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Fair verteilen statt reduzieren Ob es um die Bildung, eine aufwendige Operation, Arbeitslosigkeit oder die Pension geht: Die Kosten werden zum großen Teil solidarisch getragen und nicht zum Privatrisiko gemacht.

Fair verteilen statt reduzieren

Schwerpunkt

Nicht die Höhe der Abgabenquote ist das Problem, sondern ihre Zusammensetzung. Warum Vergleiche hinken und Steuern gut sind.

Die Gewerkschaften haben mit der Kampagne „Lohnsteuer runter!“ Druck für eine Steuerentlastung der ArbeitnehmerInnen gemacht. Dabei ist es den Gewerkschaften ausdrücklich nicht darum gegangen, die Steuern insgesamt zu senken. Vielmehr geht es darum, die Steuerlast fairer zu verteilen. Keinesfalls sollte auf den Zug derer aufgesprungen werden, die Steuern prinzipiell für zu hoch erachten und eine Steuerreform v. a. durch Ausgabensenkungen gegenfinanzieren wollen. Der Staat und seine Leistungen werden überwiegend aus Massensteuern finanziert. Demgegenüber sind Vermögen nahezu steuerbefreit und auch Gewinne werden steuerlich wesentlich schonender behandelt. Während die Einnahmen aus Lohnsteuern nicht zuletzt wegen der kalten Progression laufend stärker steigen als die Löhne und Gehälter, ist es bei den Gewinnen umgekehrt: Die Einnahmen aus Gewinnsteuern entwickeln sich langsamer als die Gewinne.
Es geht ÖGB und AK also darum, das Aufkommen der Steuern fairer zu verteilen. Steuern sind notwendig und wichtig, um öffentliche Leistungen zu finanzieren. Ein gutes Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem und eine ausgebaute Infrastruktur sind Werte, die es notwendig machen, Steuern zu zahlen. Dies spiegelt sich in einer hohen gesamtwirtschaftlichen Abgabenquote wider. Öffentliche Leistungen machen die Gesellschaft lebenswerter und gerechter. Aber die Akzeptanz eines Steuersystems hängt auch davon ab, dass die Steuerlast fair verteilt wird und nicht Steuerschlupflöchern und Sonderregelungen für die einen eine sehr hohe Steuerlast für die anderen gegenübersteht.

Ach du liebe Abgabenquote!

VertreterInnen der Wirtschaft und selbst ernannte MittelstandsrepräsentantInnen werden nicht müde zu behaupten, für den Standort Österreich sei eine Senkung der Abgabenquote unerlässlich. Die Abgabenquote setzt das Volumen von Steuern und Sozialabgaben zur jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) in Relation. Die Abgabenquote ist ein Indikator für den Umfang der Staatstätigkeit eines Landes. Sie liefert allerdings keine Information über die Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft.
Für die Neoliberalen ist die Sache relativ einfach: je niedriger die Steuern und je niedriger die Abgabenquote, desto besser. Doch das ist eine verkürzte und ökonomisch völlig unsinnige Sichtweise: Die Abgabenquote misst nämlich nur die Höhe der Abgaben, nicht jedoch, was man dafür bekommt. Sie sagt lediglich etwas über die Kosten des Staates aus und nichts über seinen Nutzen. Somit kann man anhand dieser Maßzahl keine Kosten-Nutzen Analyse vornehmen. Wenn der Staat bestimmte Leistungen effizienter und effektiver erbringt als der freie Markt (z. B. soziale Sicherheit, flächendeckende Gesundheitsversorgung, Bildung), dann ist eine hohe Abgabenquote ausdrücklich einer niedrigen Abgabenquote vorzuziehen.
Neoliberale publizieren regelmäßig den sogenannten Tax Freedom Day, ab dem ein durchschnittlicher österreichischer Steuerzahler genug Geld verdient hat, um die jährlichen Steuern und Abgaben zu zahlen. 2014 war das angeblich der 12. August.1 Das damit unterstellte Bild beeindruckt leider allzu oft: Die „armen Menschen“ in Österreich müssen das halbe Jahr für den Staat arbeiten und erst danach für sich. Aber das stimmt so nicht, denn man erhält täglich öffentliche Leistungen. Auch vor dem 12. August werden Kinder in Schulen und Kindergärten gebildet, werden Menschen gesundheitlich behandelt und nutzt man öffentliche Verkehrsmittel und Straßen. Der Staat versenkt die Abgaben ja nicht in einem schwarzen Loch, sondern finanziert damit öffentliche Leistungen, die der Bevölkerung zugutekommen. Der Tax Freedom Day ist eine Mischung aus Halb- und Falschinformation, denn den Abgaben werden keine Leistungen gegenübergestellt. Die Qualität dieser Aussage ist so seriös, wie wenn man das Körpergewicht eines Menschen unabhängig von der Körpergröße beurteilen würde.

