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Symbolbild zum Bericht: Lernen fürs Arbeitsleben Wer weiß schon, welche Qualifikationen am Arbeitsmarkt der Zukunft gebraucht werden?

Lernen fürs Arbeitsleben

Schwerpunkt

Bildung dient der Mehrung des Humankapitals. Das gelingt nicht allen. Die Schulausbildung wird zum "Platzanweiser für den Arbeitsmarkt".

Die unmittelbare Verwertbarkeit von Bildung gehört zum allgemeinen Credo. Die einen argumentieren mit der Bedeutung des Humankapitals für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes, die anderen mit Beschäftigungsfähigkeit und Verdienstmöglichkeit der ArbeitnehmerInnen. Bildung gilt als Produktionsfaktor zur Sicherung des individuellen Humankapitals. Das Konzept geht auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Gary S. Becker zurück, eingebettet in die neoliberale Kaderschule der Chicago School of Economics. Wer solcherart nicht gebildet sein will oder versagt, kommt in die Kategorie „bildungsfern“.

Was soll ich werden?

Knapp vor der Jahrtausendwende galt HTML-Programmieren als aussichtsreicher Job. Wenige Jahre später übernahmen Content-Management-Systeme diese Arbeit. Heute kann dieses Szenario bereits jeden zweiten Beruf betreffen. Wie soll ich heute wissen, was der Arbeitsmarkt von morgen will? Diese Frage bewegt nicht nur Jugendliche. Die Halbwertszeit einer Ausbildung sinkt, Weiterbildung in jeder Lebensphase lautet das Gebot der Stunde. Bereits 1962 forderte ein EU-Memorandum „Lebenslanges Lernen“. „Es setzt unter Druck und legitimiert Ausgrenzung. Wer es nicht schafft oder nicht dazu bereit ist, sich permanent anzupassen, ist selbst schuld“, kritisiert der Bildungsforscher Erich Ribolits. Eine zu Jahresbeginn von WIFO und IHS erstellte Studie zum Qualifikationsbedarf in Österreich untersuchte die beruflichen Bildungsherausforderungen. Die Ergebnisse der im Auftrag der Arbeiterkammer verfassten Studie:

  • Der Qualifikationsbedarf steigt in allen Berufen und Tätigkeiten – am stärksten innerhalb der Berufe.
  • Der strukturelle Wandel forcierte den Bedarf an weiterführenden und hochschulischen Qualifikationen.
  • Der Wettbewerb um die Jungen beginnt bereits vor der Ausbildung.
  • Polarisierung: Beschäftigungszuwächse gibt es sowohl bei den Höherqualifizierten als auch am unteren Ende des Qualifikationsspektrums.
  • Bei vielen Menschen entspricht die Beschäftigung nicht der Qualifikation.
  • Migration und Bildung: Integrationspolitik muss qualifikations- und kompetenzorientiert sein.
  • Der Arbeitsmarkt kann immer weniger auf die Älteren verzichten.
  • Weiterbildung, lebensbegleitendes Lernen und lernfreundliche Arbeitsumgebung sind für alle Beschäftigtengruppen wichtig.

Damit aus einer Qualifikation ein attraktives Jobprofil wird, braucht es das Ineinandergreifen von „formaler Ausbildung, berufsübergreifenden und sozialen Kompetenzen“, so die Koautorin der Studie Julia Bock-Schappelwein. Die Bedeutsamkeit von Soft Skills erklärt sich aus den sich verändernden Anforderungen in der Arbeitsorganisation: Die Zusammenarbeit in wechselnden Teams oder das virtuelle Arbeiten in der Cloud verlangen die Fähigkeit zur Selbstreflexion genauso wie Einfühlungsvermögen und Kommunikationsstärke. Die Studie legt aber auch Widersprüche offen, zeigt, dass Bildung nicht alle Arbeitsprobleme löst.

Mismatch

Im Jahr 2010 war mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen nicht bildungsadäquat beschäftigt. Besonders Frauen (27,4 Prozent) und MigrantInnen (33,4 Prozent) arbeiten unter ihrem Qualifikationsniveau. Die Ingenieurin, die als Reinigungskraft arbeitet, oder die Sozialwissenschafterin, die bei ihrem Studentenjob in der Gastronomie „hängenbleibt“, sind keine Einzelfälle. Deutlich zeigt sich dieses Mismatch in der Berufsgruppe der Hilfskräfte, der Großteil der Beschäftigten ist formal überqualifiziert.
Dieser Befund überschneidet sich mit einer Analyse des Arbeitsmarktforschers Manfred Krenn, der die anhaltende Nachfrage im Bereich der Einfacharbeit behandelt. 700.000 Arbeitsplätze für angelernte Hilfstätigkeiten, für die keine Berufsausbildung nötig ist, stehen 545.000 PflichtschulabsolventInnen gegenüber. Nur 37,3 Prozent der Beschäftigten in Einfacharbeiten verfügen über keine Berufsausbildung, über die Hälfte hat einen Lehrabschluss und zwölf Prozent haben Matura oder einen Universitätsabschluss. Es gibt individuelle Gründe, um eine Qualifikation beruflich nicht nutzen zu können; Kompetenzen, die man nicht nutzt, verbrauchen sich. Zugleich decken die Zahlen einen Verdrängungswettbewerb auf. Da stellt sich die Frage: Rechnet sich Bildung?
Je zusätzliches Ausbildungsjahr erhöht sich der durchschnittliche Bruttostundenlohn um neun Prozent. Allerdings ist die Bildungsrendite von Frauen tendenziell niedriger. OECD-Studien zufolge ist die Lohnprämie für ein Studium im Vergleich zur Sekundärausbildung niedriger. Besonders Frauen bringt ein Jahr Hochschulbildung finanziell am wenigsten, womit Österreich an letzter Stelle von 21 OECD-Ländern liegt. Aber: Ein Studium erweist sich als bester Schutz vor Arbeitslosigkeit. Menschen mit Pflichtschulabschluss haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko arbeitslos zu werden.

