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Ahmad Alkhaled (5 Jahre) und sein Bruder Walid (1 1/2 Jahre) Ahmad Alkhaled geht ab Herbst regelmäßig in einen Wiener Kindergarten. Walid ist das jüngste Kind der Familie. Das hölzerne Schaukelpferd teilt er oft mit seinem großen Bruder Ahmad.
Mufida Awayed lebt im Integrationshaus Mufida Awayed kam vor etwas mehr als zwei Monaten mit ihren fünf Söhnen nach Österreich und besucht seit Kurzem einen Deutsch- und Alphabetisierungskurs im Integrationshaus. Die Kinder werden dann im Haus betreut.
Manan Khalil und Niddal Alkhaled Niddal Alkhaled (rechts) möchte in Österreich als Stukkateur arbeiten und zeigt Bilder seiner besten Arbeiten. Manan Khalil (links) dolmetscht das Gespräch.

Reportage: Schlüssel für ein neues Leben

Schwerpunkt Integration

Seit 21 Jahren bietet das Integrationshaus in Wien-Leopoldstadt Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterbringung und sorgt mit Bildungsangeboten zudem für eines: Chancen für ihre Zukunft.

Nach kurzem Klopfen öffnet ein Bub mit kurzen schwarzen Haaren und großen braunen Augen die Wohnungstüre. „Hallo“, grüßt Ahmad. Seine Mutter Mufida Awayed und sein Vater Niddal Alkhaled bitten die Gäste, Platz zu nehmen. Sie sind sichtlich stolz darauf, Besucher in ihren vier Wänden empfangen zu können. Neugierig setzt sich der Fünfjährige mit seinem hölzernen Schaukelpferd an das Kopfende des Wohnzimmertisches. Die Sprache der Gäste versteht er noch nicht, aber ein paar Worte Deutsch hat er bereits im Kindergarten aufgeschnappt. Die Familie sieht erwartungsvoll auf Manan Hamou Khalil, der ihnen die Fragen der BesucherInnen in ihre Muttersprache übersetzt. Vater Niddal Alkhaled ist seit mehr als einem Jahr in Österreich und durfte als Asylberechtigter (nach der Genfer Flüchtlingskonvention) seine Familie nachholen. Mufida Awayed und ihre fünf Söhne im Alter von einem bis elf Jahren leben erst seit knapp zwei Monaten in Österreich. Die Familie stammt aus Golan, einem kleinen Ort in Syrien, an der Grenze zu Israel. Im „Integrationshaus“ in Wien-Leopoldstadt haben sie ein neues Zuhause gefunden. Sie leben dort in einer Wohnung im ersten Stock und die Kinder können bei schönem Wetter draußen im Park spielen.

Wie sich Integration hierzulande verändert hat, lässt sich an diesem Haus mit rund 110 BewohnerInnen ablesen. Vor 21 Jahren eröffnet, hat das Integrationshaus mit Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti einen prominenten Mitbegründer – das Ziel damals wie heute eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen. Aus dem einstigen Wohnheimbetrieb mit zwölf Mitarbeitern entstand ein Zentrum für Integration mit Qualifizierungs- und Sprachkursen, Arbeitsmarktprogrammen und psychosozialer Betreuung. Heute arbeiten über 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mehr als 200 ehrenamtliche HelferInnen mit. Sie sprechen über 40 verschiedene Sprachen.
Das Integrationshaus erinnert ein wenig an ein StudentInnenwohnheim – lange Gänge, ein zentrales Stiegenhaus, Seminar- und Computerräume. Es gibt 40 Wohnungen für zwei bis sieben Personen. WCs und Duschen sind am Gang. Gemeinschaftsräume zum Kochen gibt es keine.
Die BewohnerInnen sind froh darüber, wieder zu sich einladen zu können. Mufida Awayed kann nach Monaten wieder für ihre Familie kochen. Neben dem Tisch ist eine kleine Küchenzeile mit Elektroherd und Abwasch. Während des Gesprächs hält die 33-Jährige ihren jüngsten Sohn Walid im Arm, er ist knapp eineinhalb Jahre alt. Sie besucht seit Kurzem einen Alphabetisierungskurs und lernt Deutsch. Ihr Mann lernt ebenfalls Deutsch und macht ein Praktikum beim AMS. Dort lernt der 42-Jährige, wie er sein Handwerk in Österreich ausüben kann. Auf den Job angesprochen, steht er auf, kramt kurz in seinen Unterlagen in einer Schublade und kommt mit einem Stapel Fotos wieder. Stolz präsentiert er seine besten handwerklichen Arbeiten. Niddal Alkhaled hat 24 Jahre lang Deckenverkleidungen aus Gipskarton angefertigt, ist also Stukkateur. Er hat in Syrien, Katar und im Libanon gearbeitet. Die Fotos zeigen kunstvoll verzierte Zimmerdecken in Hotels und Villen, eine in täuschend echter Holzoptik. „Holz ist in Syrien teuer“, übersetzt der Dolmetscher.

