als Arbeitnehmer.
Berücksichtigt man alle Faktoren wie Teilzeit, Kinderbetreuung und so weiter, so bleibt immer noch ein Unterschied von 15 Prozent, der auf Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückgeführt werden kann – in der Fachsprache „unerklärbarer“ Unterschied oder Gender Pay Gap genannt.

Ungleich verteilte Arbeitszeit
Zu den erklärbaren Unterschieden zählt die Ungleichverteilung der Arbeitszeit: Während nahezu die Hälfte der Frauen Teilzeit arbeitet, gehen 90 Prozent der Männer einer Vollzeitbeschäftigung nach. Betrachtet man die Motive der Teilzeit-Arbeitenden, so zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Geschlechterunterschied: Frauen sind bei dieser Entscheidung fremdbestimmt, sie geben Betreuungspflichten oder Pflege an, während Männer nicht mehr arbeiten wollen oder aber zum Zwecke der Weiterbildung weniger Stunden arbeiten. Die Vorzeichen für eine gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema stehen gar nicht schlecht, immerhin könnte die Arbeitszeit durchaus anders verteilt werden, wenn es nach dem Wunsch der Frauen und Männer geht. Frauen in Teilzeit wollen nämlich tendenziell mehr arbeiten, während Männer in Vollzeit lieber weniger Stunden arbeiten würden.
Aktuell aber gehen Frauen „noch immer“ eher in Karenz. Danach fällt es ihnen „noch immer“ deutlich schwerer, in den Beruf wieder einzusteigen. Gerade einmal ein Viertel der Frauen zwischen 25 und 49 mit Kindern arbeitet Vollzeit. Bei den Männern hingegen führt die Geburt eines Kindes weiterhin dazu, dass sie mehr arbeiten. Und wenn Männer doch in Karenz gehen, so können sie schneller wieder an ihren Verdienst von vor der Karenz anknüpfen, wie das AK-Wiedereinstiegs-Monitoring zeigt: Verdienten fast 60 Prozent der Männer vor der Karenz 2.000 Euro und mehr, so waren es im sechsten Jahr nach der Karenz mit 57 Prozent schon fast wieder so viele. Unter den Frauen zählten vor der Karenz nur 47 Prozent zu dieser Gruppe, sechs Jahre danach kann das nicht einmal mehr ein Viertel der Frauen von sich sagen.

Weniger Stunden
Ein wesentlicher Grund für diese Gehaltsunterschiede: Frauen steigen für die Kinder deutlich länger aus dem Beruf aus als Männer. Erst beim vierten Geburtstag des Kindes arbeiten wieder 70 Prozent der Frauen. Bei den Männern hingegen ist etwas mehr als die Hälfte schon nach drei Monaten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Außerdem steigen Frauen deutlich häufiger mit Teilzeit-Jobs wieder ein. Die Studie ergab außerdem, dass Frauen nur selten wieder auf das gleiche Stundenmaß kommen wie vor der Karenz.
Aber selbst wenn Frauen nach der Karenz an den Arbeitsplatz zurückkehren, sind sie oft mit Diskriminierungen konfrontiert: Ihnen wird eine Leitungsposition weggenommen, sie bekommen einen schlechteren Arbeitsplatz oder es fallen Tätigkeitsbereiche weg, die gesondert entlohnt werden: So lauten Beispiele, wie sie in der Gleichbehandlungsanwaltschaft nur allzu bekannt sind. Dass auch Männer nach der Karenz mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, zeigt, wie tief die Vorurteile noch immer sitzen. Denn dass einzig Kinder die alleinige Ursache dafür sein sollen, dass Menschen im Beruf bisweilen nicht voll einsatzfähig sind oder überhaupt ausfallen, ist mehr als fadenscheinig.
Wenig hilfreich ist dabei, dass Karriere immer noch traditionell verstanden wird. Manuela Vollmann von abz austria sieht in der Hinsicht bei den Firmen großen Handlungsbedarf. Derzeit würde man sich noch viel zu wenig Gedanken über neue und innovative Arbeitszeitmodelle machen. Diese würden im Übrigen nicht nur Wiedereinsteigerinnen zugute kommen würden, auch die viel zitierte Generation Y könne mit den traditionellen Arbeitszeitmodellen nichts mehr anfangen.
„Es geht darum, optimale Strukturen zu finden, damit Männer und Frauen in verschiedenen Lebensphasen einmal Voll- und einmal Teilzeit arbeiten können“, so Vollmann.

