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Nirmal Singh und Sukhdeep Singh, zwei indische Händler am Brunnenmarkt Der 72-jährige Nirmal Singh und sein fünf Jahre jüngerer Freund Sukhdeep Singh (rechts) können 2017 in Pension gehen. Nirmal kann nur mit einer Mindestpension rechnen. Sukhdeep hat 32 Jahre lang in Österreich gearbeitet hat und wird mehr erhalten.
Zeitungskolporteur am Brunnenmarkt Zeitungskolporteure sind in der Regel selbstständig und verdienen sehr wenig. Viele schicken ihren Familien in der Heimat regelmäßig Geldbeträge, die hier wenig und in Ländern wie etwa Indien viel wert sind.

Reportage: "Pension? Das ist schwierig"

Schwerpunkt

Vom Arbeiterstrich auf der Triester Straße über schlecht bezahlte Zeitungskolporteure zu indischen Händlern am Brunnenmarkt. Ein Roadtrip auf den prekären Pfaden von MigrantInnen.

Freitag, 9.30 Uhr. Das Angebot ist noch ganz gut an diesem Morgen im April. Rund 20 Männer in Arbeitskleidung warten in der Sonne vor einer Blumenhandlung in der Wiener Triester Straße auf Kundschaft. Manche sitzen auf dem türkisfarbenen Fenstersims des Geschäfts, manche trinken Dosenbier. Alle fünf bis zehn Minuten fährt ein Auto, Kleinbus oder Lkw vor und nimmt einen Teil der Männer mit. Eine gute Stunde später hat sich die Bühne gelichtet. „Zu haben“ sind noch eine Handvoll Männer im Alter zwischen 50 und Ende 60 und ein 37-jähriger Algerier. Er ist vor einem halben Jahr nach Österreich geflohen und hat hier um Asyl angesucht. Als Asylwerber dürfte er eigentlich nicht arbeiten, deshalb will er seinen Namen lieber nicht nennen. Die deutsche Sprache bereitet ihm sichtlich Schwierigkeiten, aber er bemüht sich. „Männer, die 18 Jahre alt sind, bekommen hier schnell einen Job“, sagt er sinngemäß. Er selbst muss oft länger warten bis er einsteigen darf.

