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Cecily Corti Cecily Corti im Interview über die Arbeit mit Wohnungslosen.

Interview: Empathie als Schlüssel

Schwerpunkt Pflege und Gesundheit

Cecily Corti über die Arbeit mit Wohnungslosen.

„Aussichtslos, vollkommen zum Scheitern verurteilt“, prophezeite man Cecily Corti, als sie vor mehr als zehn Jahren von ihren Plänen einer Notschlafstelle erzählte, die noch dazu auf Ehrenamtlichkeit beruhten. Inzwischen arbeitet die Witwe des Filmemachers Axel Corti mit bis zu hundert Ehrenamtlichen in den mittlerweile sieben Einrichtungen für Wohnungslose und Flüchtlinge in Wien.

Über ihre Motivation sagt sie: „Da mir das Jammern und Klagen über die Zustände maßlos auf die Nerven geht, und ich glaube, dass jeder etwas tun kann. Das andere ist, dass es um die Qualität der Beziehung geht. Da erschien mir der Kontakt und die Begegnung mit Obdachlosen, die ja in der Regel am meisten darunter leiden, dass sie übersehen oder nicht einmal ignoriert werden, als wichtige Herausforderung für mich persönlich.“ Zu Beginn waren sehr viel mehr „Gäste“, wie Corti die Wohnungslosen respektvoll nennt, aus Österreich. Heute kommen sie aus Osteuropa und Afrika.

Arbeit&Wirtschaft: Es ist Teil Ihrer Tätigkeit, dass Wohnungslose in den Genuss der Gesundheitsversorgung kommen. Wie funktioniert das?

Cecily Corty: Wir fragen unsere Gäste nicht nach ihren gesundheitlichen Problemen, aber natürlich kommen sie mit Anliegen, mit Fragen, mit Schmerzen. Wir haben Gott sei Dank den Professor Otto Lesch, der in regelmäßigen Abständen in unsere Notschlafstelle kommt und dort eine Sprechstunde hält. Dafür sind wir sehr dankbar, weil er ein wirklich ganz großer Spezialist für psychische Probleme ist.
Wir dürfen natürlich keine Medikamente geben. Wir empfehlen unsere Gäste weiter, ins Neunerhaus und vor allem an den Louise-Bus, weil der zuständig ist, wenn man keine Versicherung hat, und das ist bei den meisten unserer Gäste der Fall. Zusätzlich haben wir seit drei Monaten eine teilzeitbeschäftigte Sozialarbeiterin, die sehr konkret Empfehlungen und Auskünfte geben kann, wo wer für was zuständig ist. Wir machen auch gute Erfahrungen mit den Krankenhäusern. Wenn wirklich jemand in einem schlechten Zustand ist und akut Hilfe braucht, dann rufen wir die Rettung. Sonst ist es oft wichtig, sie in der Nacht noch in der Wärme zu haben und im Notfall vielleicht eine Schmerztablette zu geben.

Sucht ist vermutlich ein wichtiges Thema. Wie unterstützen Sie da?

Alkoholkrankheit ist natürlich ein sehr präsentes Problem und da haben wir einerseits Gott sei Dank den Professor Lesch, der einen sehr guten Kontakt zum Anton-Proksch-Institut hat, aber auch nach Ybbs. Wir haben schon reichlich Patienten gehabt, die dort stationär untergebracht wurden. Die sind sehr kooperativ. Mich persönlich freut es einfach sehr, dass wir ernst genommen werden, wenn wir sagen, dass es in einem Fall ganz wichtig wäre.
Dann gibt es natürlich den psychosozialen Dienst. Das ist nicht ganz einfach, weil die Menschen hingehen müssen. Wir haben schon Erfahrungen gemacht, zu später Stunde am Abend, wo es wirklich an der Grenze war und für unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter schwierig zu handeln. Aber im Grunde haben wir jetzt Mitarbeiter, die viele Jahre ehrenamtlich im Nachtdienst tätig sind und das verleiht mir auch Sicherheit.

