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Symbolbild zum Bericht Während die ArbeitnehmerInnenschaft sofort von der Freizeitoption begeistert war, waren es auch im zweiten Jahr die Arbeitgeber, die sich querlegten.

Mehr Zeit statt Geld

Schwerpunkt

Seit 2013 können ArbeitnehmerInnen der Elektro- und Elektronikindustrie statt Lohn- und Gehaltserhöhungen eine Arbeitszeitverkürzung in Anspruch nehmen.

Work-Life-Balance wird für immer mehr Menschen wichtig. Sie suchen sich ihre Arbeitgeber auch danach aus, wie sehr diese auf die individuellen Arbeitszeitwünsche der ArbeitnehmerInnen eingehen. Einerseits möchten ArbeitnehmerInnen ihre Arbeitszeit flexibel gestalten, anderseits erfordern familiäre Verpflichtungen oftmals Flexibilität. Dieser Entwicklung haben sich die Sozialpartner der Elektro- und Elektronikindustrie (Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie, Produktionsgewerkschaft und Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) im Jahr 2013 aktiv angenommen und erstmals die Wahlmöglichkeit zwischen kollektivvertraglichen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen und regelmäßigen Zeitgutschriften geschaffen. Im gleichen Jahr übernahm ein Teil der Metallindustrie diese neue Option und im Jahr 2014 konnte die sogenannte „Freizeitoption“ bereits mit drei Fachverbänden der österreichischen Industrie vereinbart werden.

Hürde Betriebsvereinbarung
Voraussetzung für diese „Freizeitoption“ ist lediglich eine freiwillige Betriebsvereinbarung – wobei sich diese vermeintlich niedere Schwelle als größte Hürde herausgestellt hat. Die einzelnen MitarbeiterInnen stehen sodann vor der Wahl zwischen der jeweils ausverhandelten Lohn- bzw. Gehaltserhöhung oder zusätzlicher Freizeit in entsprechendem Ausmaß.
Beim Kollektivvertragsabschluss der Elektro- und Elektronikindustrie 2013 wurde eine Erhöhung der Ist-Löhne und -Gehälter zwischen 2,8 und 3 Prozent vereinbart. Als Alternative standen bis zu fünf monatliche Freistunden beziehungsweise eineinhalb zusätzliche freie Wochen pro Jahr zur Auswahl. Im Jahr 2014 bedeutete die (Ist-)Lohn- und Gehaltserhöhung von 2,35 Prozent eine Freizeit von 3 Stunden und 56 Minuten. Dieser Zugewinn an Freizeit ist logischerweise nicht einmalig, sondern gebührt Monat für Monat und Jahr für Jahr. Die Art der Inanspruchnahme kann individuell vereinbart werden, prinzipiell jedoch stündlich, täglich oder wochenweise erfolgen.

Quergelegt
In 21 Betrieben wurde die Freizeitoption im zweiten Jahr eingeführt. Unter den Unternehmen mit Freizeitoption finden sich sowohl große Betriebe mit über 500 Angestellten (bspw. Siemens AG, Infineon, Zumtobel) als auch mittlere Betriebe mit 100 bis 200 Angestellten (bspw. AT&S, ATB, BECOM) sowie auch kleinere Betriebe mit weniger als 100 Angestellten (bspw. CMS, DELPHI, VAPC). Nach dem ersten Jahr sind fast nur positive Rückmeldungen zur Freizeitoption gekommen. Warum also haben nicht alle Betriebe in der Elektro- und Elektronikindustrie im zweiten Jahr dieses von ihrem eigenen Fachverband als „überaus innovativ“ gelobte Modell übernommen? Immerhin lautete die Kritik vieler Arbeitgeber im ersten Jahr, dass die Zeit nicht ausreichend war, um sich mit dem Instrument auseinanderzusetzen. Viele Betriebe wollten die Erfahrungen der anderen abwarten, um dann im nächsten Jahr zu entscheiden. Während die ArbeitnehmerInnenschaft sofort von der neuen Möglichkeit begeistert war, waren es auch im zweiten Jahr die Arbeitgeber, die sich querlegten. Bei über zwei Dritteln der Betriebe führte die ablehnende Haltung der Geschäftsführung dazu, dass die Freizeitoption nicht gemacht wurde. Bei einem Drittel der Betriebe haben sich Betriebsrat und Geschäftsführung darauf verständigt, die Freizeitoption nicht zu machen.