Erntehilfe oder Tourismus
Als Asylberechtigter ist Herr Alkhaled am Arbeitsmarkt ÖsterreicherInnen gleichgestellt. Durch das Praktikum will er seine Jobchancen verbessern. AsylbewerberInnen dürfen nach drei Monaten arbeiten, aber nur in Bereichen wie Erntehilfe oder Saisonarbeit. „In den 1990er-Jahren standen ihnen mehr Möglichkeiten offen“, sagt Integrationshaus-Geschäftsführerin Andrea Eraslan-Weninger. In Mangelberufen wie in der Gastronomie kommen AsylwerberInnen heute nur dann zum Zug, wenn es keine/n geeignete/n BewerberIn aus einem EU-Land gibt. Flüchtlinge bis 25 Jahre dürfen seit 2015 in Mangeljobs eine Lehrausbildung absolvieren.

Lohndumping durch Ein-Euro-Jobs
Das Integrationshaus fordert seit Jahren für AsylwerberInnen einen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, längstens sechs Monate nach ihrer Ankunft in Österreich. „Die Förderung der Selbsterhaltungsfähigkeit ist wichtig, damit Asylsuchende und Flüchtlinge ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Sie vom Arbeitsmarkt auszuschließen ist unmenschlich“, so Eraslan-Weninger. Den vieldiskutierten Ein-Euro-Jobs kann sie gar nichts abgewinnen. „Das führt nur zu Lohndumping, nicht zu Integration.“ Vielmehr sollten Qualifizierungsmaßnahmen und Qualifikationschecks, mit denen das AMS die Kompetenzen der Geflüchteten einstuft, weiter ausgebaut werden. „Die sind wichtig, denn früher wurden die Kompetenzen von Flüchtlingen oft zu niedrig eingeschätzt.“
Manan Khalil, ein sportlicher Mann mit angegrautem Vollbart, dolmetscht das Gespräch mit den Alkhaleds. Er hat nur einen leichten Akzent, spricht beinahe fehlerfrei. „Ich war zunächst in Villach untergebracht. Deutsch habe ich innerhalb von zwei Jahren gelernt.“ In Aleppo hat er als Mediziner gearbeitet. Eine Anerkennung seiner Ausbildung ist langwierig. Seine Syrisch-Kenntnisse sind ein großer Vorteil, denn die Zusammensetzung der HausbewohnerInnen hat sich verändert. Zwar stammt die Mehrheit der BewohnerInnen weiterhin aus Tschetschenien, ein Grund dafür sind die langen Asylverfahren. Dahinter folgen aber nun SyrerInnen und AfghanInnen. Viele verschiedene Kulturen unter einem Dach, das läuft nicht immer spannungsfrei ab. „Es gibt Probleme, wie in jedem Gemeindebau auch. Unsere Betreuer und Betreuerinnen vermitteln dann zwischen den Parteien“, so Eraslan-Weninger. Ein Burkaverbot hält sie nicht für notwendig. „Wir hatten nur einmal eine Burkaträgerin im Haus. Diese Diskussion spricht nicht die großen Fragen der Integration an und wird populistisch aufgebauscht.“ Die Rolle der Frau in der westlichen Welt ist aber ständiges Thema im Integrationshaus und fließt in die jeweiligen Kurse und Projekte ein und wird auch in den Kinderprojekten behandelt.

Gebäude mit Fluchtgeschichte
Vor dem weißen, fünfstöckigen Integrationshaus spielen zwei Mädchen gerade mit Wasserbomben. Das Gebäude hat ebenfalls eine Fluchtgeschichte: Sowohl der jüdische Architekt Karl Jaray als auch Eigentümer und Fabrikbesitzer Hugo Bunzl mussten vor den Nationalsozialisten fliehen.

