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Symbolbild zum Bericht: Andere langweilen sich zu Tode Der afghanische Asylwerber Zainullah Ataee arbeitet für die Gebietsbetreuung in einem Wiener Bezirk. Unter anderem unterstützt er einen Praktikanten bei der Erhebung leer stehender Gebäude, indem er diese fotografiert.

Andere langweilen sich zu Tode

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In Wien können Flüchtlinge für ein Taschengeld für die Gemeinde Wien arbeiten, wie dies der 20-jährige Afghane Ataee tut. Eine Reportage.

Ich arbeite sehr gerne hier und freue mich, dass ich diese Chance bekommen habe“, sagt der 20-jährige Zainullah Ataee langsam, aber deutlich auf Deutsch. Ataee ist erst im November 2015 nach einem Monat Flucht in Österreich angekommen. Der Afghane versteht bereits einfache Sätze und verblüfft seine KollegInnen immer wieder mit seinen Deutschkenntnissen. Er leistet in der Gebietsbetreuung Brigittenau, die zur Gemeinde Wien gehört, rund zwölf Stunden pro Woche Hilfstätigkeiten.
Durch eine Fehde zwischen verfeindeten Gruppen seines Dorfes war das Leben für den jungen Mann in seiner Heimat nicht mehr sicher. Auf Drängen seines Großvaters hin machte er sich auf die gefährliche Reise, die er zum Glück gut überstanden hat. Ataee hat um Asyl angesucht und unterstützt die Gebietsbetreuung seit Jänner. Unter anderem hilft er, Plakate für eine Ausstellung aufzuhängen, macht Botendienste zwischen den beiden Lokalen der Gebietsbetreuung und unterstützt einen Praktikanten bei der Erhebung leer stehender Gebäude, indem er diese fotografiert.

Hilfsdienste erledigen
Im Grundversorgungsgesetz, Paragraph 7, ist festgelegt, dass AsylwerberInnen zum einen ehrenamtlich in ihrer Grundversorgungseinrichtung – etwa beim Putzen oder Kochen – helfen dürfen. Zum anderen dürfen sie „für gemeinnützige Hilfstätigkeiten für Bund, Land, Gemeinde“ herangezogen werden, was in Wien seit November passiert. Als Beispiele werden Landschaftspflege und -gestaltung, die Betreuung von Park- und Sportanlagen und die Unterstützung in der Administration genannt. Sowohl die Hilfe in der Betreuungseinrichtung als auch im öffentlichen Bereich beruht auf Freiwilligkeit – für Zweitere bekommen die Betroffenen einen „Anerkennungsbeitrag“, also eine Aufwandsentschädigung. Dafür arbeiten sie wie Ataee meist einige Stunden pro Woche.

Drei bis fünf Euro die Stunde
In Wien erhalten die AsylwerberInnen für diese Tätigkeiten maximal 110 Euro pro Monat – so viel können sie in der Bundeshauptstadt maximal dazuverdienen, ohne aus der Grundversorgung herauszufallen. Die Direktive seitens des Fonds Soziales Wien (FSW), der sich in der Hauptstadt um die Koordination kümmert, lautet: Sie sollten zwischen drei und fünf Euro pro Stunde bekommen.
Ataee arbeitet rund zwölf Wochenstunden in der Gebietsbetreuung, umgerechnet liegt sein Stundensatz also bei rund 2,30 Euro – und damit unter der vom Fonds Soziales Wien genannten Grenze. Angesprochen auf diese Diskrepanz, betont man im FSW, die drei bis fünf Euro seien „eine unverbindliche Empfehlung“.
Nun ist das Geld, das AsylwerberInnen bezahlt wird, eine Sonderform: Es ist ein Anerkennungsbeitrag und somit kein Entgelt im rechtlichen Sinn. Damit unterliegt es auch nicht der Einkommensteuerpflicht. Dennoch ist es eine Gratwanderung, wenn öffentliche Einrichtungen Menschen, die für sie arbeiten, derart wenig bezahlen. Auch sind die AsylwerberInnen durch ihre prekäre Situation ohnehin in einer schwierigen Situation, die von manchen Privaten auch ausgenutzt wird. Dies hält Renate Christ, Koordinatorin des Projekts beim FSW, in der Stadt Wien für unwahrscheinlich. Sie betont: Sie instruiere alle DienststellenleiterInnen, welche die Fürsorgepflicht für die AsylwerberInnen haben, im Vorfeld genau.
Im Fonds Soziales Wien ergänzt man: Wenn sich AsylwerberInnen dennoch ausgenutzt oder ungerecht behandelt fühlen, können sie sich an ihre Dienststellenleitung oder an Renate Christ wenden. Auch Arbeitsplätze seien nicht in Gefahr, betont Christ: „Wir sparen keine Dienstposten ein, sondern geben den Asylwerberinnen und Asylwerbern ähnlich wie FerialpraktikantInnen für einige Wochen oder Monate die Chance, in eine Tätigkeit hineinzuschnuppern.“

