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Symbolbild zum Bericht: Lohnpolitik ohne Grenzen

Lohnpolitik ohne Grenzen

Schwerpunkt Internationale Solidarität

Um einen Wettlauf nach unten zu vermeiden, haben Gewerkschaften in Europa begonnen, sich in der Lohnpolitik zu koordinieren.

Die Lohn- und Tarifpolitik ist in der EU eine Domäne der nationalen Sozialpartnerorganisationen und in Ländern mit tripartistischer Lohnbestimmung eine der politischen AkteurInnen. Auf EU-Ebene wurden in den Jahren vor der Umsetzung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) zwar Institutionen etabliert, die einen Rahmen für ein europäisches System der Arbeitsbeziehungen schaffen können. Die europäischen Sozialdialoge beispielsweise ermöglichen es den europäischen Dachverbänden der ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber, in gemeinsamen Verhandlungen „Rahmenabkommen“ zu Mindeststandards in Bereichen der Arbeitspolitik abzuschließen. Die Sozialdialoge können auf branchenübergreifender und sektoraler Ebene stattfinden. Kernarbeitsbedingungen wie Löhne oder Arbeitszeit sind von den Sozialpartnerverhandlungen jedoch weitestgehend ausgenommen.

Ausnahmefall
Zu den Ausnahmen zählen die Rahmenabkommen zur Regulierung bestimmter Aspekte der Arbeitszeit in einigen Transportsektoren. In der Handelsschifffahrt wurde außerdem ein Rahmen für globale Tarifverhandlungen zwischen der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft (ITF) und dem globalen Arbeitgeberverband der Seeschifffahrt (IMEC) vereinbart. Dieses institutionelle Arrangement ermöglicht die weltweite Koordinierung der Löhne und Arbeitsbedingungen eines großen Teils der Seeleute. Darüber hinaus können Sozialpartnerverhandlungen auf der Ebene transnationaler Unternehmen (TNU) geführt werden. Europäische Betriebsräte (EBR) sowie nationale und internationale (europäische und globale) Gewerkschaften schließen mit dem Konzernmanagement transnationale Unternehmensabkommen ab. Gegenstand dieser Abkommen sind vor allem Unternehmensrestrukturierungen.

Widerstand der Konzerne
In zunehmendem Maße werden auch lohnbezogene Themen wie die Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmensgewinn und Bonussysteme geregelt. EBR haben sich aber als zu schwach erwiesen, um eine tarifliche Koordinierung auf grenzüberschreitender Unternehmensebene zu ermöglichen. Nur ein geringer Teil der EBR ist in der Lage, über die Funktionen der ArbeitnehmerInneninformation und -konsultation hinaus mit der Managementseite in Verhandlungen zu treten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gewerkschaften einer Ausweitung der tarifpolitischen Funktion von EBR ablehnend gegenüberstehen.
Die europäischen Arbeitgeberverbände haben an einer transnationalen Koordinierung der Tarifpolitik kein Interesse. Vor allem transnational operierende Unternehmen treffen ihre Investitionsentscheidungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Niveaus der Löhne und Arbeitsstandards in den EU-Staaten. Tatsächliche oder angedrohte Standortverlagerungen verleihen dem Management einen Vorsprung in der Verhandlungsposition gegenüber den ArbeitnehmerInnenvertretungen. Deren Mitgliederbasis ist national verankert und sie vertreten vor allem in Zeiten angespannter Arbeitsmärkte die Standortinteressen lokaler Belegschaften.

