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Gewerkschafterin Farije Selimi zum Thema Pflege und Gesundheit Es müssen immer mehr PatientInnen gepflegt werden, der Personalstand bleibt aber gleich oder sinkt sogar. Deshalb soll eine Mindestanzahl, aber auch die Qualifikation der MitarbeiterInnen vorgeschrieben werden, fordert Gewerkschafterin Farije Selimi.

Gesundheitsarbeit macht krank

Schwerpunkt Pflege und Gesundheit

Gerade Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich kämpfen oft mit ungesunden Arbeitsbedingungen und deren Folgeerscheinungen.

Auf Probleme im Arbeitsalltag angesprochen, zählt Farije Selimi gleich eine lange Liste auf. Zu den Problemen gehören etwa „Belastungen durch die Organisation: lange und unplanbare Arbeitszeiten, Personalmangel, Dokumentation, also bürokratischer Aufwand“. Ebenso liegt für die Fachbereichssekretärin Gesundheit in der Gewerkschaft vida auf der Hand, wo man ansetzen müsste: Dienstplanstabilität, eine Erhöhung der Planstellen und die schnellere Nachbesetzung von freien Stellen.
Auch die körperlichen Belastungen sind enorm: Heben, Tragen, ungewohnte Körperhaltung, Infektionen. Hier wäre es notwendig, die Tätigkeit auf mehrere MitarbeiterInnen aufzuteilen. Auch sollte man gesundheitsfördernde Maßnahmen im Betrieb wie Massagen in der Arbeitszeit anbieten, verbesserte Hygiene oder regelmäßige Impfungen. Und im psychischen Bereich ist das Belastungslevel laut Farije Selimi hoch: Viele MitarbeiterInnen sind Burn-out-gefährdet oder leiden beispielsweise unter verbalen Angriffen von PatientInnen.

Arbeiten statt lernen
„Schon im Praktikum, wo man ja eigentlich noch in Ausbildung ist, bekommt man den omnipräsenten Personalmangel voll zu spüren“, berichtet Fabian*, Diplomkrankenpfleger und Berufseinsteiger. Oft gerate da das Ausbildungselement zu kurz und man ersetze einfach nur mehr eine Arbeitskraft. „Hygienisch korrekt zu arbeiten braucht schon etwas länger. Zu Stoßzeiten oder an stressigen Tagen gelingt das schlechter“, erzählt er. „Die Arbeit mit kognitiv beeinträchtigten oder dementen PatientInnen kann, wenn keine geeigneten Konzepte in der Einrichtung implementiert sind oder man schlicht zu wenig Zeit hat, um auf die Bedürfnisse dieser Menschen einzugehen, nervenaufreibend und frustrierend sein.“
Der Personalmangel ist auch für ihn das größte Problem, denn dieser sei dafür verantwortlich, dass man oft zwischen einzelnen PatientInnen oder Tätigkeiten wie Pflege und Administratives hin- und herspringen müsse. „Das schafft Hektik, erhöht die Fehleranfälligkeit und ist extrem belastend. Interessanterweise ist allen, Auszubildenden, LehrerInnen und KollegInnen auf der Station, das Problem voll bewusst – Personalmangel – und man redet offen darüber, auch in der Schule.“ 

Extreme Belastungen
Auch Pflegerin Sabine*, Angestellte in einem Seniorenheim des SHV Linz-Land, äußert sich ähnlich: „Nachtdienste sind an und für sich körperlich schon belastend, vermehrte Doppelnächte machen das dann noch extremer.“ Doch nicht nur der Personalmangel, auch die Fluktuation stelle die MitarbeiterInnen vor zusätzliche Belastungen, insbesondere wenn Führungskräfte wechseln und damit Konzepte und Strukturen fehlen. Unterm Strich ist die Folge, dass jene, die Kranke heilen sollten, selbst krank werden: „Der Druck von den oberen Etagen und massive Einsparungen sind extrem zu spüren und führen zu immer mehr (Dauer-)Krankenständen, Einspringen und Einsätzen von Leasingpersonal, um dies auszugleichen. Auch brechen unter den Kollegen immer mehr Streitigkeiten aus – oft ist man am Limit und kann so nicht mehr lange weitermachen.“