Großes Interesse
Fakt ist: Nur in der Hälfte der Betriebe, in denen sich MitarbeiterInnen für die Freizeitoption interessieren, wurden auch entsprechende Verträge abgeschlossen. Wer sind diese Menschen? Es ist der junge Arbeiter, der weiß, dass er in fünf Jahren mit dem Hausbau beginnen möchte und dann sehr viel Zeit brauchen wird. Es ist der ältere Kollege aus dem Vertrieb, der sich das eine oder andere Wochenende verlängern möchte, um mit seiner Frau mehr auf Reisen zu gehen. Es ist der junge Techniker, der am Freitag gerne seine beiden Kinder vom Kindergarten abholen will und nicht nur jedes Mal davon reden möchte. Es ist die Lohnverrechnerin, die mit Leidenschaft auf ihre Enkerln schaut und damit auch ihrem Sohn hilft. Es ist der Instandhalter, der endlich mehr Zeit zum Segeln haben möchte.
Sowohl Männer als auch Frauen zählen zu den NutznießerInnen, faktisch besteht eine Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern: 81,90 Prozent der Männer haben die Freizeitoption in Anspruch genommen und nur 18,11 Prozent der Frauen. Diese ist allerdings der Branchenstruktur geschuldet, denn in der Elektro- und Elektronikindustrie arbeiten nur 18 Prozent Frauen. Aufgeteilt auf die Beschäftigungsgruppen zeigt sich, dass die Freizeitoption vor allem in der Mitte (Beschäftigungsgruppen F & G) sehr stark in Anspruch genommen wird (50,57 Prozent), durchaus jedoch auch am unteren (21,26 Prozent bei Stufe D & E) sowie oberen Ende (28,16 Prozent bei den Stufen H bis K). Interessant ist auch die Altersverteilung der FreizeitoptionsnehmerInnen: Knapp die Hälfte (46,10 Prozent) ist unter 40, etwas mehr als die Hälfte (53,90 Prozent) über 40 Jahre alt. Anders als vielleicht erwartet, finden auch junge Arbeitskräfte Gefallen an mehr Freizeit. Immerhin 15,58 Prozent der FreizeitoptionsnehmerInnen sind unter 30.

Mehr Freizeit für zehn Prozent
Insgesamt kamen somit im ersten Jahr fast zehn Prozent aller Beschäftigten in den Genuss von mehr Freizeit. Da die Arbeitgeber-Seite in den Kollektivvertragsverhandlungen darauf bestanden hat, dass die Freizeitoption nur einmal je ArbeitnehmerIn in Anspruch genommen werden kann, ging die Anzahl der Anträge im zweiten Jahr erwartungsgemäß stark zurück: Im zweiten Jahr waren es nur rund fünf Prozent aller Beschäftigten.
Warum erhalten nicht alle die Freizeitoption, die sie gerne hätten? Die Gründe für abgelehnte Anträge lauten: „das Veto der Vorgesetzten“ (34 Prozent) und „zu viele Anträge der gleichen Abteilung“ (17 Prozent). Weniger problemrelevant schienen „fehlende Überzahlung“ und der „Ablauf der Bewerbungsfrist“. Das große Chaos bei der Umsetzung der Freizeitoption blieb also weitestgehend aus. Nimmt man 2013 und 2014 zusammen, gaben weniger als ein Drittel der Betriebe (31,58 Prozent) an, bei der Umsetzung Probleme gehabt zu haben.
Die meisten verwenden die neue Freizeit wie ein Sparkonto und haben noch gar keine angesparte Freizeit verbraucht (87 Prozent). Auch sehr beliebt ist es, die Fenstertage freizunehmen oder den Urlaub zu verlängern (82 Prozent). Für die Hälfte der Befragten ist es auch interessant, die Zeit für das Ansparen für die Pension zu nutzen, während es für die andere Hälfte gar nicht infrage kommt.

Eindeutiger Auftrag
Die „Freizeitoption“ ist bei den Beschäftigten der Elektro- und Elektronikindustrie sehr beliebt. Unsicherheiten bei der Umsetzung verschwanden im zweiten Jahr fast gänzlich. Dass der mit Abstand größte Hinderungsgrund für eine flächendeckendere Einführung das Veto der Geschäftsführungen war, zeigt: Solange kein Anspruch auf die Freizeitoption besteht, wird sich daran nicht so leicht etwas ändern lassen. Für die Gewerkschaft liefern die vielen positiven Rückmeldungen jedenfalls den eindeutigen Auftrag, auch weiterhin für „Freizeitoptionen“ in ausgewählten Branchen zu stehen und zu kämpfen.

Anmerkung: Alle Zahlen beziehen sich auf eine Studie in der Elektro- und Elektronikindustrie, die die GPA-djp unter allen Betriebsratsvorsitzenden der Elektro- und Elektronikindustrie im Herbst 2014 durchgeführt hat. Geantwortet haben insgesamt 51 Betriebsratsvorsitzende, die im Namen der von ihnen vertretenen Betriebe teilgenommen haben.

Webtipp:
PRO-GE „So funktioniert die Freizeitoption“: tinyurl.com/pm3f3ku
Kompetenz: tinyurl.com/pqodv5q
Die Freizeitoption in Kollektivverträgen als pdf zum Download: tinyurl.com/pp2cju5

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen eva.scherz@gpa-djp.at und m.schwendinger@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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