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Symbolbild zum Bericht: Konflikt statt Kooperation Wieso weicht der kroatische Entwicklungspfad der Arbeitsbeziehungen trotz des gemeinsamen jugoslawischen Erbes stark vom benachbarten Slowenien ab?
Buchtipp

Konflikt statt Kooperation

Schwerpunkt

Seit 1. Juli 2013 ist Kroatien das 28. Mitgliedsland der EU. Wie sehen die Arbeitsbeziehungen dort aus?

In Kroatien finden die Lohnverhandlungen auf dezentraler Ebene statt, die Steuerungsfähigkeit der Sozialpartner ist schwach und die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Regierung sind instabil und von Konflikten geprägt. Wieso weicht der kroatische Entwicklungspfad der Arbeitsbeziehungen trotz des gemeinsamen jugoslawischen Erbes stark vom benachbarten Slowenien ab?

In der Übergangsphase Anfang der 1990er-Jahre waren die kroatischen Gewerkschaften noch gut organisiert und einflussreich, zweifellos ein Erbe des jugoslawischen Systems von betrieblicher Selbstverwaltung und „gesellschaftlichem Eigentum“ an den Betrieben. Dominanter politischer Akteur war die nationalistisch-populistische Partei HDZ, deren Parteiführer Franjo Tudjman von 1990 bis 1999 erster Präsident Kroatiens war und die Politik des Landes halbautoritär lenkte. Sowohl die HDZ als auch der Gewerkschaftsdachverband SSSH sahen sich als legitime Vertretung der Arbeitnehmerschaft. Ein Konflikt war unausweichlich, zumal die Regierung nicht zu Kompromissen geneigt war.

Die bedeutendsten Konfliktfelder waren die Privatisierung und die Lohnpolitik. Von der Privatisierung profitierten v. a. HDZ-Gefolgsleute, und per Dekret setzten die HDZ-Regierungen eine Lohnpolitik durch, welche den Beschäftigten Reallohneinbußen bescherte. Diese Niederlagen schwächten die Gewerkschaftsbewegung wesentlich.

Alles in allem waren die Beziehungen zwischen Regierung und Gewerkschaften in den 1990er-Jahren durch Konflikte geprägt. Die HDZ schloss die Gewerkschaften von den politischen Entscheidungsprozessen aus, eine Institutionalisierung der Arbeitsbeziehungen durch KV etc. unterblieb weitgehend. Im Jahr 2000 erfolgte der Machtwechsel von der HDZ zu einer Mitte-Links-Koalition. Diese suchte Ende 2001 einen Konsens mit den Sozialpartnern über den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs. Doch bald darauf wurden nicht vorweg abgestimmte Entwürfe der Regierung über Arbeitsmarktderegulierung und einschränkende Lohnpolitik bekannt. Die Gewerkschaften kündigten daraufhin den Sozialpakt auf, der Versuch einer konsensualen Politik war gescheitert. Die Konfrontation zwischen Gewerkschaften und Regierung hielt weiter an, geprägt von den Konflikten über die Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik.

Gewerkschaften

Die kroatische Gewerkschaftsbewegung zeichnet sich heute organisatorisch durch Zersplitterung, Konkurrenz und geringe Kompetenzen der Verbände aus. Es bestehen fünf große, offiziell als repräsentativ anerkannte Gewerkschaftsdachverbände, auf die rund 90 Prozent der Mitglieder entfallen. Die meisten Gewerkschaften sind Betriebsgewerkschaften. Die Mindestzahl für die Gründung einer Betriebsgewerkschaft beträgt zehn Beschäftigte. Die Dachverbände konkurrieren um die Mitgliedschaft der Betriebsgewerkschaften. Diese Konkurrenz führt zu Konflikten. Wechsel von einem Verband zu einem anderen sind häufig. Die Dachorganisationen sind daher instabil.

Der Zentralisierungsgrad der Dachverbände ist gering, die Einzelgewerkschaften verfügen also über ein hohes Maß an Autonomie, auch in finanzieller Hinsicht. Aus Pluralität, Konkurrenz und schwacher verbandlicher Autorität der Dachorganisationen resultiert eine geringe Steuerungsfähigkeit der Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Wie in fast allen EU-Ländern ging auch in Kroatien der Organisationsgrad der Gewerkschaften in den letzten beiden Jahrzehnten zurück. 1995 hatte er noch 65 Prozent betragen, aber aufgrund der Konflikte mit den Regierungen, des geringen Einflusses auf wichtige politische Entscheidungen, der innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen und der wirtschaftlichen Probleme des Landes fiel er deutlich auf zuletzt rund 35 Prozent. Damit weist Kroatien allerdings nach wie vor einen erheblich über dem Durchschnitt der EU-28 (rund 23 Prozent) liegenden Organisationsgrad auf. Die wichtigste Verhandlungsebene im privaten Sektor ist die Betriebsebene. 2009 bestanden zehn Branchen-KV, von denen acht allgemeinverbindlich erklärt wurden. Da jährliche Neuaushandlungen nicht die Regel sind, haben die Lohnbestimmungen mancher Branchen-KV keine praktische Bedeutung mehr. Branchenübergreifende nationale KV existieren keine. Der Deckungsgrad der KV wird auf 55–60 Prozent geschätzt und liegt damit etwas unter dem Durchschnitt der EU-28 von 66 Prozent.