Vielversprechend
Für vielversprechend hält sie auch Teilzeit-Führung. Dass das gut funktionieren kann, weiß sie aus eigener Erfahrung, denn sie selbst teilt sich die Geschäftsführung mit einer Kollegin – genau genommen wird nicht ein 40-Stunden-Job aufgeteilt, sondern je nach Bedarf arbeiten beide zusammen meist auf rund eineinhalb Stellen, und manchmal arbeiten auch beide Vollzeit. Dann ist es auch kein großes Problem, wenn eine Führungskraft kurzfristig ausfällt, wie es bei Vollmann der Fall war, die mit 42 Jahren noch einmal Mutter wurde.
Während Vollmann in der Zeit des Mutterschutzes zu Hause blieb, stockte die zweite Geschäftsführerin auf Vollzeit auf. Vollmann kehrte gleich nach dem Mutterschutz für zehn Wochenstunden zurück und baute innerhalb eines Jahres ihre Stunden wieder kontinuierlich auf. Sie ist überzeugt: „Dieses Modell hat 50 Prozent des Erfolgs von abz austria ausgemacht“ (siehe auch Entwicklungsland Österreich).
Ungleiche Verteilung der Arbeitszeit und starre Arbeitszeitkonzepte sind also zwei große Baustellen auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Zur Ungleichheit bei den Einkommen selbst trägt bei, dass Frauen mehrheitlich Berufen nachgehen, in denen sie schlechter verdienen als Männer (siehe auch „Frauen hier, Männer dort“). Ein anderes Thema, das Ingrid Moritz unter den Fingern brennt, ist denn auch die unterschiedliche Bewertung von Arbeit, je nachdem, ob es sich um typische Frauen- oder Männerberufe handelt. „Wir stehen ziemlich an, wenn es um die schlechtere Bezahlung von „Frauenarbeit“ geht – also Arbeit am Menschen im Vergleich zu technischer, naturwissenschaftlicher Arbeit.“ Dabei dürfe es keinesfalls darum gehen, dass Männer weniger verdienen, betont die AK-Expertin. „Vielmehr muss das, was die Frauen machen, rauf in der Bezahlung, es muss sichtbar gemacht und anerkannt werden.“

Rahmenbedingungen als Problem
Das Problem sei allerdings nicht allein das Geld, sondern auch die Rahmenbedingungen von so manchen „Frauenarbeitsplätzen“. In der mobilen Pflege etwa fehlen oftmals entsprechende Betten, auch Barrierefreiheit ist in vielen Haushalten nicht gewährt. Als anderes Beispiel nennt Moritz die Kindergartenpädagogik, in der viel zu große Gruppen an der Tagesordnung stehen: „Da muss man sich fragen: Und wo hat da jetzt das pädagogische Element Platz? Oder in der Pflege, die irrsinnig getaktet arbeiten müssen. Eigentlich ist das ein Skandal!“
„Noch immer“ wirken sich die niedrigen Einkommen und entsprechend niedrigen Beiträge sowie die fehlenden Beitragszeiten – ob aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen – negativ auf Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe aus (siehe auch „Gleichstellung in Zahlen“). Allein schon dadurch bleibt die finanzielle Schlechterstellung von Frauen bis zum Lebensende festgeschrieben. Denn wenn sie in den wohlverdienten Ruhestand gehen, müssen Frauen „noch immer“ mit deutlich niedrigeren Pensionen zurechtkommen. Im hohen Alter rächt es sich, wenn Frauen während ihres Lebens finanziell nicht ausreichend auf eigenen Beinen gestanden sind: Allein lebende Pensionistinnen sind jene Gruppe, die in Österreich neben Alleinerzieherinnen am meisten armutsgefährdet ist.

Zu wenig
Wie man es dreht und wendet: Traditionelle Rollenzuschreibungen sind weiterhin die wesentliche Ursache für die Ungleichheit zwischen Frau und Mann. Sie führt dazu, dass Frauen sich für Ausbildungen und entsprechend für Berufe entscheiden, in denen sie schlechter verdienen als Männer. Damit bleiben sie auch diejenigen, die wieder aus dem Berufsleben aussteigen (müssen), wenn Kinder da sind. Damit wiederum setzt sich die Logik weiter fort, dass sie weniger verdienen und ihre Karriereverläufe deutlich weniger kontinuierlich sind als jene ihrer männlichen Kollegen. Schließlich führt all dies dazu, dass Frauen im Alter deutlich stärker armutsgefährdet sind. Den Frauen der Herd, den Männern die Karriere: Nein, so schlimm ist es wahrlich nicht mehr. Es hat sich einiges verändert und in der Tat verbessert. Es ist allerdings immer noch zu wenig, als dass frau und man sich damit zufrieden geben könnten.

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