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Symbolbild zum Bericht: Keine Alternative In Europa treffen verschiedene gewerkschaftliche Mentalitäten aufeinander. Die einen setzen auf Kooperation, die anderen auf den Konflikt.

Keine Alternative

Schwerpunkt Internationale Solidarität

Ohne lebendige Solidarität innerhalb global operierender Konzerne droht ein globales Wettrennen um die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen.

Arbeit war über lange Zeit hinweg für die meisten Menschen an einen Ort gebunden. Wer arbeitet, fährt in den allermeisten Fällen zu einem Arbeitsplatz – ein Büro, eine Fabrik oder ein Depot. Doch oft gehört der lokale Arbeitsplatz zu einem großen, international agierenden Unternehmen. Die Firmenzentrale kann sich in Österreich, vielleicht aber auch in Frankfurt oder London befinden, das lokale Unternehmen Teil eines internationalen Firmengeflechts sein. Umso schwieriger fällt natürlich die Organisierung der ArbeitnehmerInnen.

Fuß in die Tür
Wolfgang Greif weiß ein Lied davon zu singen. Bei der GPA-djp leitet er die Abteilung „Europa, Konzerne und Internationale Beziehungen“. In dieser Funktion beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten und Problemen gewerkschaftlicher Solidarität innerhalb großer internationaler Konzerne. Diese findet oft durch sogenannte Europäische Betriebsräte (EBR) statt. „Derzeit haben rund 25 Konzerne mit zentraler Unternehmensleitung in Österreich einen EBR“, erzählt er. „Doch viel häufiger sind österreichische Betriebsräte Teil eines EBR von Konzernen, die in Österreich agieren, aber ihre Unternehmensleitung im Ausland haben. Da werden zentrale wirtschaftliche Entscheidungen nicht mehr von der lokalen Geschäftsführung, sondern von der zentralen Unternehmensführung aus getroffen. Die EBR sind ein Mittel für lokale Betriebsräte, hier einen Fuß in die Tür der wirtschaftlichen Mitbestimmung zu bekommen.“
Letzteres gestaltet sich bei vielen internationalen Konzernen schwierig, so Greif. „Es gibt österreichische Unternehmen, die sich im Inland pipifein verhalten, aber kaum gehen sie nach Osteuropa, verhindern sie dort die Gründung von Gewerkschaften in ihrem Betrieb. Oder nehmen wir den schwedischen H&M-Konzern. In Schweden gewinnen sie alle möglichen Preise als besonders toller Arbeitgeber. Aber in Österreich haben wir viele Probleme mit ihnen. Deshalb ist es wichtig, einen internationalen Austausch zu entwickeln.“ Aber wie kann konkrete internationale Solidarität innerhalb eines Unternehmens entstehen? Was, wenn ein Konzern beispielsweise an einem Standort Arbeitsplätze abbaut? „Natürlich sind alle BelegschaftsvertreterInnen auch ‚ihren Leuten‘ verpflichtet“, meint Greif. „Dort sind sie gewählt und legitimiert. Insofern ist die Identität als Standortvertreter kein Fehler, sondern Ausgangspunkt grenzübergreifender Kooperation. Die Herausforderung ist es, eine wirkliche europäische beziehungsweise internationale Identität gegenüber der zentralen Konzernleitung zu gewinnen. Das ist nicht jedem in die Wiege gelegt und muss erarbeitet werden. Das hat viel mit Empowerment, Qualifizierung und europäischer Koordinierung der beteiligten Gewerkschaften zu tun.“
Genau das versucht unter anderem der internationale Dachverband UNI Global Union zu organisieren. Hinter diesem Namen versteckt sich ein im Jänner 2000 gegründeter Zusammenschluss internationaler Gewerkschaftsverbände im Dienstleistungssektor. 20 Millionen Beschäftigte in über 900 Mitgliedsorganisationen in mehr als 150 Ländern vertritt der Verband weltweit. Ein Beispiel für die Arbeit von UNI Global Union ist der im Jahr 2013 veröffentlichte Bericht „Aussagen von Mitarbeitern der Deutschen Telekom“. Hierbei handelt es sich um eine Studie über die Arbeitsbedingungen bei Tochterunternehmen der Deutschen Telekom außerhalb Deutschlands. An seiner Erstellung waren GewerkschafterInnen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, der Tschechischen Republik, Griechenland, Montenegro, Rumänien und den USA beteiligt, die eine Befragung der DT-MitarbeiterInnen in den jeweiligen Ländern organisierten.

