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Symbolbild zum Bericht Die 23 Provinzen der Volksrepublik China verfügen über jeweils eigene, regionale Küchen. Diese wiederum werden in acht große Regionalküchen unterteilt.
Buchtipp

Bello mit Stäbchen

Schwerpunkt

Vom Essen im heutigen China: ein Streifzug durch Vorurteile und die vielfältige Küche eines riesigen Landes.

Zum Schicksal einer Sinologin gehöre es, zu jedem Geburtstag ein paar Stäbchen geschenkt zu bekommen. Über vorurteilsgeprägte Geschenke wie dieses schreibt Françoise Hauser in ihrem 2011 erschienenen Buch „Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über China“. Ihren Freundinnen und Freunden gibt die Autorin ironisch folgenden Tipp: Wie wäre es mit einem Säckchen Reis? Denn den essen die Chinesinnen und Chinesen – noch dazu mit Stäbchen. Ach ja, auch Löffel verwenden sie, etwa für die Nudelsuppe. Mit diesem Essbesteck können sich die Aromen nämlich durch gleichzeitiges Einsaugen von Luft voll entfalten – und sie ermöglichen das Schlürfen, das bei einem geselligen Gelage um den traditionell runden Tisch ebenso wenig wegzudenken ist wie das Rülpsen, Aufstoßen und Gelächter. So zumindest lauten die Vorurteile gegenüber der chinesischen Esskultur, die jeder chinakundigen Person den Magen umdrehen werden.

Wörterbuch der Esskultur

Um einen differenzierteren Eindruck von der chinesischen Esskultur zu bekommen, empfehlen Sinologinnen und Sinologen „Zhongguo pengren cidian“, das Wörterbuch der chinesischen Ess- und Trinkkultur, das mit seinen rund 20.690 Stichwörtern auch viele Dialektausdrücke und Begriffe mit ein und derselben Bedeutung auflistet. Kulinarisch lässt sich das Gebiet der Volksrepublik China grob in zwei große Regionen unterteilen: das südliche Reis- und das nördliche Nudelland. Im Norden des Jangtse-Flusses sind Reisfelder eine Seltenheit. Ein Schöpflöffel heiße Suppe, ein bisschen Gemüse, ein paar Rindfleischstreifen und eine Handvoll gezogener Weizennudeln sind hier das kulinarische Pendant zur Schale Reis im Süden. Südlich des Jangtse-Flusses, in der Provinz Sichuan und im Jangtse-Delta, wird China seinem Reis-Image gerecht. Hier werden pro Jahr (Weltspitze!) rund 200 Millionen Tonnen Reis produziert.

Regionalküchen

Die 23 Provinzen der Volksrepublik China verfügen über jeweils eigene, regionale Küchen. Diese wiederum werden in acht große Regionalküchen unterteilt, darunter etwa die scharfe Xiang-Küche aus Hunan. Die kantonesische Yue-Küche wiederum ist für ihre Ausgewogenheit und Vielfalt, aber auch für ihre ungewöhnlichen Zutaten wie Hundefleisch bekannt. In der würzi-gen Chuan-Küche aus Sichuan wiederum werden gerne Ingwer, Frühlingszwiebeln, Sojasauce und Chili verwendet. Bei einem Spaziergang über den Quinping-Markt von Kanton findet die Autorin Françoise Hauser säckeweise klein geschnittene Hirschgeweihe, getrocknete oder in Alkohol eingelegte Schlangen, Seepferdchen und andere exotische Ingredienzien vor. Artenschutz scheint keine Rolle zu spielen.

Ein Vorurteil mit dem bekannten Körnchen Wahrheit ist, dass Chinesinnen und Chinesen Hunde essen. Inzwischen gibt es aber einen gegenläufigen Trend: Das Tier als Haustier und Freund. Dies hat solche Ausmaße angenommen, dass einige Städte nunmehr eine Ein-Hund-Regelung erlassen haben. Wer dagegen verstößt, muss beispielsweise in der Provinz Kanton 2.000 Yuan (rund 200 Euro) bezahlen. Dennoch ist die Tierhaltung ein Wirtschaftszweig mit enormen Wachstumsraten. Laufbänder für dicke Hunde gibt es mittlerweile auch in der Volksrepublik. (Bei der Machtergreifung der Kommunistischen Partei im Jahr 1949 war die Haltung von Hunden als Maskottchen als Symbol bourgeoiser Lebensweise verboten worden.) Auch auf anderer Ebene wird versucht, den Fleischverzehr stärker zu regulieren. Während der Olympiade 2008 wurden etwa umstrittene Fleischsorten aus der Stadt verbannt, um ausländische Gäste nicht zu brüskieren. Das klang gut und fiel nicht weiter schwer, denn Hundefleisch gilt als wärmend und ist somit ein traditionelles Winteressen, das im heißen Sommer von Peking ohnehin nur selten angeboten wird. Obwohl die populäre Suchmaschine sohu.com immer noch allein in der Hauptstadt Peking rund 135.000 Ergebnisse für Orte mit verzehrbarem Hundefleisch ausspuckt, wie die China-Expertin Hauser feststellte, ist der Trend zum Verzehr von Bello und Co rückläufig. An die 100 Tierschutzgruppen soll es bereits in China geben, die für das Verbot von Hunde- und Katzenfleisch eintreten.

