topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Symbolbild zum Bericht: Mitbestimmen statt Lobbyieren Anders als Lobbyisten sind die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet und können von diesen auch kontrolliert werden.

Mitbestimmen statt Lobbyieren

Schwerpunkt: Ein guter Grund

Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung verhindert Leistungskürzungen und sichert Kontrollen gegen Lohndumping.

Eine starke Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen, mit dem Rückhalt möglichst vieler Gewerkschaftsmitglieder, ist die einzige Möglichkeit, denjenigen etwas entgegenzusetzen, die sich ihren Einfluss mit anderen Mittel sichern können: den VertreterInnen von Wirtschaft, Konzernen und Finanzindustrie mit ihren bezahlten LobbyistInnen. Letztere sind in den vergangenen Jahren in Verruf geraten, vor allem durch Fälle von Bestechung und Korruption, die in manchen Fällen auch zu gerichtlichen Verurteilungen geführt haben.

Den Mitgliedern verpflichtet

Die daraus resultierende Stimmungslage haben einige politische AkteurInnen bewusst dafür benutzt, mit den unsauberen LobbyistInnen auch gleich die seriösen InteressenvertreterInnen anzupatzen, ganz ohne auf den entscheidenden Unterschied einzugehen: Während LobbyistInnen wie RechtsanwältInnen jederzeit die Fahnen wechseln und ihre Dienste dem Meistbietenden offerieren, sind die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen den gleichbleibenden Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet. Die Arbeiterkammern per Gesetz, der ÖGB als Verein mit freiwilliger Mitgliedschaft per Statut. Geschäfts- und Wahlordnungen regeln genau, wie die FunktionärInnen legitimiert werden. Die Willensbildung erfolgt also demokratisch und transparent. Wer mit InteressenvertreterInnen der ArbeitnehmerInnen zu tun hat, der weiß, für wen diese arbeiten – im Gegensatz zu den LobbyistInnen, die nicht immer offen auf den Tisch legen, in wessen Auftrag sie gerade bei der Politik vorsprechen.
Diesen wesentlichen Unterschied erkennt auch der österreichische Gesetzgeber an: Der ÖGB ist als Teil der Sozialpartnerschaft sogar in der Verfassung verankert. Er nimmt zu Gesetzesvorlagen Stellung und seine ExpertInnen bringen ihren Standpunkt regelmäßig in parlamentarische Enqueten ein. Außerdem kann er aufgrund der Kollektivvertragsfähigkeit rechtsverbindliche Regelungen für die Arbeitswelt verhandeln. Die Sozialpartner sind in zahlreichen Kommissionen, Beiräten und Ausschüssen vertreten und kümmern sich um Kartell- und Wettbewerbspolitik, die Lehrlingsausbildung, um Raumordnung und Arbeitsmarkt, um Arbeitsbedingungen und KonsumentInnenschutz.

Recht statt Almosen

Gesetzlich geregelt ist auch die Mitwirkung in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung. Der Grundgedanke dahinter: Wer an der Durchführung der Sozialversicherung ein direktes Interesse hat – sei es, weil er Beiträge dafür zahlt, vor allem aber, weil er auf die Leistungen der Versicherung angewiesen ist –, soll auch an ihrer Verwaltung mitwirken. Deshalb werden die 22 Sozialversicherungsträger (Gebietskrankenkassen, Beamten-, Bauern- und Selbstständigenversicherungen, Betriebskrankenkassen, Pensions- und Unfallversicherung) von VertreterInnen geführt, die von ArbeitnehmerInnen- und Arbeitgeberorganisationen entsendet werden. Das garantiert eine bevölkerungsnahe, transparente und demokratisch legitimierte Verwaltung, die auf regionale Besonderheiten und spezielle Bedürfnisse der einzelnen Berufsgruppen Rücksicht nimmt.

