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Symbolbild zum Bericht Fehlende berufliche Möglichkeiten sowie das mangelnde Angebot an sozialen Dienstleistungen machen das Land oftmals wenig attraktiv für junge Menschen.
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Land ist nicht gleich Land

Schwerpunkt

Zwischen Stadt und Land gibt es viele Ungleichheiten. Verschiedene Projekte versuchen den ländlichen Raum attraktiver zu machen.

Viele Menschen in unseren Breiten haben Glück, denn sie können frei entscheiden, wo sie leben möchten. Sie können sich die Grundfrage stellen: Will ich in der Stadt oder auf dem Land leben? Diese Entscheidung fällt schon länger zugunsten der Stadt. Diese wachsen rasant, Speckgürtel verwandeln sich in Stadtgebiete und vormals ländliche Regionen werden zu Vororten. Schon jetzt lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten und die Entwicklung scheint sich sogar noch zu beschleunigen. Die UNO schätzt, dass 2070 mehr als drei Viertel der Menschen in Städten leben werden. Ländliche Regionen stellt dies vor große Herausforderungen: Viele können die Bevölkerung nicht halten und verlieren damit nicht nur Humanressourcen, sondern auch handfest Geld. Und je mehr Menschen aus einer Region abwandern, desto weniger wollen hinziehen, auch wenn die Vögel zwitschern, die Landschaft schön und die Luft rein ist.

Zurück aufs Land

Irmi Salzer ist 2002 wieder in die Nähe ihrer Heimat im Südburgenland gezogen, nachdem sie unter anderem in Wien und Brasilien studiert und gearbeitet hatte. Der wesentliche Grund: Sie und ihr Mann betreiben eine Landwirtschaft. Die beiden schätzen es, dass das Leben mit Kindern einfacher zu organisieren ist als in der Stadt. „Wenn das Kind auf dem Spielplatz spielen muss, weil ich Zeit habe – und nicht, weil es Lust hat“: Das gibt es bei ihr nicht. Vielmehr spielen die Kinder im Garten, wann sie möchten, und sie müssen nicht immer beaufsichtigt werden.
Begleitung brauchen sie aber, wenn sie in den Fußballverein oder zum Musikunterricht müssen. Salzer: „Am Anfang habe ich das noch nicht realisiert: Wenn die Kinder größer werden, muss man am Land ständig Taxi fahren.“ In ihrer Gemeinde Litzelsdorf wurde eine Kinder-Nachmittagsbetreuung organisiert, die von rund der Hälfte der Familien genutzt wird. Am Anfang wurden Salzer und andere Frauen schief angesehen, weil sie ihre Kinder in die Nachmittagsbetreuung schickten. Heute ziehen Familien deshalb sogar in den Ort. Und auch alte Menschen finden ein Angebot: Es gibt kleine, ebenerdige SeniorInnenwohnungen im Dorf.

Feministische Strategie fehlt

So positiv Salzer das Landleben sieht, ihr fehlt eine „feministische Strategie“ – und das hat Folgen. „Viele junge Frauen gehen in die Stadt und kommen nicht zurück“, weiß sie. Die Gründe: wenig Perspektiven und das Gefühl der Enge, ganz zu schweigen vom oftmals fehlenden Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen. Und so sehr sie die Vorteile des Landlebens genießt, so kommt auch sie zu dem Schluss: Sie würde ebenfalls die Stadt wählen, wenn sie keine Kinder hätte.
Jene, die sich mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigen, betonen, dass Stadt nicht immer Stadt und Land nicht immer Land ist. „Den“ ländlichen Raum gebe es nur als abstrakte Kategorie, sagt Michael Fischer von der Österreichischen Regionalberatung (ÖAR). In einer ländlichen Region entlang einer Hauptverkehrsachse sieht die Lage eben deutlich anders aus als in einer Grenzregion im Norden und Osten Österreichs.
Fischer hat in seiner sozialwissenschaftlichen Diplomarbeit die Lebensqualität in Stadt und Land verglichen. Dafür wertete er einen Teil der Studie „European Quality of Life Survey“ aus. Einige Erkenntnisse: „Menschen, die am Land wohnen, fühlen sich in Summe zufriedener und glücklicher als Menschen, die in der Stadt wohnen.“ So zeigten sich „große Unterschiede dahingehend, dass Sozialkontakte zu Familie, Freunden sowie das Vereinsleben im ländlichen Raum intensiver und positiver bewertet werden als in der Stadt“.
Oft entscheiden allerdings berufliche Möglichkeiten über die Wahl des Wohnortes. Daher versuchen ländliche Regionen, etwa durch Cluster das Jobangebot zu erweitern. Interessant sind Ansätze wie die Arbeitgeberzusammenschlüsse (AGZ), um Regionen für ArbeitnehmerInnen attraktiver zu machen. Die Idee: Kleine und mittelgroße Betriebe brauchen MitarbeiterInnen in der Buchhaltung, Raumpflege oder IT nur wenige Stunden pro Woche, viele ArbeitnehmerInnen streben aber eine Vollzeit-Beschäftigung an. Also schließen sich mehrere Unternehmen zusammen und teilen sich die Arbeitszeit der MitarbeiterInnen auf. In Frankreich und Deutschland gibt es dieses Modell schon länger. Der Regionalentwicklungsberater Leo Baumfeld, der den ersten AGZ Österreichs Ende 2014 begleitet hat, hält dies für eine gute Möglichkeit für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen.