Wie steht es um den Übergang von der Straße ins Haus oder in eine Wohnung?

Jene in der Notschlafstelle sind heilfroh, etwas zu haben. Sehr, sehr viele von ihnen würden gerne eine Wohnung haben, wir werden immer wieder danach gefragt. Das geht natürlich nur, wenn sie ein bisschen Geld haben, damit sie das bezahlen können, was in der Notschlafstelle nicht nötig ist. Viele wissen auch, dass sie ja gar kein Bleiberecht haben.
Der Übergang von der Straße in eine Wohnung ist kein so großer Schritt – das ist doch die Sehnsucht von jedem. Nachdem wir den Fokus haben, nah am Menschen zu sein, haben wir auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Wohnungen, die sie begleiten, wo es einen engen Kontakt gibt, einen Austausch und ein regelmäßiges Sich-wieder-Sehen.
Diese Kontinuität ist so wichtig, dass man Vertrauen schafft, das ist wirklich das Um und Auf. Danach ist vieles möglich, und es wird auch unglaublich viel getan in unserem Sozialsystem, unglaublich viel. Aber die Basis ist, dass Wertschätzung entsteht, dass Vertrauen entsteht, dass ein Selbstwert entsteht. Viele dieser Menschen haben das nie erlebt oder es ist vor langer Zeit verloren gegangen – Beziehungen, die andauern, Freundschaften, die wirkliche Freundschaft bedeuten, oder einfach auch nur Austausch und eine Form von spürbarem Interesse füreinander. Das ist ja auch unter uns Menschen ziemlich rar geworden. Deswegen halte ich das für so wichtig.

Wie kann man psychischen Belastungen entgegenwirken?

Da kann ich nur persönlich antworten. Ich habe schon ein relativ langes Leben hinter mir und war auch großen Herausforderungen ausgesetzt. Wenn man die bewusst meistert, hat man eine gute Grundlage, um schwierigste Situationen von anderen Menschen zu verstehen und nicht auf sich selber zu übertragen. Es geht darum, dass es nicht Mitleid ist, sondern Mitgefühl. Ich tue, was ich tun kann. Ich kann nicht die Welt retten, aber ich kann in der jeweiligen Situation eine Antwort geben. Es war für mich von Anfang an ganz wesentlich, dass ich den Kontakt zu den Mitarbeitern intensiv pflege und realisiere, wo jemand an die Grenze kommt.
Wenn eine neue, interessierte Mitarbeiterin kommt und ich frage sie: „Warum kommen Sie? Was ist Ihre Motivation?“, und wenn sie sagt, „Ja, ich will helfen“, dann sage ich: „Ich bin nicht sicher, ob Sie bei uns richtig sind.“ Helfen ist nicht unser Ansatz. Erstens helfen wir uns selber am meisten, wir haben eine unglaubliche Horizonterweiterung. Zweitens hat das Helfen für mich sehr leicht diesen Aspekt des von oben herab. Wir wollen den Empfangenden ermächtigen und nicht den Gebenden. Dieses Geben fällt uns leicht, weil man sich gut fühlt.
Deswegen sage ich den Mitarbeitern auch immer: Das auszuhalten, wenn man keinen Rat geben kann, einfach zu sitzen und auch zu schweigen mit den Leuten und dabei zu bleiben, nicht zu fliehen – das ist wichtig. Wir fliehen auch in Gedanken so schnell: Was kann ich ihm für einen Rat geben? Wie kann ich Abhilfe schaffen und mich eigentlich schnell wieder aus dem Staub machen, weil mich das überfordert und das will ich nicht.
Diesen Raum schaffen, das auszuhalten: Das halte ich für die eigentliche Herausforderung. Oder ihre Sprache nicht zu können und trotzdem irgendwas verstehen von dem. Empathie ist wichtig. Wenn wir bessere Beziehungen hätten, hätten wir auch eine bessere Gesellschaft. Einer der wesentlichsten Aspekte für ein gedeihliches Miteinander ist der Respekt für das Anderssein des anderen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

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