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Symbolbild zum Bericht Dank neuer Technik bleiben wir praktisch nirgends ohne Orientierung.
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Energieutopie

Schwerpunkt

Von selbststeuernden Autos, echten Fahrzeugen, warmen Räume ohne Heiz- oder Kühlsysteme, Plusenergiehäusern und der dritten industrielle Revolution.

Vor etwas mehr als dreißig Jahren war es eine Sensation, als ein Rechtsanwalt während einer Zugfahrt nach Graz aus seinem Koffer ein mehr als ein Kilo wiegendes Mobiltelefon auspackte und mit seinem Büro telefonierte. Heute begleiten uns fast ständig Geräte mit einem um den Faktor zehn reduzierten Gewicht, für die die Bezeichnung Smartphones unzureichend scheint, weil deren Telefonfunktion eher nebensächlich geworden ist. Den ganzen Tag können wir uns mit FreundInnen weltweit austauschen. Fast jederzeit und überall stehen uns Informationen zur Verfügung. Praktisch an keinem Ort der Erde bleiben wir orientierungslos.

Riskantes Unterfangen
Angesichts dieser aktuellen technologischen Revolution erscheint es riskant, sich den Alltag in mehr als dreißig Jahren vorzustellen. Für einen prägenden Bereich unseres Lebens, nämlich den Umgang mit Energie, sind die Konturen dieser Zukunft aber immer deutlicher zu sehen. Diese Zukunft in 2050 lässt den aktuellen Zustand unseres Energiesystems von 2014 genauso unzureichend erscheinen, wie wir heute Mobiltelefone der frühen 1980er-Jahre empfinden. Überraschenderweise ist die sichtbare Praxis beim Umgang mit Energie aber, dass Lieferanten von Energie im Blick auf die Vergangenheit eine erwünschte Zukunft sehen. Gerade im Energiebereich werden Verantwortungen auch in der Politik gerne abgewälzt, beispielsweise auf die EU oder gar Russland. Deshalb hier eine Einladung, der Energiezukunft mit einem Blick nach vorne entgegenzusehen.
Aus der Sicht des Jahres 2050 wird das derzeitige Mobilitätssystem unverständlich sein. Vier von fünf Energieeinheiten gehen in den Verbrennungsmotoren durch Abfallwärme verloren. Ein privat genutztes Auto mit 12.000 gefahrenen Jahreskilometern ist nur zu zwei Prozent der 8.760 Jahresstunden in Bewegung. Somit sollte man vielleicht besser von Stehzeugen oder bewegten Öfen reden.
Mit hoher Sicherheit wird die Zukunft der Mobilität vollelektrisch sein. Die Rennfahrzeuge der Formel E loten mit Leichtbauweise und vollelektrischem Antrieb die technischen Potenziale aus. Unterstützt wird diese technische Entwicklung durch eine neue Generation von elektrischen Speichern, die ähnliche Qualitätsverbesserungen und Kostenreduktionen wie die Photovoltaik erwarten lassen.
Der nächste Technologiesprung wird in den nächsten zehn Jahren bei der Selbststeuerung der Straßenfahrzeuge sichtbar werden. Was schon jetzt die Roboterrasenmäher gut demonstrieren, die man inzwischen sogar bei Lebensmitteldiskontern gelegentlich kaufen kann, hat Google mit seiner Testflotte an selbststeuernden Autos über Hunderttausende von Kilometern überzeugend bewiesen: nämlich die Fähigkeit, Straßenfahrzeuge wirklich „auto“ im Sinne von „selbstständig“ mobil zu machen. Damit ist die absehbare Evolution des jetzigen Verkehrs zu Mobilität noch nicht ausreichend beschrieben. Schon jetzt werden Geschäftsmodelle sichtbar, die Autos nicht mehr verkaufen, sondern nur deren Dienstleistungen, nämlich den Transport von A nach B, anbieten. Damit werden aus den Stehzeugen wieder Fahrzeuge im eigentlichen Sinn.
Mit diesen schon jetzt gut abschätzbaren Technologiesprüngen sollten bis 2050 alle nur vorstellbaren Mobilitätsdienstleistungen für Personen und Güter leicht mit einem Zehntel des derzeitigen Energieaufwandes bewältigbar sein.
 
