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Wiens "Wasserfabrik" in den Alpen: Kaiserbrunn In Kaiserbrunn, zwischen Rax und Schneeberg und mitten in den niederösterreichischen Kalkalpen, liegt auf 522 Höhenmetern Wiens legendäre "Wasserfabrik".
Der Weg des Wiener Wassers: Es schlängelt sich durch sechs Kammern am Rosenhügel Am Rosenhügel schlängelt sich das kühle Nass durch sechs Kammern und muss sich weiteren Qualitätskontrollen unterziehen, bevor es in über 3.000 Kilometer lange Leitungen durch den Bauch der Stadt fließen darf.
Der Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz ist das Symbol für die feierliche Inbetriebnahme der I. Hochquellenleitung am 24. Oktober 1873 Der Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatz in Wien: Das hochschießende Wasser übt auf PassantInnen eine besondere Faszination aus. Die wenigsten wissen, dass dieses Wasser aus weit entfernten Quellen aus den Alpen kommt.

Reportage: Wiens "Wasserfabrik" in den Alpen

Schwerpunkt Neoliberalismus

Der Weg des Wiener Wassers zeichnet die internationale Erfolgsgeschichte einer öffentlich-rechtlichen Dienstleistung. Eine rauschende Reportage entlang der I. Wiener Hochquellenleitung.

Weiße Quellwolken verdichten sich über dem kleinen Ort Kaiserbrunn zwischen Rax und Schneeberg. Regen ist in den Ostalpen so gewiss wie das Amen im Gebet. Alles, was sich hier über den Bergen ergießt, wird von diesen gefiltert, um später aus Wiens Wasserleitungen zu fließen. Denn hier, mitten in den niederösterreichischen Kalkalpen, liegt auf 522 Höhenmetern Wiens legendäre „Wasserfabrik“.
Selten werden WienerInnen außerhalb ihrer Stadtgrenzen so freundlich empfangen wie in Kaiserbrunn, wo die Stadt Wien im Zuge der Wasserversorgung zahlreiche Menschen beschäftigt. Auch Astrid Rompolt ist hier immer gerne gesehen. Als Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit von Wiener Wasser sorgt sie seit zwanzig Jahren dafür, die Qualität des Trinkwassers aus den Alpen im Bewusstsein der WienerInnen zu verankern. Ein- bis zweimal im Jahr fährt Rompolt die beiden Wasserleitungsmuseen entlang der Wiener Hochquellenleitungen ab und wird dabei nicht müde, JournalistInnen und PolitikerInnen Geschichte und Fakten über das weiße Wiener Gold zu erzählen. Dabei stößt sie auch außerhalb Österreichs auf interessierte Ohren. Ein japanisches Kamerateam hat Rompolt gerade in Beschlag genommen, um eine Reportage über das Wiener Wasser für das japanische Fernsehen zu drehen. „Für viele ist es schwer vorstellbar, dass dieses Gebirgswasser 90 Kilometer weiter nördlich ohne Zusatzstoffe 1,8 Millionen Einwohner in Wien versorgt“, so Rompolt.

143 Jahre Wiener Alpenwasser
Vor dem Wassermuseum in Kaiserbrunn lockt ein Trinkbrunnen die BesucherInnen zu einer Kostprobe des kühlen Gebirgsnasses. „Das Wasser hat aktuell sechs Grad Härte“, erklärt Eva Tauchner, die unter anderem das Kaiserbrunn-Museum betreut. „Die meisten mögen das. Mir ist es eine Spur zu weich.“ Mit sechs bis elf Grad Härte hat Wien eines der weichsten Wasser in Österreich. Oder anders gesagt: wenig Kalk, was wiederum Wasch- und Spülmaschinen guttut. An den Wochenenden erläutert Tauchner den Museumsgästen anhand der Schautafeln den Weg des Wassers durch die Alpen in die Stadt. Vor knapp 150 Jahren hat hier in Kaiserbrunn die Geschichte ihren Lauf genommen, als der Wiener Gemeinderat 1869 aufgrund der katastrophalen Trinkwassersituation in Wien den Bau der I. Hochquellenleitung in die Wege leitete. Schon davor ließ sich Kaiser Karl VI. auf Empfehlung eines Arztes den gesunden Gebirgstrunk auf einem Dreitagesritt nach Wien bringen.
Insgesamt 70 Quellen werden im Gebiet Schneeberg/Rax in Niederösterreich und im steirischen Hochschwabgebiet gefasst, kontrolliert und deren Wasser über zwei Hochquellenleitungen nach Wien transportiert, um die Stadt täglich mit bis zu einer halben Milliarde Liter Wasser zu versorgen. Mit dem Bau der II. Hochquellenleitung von 1900 bis1910 hat die Gemeinde dem rasanten Bevölkerungszuwachs in Wien Rechnung getragen. Das Besondere daran: Auf der gesamten Strecke bis nach Wien ist keine einzige Pumpe im Einsatz, das Wasser fließt nur durch natürliches Gefälle mit einem Höhenunterschied von 276 Metern.

