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Symbolbild zum Bericht Henry Ford hob die Löhne seiner ArbeiterInnen an, um ihnen den Kauf der vom Fließband rollenden Neuwagen zu ermöglichen.

Wachstumsbremse Ungleichheit

Schwerpunkt

Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist eine Ursache für die aktuelle Krise. Die Profitlogik gerät dabei in Widerspruch mit dem Wirtschaftswachstum.

Henry Ford II, der Enkel des gleichnamigen Autofabrikanten und Firmengründers, soll einst den Gewerkschaftsführer Walter Reuther durch seine neu automatisierte Fabrik geführt haben. Der Unternehmer fragte provokant: „Und, Walter, wie bringst du all die Roboter jetzt in die Gewerkschaft?“ Der Gewerkschafter konterte: „Henry, wie bringst du sie denn dazu, dass sie deine Autos kaufen?“ Sein Großvater Henry Ford – umstritten durch seine antisemitischen Schriften und Verbindungen zu den deutschen Nationalsozialisten – bewies mehr Verständnis für den Wirtschaftskreislauf. Er war der Überzeugung, dass nur eine große Nachfrage nach seinen Autos Geld ins Unternehmen spült. Ford hob die Löhne an, um den Arbeitern den Kauf der vom Fließband rollenden Neuwagen zu ermöglichen. Ford wurde damit zum Namensgeber für die blühende Phase des Kapitalismus der Nachkriegszeit, die von Massenproduktion und -konsum geprägt war: dem Fordismus. Die Nachfrage nach Konsumgütern trieb den schöpferischen Kreislauf von Produktion, Wirtschaftswachstum, Beschäftigungszunahme und Einkommenszuwachs an, der den Lebensstandard breiter Bevölkerungsteile sicherstellte.

Realwirtschaft schwächelt

Wenn der Konsum bei sinkenden oder gar wegbrechenden Einkommen allerdings rückläufig ist, gerät der Wirtschaftsmotor ins Stocken. Die Anekdote vom Autofabrikanten und dem Gewerkschafter zeigt, dass beispielsweise die Ablöse menschlicher durch maschinelle Arbeitskraft einen Einkommens- und Nachfragerückgang bewirken kann. Aber auch ein aggressives Profitstreben von Unternehmen und starker Druck auf die Löhne von ArbeitnehmerInnen wirken sich negativ auf die Konsummöglichkeiten der breiten Bevölkerung aus. Beanspruchen die UnternehmerInnen ein zu großes Stück des Kuchens für sich, berauben sie sich dadurch auch der eigenen Absatzmöglichkeiten.

Sinkende Lohnquote

Nichtsdestotrotz wird das Kuchenstück auch für österreichische ArbeitnehmerInnen seit den 1980er-Jahren immer kleiner, die Lohnquote sinkt im langfristigen Trend. Zudem wächst die Ungleichheit innerhalb der Gruppe der Lohnabhängigen zwischen einigen wenigen SpitzenverdienerInnen und der großen Mehrheit.
Vor allem Personen in Teilzeit oder prekärer Beschäftigung mussten im vergangenen Jahrzehnt sogar Reallohneinbußen hinnehmen. Es wird somit für viele Menschen immer schwieriger, ihren Lebensstandard durch ihr laufendes Einkommen zu halten oder sogar auszubauen. Wenn aber durch die steigende Ungleichheit die Kaufkraft großer Bevölkerungsteile schwindet, drohen die Unternehmen auf ihren Produkten sitzen zu bleiben. Die Profitlogik, die auf niedrige Löhne pocht, steht im Widerspruch zu einem Wirtschaftswachstum, das auf Massenkonsum basiert.
Um diesem Nachfragemangel zu begegnen, verfolgte die Wirtschaftspolitik zwei Strategien, die sich in den vergangenen Jahren aber als nicht nachhaltig herausstellten. Zum einen wurde versucht, mittels großzügiger Kreditvergabe die sinkende Kaufkraft über erhöhte Verschuldung auszugleichen. Vor allem die USA gelten als Beispiel, wie die Nachfrage der privaten Haushalte und damit das Wirtschaftswachstum über die Aufnahme von Schulden vorübergehend stabilisiert wurde. Allerdings zeigten sich die Auswirkungen dieses Wachstumsmodells an der massiven Überschuldung vieler Haushalte in der aktuellen Krise.
Als alternative Lösung vernachlässigte die Wirtschaftspolitik in einigen Ländern weitgehend die heimische Nachfrage und setzte auf den Konsum des Auslands. Dieses exportgetriebene Wachstumsmodell verfolgten Deutschland und eingeschränkt auch Österreich, die sich durch Lohnzurückhaltung und Nachfrageschwäche im Inland auszeichneten. Auch dieses Modell wurde durch die Krise auf die Probe gestellt, denn die ausgeprägte Exportorientierung trägt eine Teilschuld an den starken Ungleichgewichten zwischen den europäischen Staaten.

