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Symbolbild zum Bericht Die Herausforderungen bei der Stadtplanung: Energieverschwendung, Luftverschmutzung und die bisher unterschätzte Mobilität.

Riesige Städte - Riesige Probleme

Schwerpunkt

In China drängen Hunderte Millionen Menschen in bereits überlastete Ballungszentren. Eine harte Probe für das Infrastruktur-, aber auch das Sozialsystem.

Hoch, höher, China. Im Reich der Mitte recken sich 72 Wolkenkratzer in den Himmel, die mehr als 250 Meter messen – vor dem Jahr 2000 waren es nur schlappe sechs Stück. Zum Vergleich: In den USA finden sich lediglich 43 Gebäude von solch stattlicher Dimension. Kein Zweifel, in China wird kräftig gebaut. Das ist auch notwendig, denn immer mehr Menschen verlassen ländliche Regionen und versuchen ihr Glück im urbanen Raum. Laut Prognosen der Economist Intelligence Unit sollen bis 2030 nahezu eine Milliarde Menschen in Chinas Städten leben. Das entspricht rund 70 Prozent der Gesamtbevölkerung – heute sind es 54 Prozent. Dabei gibt es in China aktuell bereits über 49 Großstädte, in denen mehr als eine Million Menschen leben. In der Metropolregion Shanghai drängen sich an die 25 Millionen BürgerInnen, in Peking und Umgebung wiederum sollen es bis zu 20 Millionen sein – so genau weiß das keiner.

Was heißt Hukou?

Bisher konnte die chinesische Führung durch ihre zentral gelenkte Wohnbau- und Siedlungspolitik Slumbildungen verhindern. Mit zunehmender Verstädterung wachsen jedoch die Probleme. Gudrun Wacker, China-Expertin bei der renommierten Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, meint, dass China angesichts der Urbanisierungsbewegung insbesondere vor der Herausforderung stehe, das Hukou-System zu modernisieren. Hukou? Dabei handelt es sich um das offizielle Wohnsitzregister der Volksrepublik. Hier wird eisern festgehalten, wo sich der Wohnort jeder Person in China befindet. Offiziell ist es nicht möglich, diesen Ort zu verlassen und anderswo zu leben bzw. zu arbeiten.

Überholtes System

Die Realität hat dieses System allerdings überholt, denn laut amtlichen Zahlen haben bereits 230 Millionen WanderarbeiterInnen ihre Heimat verlassen, andere Schätzungen gehen gut und gerne von 250 Millionen aus. Nun ist wiederum zwischen einem ländlichen und einem städtischen Hukou zu unterscheiden, wobei letzterer Privilegien wie den Zugang zu Sozialleistungen und Bildungseinrichtungen in den Städten bietet. Sprich: Menschen, die mit einem ländlichen Hukou in urbanen Gebieten leben, befinden sich in einer gewissen Grauzone und können zum Beispiel die städtische Krankenversicherung nicht in Anspruch nehmen und ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Dabei handelt es sich um kein „Minderheitenproblem“. „Immerhin leben 54 Prozent der Chinesinnen und Chinesen in Städten, aber nur 36 Prozent verfügen über einen städtischen Hukou“, so Christian Göbel vom Institut für Ostasienwissenschaften – Sinologie der Universität Wien.

Zwar ist es möglich, einen urbanen Hukou zu erwerben, das funktioniert in den großen Metropolen allerdings nur nach einem komplexen Punktesystem. Abhängig davon, wie lange man einen Arbeitsplatz hat, wie hoch der Verdienst ausfällt, ob man eine Wohnung erwirbt etc. werden Punkte vergeben. Erst wenn man eine gewisse Punktezahl erreicht hat, kann ein Hukou beantragt werden. Die Berliner Wissenschafterin Wacker kommentiert: „Die chinesische Politik hat das Problem schon lange erkannt und strebt eine Reform des Systems an. Dabei will man aber unkontrollierten Zuzug unterbinden und vor allem die großen Zentren wie Peking oder Shanghai entlasten. Der Erwerb eines urbanen Hukou ohne Punktesystem soll deshalb nur in kleineren Städten ermöglicht werden.“

Das führt allerdings gleich zu den nächsten Schwierigkeiten, wobei wir von Städten mit 500.000 bis einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern sprechen: „Die kleineren Städte sind oftmals bereits stark verschuldet, die Einbeziehung von Millionen Menschen in die sozialen Leistungen wird die Finanzierung auf lokaler Ebene mit Sicherheit vor Probleme stellen“, warnt die China-Expertin. Somit könnten die Änderungen von Hukou eine Steuerreform notwendig machen, die eine Umverteilung der Geldmittel von der zentralen zur lokalen Ebene ermöglicht.