Das 2010 beschlossene Arbeitsgesetz hat neue Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Branchen-KV durch den Arbeitsminister festgelegt: Erstens muss eine dreiseitige Kommission bestätigen, dass die Erstreckung des Branchen-KV im öffentlichen Interesse liegt, und zweitens muss der KV durch die Gewerkschaft und den Arbeitgeberverband mit dem jeweils höchsten Organisationsgrad abgeschlossen worden sein. Die wichtigsten Inhalte der Firmen-KV sind Lohn- und Arbeitszeitregelungen. In Bezug auf andere Themen wiederholen viele KV nur die entsprechenden Regelungen des Arbeitsgesetzes. Für die KV gilt das Günstigkeitsprinzip (d. h. nur für die Beschäftigten günstigere Regelungen als im Gesetz sind legal). KV sind rechtlich bindend, und sie sind gültig auch für die Beschäftigten ohne Mitgliedschaft bei der abschließenden Gewerkschaft (Außenseiterwirkung).

Die Regelungseffektivität des KV-Systems insgesamt ist aufgrund der genannten Schwächen und der Probleme der Nichteinhaltung als gering anzusehen. Seit 1996 besteht der „Wirtschafts- und Sozialrat“ (GSV) als Gremium des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene zwischen den repräsentativen Gewerkschaftsdachorganisationen, dem Arbeitgeberdachverband HUP und der Regierung. Als Plattform des Informationsaustauschs, der Anhörung der Sozialpartner und der Beratung der Regierung im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat sich der GSV seit 2000 bewährt, nicht aber als Gremium sozialpartnerschaftlicher Politiksteuerung: Abgesehen von dem erwähnten Sozialpakt Ende 2001 kam kein formales dreiseitiges Abkommen zustande. Der soziale Dialog leidet darunter, dass das gegenseitige Vertrauen gering ist und die Mechanismen der Konfliktlösung wenig wirksam sind. Einen Beleg für die Ineffektivität des KV-Systems stellt die Tatsache dar, dass verspätete bzw. irreguläre Lohnauszahlung weitverbreitet und im GSV ein wichtiges Thema ist.

Betriebsrat

Wie Österreich zählt Kroatien zu den Ländern mit einer dualen betrieblichen Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen. Der Betriebsrat wurde 1996 eingeführt. Der Anteil der im Unternehmen durch Betriebsrat und/oder Gewerkschaft vertretenen Beschäftigten beläuft sich auf etwa 50 Prozent. Dank der Betriebsräte gehört Kroatien unter den mittelosteuropäischen Ländern zu jenen mit hohem Vertretungsgrad. Die Mindestgröße der Belegschaft für die Bildung eines Betriebsrats beträgt 20 Beschäftigte. Gegründet werden kann ein Betriebsrat auf Betreiben von zehn Prozent der Belegschaft oder der Betriebsgewerkschaft. Gewählt wird der Betriebsrat von der gesamten Belegschaft. Er verfügt über Informations-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte. Das Recht zum Abschluss eines Betriebs-KV haben ausschließlich die Gewerkschaften. In Betrieben ohne Betriebsrat kann die Betriebsgewerkschaft die Funktionen des Betriebsrats übernehmen. Während in fast allen Großunternehmen ein Betriebsrat besteht, gilt dies nur für weniger als die Hälfte der KMU.

Mindestlohn

Kroatien führte mit 1. Juli 2008 einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Das Mindestlohngesetz schreibt die jährliche Anpassung der Lohnhöhe vor und sieht ein Berechnungsverfahren vor, welches sicherstellen soll, dass die Relation zwischen Mindestlohn und Durchschnittslohn jedenfalls gewahrt bleibt und sich bei realem Wirtschaftswachstum verbessert. In den letzten Jahren betrug der Mindestlohn 36 bis 40 Prozent des Durchschnittslohns. Derzeit beläuft sich der monatliche Mindestlohn eines Vollzeitbeschäftigten auf rund 400 Euro.

Friedrich-Ebert-Stiftung: Die Gewerkschaften in Kroatien: tinyurl.com/lsoemal

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