Bollwerk gegen Kürzungen

Auch wenn die Grundlagen natürlich vom Gesetzgeber vorgegeben werden, ist die Selbstverwaltung doch ein Garant dafür, dass Leistungen nicht so leicht gekürzt werden können, wie das der Fall wäre, wenn es sich bei den Sozialversicherungsanstalten um Behörden oder ausgelagerte Unternehmen mit ManagerInnen an der Spitze handeln würde, die direkt einem Ministerium unterstellt wären. Das österreichische Sozialsystem sieht Ansprüche vor, auf die die Versicherten ein Recht haben, und die Selbstverwaltung garantiert, dass dieses Recht nicht so leicht durch eine Politik des Gewährens von Almosen ersetzt werden kann.
Ihren Ursprung hat die Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Damals gründeten die ArbeiterInnen Arbeiterhilfs- und Unterstützungskassen, um der Not zu entkommen, und die waren als Vereine natürlich selbstverwaltet. Die Verwaltungsgremien wurden direkt gewählt. Diese ersten Kassen wurden später in die staatliche Sozialversicherung integriert, und logischerweise forderte die ArbeiterInnenbewegung, dass die Selbstverwaltung aufrechterhalten bleibt bzw. in der gesamten Sozialversicherung eingeführt wird.
Das erste Gesetz, in dem die Selbstverwaltung geregelt wurde, war das Arbeiter-Unfallversicherungsgesetz 1887, im Jahr darauf folgte das Arbeiter-Krankenversicherungsgesetz. Später kam die Pensionsversicherung hinzu.
Die Forderung nach Abschaffung oder Einschränkung der Selbstverwaltung ist nichts Neues. Massive Eingriffe gab es durch das austrofaschistische Regime, das Ende 1933 die Selbstverwaltung der Arbeiterkammern abschaffte und jene der Sozialversicherungsträger massiv beschränkte. 1934 wurden die sozialdemokratischen ArbeitnehmerInnenfunktionäre entfernt, 1935 die Wahlen in der Sozialversicherung abgeschafft. Es folgten drastische Leistungskürzungen: verschärfte Bezugsbedingungen beim Arbeitslosengeld, Rentenkürzungen, Verschlechterungen in der Krankenversicherung. Beim „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland wurde die Selbstverwaltung schließlich ganz abgeschafft.

Demokratisch legitimiert

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Selbstverwaltung wieder eingeführt. Die FunktionärInnen wurden allerdings nicht mehr direkt von den Versicherten gewählt, sondern von den demokratisch legitimierten Interessenvertretungen entsandt. Eingriffe gab es danach erst wieder unter der schwarz-blauen Bundesregierung: Sie ersetzte mit einem im Jahr 2001 beschlossenen Gesetz die bisherigen Mehrheitsverhältnisse an der Spitze, im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, durch ein ihr genehmeres Modell. Die VertreterInnen der Versicherten haben nun nicht mehr die Mehrheit. Die ArbeitnehmerInnen sollten ihrer Möglichkeiten beschnitten werden, ihre Interessen in die Politik einzubringen.
Die Arbeitgeber, obwohl viel weniger, dürfen seitdem gleich viele VertreterInnen entsenden. Das wird damit begründet, dass sie ja auch einen großen Teil der Beiträge einzahlen würden, im Falle der Unfallversicherung sogar sämtliche Beiträge. Doch das greift zu kurz: Immerhin ersparen sie sich durch diese Zahlungen Schadenersatzforderungen, etwa nach Arbeitsunfällen oder bei Berufskrankheiten. Jedenfalls stellen seit der schwarz-blauen Reform die Arbeitgeber den Vorsitzenden des Verbandsvorstands im Hauptverband, und ein entsprechendes Modell wünschen sie sich auch für die Gebietskrankenkassen.
Den Einfluss der ArbeitnehmerInnen auf die Sozialversicherung zu schmälern hätte aber neben den drohenden Leistungskürzungen für die Versicherten auch politische Folgen. Denn die Gebietskrankenkassen spielen auch eine wesentliche Rolle im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping und gegen falsche Einstufungen in die Kollektivverträge. Sie prüfen Unternehmen auch darauf, ob sie die Beschäftigten ordentlich als ArbeitnehmerInnen beschäftigen und nicht per Umgehungsverträgen als freie DienstnehmerInnen oder Scheinselbstständige. Wenn wieder einmal jemand die Abschaffung der Selbstverwaltung fordert, sollte man also ganz genau hinschauen, welches Interesse er am Abbau von Unternehmenskontrollen hätte.
Es kam aber in der Zweiten Republik auch zu einer Ausweitung der Selbstverwaltung, und zwar bei der Arbeitslosenversicherung. Die war zwar ursprünglich ebenso selbstverwaltet wie die anderen Sozialversicherungszweige, wurde aber 1935 auf rein staatliche Verwaltung umgestellt. Die Trendwende kam 1994 mit der Gründung des Arbeitsmarktservice (AMS): Auf Bundes-, Landes- und Regionalebene sind seitdem VertreterInnen der Sozialpartner in den Gremien.

Selbstverständliche Selbstverwaltung

Wie absurd die Forderung nach Abschaffung der Selbstverwaltung ist, zeigt ein Vergleich mit einem Bereich, wo die Autonomie von niemandem infrage gestellt wird: die Gemeinden. Ihre BürgerInnen bestimmen selbstverständlich selbst, wer GemeinderätIn und wer BürgermeisterIn wird. Hier ist die Organisationsform der Selbstverwaltung in der Bundesverfassung verankert. Und genau das sollte auch bei der Selbstverwaltung der Sozialversicherung der Fall sein.

Linktipps:
Hauptverband der Sozialversicherungsträger:
www.hauptverband.at
Arbeitsmarktservice:
www.ams.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor bernhard.achitz@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum