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Univ.-Prof. Dr. Erich Kirchler Erich Kirchler: "Würden wir konsequent nachhaltig oder sagen wir sparsam leben, also weniger konsumieren bzw. wegwerfen, dann könnten wir vielleicht unsere Arbeitszeit reduzieren."

Vom Sparen und Steuern

Interview

Der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler über kraftlose Politiker, konsumfreudige Jugendliche und zufriedene SteuerzahlerInnen.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Erich Kirchler

Geboren am 4. November 1954, Sand in Taufers, Südtirol
Geschieden, eine Tochter
Vizedekan der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien
Stv. Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie: Arbeit, Bildung, Wirtschaft
1973–1975 Architektur-Studium, Studium der Psychologie und Humanbiologie
1979 Studienabschluss in Psychologie
1989 Habilitation an der Universität Linz
Seit 1992 Professor für Angewandte Psychologie an der Universität Wien mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie
Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren u. a. in Italien, im UK, in den USA und in Australien
Herausgeber/Mitherausgeber des Journal of Economic Psychology (seit 2003) und der WU International Taxation Research Paper Series (seit 2013)

Publikationen

Wirtschaftspsychologie: Individuen, Gruppen, Märkte, Staat. Hogrefe Verlag, Göttingen, 2011
Erich Kirchler (Hg.): Arbeits- und Organisationspsychologie. Facultas, Wien, 2011
Weitere Publikationen siehe: homepage.univie.ac.at/erich.kirchler

Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor Kirchler, aus aktuellem Anlass vielleicht ein kurzes Statement zur Budgetrede vom 29. April beziehungsweise zum aktuellen Budget?

Erich Kirchler: Ich beobachte eine große Unsicherheit. Was derzeit stattfindet, ist eher Krisenmanagement als fundiertes und reflektiertes Handeln zur Gestaltung der Zukunft. Statt strategisch und geplant vorzugehen, wird hauptsächlich repariert.

 Es fehlt der staatsmännische Weitblick?

Ja, den würde man sich von Politikern und Politikerinnen doch wünschen. Tatsächlich gibt es aber Reparaturpolitik im Sinne von kurzfristigen Reaktionen auf drängende Probleme. Vermutlich liegt es daran, dass die Politik gegenüber der Wirtschaft ins Hintertreffen geraten ist. Politiker sollten eigentlich als eine Art Moderatoren zwischen den Interessen der Bevölkerung und der Wirtschaft fungieren. Aber das können sie nicht mehr ausreichend tun, denn in der Regel hören ihre Möglichkeiten an den nationalen Grenzen auf, während die Wirtschaft wesentlich flexibler und globaler handeln kann.

PolitikerInnen müssen auf viele Stakeholder Rücksicht nehmen und mit diesen verhandeln, während Unternehmen eindeutig ihre eigenen Interessen verfolgen können.

Genau. Der Idealzustand wäre, dass alle – Politik und Wirtschaft – im Interesse des Volkes arbeiten. Aber Politiker sehen sich gezwungen, ganz unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen und dabei die Verteilungsgerechtigkeit zu optimieren. Die Wirtschaft hingegen zielt darauf ab, zu wachsen. Ich sehe die Politik als moderierende Kraft zwischen den Interessen der Bevölkerung und der Wirtschaft. Wenn die Politik die Aufgaben der Regulation nicht effizient und effektiv wahrnehmen kann, dann wird die Wirtschaft eben ihre eigenen Interessen verfolgen und das kann man ihr eigentlich auch nicht vorwerfen. Jetzt wird versucht, die durch die fehlende regulierende Kraft entstandenen Veränderungen an bestimmten Namen oder Personen festzumachen. Ich denke, die Politik hat in vielen Ländern an Kraft eingebüßt und es bedarf dieser regulierenden Instanz zwischen Interessen des Volkes und der Wirtschaft.

Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?

Entweder es erfolgt ein Regulativ aus der Wirtschaft selbst, was schwer zu hoffen wäre, mich aber im Grunde überraschen würde. Oder man erkennt, dass politisches Wirken auf regionaler Ebene nicht mehr effektiv genug ist, um entsprechende Regulationsmaßnahmen zu setzen. Wir müssen uns eingestehen, dass wir in größerem Zusammenhang, auf europäischer und globaler Ebene, politisch tätig werden müssen.