Der hinkende Vergleich

Die Menschen zahlen in Österreich nicht nur höhere Abgaben als in einigen anderen Ländern, sondern sie erhalten auch mehr Leistungen vom Staat, die sie sich woanders erst am Markt zukaufen müssen. Deutschland hat mit 39,6 Prozent eine niedrigere Abgabenquote als Österreich mit 43,9 Prozent. Allerdings ist die soziale Absicherung in Deutschland weitaus schlechter. Arbeitslose landen bald in der Sozialhilfe und die öffentlichen Pensionen sind auch für mittlere Einkommen so gering, dass man oft von Altersarmut betroffen ist.
Dazu ein Vergleich: Die OECD errechnet in Fallbeispielen das Pensionsniveau, das man erhält, wenn man ab dem 20. Lebensjahr bis zum Regelpensionsalter das Durchschnittseinkommen erzielt: In Österreich macht die Bruttopension in diesem Fall 76,6 Prozent des Einkommens aus, in Deutschland bei einem um zwei Jahre späteren Pensionsantritt (weil das Regelpensionsalter auf 67 Jahre angehoben wird) 42 Prozent. Und diese Pensionslücke im Vergleich zu Österreich durch Vorsorgeprodukte zu schließen kommt weitaus teurer als die etwas höheren Sozialversicherungsbeiträge: Arbeitgeber- und ArbeitnehmerInnenbeitrag betragen in Deutschland 18,7 Prozent und in Österreich 22,8 Prozent.

Schön für die Statistik

Was das Sozialsystem nicht leistet, muss man selbst bezahlen. Durch die österreichische Krankenversicherung haben alle Versicherten und ihre Angehörigen Zugang zu medizinischer Versorgung auf hohem Niveau, und das zu Beiträgen unter vier Prozent des Bruttoentgelts. In Ländern mit privaten Versicherungen wie den Niederlanden oder Deutschland ist die Belastung durch die Krankenkassen oft weit höher, aber da es sich um Zahlungen in private Versicherungen handelt, wird das nicht in die Abgabenquote gerechnet. Das ist schön für die Statistik, kommt den Menschen aber oft teurer.
Eine niedrigere Abgabenquote heißt weder, dass es den Menschen in einem Land besser geht, noch dass es wirtschaftlich erfolgreicher ist. Es kommt – wie immer – darauf an, ob die Einnahmen aus den Abgaben sinnvoll eingesetzt werden. Die Länder mit der niedrigsten Abgabenquote in der EU sind Rumänien, Litauen, Lettland und Bulgarien. Unter den Ländern mit der höchsten Abgabenquote befinden sich Dänemark, Schweden, Belgien und Frankreich. Es gibt also gerade unter Ländern mit einer hohen Abgabenquote wirtschaftlich sehr erfolgreiche. Einen einfachen Zusammenhang, der auf „viel Staat muss Wirtschaft und Wohlstand schaden“ hinausläuft, gibt es offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und der Abgabenquote. Dieser drückt aus, dass wirtschaftlicher Fortschritt auch in sozialen Fortschritt umgesetzt wurde.
Aus der Vermögensstudie der Europäischen Zentralbank2 geht hervor, dass in Österreich nur 35,6 Prozent der Haushalte Schulden haben. Zum Vergleich: In der ganzen Eurozone sind es 43,7 Prozent. Die mittlere Verschuldung (Median) lag in Österreich mit 13.800 Euro weitaus niedriger als in der Eurozone mit 21.500 Euro. Das ist der positive Ausdruck des hohen öffentlichen Leistungsniveaus, das in Österreich durch eine hohe Abgabenquote finanziert wird.

Kosten werden solidarisch getragen

Ob es sich um die Bildung der Kinder, eine aufwendige Operation, Arbeitslosigkeit oder die Pension handelt: Die Kosten werden zum großen Teil solidarisch getragen und nicht zum Privatrisiko gemacht. Das ist ein Wert an sich, der es rechtfertigt, Steuern und Abgaben zu zahlen. In den USA ist die Steuerlast für viele geringer. Den Menschen geht es dadurch schlechter und nicht besser: Häufigste Ursache für einen Privatkonkurs ist, dass Menschen eine schwere Krankheit haben. Wer eine gute Ausbildung machen will, muss diese selbst finanzieren. Ohne reiche Eltern muss man Kredite aufnehmen. Folglich beenden viele Menschen hoch verschuldet ihr Studium und zahlen dann jahrzehntelang ihren Bildungskredit zurück. Das zeigt, dass niedrigere Steuern zu weniger statt mehr Freiheit und Sicherheit führen können, von Gerechtigkeit und Chancengleichheit ganz zu schweigen.

1 tinyurl.com/nlgwxnr
2 „The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey. Results from the first wave“, April 2013, S. 51 bis 56.

Nachlese:
Vanessa Mühlböck „Mythos der hohen Abgabenquote“, in: Arbeit&Wirtschaft 10/14.
Markus Marterbauer „Vermögen für Sozialstaat“, in Arbeit&Wirtschaft 10/14.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor david.mum@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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