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Symbolbild zum Bericht Wenn es um Schwerarbeit geht, wird meistens von männlichen Arbeitsfeldern gesprochen. Dabei haben auch Verkäuferinnen, Pflegerinnen und Kindergärtnerinnen Jobs, die sowohl Körper als auch Psyche schwer belasten können.
Buchtipp

Mensch und nicht Maschine

Schwerpunkt

Pflegerinnen müssen Enormes leisten, und das in immer kürzerer Zeit. Das schafft den Körper und die Psyche.

Dienstübergabe ist morgens um sieben. „Wir sind zwölf Stunden lang am Sprung“, erklärt Hannelore Zimmel. Sie ist 50 Jahre alt und seit 31 Jahren diplomierte Krankenschwester, erst in der Intensivstation, dann auf der Chirurgie im Krankenhaus. Nun arbeitet die Betriebsrätin als Pflegerin im Haus Atzgersdorf im 23. Wiener Gemeindebezirk. Es ist eines von 31 „Häusern zum Leben“, betrieben vom Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP).

Zwicken und Kneifen

Rund 16 Dienste hat Zimmel pro Monat. Der Arbeitsalltag reicht von der Inkontinenzversorgung, Körperpflege, dem Mobilisieren bis hin zum Verbandswechsel, der Essenseingabe, der Unterstützung oder der Lagerung und Verabreichung von Medikamenten. „Schwester Hanni“, wie sie die BewohnerInnen nennen, wird wie ihre KollegInnen ständig von Notrufen, Telefonanrufen von Angehörigen oder BewohnerInnen, die Fragen haben oder auf die Toilette wollen, in ihrer Tätigkeit unterbrochen. Zimmels Job ist körperlich wie psychisch schwer belastend. Allzu viele Jahre hat sie auf ihren Körper, insbesondere den Rücken, wenig Rücksicht genommen. Sie hat gehoben, wo es ging: wenn jemand gefallen ist, Hilfe brauchte, wenn andere zu schwach waren. Jetzt zwickt und kneift es auch bei ihr und schmerzt in der Wirbelsäule. Nicht nur die Lasten drücken auf den Rücken, auch der psychische Stress wiegt schwer.
In den „Häusern zum Leben“ arbeiten rund 3.800 Beschäftigte – knapp 1.300 sind in der Pflege und Betreuung der etwa 8.000 KlientInnen tätig. Im Haus Atzgersdorf sind nur fünf Männer in der Pflege beschäftigt, der Pflegeberuf wird immer noch überwiegend von Frauen ausgeübt, in den letzten Jahren mit einer großen Tendenz zur Teilzeit. Eine Vielzahl der KlientInnen leidet an seniler Demenz – Menschen, die auch 24 Stunden durchgehend Aufmerksamkeit fordern, sind nicht selten. Zimmel: „Man muss gleich bleibend professionell agieren, denn so will ich auch einmal betreut werden. Du gehst nach Hause und es bleibt dir im Kopf – wir betreuen unsere BewohnerInnen nicht zwei Wochen, wie im Spital, sondern wir leben mit ihnen mehrere Jahre zusammen.“

Problem Personalstand

Zwar sollen die 12-Stunden-Dienste auf acht bzw. zehn Stunden verkürzt werden, „doch das kann mit diesem Personalstand mathematisch nicht einfach funktionieren“, denkt Zimmel. Außerdem sei es für die BewohnerInnen meist angenehmer, wenn eine Bezugsperson ganze zwölf Stunden für sie da ist: „Vor allem bei Dementen ist eine Bezugspflege sehr wichtig. Gespräche sind die beliebteste Form der Zuwendung und werden sehr genossen.“ Als Entlastung würde sie sich wünschen, dass es zwei Schwestern pro Gruppe gibt: „Aber das ist eine Utopie, die nie finanziert werden kann.“ Der Arbeitsdruck ist in den letzten Jahren enorm gestiegen und macht der Belegschaft zu schaffen – ArbeitnehmerInnen erkranken. Allzu häufig müsse sie ihre Gespräche mit den BewohnerInnen kurz halten, da die Zeit fehlt, bedauert Zimmel. Den größten zusätzlichen Aufwand bringe die stetig anwachsende Dokumentation: „Die Absicherung vor dem Gesetz wird immer mehr – es ist stets mehr zu schreiben, als man tatsächlich beim Bewohner sein kann.“ Alles nicht Dokumentierte ist praktisch nicht gemacht und wäre aber umso notwendiger, meint sie. „Diese Zeit geht auf Kosten der Betreuung“, weiß Silvia Weber-Tauss, 55. Sie arbeitet seit 20 Jahren im KWP und ist Zentralbetriebsrätin. Die gelernte Pflegehelferin hat ebenfalls lange im Krankenhaus gearbeitet. Für sie gehört zum Erfolgserlebnis in der Geriatrie, „die Ressourcen, die der Mensch hat, zu verbessern oder so lange wie möglich zu erhalten“. Die älteste Bewohnerin war 104 Jahre alt ‒ „eine Bereicherung“, wie Weber-Tauss betont.
Stets im Hinterkopf zu haben, dass noch so viel tun ist, stresst Körper wie Geist. Auch die Frage, ob Rettung oder Arzt gerufen werden müssen, birgt eine immense Verantwortung. Zur Gesundheitsförderung wird im Unternehmen derzeit die Ausbildung von Ergonomie-LotsInnen unterstützt. Aus allen Bereichen – etwa Küche, Büro, Pflege, Hausbetreuung – wurden ZirkelteilnehmerInnen nominiert. „Ergonomie-Lotsen und Zirkelteilnehmer setzen sich zusammen, besprechen, was haben wir Tolles, welche Ressourcen, und wo hakt es. Danach werden mögliche Lösungen überlegt und anschließend in einem Maßnahmenkatalog präsentiert“, erzählt Zimmel. Schwerpunkte sind: Arbeiten bei Hitze; Heben, Schieben, Tragen; Zeit für Zuwendung. Für Entlastung der MitarbeiterInnen soll zudem „Sara 3000“ sorgen, ein Hebelifter. Weber-Tauss: „Eine tolle Geschichte, aber auch ein großer Zeitaufwand. Viele holen sich das Gerät aus Zeitdruck gar nicht, weil diese Zeit für die Bewohner genutzt werden kann.“