Das Phänomen ist ja häufig, dass die verschiedenen Interessengruppen bei den großen Zielen oft sogar einig sind: Es muss gespart werden, das Gesundheitssystem muss effizienter werden, strukturelle Reformen sind nötig etc. Bei den konkreten Maßnahmen scheitert es dann aber.

So ist es, jeder ist für Einsparungen, aber nicht bei sich selbst. Besonders in der Politik verhindern partikuläre Interessen immer wieder, mit vereinten Kräften in eine Richtung zu gehen. So ist es ja auch etwa beim Thema Steuern, wo im Grunde alle einig sind, dass sowohl Vereinfachung der Gesetze als auch mehr Transparenz nötig sind. Aber wirkungsvolle Lösungsansätze gibt es bis heute nicht.

Was wäre ein Lösungsansatz – Moderatoren, die zwischen den Interessengruppen vermitteln?

Ja, so könnte man zu integrativen Lösungen kommen. Was versteht man unter integrativen Lösungen im Gegensatz zu Kompromissen? Nehmen wir als einfaches Beispiel die Urlaubsplanung eines Paares: Er will ans Meer, sie in die Berge. Ein möglicher Kompromiss wäre, ein Jahr ans Meer und beim nächsten Mal ins Gebirge zu fahren oder eine Woche dahin und die zweite Woche dorthin. Allerdings wäre dann vermutlich immer ein Partner unzufrieden. Forscht man aber genauer nach, dann stellt sich vielleicht heraus, dass es dem einen um die Nähe zum Wasser an sich geht und dem anderen um die frische Luft. Also könnte ein Bergsee eine integrative Lösung darstellen. Integrative Lösungen zu finden kostet auf den ersten Blick vielleicht viel Zeit, sie können aber Konflikte, Frust und Fehlinvestitionen ersparen.

Sie haben sich auch intensiv mit dem Themenkreis Steuern, Steuermoral und Steuersparen beschäftigt. Was kann der Staat tun, damit die Compliance verbessert wird, dass vor allem Unternehmen einen gerechten Anteil leisten?

Viel, sehr viel. Selbst als Psychologe ist mir bewusst, dass Kontrollen und Strafen nötig sind. Aber wie diese Machtinstrumente des Staatsapparates eingesetzt werden, wie und in welchem Vertrauensklima das passiert, ist essenziell. Ob SteuerzahlerInnen kooperieren wollen oder laufend versuchen, aus der Steuerpflicht irgendwie rauszukommen, hängt von vielen Faktoren ab. Im Allgemeinen ist die Steuermoral in Österreich ganz okay. Die Leute zahlen ihre Steuern, zwar nicht gern, aber doch großteils ehrlich. Das große Problem sind die Unternehmen, die ganz legal Steuervermeidung betreiben und Schlupflöcher nutzen. Hier kommen Sie mit Kontrollen und Strafen nicht weiter. Denn Sie können Firmen wie Starbucks, Google, Apple etc. kontrollieren und Sie werden feststellen, es ist völlig legal, dass ein großes Unternehmen vielleicht gerade einmal ein bis drei Prozent Steuer zahlt. Da wurden superclevere Konstruktionen entwickelt, man kommt ihnen mit den üblichen Gesetzen und Sanktionen nicht bei. Ich kann in dieser Situation also nur eines tun: auf den Goodwill pochen, auf wechselseitige Kooperation setzen, einen Vertrag für Fair Play entwerfen. Durch „Verhandlungen auf Augenhöhe“ und kooperatives Vorgehen zwischen Finanz und Unternehmen kann eine Vertrauensbasis entstehen. In den Niederlanden etwa wird dies in Form des sogenannten Horizontal Monitoring seit 2005 angewandt. Die begleitende zeitnahe „Konsultation“ alternativ zur traditionellen vergangenheitsorientierten Betriebsprüfung im Nachhinein kommt bei den Unternehmen gut an. Sie erhalten Rechtssicherheit, können planen, ersparen sich aufwendige Verfahren und Dokumentationen. Im Gegenzug zahlen sie ehrlich ihre Steuern. In Österreich gibt es das Horizontal Monitoring seit 2011 als Pilotprojekt mit einigen Unternehmen.

