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Symbolbild zum Bericht: Privates Anpacken sucht öffentliche Hand Die Zivilgesellschaft packte tatkräftig an, um jene Lücke zu schließen, die der Staat bei der Versorgung von Flüchtlingen hinterließ. Vom Staat fühlen sie sich meist im Stich gelassen.

Privates Anpacken sucht öffentliche Hand

Schwerpunkt

Tausende Freiwillige sind nach wie vor für Flüchtlinge im Einsatz.

Österreichs Hilfsorganisationen warten noch auf das ihnen zustehende Geld aus dem Jänner und Februar. Doch statt der Gutschrift am Konto fanden Rotes Kreuz, Johanniter NÖ-Wien, Volkshilfe Wien oder Train of Hope eine unerfreuliche Nachricht in ihren Postfächern vor. „Förderungen Transitflüchtlinge; Berücksichtigung des Spendenaufkommens“ lautete der Betreff des 21-seitigen Schreibens, das vom Innenministerium an zwölf NGOs ausgesandt wurde. Kurzgefasster Inhalt: Der Bund will jeweils erhaltene Spenden für die Flüchtlingsbetreuung von den zu ersetzenden Kosten abziehen.

Für den Staat einspringen
Erich Fenninger, Chef der Volkshilfe Österreich, reagierte empört: „Wir waren da, als die Regierung uns dringend gebraucht hat, und haben Leistungen erbracht, die der Bund bei uns bestellt hat. Die Regierung verabschiedet sich von ihren hoheitlichen Aufgaben.“ Fenninger machte auch deutlich: „Das ist eine Form von Privatisierung der Republik. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung – dagegen wehren wir uns.“ Noch einige Tage zuvor hatte der Direktor der Diakonie Österreich, Michael Chalupka, erklärt: „Die Zivilgesellschaft hat viel geleistet. Es war aber von Anfang an eine Ersatzleistung für fehlende Strukturen oder Missmanagement in den öffentlichen Strukturen. Die Zivilgesellschaft hat etwas ersetzt, was eigentlich die Aufgabe der öffentlichen Hand wäre. Das geht eine Zeit lang, aber nicht über mehrere Monate oder Jahre.“

Monatelang geht es bereits für Sabrina Schandel. Im Frühsommer 2015 startete die Dürnkruterin gemeinsam mit ihrer Freundin Nina Klaus die Initiative „Weinviertel hilft“. „Die Situation der Flüchtlinge war so unerträglich, dass wir beschlossen haben, etwas dagegen zu tun“, erklärt Schandel. Die Mutter einer kleinen Tochter ist noch bis kommendes Jahr in Karenz, beschäftigt ist sie in der IT-Abteilung der Gewerkschaft PRO-GE. Mit einer Facebook-Seite riefen die beiden zu Spenden auf, fuhren mit einem VW-Bus durch die Region, holten Güter auf zentralen Plätzen – von Gänserndorf bis Korneuburg – ab. Die Waren für Flüchtlinge – erst in Traiskirchen, dann auch für Nickelsdorf und AsylwerberInnen in Privatunterkünften – wurden in einer Garage verstaut und oft von 20 Uhr bis Mitternacht geordnet. Hunderte Pakete mit Unterhosen, Socken, Duschgel oder Rasierzeug wurden geschnürt. Wenn die Garagentüre der Hitze wegen im Sommer offenstand, kam es auch zu Anfeindungen, und AnrainerInnen riefen die Polizei, weil HelferInnen-Autos nicht vorschriftsmäßig geparkt waren. Schandel weiß: „Traiskirchen ist eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“
Was als Projekt in kleinem Rahmen begann, erreichte beachtliche Ausmaße – die Freundinnen und Mütter waren gut drei Tage pro Woche beschäftigt. Eine kleine syrische Familie – Vater Moneeb, Mutter Fatima und ihre kleine Tochter Shahd – lernte Schandel in Traiskirchen kennen. „Moneeb hat mich angesprochen, weil er ein Paar Schuhe für sich suchte.“ Als er sie anprobierte, drückte er Schandel das Mädchen in die Arme. „Die Kleine schaut mich mit ihren großen Augen an, da war es um mich geschehen.“ Bei einem Gespräch zeigte sich, wie verzweifelt die Familie im Lager war. „Wir haben versprochen, dass wir uns um eine Unterkunft kümmern.“ Ein paar Tage wohnten Moneeb, Fatima und Shahd bei Schandel und ihrem Freund, dann wurde ein Haus im Nachbarort als Unterkunft gefunden.

