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Symbolbild zum Bericht Seit mittlerweile einem Jahr haben auch ArbeitnehmerInnen aus Rumänien und Bulgarien uneingeschränkten Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt.
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Angst vor den anderen?

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In Österreich befinden sich immer mehr Menschen auf Jobsuche. Was ist dran an der Befürchtung, dass MigrantInnen aus der EU für die Zuspitzung der Situation verantwortlich sind?

Die Anfang 2015 veröffentlichten Zahlen des AMS versprechen keinen guten Start ins neue Jahr: Ende Dezember 2014 waren 393.674 Personen ohne Beschäftigung – insgesamt lag die Arbeitslosigkeit somit um 32.395 bzw. neun Prozent über dem Vorjahresniveau. Welche Ursachen sind für diese dramatische Verschlechterung verantwortlich? Eine populäre, weil einfache Erklärung, die vor allem von Boulevardmedien gerne gefunden wird, lautet: Die EU ist schuld! Genauer gesagt: Arbeitskräfte aus osteuropäischen Staaten, die den heimischen Arbeitsmarkt „überfluten“. Ein Beispiel dafür zeigt eine Karikatur in der Kronen Zeitung vom 11. Jänner 2015. Anlässlich der 20-jährigen Mitgliedschaft Österreichs in der EU zeigt sie verwahrloste Gestalten, die in einem Müllberg herumstochern. Im Vordergrund ist das Logo des AMS zu sehen, im Hintergrund die zerzausten Flaggen Österreichs und der EU. Ganz offensichtlich ist „Zuwanderung“ also nach wie vor ein Thema, mit dem zu „spielen“ sich für Boulevardmedien lohnt.

Vorsichtige Schritte

Dabei hat die heimische Politik vieles daran gesetzt, dass die Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung EU in „homöopathischen Dosen“ erfolgt. Von Österreich wurden gemeinsam mit Deutschland Übergangsbestimmungen für jene acht Länder (EU-8) ausverhandelt, die 2004 der EU beigetretenen sind. Auf sieben Jahre angesetzt, sind diese Bestimmungen am 1. Mai 2011 ausgelaufen. Seither dürfen Personen aus den EU-8, (Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland und Litauen) in Österreich und Deutschland ohne Einschränkungen arbeiten. “Österreich hat sich auf die Arbeitsmarktöffnung gut vorbereitet. Seit 2011 gilt das Gesetz gegen Lohn-und Sozialdumping, Unterentlohnung ist strafbar“, sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. Mit 1. Jänner 2014 trat dann die nächste „Öffnungsrunde“ in Kraft, seit mittlerweile einem Jahr haben auch ArbeitnehmerInnen aus Rumänien und Bulgarien das Recht auf uneingeschränkten Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt.

Von anderen EU-Staaten wurde diese schrittweise Öffnung oftmals als zu zögerlich kritisiert. Migrationsforscherin Gudrun Biffl von der Donau-Universität Krems widerspricht: „Ich habe die Übergangsbestimmungen immer unterstützt. Sie wurden durch die geografische Nähe Österreichs zu EU-Staaten mit deutlich geringerem Lohnniveau notwendig. Außerdem war der heimische Arbeitsmarkt auch während dieser Zeit nicht hermetisch abgeschlossen. Personen mit entsprechender Qualifikation haben sehr wohl Arbeitsgenehmigungen bekommen, so erfolgte eine behutsame Öffnung ohne Verdrängungsprozesse am Arbeitsmarkt.“ Auch maßgebliche internationale wie heimische Organisationen sehen den „österreichischen Weg“ als den richtigen an: „Die stufenweise Öffnung hat sich bewährt - zusätzlicher Druck wurde durch eine bedarfsgerechte Steuerung der Zulassung von EU-8-BürgerInnen, etwa durch die Fachkräfteverordnung für Mangelberufe, abgefangen“, ist auf www.arbeitsmarktoeffnung.at zu lesen, einem Gemeinschaftsprojekt von Europäischer Kommission, Europäischen Parlament, BMASK, AK und ÖGB.

