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Symbolbild Eine Gewerkschaft ist mehr als ein Sammelverein von Protestunterschriften.

Solidarisch statt zersplittert

Schwerpunkt

Um die Interessen der Mitglieder wirksam vertreten zu können, braucht es Ressourcen und Strukturen. Wichtigste Voraussetzung für all das: viele Mitglieder.

Auf dem Papier ist es einfach, eine Gewerkschaft zu gründen. Als Rechtsform sind eine ganze Menge Konstruktionen denkbar, in erster Linie wird wohl ein Verein naheliegend sein. Da in Österreich grundsätzlich Vereinsfreiheit herrscht, muss eine Gründung nur angezeigt werden. Der Verein muss nicht genehmigt werden, könnte aber von der Behörde unter bestimmten, sehr engen Voraussetzungen untersagt werden. Etwa dann, wenn der Vereinszweck gegen Gesetze verstößt oder gar der nationalsozialistischen Wiederbetätigung dient.

Vereinszweck

Wenn sich dieser Verein nun in seinen Statuten die Vertretung der Interessen der ArbeitnehmerInnen zur Aufgabe macht, darf er sich sogar „Gewerkschaft“ nennen. Allein: Wenn dies nicht auch der Vereinszweck ist, kann die Behörde die Bezeichnung wegen Irreführung untersagen. Eine „HandynutzerInnen-Gewerkschaft“ als Vertretung der KonsumentInnen gegenüber der Telekommunikationswirtschaft wäre zum Beispiel nicht zulässig, ebensowenig eine „AutofahrerInnen-Gewerkschaft“.
Aber nur, weil es nicht verboten ist, sich „Gewerkschaft“ zu nennen, heißt das noch lange nicht, dass man auch eine Gewerkschaft ist. Interessenvertretung bedeutet nämlich mehr als nur das Kanalisieren von Unzufriedenheit, und eine Gewerkschaft ist mehr als ein Protestunterschriften-Sammelverein. Um die Interessen der Mitglieder wirksam vertreten zu können, braucht es Ressourcen und Strukturen: ExpertInnen, die mit rechtlichen Ratschlägen bereitstehen, finanzielle Mittel, um Studien und Analysen in Auftrag zu geben, die organisatorische Kraft, um viele Menschen laufend informieren zu können – und diese, wenn nötig, auch auf die Straße zu bringen. Wichtigste Voraussetzung für all das: viele Mitglieder.

Unabhängig von den Gegnern

Außerdem kann eine Gewerkschaft ihre Mitglieder nur glaubwürdig vertreten, wenn sie unabhängig von ihren Gegnern ist, also nicht etwa von den Arbeitgebern finanziert wird. Auch einen Branchenverband, der sowohl ArbeitnehmerInnen als auch Arbeitgeber einer Branche unter einem Dach versammelt, kann man nicht als Gewerkschaft bezeichnen.
Im Verständnis des ÖGB genügt es nicht, sich auf wenige Mitglieder in bestimmten Berufen oder Positionen zu konzentrieren, also zum Beispiel nur auf ÄrztInnen, FlugzeugpilotInnen oder AbteilungsleiterInnen. Vielmehr sollte es immer um die Interessen aller Beschäftigten in einer gesamten Branche gehen oder noch weiter gefasst: um einen Ausgleich der Interessen aller Beschäftigten innerhalb eines Unternehmens, innerhalb einer Branche – und letztlich um Solidarität in der gesamten österreichischen Gesellschaft.
Eine der zentralen Aufgaben in der Vertretung der Interessen von ArbeitnehmerInnen ist das Verhandeln über Arbeits- und Entgeltbedingungen. Das wesentliche Instrument dafür sind die Kollektivverträge. Eine „Gewerkschaft“, die keine Kollektivverträge verhandeln und abschließen kann, weil sie nicht kollektivvertragsfähig ist, ist wohl nicht mehr als ein Debattierklub.
Für kollektivvertragsfähig kann sich eine Gewerkschaft aber nicht selbst erklären, und erst recht können sich Arbeitgeber(vertretungen) nicht selbst aussuchen, mit welchem Verein sie am liebsten Kollektivverträge aushandeln würden. Der Gesetzgeber fordert – aus gutem Grunde – bestimmte Kriterien für die Zuerkennung einer Kollektivvertragsfähigkeit. Sie wird auf Antrag vom Bundeseinigungsamt zuerkannt, der ÖGB besitzt sie seit 1947.