2226-Haus
Ein prominentes Architekturbüro in Vorarlberg hat sich mit einem sechsstöckigen Bürogebäude eine Orientierung für die Zukunft des Bauens gesetzt. Das sogenannte 2226-Haus schafft ohne ein Heiz- oder Kühlsystem durchgehend über das Jahr eine behagliche Raumtemperatur zwischen 22 und 26 Grad Celsius. Den Temperaturausgleich schaffen die massiven Böden und die doppelschaligen Ziegelwände. Durch den Entfall von aufwendiger Gebäudetechnik sind die Investitionskosten dieses Gebäudes niedriger als bei konventionellen Bürobauten.
Gebäude werden im nächsten Technologieschritt als Infrastruktur für aktive Energiesysteme entdeckt, vor allem durch die Integration von Photovoltaik in die Gebäudehülle. Somit schaffen diese neuen Bautechnologien die Evolution von Niedrig- zu Null- und schließlich zu Plusenergiehäusern.

Wohnen und Arbeiten
In traditionellen Wohngebäuden werden wir in den nächsten Jahren immer mehr jene Tätigkeiten ausüben, die wir jetzt unter Berufsarbeit einstufen. Die Veränderungen in der Arbeitswelt werden immer weniger gemeinsame Anwesenheit in sogenannten Firmenräumen erfordern. Schon jetzt offerieren namhafte österreichische Unternehmungen ihren MitarbeiterInnen „Teleworking“, also die Möglichkeit, tageweise zu Hause zu arbeiten.
Die genannten Optionen für ein innovatives Bauen können gar nicht schnell genug wahrgenommen werden, weil sie Folgen über viele Jahrzehnte haben. Auch bei den in Gebäuden zu erbringenden Energiediensten ist mit einem Produktivitätspotenzial um den Faktor zehn zu rechnen.
Aus mehreren Gründen wird in der Sachgüterproduktion eine dritte industrielle Revolution erwartet. Eine neue Generation von Produktionsmaschinen wird fast alle mechanischen Arbeitsvorgänge übernehmen können. Der Einsatz dieser Maschinen reicht von der Montage von Autos bis zur Montage von Smartphones und macht es möglich, Produktionsvorgänge aus den einstigen Billiglohnländern wieder in die alten Industriegebiete zurückzubringen.

3-D-Printing im Alltag
Radikal neue Produktionstechniken öffnen sich unter der Bezeichnung von 3-D-Printing oder additiver Produktion, weil damit – ähnlich einem Tintenstrahldrucker – dreidimensionale Strukturen entstehen. Diese Technologien produzieren schon heute Ersatzteile für Armeen in Kriegsgebieten, ganze Gebäude, aber auch Implantate für den menschlichen Körper. Es gibt Überlegungen, dass diese Technologie künftig Produktionsvorgänge in Haushalten genauso selbstverständlich macht wie heute das Erstellen von schriftlichen Dokumenten mit Tintenstrahldruckern. Diese neuen Produktionstechnologien werden ergänzt durch neue Werkstoffe, beispielsweise Kunststoffe, die auf der Basis von biogenen Rohstoffen erstellt werden. Diese neuen Werkstoffe könnten deutlich den Bedarf an Stahl und Aluminium reduzieren.
Überlegungen über die Zukunft der Sachgüterproduktion sind noch relativ ungesichert. Eine dritte industrielle Revolution könnte aber auch in diesem Bereich Technologiebrüche auslösen.
Nach diesen im besten Sinne aufregenden Perspektiven stellen sich folgende Fragen: Wie viel Energie wird in dieser skizzierten Zukunft erforderlich sein? Und woher soll diese kommen? Die Antwort darauf ist in der Kürze sicher unbefriedigend, aber durch vielfältige Technologieabschätzungen fundiert: Mit weniger als der Hälfte der jetzigen Energiemengen sollte eine gute Zukunft in einem Land wie Österreich leicht bewältigbar sein. Schon die jetzigen Mengen an erneuerbaren Energien würden dann mehr als zwei Drittel des Energiebedarfs abdecken. Elektrizität wird zum wichtigsten Energieträger und sollte weitgehend aus erneuerbaren Quellen erzeugbar sein.
Was diese großen Veränderungen im Umgang mit Energie für unseren Wirtschafts- und Lebensstil noch an Überlegungen braucht, erfordert ein gemeinsames Nachdenken von jedem und jeder von uns bis zu den Spitzen der Unternehmungen und der Politik. Hilfreich erscheint folgendes Zitat von Albert Einstein: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Und für alle, die die vorliegenden Überlegungen für utopisch halten, nochmals Einstein: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorneherein ausgeschlossen erscheint.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor stefan.schleicher@uni-graz.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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