Sanfter Tourismus und Bodenschutz
Das habe den Vorteil, dass die Wasserversorgung der Stadt auch bei einem Stromausfall gewährleistet ist, so Tauchner. Das kleine Museum ist eingebettet in ein riesiges Waldgebiet, umzäunt von den Spitzen der 2000er-Gebirgskette.  Den BesucherInnen scheint der beißende Wind nichts auszumachen, solange die Sonne scheint. Einige Wanderer haben ihre Autos vor der Gastwirtschaft mit der Aufschrift „Wiener Küche“ geparkt. Trotz der verlockenden Aussichten tummeln sich hier relativ wenige TouristInnen. Das hat einen Grund: Große Teile der Wassereinzugsgebiete sind im Eigentum der Stadt Wien, und um die Wasservorkommen zu schützen, können sie nicht uneingeschränkt betreten werden. Eineinhalbmal so groß wie die Bundeshauptstadt selbst ist die Fläche, auf der nur sanfter Tourismus und ressourcenschonende Forstwirtschaft erlaubt sind. Forststraßenbau, Bodenschutz, die Wahl und Nutzung der Bäume – alles obliegt strengen Regeln zugunsten der Trinkwasserqualität. „Je gesünder die Vegetation, umso besser das Wasser“, sagt Rompolt. Daher muss das Quellwasser nicht extra aufbereitet werden. Das Gestein, der Boden und die unterirdischen Klüfte wirken wie ein natürlicher Filter. Die Stadt greift dafür tief in ihre Taschen: 15 Millionen Euro fließen jedes Jahr allein in die Schonung der Flächen. Darunter fällt auch so manch skurrile Maßnahme. Vor einigen Jahren etwa hat ein Blitz zehn Kühe getötet. Sie wurden mit dem Hubschrauber ausgeflogen, damit sie den Boden nicht verseuchen. Doch so seltsam es klingen mag: „In Quellschutzgebiete zu investieren ist eine der nachhaltigsten und schlauesten Vorsorgen, um gute Trinkwasserqualität zu gewährleisten“, meint die AK-Wasserexpertin Iris Strutzmann. „Private Anbieter würden das wohl kaum investieren.“ Es ist nur einer der Gründe, weshalb sie gegen die Privatisierung der Wasserversorgung ist.

