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Symbolbild zum Bericht Ein oftmals schwer abschätzbares finanzielles Risiko eines Verfahrens zwingt manche dazu, ihre Rechte nicht wahrzunehmen.
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Alle gleich vor dem Recht?

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Die Verfahrenshilfe soll sozial Schwachen den Zugang zum Recht erleichtern. Die hohen Gerichtskosten in Österreich belasten den Mittelstand.

„Einen Anwalt muss man sich halt auch leisten können.“ Aussagen wie diese hört man immer wieder. Doch wie weit her ist es mit der Gleichheit der BürgerInnen vor dem Gesetz, wenn es von den finanziellen Ressourcen abhängt, ob man zu seinem Recht kommt? In der Tat zwingt ein oftmals schwer abschätzbares finanzielles Risiko eines Verfahrens manche dazu, ihre Rechte nicht wahrzunehmen. Just aus diesem Grund gibt es in einem Rechtsstaat Erleichterungen für die Betroffenen, um ihre Rechte in einem fairen Verfahren sicherzustellen: die sogenannte Verfahrenshilfe.
Die gesetzliche Grundlage dafür existiert sogar schon seit über 200 Jahren, eingeführt wurde sie unter dem Titel „Armenrecht“. Ob im Zivil-, Straf- oder Verwaltungsstrafverfahren: Mit der Verfahrenshilfe soll sichergestellt werden, dass der Zugang zum Recht allen möglich ist und niemand an finanziellen Hürden scheitert. Erst kürzlich erklärte es im Übrigen der Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig, dass man bei verwaltungsrechtlichen Verfahren keine Verfahrenshilfe beantragen kann – ein Spruch, der sowohl in der Arbeiter- als auch in der Anwaltskammer (ÖRAK) begrüßt wird.

Grundlage Vertrauen

Fast 23.000 Menschen haben im Jahr 2013 Verfahrenshilfe zugesprochen bekommen. Große Kanzleien wie Schönherr Rechtsanwälte haben eine eigene Abteilung, welche für die über 100 Anwälte und Anwältinnen die Verfahrenshilfe-Verfahren übernimmt. Bei Schönherr sind Anwältin Klara Jaroš und der Konzipient Matthias Cernusca für diese Fälle zuständig. Meist haben sie mit Strafverfahren zu tun, die laut ÖRAK drei Viertel der Verfahrenshilfe-Fälle ausmachen. Ihre Aufgaben reichen dabei von Besuchen der Beschuldigten in Untersuchungshaft oder dem Stellen von Enthaftungsanträgen über die Inaugenscheinnahme von Tatorten bis hin zu Kooperationen mit SozialhelferInnen. Oft betreuen sie auch Fälle von jugendlichen StraftäterInnen. Besonders wichtig sei es, Vertrauen zu den KlientInnen aufzubauen. „Das ist die Grundlage für unsere Arbeit. Da wir vom Gericht bestellt werden, bringen uns die Klienten manchmal Misstrauen entgegen. Wir wählen aber unsere Verteidigungsstrategie nur nach deren Wünschen“, betont Cernusca.
Derzeit betreut Jaroš’ Abteilung zehn laufende Verfahren. Doch werden Verfahrenshilfe-Fälle wirklich gleich behandelt wie jene Fälle der zahlenden MandantInnen? Neben einer moralischen Verpflichtung gibt es eine explizite Regelung in der Rechtsanwaltsordnung, die sicherstellen soll, dass bei der Verfahrenshilfe der gleiche Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist wie bei anderen. Dennoch wird häufig kritisiert, dass dies durch den Kostendruck und die fehlende Fachkompetenz nicht der Fall sei. Zwar gäbe es sicherlich „schwarze Schafe“ unter den KollegInnen, meint Jaroš, verallgemeinern lasse sich die Kritik aber keinesfalls.
Ein Problem sieht die Rechtsanwältin darin, dass sie erst in einem relativ späten Stadium eines Verfahrens beigezogen werde. Zwar werden die Beschuldigten über das Recht der Beiziehung eines Rechtsbeistandes aufgeklärt, gerade Jugendlichen sei aber oft nicht bewusst, welche Tragweite es haben kann, wenn sie ohne Rechtsbeistand eine Aussage machen. Wenn die erste Vernehmung ohne VerteidigerIn stattfindet, macht dies „einen Riesenunterschied fürs Verfahren“, so Jaroš.

