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Symbolbild zum Beitrag: Die Grenzen ignoriert Schon im Jahr 1972 wurde die Frage nach den Grenzen des Wachstums gestellt. Sie bleibt aktuell.
Buchtipp

Die Grenzen ignoriert

Schwerpunkt

Schon vor 40 Jahren hinterfragte man das auf Wachstum und Ausbeutung der Natur ausgerichtete Wirtschaftsmodell. Die Frage bleibt brennend aktuell.

Stärker als je zuvor tendiert die Menschheit gegenwärtig zu beschleunigtem Wachstum der Bevölkerung, rascherer Nutzung von Boden, Steigerung von Produktion, Verbrauch und Erzeugung von Schadstoffen. Man nimmt dabei kurzerhand an, dass der natürliche Lebensraum dies zulasse oder dass Wissenschaft und Technik alle etwaigen Hindernisse überwinden könnten.“

Es ist ein Satz, der so klingt, als wäre er erst vor Kurzem geschrieben worden. Dieser Eindruck täuscht aber, denn das Zitat stammt aus dem Jahr 1972. Damals nämlich begann man sich in einer breiten Öffentlichkeit mit den „Grenzen des Wachstums“ zu beschäftigen, wie auch der Titel des Buches lautet, dem dieser Satz entnommen ist. Darin wird eine Studie im Auftrag des Club of Rome über die Zukunft der Weltwirtschaft zusammengefasst.

Vorausschauend

So umstritten der Club of Rome selbst wegen seiner Unternehmernähe ist und so skeptisch man mancher Analyse gegenüberstehen mag, so vorausschauend wirken die Schlussfolgerungen der „Grenzen des Wachstums“: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“
Seither beschäftigen sich viele verschiedene AkteurInnen mit der Zukunftsfähigkeit des vorherrschenden Wachstumsmodells, aktuell vor allem unter dem Stichwort Nachhaltigkeit. Allein, die Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Umweltpolitik sollten bescheiden bleiben. Daran änderte auch das Platzen der Finanzblase im Jahr 2008 wenig: Im Mainstream hält sich das Ankurbeln des Wachstums bis heute als zentrales wirtschaftspolitisches Ziel.

Ungenutzte Chance

Dabei ist diese Krise nur ein weiterer Schuss vor den Bug des aktuellen Wirtschaftssystems und hätte somit einer von vielen Anlässen sein können, dieses grundlegend zu überdenken. „Diese Krise, so die damals einhellige Meinung, böte ein einmaliges Window of Opportunity, um den Ende der 1970er-Jahre eingeschlagenen wirtschaftsliberalen Entwicklungspfad hinter sich zu lassen“, schreibt etwa Berthold Huber, Vorsitzender der IG Metall, in „Kurswechsel für ein gutes Leben“. Diese Hoffnungen allerdings wurden bislang enttäuscht, so Huber. Die nach der Krise ergriffenen Maßnahmen seien „vor allem symbolischer und strukturkonservativer Natur“: keine wirksame Regulierung der Finanzmärkte, keine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik in Richtung Nachhaltigkeit.
Die deutsche Gewerkschaft IG Metall ist nur eine von vielen AkteurInnen, die sich mit Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftssystem beschäftigen. Man muss das Problem bei der Wurzel packen, lautet die Analyse, und diese Wurzel ist das auf Wachstum und Ausbeutung der Natur basierende Wirtschaftsmodell.
Im Jahr 2012 veranstaltete sie einen großen internationalen Kongress mit dem Titel „Kurswechsel für ein gutes Leben“, bereits ein Jahr zuvor hatte sie sich bei ihrem Gewerkschaftstag einen solchen Kurswechsel zum Ziel gesetzt. Wie könnte ein Alternativmodell aussehen? Bertholt Huber erklärt die Vorstellungen der IG Metall: Dieser gehe es „um die Frage einer ‚humanen Ökonomie‘ und darum, wie es gelingen kann, qualitatives Wachstum, gute Arbeit, Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe für alle miteinander zu verbinden“.