Europas größter Wasserbehälter
Szenenwechsel. Von Kaiserbrunn, wo das Wasser gefasst, kontrolliert und in Transportrohre geleitet wurde, geht es eine Dreiviertel-Autostunde weiter nach Neusiedl am Steinfeld, vorbei an dünn besiedelten Landschaften, Sonnenblumenfeldern und endlosen Baumalleen. Ausgerechnet hier, mitten im Nirgendwo, thront im Stillen der größte Trinkwasserspeicher Europas mit einem Fassungsvermögen von 600.000 Kubikmetern. „Bei seiner Eröffnung 1959 war er der größte weltweit“, erzählt Peter Polleres. Er ist einer von sechs Kollegen, die in Neusiedl den Verlauf des Wassers zwischen Ternitz und Wien überwachen und steuern. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Jegliches Wasser aus der I. Hochquellenleitung, das nach Wien will, muss hier vorbei. Auf den zehn Bildschirmen in der Steuerzentrale werden Wasserstand, Temperatur, Fließgeschwindigkeit und Trübungswerte sowie Zu- und Abfluss des Wassers in den vier Kammern gezeigt. Ist das Wasser zum Beispiel aufgrund von Starkregen zu sehr getrübt, leitet Polleres es rechtzeitig aus, bevor es Neusiedl erreicht. Seit 22 Jahren ist er bereits in Neusiedl beschäftigt, wartet Stollen und mäht den Rasen der 18 Hektar großen Wiesenfläche oberhalb des Behälters. Immer wieder kommen auch Leute hierher, so Polleres, um Wasser aus dem Trinkbrunnen in Kanistern abzufüllen. Es sei deutlich besser als das in Neusiedl oder aus dem Supermarkt. Warum dann auch in Wien viele Leute stilles Wasser in Flaschen kaufen? „Keine Ahnung“, meint der bärtige Mittfünfziger achselzuckend. Vielleicht wüssten viele WienerInnen nicht, wo ihr Trinkwasser herkommt. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dieses Wasser zu trinken: „Das ist halt wie mit dem Strom. Der kommt aus der Steckdose, das Wasser aus der Leitung.“

Zeugen einer vergangenen Epoche
Nach einer weiteren Qualitätskontrolle ist das Wasser in Neusiedl nun bereit für seine abenteuerliche Weiterreise. Das meiste fließt unterirdisch unter den Weinbergen der Thermenregion hindurch. Nur zum Queren der Täler wird es über Aquädukte geleitet. Insgesamt 30 monumentale Bauten ragen entlang der I. Hochquellenleitung wie Zeugen aus einer anderen Epoche aus der Landschaft. Einer dieser Bauten steht in Baden, 30 Kilometer südlich von Wien. Hier übernehmen Gerald Dorn und sein Team die Kontrolle über den Weg des Wassers durch das 840 Meter lange Aquädukt. Zwischen 2012 und 2015 wurde es erstmals seit seiner Eröffnung im Jahr 1873 generalsaniert. Sonne, Regen und Frost der letzten 140 Jahre haben Ziegeln und Naturstein schwer zugesetzt. Heute erstrahlt es in neuem Glanz. Kosten: zehn Millionen Euro. Auch die regelmäßigen Reinigungen und Instandhaltungen seien teuer.
Wenn viermal im Jahr die sogenannte Abkehr ansteht, wird die Wasserzufuhr für einige Tage abgeleitet. Dann heißt es Rohre waschen, Risse verfugen und Rohrnähte verschweißen. „Die Materialien, die dafür in Einsatz kommen, müssen vor allem trinkwassertauglich sein und schnell trocknen“, so der Betriebsleiter. Das sei zwar aufwendig, aber notwendig. Denn von den Materialien und den regelmäßigen Wartungen hänge massiv die Qualität des Trinkwassers ab.

Kurzsichtiges Sparen
Hier ließe sich leicht sparen – eine kurzsichtige Sparmaßnahme, wie Beispiele aus vielen Ländern mit privatwirtschaftlicher Wasserversorgung zeigen. In England und Frankreich etwa haben Einsparungen bei den Instandhaltungen zu Wasserverlusten von bis zu 20 Prozent geführt. Kompensiert wurden die Verluste, indem stark chloriertes Grundwasser eingespeist wurde. Die Folgen sind nachhaltig: schlechte Wasserqualität, beschädigte Rohre und langfristig höhere Preise für die KonsumentInnen. „Die Wasserverluste sind ein wichtiger Parameter für die Qualität der Rohrnetze“, so AK-Expertin Strutzmann. Mit elf Prozent Wasserverlusten gehört Wien zu den unteren Spitzenreiterinnen.

