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Symbolbild zum Bericht Die Baubranche ist in komplexe Wertschöpfungsketten mit einem immer verworrener werdenden Geflecht an Subunternehmen unterteilt.
Buchtipp

Scheinbar selbstbestimmt

Schwerpunkt

In die Selbstständigkeit gedrängt, vom Subunternehmer der Subfirma beauftragt, mit wenig abgespeist. Wo das Arbeitsrecht ausgeblendet wird.

UnternehmerInnen und ArbeiterInnen sind out, SubunternehmerInnen und selbstständige ArbeiterInnen sind in: Zumindest könnte man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich die Baubranche genauer ansieht. Diese ist in ganz Europa in komplexe Wertschöpfungsketten mit einem immer verworrener werdenden Geflecht an Subunternehmen unterteilt. Und das geht so: Ein Generalunternehmen beauftragt ein Subunternehmen, das dann selbst wieder Aufträge an andere Firmen erteilt – und auf der Baustelle selbst werken immer öfter Selbstständige. Diese gerne als „Neue Selbstständige“ bezeichneten ArbeitnehmerInnen sind dies nicht aus dem Wunsch heraus, flexibler zu arbeiten. Vielmehr sind sie aus reiner Not in diese Arbeitsform gezwungen. Einige sind diese „abhängige Selbstständigkeit“ auch wider besseres Wissen eingegangen. Für viele aus dem Ausland stammende ArbeitnehmerInnen ist auch das österreichische Arbeitsrecht mit seinen Kollektivverträgen schlicht unbekannt oder schwer zu durchschauen. Die Folge: Sie werden um Ansprüche und Zahlungen betrogen, seien dies Sonderzahlungen, Entgeltfortzahlung im Krankenstand oder etwa bezahlte Urlaube und Feiertage.

Graubereiche
Die FORBA-Studie „Arbeitnehmer bist du irgendwie trotzdem …“ im Auftrag der AK befasst sich mit den Grenzbereichen von Selbstständigkeit, Unselbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit in der österreichischen Bauwirtschaft. Regelmäßige Kontrollen auf Baustellen haben gezeigt, dass es dort eine große Anzahl an Selbstständigen gibt. Mehr als drei Viertel von ihnen sind als Trockenbauer, Fassadenarbeiter und Eisenbieger oder -leger beschäftigt, üben also einfache Tätigkeiten aus, die nach gängiger Rechtsprechung nicht als selbstständiges Werk gelten. Als Einzelunternehmen werden auch „selbstständige“ Gerüstbauer, Bauschuttentferner und Verspachtler angetroffen – am Bau werden sie meist in Bereichen eingesetzt, wo es vorrangig um die Arbeitsleistung geht und mit wenig Ausrüstung und leicht erhältlichen Materialien gearbeitet werden kann. Handwerkliche Tätigkeiten wie etwa Fliesenlegen werden zumeist nicht von den Generalunternehmen selbst ausgeführt, sondern an Sub-AuftragnehmerInnen weitergegeben. Ein in die Studie einbezogenes österreichisches Bauunternehmen beschäftigt nach Auskunft des Betriebsrats indirekt 1,5-mal so viele ArbeitnehmerInnen über Subfirmen, wie es selbst Beschäftigte hat.

Die Scheinselbstständigen erhalten monatlich Geld und auch Weisungen von ihren Auftraggebern – diese „selbstständigen ArbeitnehmerInnen“ sind ebenso ausschließlich für die überprüfte Firma tätig. Vor allem in den letzten Jahren hat sich die Scheinselbstständigkeit immer mehr im Arbeitsleben etabliert. Mit der Arbeitsmarktöffnung im Mai 2011 kam es zunächst zu einem Rückgang selbstständiger Erwerbstätigkeit von StaatsbürgerInnen aus den EU-8. Doch kurz nach der Arbeitsmarktliberalisierung stieg die Zahl wieder an. Zwar gibt es regelmäßige Kontrollen, doch rentiert sich die systematische Beschäftigung von Scheinselbstständigen für Unternehmen, die nicht auf längerfristigen Bestand ausgerichtet sind, so die ExpertInnen der FORBA-Studie. Diese Unternehmer wollen grundsätzlich Abgaben hinterziehen und gehen absichtlich in Konkurs. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies in der Baubranche öfters passiert.

Unseriöse Firmen
Yilmaz Kadir ist einer, der unter diesen Machenschaften leidet. Der Inhaber einer Kaminbaufirma weiß: „Wenn Betriebe in Konkurs gehen, sind zwar die Eigentümer für einige Zeit gesperrt und dürfen dann keine Firma aufmachen. Doch dann ist es halt ein Verwandter mit dem gleichen Hintergedanken.“ In der Praxis sind vielen Auftraggebern unseriöse Firmen egal. Für eine Baustelle veranschlagte Kadir vor einiger Zeit 95.000 Euro, bei Selbstkosten von 80.000 Euro ein sehr guter Preis. Den Zuschlag bekam eine Firma, die bloß 45.000 Euro verlangte. Eineinhalb Jahre später rief der Bauherr an und bat um Hilfe. Als Kadir zur Baustelle kam, stand immer noch das Baugerüst. „Die billige Firma hat einfach die Anzahlung kassiert und war dann weg.“ Inzwischen hat sich diese Billig-Baufirma aufgelöst, der Bauherr hat seine Anzahlung verloren. Um einen Missbrauch von „abhängigen Selbstständigen“ bei den Bauaufträgen zu verhindern, fordern AK und ÖGB eine effizientere Haftung der Auftraggeber für Arbeitnehmerforderungen. Die derzeit bestehenden Haftungsbestimmungen reichen nicht aus. Noch viel zu oft verlieren gerade die bei kleinen Subunternehmen am Bau Beschäftigten ihre Lohnansprüche, weil die Subunternehmen nicht mehr greifbar sind und die Auftraggeber nicht haften müssen.

