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Symbolbild zu: Lasst die Hummeln fliegen! Hummeln können nicht fliegen? Das zumindest meinten Physiker, die befanden, die Last des Körpers sei zu groß für die kleinen Flügel.

Lasst die Hummeln fliegen!

Schwerpunkt Neoliberalismus

Mit Fakten gegen schlechte Stimmung: Unternehmer jammern über den Standort, dabei sehen die internationalen Statistiken Österreich an der Spitze.

Abgesandelt ist noch ein Hilfsausdruck“, „Triple B aus Bürokratie, Belastung, Bestrafung“, „Reformstau“: Über Monate hinweg reihen missmutige Wirtschaftsfunktionäre ein abfälliges Schlagwort über den österreichischen Standort an das andere. Selbst dem Generaldirektor der voest, eines Unternehmens mit glänzenden Geschäftszahlen, dem jede Unterstützung von Politik und Gewerkschaften sicher ist, gerät jede Pressekonferenz trotz immer höherer Unternehmensgewinne zur Lamentiererei.
Die internationalen Wettbewerbsrankings, etwa des World Economic Forum, beruhen wesentlich auf Befragungen von ManagerInnen (siehe auch „Jährlich grüßt das Managertier“). Die selbstgeißelnde Stimmungsmache befeuert zusammen mit schwerwiegenden methodischen Problemen dieser Befragungen das Standort-Bashing. Das ist ziemlich gefährlich, denn schlechte Unternehmerstimmung kann zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden: Erklären die Unternehmen die Lage für schlecht, dann investieren sie nicht, das wiederum verschlechtert die wirtschaftliche Lage tatsächlich.

Selffulfilling prophecy
Zudem erschwert miese Stimmung die Lösung der durchaus bestehenden Probleme: hohe Arbeitslosigkeit, Herausforderung Integration, Defizite im Bildungssystem, Innovationsschwäche und zunehmende Ungleichheit in der Verteilung des Wohlstandes. Auf solider Ausgangsbasis und mit ein wenig Mut wären die Herausforderungen zu bewältigen, aber so?
In der Sozialpartnerschaft galt einmal der Grundsatz, die Fakten gemeinsam außer Streit zu stellen, um auf gesicherter Datenbasis Interessenunterschiede zivilisiert austragen zu können. Wie also ist die Ausgangssituation auf Basis von Fakten und Daten tatsächlich? Einerseits belastet die seit 2008 anhaltende weltweite Finanzkrise noch immer die heimische Wirtschaft: Wäre das reale Bruttoinlandsprodukt seit Beginn der Krise im Jahr 2008 so gewachsen wie in den zwei Jahrzehnten zuvor, so würde es um zwanzig Prozent höher liegen. Zusammen mit enormen Kosten der Bankenrettung von 37 Milliarden Euro hat die schwache Konjunktur die Staatsschulden um mehr als siebzig Milliarden Euro erhöht. Gemeinsam mit dem starken Zuzug ausländischer Arbeitskräfte hat die Krise die Arbeitslosenquote auf den höchsten Wert der Zweiten Republik gehoben. Die Ausgangslage ist also durchaus schwierig.
Doch andererseits ist die wirtschaftliche Lage in Österreich objektiv im Vergleich mit den anderen EU-Ländern recht gut: Die Produktion an Gütern und Dienstleistungen (BIP) pro Kopf lag im Jahr 2015 mit 36.400 Euro um 27 Prozent über dem EU-Durchschnitt, zu Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 betrug der Vorsprung nur 23 Prozent.
Vor uns liegen Luxemburg (Stadt mit Umland und Steuerdumping), Irland (Land der steuerminimierenden Multis ohne Ertrag für die heimische Bevölkerung) und die Niederlande (einstmals gefeiertes Modell, das kontinuierlich zurückfällt). Besorgniserregend ist, dass unser drittwichtigster Handelspartner Italien laufend an Wirtschaftsleistung verliert und nur noch an zwölfter Stelle der EU liegt. Erfreulich ist, dass unser mit Abstand wichtigster Handelspartner Deutschland nach langen Jahren der Stagnation nun endlich aufholt und Rang fünf einnimmt. Denn je besser es unseren Handelspartnern geht, desto günstiger ist dies für unsere Exportwirtschaft.

