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Symbolbild zum Bericht Rund 100.000 Menschen sind in Österreich nicht krankenversichert und müssten deshalb für eine Behandlung beim Arzt bzw. einer Ärztin bezahlen.

Hilfe für die, die es brauchen

Schwerpunkt

Wer nicht krankenversichert ist, muss entweder für die Behandlung zahlen oder auf karitative Einrichtungen hoffen. Seit elf Jahren hilft AmberMed.

Kein lindgrünes Stück Plastik im Scheckkartenformat und nicht wohlhabend = keine medizinische Hilfe. Von dieser bedrohlichen Gleichung sind in Österreich nur allzu viele Menschen betroffen, Erwachsene wie Kinder. Es ist ein heißer Tag, in einem kleinen Wartezimmer sitzen und stehen rund 40 Menschen, untergebracht in einer ehemaligen Lagerhalle. Die Tür steht offen, drinnen ist es drückend schwül. Leises Gemurmel, munteres Sprachgewirr, leicht gelangweilte Kinder, die lieber im Freien spielen würden. Es können Stunden vergehen, nicht jeder hat Geduld – die Stimmung entspricht durchaus der einer regulären Praxis, doch bei AmberMed (www.amber-med.at) in Wien-Liesing werden an vier Tagen in der Woche Menschen behandelt, die keine Krankenversicherung haben.

Breites medizinisches Angebot

Angeboten werden u. a. allgemeinmedizinische Untersuchungen, im Team sind zudem GynäkologInnen, NeurologInnen oder KinderärztInnen. Oft vergeht viel Zeit, weil auch DolmetscherInnen, die hier mitarbeiten, hinzugezogen werden müssen. Wer an Zahnschmerzen leidet, wird zumeist nicht bei AmberMed versorgt: „Wir schicken sie in der Regel ins Neunerhaus, die in Notfällen helfen, oder zu Zahnärzten, die sie kostenlos behandeln“, erklärt Carina Spak, die diplomierte Sozialarbeiterin ist und AmberMed seit 2009 leitet.
Hinter den Schicksalen der PatientInnen stehen nur zu oft tragische Geschichten. Spak berichtet von einem Mann, der über 20 Jahre in einer Firma gearbeitet hatte. Nach einem Arbeitsunfall konnte er seinen bisherigen Job nicht mehr ausüben, wurde arbeitslos und erkrankte, während er beim AMS gemeldet war, an Krebs. „Er ist mit dem Schläuchel am Bett gehangen und hat von dort seine AMS-Betreuerin angerufen“, erzählt Spak. Diese Frau hatte nichts Besseres zu tun, als den Bettlägerigen von der Krankenversicherung abzumelden, weil er zum vereinbarten Termin nicht persönlich beim AMS erschienen war. Sein Hausarzt kümmerte sich um ihn, behandelte ihn gratis und erhielt die nötigen Medikamente von AmberMed. Inzwischen ist der Mann wieder versichert.
Rund 100.000 Menschen in ganz Österreich sind nicht krankenversichert, schätzt das Rote Kreuz. Sicher ist, dass sie nicht in einem unselbstständigen regulären Arbeitsverhältnis sind, meist keiner legalen Arbeit nachgehen und nicht ins österreichische Sozialsystem integriert sind. Ohne legalen Job, auch kein geregeltes Leben – Arbeit nur fallweise und oft unter inhumanen, körperlich fordernden Bedingungen. Schmerzen werden verdrängt, medizinische Hilfe oft nur dann gesucht, wenn die Pein nicht mehr länger zu ertragen ist.
Beinahe alle AmberMed-PatientInnen leben auch in prekären Wohnverhältnissen: teure Kleinstunterkünfte, oft ohne Fließwasser und mit schlechten oder keinen Kochgelegenheiten. Ein Leben ohne gesunde Ernährung und adäquate Bewegungsmöglichkeiten.
Derzeit behandelt AmberMed etwa 2.000 PatientInnen pro Jahr. Zwar ist der Migrationsanteil unter den Behandelten hoch, doch 2014 hat sich die Zahl der „echten ÖsterreicherInnen“, die versorgt werden müssen, verdoppelt. Waren es im Gründungsjahr 2004 noch 370 Menschen, die medizinisch betreut wurden, so hat sich das schlagartig verändert: „Es gab einen Hype von 2011 auf 2012. Wir gewannen einen Preis und FM4 machte uns damals zum Spendenprojekt für ‚Licht ins Dunkel‘. Das hat aber auch die Zahl der PatientInnen verdoppelt“, erzählt Leiterin Carina Spak.
Als das Projekt Amber am 12. Jänner 2004 vom Diakonie Flüchtlingsdienst gestartet wurde, war noch die medizinische Versorgung der zahlreichen Obdachlosen und nicht krankenversicherten Asylsuchenden das Ziel der Einrichtung. „Obdachlose kommen inzwischen nicht mehr zu uns, weil ich ihnen zu wenig Sozialarbeit anbieten kann. Wir können diese PatientInnen nicht zu einem Facharzt begleiten, sie benötigen intensive Betreuung und Motivationsarbeit, um Schritt für Schritt ins Leben zurückzufinden“, berichtet Spak.

