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Brigitte Ederer Mangelndes Engagement bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Das ist der größte Kritikpunkt der früheren Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer. Das Problem sind die fehlenden Investitionen, bemängelt die Sozialdemokratin.

"Zu wenig Investitionen"

Interview

20 Jahre EU-Beitritt: Ex-Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer über erfüllte und enttäuschte Hoffnungen.

Zur Person: Brigitte Ederer
1983 zog Brigitte Ederer für die SPÖ als Abgeordnete in den Nationalrat ein. Von 1992 bis 1995 war sie Europa-Staatssekretärin in der Regierung Vranitzky und verhandelte als Vertreterin Vranitzkys gemeinsam mit Außenminister Alois Mock in Brüssel. Nach dem Ausscheiden als Staatssekretärin wurde sie SPÖ-Bundesgeschäftsführerin der SPÖ und danach Finanz- und Wirtschaftsstadträtin in Wien. Im Jahr 2000 wechselte Ederer zu Siemens, wo sie erst in Österreich und dann in Deutschland im Vorstand saß. Im September 2013 wurde sie vorzeitig abberufen. Seit September 2014 ist Ederer Aufsichtsratsvorsitzende der ÖBB.

 

Arbeit&Wirtschaft: Ihr erster Job war in der Arbeiterkammer. Diese zählte früher zu den EU-SkeptikerInnen. Sie auch?

Brigitte Ederer: Na ja, das hat weniger mit der AK zu tun. Ich war in jungen Jahren Aktivistin der Sozialistischen Jugend und sicherlich skeptisch. Auch in der AK hat von den Achtziger- auf die Neunzigerjahre eine Meinungsänderung stattgefunden und man ist zu dem Schluss gekommen, dass der EU-Betritt für die produzierende Wirtschaft und insgesamt für wirtschaftliche Themen von Vorteil ist.

Was ließ Sie zur Befürworterin werden?

Als ich Abgeordnete (im Nationalrat, Anm.) war, hat mich Heinz Fischer, der damals Klubobmann war, als Beobachterin in die Sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament geschickt. Da habe ich gesehen, was es an Möglichkeiten gibt, aber auch an guten Positionen. Und ich habe gemerkt, dass der Vorwurf, dass die EU eine Ansammlung von wirtschaftlichen Interessen ist, bei Europaparlamentariern damals auf keinen Fall gestimmt hat.

Woran haben Sie das festgemacht?

In der Sozialdemokratischen Fraktion gab es Positionen, die dem Wirtschaftssystem gegenüber weit kritischer waren als jene, die auch ich vertreten habe. Auch gewisse Kommissare, die ich kennenlernen durfte, haben sehr beeindruckende Positionen vertreten, wie man die Zusammenarbeit in Europa angehen muss, welche Rolle die Menschen spielen, welche Maßnahmen es zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit bräuchte et cetera. Der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors war mit Sicherheit ein großer Sozialdemokrat.

Große Hoffnungen wurden immer wieder in eine Sozialunion gesteckt. Zur Realität wurde sie nicht. Woran scheitert’s?

Da sind schon teilweise die Mitgliedstaaten selber schuld, weil sie – allen voran auch Österreich – der Meinung waren: Bei den Sozialstandards lassen wir keine europäischen Regelungen zu, sondern dort gelten weiterhin nationale Regelungen. Denn wir sind der Meinung, dass unsere Standards die besten sind. Das denkt sich jedes Mitgliedsland, so komisch das ist. Oder es denkt sich: Wir haben Regelungen, die es uns ermöglichen, vielleicht dadurch mehr Unternehmungen anzulocken – dass sich unsere Regelungen eben von hohen Regelungen in anderen Ländern unterscheiden.

Ein Konsens auch über die Parteigrenzen hinweg?

Sehr vereinfacht gesagt: Die Konservativen haben gemeint, die EU würde zu hohe Standards einführen, wenn man sie lassen würde. Die Sozialdemokraten wiederum haben geglaubt, die EU würde nach unten nivellieren. Aber die Sozialstandards sind nicht mein Thema. Was mein Thema ist und wo die Europäische Union zu wenig macht, ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das hat etwas mit Investitionen zu tun, und die finden in Europa einfach zu wenig statt.

