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Symbolbild zum Bericht Wer der Sprache nicht mächtig ist, wähnt sich im österreichischen Gesundheitssystem schnell verloren.

Hilfe im Gesundheits-Dschungel

Schwerpunkt

Ungleichheit macht krank - vor allem MigrantInnen. Projekte wie "MiMi-GesundheitslotsInnen" schaffen Abhilfe.

Ungleichheit macht krank: Gesundheitsstudien zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen schwacher sozioökonomischer Situation und schlechter Gesundheit. Besonders davon betroffen sind MigrantInnen, denn beinahe die Hälfte der eingebürgerten MigrantInnen und 60 Prozent der Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft sind HilfsarbeiterInnen (jeweils Nicht-EU/EFTA). MigrantInnen sind weniger in den Arbeitsmarkt integriert und verfügen häufiger über ein geringes Einkommen als ÖsterreicherInnen. Von daher sollte die Formel adaptiert werden: Ungleichheit macht vor allem MigrantInnen krank.

Inklusive Politik als Grundlage

Die Studie „Migration und Gesundheit“ zeigt insbesondere auf, dass sich der (sozio-)kulturelle Hintergrund indirekt auf die Gesundheit auswirkt. Denn Diskriminierungserfahrungen haben eine Auswirkung auf die psychische Gesundheit, als chronischer Stressfaktor können sie zu körperlichen Beschwerden führen. Diskriminierung könnte über den Umweg der ökonomischen und sozialen Benachteiligung gesundheitsschädigend wirken: Man lebt am Rand der Gesellschaft, ist von Existenzängsten geplagt, krank und leidet an Schmerzen – zögert aber den Weg zum Arzt oder zur Ärztin hinaus.
Josef Wallner, Leiter der AK-Wien-Abteilung Arbeitsmarkt und Integration, setzt auf eine moderne Gesundheitspolitik: „Besonders einbezogen werden sollten jene, die mit weniger Einkommen und Bildung, oft bedingt durch ein hartes Arbeitsumfeld, mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben.“ Eine inklusive Wirtschafts-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sei die Grundlage jeder erfolgreichen Gesundheitspolitik. Denn derzeit nehmen, im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung, Menschen mit Migrationshintergrund das österreichische Gesundheitswesen im niedergelassenen Bereich seltener in Anspruch – besonders Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention. Im Einwanderungsland Österreich betrifft das etwa jeden fünften Menschen, in Wien sogar 40 Prozent. Migrantinnen gehen seltener zur Mammografie-Untersuchung (55 Prozent) als Frauen ohne Migrationshintergrund (70 Prozent). Extreme Unterschiede bei Männern: Die Prostata-Untersuchung nehmen nur 18 Prozent der Migranten, aber immerhin 51 Prozent der Männer ohne Migrationshintergrund wahr.
AK-Experte Wallner hält es für besonders wichtig, dass Praxisprojekte, die der Stärkung von Gesundheitsbewusstsein und Selbsthilfekompetenz zur Überwindung kultureller Schranken dienen, ausgebaut und unterstützt werden. Inzwischen gibt es in Österreich bereits eine Reihe solcher Projekte. „Migrant-Friendly Hospitals“ lautet etwa der Titel eines entsprechenden EU-Projekts. Das Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital ist eines von zwölf Pilot-Krankenhäusern in der EU, in denen erprobt wurde, wie mehr Diversität im Krankenhaus stattfinden kann. Im Jahr 2004 wurden dort zudem folgende Subprojekte durchgeführt: Professionalisierung des Dolmetschwesens im Spital; muttersprachliche Kurse für schwangere Migrantinnen rund um die Geburt; Personal-Kurse zur Überwindung kultureller Schranken und Verbesserung der Kommunikation im Krankenhausalltag.

Prävention stärken

Um Krankheiten im Vorfeld zu vermeiden, will das Projekt „Nachbarinnen in Wien“ die Gesundheitsprävention in MigrantInnen-Communities stärker verankern. Dort werden unter anderem Frauen mit türkischer, arabischer, somalischer und tschetschenischer Muttersprache in einem fünfmonatigen Lehrgang ausgebildet: Nachbarinnen begleiten, unterstützen und helfen bei integrationsfördernden Maßnahmen. Hauptanliegen ist die Förderung der Schulbildung der Kinder sowie Hilfe zur Selbsthilfe. Im Schuljahr 2013/2014 fanden 191 Familien Nachbarinnen-Hilfe.
In Oberösterreich wurden für das „Projekt Nachbarinnen“ 15 Frauen aus zehn Ländern sieben Monate lang für „aufsuchende Familienarbeit im transkulturellen Kontext“ ausgebildet. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich eine umso konkretere Arbeit: Die „Nachbarinnen“ gehen in die Familien, sollen für Partizipation in der Gesellschaft sorgen, Isolation durchbrechen oder Bildung und Gesundheit in der Familie fördern.
Ein Weg zur grenzenlosen Verständigung ist das Volkshilfe-Projekt „MiMi-GesundheitslotsInnen“. Die Kurzform bezeichnet „Mit MigrantInnen für MigrantInnen“. MigrantInnen fühlen sich am ehesten zur Gesundheitsvorsorge motiviert, wenn sie direkt angesprochen werden. Doch neben verschiedenen Zugangsbarrieren sind spezifische Hürden entscheidend.

