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Grafik: Verteilung der Schülerinnen und Schüler nach Schultype und Umgangssprache Verteilung der Schülerinnen und Schüler nach Schultype und Umgangssprache. Unter Download können Sie die Grafik herunterladen.
Buchtipp: Heidi Schrodt:  Sehr gut oder Nicht genügend? Schule und Migration in Österreich

Ignorierte Potenziale

Schwerpunkt Integration

Österreich ist nicht erst seit den jüngsten Zuwanderungswellen mehrsprachig. Das Schulsystem nutzt die Vorteile jedoch nicht ausreichend.

Deutsch im Pausenhof, Deutsch in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Deutsch in den Familien: Wenn es um Integration geht, sind schnell Sprachgebote bei der Hand. Dabei ist Mehrsprachigkeit in Österreich keinesfalls ein zugewandertes Phänomen, ganz im Gegenteil. In einigen Gegenden wie in Wien, im Burgenland oder in Kärnten ist sie ein einheimisches Phänomen. Die Sprachenrechte der autochthonen Volksgruppen in Österreich sind im Unterschied zu den Sprachen der Zuwanderer und Zuwanderinnen gesetzlich verankert. „Sie genießen auch im Schulsystem vordergründig betrachtet die expliziteren schulischen und sprachlichen Rechte als die zugewanderten Gruppen, die mittlerweile einen deutlich größeren Bevölkerungsteil ausmachen“, erklärt Sprachwissenschafterin Katharina Brizić.
Doch wie die lang anhaltende und heiß geführte Debatte über zweisprachige Ortstafeln in Kärnten zeigt, hat man mit anderen Sprachen als Deutsch in Österreich durchaus seine Probleme. Es zeige sich, dass der in der österreichischen Verfassung verankerte Schutz der autochthonen Sprachen allein für den Erhalt der Mehrsprachigkeit nicht ausreichend ist, so Brizić. „Im Burgenland befürchtet man ganz konkret, dass sich die sogenannten Minderheitensprachen wie Burgendland-Kroatisch, Ungarisch oder Romani im Alltag nicht halten werden – und das trotz verbriefter Rechte“, erklärt die Sprachwissenschafterin. Dagegen scheint die Situation mit dem Slowenischen in Kärnten eine deutlich günstigere zu sein: „Das Slowenische in Kärnten tendiert in seiner Stärke eher in Richtung der zugewanderten Sprachen in Österreich, von denen sich zumindest die viel gesprochenen bislang im österreichischen Alltag erhalten haben.“ Inzwischen beschäftige man sich in Österreich mehr mit viel gesprochenen Zuwanderersprachen, so Brizić. Das ist auch gut so, immerhin wird die Sprachenvielfalt an österreichischen Schulen immer größer: Im Schuljahr 2014/2015 etwa hatten 22,2 Prozent der Kinder eine nicht deutsche Umgangssprache, das sind um 11.000 mehr als im Schuljahr davor – bei sinkenden SchülerInnenzahlen. Den größten Anteil an SchülerInnen mit nicht deutscher Muttersprache verzeichnete die Bundeshauptstadt Wien: Hier sprechen 47,5 Prozent der Kinder eine andere Familiensprache als Deutsch.

Deutsch oder mehrsprachig?
Die meisten SchülerInnen mit nicht deutscher Muttersprache findet man in Österreich immer noch in Sonderschulen, gefolgt von polytechnischen Schulen und Neuen Mittelschulen. Neben Deutsch ist die Sprachengruppe Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) am meisten verbreitet, gefolgt von Türkisch. Rund 60.000 SchülerInnen gaben im letzten Schuljahr Türkisch als Erst- bzw. Muttersprache an. Eine beträchtliche Anzahl spricht auch Albanisch, Rumänisch oder Arabisch.
Die Mehrsprachigkeit gehört in Österreich also längst zur Normalität und stellt insbesondere das Schulsystem vor neue Herausforderungen. Für die Politik bleibt das Erlernen des Deutschen als Unterrichtssprache nach wie vor oberste Priorität. Manchmal ist diese Forderung sogar direkt gegen die Mehrsprachigkeit gerichtet, wie etwa die Forderung der oberösterreichischen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ vom letzten Jahr nach einer Deutschpflicht für SchülerInnen im Pausenhof. Eine ähnliche Initiative ging Anfang dieses Jahres von der steirischen Landesschulrats-Präsidentin Elisabeth Meixner aus. Fehlt es in Österreich politisch und gesellschaftlich am Bewusstsein für Mehrsprachigkeit? Für Brizić kann in Österreich von einem bewussten Umgang mit Mehrsprachigkeit keine Rede sein. „Heutzutage gibt es seitens verschiedener politischer Gruppen in Österreich vielleicht mehr Positionierung zum Thema Mehrsprachigkeit als zuvor. Ob das allerdings richtiggehend ‚Bewusstheit‘ ist, wage ich zu bezweifeln.“