Religionenmix

Sicher ist, dass sich die Touristin bzw. der Tourist freut, wenn ihr/ihm ein Schnappschuss eines schlachtreifen Hundes, einer Katze oder Ratte am Markt gelingt. Warum tun Chinesinnen und Chinesen das? Ganz einfach: Weil sie können, weiß Journalistin Hauser. Der chinesische Religionenmix aus Buddhismus, Daoismus und Ahnenverehrung kennt keine unüberwindbaren Nahrungsmitteltabus. So dürften Buddhisten Tiere zwar nicht töten – aber essen. Doch wer „Exotisches“ sucht, muss nach Südchina, genauer gesagt in die Provinz Kanton fahren. Denn vor allem dort greifen die Köchinnen und Köche zu den für uns spektakulären Zutaten.

Gründe für unkonventionelles Essen gab es in der Geschichte des Landes ausreichend. Immer wieder war das Kaiserreich von Überschwemmungen, Missernten, Insektenplagen und Hungersnöten heimgesucht worden. Ein weiterer Grund für das chinesische Faible für ungewöhnliche Speisen liegt darin, dass die Grenze zwischen Nahrung und Medizin fließend ist. Jede Zutat ist auch Wirkstoff, jede Mahlzeit hat Auswirkungen auf den Gesundheitszustand. So garantieren Schildkröten ein langes Leben, Haifischflossen sind vorteilhaft für die Haut, Seegurke und Tigerpenis gelten als natürliches Viagra.

Von Rezepten anderer Art berichtet der chinesische Autor Liao Yiwu in seinem Buch „Die Dongdong-Tänzerin und der Sichuan-Koch“. Es ist eine Geschichtensammlung auf Grundlage von Gesprächen mit unterschiedlichsten Personen, darunter eine Tänzerin, ein Säufer, ein Restaurantbesitzer und Zhou Bandan, der Sichuan-Koch. Liao Yiwu wurde 1958 selbst in der Provinz Sichuan geboren und überlebte als Kind knapp die verheerende Hungersnot, die der vom damaligen Machthaber Mao Tse-tung verordnete „Große Sprung nach vorne“ ausgelöst hatte. „Ich danke meinem ersten Lehrmeister, dem Hunger“, sagte Yiwu in einem Interview, „auch wenn es mir heute an nichts fehlt, so brennt der Hunger nach Freiheit heftiger als jeder Hunger des Körpers.“

In der Geschichte muss der Sichuan-Koch Zhou Bandan sein kleines Restaurant „Schweinefüße mit Sichuan-Pfeffer“ schließen. „Die Gebäude werden immer höher“, sagt er, „die Restaurants immer größer, die Sichuan-Gerichte immer besser und immer mysteriöser.“ Einmal lädt er einen Freund auf ein „richtiges Sichuan-Essen“ ein, sie gehen über einen roten Teppich in das feine Lokal „Mapo-Tofu“. Das Armenessen oder die berühmten Lungenstückchen für Ehepaare und zweimal gebratenes Schweinefleisch gibt es nicht mehr. „Die Sichuan-Gerichte sind wie korrupte Beamte“, meint der Koch, „sie gehen mit der Zeit und verkommen.“

Schon lange hat der westliche Lebensstil Einzug in die chinesische Küche gehalten. „Man muss kein Feng-Shui-Meister sein, um vorauszusehen, dass in den nächsten Jahrzehnten die USA durch China als Weltmacht abgelöst werden“, prognostiziert der Journalist Christian Y.Schmidt in einer Glosse für die Berliner Tageszeitung „taz“. Die US-Staatsanleihen von 640 Mrd. US-Dollar wirkten sich auf den Lebensstil aus, nach dem Motto: „Was sich die eigenen Schuldner gönnen, können wir uns schon lange leisten.“ Auch daher habe in China in letzter Zeit das LOHAS-Ding (Lifestyle of Health and Sustainability) riesige Dimensionen angenommen. Das chinesische Magazin „happy life“, das sich ausschließlich an Frauen wendet, bringt Nachrichten über Bio-Diesel, High Heels aus Baumwolle und Rezepte aus westlicher und traditioneller chinesischer Küche.

Chop Suey

Vielleicht ist Chop Suey „das“ Essen der neuen Zeit. Es war um 1850, zur Zeit des Goldrauschs, da zog es die amerikanischen Schürfer in die Lager der Kulis, um dort einen Bissen zu erhaschen. Da sie mit den Chinesen nicht an einem Tisch sitzen wollten, warteten sie auf die zweite Schicht. Die chinesischen Köchinnen und Köche warfen in einen Topf, was vom Essen der chinesischen Gäste übrig war, schnitten es in kleine Stücke, bis alles „suey“ (in Streifen geschnitten) war. Ach ja, auch das Glücksgebäck kommt in China nicht auf den Tisch. Es wurde von einem schlauen Kleinhändler in San Francisco erfunden.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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