Schwere körperliche Arbeit
Auch zwei Rumänen kommen täglich hierher. Sie erzählen, dass sowohl Flüchtlinge ohne Arbeitsbewilligung als auch Ältere bei den Kunden nicht so gefragt sind. Die Männer arbeiten am Bau und leisten dort entsprechend schwere körperliche Arbeit. Dafür ist es nicht unbedingt von Bedeutung, dass sie ausführliche Konversationen auf Deutsch führen können, was deutlich spürbar ist. Wichtiger ist die körperliche Verfassung. Gar nicht Deutsch sprechen zu können, das ist allerdings ein Nachteil: Die Auftraggeber bevorzugen jene, die Arbeitsaufträge richtig verstehen und entsprechend umsetzen können.
Ein älterer Mann etwa lächelt nur, er spricht keine Sprache außer Rumänisch. „Die Alten verdienen fünf oder sieben Euro in der Stunde“, sagt ein kleiner, stämmiger Rumäne, „und auch die Illegalen.“ Er selbst vereinbart oft Pauschalen: „Ich arbeite manchmal drei Tage für insgesamt 1.000 Euro.“ Wer Männer ohne Arbeitserlaubnis engagiert, macht sich strafbar. Dieses Risiko gehen manche Auftraggeber ein – freilich nur unter der Voraussetzung, dass es billig ist.
Die Rumänen haben einen klaren Startvorteil: „Wir haben Papiere.“ Will heißen: Als EU-Bürger dürfen sie hier arbeiten. Sie werden angestellt, jedenfalls wenn es sich um längerfristige Aufträge handelt. Für kurze oder private Einsätze macht man sich dem Vernehmen nach nicht immer die Mühe, einen Vertrag aufzusetzen und die Arbeiter anzumelden.
Immer wieder preisen die Männer ihre eigene Arbeitskraft an: „Brauchst du was? Spachteln, Fliesen legen, schweißen, Garten?“ Wichtig ist für sie, dass sie an diesem Tag noch irgendwie Geld verdienen können. Aber was, wenn sie krank werden? Und vor allem: Wie steht es um die spätere Pension? Ein Rumäne Ende 30 schaut fragend. Als er nach einer Weile doch versteht, worum es geht, deutet er auf seinen Rücken und erklärt: „Ich passe auf.“ Und wenn er sich nicht gut fühlt? „Dann trinke ich Schnaps. Am nächsten Tag geht es wieder, kein Problem.“
Die Pension ist für ihn gedanklich in weiter Ferne, für ihn zählt, dass er alle zwei bis drei Monate zu Frau und Kindern in die Heimat fahren kann. Er freut sich, dass das hier verdiente Geld dort mehr wert ist. Sein Kollege im selben Alter erzählt: „Ich habe drei Kinder. Jedes bekommt ein Haus. Eines habe ich schon gebaut.“ Stehen auch Haus zwei und drei, will er nicht mehr hier arbeiten. Ob er auch an den Lebensunterhalt im Alter gedacht hat, ist nicht zu erfahren.
Viele MigrantInnen, die als GastarbeiterInnen oder Kriegsflüchtlinge eingewandert sind, erreichen jetzt das Pensionsalter. Dabei stellt sich oft heraus, dass sie aufgrund schlecht bezahlter Arbeit wenig Pension bekommen. Deshalb arbeiten sie oft weiter: Im Jahr 2012 gingen 50 Prozent der Männer ohne Migrationshintergrund vor dem 65. Geburtstag in Pension, aber nur gut 20 Prozent der männlichen Migranten der ersten Generation. Das geht aus der vom Sozialministerium und der Kepler Universität durchgeführten Studie SHARE hervor. Hinzu kommt, dass MigrantInnen laut Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen unter schlechteren sozialen Verhältnissen leben und öfter gesundheitliche Probleme wie Bluthochdruck, hohes Cholesterin, Diabetes, Lungenkrankheiten und Krebs sowie psychische Beschwerden, vor allem Depressionen, haben. So auch Mirsad Koricic (Name von der Redaktion geändert): Der 59-Jährige erlitt im Jahr 2012 einen kompletten Zusammenbruch, verbunden mit Existenzängsten, Panikattacken, Verfolgungswahn und sogar einem Selbstmordversuch.
„In Jugoslawien, vor dem Krieg, war ich sehr glücklich. Ich habe studiert und dann acht Stunden täglich gearbeitet“, erzählt der 59-jährige Mirsad Koricic. „Für mich gab es nur Pyjama und Arbeitsanzug. Ich habe immer für zwei gearbeitet“, sagt er rückblickend über sein altes Leben.
Das Motto auf den Baustellen, wo Koricic als Monteur arbeitete, war stets: „Gemma, gemma!“ Um seiner damaligen Frau und dem Sohn ein gutes Leben zu ermöglichen, arbeitete er oft zehn bis 14 Stunden täglich am Bau – „immer bei einer Leihfirma“. Er war immer befristet angestellt und ein Teil wurde schwarz bezahlt. Damals war ihm das recht: „Ich habe mit Überstunden und Arbeit am Wochenende 2.500 oder sogar 4.000 Euro verdient. Früher war das gut, aber jetzt, für die Pension, ist es schlecht.“
Heute ist Geld nicht mehr das Wichtigste für ihn: „Jeder Mensch braucht Geld, aber auch ein Leben.“