Sprachbarrieren abbauen

Zu einem tragischen Missverständnis kam es vor zwei Jahren: Eine schwangere Irakerin ohne Krankenversicherung wurde in zwei Wiener Spitälern abgewiesen. Ihre Odyssee endete in Linz. Das Missverständnis: Sie wäre in Wien aufgenommen worden, da sie aber weder Sprache noch den Hausgebrauch kannte, glaubte sie, dass sie nicht behandelt werden würde. Mit der Ausbildung von MiMi-GesundheitslotsInnen in Wien und Oberösterreich will die Volkshilfe seit 2012 diesem riesigen Problem der Fehlkommunikation entgegenwirken. Gesamt wurden 135 HelferInnen (70 Prozent Frauen) ausgebildet – Schulung, Informationsveranstaltungen, Gesundheitswegweiser, Vernetzung und Evaluation gehören dazu. Die meisten LotsInnen (93 in Wien, 42 in Oberösterreich) stammen aus der Türkei, den BKS-Staaten (Bosnien, Kroatien, Serbien) und Gebieten wie Tschetschenien oder der Ukraine.
Das österreichische Gesundheitssystem ist freilich ein umfassender Teil der Ausbildung. Es werden Fragen beantwortet wie: Wie funktioniert das System? Was ist eine E-Card? Wie bekomme ich sie? Wie oft kann ich mit ihr zum Arzt gehen? Was für manche geradezu logisch klingen mag, liegt für Menschen, die in anderen Gesundheitssystemen aufgewachsen sind, nicht immer auf der Hand. Wer der Sprache nicht mächtig ist, wähnt sich da schnell verloren. Darauf nimmt die Ausbildung Rücksicht. „Das gesamte Sozialversicherungssystem wird beschrieben oder was bei einer geringfügigen Beschäftigung an Versicherungen inkludiert ist“, erzählt Barbara Kuss, stellvertretende Gesamtleiterin der MiMi-GesundheitslotsInnen und Mitarbeiterin der Volkshilfe. „Viele MigrantInnen kennen das Hausarztsystem nicht, auch ist für manche gewöhnungsbedürftig, dass nicht jede Ambulanz für jede Krankheit zuständig ist“, weiß Kuss.
Wegen sprachlichen Missverständnissen sind MigrantInnen bisweilen sogenannte Arzt-Hopper: Da nicht genau verstanden wird, was der jeweilige Arzt vorschlägt, wird der nächste Arzt oder die nächste Ärztin aufgesucht. Das Fehlen von Dolmetsch-Diensten wiederum wird durch die Familie kompensiert. In einer deutschen Untersuchung aus dem Jahr 2003 wurde etwa festgestellt: Bei einem Drittel der PatientInnen mit türkischem Migrationshintergrund übersetzen begleitende Familienangehörige. Es ist unangenehm, wenn Vertraute u. a. intime Fragen stellen müssen, oft wird auch aus Scham nicht nachgefragt, wenn etwas nicht verstanden wird. Besonders problematisch ist es, wenn Kinder als Informationsvermittler eingesetzt werden.

Voraussetzung Interesse

MiMi-GesundheitslotsInnen müssen aber nicht in Gesundheitsberufen arbeiten, Bedingung ist vielmehr das Interesse. Dennoch waren unter den KursteilnehmerInnen bereits ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und KindergartenpädagogInnen. Entscheidend sind außerdem ein guter Anschluss in der Community und gute Deutschkenntnisse. „GesundheitslotsInnen dürfen nur Information weitergeben. Sie bringen die Basisinfos und verweisen an ExpertInnen, in medizinischen Angelegenheiten sind die MiMis nicht selber beratend tätig. Das ist wichtig, denn darin sind sie nicht ausgebildet“, stellt Barbara Kuss klar. Eigenständige Info-Veranstaltungen werden in Kulturzentren, Moscheen oder Bildungseinrichtungen durchgeführt, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Die Arbeit der MiMis ist freiwillig. Für ihren Aufwand erhalten sie eine geringe finanzielle Entschädigung. Im Herbst startet ein neues Projekt zum Thema Kindergesundheit, für das unter den ausgebildeten MiMis 24 Menschen ausgewählt werden. MiMis schützen: Je früher die Menschen zum Arzt gehen, desto eher kann eine Krankheit geheilt werden. Auch hier spart sich der Staat auf lange Sicht Geld.

Internet:
Studie „Migration und Gesundheit“:
tinyurl.com/o8eba7n
Migrant-Friendly Hospitals:
www.mfh-eu.net/public/home.htm
Projekt Nachbarinnen:
www.nachbarinnen.at
Projekt Nachbarinnen in OÖ:
tinyurl.com/ptq4hee

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