Gewinnmaximierung?

Den irrsinnigen Druck, der etwa auf dem Pflegepersonal lastet, kann Sonia Raviola, Gesundheitsexpertin der AK Niederösterreich und Supervisorin, gut nachempfinden: „Durch diesen Evaluierungswahn ersticken sie in ständiger Dokumentation. Und das oft innerhalb der eigentlichen Betreuungszeit.“ Die Expertin: „12-Stunden-Schichten haben schon ihren Vorteil, wenn es danach genügend Freizeit gibt. Voraussetzung ist: Man muss in diesem Job genug verdienen und nicht in eine zweite Arbeit hineingedrängt werden.“ Gerade im Krankenhaus- oder im Pflegebereich sind die Dienste oft so eng gestaltet, dass es ganz wenige Möglichkeiten für Team und Gruppe gibt, sich auszutauschen – etwa durch eine Team-Supervision oder ein Coaching. „Oft ist das nicht nur eine zeitliche Frage, sondern im Spital eine räumliche. Es gibt wenige Pausenräume. Besonders betroffen sind die mobilen Dienste.“
Raviola rät auch zur Vorbildwirkung: „Wenn BetriebsrätInnen selbst wie ein Schlot rauchen, zu viel Alkohol trinken und sich stark übergewichtig durch die Welt bewegen, dann ist es einfach ein schlechtes Vorbild. Es führt kein Weg daran vorbei, dass BetriebsrätInnen an ihrer eigenen Gesundheit arbeiten. Das gilt auch für Führungskräfte.“ Dass Führungskräfte, die selbst wissen, wie Energie durch Bewegung, gute Ernährung und Achtsamkeit erzeugt wird, „besser für ihre Mitarbeiter sorgen“, davon ist die AK-NÖ-Gesundheitsexpertin überzeugt.

Wenige Pausenräume

„Bei sozialen und Gesundheitsberufen darf es keine Maßstäbe von Produktivität und Gewinnmaximierung geben. Nur kostenmäßig gedacht, scheint es zwar billiger, wenn eine Krankenpflegerin möglichst viele Patienten versorgt. Doch das System kollabiert, man sieht es an den zunehmenden Burn-out-Fällen. Junge Menschen können diesen Stress vielleicht noch ein Stück weit regeln, doch je älter der Mensch, desto schwieriger wird es.“
Ob Pflegepersonal, VerkäuferIn, KellnerIn oder ein ähnlich belastender Beruf – der Körper fordert seinen Tribut. „Wenn ich eine gute Muskulatur habe, dann halten diese Muskeln auch die Knochen – etwa durch Gymnastik oder Krafttraining. Dafür brauche ich Zeit und den richtigen Ort“, erklärt Raviola. „Gelenke und Gelenksflüssigkeit haben stark mit der Ernährung zu tun. Ein Killer ist die Übersäuerung durch Kaffee, Alkohol und Fleisch. Die Aktivierung der Lymphknoten und auch der Gelenksflüssigkeit erfolgt stark über sanfte Bewegung und Massage. Für StahlarbeiterInnen, PflegerInnen oder etwa KellnerInnen ist genau das gesundheitlich wertvoll.“


Internet:
Studie „fit2work Arbeits-Fitness-Barometer“ (2012):
tinyurl.com/l9kryhr

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