Stichwort Austeritätspolitik?

Das hat mit Sicherheit mit der in Europa derzeit vorherrschenden, sicher notwendigen Sparpolitik zu tun. Aber es ist halt ein Unterschied, ob man Geld in einmalige Zahlungen investiert, die in Wahrheit keine Nachhaltigkeit haben, oder ob man Infrastruktur aufbaut. Erstens einmal ist die sehr lang da, zweitens ist sie für die wirtschaftliche Entwicklung sehr positiv, und drittens bringt das Arbeitsplätze und damit auch die Möglichkeit, Menschen Beschäftigung zu brin-gen. Und damit wiederum hat man einen Multiplikator, der in die richtige Richtung geht. Das Wirtschaftswachstum in Europa ist zu gering und damit haben wir vor allem das Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit.

Das „Europa der Konzerne“ wird aktuell wieder stark kritisiert. Zu Unrecht?

Ich will mir gar nicht ausmalen, wie die Wirtschaftskrise für die einzelnen Nationalstaaten ausgegangen wäre, wenn es nicht die Europäische Union und die Europäische Zentralbank gegeben hätte.
Natürlich muss es in den einzelnen Nationalstaaten Reformen geben. In allen besteht die Gefahr der Überdimensionierung der Bürokratie. Das ist schon alles richtig, aber es fehlt der zweite Teil, nämlich dass man investieren müsste, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Dem wird allerdings entgegengehalten, es seien nicht mehr Mittel da, weshalb nichts anderes übrig bleibe, als zu sparen.

Erstens einmal gibt es bei der Europäischen Investitionsbank sehr wohl Mittel. Dann ist ja der Schuldendienst bei einer Niedrigzinspolitik ein sehr geringer. Und man könnte die wirklichen Investitionen aus dem Maastricht-Defizit herausnehmen, und damit hätte man schon einen Spielraum.

Woran scheitert es?

Da sind einzelne Nationalstaaten, die ein großes Gewicht in der Europäischen Union haben, eben sehr skeptisch. Dann gibt es einen Mainstream – wenn man sich ansieht, wie Griechenland behandelt wurde –, der eben nur auf Sparpolitik setzt und keine ausgewogenen, auf längere Zeit orientierten Maßnahmen setzt. Kürzlich hat Karl Aiginger (Wifo-Chef, Anm.) – der ja nicht gerade den Ruf hat, ein Linksextremer zu sein – gesagt: Ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum würde allein Österreich zehn Milliarden Euro kosten. Das ist ungefähr das doppelte Volumen von dem, was jetzt an Steuerreform angedacht ist. Wirtschaftlich hängt eben bereits vieles zusammen und man muss versuchen, gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Diktate, wie die Troika dies in Griechenland gehandhabt hat, sind auf Dauer nicht zielführend, um gemeinsame Regelungen zu finden.

Wie haben Sie die Rolle von Gewerkschaften und AK im Vorfeld des EU-Beitritts wahrgenommen?

Die Sozialpartner und deren Aktivitäten waren ganz wichtig, damit wir die Volksabstimmung gewinnen konnten, weil sie eindeutig Aufklärungsarbeit getätigt haben. Gerade die Gewerkschaften und die Betriebsräte haben eine ganz wichtige Rolle gespielt.

Was hätten Gewerkschaften oder AK anders oder besser machen können?

Als die Freizügigkeit der Rumänen und Bulgaren verhandelt wurde, hat ein Teil der Arbeiterkammer-Funktionäre sehr, sehr skeptisch reagiert und es in der Öffentlichkeit meiner Meinung nach dramatisiert. Damit meine ich nicht, dass man nicht auf Probleme hinweisen kann. Aber im Endeffekt sind ja mehr Einwanderer aus Deutschland als aus Bulgarien gekommen.

Vor der Volksabstimmung führte das ganze Land permanent Diskussionen. Wie viel waren Sie selbst unterwegs?

