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Symbolbild zum Bericht "Kein Geld der Welt kann Freizeit aufwiegen": Dieser Meinung sind 39 Prozent der ArbeitnehmerInnen laut einer aktuellen Umfrage.

Arbeiten nach Maß

Schwerpunkt

Die Arbeitszeitpolitik 4.0 muss menschliche Bedürfnisse und gesellschaftliche Notwendigkeiten stärker berücksichtigen.

Im Jahr 1930 prophezeite John Maynard Keynes, dass sich die Wirtschaftsleistung innerhalb von 100 Jahren auf das Vier- bis Achtfache erhöhen würde. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden würde ausreichend sein, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Durch die gewonnene Freizeit hätten alle mehr Zeit für soziale Beziehungen, menschliche Erkenntnis und Muße. Bis heute ist die Weltwirtschaft tatsächlich enorm angewachsen – besonders nach 1946. Von einer so drastischen Verkürzung der Arbeitszeit, wie Keynes sie prognostiziert hatte, sind wir jedoch weit entfernt.
Im Jahr 2014 arbeiteten Vollzeitbeschäftigte in Österreich durchschnittlich 43 Stunden pro Woche – ein Spitzenwert in Europa. Ebenfalls auf Platz zwei ist Österreich mit einer Teilzeitquote von 48 Prozent bei den weiblichen unselbstständig Erwerbstätigen. Die allgemeine Arbeitslosenquote betrug 2014 durchschnittlich fünf Prozent. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten hat nach der Arbeit (fast) keine Energie mehr für private Angelegenheiten. Während also bei so manchen Stress und Überstunden an der Tagesordnung sind, arbeiten viele (unfreiwillig) nur Teilzeit und immer mehr sind auf Jobsuche.

Flexibilisierung für wen?
Die Flexibilisierung hat zwar, etwa in Form der Gleitzeit, auch positive Auswirkungen für ArbeitnehmerInnen, gleichzeitig aber hat sie nicht selten für noch mehr (unbezahlte) Überstunden gesorgt. Zum Teil unterscheidet sich die gelebte Praxis doch ziemlich von der Theorie. Denn selbst bei Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen haben 10 bis 15 Prozent der einfachen und qualifizierten Angestellten nie die Möglichkeit, den Arbeitsbeginn zu variieren, wie sich im Zuge einer Studie der Uni Graz zeigte.
Flexibilisierung führt also nicht automatisch zur Individualisierung der Arbeitszeit. Wie weit Beschäftigte ihre Arbeitszeiten tatsächlich mitgestalten können, scheint sehr von den alltäglichen Erfordernissen bzw. von den Vorgesetzten abzuhängen. Auch bei Unternehmen mit fixen Arbeitszeitmodellen geben mehr als drei Viertel an, dass es zumindest in Ausnahmefällen bzw. nach Absprache für die Beschäftigten möglich ist, den Arbeitsbeginn zu variieren.
Ob Kinderbetreuung, Pflege, Weiterbildung, Fernweh oder einfach das Bedürfnis nach Erholung – viele Beschäftigte wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. (Frei-)Zeit gilt längst als wertvolles Gut. „Kein Geld der Welt kann Freizeit aufwiegen“: Dieser Meinung sind 39 Prozent der ArbeitnehmerInnen laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage von karriere.at. Fast genauso viele (36 Prozent) finden, dass Urlaubstage ein optimaler Benefit sind – wenn die Bezahlung ansonsten in Ordnung ist. Nur 15 Prozent der Befragten tendieren eher zu Geld als Extra-Leistung des Unternehmens, schränken aber ein, dass sich die dafür nötigen Überstunden im Rahmen halten müssen.
Derzeit werden hauptsächlich fünf verschiedene, (eher) an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientierte Modelle zur flexibleren Gestaltung von (Lebens-)Arbeitszeit praktiziert. Eines davon ist die Solidaritätsprämie: Wenn ein/e Beschäftigte/r die Arbeitszeit reduzieren möchte, dann fördert das AMS die Einstellung einer zusätzlichen Arbeitskraft im Ausmaß der Reduktion. Möglich ist eine Reduzierung um bis zu 50 Prozent, wobei sich das Gehalt nur um die halbe Stundendifferenz verringert. Das AMS finanziert die „Überzahlung“ der zeitreduzierten Arbeitskraft inklusive dafür anfallender Lohnnebenkosten. Laufzeit: zwei Jahre, ist die Ersatzarbeitskraft älter als 45, sind es drei Jahre.