Grund für Optimismus
Exportiert werden in hohem Ausmaß Industriegüter, deren Produktion besonders im internationalen Wettbewerb steht. Im April 2016 lag der Produktionswert in Österreichs Industrie um 13 Prozent höher als im Jahr 2010, in Deutschland waren es zehn und in der Eurozone nur fünf Prozent. Mehrere Indikatoren lassen hier auch für die Zukunft optimistisch sein: Die Forschungsausgaben, entscheidende Voraussetzung für die Innovationskraft der Wirtschaft, haben drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschritten und Österreich hat damit zur Spitzengruppe der skandinavischen Länder aufgeschlossen. Großen Anteil daran hatten staatlich finanzierte Forschungsleistungen, Österreich liegt hier auf Platz eins der EU. Nun gilt es, mehr Augenmerk nicht nur auf die Forschungsmittel, sondern auch auf die Umsetzung der Forschungsergebnisse zu legen.
Die Investitionen der Unternehmen und der öffentlichen Hand weisen ein deutlich höheres Niveau auf als in Deutschland und der Eurozone. Die deutschen Unternehmen müssten um 30 Milliarden Euro und der Staat nochmals um 30 Milliarden Euro mehr investieren, um das österreichische Niveau zu erreichen. Dennoch schütten die heimischen Kapitalgesellschaften immer noch mehr ihres Gewinns in Form von Dividenden aus, als sie investieren. Die Gewinne verschwinden auf den internationalen Finanzmärkten und in Rotweinsammlungen, statt sie für die Gesamtwirtschaft nutzbar zu machen. Das muss sich ändern.

Realistische Einschätzung
Die Zahl der Erwerbstätigen steigt. Sie hat sich seit 2008 so wie in Deutschland um sechs Prozent erhöht, während sie in der Eurozone erst das Vorkrisenniveau erreicht. Seit Kurzem nimmt auch die Zahl der Vollzeitbeschäftigten wieder zu. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum kräftig gestiegen, vor allem weil immer mehr Leute wegen der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters am Arbeitsmarkt bleiben oder wegen des attraktiven Wirtschaftsstandorts aus dem Ausland zuziehen.
Angesichts dieser harten Fakten liegt eine realistische Einschätzung des österreichischen Wirtschaftsstandorts auf der Hand:

  • Die von Banken und Finanzmärkten ausgelöste Krise ist wirtschaftlich und sozial bei Weitem nicht überwunden, vor allem auf dem Arbeitsmarkt und bei den Staatsfinanzen.
  • Doch im Vergleich mit allen anderen EU-Ländern hält sich Österreich gut. Gerade die im internationalen Wettbewerb stehenden Sektoren reüssieren, während die schwache Binnennachfrage die Konjunktur bremst.

Doch wie ist es möglich, dass die miserable Unternehmerstimmung in solch krassem Gegensatz zu den harten Fakten steht? Das hat vor allem drei Ursachen. Erstens steckt dahinter politische Strategie. Sie besteht darin, durch eine einseitige Darstellung der Lage bei Lohnverhandlungen oder im Arbeitsrecht ein möglichst großes Stück des Kuchens für sich selbst herauszuholen. Blöd nur, dass bei einer einseitigen Betonung von Partikularinteressen der Kuchen insgesamt schrumpft und für alle weniger da ist.
Zweitens beobachten Unternehmensführer, wie weit der Sozialabbau in vielen EU-Ländern vorangekommen ist, ohne dass Ähnliches bislang in Österreich durchsetzbar war: etwa im Bereich der Pensionen, bei den kollektivvertraglichen Lohnverhandlungen oder im Angebot an öffentlichen Leistungen von der Gesundheit über die Bildung bis zum Verkehr. Würde Österreich gegenüber den neoliberalen Modellländern tatsächlich wirtschaftlich zurückfallen, dann wäre das Wasser auf die neoliberalen Mühlen.
Drittens prägen die an den Universitäten gelehrten Gesetze des Neoliberalismus das Denken der AkademikerInnen: In Forschung, Redaktionen und Unternehmensleitungen kann man sich schlicht nicht mehr vorstellen, dass ein gut ausgebauter Sozialstaat, ein System kollektiver Lohnverhandlungen, ein hoher Anteil des öffentlichen Sektors oder hohe Standards im Umweltschutz den Wirtschaftsstandort stabilisieren und stärken.

Theorie und Praxis
Das erinnert ein bisschen an jene Zeitgenossen, die nach den Gesetzen der Physik nachzuweisen versuchten, dass Hummeln gar nicht fliegen können: Die Flügel seien in Relation zum massigen Körper und der großen Lasten einfach viel zu klein. Die Hummeln kennen die Gesetze der Physik gar nicht, haben dafür elastische und gelenkige Flügel – und sie wissen, dass die zu tragenden Lasten Investitionen in die Zukunft des ganzen Volkes sind, und freuen sich am sicheren und schönen Flug.

Blogtipps:
Österreichs BIP pro Kopf in der EU-Spitzengruppe
tinyurl.com/jpu843q
Österreichs Wirtschaft investiert mehr als die deutsche
tinyurl.com/zjqawoz
Konjunktur – Was jetzt zu tun wäre
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Wo steht Österreich?
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