Vorteile der Berufsqualifikation

Auch die Lohnprämie für eine Sekundarausbildung (Lehre, BHS, AHS) zahlt sich gegenüber einer Pflichtschulausbildung aus. Wer sich die ausbildungsspezifischen Erwerbschancen ansehen will, nutzt „BibEr“, das von AMS und Statistik Austria betreute „Bildungsbezogene Erwerbskarrierenmonitoring“. Es zeigt die Erwerbsverläufe je nach Ausbildungstyp, die Einkommenshöhe und den Arbeitsstatus.
Abgesehen von Geld lassen sich die Vorteile einer Berufsqualifikation auch anders belegen. So sind Menschen mit höherer Ausbildung zufriedener, gesünder und haben eine längere Lebenserwartung. Liegt das nun an der Qualifikation oder an den Lebensumständen?
„Ich weiß nicht, was kommen wird. Deshalb brauche ich einen guten Rucksack, um den Weg zu meistern“, skizziert Bock-Schappelwein die große Herausforderung für die Bildung der Zukunft. Deshalb brauche es einen Mix an Qualifikationen, praktischen Arbeitserfahrungen und einen Abschluss, der über die Pflichtschule hinausgeht. „Wo fallen Entscheidungen für Bildungskarrieren? In der Volksschule. In der Eingangsphase müssen ausreichend Mittel und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden“, fordert die Ökonomin.
Diese Einschätzung stützen internationale Studien, die zudem das Gesamtschulsystem als eine notwendige, wenn auch nicht ausreichende Bedingung für mehr Chancengleichheit ansehen. In Österreich wird nicht nur Vermögen vererbt, sondern auch Bildungsabschlüsse. Deshalb wäre es dringend geboten, die Durchlässigkeit zu weiterführenden Ausbildungen zu erhöhen.

Lust am Lernen

Trotz aller Bemühungen wird es immer Menschen geben, deren Lieblingslied „Nie mehr Schule“ heißt. Die von der EU angeregte stärkere Zertifizierung informell erworbenen Wissens steckt in Österreich noch in den Anfängen. Projekte zur Anerkennung von Lehrabschlüssen, wie „Du kannst was!“ in Oberösterreich, heben sich positiv ab. Unternehmen sind gefragt, lernfreundliche Arbeitsumgebungen zu schaffen: Arbeit, die Raum bietet für selbstständige Entscheidungen und arbeitsplatznahe Qualifizierung. Wie erhalten wir uns Neugierde und Lust am Lernen? Diese vermittelt ein ungewöhnliches Filmdokument. In „Rosi, Kurt und Koni“ porträtiert Hanne Lassl Lebensläufe von ÖsterreicherInnen mit bruchstückhaften Lese- und Schreibkompetenzen. Das betrifft fast eine Million Menschen. Sie zeigt nicht nur die Hürden und Beschämung, die diese Menschen erleben, sondern ebenso ihren Kampf um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, was Lernen auch bedeutet.

Fähigkeiten für Innovation

„Lernen ist mehr als Lernen, um sich der Welt anzupassen, sondern Lernen heißt auch, sich die Welt anzupassen. Bildung hat mit Freiheit zu tun, heißt Zeit zu haben, nachzudenken, Umwege zu gehen, auf Abwege und eigene Ideen zu kommen, quer zum normalen Denken“, sagte der Bildungsforscher Erich Ribolits in einer Diskussion. Anders ausgedrückt: All das sind Fähigkeiten für Innovation – und die braucht die Arbeitswelt von morgen sicher.

Linktipps

Bildungserträge in Österreich von 1999 bis 2005 (IHS und Statistik Österreich), 7/2007:
www.equi.at/dateien/Bildungsrendite_IHS-STATA-05.pdf
Nationaler Bildungsbericht 2009:
www.bifie.at/buch/936/1/d
Projekt Bildungsbezogenes Erwerbskarrierenmonitoring:
tinyurl.com/qzbjdoa

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at 

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