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Einen Ruf zu verlieren

Kurzkrimi von Anni Bürkl

„Herr Schmidt, Sie hatten also Kontakt zum verstorbenen Herrn Li Zhen in Shanghai?“

Der Gerichtssaal war voll, als Friedrich Schmidt wegen mehrfachen Mordes angeklagt wurde. Zeugen, Reporter, alles drängte sich um den Mann, der so viele Menschen in den Tod gerissen hatte. Kameras klickten, es wurde getuschelt.

„Ja, Herr Richter. Ja, das hatte ich, ich gebe es zu. Aber Sie müssen mich auch verstehen. Ich werde Ihnen die Geschichte erzählen, die ganze Geschichte. Sie müssen wissen, meine Familie hatte seit Generationen ein gut gehendes Kleidergeschäft in der Fußgängerzone. Mein Urgroßvater Jakob kam als armer Schneider nach Wien, eröffnete hier seine Werkstatt und konnte sich im Lauf der Jahre mit seinem Fleiß und seinem Können hocharbeiten. Schon bald bestellten die noblen Herrschaften bei ihm Anzüge und Roben nach Maß. Er konnte rasch erweitern, vergrößern, immer mehr Mitarbeiter einstellen. Mein Großvater Ferdinand stieg ebenfalls nach einer Schneiderlehre in den Familienbetrieb ein, meine Großmutter Julia war Mannequin – ja, das nannte man damals noch so. Die beiden lernten sich bei einer Modenschau kennen, es war die große Liebe, sie begannen eine gemeinsame Zukunft. Meine Großmutter führte weiterhin Kleider vor, die mein Großvater entwarf. Auch über die Kriegsjahre haben die beiden ihr Geschäft gerettet, ja, ich weiß, was Sie fragen wollen – ich kenne die Antwort nicht. Es ist jedoch bei dem einen Geschäft geblieben, und ich kann Ihnen sagen, meine Großeltern waren ehrliche Leute, auch wenn sie sich nicht gegen Hitler zu Wehr gesetzt haben.“

„Erzählen Sie weiter.“

„Ich fing selbst nach meiner Ausbildung im Familienbetrieb an, da war er bereits auf einer Talfahrt. Überall gab es immer mehr neumodische Ketten mit billiger Importware. In den letzten Jahren lief unser Geschäft immer schlechter. Unsere Ware war zu teuer, die Kunden verlangten „billig, billig“, ich konnte es nicht mehr hören. Immer leerer war es im Lauf der Zeit zwischen den Kleiderständern und Regalen, auf denen wir die schönsten Röcke, Kleider und Hosen zur Schau stellten, jedes Stück einzigartig. Mit dem Schönheitsfehler, dass heutzutage kaum noch Interesse daran besteht.

Als mein Vater die Geschäfte endgültig an mich übergab, wurde das Problem zwingend. Mittlerweile hatte ich Familie und einen Kredit für die Wohnung abzuzahlen. Weil ich nicht zahlen konnte, wollten die Lieferanten nicht mehr liefern. Was tut man mit einem leeren Geschäft? Das hat keinen Sinn. Die wenigen Kunden fragten nach diesem oder jenem, und wir mussten sagen, das führen wir derzeit nicht. Würden Sie so ein Geschäft wieder aufsuchen, wenn Sie so eine Antwort öfter bekommen haben? Also ich täte es nicht. Außerdem sollte ich als neuer Inhaber plötzlich die x-fache Miete für den guten Standort zahlen. Ein Ding der Unmöglichkeit. Sie verstehen?“

Der Richter nickte.

„Die altbekannte Konkurrenz rundherum ging ein, ein Schicksal, das ich uns, meiner Frau, meiner Tochter und mir ersparen wollte. Wo hätte ich auch sonst zu arbeiten anfangen sollen? Wir hatten einen Ruf zu verlieren, unser Name war bekannt in der Stadt. Ein guter Name, er stand für Qualität. Andere Mitbewerber arbeiteten mit unlauteren Mitteln. So dachte ich zumindest, bis ich mich selbst umhörte, als ich Auswege suchte, suchen musste, um geschäftlich zu überleben. Der Bankrott stand vor der Tür, ungeachtet dessen wollte der Staat immer höhere Steuern und Abgaben von uns. Dazu Schmiergelder und dergleichen mehr, ein Fass ohne Boden. Ich hätte nur noch zusperren können. Ist das die Alternative, die Sie möchten?“

„Es geht nicht um das, was ich will. Fahren Sie bitte fort, Herr Schmidt.“

„Ich überlegte also, selbst ins China-Geschäft einzusteigen. Jedoch, Regen-Traufe-Problem, Sie verstehen?“

Der Richter nickte leicht.

„Mein guter Freund Joschi, Namen tun doch hoffentlich nichts zur Sache –“

„Ich muss Sie enttäuschen, wir brauchen den Namen, Herr Schmidt.“

Das Publikum raunte.