3.000 Kilometer durch die Stadt
Von Baden geht es weiter nördlich in den 13. Wiener Gemeindebezirk, genauer gesagt zu Wiens ältestem Wasserbehälter am Rosenhügel. Mit dem Auto ist man von Kaiserbrunn zwölfmal schneller hier als das Wasser, das nun eine 24-stündige Reise hinter sich hat. Am Rosenhügel, dem Ende der I. Hochquellenleitung, schlängelt sich das kühle Nass mäanderartig durch sechs Kammern und muss sich weiteren Qualitätskontrollen unterziehen, bevor es in über 3.000 Kilometer lange Leitungen durch den Bauch der Stadt fließen darf. Das entspricht etwa der Luftlinie von Wien nach Reykjavik.
Was aus den Wasserhähnen der WienerInnen strömt, ist zu fast 100 Prozent reines Quellwasser aus den Alpen. Nur bei extremen Wasserverbräuchen oder im Fall von Sanierungen wird Grundwasser beigefügt. Die gesamte Stadt wird nun mit dem frischen Gebirgswasser aus den niederösterreichisch-steirischen Kalkalpen versorgt. Wie kann es dann sein, dass das Wasser oberhalb der Donau anders schmeckt als in inneren Bezirken? „Das fragen viele“, lacht Walter Pichler, der als Mitarbeiter von Wiener Wasser alle 29 Wiener Wasserbehälter betreut. Das Wasser sei aber dasselbe, der unterschiedliche Geschmack komme nur daher, dass es ab und zu länger in der Leitung stehe. „Einfach das Wasser länger laufen lassen oder es ein paar Minuten in den Kühlschrank stellen. Dann hat es die ideale Temperatur von acht bis neun Grad und schmeckt, wie es schmecken soll.“
Obwohl die Stadt weiter wächst, sinkt seit drei Jahrzehnten der Wasserverbrauch kontinuierlich, erzählt Astrid Rompolt. Heute verbraucht ein Wiener oder eine Wienerin durchschnittlich 130 Liter Wasser am Tag, rund ein Viertel weniger als noch vor dreißig Jahren. Der Grund: moderne Haushaltsgeräte, sparsame WC- und Bewässerungsanlagen sowie penible Dichtungsarbeiten an den Rohrleitungen. Die größte Herausforderung für die Wasserversorgung Wiens sei aber nicht etwa eine sommerliche Hitzeperiode, sondern eine großmediale Sportübertragung wie die Fußball-Europameisterschaft 2016. In den Spielpausen, wenn die ZuseherInnen die Toiletten stürmen, hat sich der Wasserverbrauch in kurzer Zeit vervierfacht, wie in den Wasserbehältern und den Statistiken der MA 31 deutlich zu sehen ist.

Privatisierung ist ein Mythos
Wiens Wasserversorgung ist zu hundert Prozent in öffentlicher Hand. „Das soll auch so bleiben“, spricht Iris Strutzmann die klare Position der Arbeiterkammer aus. Denn nur so könne vorsorgend gewirtschaftet werden. Vor 150 Jahren, mit dem Bau der I. Hochquellenleitung, hat die Stadt bereits vorausgeplant, dass sie einmal 2,5 Millionen EinwohnerInnen haben werde, und eine entsprechende Wasserversorgung sichergestellt. Heute noch kauft die Gemeinde Grundstücke und Gebiete zum Schutz der Wasserressourcen auf. „In Quellschutz und öffentliche Netze zu investieren, bringt vielen Generationen etwas“, so Strutzmann. 65 Millionen Euro investiert Wien jährlich in die Instandhaltung der Anlagen und den Quellenschutz.
Um dessen einzigartige Qualität auch für künftige Generationen zu sichern, wurde das Wiener Trinkwasser im Jahr 2001 mit einer Verfassungsbestimmung geschützt. „Damit soll der Ausverkauf des ‚weißen Goldes‘ gestoppt werden“, heißt es dazu in der Wiener Wassercharta. Wirtschaftliche Maßnahmen sind demnach dem Allgemeinwohl unterzuordnen. „Vor einer europäischen Verordnung oder Richtlinie schützt diese Maßnahme freilich nicht“, mahnt AK-Expertin Strutzmann. „Aber die Charta ist ein wichtiges politisches Statement und bietet einen umfassenden Schutz durch die verfassungsrechtliche Verankerung im Wasserversorgungsgesetz.“ Eine Privatisierung des Wassers in Wien sei laut der AK-Expertin aber derzeit ohnedies unrealistisch.

Linktipp:
Argumentarium der Stadt Wien gegen die Liberalisierung des Wassersektors
tinyurl.com/gpfpf6d

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin Irene Steindl irene.steindl@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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