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Symbolbild zum Beitrag: Willkommens- oder Abwehrkultur? Integrare: Lateinisch für erneuern, auch geistig auffrischen. Tatsächlich wehte 2015 ein frischer Wind der Solidarität durch das Land. Inzwischen wurde von oben das Ende der Willkommenskultur beschlossen.
Buchtipp

Willkommens- oder Abwehrkultur?

Schwerpunkt

Zehntausende Menschen haben Flüchtenden geholfen, für sie gespendet und mit ihnen protestiert. Die "Integrationspolitik" folgt demgegenüber alten Mustern.

Der Umgang mit Flucht und Migration war bereits bei Gründung der Zweiten Republik ein Thema. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa ca. 30 Millionen Displaced Persons (DPs; größtenteils ehemalige ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge) bzw. deutschsprachige Vertriebene aus Osteuropa.
Die österreichische Politik verhielt sich zunächst gegenüber beiden Gruppen abwehrend, in der Bevölkerung dominierten Vorurteile und Ablehnung. Im Gegensatz zu den DPs entwickelte man aber für die „Volksdeutschen“ ab dem Ende der 1940er-Jahre durchaus erfolgreiche Integrationsangebote. Ab 1954 konnten diese beispielsweise die österreichische Staatsbürgerschaft per Deklaration erwerben.

Ausnahmeerscheinung
Schon vorher war der Zugang zum Arbeitsmarkt und den Sozialsystemen für diese spezielle Gruppe geöffnet worden. Solche Integrationsmaßnahmen blieben jedoch eine Ausnahmeerscheinung. Als in den 1960ern der Bedarf nach Arbeitskräften aus dem Ausland stieg, wurden MigrantInnen zwar medienwirksam bei der Ankunft begrüßt. Gleichzeitig aber galt die Vermeidung jeder Aufenthaltsverfestigung lange als erklärtes Ziel der österreichischen Politik.
Bis in die jüngste Vergangenheit mussten daher zahlreiche Gleichstellungsmaßnahmen – wie das passive Betriebsratswahlrecht (2006) – über die Höchstgerichte eingeklagt werden.
Erst 1992 wurde mit dem „Wiener Integrationsfonds“ eine relevante Einrichtung gebildet, die sich positiv mit „Integrationsfragen“ auseinandersetzen sollte. Auf Bundesebene allerdings blieb langfristig vor allem der Geist der „Abwehrkultur“ bestehen: Seit der Regierungszeit von Schwarz-Blau zwingt eine „Integrationsvereinbarung“ zu Sprachkursen. Inzwischen gilt sogar das Prinzip „Deutschnachweis vor Zuwanderung“, während gleichzeitig der Familiennachzug sehr restriktiv gehandhabt wird. Ebenso wurde – im Gegensatz zu vielen EU-Staaten – die Möglichkeit der Einbürgerung erschwert.
Flucht und Migration werden zudem vorwiegend als sicherheitspolitisches Problem und Bedrohung „unserer Werte“ präsentiert. So lagen die Integrationsagenden lange Zeit in den Händen des oder der jeweiligen Innenministers/-ministerin. Eine entsprechende Haltung prägt auch den „Nationalen Integrationsplan“, den die damalige Innenministerin Maria Fekter im Jahr 2009 vorgelegt hat.
Auch der aktuelle „50-Punkte-Plan zur Integration von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten“ beginnt mit den Worten: „Die Integration von anerkannten Flüchtlingen stellt eine wachsende Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Sicherung des sozialen Friedens in Österreich dar.“ Christian Schörkhuber, Geschäftsführer der Volkshilfe OÖ, meint dazu: „Schon alleine aus der Präambel wird ersichtlich, dass Flüchtlinge nicht als Chance, sondern als Bedrohung angesehen werden. Knapp 14.000 Anerkennungen gab es im Jahr 2015 beim Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen. Bei dieser Anzahl von der Gefährdung des sozialen Friedens zu reden entbehrt jeder Grundlage.“