„Also gut. Da haben Sie den Namen, Josef Bosch, genannt Joschi, hatte die Connections. Er brachte mich mit Li Zhen aus Shanghai zusammen.“

„Er redet wie ein Touristenheini“, murrte es im Publikum. Der Richter erteilte einen Ordnungsruf.

„Ich unternahm feine Reisen ins Land der Morgenröte. Keine Spur von Kommunismus, kann ich Sie versichern. Li Zhen war ein vollendeter Gastgeber, seine Tochter Rose zeigte mir die Stadt. Sie war europäisch orientiert, ihr Name wie ihr Gehabe. Ich lernte sie näher kennen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Wieder nickte der Richter. „Verbrecher!“, rief jemand unter den Zuschauern. Ein paar standen auf, wollten nach vorne stürmen, wurden aber von den Ordnern davon abgehalten.

„Ich machte mir in der Folge Hoffnungen, auf diese Weise endlich wieder ins Geschäft zu kommen, Geld zu verdienen. Li Zhen lieferte wie vereinbart zu niedrigen Preisen, die Ware entsprach dem, was Konsumenten heute erwarten, aber nicht mehr. Wer ist denn noch interessiert an Handwerk, an ordentlichen Nähten oder qualitativ hochwertigen Knöpfen? Aber egal. Li Zhens Lieferung erfolgte pünktlich und unproblematisch. Eine Weile lief alles nach Plan. Mein Geschäft – unter neuem Namen wiedereröffnet – war wieder gut besucht, die Kassen klingelten, ich konnte mich endlich entspannen, mit meiner Frau in die Oper gehen, meiner Tochter einen USA-Urlaub zahlen. Ich schöpfte tatsächlich Hoffnung, Herr Richter.

Doch nach ein paar Monaten fingen die Probleme an. Zuerst schleichend, fast unmerklich. Trotz meiner Zahlungen wurde zum Beispiel zu wenig Ware geliefert oder in anderen als den vereinbarten Farben. Als würden die Chinesen uns den Ramsch schicken, den sie sonst nicht verkaufen konnten. Einmal mussten wegen der giftigen Chemikalien in den Textilien sogar Leute, die bei mir gekauft hatten, ins Spital. Das konnte ich nicht tolerieren und ich beschwerte mich bei Li Zhen. Der jedoch wimmelte mich lächelnd ab. Nichts änderte sich. Schließlich war er gar nicht mehr für mich zu sprechen. Ich lud ihn ein, nach Österreich zu kommen und sich das Problem persönlich anzusehen. Er ging nicht darauf ein. Stattdessen schickte er seine Tochter Rose. Und Rose war überall. Ständig. Nur weil ich einmal mit ihr geschlafen habe, ließ sie mich nicht mehr los. Sie verfolgte mich, tauchte in meiner Straße auf, drohte, alles meiner Familie zu erzählen, sie sagte was von Zeugen.

Das war zu viel. Ich würde die Probleme mit Li Zhens Fabrik nicht tolerieren, ich würde nicht noch einmal riskieren, dass mir die Kunden davonliefen, dass meine Familie noch einmal in eine Krise geriet. Vielleicht steckte die China-Mafia hinter dem Problem, wie manche meiner Freunde munkelten. Ich musste etwas tun. Ja, ich habe Li Zhens blöde Fabrik angezündet. Ich wollte Ruhe für mich und meine Familie und ein Auskommen. Ich kann nichts dafür, dass es in der Fabrik keine Notausgänge gab. Ich war nur der Auftraggeber, der Rest war Li Zhens Sache. Und die seiner Tochter. Zu dumm, dass beide mit den Arbeiterinnen starben. So können sie nicht mehr als Zeugen aussagen. Aber Sie haben doch sämtliche Belege und Verträge, Herr Richter.“

Der Richter nickte wieder, das Publikum murrte.

„Eine Frage noch, Herr Richter. Wie sind Sie auf meine Spur gekommen? Wie sind die Ermittler bei mir gelandet?“

„Ihre Tochter, Herr Schmidt. Ihre Tochter Emma kam Ihnen auf die Schliche. Sie fand es unverantwortlich, wehrlose Menschen einer dermaßen großen Gefahr auszusetzen, wie sie durch das gelegte Feuer entstand. Wussten Sie nicht, dass sich Ihre Tochter schon länger für die Rechte der Textilarbeiterinnen engagiert?“

„Nein. Nein, davon hatte ich keine Ahnung, verdammt. Ich habe das doch wegen meiner Familie getan! Das kann Emma doch nicht machen, mich, ihren eigenen Vater, anschwärzen.“

„Sehen Sie“, der Richter lächelte fein, „jeder hat so seinen Ruf. Auch Väter bei ihren Töchtern. Deshalb hat sie wohl nachgebohrt. Danke, jetzt haben wir Ihr Geständnis.“

Schmidt nickte. Er musste sich setzen. Es war aus. Aus und vorbei. Alles.

Anni Bürkl ist Journalistin, (Krimi-)Autorin und Lektorin. Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Göttinnensturz“ und ist Teil einer Krimireihe rund um Teelady Berenike Roither, erschienen im Gmeiner Verlag.

www.annibuerkl.at

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