Fehlende Zulage
Wie gut MigrantInnen für das Alter abgesichert sind, lasse sich nur schwer verallgemeinern, meint Johannes Peyrl von der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien.
Prinzipiell gelte: Wer unter der Geringfügigkeitsgrenze verdient, muss nicht in die Pensionsversicherung einzahlen, kann dies aber freiwillig tun „Die Pensionsversicherung gilt auch für den unrechtmäßig Aufhältigen“, betont Peyrl – und das seien Kolporteure oft. Allerdings bekommen sie in der Pension keine Ausgleichszulage, wie die soziale Leistung in Österreich heißt, die den Menschen quasi eine „Mindestpension“ sichert.
Auf die Zulage verzichten müssen auch Personen, die sich in einem Kalenderjahr länger als acht Wochen im Ausland aufhalten. Zwar kann sie danach wieder beantragt werden, aber mit dieser Regelung fallen jene, die in der Pension ins Heimatland zurückkehren, um die Ausgleichszulage um. Und allgemein gilt: Wer weniger als 15 Versicherungsjahre hat, hat gar keinen Anspruch auf eine Pension.
Mit weiteren Herausforderungen haben MigrantInnen zu kämpfen, wenn sie nicht nur in einem Land gearbeitet haben: „Wer seine Pensionsanspruchszeiten in verschiedenen Ländern erworben hat, muss oft Jahre warten, bis das Feststellungsverfahren in seinem Herkunftsland ermittelt wird. Bis dahin leben die Betroffenen am Existenzminimum“, berichtet etwa „Der Standard“. Dabei gibt es Unterschiede je nach Herkunftsland.

Umfallen um die Pension
Zurück nach Favoriten. Nicht weit von  der Triester Straße liegt der Viktor-Adler-Markt: Ein kurzer Spaziergang über die Gudrunstraße, einmal rechts abbiegen und kurz danach ist man dort. Täglich außer sonntags sind in einer Seitengasse des Marktes Obst- und Gemüsestände aufgebaut – mit allem, was die Natur und spanische Glashäuser zu bieten haben. Es ist halb eins. Bevor um 13 Uhr zusammengepackt und auf den Gehsteigen wieder Platz für parkende Autos gemacht wird, geht es oft besonders laut und eng zu. So mancher Standbetreiber reduziert die ohnehin niedrigen Preise noch einmal ordentlich. Wer hier einkauft, kommt zwangsläufig am Kolporteur im gelben Mantel mit Zeitungslogo am Rücken vorbei. Vor ihm steht ein Klapptischchen, auf dem aktuelle Zeitungen und Magazine liegen.
Wie ein Wächter steht der 50-jährige Inder am Markteingang und blickt gelassen auf das rege Geschehen. In bruchstückhaftem Deutsch erzählt er, er verdiene 400 bis 500 Euro. „Ja, pro Monat“, bestätigt er auf Nachfrage. 150 Euro bezahlt er für die Wohnung, die er sich mit anderen teilt. Hat er Familie? „Ja, in Delhi. Eine Frau und drei Kinder.“ Der jüngste Spross ist 15 Jahre alt. In Österreich ist er seit 16 Jahren und schickt regelmäßig Geld nach Hause. Kann er in Krankenstand gehen? „Ja“, sagt er. Angesprochen auf die Pension gibt er nur unklare und widersprüchliche Antworten. Eine davon lautet: „Pension? Das ist schwierig.“ Klar ist: An eine Rückkehr nach Indien denkt er nicht.

Gott und die Welt
An einer anderen Ecke des Marktes hat die Caritas einen Stand, der fast so gemütlich eingerichtet ist wie ein Wohnzimmer. Im Gespräch über das Thema Migration und Pension fällt einem Mitarbeiter ein älterer Inder ein, der sicher gerne darüber sprechen würde. Er sei meist am Brunnenmarkt anzutreffen. „Super! Aber wie erkennen wir ihn? Gibt es ein Foto?“ Glück gehabt: Der Inder hat schon einmal bei einem Projekt der Caritas mitgemacht, sein Foto ziert einen Beitrag in einer Caritas-Broschüre. Schnell also mit dem Handy abfotografiert. Sein weißer Bart, die buschigen weißen Augenbrauen, das freundliche Lächeln und der blaue Turban sollten es eigentlich nicht allzu schwer machen, ihn zu finden. Sollte man meinen ...