Eine Win-win-Situation?

Immer mehr Finanzministerien und Firmen setzen auf diesen Paradigmenwechsel, sie wollen auf Vertrauensbasis zusammenarbeiten und nicht Räuber und Gendarm „spielen“. Das ist für mich die Zukunft. Wir leben nicht in einem Staat, in dem wir einander bekriegen müssen. Das Unternehmen kann planen, weiß, was es an Steuerzahlungen zu erwarten hat. Derzeit müssen Unternehmen mit Steuerprüfungen bis zu sieben Jahre im Nachhinein rechnen. Da wird dann hin und her diskutiert, verhandelt und gedeutelt, nicht zuletzt weil man an der Vergangenheit doch nichts mehr ändern kann. Es geht um Fair Play auf beiden Seiten. Feinddenken im Sinne von „Wir sind hier die Behörde und da draußen sind die Bösen“ bringt nichts.

Steuergesetze sind ein komplexes Gefüge, nicht immer ist alles klar, das heißt, Verständnis ist ein entscheidender Faktor. Was bedeuten Steuern, wie verhalte ich mich richtig? Was passiert mit dem Steuergeld? Das muss den Menschen vermittelt werden. Dafür gibt es viele Wege, auch die Medien spielen hier eine Rolle. Es muss klargemacht werden, dass wir nicht in einem Land von Steuerhinterziehern leben, dass die Mehrheit ihre Steuern entrichtet. Das heißt, die soziale Norm ist „ehrlich zahlen“. Vertrauen bilden, das bedeutet, für Gerechtigkeit zu sorgen. Ich muss verstehen, warum ich meine Belastungen und Steuervorteile habe und andere ihre (distributive Gerechtigkeit). Noch wichtiger ist die prozedurale Gerechtigkeit: Verfahren müssen transparent sein, ethisch vertretbar. Dann sind die Steuerbehörden Experten, die mich beraten und mir helfen, die Gesetze einzuhalten. Wenn sich jemand unter diesen Bedingungen noch immer nicht an die Gesetze hält, dann sind empfindliche Strafen nötig.

Hat Steuerhinterziehung überhaupt etwas mit Sparsamkeit zu tun?

Man könnte vermuten, dass diejenigen, die ihr Geld mühsam erarbeitet haben, sich damit schwerer tun, dem Staat davon etwas abzugeben, als jene, die es leicht verdient haben. Tatsächlich hat sich bei Erhebungen in mehreren Ländern herausgestellt, dass leicht verdientes Geld, das etwa durch Glück beim Spekulieren verdient wurde, eher hinterzogen wird. Nach dem Motto „Wie gewonnen, so zerronnen“ sind Menschen mit leicht verdientem Geld deutlich risikofreudiger.

Wie weit ist Sparsamkeit heute überhaupt noch angesagt?

Die Bereitschaft, Kredite aufzunehmen, ist in letzter Zeit gestiegen, es wird weniger gespart. Vielleicht auch weil die Möglichkeiten geringer geworden sind, weil mehr Leute ihr gesamtes Einkommen zum Leben brauchen. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Sparquote sinkt. Aber wir leben heute auch in einer hedonistischen Zeit, genießen die Gratifikationen des Konsums lieber gleich als später. Die Motive fürs Sparen können ganz unterschiedlich sein: vorsorgen, auf ein bestimmtes Gut hinsparen, Absicherung für die Zukunft oder um Werte weiterzugeben. Sparen kann ein Gefühl der Autonomie und Sicherheit vermitteln, man fühlt sich besser gerüstet für die Zukunft.

Und wie verhält es sich mit dem Schuldenmachen? Man kann ja heute fast alles auf Kredit kaufen.