Großteils durch Spenden finanziert

Schon seit August 2006 läuft die Einrichtung als Kooperation mit dem Österreichischen Roten Kreuz unter dem Namen AmberMed (ambulant-medizinische Versorgung, soziale Beratung, Medikamentenhilfe). Die Kooperation mit dem Roten Kreuz funktioniere sehr gut, so Spak: „Wir kümmern uns ums Inhaltliche, die Ärzte und das Finanzielle. Das Rote Kreuz stellt uns dafür die Räume und die Medikamente zur Verfügung.“ Darüber hinaus gibt es finanzielle Unterstützung von der Wiener Gebietskrankenkasse, dem Bundesministerium für Gesundheit und der Stadt Wien – ein großer Teil der Arbeit von AmberMed wird allerdings durch Spenden finanziert.

Vielfältige Ursachen

Selbst „Durchschnittsexistenzen“ kann es schnell treffen – Menschen, die lange im Ausland gelebt haben und nach Österreich zurückkehren, oder UnternehmerInnen, die in den Konkurs geschlittert sind. Viele Personen schämen sich, aufs Sozialamt zu gehen. Daneben sind auch „Totalverweigerer“, eine Gruppe, die bei AmberMed betreut wird. Carina Spak: „Eine unserer Patientinnen wollte einfach nichts vom Staat annehmen.“ Als die Frau dann schwanger wurde, konnte sie überzeugt werden, sich zum Wohle ihres Babys krankenversichern zu lassen. Andere werden mit Absicht von der Krankenversicherung abgemeldet: etwa Frauen, die sich wegen häuslicher Gewalt von ihren Ehemännern trennen wollen und die Versicherung dann als „Strafsanktion“ verlieren. Einen Rechtsanspruch, dass ein/e Ehe-PartnerIn mitversichert ist, gibt es nicht.
Im Warteraum von AmberMed führen StudentInnen derweil erste Gespräche, lokalisieren gesundheitliche Probleme. „Wir arbeiten mit der Sigmund Freud Privatuniversität zusammen. Es gibt dort viele Studierende verschiedener Kultur- und Sprachkreise“, berichtet Spak. Mehr als 40 ÄrztInnen arbeiten hier ehrenamtlich, weitere 40 Freiwillige sind als HelferInnen, AssistentInnen oder DolmetscherInnen im Einsatz. Dazu koordinieren vier hauptberufliche MitarbeiterInnen das Team. Viele der MitarbeiterInnen wollen einfach helfen, ÄrztInnen etwas zurückgeben oder mit einer anderen Klientel als sonst zu tun haben und aus Gewohntem ausbrechen.
Doch die Arbeit ist nichts für sanfte Gemüter – bei AmberMed sind unter anderem sexuelle Gewalt gegen Frauen oder Kriegsgräuel Themen. Andere Fälle muten beinahe schon skurril an. Spak weiß von einer stillenden Mutter, die sich wunderte, weshalb ihr Baby ständig schreit und nicht einschläft: „Dann kamen wir drauf, dass die Mutter eineinhalb Liter Energydrink pro Tag zu sich nimmt – den hat sie dann abgesetzt und das Baby konnte endlich schlafen.“
Jeder hat das Recht, anonym zu bleiben – trotzdem werden Daten aufgenommen, um Befunde zuzuordnen. „Es wäre auch unklug, ein falsches Alter anzugeben, denn das würde die Diagnose beeinflussen“, erklärt Spak.

Bei schweren Erkrankungen ist es schwierig, eine/n PatientIn in ein Krankenhaus zu überweisen – zwar darf ein Spital niemanden abweisen, wenn es um Leben und Tod geht, doch die Auslegung ist höchst unterschiedlich. Steht eine Geburt bevor, müssen Spitäler die werdende Mutter aufnehmen. Die Leistung des Krankenhauses ist zwar nicht gratis, aber die Rechnung kann erst im Nachhinein ausgestellt werden. Ist das Leben nicht unmittelbar bedroht, gibt es in der Regel ohne Geld oder E-Card plus Ausweis keine Behandlung – da bleibt die Verwaltung hart. Kleinere Eingriffe, etwa die Abnahme eines Gipses, können da schon verweigert werden. Spak: „Es wurde argumentiert, wenn der Patient den Gips behält, ist das nicht lebensbedrohlich.“ Allerdings sind die MitarbeiterInnen in der Aufnahme kein medizinisches Fachpersonal und „können oft nicht beurteilen, ob die Symptome vielleicht lebensbedrohlich sind“, kritisiert Spak.

Ehrenamtliche immer willkommen

Ehrenamtliche MitarbeiterInnen sind bei AmberMed übrigens stets willkommen: Fast jeder medizinische Bereich ist gefragt – außer Psychotherapie, die dort einfach nicht geleistet werden kann. Carina Spak: „Bei uns können persönliche Skills und interkulturelle Kompetenzen trainiert werden. Auch wenn es manchmal mühsam ist, bleiben wir immer höflich.“

Internet:
Medizinische Behandlung für Unversicherte:
www.amber-med.at
www.neunerhaus.at
tinyurl.com/pmub6gj (Marienambulanz Graz)

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