Asymmetrien
Die Europäische Kommission wiederum unterstützt eine wettbewerbsorientierte Lohnpolitik, wie sie auch von transnationalen Ebenen und europäischen Arbeitgeberverbänden gefordert wird. Dabei fordert sie die Sozialpartnerorganisationen dazu auf, Lohntarifverträge abzuschließen, die nominelle Lohnsteigerungen im Einklang mit der Preisstabilität vorsehen. Zudem sollen sie qualifikationsbezogene, regionale sowie sektorale Produktivitätsdifferenziale berücksichtigen. Die meisten Gewerkschaften hingegen bekennen sich zu einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik, die einen Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten verhindert und eine Beteiligung der Beschäftigten am Produktivitätswachstum garantiert. Die Interessen- und Machtasymmetrien werden auch auf der Ebene der EU-Institutionen deutlich. Im Gremium des makroökonomischen Dialogs, in dem sich VertreterInnen von Kommission, Rat, Europäischer Zentralbank und der europäischen Sozialpartner zur Abstimmung der Lohnpolitik mit der Geld- und Fiskalpolitik in der Eurozone beraten, ist die Gewerkschaftsseite de facto einflusslos.
Angesichts des Desinteresses der Arbeitgeberseite und mangelnder institutioneller Unterstützung auf EU-Ebene haben die nationalen und europäischen Gewerkschaften begonnen, ihre Tarifpolitiken unilateral über die Grenzen hinweg zu koordinieren. Da in der Eurozone der Mechanismus der Währungsabwertung zur Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Kostenwettbewerbsfähigkeit nicht mehr zur Verfügung stehen würde, befürchteten die Gewerkschaften eine Intensivierung des Wettbewerbsdrucks auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Um einen Lohnsenkungswettlauf zu vermeiden, begründeten die Gewerkschaften Initiativen zur transnationalen Koordinierung der Lohnpolitik. Kern dieser Koordinierungsansätze war die Verabschiedung sogenannter tarifpolitischer Leitlinien seitens des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des Europäischen Metallarbeiterbundes bzw. seiner Nachfolgeorganisation IndustriALL. Diese sehen vor, dass sich Lohnerhöhungen am Ausmaß der Summe der Steigerungen der durchschnittlichen Gesamtproduktivität und der Inflationsrate orientieren. Diese gewerkschaftlichen Initiativen zur Lohnkoordinierung blieben jedoch auf Industriebranchen wie die Metallindustrie sowie auf Länder mit ähnlichen Tarifsystemen und tarifpolitischen Traditionen wie Nordeuropa, Deutschland, Österreich, Belgien und die Niederlande beschränkt.

Perspektiven seit der Krise
In den ost- und mitteleuropäischen Staaten dominieren unkoordinierte und unorganisierte Arbeitsbeziehungen, z. B. fehlende ArbeitnehmerInnenorganisationen, schwache und zersplitterte Gewerkschaften, Tarifverhandlungen auf Unternehmensebene oder geringe Tarifbindungsraten. Mit dem Beitritt dieser Länder zur EU sind die transnationalen Koordinierungsbemühungen der Gewerkschaften an ihre Grenzen gestoßen. Kontinuierlich sinkende Organisationsgrade und die jüngsten Arbeitsmarkt- und Beschäftigungskrisen haben die finanziellen und personalen Ressourcen sowie die Legitimität für transnationale Aktivitäten verringert.
Auch die Entwicklungen auf EU-Ebene waren nicht förderlich für gewerkschaftliche Koordinierungsstrategien. Der als Reaktion auf die Schulden- und Fiskalkrise geschaffene Rahmen der „EU Economic Governance“ zur Forcierung der wirtschaftspolitischen Koordinierung ist einseitig auf die Kontrolle von Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten ausgerichtet – Überschüsse hingegen stehen weit weniger im Fokus der Überwachungsprozeduren. Die Eingriffe in die Tarifsysteme der südeuropäischen „Schuldnerländer“ wurden durch den strikten Kontroll- und Überwachungsrahmen legitimiert – gegen die in den EU-Verträgen festgeschriebene tarifpolitische Autonomie der nationalen Sozialpartner.

Mehr Anstrengungen nötig
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Tarifpolitik neben anderen haushalts- und steuerpolitischen Maßnahmen einen Ausweg aus der gegenwärtigen Wachstumskrise eröffnen könnte. Klar ist auch, dass sich durch die Internationalisierung der Märkte das Feld der Lohnpolitik geöffnet hat und es zu einer Veränderung der Machtverhältnisse gekommen ist. Gewerkschaften wie zum Teil auch kleinere und transnational weniger mobile Unternehmen müssen mehr Ressourcen einsetzen und stärkere Anstrengungen unternehmen, um ihr Interesse an einer koordinierten Lohnpolitik durchzusetzen. Neben der Stärkung und Wiederherstellung nationaler tarifpolitischer Institutionen können arbeitnehmerInnenseitige AkteurInnen dazu beitragen, transnationale Institutionen der Kooperation und Solidarität aufzubauen, wie zum Beispiel die Europäischen Betriebsräte oder transregionale tarif- und arbeitspolitische Kooperationen. So können sie zumindest in Teilbereichen wie transnationalen Unternehmen oder auch in bestimmten Branchen oder Regionen ein Gegengewicht zur wettbewerbsbasierten Lohnpolitik schaffen.

Linktipp
Glassner, V., Pernicka, S. und Dittmar, N. (2016) „Arbeit am Konflikt“ – eine Fallstudie zum Europäischen Betriebsrat von General Motors, WSI-Mitteilungen 4/2016, i.E.:
tinyurl.com/zjv58jv

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin vera.glassner@jku.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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