25 Muttersprachen im Unterricht
Tatsächlich ist Österreich eines der wenigen EU-Länder, die in ihren Schulsystemen den nicht autochthonen muttersprachlichen Unterricht anbieten. Laut aktuellen Zahlen aus dem Bildungsministerium besuchten knapp 34.000 österreichische SchülerInnen den Unterricht in einer der 25 Muttersprachen. Dieses Angebot gilt jedoch als unverbindlicher Zusatzunterricht. Die meistbesuchten Muttersprachen im Rahmen dieses Unterrichtsangebots sind gleichzeitig die meistgesprochenen: BKS und Türkisch. Im Bildungsministerium ist man von der Bedeutung dieser schulischen Maßnahme überzeugt. „Neben dem Erwerb der Unterrichtssprache Deutsch ist es auch sinnvoll, die Erstsprachen der SchülerInnen weiterzuentwickeln“, sagt Daniela Gronold von der Abteilung für Diversität und Sprachenpolitik. Insbesondere in der Volksschule erfreut sich der muttersprachliche Unterricht großer Beliebtheit. „Die muttersprachlichen LehrerInnen begleiten das Kind bei der Eingliederung in die neue Umgebung und erleichtern aufgrund ihrer Sprachkenntnisse auch die Kommunikation zwischen Schulpersonal und Eltern“, so Gronold.

„Gute“ und „schlechte“ Sprachen
Im Bildungsministerium ist man sich auch des Potenzials der Mehrsprachigkeit bewusst. „Die mehrsprachige und multikulturelle Schule – und damit mehrsprachige Klassen – sind in Österreich Realität“, so Muriel Warga-Fallenböck. Die Bedeutung der Mehrsprachigkeit übersteigt dabei den schulischen Rahmen. „Auf individueller Ebene stellen Kompetenzen in mehreren Sprachen sowie im Umgang mit Menschen anderer kultureller Herkunft nicht nur eine persönliche Bereicherung dar, sondern haben sich auch als wichtige Kriterien für schulischen und vor allem beruflichen Erfolg herauskristallisiert“, hält die Leiterin der Abteilung für Diversität und Sprachenpolitik fest.
Doch der Umgang mit der Mehrsprachigkeit variiert in Österreich stark von Sprache zu Sprache. Während beliebte Prestigesprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch gerne gehört werden, blickt man argwöhnisch auf manche Sprachen der Zuwanderer und Zuwanderinnen im Schulunterricht. So sorgte Türkisch als Maturafach in den letzten Jahren oft für politischen Wirbel. „Die Berücksichtigung der sogenannten zugewanderten Mehrsprachigkeit ist im Schulsystem eine tendenziell benachteiligte“, kritisiert Katharina Brizić. Sie betont, dass insbesondere Sprachen der Minderheiten im schulischen Alltag vernachlässigt werden. „Bei Romani oder Kurdisch haben wir in Österreich etwa eine hohe SprecherInnenzahl, aber nur sehr, sehr wenig schulische Repräsentanz“, so die Mehrsprachigkeitsforscherin.

LehrerInnen unterstützen
Ansetzen sollte man insbesondere bei der LehrerInnenausbildung, so Brizić. „Dem künftigen Lehrpersonal muss sichtbar gemacht werden, dass die sprachliche Vielfalt kollektive Erfahrung und historische Entwicklung spiegelt. Wir müssen diese kollektive Erfahrung respektieren.“ Auch im Bildungsministerium will man das Lehrpersonal für die mehrsprachige Schule gut aufrüsten. „In der Fort- und Weiterbildung wurden neue Schwerpunkte in den Bereichen Migrationshintergrund, sprachliche Bildung, Mehrsprachigkeit, Deutsch als Bildungssprache sowie Deutsch als Zweitsprache geschaffen. In der PädagogInnenbildung neu sind diese Kompetenzen sogar verpflichtend“, erklärt Warga-Fallenböck.
In der Wirtschaft sind die Potenziale der Mehrsprachigkeit längst erkannt worden. Viele österreichische Unternehmen profitieren von zugewanderten MitarbeiterInnen, die einen mehrsprachigen Hintergrund haben. Ob es um die Erschließung neuer Märkte oder Gewinnung von ausländischen Kunden geht: Die Mehrsprachigkeit bleibt einer der wichtigsten Motoren der österreichischen Wirtschaft. Vor allem aber ist sie eine der wichtigsten Bedingungen, damit Menschen sich in ihrer Heimat, ob sie nun ganz neu oder schon etwas älter ist, zurechtfinden und an der Gesellschaft teilhaben können.

Linktipp:
Überblick über Initiativen
www.schule-mehrsprachig.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor nedad.memic@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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