Ich war viel unterwegs. Von 1992 bis zur Volksabstimmung war ich praktisch drei Tage in der Woche in Österreich unterwegs – zwei Tage war ich im Bundeskanzleramt, um Dinge vorzubereiten. Ich hab x Veranstaltungen absolviert, ich weiß gar nicht, wie viele es waren. So viele Einladungen hatte ich vorher und nachher nie wieder. Das Einzigartige daran war: Es waren nicht nur Veranstaltungen von politischen Parteien, sondern ich war oft in Unternehmungen, bei Betriebsversammlungen, in katholischen Mütterclubs, Sparkassen haben für ihre Kunden Veranstaltungen gemacht. Da waren wir eigentlich alle – die Regierungsmitglieder, aber auch die Sozialpartner – wirklich eingespannt, und das waren gute Diskussionen.

Der Ederer-Tausender hat Ihnen viel Spott beschert. Bereuen Sie diese Aussage?

Erstens einmal, auch wenn es niemand in dem Land glaubt: Ich habe damals gesagt, dass sich eine vierköpfige Familie 1.000 Schilling in einem Monat erspart – und es gibt x Untersuchungen von Wirtschaftsforschern, die belegen, dass das stattgefunden hat. Allerdings hat es zur gleichen Zeit, als wir der EU beigetreten sind, das erste Sparpaket gegeben, und die Leute – und das verstehe ich – haben das vermengt. Danach ist das zum Synonym geworden für: Die haben uns nicht überall die Wahrheit gesagt. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, werde ich immer noch angesprochen, viele fragen aggressiv: Wo ist der Tausender?

Welche Hoffnungen haben Sie damals in die EU gesteckt?

Ich habe in die Europäische Union sehr stark die Hoffnung gesteckt, dass damit eine gewisse Öffnung des Landes vor sich geht. Dass junge Leute in anderen EU-Ländern völlig problemlos studieren können oder man am Arbeitsmarkt ein paar Jahre Erfahrungen in einem anderen Land in der Europäischen Union sammeln kann. Das ist im Großen und Ganzen gelungen. Es gibt heute eine Generation der 20- bis 30-Jährigen, die diese Europäische Union ganz anders erlebt. Zugegebenermaßen hat das schon etwas mit einer gewissen Bildungsschicht zu tun. Ich glaube, ein Lehrling erlebt das weniger, außer im Urlaub. Aber es kann sich ja heute kein 25-Jähriger mehr vorstellen, was es bedeutet hat, nach Italien auf Urlaub zu fahren. Da ist man ja stundenlang an den Grenzen gestanden. Auch an der Grenze zu Deutschland, am Walserberg ist man zur Hauptreisezeit fünf, sechs Stunden gestanden.
Das war für mich der Hauptpunkt, denn dieses Land hat ja immer ein bisschen die Tendenz, sich abzuschotten. Meine Hoffnung war auch, dass es wirtschaftlich eine Öffnung geben würde. Und die österreichische Industrie hat ja die Chance, die die Ostöffnung geboten hat, beeindruckend wahrgenommen.

Wo sehen Sie Versäumnisse?

Es ist nicht gelungen, dass man von der Europäischen Union als „wir“ spricht. Man hat es nicht geschafft, zu kommunizieren, dass wir Teil der Europäischen Union sind und die Europäische Union ein Teil neuer österreichischer Innenpolitik. Wir sitzen ja immer am Tisch, egal, welche Entscheidung getroffen wird.
Vor der Volksabstimmung gab es diese enorme Informationsaktivität, danach war es anders. Wenn uns eine Regelung oder Entscheidung gepasst hat, wurde danach kommuniziert: „Wir haben uns durchgesetzt.“ Damit dokumentiert man ja auch ein Feindbild, weil wenn man sich wo durchsetzt, dann sitzt einem gegenüber ja kein Freund, sondern ein Gegner. Das heißt, man hat eine Grundstimmung aufgebaut, dass die EU eigentlich ein Gegner ist.
Wenn uns etwas nicht gepasst hat, dann haben wir gesagt: Das hat die Europäische Union beschlossen, damit haben wir nichts zu tun. Wenn Sie sich nur vorstellen, wie heftig das Rauchverbot in Österreich diskutiert wird. Da gibt es ja auch Pro und Kontra. Kein Mensch würde zum Beispiel sagen „die Oberösterreicher sind schuld“, sondern es ist ein innerösterreichischer Diskurs, wo es unterschiedliche Meinungen gibt und unterschiedliche Interessen. Jeder weiß das. Diese Erklärung, die bei einer nationalen Diskussion selbstverständlich ist, findet in Europa viel zu wenig statt. Da müsste man mehr erklären.

