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Symbolbild zum Bericht Noch ist nicht abzusehen, wohin die Reise geht. Es gilt aber bereits jetzt, den gesellschafts- und sozialpolitischen Kurs im Sinne der ArbeitnehmerInnen zu beeinflussen.
Buchtipp

Das Ruder in die Hand nehmen

Schwerpunkt

Die Digitalisierung bringt einschneidende Veränderungen in der Arbeitswelt. Die ArbeitnehmerInnenvertretung ist herausgefordert, diese mitzugestalten.

Industrie 4.0, Sharing Economy, Roboterisierung: Diese Begriffe sind derzeit in aller Munde. Der Tenor: Die Arbeitswelt wird sich radikal verändern und die Arbeitsplätze, wie wir sie heute kennen, wird es so nicht mehr geben. Einige Veränderungen sind bereits voll im Gange. So waren im Jahr 2000 noch 75 Prozent der Daten in der Welt analog gespeichert – auf Papier, Film, Tonband usw. Heute ist nicht einmal mehr ein Prozent des weltweiten Datenvolumens analog vorhanden. Diese digitale Datenmenge kann zudem rasch und günstig verknüpft werden. So nutzen zum Bespiel einige Hedge-Fonds Twitternachrichten, um Kursentwicklungen an Börsen vorherzusagen. Meldungen über Kopfschmerzen im Kurznachrichtendienst werden als Indizien für neu entstehende Grippewellen herangezogen. Der Erkenntnisgewinn ist groß und kann auch nützlich sein. Andererseits: Je mehr die Datenanalyse genutzt wird, desto mehr (Vor-)Entscheidungen werden von Maschinen getroffen. 

„Intelligente“ Algorithmen
Hinter der Nutzbarmachung all dieser Datenme
ngen und der „intelligenten“ Algorithmen steht auch ein Heer an Menschen, die Daten in Computer eingeben. Diese und viele andere Arbeiten werden mittels Crowdwork erledigt: Aufträge werden über webbasierte Plattformen ins Netz gestellt und von sogenannten Crowdworkern abgearbeitet. Dies erleichtert zwar für einige Menschen den Zugang zu Arbeit – die Aufgaben können zu beliebigen Zeiten in beliebiger Menge und von beliebigen Orten erledigt werden. Das Risiko liegt aber beim Einzelnen: kein oder nur geringes Entgelt, keine Absicherung und rechtliches Niemandsland – statt eines Arbeitsvertrags gibt es nur allgemeine Geschäftsbedingungen, von arbeitsrechtlichem Schutz und Mitbestimmung keine Spur.

Sharing Economy
Als Gegenkonzept zur Konsumgesellschaft gedacht, sollte – erleichtert durch Internet und Apps – Tauschen, Leihen und Teilen den Konsum ersetzen. Entstanden ist ein neuer Wirtschaftszweig: Portale, die Car-Sharing, Übernachtungen (Airbnb) und Fahrdienste (Uber) anbieten und damit Milliarden verdienen. Die Digitalisierung dringt so in Bereiche ein, die vorher nicht als stark betroffen galten, in denen aber nun prekäre Arbeit floriert. Es wird schon intensiv an Robotern gearbeitet, deren Sensortechnik den menschlichen Sinnesempfindungen schon sehr nahe kommt. In einer weiteren Entwicklungsstufe arbeitet man daran, Roboter mit selbstlernenden Elementen auszustatten (sprich: Fehler erkennen und daraus Prozesse optimieren). Es kommt zu einer rasanten Entwicklung von Maschinen, die mit den Menschen und ihrem Arbeitsumfeld interagieren.
Der industrielle Sektor wird die Entwicklung der oben genannten Prozesse massiv vorantreiben. Ziel ist die umfassende Vernetzung der Produktion. Alle kommunizieren miteinander: Teile, Maschinen, Beschäftigte und Kunden. So kann die Produktion in Echtzeit umgestellt werden, der Kunde deponiert per Internet Sonderwünsche. Monotone und körperlich anstrengende Arbeiten werden in Zukunft vermehrt von Maschinen übernommen. Für die ArbeitnehmerInnen fallen verstärkt Aufgaben bei der Kontrolle, Steuerung, Planung und Prozesssteuerung an. Man erwartet sich davon hohe Produktivitätsgewinne und viel Potenzial für neue Geschäftsfelder.