Zwei Baustellen
Mit dem neuen Jahr hat sich auch bei „Weinviertel hilft“ einiges verändert, die Freundinnen arbeiten nun auf zwei Baustellen: Während Nina Klaus weiter für Traiskirchen aktiv ist, hilft Sabrina Schandel regional. „Ich betreue die Flüchtlinge privat und Nina an den Grenzen oder in Traiskirchen.“ Schandel kümmert sich derzeit um 20 Flüchtlinge – die meisten haben ihr Interview vor der Behörde bereits hinter sich. „Da kann man sich schon vorbereiten und ein Gefühl kriegen, in welche Richtung das Ganze geht.“
Fragen, etwa wie viel Geld sie haben oder wo die Eltern wohnen, gehören dazu. Doch die verständliche Nervosität der Flüchtlinge erschwert die Situation. Schandel kennt Fälle, wo der Bescheid sehr schnell ausgestellt wurde, andere mussten vier Monate warten. Derzeit engagiert sich die Helferin für syrische Familien. Unter Betreuung versteht sie: Vorbereitung auf das Interview, Fahrten zur Bezirkshauptmannschaft, zum Deutschkurs, zum Arzt oder ins Krankenhaus – auch mitten in der Nacht. Ebenfalls dazu gehören Übersetzungen von Schriftstücken oder gemeinsames Einkaufen, denn es gibt nur selten Geschäfte in Gehweite. „Das ist durchaus ein Fulltime-Job“, weiß Schandel. Sie arbeitet freilich nicht allein. „Ich habe ein Team von zehn HelferInnen und wir sprechen uns ab. Ein eingespieltes Team ist wichtig, damit nicht dauernd jemand vor der Tür steht, den die Leute nicht kennen“, erklärt Schandel. Auf diese Weise konnte Vertrauen aufgebaut werden, das Verhältnis zwischen HelferInnen und Flüchtlingen ist eng: „Wir sind Freunde und wir machen das, weil sich Freunde auch helfen.“

Vom Staat kaum unterstützt
Bis jetzt haben alle Flüchtlinge Asyl erhalten, eine der Familien, die von einem Bekannten betreut wird, erhielt Asyl auf Zeit. „Sie hatten erst vor Kurzem ihr Interview, und es hängt sehr stark von der Person ab, die das Asylverfahren bearbeitet.“ Schandel und dem ganzen Team war es wichtig, den Flüchtlingen auch kleine kulturelle Feinheiten näherzubringen: etwa vor einer Kasse in der Schlange zu stehen und sich nicht vorzudrängen oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Österreich. „Wenn der Bus um 7.39 Uhr fährt, dann kommt er auch um diese Zeit – er wartet nicht auf dich, habe ich erklärt. Besonders in den ersten drei Monaten ist es noch schwierig.“
Moneeb, Fatima und Shahd sind seit nunmehr sieben Monaten in Österreich. Das entscheidende Interview, ob die Familie Asyl erhält, findet bald statt. Die Eltern machen gerade ihren A2-Deutschkurs. „Ihre Entwicklung ist unglaublich, sie sprechen inzwischen sehr gut Deutsch und verstehen sogar Mundart.“
Schandel war die erste im Ort, die Flüchtlinge aufgenommen hat – jeder Schritt wurde genau beobachtet, Fehler durfte sie sich keine erlauben. „Die Blicke sind immer auf dich gerichtet, und das stresst“, erinnert sich die Helferin. Neugier hat der Gewohnheit Platz gemacht: Es wird gegrüßt und manche NachbarInnen kommen auf einen Kaffee vorbei. In anderen Ortschaften in der Nachbarschaft sieht es anders aus, in Mistelbach fanden Demonstrationen statt, vor eine Asylunterkunft wurden Böller geworfen. Von staatlichen Stellen fühlt sich Schandel eher allein gelassen. „Wenn Flüchtlinge privat unterkommen, interessieren sie sich nicht die Bohne für dich.“

Staatliche Unterstützung gibt es für AsylwerberInnen, die eigenständig leben. Sie haben 200 Euro pro Monat für Verpflegung (Kinder: 90 Euro) und 120 Euro für die Miete (gesamte Familie: 240 Euro) zur Verfügung. Besser funktioniert die Zusammenarbeit mit der Diakonie. Eine Sozialarbeiterin besucht die Flüchtlinge regelmäßig. Sabrina Schandel: „Ohne sie wäre einiges nicht gegangen.“
In Facebook hat Schandel die Gruppe „Kostenlose Möbel für Asylwerber“ gegründet. Aus den anfangs 50 Mitgliedern sind bereits 2.000 geworden. „Menschen können Möbel, die sie nicht mehr brauchen, Flüchtlingen anbieten – sie werden dann von den Flüchtlingen oder BetreuerInnen österreichweit abgeholt.“ Das Angebot funktioniert auch deshalb so gut, weil kein Lager benötigt wird. 2017 endet ihre Karenz. Schandel hat vor, wieder in ihren Job einzusteigen. Sie ist überzeugt, dass dann alle von ihr betreuten Menschen so selbstständig sind, dass sie allein zurechtkommen.

Kurzsichtigkeit
Wie viel die Republik vom Engagement Tausender HelferInnen profitierte und auch weiter profitiert, wurde zwar immer wieder erwähnt. Allerdings scheint weiterhin die Kurzsichtigkeit zu regieren: Politische Entscheidungen orientieren sich immer mehr an jenem Teil der Bevölkerung, die Fremden den Einstieg in unsere Gesellschaft möglichst erschweren wollen. Währenddessen ist es weiterhin die Zivilgesellschaft, die sich geradezu unermüdlich dafür engagiert, was von der Politik wortreich gefordert wird: die Integration der neuen BewohnerInnen zu fördern.

Linktipps:
Kostenlose Möbel für AsylwerberInnen:
tinyurl.com/zcmdoem
Weinviertel hilft:
Auf
www.facebook.com in der Suche „Weinviertel hilft“ eingeben.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sophia.fielhauer@chello.at und resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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