Finanzmärkte boomen

Vor diesem Hintergrund der schwachen Nachfrage der lohnarbeitenden Mittelschicht treffen große Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen, denn ihr Kapital soll möglichst profitabel eingesetzt werden. Die kriselnden Absatzmärkte lassen eine Investition an den Finanzmärkten oft lukrativer erscheinen als die traditionelle Güterproduktion. So betreiben Industriegiganten wie Volkswagen oder Siemens Finanzsparten erstaunlicher Größe und erhöhen die Gewinne abseits ihres Kerngeschäfts in der Realwirtschaft. Die in wenigen Händen konzentrierten Finanzvermögen von Hedgefonds und Superreichen, die an den Kapitalmärkten Renditen jagen, fallen aber deutlich mehr ins Gewicht.
Die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte sowie die explosionsartige Verbreitung neuer Finanzinstrumente bezeugen die rasch zu-nehmende Bedeutung der Kapitalmärkte für Spekulation, große Bankenpleiten sind die Mahnmale der darauffolgenden Finanzkrise. Denn die Begleiterscheinungen dieser zügellosen Suche nach Profiten sind Instabilität und Blasenbildung an den Finanzmärkten, die sich jüngst mit voller Wucht auf die Realwirtschaft durchgeschlagen haben. Es waren die stark konzentrierten Finanzvermögen und nicht die kleinen SchuldnerInnen, die in der jüngsten Krise den großen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet haben.

Verschärfte Verteilungssituation

Die tiefe Krise hat zu einer zusätzlichen Verschärfung der Verteilungssituation beigetragen, die einen Aufschwung erschwert. Denn während die ArbeitnehmerInnen die Auswirkungen steigender Arbeitslosigkeit, niedriger Einkommen und drohender Einsparungen im Wohlfahrtsstaat spüren, werden die großen Vermögen nur unzureichend zur Finanzierung der Krisenbewältigung herangezogen. Die angespannte Wirtschaftslage, gepaart mit dem Verteilungsproblem, beunruhigt viele. „Die Zukunfts- und Jobsorgen der privaten Haushalte sorgen weiterhin für Konsumzurückhaltung, Unternehmen investieren wenig und auch die Staaten zügeln ihre Ausgaben“, stellt der Verteilungsexperte Stefan Humer vom WU-Forschungsinstitut „Economics of Inequality“ fest.

Umorientierung nötig

Wenn nun also Ungleichheit zu Wachstumsschwäche führt, kann der Kampf gegen Ungleichheit das Wirtschaftswachstum antreiben? Diese Frage ist in der Wirtschaftswissenschaft umstritten. Die neoliberale Mainstream-Ökonomie pflegt das Argument, dass Umverteilung von oben nach unten die Anreize für Investitionen und Beschäftigung verringert und damit schädlich für Wachstum ist.
In den vergangenen Jahren werden aber Stimmen in der OECD und sogar im Internationalen Währungsfonds (IWF) lauter, die Umverteilung und Wachstum nicht im Widerspruch sehen. „Alles in allem zeigen unsere Resultate, dass die Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen schlecht für Wachstum ist und dass Umverteilung im schlimmsten Fall neutral auf Wirtschaftswachstum wirkt“, heißt es im neuen OECD-Bericht „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“.
Folgt man diesen Ausführungen, sind eine gleichere Verteilung und Wirtschaftswachstum mittels sinnvoller Steuer- und Transferpolitik gemeinsam erreichbar. Während manche ÖkonomInnen eine Rückkehr in das fordistische Zeitalter für möglich halten, bleiben andere skeptisch, ob der industrielle Kapitalismus nochmals eine blühende Phase erleben wird. Denn das auf Massenkonsum basierende Wirtschaftssystem florierte in Europa in einer außergewöhnlichen historischen Periode, der die massive Zerstörung der Weltkriege voranging.

Neue Wertigkeiten

Heute stellt sich die Frage, ob Wirtschaftswachstum im Spannungsfeld von ökologischen und sozialen Konsequenzen überhaupt im Zentrum der Wirtschaftspolitik stehen soll. Es geht nicht um die Debatte „Wachstum ja oder nein“, sondern um eine Umorientierung der Wertigkeiten in der Gesellschaft. Deshalb ist eine gerechtere Verteilung der ökonomischen Ressourcen nicht vorrangig als Bedingung für Wirtschaftswachstum, sondern als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und gute Lebensbedingungen für die breite Bevölkerung zu sehen.

Internet:
OECD-Studie „In It Together: Why Less Inequality Benefits All“:
tinyurl.com/ppovctc

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