Moderne LastenträgerInnen
Auch im Kurier-, Paket- und Expressdienst gibt es vergleichbare Zustände. Wie auch in der Baubranche wird der Preiskampf über die Arbeitsbedingungen geführt. Unter dem Titel „Des anderen Last“ beschrieb der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff die untragbaren Zustände in dieser Branche. Dieses Mal arbeitete er undercover als Paketfahrer und -auslieferer bei GLS Germany. Wallraff heuerte kurz vor Weihnachten an, weil er sich damit die schlimmste Zeit erwartete – er irrte, der Job kennt keine guten Tage. Drei Textauszüge aus einem Beitrag, den Wallraff in einem Artikel im „Zeit-Magazin“ veröffentlichte: „… GLS stellt die Fahrer nicht selbst ein, sondern schließt Verträge mit Subunternehmern, die wiederum die Fahrer anstellen. Damit kann GLS sämtliche Risiken auslagern …“. „… Diese Arbeit ist Raubbau am Körper. 12- bis 15-Stunden-Schichten, ohne geregelte Pausen, eigentlich überhaupt ohne Pausen, machen krank …“. „… In der Branche sind etwa 11.000 Subunternehmer tätig. Viele von ihnen kommen aus der Türkei, aus arabischen Ländern oder sind Russlanddeutsche. Oder sie kommen aus besonders strukturschwachen Gegenden Deutschlands und hoffen, als selbstständige Unternehmer ihrer Misere endlich entfliehen zu können …“.

Die von der vida 2012 in Auftrag gegebene Studie „Prekäre Arbeitsbedingungen bei den Paketdiensten“ erforschte auch das Arbeitsumfeld bei den Paketzustellern in Österreich – mit dem Fazit, dass sie auch hierzulande immer prekärer werden. Rund 15.000 Betroffene werden nach dem Kollektivvertrag für das Kleintransportgewerbe bezahlt, allerdings häufig ohne Einhaltung der Regelungen. Scheinselbstständige, schlechte Arbeitsbedingungen und Subfirmen von Subfirmen sind keine Ausnahme. Genau wie überladene Fahrzeuge, überhöhte Geschwindigkeit, um die Touren zeitgerecht abzuarbeiten. Der Onlinehandel führt zu „einer Proletarisierung der Handelsmitarbeiter“, stellte Peter Schnedlitz, Vorstand des Instituts für Handel und Marketing an der WU, Mitte Februar im Ö1-Wirtschaftsjournal „Saldo“ fest. Zudem könnten LogistikmitarbeiterInnen im Lager der Onlinehändler und Paketzusteller kaum von ihrer Arbeit leben. Auch Doris Lutz, Expertin in der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien, hält fest: „Obwohl keine zufriedenstellenden statistischen Daten vorliegen, gibt es Hinweise darauf, dass sich in einzelnen Branchen eher zu Prekarität neigende neue Formen der Selbstständigkeit entwickeln. Und zwar in all jenen Branchen, in denen es vereinfachten Zugang zu freien Gewerben gibt, wie etwa der Personenbetreuung, IT-Branche oder den Creative Industries.“

Wirtschaftliche Abhängigkeit
Längst muss auch der ArbeitnehmerInnen-Begriff an die realen Verhältnisse angepasst werden – seit Jahren fordern ÖGB und AK, dass nicht nur die üblichen arbeitsrechtlichen Kriterien (etwa Weisungsgebundenheit, persönliche Pflicht zur Arbeitsverrichtung etc.) allein entscheiden sollen, sondern auch die wirtschaftliche Abhängigkeit als Kriterium hinzukommt. Eine Beweislastumkehr ist erforderlich: Derzeit müssen die ArbeitnehmerInnen beweisen, dass tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vorliegt. In der Praxis ist das oft schwierig und birgt ein hohes Prozessrisiko für die Betroffenen. Eine Beweislastumkehr würde helfen, Scheinselbstständigkeit einzudämmen. Wenn es starke Indizien für ein Arbeitsverhältnis gibt, wie etwa die Abhängigkeit von nur einem Arbeitgeber oder Vorgaben bezüglich Arbeitszeiten, soll der Arbeitgeber beweisen müssen, dass kein reguläres Arbeitsverhältnis besteht.

Webtipps:
Günter Wallraff im Interview:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/guenther-wallraff-auspressen-von-arbeitskraft/
Studie „Arbeitnehmer bist du irgendwie trotzdem …“:
tinyurl.com/jwtxukk

Buchtipp:
www.arbeit-recht-soziales.at/die-lastentraeger

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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