Mitgestalten
Noch ist nicht abzusehen, welche technologischen Veränderungen wie schnell in unsere Arbeitswelt Einzug halten. Ziel kann nicht sein, den technologischen Fortschritt aufzuhalten, sondern ihn gezielt mitzugestalten, damit er möglichst vielen Menschen zugutekommt. Einige Entwicklungen und Fragestellungen werden in der Arbeitswelt daher in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Wandel am Arbeitsmarkt
Es gibt einige Studien, die den Jobwandel aufgrund des Einflusses der Digitalisierung der Arbeitswelt auf einzelne Branchen betrachten. Gemeinsamer Tenor ist, dass weniger Jobs geschaffen werden, als durch den technologischen Wandel verloren gehen werden. Viele manuelle Arbeiten, aber auch Bürotätigkeiten und Dienstleistungen bis hin zu Pflege könnten in Zukunft zumindest teilweise automatisiert werden. Menschliche Kreativität und soziale Kompetenz hingegen werden an Bedeutung gewinnen. Entscheidend wird sein, welche gesellschaftspolitischen Antworten wir auf diese Veränderungen haben.
Durch die Entstehung neuer Jobs, aber auch durch die veränderten Arbeitsinhalte, die die Digitalisierung mit sich bringt, bekommen die Themen Qualifizierung und berufliche Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen eine besondere Bedeutung. Was brauchen Menschen, um mit dem digitalen Wandel zurechtzukommen? Wie muss unser Bildungs- und Ausbildungssystem verändert werden, um die Menschen auf diese veränderte Arbeitswelt und Gesellschaft ausreichend vorzubereiten? Und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten muss Basisbildung vermitteln, um auf diese veränderten gesellschaftlichen Anforderungen zu reagieren?

Die Entwicklungen der Big-Data-Welt – also die Möglichkeit, Informationen zu verknüpfen und daraus Erkenntnisse zu gewinnen – werfen gerade beim Datenschutz sehr entscheidende Fragen auf. Auf betrieblicher Ebene wird die Frage, welche MitarbeiterInnendaten wie genutzt werden dürfen, bereits heiß diskutiert. Bei Crowdworkern ist die „digitale Reputation“ existenziell. Wie können wir ein Mitspracherecht über die gesammelten Daten sicherstellen? Und können wir unseren digitalen Fußabdruck auch wieder verändern?
In vielen Arbeitsbereichen werden neue Arbeitsformen zu einer höheren Flexibilität führen, wann und wo gearbeitet werden kann. Aber wie kann ein starker ArbeitnehmerInnenschutz in diesem Kontext gestaltet werden (z. B. Arbeitszeit, Ruhezeit, Überwachung/Kontrolle …)? Und können technologische Möglichkeiten auch genutzt werden, um vor allem psychische Belastungen zu reduzieren?

Mindeststandards definieren
Durch Crowdworking und Sharing-Economy-Plattformen entstehen neue Arbeitsformen, die derzeit völlig unreguliert sind. Die Prekarisierung einerseits hat auch Auswirkungen auf die Einkommens- und Arbeitsbedingungen der regulär Beschäftigten.
Es liegt also im Interesse aller, arbeitsrechtliche Mindeststandards zu etablieren. Auch Mitbestimmung muss neu organisiert werden. Die IG Metall ist zum Beispiel gerade dabei, eine Kommunikationsplattform aufzubauen, über die sich Crowdworker austauschen können.
Derzeit regelt der klassische Arbeitsvertrag (noch) die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse. An den Arbeitsvertrag gekoppelt ist die arbeits- und kollektivvertragliche Absicherung, aber auch die finanzielle Basis unseres Steuer- und Sozialsystems. Automatisierung einerseits und neue Arbeitsformen à la Crowdwork andererseits bewirken, dass dieser klassische Arbeitsvertrag an Bedeutung verliert. Eine zentrale Frage wird daher sein, wie die Finanzierung sozialer Systeme an den digitalen Wandel angepasst und rechtliche Absicherung geschaffen werden kann.
Noch ist nicht abzusehen, wohin die Reise geht. Es gilt aber bereits jetzt, das Ruder in die Hand zu nehmen, um den gesellschafts- und sozialpolitischen Kurs im Sinne der ArbeitnehmerInnen zu beeinflussen.

Linktipps:
Zum Downloaden:
Frey, C. B.; Osborne, M. A. (2013): The Future of Employment: How Susceptible Are Jobs to Computerisation? Oxford Martin School, 7, 72:
tinyurl.com/oj67kae
Zum Nachlesen:
Rotman, D. (2013, June 12): How Technology Is Destroying Jobs. MIT Technology Review. Retrieved January 21, 2015:
tinyurl.com/odnek6s

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin karin.zimmermann@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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