Probleme runtergeschluckt
Bemerkenswert sind auch Sabines Wahrnehmungen zum Thema psychische Belastung und Möglichkeiten der Prävention in ihrem Pflegealltag: „Ein Problem, das ich überall sehe, ist, dass schon Dinge angeboten werden, doch ob sie von den Mitarbeitern genutzt werden, ist eine andere Sache.“ So werde zwar Supervision angeboten, dieses Angebot von den KollegInnen aber entweder gar nicht wahrgenommen oder aber sie hielten mit den Problemen hinterm Berg: „Jeder schluckt das Ganze runter und nagt an seinen psychischen Problemen, so lange, bis sie sich körperlich auswirken.“
Viele der genannten Aspekte liegen als Strukturprobleme der Branche schon längst offen. So nimmt sich auch das Arbeitsmarktservice kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Beschreibung der Realität im Gesundheits- und Pflegebereich geht. So heißt es auf der Homepage des Karrierekompasses: „Viele Gesundheitsberufe werden in hohem Maße als sinnstiftend empfunden. Aufgrund der für diesen Berufsbereich typischen Kombination aus hohen physischen als auch psychischen Belastungen bestehen jedoch auch besonders hohe Anforderungen und ein erhöhtes Gesundheitsrisiko: So weisen knapp 40 Prozent der im Gesundheitsbereich tätigen Personen beginnende oder fortgeschrittene Burn-out-Symptome auf.“ Und dies hat auch handfeste Folgen, die das AMS offen auflistet: „Die Tatsache, dass im Gesundheits- und Sozialwesen – trotz grundsätzlich guter Berufschancen und Aussichten – in jüngster Vergangenheit die Arbeitslosenzahlen merklich angestiegen sind, wird u. a. mit den teilweise schwierigen Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen Fluktuation in diesen Bereichen erklärt. Dies trifft besonders stark auf den Pflegebereich zu.“
Einschlägige Studien zum Thema, die bisher – bemerkenswerterweise fast ausschließlich durch die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen – veröffentlicht wurden, unterstreichen diesen Befund. Die AK-Studie „Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten“ aus dem Jahr 2015 benennt etwa auch Drop-out und Gewalt durch pflegebedürftige Personen als große Probleme des Berufsfeldes. Interessant: Bereits im Jahr 2008 ergab eine Studie der GPA-djp, dass fast 30 Prozent der hier Beschäftigten Burn-out-gefährdet sind. Laut einer Studie der AK Steiermark, auf die sich auch das AMS stützen dürfte, ist dieser Anteil kontinuierlich weiter gestiegen: auf eben knapp 40 Prozent. Warum das so ist, liegt laut diesen Studien auch auf der Hand: 44,3 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitsbereich arbeiten mehr als vertraglich vereinbart und rund drei Viertel sind mit der Entlohnung unzufrieden. Angesichts der Tatsache, dass deshalb etwa diplomierte Pflegekräfte nur fünf bis zehn Jahre in ihrem Beruf arbeiten, sprach der Autor der AK-Studie, Tom Schmid, nicht zu Unrecht von vergeudeten Ausbildungskosten.

Körperliche Beschwerden
Die Probleme und Herausforderungen bringt auch der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor, ein Projekt der AK Oberösterreich, auf den Punkt. Unter der Überschrift „Gesundheitsberufe belasten die Gesundheit“ wird ausgeführt, dass Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeberufen schlichtweg häufiger unter körperlichen Beschwerden leiden als ArbeitnehmerInnen in anderen Berufsgruppen. Besonders betroffen sind demnach die Pflegeberufe. Heidemarie Staflinger, ebenfalls von der AK OÖ, bildet in einer aktuellen Präsentation neben vielen anderen Fakten auch diese Ergebnisse des Arbeitsgesundheitsmonitors ab. Demnach sehen sich 32 Prozent der Beschäftigten im Pflegebereich sehr stark oder stark unter Zeitdruck bzw. 44 Prozent sehr stark oder stark seelisch belastet.

Qualität wiederherstellen
Farije Selimi fasst die beschriebene Problematik aus gewerkschaftlicher Perspektive so zusammen: „Die größte Herausforderung sind der Personalmangel, gepaart mit der Alterung der Arbeitskräfte in der Branche, sowie die gesundheitlichen Berufsrisiken. Die beiden meistverbreiteten Erkrankungen sind Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychosoziale Risiken.“ Um dem zu begegnen, müssten die Gesundheitsberufe wieder attraktiver werden: „Das gelingt nur über bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen.“ Die Realität in vielen heimischen Einrichtungen aber sieht anders aus: Während das PatientInnenaufkommen stark ansteigt, bleibt der Personalstand weitgehend gleich oder sinkt sogar. „Wir brauchen daher die Festlegung verbindlicher Personalkennzahlen oder Personalbedarfsberechnungsmodelle“, so Selimi. „Den Betreibern von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sollen dadurch die Mindestanzahl und die Qualifikation der MitarbeiterInnen zwingend vorgeschrieben werden. Nur so können wir die Qualität in der PatientInnenversorgung und faire Arbeitsbedingungen sicherstellen.“

Linktipps:
AK-Studie zu den Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen (2011)
tinyurl.com/zcjlcmj
AK-Studie „Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten“ (2015)
tinyurl.com/zluhpzq
 
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* Namen von der Redaktion geändert

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