Auch Investitionen nötig

Göbel wiederum weist darauf hin, dass nicht nur Änderungen im Hukou-System und städtebauliche Maßnahmen notwendig sind, sondern auch Investitionen in die Infrastruktur zwischen den Ballungszentren. Bis 2020 sollen alle Städte mit einer EinwohnerInnenzahl von 200.000 und mehr in das Autobahn- und Schienennetzwerk eingebunden sein. Städte mit über einer halben Million Einwohnerinnen und Einwohnern sollen dann mit Hochgeschwindigkeitszügen in Windeseile erreichbar sein. Dass die Umsetzung solcher Pläne ein erkleckliches Sümmchen kostet, liegt auf der Hand.

Fortschritte für die Umwelt geplant

Laut dem National Bureau of Statistics of China wurden allein im ersten Halbjahr 2013 umgerechnet über 160 Milliarden Euro in Infrastrukturmaßnahmen gepumpt, das meiste davon in den Straßenbau. Göbel dazu: „Auch der weitere Ausbau wird zweifellos kostspielig. Die Projekte sind aber notwendig, damit Chinas Wirtschaft weiter wachsen kann. Ein Risiko besteht allerdings in der hohen Verschuldung der Lokalregierungen, die so noch erhöht werden wird.“

Trotz vieler Herausforderungen sieht der China-Spezialist die Städte- und Infrastrukturplanung der Regierung prinzipiell positiv: „Man nützt die Chance, aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen. Auch werden Ziele und Zahlen zwar zentral vorgegeben, die Umsetzung erfolgt aber auf der lokalen Ebene. Das eröffnet die Chance auf einen Wettbewerb der besten Köpfe in den Regionen bzw. fast 3.000 Verwaltungskreisen.“ Fortschritte sind laut dem Experten vor allem im Umweltbereich vorgesehen, die Stadtplanung will auch explizit die Lebensqualität der BürgerInnen verbessern und sieht zum Beispiel die Miteinbeziehung von Parks und anderen Grünflächen vor. 

24 Quadratmeter

Wie lebt und wohnt es sich nun eigentlich konkret in Chinas Städten? Davon weiß Dietmar Eberle zu berichten. Er ist Professor an der ETH Zürich sowie Chef des Architekturbüros „be baumschlager eberle“, das in China mehrere Projekte verwirklicht hat.

„Das Zusammenleben in China unterscheidet sich sehr deutlich von jenem in Europa. Die Menschen leben in ,closed communities‘, die Drei-Generationen-Familie bildet dabei die grundsätzliche Struktur.“ Das habe auch ökonomische Gründe. „Die Leistbarkeit einer Wohnung ist nur aufgrund eben dieser Familienkonstellation möglich“, so der Experte. Die Mehrgenerationenfamilien Chinas leben laut Eberle auf einem Niveau, das mit Europa in den 1950ern vergleichbar ist. In China kommen 24 Quadratmeter Wohnfläche auf eine Person, in Europa sind es heute rund 40 Quadratmeter.

Das Besondere an China ist im Gegensatz zu Europa laut dem Architektur-Spezialisten ganz grundsätzlich das Besitzverhältnis: „Eigentümer der Grundstücksflächen sind die Kommunen und Städte. Daher kann man kein Eigentum begründen und erhält nur Baurechte. Wichtig ist auch, dass in China nur die Ausrichtung von Baukörpern nach Süden akzeptiert wird und die Belichtungsregelungen vollkommen anders als in Europa sind. Die Höhe der Bauten ist je nach Region von den Erdbebennormen abhängig.“

Die Herausforderungen sind Eberle zufolge jedenfalls gewaltig: „Energieverschwendung, Umweltverschmutzung und die Unterschätzung der Mobilität führten zu Situationen, die jetzt gelöst werden müssen. Schlüsselelement dafür ist nicht die bisher übliche Ansammlung turm- oder wurmförmiger Wohnhausanlagen, sondern die Versorgung der Bevölkerung mit einer erreichbaren städtischen Infrastruktur.“

Die Politik scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben: Statt architektonische Rekorde anzustreben, sucht man praktische Lösungen. Der Wettlauf um das höchste Gebäude der Welt wird gerne anderen überlassen. Derzeit überragt der Burj Khalifa in Dubai mit 830 Metern die Konkurrenz, es folgt der Tokyo Skytree mit stolzen 634 Metern. In Saudi-Arabien soll in Zukunft der Kingdom Tower als neuer Spitzenreiter die magische Marke von einem Kilometer Höhenunterschied knacken. In China gibt man sich hingegen mit dem Shanghai Tower (632 Meter) als der aktuellen Nummer drei zufrieden.

Web-Tipps:
Mehr Infos unter
www.urbanophil.net
www.chinadaily.com.cn/business/Urbanization

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor harald.kolerus@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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