Auch bei uns wird es immer akzeptabler, für Autos, Laptops oder Urlaube Schulden zu machen. Uns hat vor allem interessiert, wie weit die Leute verstehen, was mit einem Kredit tatsächlich auf sie zukommt, welche zukünftige Belastung ansteht. Und da vermute ich, dass das angestrebte Gut sehr blendet. Wer etwa für eine Urlaubsreise einen Kredit aufnimmt, der muss womöglich selbst dann noch Raten abstottern, wenn er schon längst wieder zu Hause und der Erholungseffekt schon lange vorbei ist. Wenn man sich aufgrund eines Kaufes auf Kredit auch in Zukunft noch lange einschränken muss, dann bekommt man möglicherweise das Gefühl, dass man sich nichts mehr leisten kann oder zumindest weniger als die Nachbarn. Das führt dann unter Umständen dazu, dass der nächste Kredit aufgenommen wird. Wer fähig ist, auf sofortige Gratifikation zu verzichten, Belohnungen aufzuschieben, also zu sparen, der kann dann das Gut tatsächlich genießen. Aber dieses Aufschieben scheint in letzter Zeit immer weniger attraktiv zu sein.

Dann gibt es noch den gegensätzlichen Trend, nachhaltig zu leben, Gebrauchtes wiederzuverwerten und Ressourcen zu sparen.

Ja, auf der einen Seite gibt es diejenigen, die alles möglichst sofort haben möchten – aus den unterschiedlichsten Gründen: aus reinem Hedonismus oder weil man durch den Erwerb von Konsumgütern Anerkennung und Status erlangen möchte. Andere wollen beim Shopping Symbole erwerben, die ihr soziales Selbst definieren oder ergänzen. Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe, die auf Nachhaltigkeit setzt. Für sie ist Bescheidenheit ein wertvolles Gut, mit dem sie ihre soziale Freiheit gewinnt. Ich denke, dass Nachhaltigkeit für junge Leute ein wichtiges Thema ist. Wir erzeugen Müll in erschreckenden Mengen. Würden wir konsequent nachhaltig oder sagen wir sparsam leben, also weniger konsumieren bzw. wegwerfen, dann könnten wir vielleicht unsere Arbeitszeit reduzieren. Diese Art von Sparsamkeit wird vielleicht für die nächste Generation wichtiger werden als für unsere.

Aber gefährdet das nicht das Wirtschaftswachstum?

Diese Argumentation habe ich noch nie verstanden, die Wirtschaft ist doch kein Organismus, der sich freut oder leidet. Ich habe noch nie gehört, dass die Wirtschaft blutet oder Kopfweh hat. Was soll das heißen, wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es uns allen gut? Solche Slogans sollte man schon hinterfragen. Ist für mehr Freizeit und mehr Lebensqualität Wirtschaftswachstum nötig?

Geld macht also nicht unbedingt glücklich?

Trotz des enormen Wirtschaftswachstums seit den 1950er-Jahren ist die allgemeine Lebenszufriedenheit zum Beispiel in den USA nicht gestiegen. Selbstverständlich müssen die Grundbedürfnisse erfüllt sein, aber dann gibt es sehr viele Variable im Leben eines Menschen, die wesentlich wichtiger für seine Zufriedenheit sind als Geld. Mit entscheidend ist etwa der relative Wohlstand. Wenn der Nachbar sich deutlich mehr leisten kann, dann ist die Wahrscheinlichkeit für Unzufriedenheit relativ groß. Je größer die Einkommensunterschiede in einem Staat sind, desto unglücklicher ist die Bevölkerung. So gesehen wäre es sinnvoll, Steuern hoch progressiv zu gestalten, um die Einkommensunterschiede zu nivellieren, weil das die Gesellschaft glücklicher macht. Laut einer internationalen Studie verhält sich die Höhe der Steuerprogression proportional zum nationalen Glück. Steuerpolitik kann also nicht nur beeinflussen, wie viel Geld der Staat zur Verfügung hat, sondern durch Umverteilung auch die Zufriedenheit der Bevölkerung beeinflussen.

Wir danken für das Gespräch.

Mehr Info zu Erich Kirchler und dem Institut „Angewandte Psychologie: Arbeit, Bildung, Wirtschaft“: homepage.univie.ac.at/erich.kirchler

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