Die Sache mit den Werten
Im Zentrum des neuen „Inte
grationsplans“ stehen verpflichtende Wertkurse. Cornelia Kogoj, Generalsekretärin der Initiative Minderheiten, kommentiert diese wie folgt: „Im Grunde geht es in der Debatte um Integration immer um eine ‚Bringschuld‘ der MigrantInnen. Es geht darum, was MigrantInnen erbringen müssen – und nicht die staatlichen Institutionen –, um gute StaatsbürgerInnen zu werden. Vermischt werden hier soziale Fragen mit jenen von Kultur und Sprache.“
Interessant findet sie auch, dass rechte PolitikerInnen, die sich bis jetzt weder für den Feminismus noch für Lesben- und Schwulenrechte starkgemacht haben, nun genau diese „Werte“ verteidigen. „Wenn es heißt: ‚Österreich hat einen fest etablierten Wertekanon, der nicht verhandelbar ist‘, dann frage ich mich, was dieser ‚fest etablierte Wertekanon‘ bedeutet? Diese Diskussion um die Wertevermittlung sagt übrigens mehr über ‚uns‘ aus als über die ‚anderen‘“, so Kogoj.
Vieles an dieser aktuellen „Wertedebatte“ erinnert an die alten Diskussionen, die der konservative US-Politologe Samuel Huntington Ende der 1990er-Jahre mit seinem „Kampf der Kulturen“ ausgelöst hat. Die Idee festgefügter, sich feindlich gegenüberstehender Kulturen als Begründung für militärische und gesellschaftliche Konflikte wurde seitdem allerdings auch vielfach zurückgewiesen. Nobelpreisträger Amartya Sen warnte beispielsweise bereits vor zehn Jahren vor einer „Identitätsfalle“: „Eine Person kann gänzlich widerspruchsfrei amerikanische Bürgerin, von karibischer Herkunft mit afrikanischen Vorfahren, Christin, Liberale, Frau, Vegetarierin, Langstreckenläuferin, Feministin, Heterosexuelle, Tennisfan etc. sein“, schreibt er. Der französisch-libanesische Schriftsteller Amin Maalouf ergänzt, dass Menschen dazu neigen, sich in der am stärksten angegriffenen Identität wiederzuerkennen – ein Umstand, der beispielsweise seit einiger Zeit auf viele MuslimInnen zutreffen würde.

Zusammenfließende Kulturen
Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté zeigen demgegenüber in ihrem Buch „Kampfabsage“ nicht nur, dass K
ulturen in Wirklichkeit ständig zusammenfließen. Die Autoren weisen auch auf die zahlreichen historischen und politischen Zweideutigkeiten des „Westens“ im Umgang mit Werten wie „Freiheit“ hin. Mit Sebastian Kurz’ Bildern von „unserer gemeinsamen Wertbasis“ – vorwiegend Berge, Kleinfamilien, Feuerwehr und Gugelhupf, wie man sie etwa in der „RWR-Fibel“ finden kann – hätte wohl auch Mark Terkessidis ein grundlegendes Problem. Terkessedis beschreibt Migration als eine für alle beteiligten Seiten massiv verändernde Kraft. Von Integration – im Sinne der Aufnahme in ein fest bestehendes Ganzes – könne daher nicht die Rede sein. Er plädiert vielmehr für den systematischen Umbau von Institutionen (Schulen etc.) im Sinne einer neuen „Interkultur“.
Die große Schwäche von Terkessidis und einigen anderen AutorInnen besteht darin, dass sie die bestehende neoliberale Weltordnung zwar oft kritisch, aber letztlich als nicht veränderbar betrachten. In den (globalen) Machtverhältnissen und (sozialen) Interessengegensätzen liegen aber Ursachen und Wirkungen aktueller Formen von Flucht und Migration.
So müssen sich Gewerkschaften derzeit in verschiedenen europäischen Staaten mit „wohlmeinenden“ Vorschlägen auseinandersetzen, einen neuen Niedrigsektor aus dem Pool der Flüchtenden zu bilden. Zwischen solchen mehr oder weniger bewusst geschürten Spaltungslinien und einer ebenfalls entsolidarisierenden Abschottung gilt es für moderne Gewerkschaften seit jeher, eine eigenständige Linie zu finden. Bereits 1907 erklärte der Internationale Sozialistenkongress von Stuttgart im Übrigen seine Solidarität mit den „Wandernden“ und verband den Kampf um Freizügigkeit mit der gemeinsamen Verteidigung erreichter Standards.
Cornelia Kogoj regt eine Art neues Sozial-Bündnis an: „Es wäre wichtig, eine grundlegendere Diskussion über soziale Gerechtigkeit zu führen. Denn die Frage ist ja, wie können die Leute, die jetzt kommen, so schnell wie möglich an der Gesellschaft teilhaben. Hier kommt den Bildungseinrichtungen eine Schlüsselposition zu. Ebenso wichtig ist die Schaffung von leistbarem Wohnraum. Und das würde letztendlich allen zugutekommen.“

Hand in Hand
In das gleiche Horn stößt Christian Schörkhuber: „Ratifizieren wir endlich die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller WanderarbeitnehmerInnen und ihrer Familienangehörigen.“ Dann würden WanderarbeitnehmerInnen und ihre Familienangehörigen in Bezug auf die soziale Sicherheit die gleiche Behandlung genießen wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Sein Appell: „Beenden wir die hysterisch geführten ‚Das Boot ist voll‘-Debatten. Hier könnte die Gewerkschaftsbewegung Hand in Hand mit den Zehntausenden freiwilligen FlüchtlingshelferInnen marschieren, die sich in den letzten Monaten vorbildlich engagierten.“

Linktipps:
Aktuelle Materialien für Workshops und Unterricht zum Thema Flucht und Migration:
tinyurl.com/zd76hhf
lernen-im-vorwärtsgehen.com

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor john.evers@vhs.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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