Zugleich ist es natürlich eine Mammutaufgabe, 28 verschiedene Länder an einen Tisch zu bringen. Muss man sich vielleicht mehr in Geduld üben?

Ich glaube, in den letzten 20 Jahren ist Europa schon mehr zusammengewachsen. Henry Kissinger hat ja einmal gesagt, er wisse gar nicht, wo er in Europa anrufen soll, weil er keine Telefonnummer hat. Die Telefonnummer gibt es mit Federica Mogherini (EU-Außenbeauftragte, Anm.) mittlerweile, die ist sehr aktiv und macht das gut.
Ich habe schon den Eindruck, dass es ein starkes Zusammenwachsen der Europäischen Union gibt, aber natürlich noch loser als die Vereinigten Staaten. Europa ist noch immer eine Ansammlung von 28 Ländern.

Vor zehn Jahren haben Sie in einem Interview gesagt: Die Leute müssen das Gefühl bekommen, dass diese EU für uns da ist. Ist das gelungen?

Vor zehn Jahren war es nicht besser oder schlechter. Schon damals hatte kein Mensch das Gefühl: Die Europäische Union, das sind wir. Man müsste sehr intensiv wie damals vor der Volksabstimmung informieren. Aber die Situation ist eine andere. Wie würden sich die Sozialpartner bei solch einer Informationskampagne positionieren? Notwendig wäre zu zeigen: Das sind wir und das wollen wir in der Europäischen Union und das ist unser Anliegen und wir müssen da zusammenwachsen. Ich glaub, das war vor zehn Jahren genauso wie jetzt.

Vor 20 Jahren gab es das gemeinsame Ziel Beitritt?

Gemeinsam statt einsam: Das war ja unser erfolgreichster Slogan, so banal er auch klingt. Das Gemeinsame ist aber jetzt zu wenig vorhanden.

Gegner der EU-Erweiterung meinen, dass diese die Europäische Union daran hindere, zu einem Gebilde zusammenzuwachsen. Wie sehen Sie das?

Bei der Erweiterung steht ja nicht mehr viel an, die restlichen Balkanländer noch. Die Türkei wird in absehbarer Zeit nicht beitreten, weil auch die politische Entwicklung dort nicht so ist, dass man sagen kann, dass das eine Annäherung an die Europäische Union fördert. Es ist wichtig, dass man mit der Türkei ein gutes Einvernehmen hat, dass man wirtschaftliche und politische Kontakte hat. Die Türkei könnte meiner Meinung nach aber wesentlich mehr machen im Konflikt mit Syrien und mit dem Problem „Islamischer Staat“. Aber das ist im Moment sicher schwierig, sodass eine Integration nicht so schnell vor sich geht.
Es muss jetzt einmal die Integrationsschritte geben, die noch anstehen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ja jetzt bei der Auswahl der Kommissare einen wichtigen Schritt gemacht. Es geht einfach nicht, dass 28 oder 29 oder 30 Länder jeweils einen Kommissar oder eine Kommissarin schicken. So wie möglicherweise nicht jedes österreichische Bundesland einen Minister hat, muss man einfach akzeptieren, dass es auch in der EU schrittweise eine Änderung gibt. Was nicht heißt, dass man nicht ein Gesicht für jedes Land braucht, der oder die in der Europäischen Union Themen für ein Land behandelt und den oder die man ansprechen kann. Man muss aufpassen, dass die Identität nicht verloren geht. Aber ich bin eigentlich optimistisch.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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