Kollektivvertragsfähigkeit

Die Voraussetzungen für die Kollektivvertragsfähigkeit hat der Gesetzgeber genau geregelt. Im Arbeitsverfassungsgesetz (§ 4 ArbVG) stehen als Bedingungen „maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung“ durch entsprechende Zahl der Mitglieder und den Umfang der Tätigkeit, die Gegnerunabhängigkeit sowie dass sie „in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich tätig werden“. Damit ist gewährleistet, dass Gruppierungen die Kollektivvertragsfähigkeit verwehrt wird, die nur Splittergruppen darstellen und in der Gesamtsicht keine Brancheninteressen repräsentieren. Im Laufe der Jahre zeigte sich, dass diese Regelung auch sehr praktikabel ist, um die Einheit der ArbeitnehmerInnen innerhalb einer Branche zu erhalten.
Die Gewerkschaften im ÖGB vertreten auch 70 Jahre nach seiner Gründung alle Arten von ArbeitnehmerInnen, ob das nun ArbeiterInnen, Angestellte oder BeamtInnen sind. Und sie decken so gut wie alle Branchen und Wirtschaftsbereiche ab. Auf dem Papier hat es zwar immer wieder andere Organisationen gegeben, die sich als „Gewerkschaft“ bezeichnet haben – politische und wirtschaftliche Bedeutung oder gar Kollektivvertragsfähigkeit ist ihnen aber nie zugekommen.

Zersplitterte Gewerkschaften

In anderen europäischen Ländern ist die Gewerkschaftslandschaft um einiges zersplitterter. In Italien und Frankreich etwa gibt es jeweils mehrere Gewerkschaftsbünde mit unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung, also zum Beispiel sozialdemokratische, kommunistische oder christliche Richtungsgewerkschaften. Im Übrigen war dies in Österreich in der Zwischenkriegszeit auch der Fall. Zuletzt ging die FPÖ in diese Richtung, in ihrem Umfeld wurde 1998 die „Freie Gewerkschaft Österreichs“ gegründet, die vor allem im Bereich der Exekutive aktiv ist. Detail am Rande: Die FGÖ hat bis heute nicht die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit beantragt.
Auf andere Art zersplittert stellt sich die Lage in Deutschland dar. Dort gibt es neben den Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), also zum Beispiel IG Metall und ver.di, eine ganze Reihe von Gewerkschaften, die nur die jeweiligen Interessen kleiner, spezialisierter Bereiche haben – und nicht die gesamte Gesellschaft oder auch eine gesamte Branche. Da gibt es die „Gewerkschaft der Lokführer“ und die Pilotengewerkschaft „Cockpit“ oder den „Marburger Bund“, der sich ausschließlich um die Anliegen der Ärztinnen und Ärzte kümmert, aber nicht um die anderen Beschäftigten im Spitalswesen. In Kombination mit der Tatsache, dass deutsche Tarifverträge im Gegensatz zu österreichischen Kollektivverträgen keine Außenseiterwirkung haben, trägt diese Zersplitterung weiter zur sinkenden Tarifabdeckung in Deutschland bei.
Der ÖGB bekam die Kollektivvertragsfähigkeit am 4. September 1947 zuerkannt; zunächst war er in 18 Gewerkschaften gegliedert, heute sind es sieben. Kollektivvertragsfähige ArbeitnehmerInnen-Organisationen außerhalb des ÖGB gibt es nur in sehr kleinen Bereichen, wie etwa bei den evangelischen PfarrerInnen. „Elitengewerkschaften“ wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht.
Die Chancen auf Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit wären angesichts dessen, dass Kollektivverträge eher Gesamtinteressen als Einzelinteressen verfolgen sollen, auch denkbar gering. Somit ist davon auszugehen, dass der ÖGB und seine Gewerkschaften ein De-facto-Monopol für den Abschluss von Kollektivverträgen auf ArbeitnehmerInnenseite haben. Das hat den großen Vorteil, dass die ArbeitnehmerInnen innerhalb einer Branche nicht gegeneinander ausgespielt werden können, außerdem haben wir dadurch in Österreich eine Tarifabdeckung von etwa 98 Prozent.

Beste Aussichten

Nun könnte natürlich ein kleiner Verein, der sich „Gewerkschaft“ nennt, aber niemals auch nur in die Nähe der Kollektivvertragsfähigkeit kommt, die Aufnahme in den ÖGB anstreben. Dadurch, so ein möglicher Gedanke, könnte man doch über den ÖGB an die Verhandlungstische herankommen. Ein verlockender Gedanke, zweifellos. Jedoch auch ein verschwendeter Gedanke. Der ÖGB ist nämlich kein Verband, in dem andere Vereine Mitglied werden können. Dem ÖGB können nur natürliche Personen, also Menschen, beitreten. Die einzelnen Gewerkschaften sind Teilorganisationen und Bestandteil des ÖGB. Wer Mitglied des ÖGB werden will, kann einer Gewerkschaft beitreten und dadurch zu den Vorteilen der Mitgliedschaft des ÖGB kommen. Es wird also in der Praxis so bleiben wie bisher: Wer Lohn- und Arbeitsbedingungen verhandeln will, hat die besten Aussichten, wenn sie/er dem ÖGB beitritt.

Internet:
Bundeseinigungsamt:
tinyurl.com/or545ky

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