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Symbolbild zum Bericht Die größte Diskriminierung für behinderte Personen ist die Exklusion im Bildungsbereich. Während es sehr wenige Menschen mit Behinderungen gibt, die studieren, besuchten 2014 insgesamt 2,6 Prozent mehr Kinder Sonderschulen als im Vorjahr.

Das Recht auf Inklusion

Schwerpunkt

Behinderte Menschen sehen sich oft mit Diskriminierung konfrontiert. Es gibt jedoch Organisationen, die ihre Rechte vertreten.

„Gleich“ ist nicht gleich „gleich“. Das 1979 in Kraft getretene Gleichbehandlungsgesetz regelte zunächst ausschließlich die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz. Erst 2004 wurde das Gesetz durch eine Novelle erweitert – seither ist Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, der sexuellen Orientierung oder des Alters verboten. Im Artikel 4 der 2007 von Österreich ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD – Convention of the Rights for Persons with Disabilities) soll das Recht von Menschen mit Behinderungen auf eine unabhängige Lebensführung sowohl bei Bildung als auch bei Arbeit gewährleistet werden.
In Österreich leben 600.000 Menschen mit Behinderungen. Viele von ihnen sehen sich Diskriminierungen und Vorurteilen ausgesetzt – in der Arbeitswelt, aber auch im Alltag. Verschiedene Institutionen wie der Behindertenanwalt, Arbeiterkammer, Gewerkschaften, der Klagsverband sowie weitere NGOs bieten intellektuell und körperlich beeinträchtigten Menschen im Kampf gegen die Diskriminierung Unterstützung – mit Beratung und rechtlichem Beistand.

Unzureichende Barrierefreiheit
Im Klagsverband nennt man Behinderung als zweithäufigsten Diskriminierungsgrund, hinter ethnischer Zugehörigkeit (53 Prozent) und noch vor der Religion (6 Prozent). „Überwiegend geht es dabei um die Barrierefreiheit“, sagt Volker Frey, Generalsekretär des Klagsverbands, „um den barrierefreien Zugang von Geschäften, Wohnungen und Verkehrsanlagen, aber auch seitens des ORF.“ Denn viele Sendungen sind für seh- oder hörbehinderte Menschen nicht adaptiert, daher können die Betroffenen das Angebot, für das sie zahlen, nicht in Anspruch nehmen.

Sonderschulen statt Inklusion
Als größte Diskriminierung für behinderte Personen nennt Frey die Exklusion im Schulbereich: „Sonderschulen existieren weiter, und die Anzahl an SchülerInnen ist in den letzten Jahren sogar gestiegen, obwohl das ganz deutlich gegen die CRPD verstößt.“ Während es sehr wenige Menschen mit Behinderungen gibt, die studieren, besuchten 2014 insgesamt 2,6 Prozent mehr Kinder Sonderschulen als im Vorjahr. Obwohl der Bedarf an sonderpädagogischer Betreuung kontinuierlich zunimmt, reichen die Mittel dafür jedoch bei Weitem nicht aus. „Inklusive Bildung ist weder im Schulbereich noch bei Fachhochschulen und Universitäten gegeben“, kritisiert Frey.
„Wien hat sich in seinem Etappenplan etwa verpflichtet, die Wiener Schulen bis 2042 barrierefrei zu gestalten.“ Als großes Problem sieht Frey jedoch auch das ungenügende Angebot von persönlicher Assistenz wie beispielsweise Ausbildungs- und Arbeitsassistenz. „Diese ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben, sowohl im Privatbereich als auch im Bildungs- und Arbeitsbereich“, sagt Frey.

Besorgniserregend sieht Volker Frey die Entwicklung am Arbeitsmarkt, denn die Arbeitslosenrate von Menschen mit Beeinträchtigungen stieg mit 21,6 Prozent doppelt so schnell wie die Rate von Menschen ohne Behinderungen (9,1 Prozent). Obwohl im Jänner 2015 die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderungen um 7,6 Prozent geringer war, ist die Tendenz steigend – und das, obwohl in vielen Unternehmen Stellen für beeinträchtigte MitarbeiterInnen unbesetzt bleiben. Einerseits finden Arbeitgeber für den freien Arbeitsplatz kaum BewerberInnen mit Behinderung, da diese aufgrund von Defiziten in der schulischen Integration oder spezifischen Ausbildung keine adäquaten Qualifikationen nachweisen können. Aber selbst wenn die BewerberInnen eine entsprechende Ausbildung abgeschlossen haben, können sie aufgrund der Behinderung nicht jeden Beruf vollständig ausüben. Zudem befürchten Arbeitgeber, dass beeinträchtigte ArbeitnehmerInnen aufgrund des Kündigungsschutzes einen „pragmatisierten“ Arbeitsplatz im Betrieb erhalten. „Der besondere Kündigungsschutz ist ein umstrittenes Thema“, sagt Frey. „Er hilft Menschen, die schon in Beschäftigung stehen, und ist ein Problem für die Neuaufnahme.“

