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Symbolbild zum Bericht Es ist höchst an der Zeit, die Arbeit nicht nur auf das Reagieren und Abfedern von Problemen, sondern auf eine proaktive Herangehensweise zum Nutzen aller auszurichten.

Europa ist auf die Probe gestellt

Schwerpunkt

Vieles hat sich seit Österreichs EU-Beitritt verändert, im Positiven wie im Negativen. Doch wohin geht Europa? Eine Bestandsaufnahme.

Am 1. Jänner 1995 wagte die Republik Österreich den großen Schritt und trat der Europäischen Union bei. Im Jahr zuvor, im Juni 1994, sprachen sich zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher im Rahmen der EU-Volksabstimmung für den Beitritt aus. Große Hoffnungen wurden in dieses Projekt gesetzt. Es waren vor allem die jungen Menschen, die den Beitritt mit der Freude verbanden, frei reisen und im europäischen Ausland studieren, arbeiten und leben zu können. Mittlerweile ist genau das und vieles mehr zur Realität geworden: Reisen ohne Passkontrolle am Grenzübergang, billiges Telefonieren im Ausland, die Möglichkeit, sich überall in der Union niederzulassen, unsere gemeinsame Währung, das Bewusstsein über gemeinsame europäische Werte, die EU-Grundrechtecharta und ein hohes Maß an KonsumentInnenschutz in allen Mitgliedstaaten, um einleitend nur einige Punkte zu nennen.

Enorme Aufwertung

Seither hat sich die Europäische Union institutionell massiv verändert. Durch den Vertrag von Lissabon – das Überbleibsel der angestrebten, aber gescheiterten EU-Verfassung – wurde das EU-Parlament im Jahr 2009 enorm aufgewertet, dem Rat der Mitgliedstaaten in weiten Teilen gleichgestellt und seine Handlungsfähigkeit ausgebaut. Auch das Jahr 2014 war ein demokratiepolitischer Meilenstein. Durch die Wahl zum Europäischen Parlament am 25. Mai 2014, bei dem erstmals SpitzenkandidatInnen der Parteien auch für das Amt des Kommissionspräsidenten antraten, erfuhr die Union eine neue demokratische Qualität. Zum ersten Mal in der Geschichte der Union ist der Präsident der EU-Kommission durch eine Wahl demokratisch legitimiert. Am Beispiel der SpitzenkandidatInnen bei der EU-Wahl 2014 zeigt sich, wie Demokratisierung abseits der Entscheidungsmacht der Staats- und RegierungschefInnen funktionieren und Erfolg haben kann.
Fakt ist, dass Österreich in den vergangenen 20 Jahren vom Rand in die Mitte der Union gerückt ist. Der Beitritt und die neue volkswirtschaftliche Ausrichtung Österreichs auf den europäischen Binnenmarkt bescherten unserem kleinen Land eine Verdoppelung unserer Exporte, an denen Hunderttausende Arbeitsplätze hängen. Jeglicher Kritik zum Trotz: Österreich hat wirtschaftlich in hohem Maße davon profitiert.
Seit dem Beitritt ist viel Wasser die Donau, die Weichsel und den Rhein hinabgeflossen. Die Welt, in der wir leben, wurde mehr und mehr zu einer globalisierten. Und während die Zahl der EU-Mitgliedstaaten auf 28 anwuchs, wurde jenes Szenario zur Realität, das das gesamte europäische Projekt mitsamt ihrer Zukunftsfähigkeit auf die Probe stellt. Probleme auf den unkontrollierten Finanzmärkten liefen auf die Weltmärkte über und trafen Europas Wirtschaft mit voller Wucht. Seit nunmehr sieben Jahren steckt die Europäische Union – ausgehend von der Finanzkrise in den USA – in der schlimmsten wirtschaftlichen Krise ihrer Geschichte. Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Teilen der Union so hoch wie nie zuvor – rund 24 Millionen Menschen in der EU waren Ende 2014 ohne Job –, und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Ein Leben in Armut wurde für zu viele Menschen zum Alltagskampf. In Griechenland leben mehr als 500.000 Kinder unter der Armutsgrenze und die öffentliche Gesundheitsversorgung wurde in die Funktionslosigkeit gespart.