Ressourcenbindung
Zainullah Ataee ist seinen KollegInnen eine Hilfe, aber er ist auch langsamer. Seine KollegInnen schildern dies anhand eines Beispiels: Ataee wurde zum Baumarkt geschickt, um Leisten zu besorgen. Er kam mit dem richtigen Material zurück, doch es hat länger gedauert, als wenn es ein/e MitarbeiterIn gemacht hätte. Wenig überraschend, denn nicht zuletzt die Sprache ist für den jungen Mann eine Herausforderung. Auch Renate Christ spricht dieses Spannungsfeld an: „AsylwerberInnen sind im Idealfall eine Hilfe, aber sie binden auch Ressourcen.“ Bei Ataee ist das besonders der Fall, denn ihm werden auch Dinge beigebracht, die er gut brauchen kann, um vielleicht eines Tages in seinem Wunschberuf arbeiten zu können. Er hat in Kabul ein Jahr Bauingenieurswesen studiert, bevor er in sein Dorf zurückkehrte und schließlich von dort floh. Wenn alles gut geht und er bleiben darf, will er weiter studieren. Der Architekt Peter Mlczoch, der als Auftragnehmer für die Gebietsbetreuung Brigittenau arbeitet, führt ihn in ein CAD-Programm ein, mit dem ArchitektInnen und IngenieurInnen Pläne zeichnen.

Bestmögliche Vorbereitung
Ataee hat das Glück, dass die Architektin Saloumeh Tosun, eine weitere Kollegin, seine Sprache spricht, weil sie als Kind aus dem Iran nach Österreich kam. Seine Arbeitszeiten richten sich nach ihren, damit sie übersetzen kann, doch in letzter Zeit bittet er sie immer wieder, Deutsch mit ihm zu sprechen.
Wie Ataee besuchen manche AsylwerberInnen schon Deutschkurse, am schnellsten verinnerlichen sie die Sprache aber, wenn sie sie im Alltag anwenden und idealerweise sogar Fachvokabular lernen, das für ihre späteren Tätigkeiten wichtig wird. Renate Christ betont: „Ich möchte dazu beitragen, dass die AsylwerberInnen bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind, und sie unterstützen, besser Deutsch zu lernen sowie einen Einblick in die Arbeitswelt und -kultur zu bekommen. Dadurch tun sie sich später leichter, wenn sie Asylrecht bekommen und sich beim AMS melden.“
Solange sich am restriktiven Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen – den auch FSW-Chef Peter Hacker immer wieder kritisiert – nichts ändert, spricht zweifellos viel dafür, dass sie einer Beschäftigung nachgehen können, während sie auf das Ergebnis ihres Asylverfahrens warten. Das Modell Gemeindearbeit, das nicht nur in Wien zum Einsatz kommt, ist eine Möglichkeit. Gernot Mitter, stellvertretender Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien und Mitglied des AMS-Landesdirektoriums Wien, hält das Modell für sinnvoll, aber nur als Ergänzung: „Die Zeit des Asylverfahrens sollte vor allem für eines genutzt werden: zum Lernen.“
AsylwerberInnen müssten professionelle Deutschkurse zur Verfügung gestellt werden, fordert Mitter. Junge Menschen ab 15 Jahren wiederum sollten eine Ausbildung beginnen oder fertig machen dürfen, wobei mitgebrachte Qualifikationen anerkannt bzw. auf österreichisches Niveau gebracht werden müssten. Jedenfalls sollte das Mitter zufolge für jene Flüchtlinge gelten, die eine gute Chance auf Bleiberecht haben. Die zentrale Kritik: „Man tut all das erst, wenn die Menschen asylberechtigt sind. Die Dauer des Asylverfahrens lässt man ungenutzt verstreichen.“

Das Angebot des Fonds Soziales Wien wird gut angenommen. Bisher wurden 50 AsylwerberInnen in Wien vermittelt – geplant sind langfristig bis zu 500. „Die Nachfrage seitens der AsylwerberInnen übersteigt das Angebot deutlich“, berichtet Renate Christ. Sie ruft die Magistratsabteilungen durch und fragt, ob sie jemanden aufnehmen würden, für wie lange und welche Tätigkeit.
Wenn ja, nimmt sie Kontakt zu nahe gelegenen Grundversorgungseinrichtungen auf, damit die dortigen LeiterInnen erheben können, wer das gerne machen würde.
Wenn möglich, versucht Christ, mitgebrachte Fähigkeiten zu berücksichtigen. Prinzipiell kämen nur Aufgaben in Frage, die nicht essenziell seien. Als Beispiel nennt sie die Reinigung öffentlicher Orte: „Wien ist eine wunderbar saubere Stadt, unsere Straßenreinigung funktioniert. Genau genommen bräuchten wir niemanden zusätzlich, der Papiere aufklaubt. So wird eben noch ein bisschen mehr gereinigt.“ In Betracht kämen also auch „Nice to have“-Tätigkeiten, die man sonst nicht gemacht hätte, weil keine Ressourcen dafür zur Verfügung standen.

Sinnvolle Alternative zum Nichtstun
Spricht man mit Zainullah Ataee, gewinnt man den Eindruck, dass das Angebot für ihn sinnvoll ist. Er besucht Deutschkurse, hilft in der Gebietsbetreuung aus und trainiert nebenbei bei seinem Bruder, der seit zehn Jahren in Wien lebt, Kung Fu. Mit seinem ausgefüllten Alltag ist er aber eine Ausnahme: „Die anderen sechs Asylwerber in meiner WG sitzen den ganzen Tag herum und langweilen sich zu Tode.“

Linktipp:
Fonds Soziales Wien:
www.fsw.at/fluechtlinge

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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