Viele unentgeltliche Angebote

Die Verfahrenshilfe ist nicht die einzige Leistung, die man in Anspruch nehmen kann, viele sind unentgeltlich. Darunter fällt etwa die Erstberatung des anwaltlichen Journaldienstes, welcher 24 Stunden am Tag erreichbar ist – insbesondere bei Festnahmen. Außerdem gibt es den Amtstag an den Gerichten, an dem sich BürgerInnen gratis beraten lassen können. In arbeitsrechtlichen Angelegenheiten und beim KonsumentInnenschutz stehen Arbeiterkammern und Gewerkschaften ihren Mitgliedern zur Seite.
Aber reicht all das aus, um den gleichen Zugang zum Recht zu gewährleisten? Ein Problem sehen viele in den in Österreich verhältnismäßig hohen Gerichtsgebühren. „Diese schrecken Menschen ab, gerade, wenn es um kleinere Beträge geht“, weiß Gabriele Zgubic. Sie leitet die Abteilung KonsumentInnenschutz in der AK Wien, bei der sich ArbeitnehmerInnen beraten lassen können. Als Beispiel für kleinere Fälle nennt sie Gewährleistungen. Das Risiko, dass man später mit mehr Kosten aussteigt, ist in diesen Fällen hoch. „Teuer wird es zum Beispiel, wenn Sachverständige oder Gutachter nötig sind“, erzählt Zgubic.
Ähnliches weiß auch Volker Frey aus seinem Arbeitsalltag zu berichten. Der Jurist arbeitet beim Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern. „Wenn man beispielsweise 1.000 Euro einklagt, sind die Kosten schon nach zwei Verhandlungstagen höher“, illustriert er das Problem. Dies könne bei Fällen wie etwa Einlassverweigerungen in Diskotheken oder bei Verstößen gegen die Barrierefreiheit dazu führen, dass die Betroffenen von einer Klage absehen.
Österreich sei im EU-Vergleich „Spitzenreiter“ bei den Gebühren, kritisiert die Anwaltskammer. In ihrem Wahrnehmungsbericht aus dem Jahr 2013 kritisiert die Kammer, dass dies vielen den Zugang zur Justiz erschweren würde. Im Interview hebt Präsident Rupert Wolff positiv hervor, dass die Gebühren im Familien- und Scheidungsrecht mit 1. Juli 2015 gesenkt wurden. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, so der Anwalt.
In ihrem Wahrnehmungsbericht hält die ÖRAK fest, dass sie schon „seit Jahren“ kritisiere, dass der Zugang zur Justiz „stark beschränkt“ werde. Einen Beleg sieht sie in der sinkenden Zahl an Fällen vor Gericht. „Die hohe Gebührenbelastung hat mittlerweile dazu geführt, dass Rechtsuchende genau prüfen müssen, ob sie sich den Gang zu Gericht überhaupt leisten können“, heißt es im Bericht. Dies treffe vor allem die breite Mittelschicht, die eine Klage eben nicht aus der eigenen Tasche zahlen könnte, zugleich aber keinen Anspruch auf Verfahrenshilfe habe. „Wenn man an der Grenze des Mindestlohns verdient, hat man es leichter, als wenn man 2.500 Euro brutto verdient“, so Wolff. „Das ist eine echte Hürde, und die Leute überlegen es sich, ob sie vor Gericht gehen.“ Zugleich kritisiert er die in Österreich fehlende Deckelung, die wiederum bei großen Streitwerten ebenfalls eine Abschreckung darstellen könne – und zwar für UnternehmerInnen. Eine Senkung der Gebühren könne auch den Wirtschaftsstandort stärken, findet er. Er plädiert für mehr Innovation in der Justiz. „Man könnte beispielsweise Schiedsverfahren oder Online-Mediationsverfahren ausbauen. Die Justiz täte gut daran, Online-Gerichtsverfahren anzubieten“, findet Wolff.

Zusammen sind wir stark

Eine weitere wichtige Institution ist die Sammelklage österreichischer Prägung. Diese Möglichkeit zur Geltendmachung von Massenschäden ist in den letzten Jahren besonders durch prominente Beispiele wie etwa die Klage des VKI im Namen von geschädigten AnlegerInnen gegen die AWD bekannt geworden. Bedingung für eine solche Sammelklage ist es, dass die Sachverhalte ähnlich sind. In einem solchen Fall können die Geschädigten ihre Ansprüche beispielsweise an die AK oder den VKI abtreten. Diese wiederum bringen für die Betroffenen gesammelt Klage ein. Die Idee dahinter: Durch die Bündelung der Forderungen kann das Prozessrisiko minimiert werden. Mit der gesammelten Beurteilung der Rechtsansprüche soll sich die Qualität der Betreuung verbessern. Aber auch die Prozesskosten können verringert oder durch Einschaltung eines Prozessfinanzierers sogar gänzlich ausgeschaltet werden. Damit können KleinanlegerInnen mit den Finanzriesen „auf Augenhöhe mit gleichen Waffen fechten“, wie Paul Oberhammer von der Universität Wien im Gutachten „Kollektiver Rechtsschutz in Anlegerklagen“ schreibt. AK-Expertin Zgubic wünscht sich weitere Verbesserungen: Noch ausständig aus dem Regierungsübereinkommen sei die Einführung einer Gruppen- oder Sammelklage.

Internet:
Anwaltlicher Journaldienst:
tinyurl.com/op7hnhg
Wahrnehmungsbericht der ÖRAK 2014/15:
tinyurl.com/po6c9xl

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sonja.fercher@oegb.at  
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