Vorurteile schüren Diskriminierung
Die größte Hürde stellen die Berührungsängste seitens der Unternehmen dar. Oft haben Arbeitgeber Angst, dass behinderte MitarbeiterInnen das Arbeitsklima negativ beeinflussen oder dass sie ihren Job nicht vollständig ausüben könnten.
Volker Frey sieht den Hauptgrund für die hohe Arbeitslosenrate in den Vorurteilen der Arbeitgeber gegenüber behinderten Menschen. Denn Berührungsangst, Unsicherheit und Informationsmangel schüren Vorurteile. „Daraus resultiert dann Diskriminierung“, sagt Frey. Dabei bedenken Arbeitgeber häufig nicht, dass behinderte Menschen oft Fähigkeiten mitbringen, die auf den ersten Moment nicht klar erkennbar sind. „Menschen mit Sehbeeinträchtigungen werden meist nur im Telefondienst eingesetzt. Dabei haben sie ein vielfach besser geschultes und trainiertes Gehirn und wären bestens für einen Programmierjob qualifiziert“, sagt Herbert Pichler von „Chancen Nutzen“.
Beim „Chancen Nutzen“-Büro, einer Initiative der Sozialpartner, finden nicht nur beeinträchtigte ArbeitnehmerInnen, sondern auch Unternehmen und BetriebsrätInnen Beratung und Informationen. Denn es fehlt nicht nur an Problembewusstsein zur Beschäftigung von MitarbeiterInnen mit Behinderungen seitens der Arbeitgeber. Es fehlt vor allem an externer Unterstützung, um notwendige organisatorische Maßnahmen übernehmen, Hilfestellung bei der Einschätzung des Leistungspotenzials der BewerberInnen leisten oder Adaptierungen am Arbeitsplatz gewährleisten zu können. Allein in den Jahren 2003 bis 2013 wurden vom „Chancen Nutzen“-Büro insgesamt 1.911 Betriebsbesuche und 611 Vorträge und Seminare durchgeführt.

Handlungsbedarf
Volker Frey sieht noch viel Handlungsbedarf, vor allem vonseiten der Gesetzgebung. Die Wunschliste des Klagverbands ist lang. „Die wichtigsten Verbesserungswünsche an die Bundes-Gesetzgeber wären zunächst ein Recht auf Beseitigung von Barrieren und Unterlassung von Diskriminierung“, sagt Frey. „Derzeit gibt es nur einen Anspruch auf Schadenersatz.“ Außerdem fehle ein effektives Verbandsklagerecht, auch für Organisationen wie den Klagsverband. Zudem soll im Falle einer Diskriminierung – derzeit ist es nur bei Belästigung der Fall – ein Mindestschadenersatz von 1.000 Euro ermöglicht werden und ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch, so wie er im Behinderteneinstellungsgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz existiert.
Auf Landesebene fordert Frey Etappenpläne zur Beseitigung von Barrieren bei Landes- und Gemeindegebäuden, derzeit ist das nur in Wien und in der Steiermark möglich. Zudem bemängelt Frey, dass in der Grundausbildung von RichterInnen kaum auf Beschäftigung mit Diversität eingegangen werden würde.

Sensibilisierung nötig
Am meisten ist jedoch weitere Sensibilisierung notwendig – vor allem in Betrieben. „Was nicht bekannt ist, führt zu Unsicherheit“, sagt Herbert Pichler, der selbst Sensibilisierungsseminare hält. „Durch Unsicherheit entstehen Angst und Vorurteile. Dadurch entsteht Ablehnung. Und Ablehnung führt zu Diskriminierung.“
Die richtige Kommunikation, offen darüber reden, zuzugeben, dass man keine Erfahrung hat, und der beeinträchtigten Person seine Unterstützung anbieten, ist der richtige Weg, Berührungsängste zu überwinden, und sie richtig kennenzulernen. „Denn als Mensch“, sagt Pichler, „spielt die Behinderung keine Rolle.“

Webtipps:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.behindertenanwalt.gv.at
www.klagsverband.at
www.bizeps.or.at
Broschüre „Selbstbestimmt leben mit Persönlicher Assistenz“ zum Download:
www.bizeps.or.at/broschueren/pa

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net  der die Redaktion aw@oegb.at

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