Ein Haus wie ein Palast
Das Lichtermeer im Jahr 1993 war die Initialzündung für das „Projekt Integrationshaus“. Damals protestierten 300.000 Menschen auf dem Heldenplatz für Solidarität statt Ausländerhass. Der erste „Flüchtlingsball“ 1995 brachte die nötigen Geldmittel ein und im selben Jahr zogen die ersten Flüchtlinge in das einstige Bürogebäude.
Ðaneta Memišević, eine gebürtige Bosnierin mit adrettem, grau meliertem Kurzhaarschnitt und schwarz umrandeter Brille, besucht noch heute regelmäßig das Integrationshaus. Sie erinnert sich noch ganz genau an die ersten Eindrücke im Jahr 1995: „Das Haus wirkte auf mich aufgrund seiner Größe wie ein Palast.“ Zuvor hatte sie mit ihren drei Kindern in verschiedenen Flüchtlingslagern gelebt, Privatsphäre gab es kaum. „Endlich hatten wir einen Schlüssel zu unseren eigenen vier Wänden, und wir wurden gefragt, was wir brauchen“, so Memišević.
Unterstützung bekam sie von einer Sozialarbeiterin, die ihr bei den Behördenwegen behilflich war. Die Zwillingssöhne, damals acht Jahre alt, und die zehnjährige Tochter bekamen rasch einen Schulplatz. Die Familie lernte Deutsch.
„Für mich sind die Kulturen von Österreich und Bosnien ähnlich, auch die gesellschaftlichen Regeln. Für mich war es zentral, mich zu integrieren, Deutsch zu lernen und zu arbeiten.“ Zunächst betreute die gelernte Volksschullehrerin Kindergruppen im Integrationshaus, später arbeitete sie für einen Verein, der sich für gehörlose Menschen einsetzt. Nach eineinhalb Jahren zog Ðaneta Memišević mit ihren Kindern in eine eigene Wohnung.
Ein neuer Job, eine neue Bleibe – so sieht der Idealfall aus. Doch der Wiener Wohnungsmarkt stellt das Integrationshaus vor große Herausforderungen. Früher musste man nur zwei Jahre in Wien gemeldet sein, um Anspruch auf eine Gemeindewohnung zu haben, heute sind es fünf. „Das war eine wichtige Ressource für uns. Am privaten Wohnungsmarkt gibt es bei den hohen Mietpreisen kaum leistbaren Wohnraum für Flüchtlinge“, so Eraslan-Weninger.
Es brauche Mut zu neuen Projekten, wie 2013 am Nordbahnhof. In einem Genossenschaftsbau mit 100 Wohnungen waren 30 Wohnungen für BewohnerInnen des Integrationshauses reserviert. Die meisten wohnen jetzt noch dort, finanzieren die Miete selbst. „Das war gut für die Integration – es ist ein aktives Grätzel entstanden.“

Mindestsicherung als Auffangnetz
Ein zentraler Wendepunkt in der Integrationspolitik war für Eraslan-Weninger die Einführung der Grundversorgung im Jahr 2004. „Zuvor waren viele Menschen ohne jegliche Versorgung.
Viele Bewohner der ersten Generation mussten wir zur Gänze aus Spenden finanzieren.“ Eraslan-Weninger warnt aber davor, die Mindestsicherung – wie in Oberösterreich – zu kürzen, da sie notwendig sei, um nicht in Armut zu leben.
„Die Armutsgrenze liegt bei einer Person bei ca. 1.000 Euro, die Mindestsicherung liegt darunter. Kürzungen schaden der Integration.“ Auch das neue Gesetz mit Asyl auf Zeit und dem eingeschränkten Familiennachzug „sind der Integration gegenläufig. Die Menschen können sich nicht integrieren, wenn sie drei Jahre auf ihre Familie warten müssen“, sagt Eraslan-Weninger.
Ðaneta Memišević und ihre Familie haben einen langen Weg hinter sich. Sie wirft noch einen Blick zurück auf das Haus, das einst ihr Zuhause war. Sie hat sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut, eine Vollzeitstelle gefunden und Wurzeln geschlagen. Auch ihre Kinder haben hier eine Zukunft gefunden.

Ein langer Weg
Die Familie Alkhaled/Awayed hat diese Schritte noch vor sich. Niddal möchte so schnell es geht „Deutsch lernen und einen Job bekommen“.
Wichtig ist ihm aber vor allem, dass sich seine Kinder gut integrieren und Freunde finden. Dass das Zeit in Anspruch nimmt, weiß er: „Man weiß nicht, wie lange so etwas dauern wird.“

Linktipp:
Wiener Integrationshaus
www.integrationshaus.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sandra.knopp@gmx.at und udoseelhofer426@msn.com oder die Redaktion aw@oegb.at

Buddykurse im Integrationshaus
Interessierte können sich im Integrationshaus zum Flüchtlingsbuddy ausbilden lassen. Der Kurs findet einmal in der Woche statt. Die Themen sind unter anderem: Asylrecht und Fremdenrecht, Bildung, Arbeitsmarkt und Jobcoaching, Freizeitgestaltung in Wien, Leben in der Grundversorgung, politische Bildung für und mit MigrantInnen, Deutsch als Zweitsprache, Leben in der Grundversorgung sowie Flucht und Trauma.
Koordinatorin ist Sonja Scherzer vom Integrationshaus. Die Aufgaben eines Buddys sind unterschiedlich. Sie gehen von Nachhilfe für die Kinder, Konversation mit den Betreuten über das Kennenlernen von Wien und den wichtigsten Institutionen bis hin zur Hilfe bei der Job- und Wohnungssuche.
Kursbeginn: 20. und 21. September 2016
Anmeldung
unter: s.scherzer@integrationshaus.at

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