Katastrophale Bedingungen
Der Bericht förderte katastrophale Arbeitsbedingungen zutage. Außerdem kam eine durch die erklärte Gewerkschaftsfeindlichkeit des Unternehmens beförderte Atmosphäre der Angst ans Licht: „Bei ihrer ersten Kontaktaufnahme mit den Arbeitnehmern erhielten die Gewerkschaften einen Einblick, wie die Unternehmen auf die Versuche von Gewerkschaften reagieren, mit den Angestellten in Kontakt zu treten. In der Regel hatten die Mitarbeiter Angst, sich öffentlich als Befürworter der Gewerkschaft zu ‚outen‘. Selbst in Ländern mit Gewerkschaftspräsenz und Kollektivverhandlungen wurden die Gewerkschaften mit Verboten konfrontiert, mit den Angestellten über die Befragung zu sprechen“, heißt es in dem Bericht.
Ein Ergebnis der Studie ist die Forderung von UNI Global Union an die Deutsche Telekom, ergebnisoffene Verhandlungen zur Erstellung eines globalen Rahmenvertrages aufzunehmen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Vereinigungsfreiheit: „Wir fordern eine konzernweite, schriftliche Verpflichtung zur Wahrung der Rechte aller Mitarbeiter von Geschäftsbereichen der DT auf der ganzen Welt, Gewerkschaften zu gründen, ihnen beizutreten und an Kollektivverhandlungen teilzunehmen.“

Verschiedene Mentalitäten
Im Kampf zur Durchsetzung solcher Forderungen treffen häufig sehr verschiedene gewerkschaftliche Mentalitäten aufeinander, so Wolfgang Greif. „Neben den oft sehr unterschiedlichen rechtlichen Lagen in den verschiedenen Ländern gibt es auch in den Gewerkschaften verschiedene Konzepte. Die einen setzen auf Kooperation, die anderen auf den Konflikt.“ Das lässt sich auch beim seit 2013 in Deutschland beim Internetversandhändler Amazon geführten Arbeitskampf der Gewerkschaft ver.di herauslesen. Mehr als 80-mal wurden die deutschen Lagerhäuser des Konzerns bereits bestreikt, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. Dieses Ziel wurde zwar noch nicht erreicht, wohl konnte aber eine stetig selbstbewusster werdende gewerkschaftliche Betriebsstruktur im Angesicht einer sehr feindlichen Stimmung vonseiten der Unternehmensführung aufgebaut werden.
Auch in diesem Arbeitskampf kommt internationaler gewerkschaftlicher Solidarität eine zentrale Rolle zu, wie die Journalisten Jörn Boewe und Johannes Schulten in einer lesenswerten Studie schreiben. Denn Amazon versucht, die Beschäftigten der verschiedenen Länder gegeneinander auszuspielen. Amazon hat „systematisch damit begonnen, Aufträge aus bestreikten Versandzentren ins Ausland, vor allem nach Polen, Tschechien und Frankreich, zu verlagern. Hier wird deutlich, wie dringend nötig es ist, die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften zu verstärken – und zwar nicht nur auf der Ebene der Vorstände, sondern auch und vor allem bei der direkten Vernetzung der betrieblichen Aktiven“, schreiben sie.
Dabei muss die Gewerkschaft ver.di diplomatisch vorgehen. So konkurrieren in Polen zwei Gewerkschaften miteinander. Eine davon unterstützte einen spontanen Solidaritätsstreik mit den deutschen KollegInnen, während die andere auf Sozialpartnerschaft setzt. Hier schlagen Boewe und Schulten eine Vermittlung vonseiten der Gewerkschaft ver.di vor. Wichtig sei es, „keine Partei zu ergreifen, sondern Hilfe anzubieten, das Verhältnis der beiden Organisationen zu entkrampfen, um negative Auswirkungen der unterschiedlichen politisch-strategischen und organisationspolitischen Konzepte auf die Auseinandersetzung mit dem Unternehmen möglichst zu begrenzen“.

Austausch und Koordinierung
Tatsächlich haben sich bei Amazon vielfältige internationale Beziehungen gebildet. Es gibt sowohl selbst organisierte Austauschtreffen von AktivistInnen an der Basis als auch durch UNI Global Union initiierte Koordinationstreffen auf der gewerkschaftlichen Führungsebene. Das ist kein Widerspruch, finden Boewe und Schulten: „Direkte horizontale Kontakte zwischen gewerkschaftlich Aktiven an verschiedenen Amazon-Standorten, sowohl national als auch grenzübergreifend, sind ein hohes Gut und in der Auseinandersetzung mit einem transnationalen Konzern unabdingbar. Sie sind keine Konkurrenzaktivität zur Kooperation auf Ebene des Dachverbandes UNI und der nationalen Ebene.“
Letztendlich gibt es für die Gewerkschaftsbewegung keine Alternative zum Aufbau lebendiger Solidarität innerhalb global operierender Konzerne. Geschieht dies nicht, droht ein globales Wettrennen um die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Diese Erkenntnis scheint sich langsam herumzusprechen
.

Linktipps
Jörn Boewe, Johannes Schulten: Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten – Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel, Hg.: Rosa Luxemburg Stiftung, 2015:
tinyurl.com/jxjm4q9
Aussagen von Mitarbeitern der Deutschen Telekom: Ein Bericht über Geschäftsbereiche außerhalb Deutschlands, Hg.: UNI Global Union, 2013:
tinyurl.com/zkpa8vj
Website des Dachverbandes UNI Global Union:
www.uniglobalunion.org/de

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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