Sparen ist der falsche Weg

Gleichzeitig werden die Stimmen all jener lauter, die das europäische Projekt samt unserer Gemeinschaftswährung auf dem Boden liegend sehen und längst zum Scheitern verurteilt haben. Klar ist, dass die einseitige Sparpolitik als konservativ-neoliberales Rezept für die krisengebeutelten Mitgliedstaaten der falsche Weg war. Viele der auf EU-Ebene ins Leben gerufenen Maßnahmen und Initiativen erwiesen sich als unwirksam und haben Probleme in weiten Teilen der Union zusätzlich verschärft. Vielerorts bleibt die wirtschaftliche Nachfrage nach wie vor aus. Sinkende Einnahmen und gekürzte Löhne einerseits, Staatsschulden und gedrosselte öffentliche Sozialausgaben andererseits sind die Konsequenzen der Sparauflagen.
Dass daraus kein Wachstum resultiert, ist wenig überraschend. Sparzwang verhindert sinnvolle Investitionen in die Realwirtschaft und macht Wachstum unmöglich. Sparzwang schmälert Löhne und beschneidet die Verhandlungs-macht der Beschäftigten. Solange sich die Staaten im Würgegriff des Fiskalpakts befinden und an die strengen Defizitregeln gebunden sind, haben sie innerhalb des EU-Rechts keine Möglichkeit, die dringend notwendigen Investitionen in beschäftigungsintensive und nachhaltige Zukunftsprojekte zu tätigen.

Richtungsweisende Investitionen

Die im Herbst vergangenen Jahres neu besetzte EU-Kommission unter der Führung des Luxemburgers Jean-Claude Juncker hat sich nach massivem sozialdemokratischem Druck zum Ziel gesetzt, „es diesmal anders zu machen“. Anders bedeutet für Juncker und Co., sich künftig um die großen Probleme in Europa zu kümmern und Europas Wirtschaft mit neuen Investitionen aus der Krise heraus und zurück in die Wachstumsphase zu führen.
Nicht nur Juncker und seine KommissarInnen, sondern auch die Staats- und RegierungschefInnen der Mitgliedstaaten wissen, dass die nächsten zwei, drei Jahre entscheidend dafür sein werden, ob das europäische Projekt seine trotz allem hohe Legitimation behält. Nach sieben Jahren der Krise ist der im vergangenen Herbst präsentierte Investitionsplan in Höhe von 315 Mrd. Euro richtungsweisend, um die EU zurück auf Kurs zu bringen – auch um das verloren gegangene Vertrauen der BürgerInnen zurückzugewinnen. Der Investitionsplan wurde nach langem Drängen der europäischen SozialdemokratInnen vorgebracht und ist auch ein Zugeständnis an all jene Kräfte, die die politischen Krisenrezepte der letzten Jahre als dysfunktional und grundlegend falsch einstufen. Ob der geplante Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) tatsächlich funktioniert und der Hebeltrick zur Akquirierung der rund 300 Mrd. Euro aufgeht, wird sich zeigen. Ausständig ist leider immer noch die sogenannte „Golden Rule“, um Direktinvestitionen der öffentlichen Hand – etwa in Infrastruktur, Bildung oder Forschung – aus den Defizitregelungen auszunehmen.

Wohin geht Europa?

Neben den sozioökonomischen Folgen hat die Krise auch Konsequenzen institutioneller Natur mit sich gebracht und die EU gewissermaßen zu mehr Integration gezwungen. Dies äußerte sich etwa in der Schaffung der europäischen Bankenaufsicht, um das Pleitegehen systemrelevanter Geldinstitute künftig vorhersehen und verhindern zu können. Mögliche Kosten sollen künftig von den Banken selbst getragen werden.
Der nächste Integrationsschritt muss eine Harmonisierung in Teilen der Steuerpolitik sein, die derzeit nationalstaatlich geregelt ist. Die Enthüllungen der Lux-Leaks-Affäre haben einmal mehr aufgezeigt, wie schamlos sich internationale Konzerne der Tricks zur Vermeidung und Hinterziehung von Steuern bedienen. Nicht ohne Grund haben die europäi-schen SozialdemokratInnen das im EU-Wahlkampf immer wieder thematisiert. Denn jährlich gehen an die 1.000 Milli-arden Euro durch die Steuertrickserei verloren. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle, vor allem in der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der Handlungsbedarf ist bekannt: Gewinne sind dort zu besteuern, wo sie erwirtschaftet werden. Der Kampf gegen Steuerbetrug kann nur auf europäischer Ebene effektiv bestritten werden.

Gigantische Herausforderungen

Europa hat nun die gigantischen Herausforderungen – die Krisenbewältigung, die Schaffung von Steuergerechtigkeit und die Weiterentwicklung zur Sozialunion – erfolgreich zu meistern. Das verloren gegangene Vertrauen der Bürge-rInnen aufgrund von neoliberaler Sparpolitik muss wiedererlangt werden. Die BürgerInnen und insbesondere die Ar-beitnehmerInnen müssen den Nutzen der EU im täglichen Leben spüren können. Letztlich wird das europäische Pro-jekt an seinen Erfolgen gemessen und es ist höchst an der Zeit, die politische Arbeit nicht nur auf das Reagieren und Abfedern von Problemen, sondern auf eine proaktive Herangehensweise zum Nutzen aller auszurichten.

Webtipp:
EU-Homepage von Evelyn Regner:
evelyn-regner.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin evelyn-regner@europarl.europa.eu  oder die Redaktion aw@oegb.at

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