EuropäerInnen wandern

Die Zahl der EU-AusländerInnen, die in Österreich arbeiten, ist seit 2010 um 136.000 Personen auf heute 336.00 angestiegen. Dazu zählen jedoch nicht nur die OsteuropäerInnen, die seit der Ostöffnung zuwandern, sondern auch Personen aus Nord- und Südeuropa. Erwerbs- und Niederlassungsfreiheit zählen zu den Grundprinzipien der EU, immer mehr Menschen wandern aus und arbeiten in EU-Nachbarstaaten. So auch David Gandert aus Dresden, Deutschland. Im vergangenen Jahr erzählt er im ORF-Report, dass er bereits zum dritten Mal in Lech als Saisonarbeiter tätig ist. Er ist nicht der einzige: 160.000 Deutsche leben und arbeiten in Österreich, sie bilden die größte Einwanderergruppe.
In die Alpenrepublik zieht es auch viele GriechInnen und SpanierInnen, die in ihrer Heimat keinen Job finden. Griechenland steht seit 2010 unter der Aufsicht der Troika, bestehend aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Massive Einsparungen im Sozial- und Gesundheitsbereich haben große Teile der Bevölkerung in Armut gestürzt. Die Jugendarbeitslosigkeit betrug im November 2014 61,4 Prozent. Besonders junge, gut ausgebildete Menschen – viele mit Uni-Abschluss – flüchten ins Ausland, weil sie in ihrem Land keine Zukunftsperspektiven sehen.
Jüngsten Berichten zufolge ist aber vor allem die Migration aus Rumänien und Bulgarien nach Österreich stark ausgefallen. Seit der vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes im Jänner des Vorjahres hat sich die Zahl um 11.000 auf knapp 40.000 erhöht, so die aktuellen Zahlen des Hauptverbandes. Das weckt in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit Angst vor Lohn- und Sozialdumping, immer mehr Menschen fürchten, aus ihrem eigenen Job verdrängt zu werden.

Für IHS-Arbeitsmarktexperten Helmut Hofer sind aber auch diese Zahlen noch locker verkraftbar, wie er in der Tageszeitung Kurier sagt. Dass aber ein Verdrängungsprozess am Arbeitsmarkt stattfindet, da sind sich viele ExpertInnen einig. Jedoch findet dieser nicht zwischen Einheimischen und ZuwanderInnen statt. Vielmehr kämpfen ZuwanderInnen untereinander um jeden Arbeitsplatz. Junge, gut ausgebildete ZuwanderInnen verdrängen ältere, schlecht ausgebildete. Dass die Ostöffnung nur minimale Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen hat, bestätigt auch ein Vergleich mit den Zahlen aus dem Jahr 1995. Die Arbeitslosenquote hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht wesentlich verändert, obwohl die Ostöffnung und die Finanz- und Wirtschaftskrise dazwischen liegen. 1995 lag sie bei 7,1 Prozent, im vergangenen November bei 8,7 Prozent.    

Es gibt kein Patentrezept

ÖGB-Präsident Erich Foglar hat angesichts der Rekordarbeitslosigkeit in Österreich bei einer Podiumsdiskussion in der Österreichischen Nationalbank darauf hingewiesen, auch das Beschäftigungsplus zu berücksichtigen. Denn ein Blick auf die Zahlen zeigt: Seit 2011 sei die Zahl der Erwerbstätigen um 100.000 Personen gestiegen, aber nur 60.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, so Foglar. Der überwiegende Teil der neuen Erwerbstätigen sei aus den 2004 beigetretenen osteuropäischen EU-Mitgliedsländern gekommen, aber auch mehr Frauen hätten auf den österreichischen Arbeitsmarkt gedrängt. Der Begriff Vollbeschäftigung müsse unter den „völlig veränderten“ europäischen Rahmenbedingungen neu definiert werden, so der ÖGB-Präsident.
Angesichts der Wachstumsschwäche, der historisch hohen Arbeitslosigkeit und einem seit sieben Jahren andauernden Nettoreallohnverlust für die ArbeitnehmerInnen in Österreich, ortet Foglar an vielen Stellen einen Änderungsbedarf: „Es gibt kein Patentrezept, wir müssen an 1.000 Schrauben drehen. Die einfachen Antworten gibt es nicht mehr.“ Der ÖGB-Präsident plädierte auch erneut für einen Richtungswechsel auf europäischer Ebene. „Europa ist der Wachstumszwerg, in vielen Ländern der EU auch Arbeitslosenkaiser.“ 

Schon lange fordert der ÖGB, dass Europa sich aus dem Würgegriff des Stabilitäts- und Wachstumspaktes befreit. In seiner aktuellen Ausrichtung führt dieser dazu, dass es in Europa kaum Wachstum gibt, Armut und Arbeitslosigkeit zunehmen und der Druck auf die Sozialsysteme steigt. Zur Förderung von Beschäftigung müssen sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf europäischer Ebene beschäftigungswirksame Investitionen erhöht werden – besonders im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, fordern die Sozialpartner-Präsidenten Ende 2014 bei einem gemeinsamen Besuch in Brüssel. Und „in Österreich fehlt es an Konsum und Investitionen“, sagt Foglar. Aufgrund der Politik der Europäischen Zentralbank gebe es „Geld wie Sand am Meer“, es komme aber nicht in der Realwirtschaft an. „Die Geldschwemme hat wieder zum Boom der Börsen geführt“, kritisiert er. Finanzprodukte wie Derivate würden aber keine Arbeitsplätze schaffen. Und diese werden europaweit dringend benötigt.

Webtipps:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.arbeitsmarktoeffnung.at
www.igr.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen harald.kolerus@gmx.at und amela.muratovic@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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