Weiter vorne
Eine gute halbe Stunde zwischen den Gemüse-, Fleisch-, Käse- und Kleidungsständen des Brunnenmarktes: Trotz des Schönwetters tummeln sich an diesem Freitagnachmittag hier erstaunlich wenige Menschen. Der Inder ist trotzdem nicht zu entdecken. Als ein Verkäufer das Foto sieht, nickt er. „Sie finden den Mann weiter vorne“, sagt er. Auch ein anderer Standverkäufer weiß sofort weiter: „Ich habe ihn vorhin dort gesehen, schauen Sie mal zum Lokal an der Ecke.“ Und tatsächlich: In einem Schanigarten zwischen den Marktständen sitzt der Mann gemeinsam mit einem Freund. „Bitte setzen Sie sich“, sagt er freundlich.
Nirmal Singh ist 72 Jahre alt und hat hier viele Jahre selbstständig einen Marktstand betrieben. „Ich lebe seit 2001 in Österreich und war zwischen 1984 und 1989 auch schon hier“, erzählt er auf Englisch, obwohl er Deutsch gut zu verstehen scheint. Auch seine Frau hat zwölf Jahre hier gelebt: „Sie war krank. Sie ging nach Indien zurück und ist dort gestorben.“ Als Singh 70 Jahre alt wurde, wurde ihm seine Arbeit zu beschwerlich: „Im Winter bin ich physisch nicht so fit.“ Er suchte um eine Pension an. Die schlechte Nachricht: Seine Pensionszeiten reichen nicht aus, er hatte noch keine 180 Monate beisammen.
Zum Glück halfen die Behörden und Singh bekommt jetzt Mindestsicherung, bis er ab 2017 eine Pension beziehen kann. „Ich weiß nicht, wie viel es sein wird“, sagt er. Sein Freund geht davon aus, dass es die Mindestpension sein wird. Bis dahin muss Nirmal Singh von der Mindestsicherung jeden Monat die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Obwohl da nicht viel zum Leben bleibt, ist er dankbar für die staatliche Unterstützung. Immer wieder betont er: „Die Leute am Sozialamt waren so freundlich und hilfsbereit. Das sind gute Menschen.“

Weiterarbeiten
Auch Sukhdeep Singh, Nirmal Singhs fünf Jahre jüngerer Freund, kann kommendes Jahr in Pension gehen. „Solange ich gesund bin, möchte ich meinen Stand behalten und geringfügig weiterarbeiten“, sagt Singh in sehr gutem Deutsch. Er verkauft Textilien am Brunnenmarkt. Da er schon seit 32 Jahren hier lebt und genug in die Pensionskasse eingezahlt hat, wird er sich nicht mit der Mindestpension zufriedengeben müssen. Niemals sei er zum AMS gegangen, nie habe er Sozial- oder Wohnbeihilfe bezogen: „Wenn man hart arbeitet, hat man ein ganz anderes inneres Gefühl.“ Für ihn und seine Familie ist Österreich zur neuen Heimat geworden. Auch seine Frau ist Unternehmerin und hat ein Geschäft in der Wiedner Hauptstraße – noch bis Oktober, dann wird sie ihre Pension antreten.

Für die Familie
Sukhdeep Singh ist stolz auf das, was er hier erreicht hat, obwohl er keine gute Ausbildung hat: „Ich habe das ganze Leben für meine Familie gearbeitet, in der Kälte und in der Hitze. Aber ich habe mich selbst so entschieden.“ Seine drei Kinder haben gute Jobs, eines arbeitet sogar bei der Weltbank in Washington, worauf er ganz besonders stolz ist.
Es ist Freitag, 16 Uhr. Die beiden trinken weiter Tee und vertiefen sich wieder in ihre Gespräche. Der Frühling zeigt sich von seiner besten Seite, sodass sie die Sonne genießen können. Zurück bleibt ein Gefühl der Ratlosigkeit. Auch wenn die Betroffenen die prekären Verhältnisse vorziehen, weil sie immer noch besser sind als in ihren Herkunftsländern: Wie könnte für schwer arbeitende MigrantInnen eine Altersvorsorge aussehen, die ihnen ein Altern in Würde ermöglicht? Wie könnte das ganze Pensionssystem besser mit prekären Verhältnissen wie diesen umgehen?

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