„Gerechtigkeit – eine Tochter des Ortes?“ So lautet der Titel eines Arbeitskreises beim Forum Alpbach. Geleitet wird er von Barbara Guwak, Geschäftsführerin der Promitto Organisationsberatung. In Alpbach lässt sie die TeilnehmerInnen Gedankenexperimente machen. So müssen sie sich etwa für Stadt oder Land entscheiden und ihnen werden Fragen rund um Infrastruktur und Verkehr, Bildung oder soziales Leben gestellt. Zusätzlich sollen die TeilnehmerInnen bestimmte Haltungen einnehmen. Eine Gruppe geht mit dem Gedanken in das Experiment: „Gerecht ist, wenn die Ungleichheit verringert wird“; eine zweite wiederum nimmt an, dass gerecht sei, „wenn das, was möglich ist, geschehen kann“ – also gewissermaßen ein Innovations-Ansatz; die dritte Gruppe definiert gerecht, „wenn die Generationen nach uns auch noch etwas davon haben“. Guwak will auf diese Weise neue Aspekte in die Diskussion einbringen, denn: „Wenn man das Thema immer nur unter der Brille Gleichheit/Ungleichheit diskutiert, macht man den Raum sehr eng.“
Für Theresia Oedl-Wieser gehört es zu den entscheidenden Unterschieden von Stadt- und Landleben, dass junge Menschen und Frauen auf dem Land oft schlechtere Chancen haben. Sie ist Senior Researcher an der Bundesanstalt für Bergbauernfragen und hält fest: „Das Arbeitsplatzangebot ist nicht so stark ausdifferenziert wie in städtischen Regionen, die Löhne sind deutlich niedriger. Und das kleinbürgerliche Ideal der Familie hat noch große Gültigkeit.“ Die Erwerbstätigkeit von Frauen nehme zwar zu, aber vielfach handle es sich um Teilzeitbeschäftigung. Und das Gender Pay Gap sei in ländlichen Regionen besonders ausgeprägt.

Gesellschaft schon weiter

Oedl-Wieser streicht Ansätze wie jenen des EU-Förderprogramms LEADER hervor, das Initiativen im ländlichen Raum fördert. Im Nationalpark Kalkalpen etwa wurde 2010 bis 2012 ein Aus- und Weiterbildungsprojekt namens REWITEG durchgeführt. Dabei erhielten Frauen eine Bildungsberatung, unter anderem zu handwerklichen und technischen Berufen, und sie konnten mobile Weiterbildungsangebote in EDV und Kommunikation in Anspruch nehmen, Seminare zur Vorbereitung des Wiedereinstiegs besuchen und eine Ausbildung im Bereich Pflege und Gesundheit absolvieren.
Um das Leben auf dem Land wieder für mehr Menschen interessanter zu machen, sieht Theresia Oedl-Wieser die Politik in der Pflicht – besonders bezüglich Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Zum Beispiel sollten flexiblere Arbeitszeitmodelle für Väter möglich sein. Die Entwicklung in der Gesellschaft ist hier schon viel weiter fortgeschritten als in der Politik und der Wirtschaft.“
Kooperationen zwischen Gemeinden wären denn auch ein gutes Rezept, um das Angebot an sozialen Dienstleistungen im ländlichen Raum auszubauen. Denn oftmals kann sich das eine Gemeinde allein finanziell nicht leisten und/oder die Einrichtung wäre möglicherweise nicht ausgelastet, obwohl es durchaus Bedarf geben würde. Dazu kommt die oftmals schwierige Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Gibt es kein ausreichendes Angebot an sozialen Dienstleistungen, hat dies vor allem eins zur Folge: dass Frauen die jeweiligen Tätigkeiten übernehmen – und damit ihre Qualifikationen und Potenziale am Arbeitsmarkt nicht einsetzen können. In Österreich arbeiten manche Gemeinden bereits zusammen. Abhängig ist dies allerdings oftmals von einzelnen engagierten Personen, wie eine Studie im Auftrag von AK und ÖGB im Jahr 2011 feststellte. Es müssten deshalb mehr Anreize für die Kooperation auf regionaler Ebene geschaffen werden – und das müsste sich auch in den Budgets niederschlagen.

Internet:
Netzwerk Land:
www.netzwerk-land.at
Netzwerk für regionale Entwicklung:
www.progressnetz.at
AK zum Thema Soziale Dienstleistungen:
tinyurl.com/ouwws87

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alexandra.rotter@chello.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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