Neuer Wohlstandsbegriff

In Deutschland beschäftigte sich außerdem eine Enquete-Kommission mit dem Thema. Die 17 Bundestagsabgeordneten und 17 externen Sachverständigen schlugen einen neuen Begriff von Wohlstand sowie eine neue Wohlstandsmessung vor.
Diese müssten „neben dem materiellen Wohlstand auch soziale und ökologische Dimensionen von Wohlstand abbilden“. Auch sie stellten das Wachstumsdogma infrage, denn dieses führe eben nicht automatisch „zu mehr materiellem Wohlstand für alle, mehr sozialer Gerechtigkeit und der Lösung der ökologischen Herausforderungen“.
Außerdem legte die Kommission eine Definition von Lebensqualität vor, die folgende Dimensionen beinhaltet: „der materielle Lebensstandard, der Zugang zu und die Qualität von Arbeit, die gesellschaftliche Verteilung von Wohlstand, die soziale Inklusion und Kohäsion, eine intakte Umwelt und die Verfügbarkeit begrenzter natürlicher Ressourcen, Bildungschancen und Bildungsniveaus, Gesundheit und Lebenserwartung, die Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge sowie sozialer Sicherung und politischer Teilhabe als auch die subjektiv von den Menschen erfahrene Lebensqualität und Zufriedenheit“.

Mehr als materielle Bedürfnisse

In eine ähnliche Richtung gehen die Vorstellungen des britischen Ökonoms Tim Jackson, der als einer der renommiertesten Kritiker des absoluten Glaubens an Wachstum gilt. In seinem Werk „Wohlstand ohne Wachstum“ schreibt er: „Wohlstand in jeder sinnvollen Verwendung des Wortes handelt von der Qualität unseres Lebens und unserer Beziehungen, von der Belastbarkeit unserer Gemeinschaften und von unserem Gefühl einer gemeinsamen Bestimmung.“
Diese Vorstellung geht also weit über die Befriedigung materieller Bedürfnisse hinaus. Für Jackson ist Wohlstand „tief in der Lebensqualität, der Gesundheit und dem Glück unserer Familien verankert. Er zeigt sich in der Stärke unserer Beziehungen und in unserem Vertrauen in die Gemeinschaft. Wohlstand äußert sich durch Zufriedenheit bei der Arbeit und in dem Bewusstsein, dass wir Werte und Ziele teilen. Er beruht auf unserem Potenzial, voll und ganz am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“
All diese Vorstellungen haben jedoch eine wesentliche Einschränkung: Die Entwicklung muss „innerhalb der ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten“ stattfinden.

Menschen für den Wandel

Diese verschiedenen Vorstellungen bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Sie werden sogar von mehr Menschen geteilt, als man dies für möglich halten könnte. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012 sind den ÖsterreicherInnen folgende fünf Wünsche am wichtigsten: Gesundheit, persönliche Lebenssituation, das Leben weitgehend selbst bestimmen zu können, intakte Familie und Partnerschaft, Schutz der Umwelt.
Auch glauben immer weniger Menschen daran, dass Wirtschaftswachstum ihnen eine bessere Lebensqualität verschafft: 2010 teilten diese Meinung noch 40 Prozent, im Jahr 2012 sank der Wert auf 35 Prozent. 79 Prozent der Befragten waren der Meinung: „Es ist möglich, den Zuwachs an materiellem Wohlstand der Bevölkerung mit der Umwelt und einem sorgsamen Umgang mit Ressourcen in Einklang zu bringen.“

Weiter auf Kosten der Zukunft?

Mehr als 40 Jahre sind seit dem ersten Bericht des Club of Rome vergangen, seinen ersten Berechnungen zufolge hätten wir fast die Hälfte auf dem Weg zur Grenze des Wachstums hinter uns gelegt. Seit damals wurden diese Grenzen wiederholt überprüft und adaptiert.
Die Frage ist allerdings weniger, wann die Endlichkeit des Planeten denn nun tatsächlich erreicht ist. Fakt ist, dass die heutige Wirtschafts- und Lebensweise auf Kosten der Menschen wie der Natur geht. Oder um es mit Tim Jackson zu sagen: „Der Wohlstand von heute ist nichts wert, wenn er die Bedingungen untergräbt, von denen der Wohlstand von morgen abhängt.“

Linktipps:
Bertelsmann-Stiftung:
tinyurl.com/jhou9bn
Das pdf des Berichts als Download:
tinyurl.com/nkoskyz

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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