Freizeitoption
Eine andere Variante ist die Freizeitoption: Die seit 2013 in einigen Branchen-Kollektivverträgen ausgehandelte Möglichkeit, statt mehr Einkommen mehr Freizeit zu bekommen, ist bei Jung und Alt gut angekommen. Insgesamt hat jede/r zehnte Beschäftigte diese Möglichkeit gewählt. Die meisten haben die neue Freizeit angespart und noch nicht verbraucht. Rund die Hälfte wollen diese für die Pension aufheben. Leider hat die Arbeitgeber-Seite darauf bestanden, dass die Option nur einmal je ArbeitnehmerIn in Anspruch genommen werden kann.
Vor allem MitarbeiterInnen im öffentlichen Dienst können ein Sabbatical in Anspruch nehmen. Sie können eine sechs und zwölf Monate dauernde Auszeit vom Berufsleben in Anspruch nehmen. ArbeitnehmerInnen haben keinen Rechtsanspruch darauf, einige Unternehmen geben ihren MitarbeiterInnen diese Möglichkeit allerdings. Im Gegensatz zum Erholungsurlaub wird das Sabbatical nicht bezahlt, vielmehr werden die Bezüge innerhalb einer bestimmten Zeit gekürzt. Beispielsweise kann man die Bezüge über einen Zeitraum von fünf Jahren auf 80 Prozent des regulären Einkommens reduzieren, verbunden mit einer einjährigen Freistellung vom Dienst. Eine Rückkehr an den ursprünglichen Arbeitsplatz ist nach Ende des Sabbaticals vorgesehen.

Neuer Schwung und neues Wissen
Immer größerer Verbreitung erfreuen sich Bildungskarenz und Bildungsteilzeit. Von dieser Möglichkeit machten etwa 2011 jeden Monat durchschnittlich 4.700 Personen Gebrauch. Die Dauer der Bildungskarenz kann zwischen zwei Monaten und einem Jahr betragen, Bildungsteilzeit dauert mindestens zwei Monate bis maximal zwei Jahre. Das Entgelt während dieser Zeit entspricht der Höhe des fiktiven Arbeitslosengeldes. Längere Auszeiten haben theoretisch den Vorteil, dass die ArbeitnehmerInnen danach mit neuem Schwung bzw. neuem Wissen zurückkehren.
Wenn Sabbatical oder Bildungskarenz allerdings in Wahrheit eine Art Flucht vor einem ungeliebten Job oder vor Burn-out darstellen, dann bleiben die positiven Effekte sowohl für die Betroffenen als auch für die Arbeitgeber mit hoher Wahrscheinlichkeit nur äußerst gering. Gut für die Work-Family-Balance sowie die Arbeitszufriedenheit sind Arbeitszeitkonten, zum Beispiel in Form von Gleitzeit mit Überstundenpauschale – bei bis zu zehn Überstunden pro Monat. Wichtig ist dabei, dass Beschäftigte über die Gestaltung der Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen können sowie zusätzliche Überstunden nur selten nötig sind und entsprechend bezahlt werden. Lebensarbeitszeitkonten, die ähnlich zentral verwaltet werden wie die Abfertigung, sind in Deutschland zum Teil bereits Realität. Seit 2009 werden die Konten nicht mehr in Stunden abgerechnet, sondern in Euro – inklusive Verzinsung.
Viele ArbeitnehmerInnen quer durch alle Branchen und Altersklassen wünschen sich eine flexible Arbeitszeitgestaltung, die sich nicht wie bisher hauptsächlich nach den Vorgaben der Unternehmen orientiert. Die Umfrage „Arbeitszeit 4.0“ von
work@professional, an der mehr als 2.600 Fach- und Führungskräfte teilnahmen, ergab: 60 Prozent der Befragten wünschen sich differenzierte Lebensabschnittsarbeitszeiten, mit denen es möglich ist, die Arbeitszeit individuell an veränderte Lebenssituationen (Kinderbetreuungspflichten, Weiterbildung, soziale Aktivitäten etc.) anzupassen.

Generation Z
Laut Trend- und Jugendforschung können sich die ab 1995 Geborenen besser gegen vermehrten Druck und das Eindringen der Arbeitswelt in das Privatleben abgrenzen. Im Vordergrund stehe die persönliche Einkommens- und Lebenslustmaximierung. Hart gearbeitet wird nur phasenweise und kurzfristig im Falle spannender Projekte. Für Sascha Ernszt klingt das allzu realitätsfremd und abgehoben: „Schön wär’s. Tatsächlich sind etwa Lehrlinge deutlich unter Druck, wenn sie wie beispielsweise bei Siemens schon am Anfang hören, dass nicht alle übernommen werden können.“ Der Druck wird von oben nach unten weitergegeben. Auch der Trend zu befristeten Jobs und Projektarbeiten sorge für Unsicherheit. „Reinhackeln bis zum Umfallen“ lautet dann für manche die Devise. „Sobald eine oder einer damit beginnt, am Freitag länger zu arbeiten, haben die meisten anderen das Gefühl, dass sie mitziehen müssen.“ An die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Stress, der auch nach Arbeitsschluss nicht ganz aufhört, weil berufliche Mails per Handy abgerufen und beantwortet werden, denken junge Menschen noch nicht.

Linktipps
Flexible Arbeitszeitmodelle in österreichischen Industriebetrieben, Diplomarbeit Heidemarie Buchinger, Kurzfassung unter
tinyurl.com/nk64vf6
GPA-djp: Arbeitszeit 4.0
tinyurl.com/ntgdc57
Arbeitszeitgesellschaft:
arbeitszeitgesellschaft.wildapricot.org

Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik (DGfZP):
www.zeitpolitik.de

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin office@astrid-fadler.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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